[139] Jerta. Hugo blaß und entstellt.
HUGO.
Laß sie gehen!
Alles Leben flieht den Mord.
Als Jerta ihr folgen will, herrisch.
Laß sie, sag' ich – Diese ist
Mir gewiß genug – der Hölle
Abgekauft mit Bruderblut –
Solchen Handel hält der Teufel.
JERTA.
Hugo! Gott, wie war't ihr's mächtig,
Solches an euch selbst zu thun?
HUGO.
Thun? Der Mensch thut nichts. Es waltet[139]
Ueber ihm verborgner Rath,
Und er muß, wie dieser schaltet.
Thun? Das nennst du eine That?
Oh, ich bitt' dich, laß das ruhn!
Alles, alles hängt zuletzt
Am Real, den meine Mutter
Einer Bettlerin verweigert!
JERTA.
Gott vergeb' ihr, was an euch
Sie unmütterlich begangen.
HUGO.
Nicht, daß sie's beging, bringt Tod;
Daß die dein' es nicht verschwiegen –
Das hat aus dem stillen Norden
Mich zum Land der Glut getrieben,
Wo sie rasen, wenn sie lieben,
Und im Wahnsinn Brüder morden.
Vor sich hin.
Wenn die That noch ist Gedanke,
Ist sie nicht. Ist sie geschehn,
Tief im Dunkel, unbelauscht;
Ist sie auch nicht, wenn die Brust[140]
Und der Mund sie kann bewahren.
Lebhafter zu Jerta.
Sieh, das ist der Hölle Schlinge!
Weil der Mensch Gedankensünden.
Zu verschweigen hat die Macht,
Lockt's ihn, daß er sie vollbringe,
Wähnend, in des Busens Nacht
Könn' er das Gescheh'ne binden,
Wie er band, was er gedacht.
Und so trägst du das Verbrechen,
Das du aufgeladen hast;
Aber schwerer jeden Schritt,
Immer schwerer wird die Last,
Bis des Trägers Kniee brechen,
Und er stürzt, und reißet mit
In den Abgrund Weib und Vater!
Tief aus dem Schmerz herauf.
Oh!
JERTA halb vor sich, erschüttert.
Das lähmt den Muth des Arztes.
HUGO.
Arzt? Die Krankheit weiß von keinem[141]
Arzt! – Auswendig kann der Mensch
Alles lernen, was er will,
Mosis Bücher, die Propheten,
Und die ganze heil'ge Schrift;
Aber was er weiß, vergessen,
Wär' es Eine Sylbe nur,
Das ist nicht in seiner Macht,
Und kein Arzt kann das Gedächtniß
Reinigen von seinem Aussatz.
JERTA.
In der Hand des Kranken liegt,
Wenn er Kraft noch hat, ein Mittel.
Les't!
HUGO nimmt den Brief.
Was ist –?
Er lies't, von Jerta beobachtet; seine schmerzerschlafften Züge werden lebendig, die Augen bekommen Feuer, der Arm spannt sich an, endlich steht er auf.
Ha, Taube! Wer
Lehrt dich, was dem Geier frommet?
Ja, das ist's, das macht gesund![142]
Habe Dank, du milder Arzt,
Der mit Feuer heilt und Schwert!
Mit flammendem Blick.
Blut will Blut!
JERTA erschüttert von ihm weg.
O Gott!
HUGO.
Ein Mensch –
Wär's ein Bruder, feig erschossen
Aus dem fernhin treffenden
Rohre – das ist nichts! zu viel
Für die Ruh'; zu wenig für
Das Bedürfniß einer Hölle,
Die davon ist angeglommen.
Mit steigendem Affekt.
Mit der Menschheit will ich rechten,
Blutig, daß ich Mensch geboren,
Und gefallen bin, wie Menschen!
Nicht auf Einzelne, auf Völker
Schleud're mein Geschoß den Tod,
Reiße ihre Massen nieder,
Und auf Felder, blutig roth,[143]
Sä' es die zerstückten Glieder!
