Siebenundzwanzigstes Kapitel.

[95] Es ist schon mehr als einmal vorgekommen, daß wir des Krieges Erwähnung gethan, der damals um die Nachfolge in den Staaten des Herzogs Vincenzo Gonzaga, des zweiten dieses Namens, entbrannte; aber es geschah dies immer in Augenblicken großer Eile, so daß wir nie mehr als eine flüchtige Andeutung davon geben konnten. Jetzt jedoch erfordert das Verständniß[95] unserer Erzählung einige ausführlichere Nachrichten. Es sind eigentlich Dinge, die Jeder wissen muß, der die Geschichte kennt; da wir aber in der richtigen Erkenntniß über uns selbst voraussetzen müssen, daß dieses Werk nur von Unwissenden gelesen werden dürfte, so wird es nicht schaden, wenn wir hier so viel davon mittheilen, als hinreicht, um demjenigen, der es nöthig hätte, eine oberflächliche Kenntniß davon zu geben.

Wir haben gesagt, daß nach dem Tode jenes Herzogs der nächste zur Erbfolge Berufene, Carlo Gonzaga, das Haupt eines jüngern nach Frankreich verpflanzten Zweiges, wo er die Herzogthümer Nevers und Rhetel besaß, den Besitz von Mantua angetreten hatte, und wir fügen jetzt hinzu, was eben die Eile in der Feder stecken ließ, auch den von Monferrato. Die spanische Regierung, die unter jeder Bedingung – wir haben dies auch schon gesagt – den neuen Fürsten von diesen beiden Lehen ausschließen wollte, und dazu eines Grundes bedurfte – denn ohne Grund geführte Kriege würden ungerechte sein – hatte sich wegen Mantua für Ferrante, Fürst von Guastalla, einen andern Gonzaga, wegen Monferrato für Karl Emanuel I., Herzog von Savoyen, und Margarethe Gonzaga, verwittwete Herzogin von Lothringen, erklärt. Don Gonzalo, der aus dem Geschlechte des großen Feldherrn stammte, dessen Namen er trug und der schon den Krieg in Flandern geführt hatte, brannte gar sehr darauf, auch in Italien einen Krieg zu führen, und er war vielleicht derjenige, der das Feuer am meisten anschürte, damit dieser unternommen würde. Während er also die Absichten der genannten Regierung sich auslegte und ihren Befehlen zuvorkam, hatte er mit dem Herzoge von Savoyen einen Angriffs- und Theilungsvertrag wegen Monferrato abgeschlossen; die Bestätigung desselben erhielt es bald darauf vom Grafen Herzog auf eine sehr leichte Weise, indem er ihm die Eroberung von Casale, welches der festeste Punkt des dem Könige von Spanien ausbedungenen Antheils war, als eine leichte Sache vorspiegelte. Er betheuerte jedoch im Namen desselben, das Land nur als ein anvertrautes Gut zu besetzen und den Ausspruch des Kaisers abzuwarten, welcher theils durch die Einflüsterungen anderer, theils aus seinen eigenen[96] Beweggründen, die Belehnung dem neuen Herzog verweigert und ihm geboten hatte, die streitigen Lande ihm zur Verwaltung einzuräumen; er würde sie alsdann, nachdem er die Parteien vernommen, demjenigen übergeben, dem sie von Rechtswegen zukämen. Das war es nun eben, worin sich der Nevers nicht hatte fügen wollen.

Auch er hatte Freunde von Gewicht, den Kardinal Richelieu, die Signoria in Venedig und den Papst, Urban VIII., wie wir schon gesagt haben. Der Kardinal aber, damals in die Belagerung von Rochelle und in einen Krieg mit England verwickelt, dabei gehemmt von der Partei der Königin Mutter, Maria von Medici, die aus gewissen Gründen dem Hause Nevers entgegen war, konnte nichts als Hoffnungen machen. Die Venezianer wollten nicht eher aufbrechen und nicht einmal eher sich erklären, als bis ein französisches Heer in Italien eingerückt wäre, und indem sie dem Herzoge unter der Hand, so gut sie konnten, behülflich waren, standen sie mit dem Hofe zu Madrid und mit dem Statthalter von Mailand auf dem Fuße der Erklärungen, Vorschläge, friedfertiger oder drohender Verhandlungen, wie es der Augenblick verlangte. Der Papst empfahl den Nevers seinen Freunden, verwendete sich für ihn bei seinen Gegnern und machte Friedensvorschläge; von kriegerischen Zurüstungen wollte er nichts wissen.

So konnten die beiden zum Angriff Verbündeten um so sicherer die verabredete Unternehmung beginnen. Der Herzog von Savoyen war seinerseits in Monferrato eingerückt; Don Gonzalo hatte mit großem Eifer die Belagerung von Casale betrieben, doch fand er dabei nicht ganz die Befriedigung, die er sich geträumt hatte, denn man geht im Kriege nicht auf Rosen. Die Regierung leistete ihm bei weitem nicht den Beistand, den er verlangte; sie ließ es sogar an den allernöthigsten Hülfsmitteln fehlen; sein Verbündeter half ihm nur allzu viel; nachdem er nämlich seinen Theil in Besitz genommen, schickte er sich an, auf den dem Könige von Spanien angewiesenen Theil loszugehen. Don Gonzalo gerieth darüber außer sich vor Zorn; da er jedoch fürchtete, daß jener Carlo Emanuel, der in Unterhandlungen so[97] eifrig und in Bündnissen ebenso wankelmüthig als tapfer mit den Waffen, sich bei dem geringsten Lärm an Frankreich wenden möchte, so mußte er ein Auge zudrücken und gute Miene zum bösen Spiele machen. Mit der Belagerung sah es auch schlecht aus; sie zog sich in die Länge und ging mitunter rückwärts, theils wegen der sichern, klugen, entschlossenen Haltung der Belagerten, theils weil er wenig Truppen hatte, und weil er, nach der Aussage einiger Schriftsteller, viele unbesonnene Streiche machte, worüber wir die Wahrheit dahin gestellt sein lassen und geneigt sind, wenn die Sache sich wirklich so verhielte, sie für ein großes Glück zu halten, insofern sie die Ursache waren, daß in jenem Unternehmen einige Menschen weniger getödtet, verstümmelt und zu Krüppeln wurden und ceteris paribus auch die Dächer von Casale etwas weniger Schaden erlitten. In diesen Drangsalen erhielt er die Nachricht von der Empörung in Mailand und eilte persönlich dahin.

