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[177] Es giebt Augenblicke, wo das Gemüth, besonders in der Jugend, so gestimmt ist, daß schon ein klein wenig Bitten und Zureden hinreicht, alles von ihm zu erlangen, wenn es auch nur einen Schein des Rechten und Guten für sich hat; wo das Gemüth so weich und nachgiebig ist, wie eine kaum aufgebrochene Blume, die auf ihrem schwachen Stiele hin und herschwankt und ihren[177] lieblichen Duft willig in die sie umgebende Luft aushaucht. Diese Augenblicke, die mit ehrfurchtsvoller Scheu bewundert werden sollten, sind gerade diejenigen, auf welche die Bosheit sorgfältig lauert und sie schnell ergreift, um diese Schwäche zu benutzen.
Als der Fürst Gertrudens Brief gelesen hatte, erkannte er sogleich, daß er jetzt leichtes Spiel haben würde, um seinen Zweck zu erreichen. Er ließ sie zu sich rufen, und während er sie erwartete, beschloß er das Eisen zu schmieden, so lange es glühend sei. Gertrud erschien mit niedergeschlagenen Augen, sank ihrem Vater zu Füßen und »Verzeihung« war Alles, was sie hervorzubringen vermochte.
Der Fürst gebot ihr aufzustehen, und mit einer Stimme, die wenig geeignet war, zu ermuthigen, erklärte er ihr, daß es nicht genügend sei, um Verzeihung zu bitten, damit wäre natürlich Jeder gleich bei der Hand, der sich schuldig fühlt und die Strafe fürchtet; kurz, man müsse die Verzeihung auch zu verdienen suchen. Gertrud fragte unterwürfig und zitternd, was sie zu thun habe. Der Fürst (das Herz sträubt sich, ihm in diesem Augenblick den Namen Vater zu geben) ging über diese Frage hin und fing an eine lange Rede über Gertrudens Vergehen zu halten, bei der jedes Wort in der Seele der Aermsten einen Schmerz erzeugte, als ob eine rauhe Hand über eine brennende Wunde hinstreiche. Selbst wenn er wirklich die Absicht gehabt hätte ... fuhr er fort ... ihr eine Stellung in der Welt zu schaffen, so habe sie seiner Absicht jetzt selbst ein unübersteigliches Hinderniß in den Weg gestellt; denn ein Edelmann, der auf Ehre halte, wie er, könnte nimmermehr das Herz haben, einem rechtschaffenen Manne die Hand eines Mädchens anzutragen, das solch eine Probe ihrer Sittsamkeit gegeben. Die unglückliche Zuhörerin war wie vernichtet. Die Stimme und die Worte des Fürsten wurden nun nach und nach milder und er fuhr fort, daß es für jedes Vergehen ein Mittel gäbe, dasselbe wieder gut zu machen, und das Mittel, durch welches sie ihre Schuld sühnen könnte, müßte ihr doch jetzt klar geworden sein, indem sie durch dieses traurige Ereigniß erkannt haben müßte, daß das Leben in der Welt zu gefahrvoll für sie sei ...[178]
»Ach ja, mein Vater«, rief Gertrud, von Reue und Scham überwältigt, aus.
»Du siehst es also selbst ein«, nahm der Fürst gleich wieder das Wort. »Nun gut, so soll von dem Vergangenen nicht mehr die Rede sein. Alles ist vergessen. Du hast den einzigen, ehrenvollen und schicklichen Entschluß gefaßt, der dir noch übrig blieb; und da du ihn aus freiem Willen und aus Ueberzeugung gefaßt hast, so ist es auch meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß er dir heilbringend werde. Ich nehme die Sorge dafür auf mich.« Mit diesen Worten ergriff er eine Klingel, die auf dem Tische stand, schellte und sagte zu dem hereintretenden Diener: »Die Fürstin und der junge Fürst! schnell. Sie sollen sogleich an meiner Freude Theil nehmen«, fuhr er darauf zu Gertrud gewendet fort, »ich will, daß Alle sogleich anfangen, dich nach Gebühr zu behandeln. Du hast die väterliche Strenge erfahren; nun sollst du auch den zärtlichen Vater kennen lernen.«
Gertrud stand bei diesen Worten wie betäubt da. Jetzt erst dachte sie darüber nach, ob das Ja, welches sie sich hatte entschlüpfen lassen, wirklich so bedeutungsvoll sei? Jetzt erst sann sie nach, ob sie es nicht auf die eine oder die andere Weise wieder zurücknehmen könnte? Umsonst. Der Fürst war so fest von ihrem Entschluß überzeugt, seine Freude darüber war so lebhaft, seine Ueberredung so fein und seine Güte hatte etwas so Zwingendes, daß Gertrud auch nicht den leisesten Einwand zu machen wagte.