Vor den Mauern fester Städte
Pflanze sich das Brandgeräthe,
Werfe, ob der Fromme bete,
Feuer in sein friedlich Haus!
Prasselnd schlägt die Flamme aus,
Straßen stehn in Glut und Graus,
Und die Bomben, im Zerspringen,
Tödten, die da Hülfe bringen.
Ueber Leichen, aufgethürmt,
Wird der letzte Wall erstürmt,
Und die Thore gehn in Trümmer;
Und die losgelaß'ne Schaar,
Aufgereizt zu blinder Wuth
Durch der Kameraden Blut,
Stürzet jubelnd in's Gewimmer;
Läßt am Altar Weiber bluten,
Schleudert bei dem blonden Haar
Zarte Kinder in die Gluten –
Langsamer.
Und am Abend, wenn der Sieger
Hat gebändigt seine Tiger;[144]
Wenn der Tod den Jammer hat
Still gemacht,
Und die Nacht
Einhüllt die verheerte Stadt,
Werden Lampen angezündet,
Und »Herr Gott, dich loben wir!«
Weint aus halb verbranntem Tempel!
JERTA von Schauder durchdrungen.
Oh, entsetzlich! Nein, so hab' ich's
Nicht gemeint. Aus Feindes Ketten
Sollt ihr menschlich Brüder retten,
Ob des Todes Pfeil euch träfe;
Und der Lorbeer um die Schläfe
Soll das Kainszeichen decken,
Das auf eurer Stirne glüht!
HUGO.
Nun – nun ja doch! Mein Gemüth
Ist nicht bös; die Phantasie
Labt nur spielend sich am Schrecken.
Ich begreife, was du meinst:
Sterben soll ich, außerm Lande,
Fern begraben meine Schande –[145]
JERTA weinend an ihm.
Oh! mein Bruder!
HUGO weich.
Sieh, du weinst.
Glaubst du, daß ich sterben scheue?
Tod ist leichter, als die Reue!
Selig sind die Todten!
JERTA.
Bleibe!
Lebe, Hugo, deinem Weibe,
Und dem Knaben ohne Vater,
Und dem Vater ohne Sohn!
Aber, Mann, ersinne nur
Eine Arbeit, ein Bestreben,
Das Elviren Muth kann geben,
Liebend dir im Arm zu liegen,
Und dem Ritter Kraft, zu siegen
Ueber seinen Schmerz, und dich
Stolz einst seinen Sohn zu nennen.
HUGO.
Nun, das alles findet sich,
Wenn wir kurze Zeit uns trennen[146]
Spanier sind sie, stolzen Herzens;
In Elvirens Adern rollt
Fürstenblut; nach Ordenssternen
Steht des Kastilianers Sinn.
Hab' ich jener einen Gatten,
Diesem einen Sohn erschlagen;
Bin ich Mann, Ersatz zu leisten
Beiden, wenn auf meinem Haupt
Eine Fürstenkrone pranget.
JERTA bestürzt.
Oerindur!
HUGO entschlossen.
Sie soll! bei Gott!
Schick' das ab. – Erobern will ich
Die verlorenen Provinzen;
Doch dem König nicht, dem Sieger.
Will den schnöd' verschenkten Sohn
Mächtig auf den Thron
Heben, und Elviren
In das reiche Haar
Diamanten, klar
Wie die Sterne, säen,[147]
Daß das Aug' erblinde,
Das sie angesehen;
Will die Stirn' ihr zieren
Mit der Fürstenbinde,
Ihren schlanken Leib
Mit dem Purpur schmücken –
Dann das schöne Weib
An den Busen drücken,
Und vor Lust vergehen!
Eile! Schnell muß es geschehen.
JERTA.
Ja, fürwahr, die Hölle bindet
Fest, was einmal sie gefaßt.