In dem Berichte, den man ihm hier davon abstattete, war auch der Flucht Renzo's Erwähnung geschehen, die in dem Aufruhr so viel Lärm erregt hatte, und der wahren, oder vielmehr als wahr angenommenen Thatsachen, die seine Verhaftung veranlaßten; man wußte ihm auch zu sagen, daß dieser Mensch in das Gebiet von Bergamo sich geflüchtet habe. Dieser Umstand fesselte Don Gonzalo's Aufmerksamkeit. Von ganz anderer Seite her war er unterrichtet, wie hoch man in Venedig über den Aufstand in Mailand die Nase trug; wie man im Anfange dort geglaubt habe, er werde gezwungen werden, die Belagerung von Casale aufzuheben, und wie man dort noch immer glaubte, er habe deshalb alle Fassung verloren und sei in großer Sorge, um so mehr als gleich nach jenem Ereigniß die von der Signoria ersehnte und von ihm gefürchtete Nachricht von der Uebergabe von Rochelle eintraf. Indem er sich nun als Mensch und Staatsmann sehr gekränkt fühlte, daß jene Herren eine solche Meinung von seinen Handlungen hatten, erspähete er jede Gelegenheit, ihnen ihren Irrthum zu benehmen und sie zu überzeugen, daß seine alte Keckheit durchaus nicht darunter gelitten habe, denn mit den bloßen Worten »ich habe keine Furcht« ist gar nichts gesagt. Ein gutes Mittel war,[98] den Beleidigten zu spielen, sich zu beklagen und Entschädigung zu verlangen. Als daher der Resident von Venedig ihm seine Aufwartung machte und zugleich in seinem Gesichte und in seinem Benehmen erforschen wollte, wie es mit ihm stünde – merkt auf alles, denn dies ist ein Stück von der alten feinen Politik –, sprach Don Gonzalo von der Empörung nur leichthin wie ein Mann, der schon für alles die gehörigen Mittel gefunden, brachte dann das Gespräch auf Renzo, und so erfolgte, was wir schon wissen. Hernach bekümmerte er sich nicht weiter um eine so geringfügige Angelegenheit, die seinerseits abgemacht war, und als er einige Zeit darauf, im Lager bei Casale, wohin er zurückgekehrt war und wo ihm ganz andere Dinge im Sinne lagen, die Antwort erhielt, wandte und drehte er den Kopf wie ein Seidenwurm, der ein Blatt sucht. Er dachte einen Augenblick nach, um sich jenen Vorfall, von welchem kaum noch ein Schatten in seiner Erinnerung war, wieder ins Gedächtniß zurückzurufen; er erinnerte sich der Sache, hatte eine flüchtige verworrene Vorstellung von der Person, ging zu etwas Anderem über und dachte nicht mehr daran.

Renzo aber mußte aus den kleinen Winken, die er erhalten, etwas ganz Anderes als eine so gnädige Sorglosigkeit voraussetzen, und einige Zeit hindurch hatte er keinen andern Gedanken oder vielmehr kein anderes Bestreben, als verborgen zu leben. Man denke sich, wie sehr er verlangte, den Frauen Nachricht zu geben und von ihnen zu hören, aber zwei große Schwierigkeiten traten ihm hier entgegen. Erstlich hätte auch er sich einem Schreiber anvertrauen müssen, denn der arme Junge konnte nicht schreiben und im eigentlichen Sinne des Wortes nicht einmal lesen, und wenn er darüber, wie man sich vielleicht noch erinnert, von dem Doktor Händel-Fischer befragt, mit Ja geantwortet hatte, so war dies nicht etwa eine Prahlerei oder Aufschneiderei, wie man sagt, sondern es war die Wahrheit, daß er Gedrucktes, wenn er sich ein wenig Zeit nahm, lesen konnte; mit Geschriebenem wußte er nicht umzugehen. Er war also gezwungen, einen Dritten in seine Angelegenheit, in ein so gefährliches Geheimniß mit hineinzuziehen, und einen Mann, der die Feder zu führen wußte, auf[99] den man sich verlassen konnte, fand man damals nicht so leicht, noch dazu in einem Lande, wo man gar keine alte Bekanntschaft hatte. Die andere Schwierigkeit war, einen Boten zu finden, einen Mann, der gerade nach jener Gegend ging, der sich mit dem Briefe beschweren und sich wirklich die Mühe geben wollte, ihn zu bestellen; alles Dinge, die man schwer bei einem einzigen Menschen antraf.