Nach einigen Minuten erschienen die beiden Gerufenen, und als sie Gertrud erblickten, sahen Beide sie mit Erstaunen und Verwunderung an. Doch des Fürsten liebevolles Benehmen gegen die Tochter befahl ihnen, sich darnach zu richten. »Hier ist das verirrte Schaf«, sagte er heiter und zufrieden, »und nun kein Wort mehr, das eine traurige Erinnerung zurückriefe. Gertrud ist jetzt die Freude und der Trost der Familie; sie bedarf des Rathes nicht mehr. Was wir zu ihrem Wohle wünschten, das will sie jetzt selbst, aus Ueberzeugung, aus freiem Willen .... sie ist entschlossen ... sie hat mir erklärt, daß sie entschlossen ist ...« Bei diesen Worten sah Gertrud den Vater mit einem halb erschrockenen, halb flehenden Blick an, als wollte sie ihn bitten,[179] seine Rede nicht zu vollenden; dieser aber fuhr, ohne darauf zu achten, fort, »daß sie entschlossen ist, den Schleier zu nehmen.«
»Vortrefflich! herrlich!« riefen Mutter und Bruder zugleich und Beide umarmten Gertrud, die sich diese Beweise der Zärtlichkeit und freundlichen Theilnahme unter Thränen gefallen ließ, die natürlich für Thränen der Freude ausgelegt wurden. Nun ließ sich der Fürst weitläufig darüber aus, was er Alles thun werde, um den neuen Stand der Tochter so angenehm und glänzend als möglich zu machen. Er sprach von den Auszeichnungen, die sie im Kloster und in der ganzen Gegend genießen sollte; wie eine Fürstin, als die Vertreterin der Familie, würde sie daselbst leben, und sobald ihr Alter es nur gestatte, sollte sie zur ersten Würde erhoben werden. Die Fürstin und der junge Fürst wiederholten einmal über das andere ihre Glückwünsche und ihren Beifall. Gertrud glaubte zu träumen.
»Wir müssen nun auch den Tag festsetzen, um nach Monza zu gehen und der Aebtissin unser Gesuch vorzutragen«, sagte der Fürst. »Wie wird sie sich freuen! Ich kann euch versichern, das ganze Kloster wird die Ehre zu schätzen wissen, die Gertrud ihm erzeigt.«
»Warum gehen wir nicht lieber heute schon hin? Gertrud würde gewiß gern ein wenig Luft schöpfen.«
»So laßt uns gehen«, sagte die Fürstin.
»Ich werde sogleich die nöthigen Befehle geben«, sprach der junge Fürst.
»Aber ...«, fiel Gertrud halblaut schüchtern ein.
»Still, still!« nahm der Fürst das Wort, »lassen wir sie entscheiden. Vielleicht fühlt sie sich heute nicht gestimmt dazu, und möchte lieber bis morgen warten. Sprich, Gertrud, willst du, daß wir heute noch oder morgen hingehen?«
»Morgen«, versetzte Gertrud mit schwacher Stimme, die nur daran dachte, Zeit zu gewinnen.
»Also morgen«, sagte der Fürst feierlich; »sie hat erklärt, daß sie morgen geht. Inzwischen will ich den Vicar der Nonnen bitten, daß er mir den Tag für die Prüfung festsetzt.« Gesagt, gethan. Der Fürst ging wirklich (was keine kleine Herablassung[180] war) zu dem genannten Vicar, der ihm seine Dienste auf übermorgen versprach.
Nach jener feierlichen Unterredung wurde Gertrud sogleich in das Kabinet der Fürstin geführt, um dort unter ihrer Aufsicht von der Kammerfrau geschmückt und umgekleidet zu werden. Man war noch nicht ganz damit fertig, als auch schon zu Tische gerufen wurde. Gertrud schritt durch die Dienerschaft, welche durch Verneigungen ihre Glückwünsche ausdrückte, und traf einige der nächsten Verwandten, die schnell noch ihr zu Ehren eingeladen waren, um sich ihrer wiederhergestellten Gesundheit und des neuen Berufes, den sie erwählt hatte, zu freuen.
Die junge Braut (so nannte man die jungen Mädchen, die Nonnen werden wollten, und darum ward Gertrud bei ihrem Erscheinen von Allen mit diesem Namen begrüßt) hatte vollauf zu thun, alle die Artigkeiten zu erwidern, mit denen man sie von allen Seiten überhäufte. Sie fühlte sehr gut, daß jede ihrer Antworten eine Annahme, eine Bestätigung enthielt; aber wie hätte sie anders antworten sollen? Gleich nach aufgehobener Tafel wurde eine Spazierfahrt gemacht. Gertrud stieg mit der Mutter in eine Kutsche; zwei Oheime, die ebenfalls eingeladen waren, begleiteten sie. Nachdem man eine Strecke gefahren, gelangte man auf die Marinastraße, die damals die Fläche durchschnitt, welche jetzt die öffentlichen Gärten einnehmen, und der Ort war, wohin sich die Vornehmen fahren ließen, um sich von den Anstrengungen des Tages zu erholen.