Wie die Nadel, wenn sie hat
Den Magnet berührt, nach Norden
Ewig ihre Spitze drehet,
Kehrt, wer Einmal bös gethan,
Ewig seinen Sinn zum Bösen.
HUGO.
Nun, was ist denn was ich meine,
Böses eben?[148]
JERTA stark.
Hochverrath!
Völkermord! Weh über euch!
Euch beherrscht des Vaterfluches
Finstre Macht!
HUGO nach kurzer Stille.
Ja, du hast Recht.
Oh, ich bin ein böser Mensch!
JERTA.
Faß' dich, Hugo! die Entdeckung
Hat, ein Blitzstrahl, dich betäubt.
Was du in der Ohnmacht träumtest –
Wachend wirst du's nicht erfüllen.
HUGO.
Meinst du? ja, in deinem Haupt
Ist entsprungen der Gedanke,
Darum muß er gut seyn, denk' ich.
JERTA.
Gut gemeint zum wenigsten
Ist er, ob die Jungfrau irrte,
Spähend in des Mannes Brust.[149]
HUGO.
Nein! du irrest nicht. Hinaus
Muß ich, wo die Würfel fallen,
Daß mein Schicksal freier schalte
Ueber mir und meiner Schuld.
Sende das zum Herzog; doch
Laß zugleich ihn mündlich wissen,
Daß ich selbst dem Boten folge
Auf dem Fuße. – Wer bestellt es?
JERTA.
In mein Zimmer hab' ich den
Sekretär beschieden.
HUGO.
Wohl!
Ich will selbst ihn sprechen. – Sei
Gleich der Feldherrnstab vergeben;
Ich will mit in die Gefahren,
Wär' es als gemeiner Reiter!
Er geht mit Jerta nach der Thür; in diesem Augenblicke schlägt die zwischen Eilf und Zwölf zeigende Wanduhr zwei Viertel, Hugo blickt nach[150] ihr auf, und tritt auf einmal abgespannt zurück.
Ha!
JERTA.
Was ist dir?
HUGO.
Siehst du nicht?
Noch ist es nicht Mitternacht.
Er geht in den Vorgrund.
Eh' nicht der verfluchte Tag
Ist vorüber, will ich nichts –
Gar nichts wollen, und nichts thun.
Heut regiert mein böser Stern!
JERTA.
Wohin irrst du, Mann?
HUGO ängstlich.
Nein, nein!
Hab' ich's euch denn nicht gesagt?
In dem Thierkreis abgebildet
Ist mein Leben: Stier und Brüder,
Weib und Schütz und Skorpion.
Sieh', ich hab' es ausgerechnet,[151]
Ganz für mich, daß niemand wußte,
Wo die Sonn' und mein Planet
Stand, als ich Don Karl erblickte,
Ihn vom andalusischen
Kampfstier rettete – zuerst
Seines Weibes Reiz mich rührte –
Und – – hier ist kein Ungefähr!
Ich bin bös nicht von Natur,
Wahrlich nicht! allein das Schicksal
Führt auf böse Wege mich,
Wo Gefahr ist. – Thoren sind es,
Welche suchen in den Sternen,
Was geschehn wird. Dahin reicht
Menschenwitz nicht. Doch Vergangnes
Mag man drinnen wiederfinden,
Und sich wahren, stehn sie wieder,
Wie zur bösen Stund' sie standen.
JERTA vor sich.
Furchtbar mächtiges Gewissen!
Den Verstand auch folterst du?
HUGO.
Wär' es nichts, warum denn just[152]
Wären ihrer fünf? die Zahl
Aus Gerad' und Ungerade,
Gut und Böse, die des Menschen
Seele deutet? – Heut wie damals
Steht die Sonne gegen sie.
Laß mir das!
JERTA mit trübem, mitleidigen Lächeln.
Es sei; du wirst
Morgen noch, wie heute, fühlen,
Daß du handeln mußt, nicht schwärmen.
Ich bereite deine Reise.
Ab.
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