Nach vielem Hin- und Hersuchen fand er endlich einen Schreiber. Da er aber nicht wußte, ob die Frauen noch in Monza oder sonst wo wären, so hielt er es für klüger, den Brief an Agnese in einen an den Pater Cristoforo überschriebenen Umschlag zu verschließen. Der Schreiber übernahm es sogleich, das Briefpäckchen zu besorgen; er übergab es Jemand, der nicht weit von Pescarenico vorüber mußte; dieser ließ es mit vielen Empfehlungen unterwegs in einem Wirthshause, das dem Kloster am nächsten lag; da es sich um einen Brief handelte, der an ein Kloster gerichtet war, so gelangte er auch an Ort und Stelle; was aber nachher aus ihm geworden ist, hat man nie erfahren.

Renzo sah keine Antwort erfolgen, ließ einen andern Brief aufsetzen, der ziemlich ebenso wie der erste lautete, und schloß ihn in einen andern an einen Freund oder Verwandten in Lecco. Man suchte einen zweiten Ueberbringer und fand ihn; diesmal gelangte der Brief an seine Bestimmung. Agnese trabte nach Maggianico, ließ ihn sich von jenem Alessio, ihrem Vetter, lesen und erklären, überlegte mit ihm eine Antwort, welche dieser zu Papiere brachte, und sie fand Mittel und Wege die Antwort dem Antonio Rivolta nach seinem gegenwärtigen Aufenthaltsorte zuzuschicken. Dies alles ging indessen nicht so geschwind, als wir es erzählen. Renzo erhielt die Nachricht und ließ sie schriftlich beantworten. Kurz, es begann zwischen beiden Theilen ein Briefwechsel, der zwar nicht schnell und regelmäßig, der aber doch in Absätzen und Zwischenräumen fortgesetzt wurde.

Um jedoch eine Vorstellung von jenem Briefwechsel zu haben, muß man wenigstens wissen, wie es damals mit dergleichen Dingen herging und sogar noch hergeht, denn in diesen Umständen, glaube ich, wird sich wenig oder nichts geändert haben.[100]

Der Landmann, der nicht schreiben kann und doch nothwendig zu schreiben hätte, wendet sich an Einen, der sich auf diese Kunst versteht und den er, wenn es irgend geht, unter Leuten seines Standes auswählt, weil er sich vor andern schämt, oder ihnen nicht recht traut; er unterrichtet ihn mit mehr oder weniger Ordnung und Klarheit von den Vorgängen und setzt ihm in derselben Weise die aufzuschreibenden Gedanken auseinander. Der Gelehrte versteht ihn theils, theils mißversteht er ihn, giebt irgend einen Rath, schlägt irgend eine Veränderung vor, spricht »laßt mich nur machen«, ergreift die Feder, bringt so gut es geht die Gedanken des Andern in eine schriftliche Form, verbessert sie, verstärkt einen Ausdruck, oder läßt ihn auch ganz weg, je nachdem es ihm der Sache angemessen scheint, denn das ist nun einmal so, wer mehr davon versteht, als die Andern, will kein blindes Werkzeug in ihren Händen sein, und sobald er sich auf fremde Angelegenheiten einläßt, will er sie auch auf seine Weise handhaben. Bei alle dem gelingt es diesem Gelehrten nicht immer alles so zu sagen, wie er möchte; zuweilen geschieht es, daß er etwas ganz Anderes sagt, was auch bei uns vorkommt, die wir für den Druck schreiben. Wenn nun der so abgefaßte Brief in die Hände dessen gelangt, für den er bestimmt ist, und der auch nicht recht mit dem A-B-C Bescheid weiß, so trägt dieser ihn zu einem andern Sachverständigen desselben Schlages, der ihm denselben vorliest und erklärt. Es entstehen Zweifel über die Art, wie er zu verstehen sei, denn der Betheiligte stützt sich auf seine Kenntnisse der vorhergehenden Thatsachen und behauptet mit gewissen Worten sei das und das gemeint; der Leser beruft sich auf seine Praxis in diesen Dingen und behauptet, daß etwas Anderes damit gemeint sei. Endlich muß der Unwissende sich in die Hände des Wissenden geben und ihm die Besorgung der Antwort überlassen, welche, ganz in derselben Weise wie die vorliegende abgefaßt, dann wieder einer ähnlichen Auslegung unterworfen wird. Wenn dann der Gegenstand des Briefwechsels auch noch ein wenig kitzlich ist, wenn Heimlichkeiten darin vorkommen, die man, falls der Brief verloren ginge, einem Dritten nicht preisgeben möchte, und wenn man aus dieser Rücksicht sogar mit der bestimmten Absicht zu[101] Werke geht, die Sache nicht ganz klar anzugeben, alsdann endigen die beiden Parteien damit, wie kurz auch der Briefwechsel dauere, sich unter einander zu verstehen, wie ehemals zwei Scholastiker, die Stunden lang über die Entelechie eiferten, um nicht ein Beispiel aus der Gegenwart zu nehmen, wobei es einige Kopfnüsse gesetzt hätte.

Mit unsern beiden Briefwechslern verhielt es sich gerade so, wie wir gesagt haben. Der erste in Renzo's Namen geschriebene Brief enthielt vielerlei; zuerst außer einer Schilderung der Flucht, die zwar kürzer, aber auch viel verworrener war, als die wir gelesen haben, einen Bericht von seinen gegenwärtigen Umständen, woraus Agnese sowohl als ihr Dolmetscher weit entfernt waren, einen klaren richtigen Schluß zu ziehen, heimliche Warnung, Namensveränderung, man sei in Sicherheit, müsse aber verborgen bleiben; Dinge, mit denen schon an und für sich ihr Verstand nicht sehr vertraut war und die im Briefe noch dazu ein wenig geheimnißvoll erwähnt wurden. Alsdann enthielt er bekümmerte, leidenschaftliche Fragen über Lucia's Schicksal, nebst dunklen, schmerzlichen Andeutungen der Gerüchte, die bis zu Renzo hin gedrungen waren. Schließlich war noch darin die Rede von ungewissen Hoffnungen, von gefaßten Plänen für die Zukunft und in sofern Versprechungen und Bitten, die angelobte Treue zu halten, weder die Geduld noch den Muth zu verlieren und bessere Zeiten abzuwarten.

Bald darauf fand Agnese eine sichere Gelegenheit, in Renzo's Hände eine Antwort nebst den fünfzig ihm von Lucia bestimmten Scudi gelangen zu lassen. Bei dem Anblick so vielen Goldes wußte Renzo nicht, was er denken sollte; und in seiner Seele von Verwunderung und Ungewißheit bewegt, die keiner Freude Raum gaben, suchte er so schnell er konnte seinen Schreiber auf, um sich den Brief auslegen zu lassen und den Schlüssel zu einem so seltsamen Geheimniß zu bekommen.

In dem Briefe schilderte Agnesens Schreiber nach einigen Klagen über die Unklarheit ihrer Zuschrift mit wenigstens eben solcher Unklarheit die entsetzliche Geschichte jener Person – so nannte er sie –, gab Auskunft über die fünfzig Scudi, kam dann[102] auf das Gelübde zu sprechen, ging jedoch dabei mit Umschreibungen zu Werke und fügte in einfachen, deutlichen Worten nur den Rath hinzu, Renzo möchte sich zufrieden geben und nicht mehr daran denken.

Es fehlte wenig, so wäre Renzo über seinen verdolmetschenden Leser hergefallen; er zitterte, entsetzte sich und gerieth über das, was er verstanden, wie über das, was er nicht verstanden hatte, in Wuth. Drei-oder viermal ließ er sich das schreckliche Schreiben von Neuem lesen; dadurch meinte er manches besser zu verstehen, manches wieder, was ihm anfangs klar geschienen, verwirrte ihn nun erst völlig. In diesem Fieber der Leidenschaft verlangte er, der Schreiber sollte augenblicklich die Feder in die Hand nehmen und antworten. Nach den heftigsten Ausdrücken des Mitleids und des Schreckens über Lucia's Schicksal, die man sich denken kann, fuhr er fort, ihm zu dictiren, »schreibt, daß ich mich nicht zufrieden geben will und nimmer geben werde, daß das kein Rath ist, den man einem Menschen wie ich bin gibt, und daß ich das Geld nicht anrühren werde, daß ich es hinlege und es zur Aussteuer des Mädchens verwahre; daß das Mädchen mein werden muß und daß ich von keinem Gelübde was weiß; daß ich wohl immer habe sagen hören, die Madonna lasse sich herbei, um Bedrängten beizustehen und Dankgebete dafür zu erhalten, aber nimmermehr um Unheil zu stiften und wortbrüchig zu machen, und daß es dabei nicht bleiben kann; daß wir mit diesem Gelde genug haben, um uns hier einzurichten, und wenn ich jetzt ein wenig in der Klemme stecke, so ist das eine Gefahr, die bald vorübergeht«, und dergleichen mehr.

Agnese erhielt diesen Brief und ließ wieder schreiben; und so wurde der Briefwechsel auf die Art, wie wir schon mitgetheilt haben, fortgeführt.

Als Lucia durch die Mutter auf irgend eine Weise erfahren, daß Renzo am Leben und in Sicherheit sei, auch Nachricht erhalten habe, fühlte sie eine große Erleichterung und wünschte nur, er möchte sie vergessen, oder, um ganz aufrichtig zu sprechen, er möchte sich bemühen sie zu vergessen. Ihrerseits faßte sie wohl hundertmal[103] im Tage einen ähnlichen Entschluß in Bezug auf ihn und wandte auch jedes Mittel an, um ihn zur Ausführung zu bringen. Sie war unermüdlich bei ihrer Arbeit und suchte sich nur mit ihr zu beschäftigen; trat Renzo's Bild ihr vor die Seele, so sagte oder sang sie für sich Gebete her. Aber dieses Bild trat meistentheils, gleichsam wie zum Trotze, nicht so offen hervor; es schlich sich verstohlen mit andern ein, so daß die Seele es erst gewahr wurde, nachdem es schon einige Zeit darin verweilte. Lucia's Gedanken waren oft bei der Mutter, wie hätten sie es nicht sein sollen? und Renzo trat dann in ihrer Einbildung ganz unvermuthet als der Dritte hinzu, wie er es so oft in Wirklichkeit gethan. So drängte er sich mit allen Personen, an allen Orten, bei allen Erinnerungen aus der Vergangenheit mit ein; und wenn die Aermste zuweilen über die Zukunft nachsann, so erschien er auch hier, wenn auch nur um zu sagen: Ich werde nicht darin fehlen. Obgleich es ein verzweifelter Entschluß war, nicht an ihn zu denken, wenigstens nicht so ausschließlich an ihn zu denken, als es das Herz wünschen mochte, so gelang es Lucia doch bis auf einen gewissen Grad, und es würde ihr noch besser gelungen sein, wenn sie es allein gewünscht hätte. Aber da war noch Donna Prassede, die, ihrerseits ganz erpicht darauf, ihr den Menschen aus dem Herzen zu reißen, kein besseres Mittel dazu gefunden hatte, als recht oft von ihm zu sprechen. »Nun«, sagte sie zu ihr, »denken wir nicht mehr an ihn?«

»Ich denke an Niemand«, antwortete Lucia.

Donna Prassede begnügte sich mit einer solchen Antwort nicht; sie verlangte Thaten, aber nicht Worte; dabei ließ sie sich über die Art der jungen Mädchen aus, »die alle«, sagte sie, »sobald sie ihr Herz einmal an einen lüderlichen Menschen hängen – wozu sie sehr hinneigen – gar nicht wieder von ihm lassen wollen; zerschlägt sich aber durch irgend einen Zufall eine anständige, vernünftige Partie mit einem braven, ordentlichen Manne, so ergeben sie sich gleich darein, so ein Galgenstrick aber schlägt ihnen eine unheilbare Wunde«. Und nun fing sie die Lobrede des armen Abwesenden an, des Schurken, der nach Mailand gekommen, um zu plündern und zu morden, und wollte Lucien zum[104] Geständniß der Schurkereien bringen, die er auch in seinem Dorfe verübt habe.

Mit vor Schmerz und Scham bebender Stimme und mit jenem Unwillen bei ihrer untergeordneten Stellung, der in ihrer sanften Seele sich regen durfte, versicherte und betheuerte Lucia, daß man in ihrem Dorfe dem Aermsten niemals etwas Anderes als Gutes nachgesagt habe; sie wünschte nur, sagte sie, es wäre irgend Einer von dort zugegen, damit er Zeugniß ablegen könnte. Auch wegen der Vorfälle in Mailand, von denen sie nicht genau unterrichtet war, vertheidigte sie ihn mit der Kenntniß, die sie von ihm und seiner Aufführung von Kindheit auf hatte. Sie vertheidigte ihn aus reiner Christenpflicht, aus Liebe zur Wahrheit und um das richtige Wort zu sagen, mit welchem sie sich selbst ihr Gefühl erklärte, als ihren Nächsten. Aus diesen Vertheidigungsreden aber zog Donna Prassede neue Beweisgründe, um Lucia zu überführen, daß ihr Herz noch immer an dem Menschen hinge. Und ich wüßte wahrhaftig nicht recht zu sagen, wie es sich in solchen Augenblicken mit der Sache verhielt. Die unwürdige Schilderung, welche die Alte von dem armen Jungen entwarf, brachte in der Seele des jungen Mädchens gerade die entgegengesetzte Wirkung hervor und erweckte die Vorstellung, die sich darin nach einem so langen Umgang gebildet hatte, nur um so bestimmter und lebhafter; die mit Gewalt unterdrückten Erinnerungen tauchten in Menge wieder auf; der Widerwille und die Verachtung riefen so viele alte Beweggründe zur Achtung und zum Mitgefühl auf; der blinde, ungestüme Haß ließ das Mitleid stärker hervortreten, und wer kann bei diesen Empfindungen wissen, wie sehr sich jene andere Leidenschaft hineinmischte, oder nicht hineinmischte, die sich nach ihnen so leicht in die Gemüther einschleicht; stellen wir uns vor, was dieselbe in den Gemüthern bewirkt, wo man sie mit Gewalt auszutreiben beabsichtigt. Wie dem aber auch sei, solch ein Gespräch wäre von Lucia's Seite nie sehr in die Länge gezogen worden, denn es dauerte nicht lange, so lösten sich ihre Worte in Thränen auf.

Wäre Donna Prassede durch einen eingewurzelten Haß angestachelt worden, mit Lucia in jener Weise zu verfahren, so hätten[105] ihre Thränen sie vielleicht gerührt und zum Schweigen gebracht; da sie aber für einen guten Zweck eiferte, so ging sie muthig vorwärts, ohne sich rühren zu lassen, wie Aechzen und flehendes Geschrei wohl die Waffen eines Feindes, aber nicht das Messer eines Wundarztes aufhalten können. Als sie jedoch für dieses Mal ihre Pflicht gethan, ging sie von Vorwürfen und Verweisen zu Ermahnungen und Rathschlägen über, die sie mit einigen Lobeserhebungen versüßte, um so das Bittere zu mildern und ihre Absicht desto besser zu erreichen, indem sie in jeder Weise auf das Gemüth einwirkte. So viel ist sicher, daß von diesen Wortgefechten, die immer auf die nämliche Weise begannen, fortgeführt wurden und endigten, in der guten Lucia eigentlich kein Groll gegen die scharfe Sittenpredigerin zurückblieb; denn diese gab dabei doch immer eine gute Absicht zu er kennen und behandelte sie im Uebrigen mit großer Leutseligkeit. Es blieb aber doch eine Bewegung der Gedanken, ein solcher Sturm der Gefühle in ihr zurück, daß es vieler Zeit und großer Mühe bedurfte, um wieder zu der früheren Ruhe zu gelangen.

Ein Glück für Lucia, daß sie nicht die Einzige war, welcher Donna Prassede Gutes zu thun hatte, die Wortgefechte konnten daher nicht so häufig vorkommen. Außer der übrigen Familie, lauter Köpfe, die mehr oder wenig sehr der Anleitung und Zurechtsetzung bedurften; außer allen andern Gelegenheiten, die sich ihr darboten, oder von ihr aufgesucht wurden, um Vielen, denen sie nicht verpflichtet war, denselben Dienst aus gutem Herzen zu erweisen, hatte sie auch fünf Töchter, von denen zwar keine im Hause war, die ihr aber mehr Sorge machten, als wenn sie sie um sich gehabt hätte. Drei waren Nonnen, zwei verheirathet; Donna Prassede fand sich dadurch veranlaßt, drei Klöster und zwei Haushaltungen zu beaufsichtigen, ein nur zu großes, verwickeltes Unternehmen, das um so schwieriger war, da die beiden Ehemänner, von Vätern, Müttern und Brüdern unterstützt, und die drei Aebtissinnen, denen andere Hoheiten und viele Nonnen zur Seite standen, sich ihre Oberaufsicht nicht gefallen lassen wollten. Es war ein Krieg, oder vielmehr es waren fünf bis auf einen gewissen Punkt verheimlichte, rücksichtsvolle, aber eifrige Kriege ohne Waffenstillstand;[106] es herrschte an einem jeden dieser Orte eine beständige Aufmerksamkeit, ihrer eifrigen Fürsorge auszuweichen, ihren Rathschlägen den Zugang zu verschließen, ihren Nachfragen sich geschickt zu entziehen und sie bei allen Angelegenheiten so viel als möglich im Finstern tappen zu lassen. Wo ihr Eifer aber frei schalten und walten konnte, das war in ihrem Hause. Hier war alles ihrer Macht unterworfen, bis auf Don Ferrante, mit welchem es in der That ein eigenthümliches Ding war.

Als ein Gelehrter liebte er weder zu befehlen noch zu gehorchen. Daß in allen häuslichen Angelegenheiten seine Frau Gemahlin die Gebieterin war, ließ er sich gern gefallen; ihn sollte sie aber nicht zum Sklaven machen. Und wenn er gebeten ihr gelegentlich mit seiner Feder diente, so geschah es, weil hierin seine größte Stärke bestand; übrigens verstand er auch hier Nein zu sagen, sobald er von dem nicht überzeugt war, was sie ihn wollte schreiben lassen. »Strengen Sie Ihren Kopf an«, sagte er in solchen Fällen, »machen Sie es selbst, da die Sache Ihnen so klar scheint.« Nachdem Donna Prassede dann eine Zeit lang vergebens versucht hatte, ihn auf ihre Seite zu bringen, fing sie an gegen ihn zu murren, nannte ihn einen Sklaven der Arbeit, einen eigensinnigen Menschen, einen Gelehrten, ein Titel, in welchem sich bei allem Verdruß doch zugleich auch ein wenig Wohlgefallen mit einmischte.

Don Ferrante brachte viele Stunden in seinem Studirzimmer zu, wo er eine beträchtliche Büchersammlung hatte, nahe an dreihundert Bände; lauter ausgewählte Sachen, alles Werke, die zu den namhaftesten in verschiedenen Fächern des Wissens gehörten, in denen er mehr oder weniger bewandert war. In der Astrologie ward er für mehr als einen bloßen Dilettanten gehalten und mit Recht, denn er hatte sich davon nicht nur die allgemeinsten Begriffe und den gewöhnlichen Wortkram von Einflüssen, von Aspecten, von Conjunctionen angeeignet, sondern wußte auch bei Gelegenheit, wie vom Katheder, von den zwölf Himmelshäusern, von den Positionskreisen, von den hellen und dunkeln Graden, von Aufsteigung und Abweichung, von Durchgängen und Umläufen, kurz von den bestimmtesten und verborgensten Gründen[107] der Wissenschaft zu sprechen. Und es waren vielleicht schon zwanzig Jahre her, daß er in häufigen und langen Wortkämpfen die Abtheilung des Himmels des Cardano gegen einen andern Gelehrten verfocht, der wüthend der des Alcabizio anhing, aus bloßer Halsstarrigkeit, wie Don Ferrante sagte, der gern die Ueberlegenheit der Alten anerkannte, es jedoch nicht leiden konnte, wenn man den Neuern gar nichts lassen wollte, auch wo sie offenbar Recht haben. Er kannte auch mehr als oberflächlich die Geschichte der Wissenschaft; er wußte auf das Genauste die bekanntesten eingetroffenen Wahrsagungen anzuführen, und auf eine sinnreiche und gelehrte Weise andere bekannte nicht eingetroffene Wahrsagungen zu beurtheilen, um zu beweisen, daß nicht die Wissenschaft Schuld sei, sondern der, welcher sie nicht anzuwenden gewußt habe.

Von der alten Philosophie hatte er so viel gelernt, als hinreichen konnte, und er lernte fortwährend noch mehr im Lesen des Diogenes Laërtius. Da man nun aber jene Systeme, so schön sie auch sind, nicht alle annehmen kann, und da man, um Philosoph zu sein, sich einen Autor wählen muß, so hatte Don Ferrante den Aristoteles gewählt, der, wie er sagte, weder ein alter noch ein neuer ist; er ist Philosoph. Er besaß auch mehrere Werke der kundigsten und scharfsinnigsten Anhänger von ihm unter den neuern; die seiner Gegner hatte er niemals weder lesen noch kaufen wollen, um nicht Zeit und Geld zu vergeuden, sagte er. Nur ausnahmsweise gönnte er in seiner Bibliothek den berühmten zwei und zwanzig Büchern De Subtilitate und noch einem und dem andern antiperipatetischen Werke des Cardano einen Platz, wegen seiner Verdienste in der Astrologie; denn er sagte, wer die Abhandlung De Restitutione temporum et motuum coelestium und das Buch Duodecim geniturarum habe schreiben können, der verdiene gehört zu wer den, auch wenn er fasele; der große Fehler dieses Mannes sei nur gewesen, daß er zu viel Verstand gehabt, und Niemand könne sich vorstellen, wie weit er es in der Philosophie gebracht hätte, wenn er immer auf dem rechten Wege gewesen wäre. Obgleich übrigens in der Meinung der Gelehrten Don Ferrante für einen vollkommenen Peripatetiker galt, so meinte er[108] dessen ungeachtet nicht genug davon zu wissen, und mehr als einmal sagte er mit großer Bescheidenheit, daß das Wesen, das Allgemeine, die Seele der Welt und die Natur der Dinge nicht so sehr klare Dinge wären, als man glauben könnte.

Die Naturphilosophie hatte ihm mehr zum Zeitvertreib als zum Studium gedient; selbst die Werke des Aristoteles über diesen Gegenstand und die des Plinius hatte er viel mehr gelesen als studirt. Nichtsdestoweniger verstand er mit dieser Belesenheit, mit diesen beiläufig aus philosophischen Abhandlungen gesammelten Kenntnissen, mit einer flüchtigen Uebersicht der Magia naturale des Porta, der drei Geschichten lapidum, animalium, plantarum des Cardano, der Abhandlung von Gräsern, Pflanzen, Thieren des Albertus Magnus, einiger andern Werke von geringerer Bedeutung, bei Gelegenheit ein Gespräch zu unterhalten, indem er von den wunderbarsten Kräften und seltsamsten Eigenheiten vieler Heilmittel sprach; indem er die Bildung und das Wesen der Sirenen und des einzigen Phönix beschrieb; indem er erklärte, wie der Salamander im Feuer sich aufhalte ohne zu verbrennen; wie der Fisch, das kleine Fischchen die Kraft und die Geschicklichkeit besitze, jedes noch so große Schiff plötzlich auf offener See festzuhalten; wie die Thautropfen im Schooße der Muscheln zu Perlen werden; wie das Chamäleon von der Luft lebe; wie aus dem allmählig verhärteten Eise im Verlaufe von Jahrhunderten das Krystall sich bilde; und andere der wunderbarsten Geheimnisse der Natur.

In die der Magie und schwarzen Kunst war er noch mehr eingedrungen, weil es sich hier, sagt unser Anonymus, um eine noch weit beliebtere und nothwendigere Wissenschaft handelte, deren Ergebnisse von der höchsten Wichtigkeit sind, und die man mehr in der Hand hat, um sie untersuchen zu können. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß er bei einem solchen Studium es niemals auf etwas Anderes abgesehen hatte, als sich zu unterrichten, und die allerschlimmsten Künste der Hexenmeister gründlich kennen zu lernen, um sich dagegen schützen und vertheidigen zu können; und vorzüglich unter der Anleitung des großen Martino Delrio – der Mann der Wissenschaft – war er im Stande, ex professo[109] von Liebe-, Schlaf- und Haß-einflößenden Zaubereien und von den unzähligen Arten abzuhandeln, die man nur allzu sehr, sagt der Anonymus wieder, in diesen drei Hauptgattungen von Verhexungen mit so traurigen Erfolgen täglich ausüben sieht. Ebenso umfassend und gründlich waren die Kenntnisse Don Ferrante's in der Geschichte, besonders der allgemeinen, in der Tarcagnota, Dolce, Bugatti, Campana, Guazzo, kurz die vorzüglichsten seine Schriftsteller waren.

Aber was ist wohl die Geschichte, sagte Don Ferrante oft, ohne die Politik? Eine Führerin, die immer zugeht, der Niemand folgt, dem sie den Weg weise, und deren Schritte folglich vergebens sind; wie die Politik ohne die Geschichte wie Einer ist, der ohne Wegweiser wandert. Es war also in seinem Büchergestelle ein Brett den Statistikern angewiesen, wo, unter vielen von kleinerm Formate und von mittelmäßigem Rufe, Bodino, Cavalcanti, Sansovino, Paruta, Boccalini hervorstachen. Zwei Bücher in diesem Fache jedoch waren es, die Don Ferrante eine lange Zeit allen vorzog; zwei, die er bis zu einem gewissen Zeitpunkte die ersten zu nennen pflegte, ohne sich jemals entscheiden zu können, welchem von beiden ausschließlich der Rang zukäme; das eine il Principe und i Discorsi des berühmten florentiner Staatssecretairs; ein Schelm ja, sagte Don Ferrante, aber tief; das andere la Ragion di Stato des nicht weniger berühmten Giovanni Botero; ein Biedermann, ja, sagte er, aber scharf. Kurz vor der Zeit, in der unsere Geschichte beschrieben ist, war indessen das Buch herausgekommen, das die Frage über den Vorzug entschied, indem es auch die Werke jener beiden Matadore übertraf, sagte Don Ferrante; das Buch, in dem, gleichfalls wie ausgesucht, alle Bosheiten enthalten sind, um sie erkennen zu können, und alle Tugenden, um sie ausüben zu können, ein kleines, aber goldenes Buch, mit einem Worte lo Statista Regnante des Don Valeriano Castiglione, dieses hochberühmten Mannes, von dem man sagen kann, daß die größten Gelehrten wetteiferten, ihn zu preisen und um den die höchsten Personen sich rissen; des Mannes, den der Papst Urban VIII. durch die größten Lobeserhebungen ehrte; den der Kardinal Borghese und der Vicekönig von[110] Neapel, Don Piedro di Toledo, dringend aber vergebens ersuchten, der erste die Thaten des Papstes Paul V., der andere die Kriege des katholischen Königs in Italien zu beschreiben; des Mannes, den König Ludwig XIII. von Frankreich, auf Anrathen des Kardinals Richelieu, zu seinem Historiographen ernannte; dem der Herzog Karl Emanuel von Savoyen dasselbe Amt ertheilte; zu dessen Ruhm, anderer ruhmvoller Beweise nicht zu gedenken, die Herzogin Christine, Tochter des allerchristlichsten Königs Heinrich IV., in einem Diplom, unter vielen andern Vorzügen, »die Berechtigung des Ruhmes, den er als der erste Geschichtschreiber unserer Zeiten in Italien erlangt«, mit anführen konnte.

Wenn nun aber in allen den genannten Wissenschaften Don Ferrante sich bewandert nennen konnte, so gab es eine, in der er den Ruf eines Professors verdiente und genoß, die Wissenschaft von der Ritterlichkeit. Er sprach über dieselbe nicht nur wie ein ächter Kenner, sondern gab auch, oftmals aufgefordert Ehrensachen zu vermitteln, immer irgend eine Entscheidung ab. Er hatte in seiner Bibliothek, und man kann sagen in seinem Kopfe, die Werke der bekanntesten Schriftsteller über diesen Gegenstand: Paris del Pozzo, Fausta da Longiano, den Urrea, den Muzio, den Romei, den Albergato, den ersten und den zweiten Forno des Torquato Tasso, von dem er auch alle die Stellen des Befreiten und des Eroberten Jerusalems, die in Sachen des Ritterstandes als Regel angenommen werden können, in Bereitschaft hatte und im Nothfalle auswendig herzusagen wußte. Der Autor der Autoren jedoch war nach seiner Meinung unser berühmter Francesco Birago, mit dem er auch mehr als einmal zusammen kam, um über Ehrensachen zu urtheilen, und der seinerseits von Don Ferrante in Ausdrücken besonderer Achtung sprach. Und von da ab, als die Discorsi Cavallereschi dieses ausgezeichneten Schriftstellers erschienen, prophezeite Don Ferrante ohne Bedenken, daß dieses Werk das Ansehen des Olevano zu Grunde gerichtet hätte und nebst den andern edlen Geschwistern wie ein Gesetzbuch von höchster Gültigkeit den Nachkommen geblieben wäre; eine Prophezeiung, sagt der Anonymus, die sich so bestätigt hat, wie Jedermann erkennen kann.[111]

Von hier geht er dann zu den schönen Wissenschaften über; wir fangen aber an zu zweifeln, ob der Leser wirklich große Lust hätte, ihn in dieser Musterung noch weiter zu begleiten, fürchten sogar uns schon den Titel eines gemeinen Abschreibers zugezogen zu haben und den eines langweiligen Schwätzers mit dem Anonymus zu theilen, weil wir ihm bis hierher so gutmüthig in einer Sache gefolgt sind, die der eigentlichen Erzählung nichts angeht, und die er wahrscheinlich nur so ausgedehnt hat, um Gelehrsamkeit auszukramen und zu zeigen, daß er nicht hinter seiner Zeit zurückgewesen sei. Lassen wir geschrieben sein, was geschrieben ist; um jedoch unsere Mühe nicht zu verlieren, lassen wir das Uebrige aus, um unsere Erzählung weiter zu verfolgen, um so mehr, als wir darin eine gute Strecke werden zu durchlaufen haben, ohne einem unserer Helden zu begegnen, und eine noch größere, ehe wir diejenigen wieder finden, für deren Erlebnisse der Leser sich gewiß mehr interessirt, wenn er sich überhaupt für etwas von alledem interessirt.

Bis zum Herbste des folgenden Jahres 1729 blieben Alle, der Eine freiwillig, der Andere gezwungen, in derselben Lage, in welcher wir sie verlassen haben, ohne daß ihnen etwas begegnete, was der Erwähnung werth gewesen wäre. Es kam der Herbst, in welchem Agnese und Lucia darauf gerechnet hatten, wieder zusammen zu kommen, aber ein großes, öffentliches Ereigniß machte diese Hoffnung zu Wasser, und dies war sicherlich eine seiner geringsten Wirkungen. Darauf folgten andere wichtige Begebenheiten, die jedoch in dem Schicksal unserer Helden keine bemerkenswerthe Veränderung hervorbrachten. Endlich gelangten neue, allgemeinere, stärkere, außerordentlichere Vorfälle auch bis zu ihnen, nach der natürlichen Ordnung der Dinge, bis zu den letzten unter ihnen; wie ein heftig stürmender Wirbelwind, der tobend Bäume entwurzelt, Dächer zerstört, Thurmspitzen herabstürzt und die Trümmer hier- und dorthin schleudert, auch die im Grase versteckten Hälmchen ausreißt, in den Winkeln die welken, losen Blätter, die ein kleiner Windstoß dorthin getrieben, aufsucht und sie in seiner Wuth als Beute mit fortträgt.

Damit nun die besondern Thatsachen, welche uns zu erzählen[112] bleiben, zur Klarheit gelangen, müssen wir durchaus eine Erzählung der öffentlichen Ereignisse vorausschicken, und deshalb ein wenig zurückgehen.

Quelle:
Manzoni, [Alessandro]: Die Verlobten. 2 Bände, Leipzig, Wien [o. J.], Band 2, S. 95-113.
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