Als der Abend anbrach, kehrte man nach Hause zurück; die Diener eilten mit Fackeln herbei und meldeten, daß viele Besuche schon warteten. Die Nachricht hatte sich verbreitet und Verwandte und Freunde strömten herbei, um ihre Glückwünsche darzubringen. Man trat in den Gesellschaftssaal. Um die junge Braut drehte sich alles; sie war der Abgott der Gesellschaft, das Opferlamm. Endlich trennte sich die Gesellschaft; Alle schieden heiter und zufrieden und Gertrud blieb mit den Eltern und dem Bruder allein.
»Endlich«, sagte der Fürst, »habe ich die Freude gehabt, meine Tochter so behandelt zu sehen, wie es sich für ihren Stand gebührt. Man muß aber gestehen, daß auch sie sich ganz vortrefflich[181] benommen hat; sie hat gezeigt, daß es ihr keine Schwierigkeit macht, die erste Rolle zu spielen und die Würde der Familie zu vertreten.«
Die Abendmahlzeit war kurz, weil man sich bald niederlegen wollte, um am nächsten Morgen bei guter Zeit reisefertig zu sein.
Die betrübte und erbitterte Gertrud, durch die vielen Huldigungen die sie den Tag hindurch erhalten hatte, noch ganz geschwellt, erinnerte sich in diesem Augenblick, was sie von ihrer Kerkermeisterin hatte leiden müssen; und da sie den Vater so geneigt sah, ihr bis auf einen Punkt in allem den Willen zu thun, so wollte sie diese Gunst dazu benutzen, von den Leidenschaften, die sie quälten, wenigstens eine, die Rachsucht, zu befriedigen. Sie äußerte daher eine große Abneigung gegen ihre Kammerfrau und beklagte sich schwer über deren Betragen.
»Wie!« sagte der Fürst, »sie hat es also an Ehrerbietung gegen dich fehlen lassen? Morgen, morgen will ich ihr den Kopf waschen, daß sie dran denken soll. Laß mich nur machen. Du sollst Genugthuung haben. Auf keinen Fall soll meine Tochter, die meine ganze Zufriedenheit besitzt, eine Person um sich dulden, die ihr widerwärtig ist.« Nach diesen Worten ließ er eine andere Kammerfrau rufen und befahl ihr, die Tochter zu bedienen.
Als Gertrud ihre Rachsucht gestillt hatte, verdroß es sie, daß die Genugthuung, die sie erhalten, ihr im Vergleich zu der Begierde, die sie darnach gehabt, so wenig Freude machte; ihr Verdruß wurde noch größer als sie nachdachte und erkannte, wie große Fortschritte sie an diesem Tage auf dem Wege zum Kloster ge macht hatte. An Zurücktreten war nicht mehr zu denken; dazu hätte sie jetzt bei weitem mehr Muth und Entschlossenheit bedurft, als einige Tage früher hingereicht haben würde. Sie hatte nicht mehr die Kraft dazu.
Die Kammerfrau, die sie nach ihrem Zimmer begleitete, war eine alte Dienerin des Hauses, die schon den jungen Fürsten, als er noch in den Windeln lag, gewartet hatte, der ihr Stolz war und auf den sie alle ihre Hoffnungen setzte. Sie freute sich über[182] Gertrudens gefaßten Entschluß und über den glücklichen Ausgang dieses Tages so, als gälte es ihr eigenes Glück.
Als letztes Vergnügen dieses Tages mußte Gertrud auch noch die Glückwünsche, Lobsprüche und Rathschläge der guten Alten anhören; sie erzählte ihr von gewissen Tanten und Großtanten, die sich als Nonnen überglücklich gefühlt und ihrer fürstlichen Geburt wegen die höchsten Ehren genossen hätten; die so klug gewesen wären, immer noch eine Hand nach außen im Spiele zu behalten, so daß sie von ihrem Sprachzimmer aus in vielen Unternehmungen Siegerinnen geworden, denen die größten Damen mit all ihrem Scharfsinn unterlegen waren. Sie erzählte ihr von den Besuchen, die sie zu empfangen hätte; eines Tages würde der junge Fürst mit seiner Braut kommen, die sicherlich eine sehr vornehme Dame sein müßte, und dann würde nicht nur das Kloster, sondern die ganze Gegend in Bewegung kommen.
So schwätzte die Alte, während sie Gertruden entkleidete, als Gertrud schon im Bette lag; sie schwätzte noch, als Gertrud schon schlief. Jugend und Ermüdung hatte über die Traurigkeit gesiegt. Der Schlaf war unruhig und von schweren Träumen beängstigt; doch unterbrach ihn erst die kreischende Stimme der Alten, die sie am frühen Morgen wach rüttelte, damit sie sich zu der Fahrt nach Monza rüste.
»Auf, auf, Fräulein Bräutchen! es ist heller Tag; wir brauchen wenigstens eine Stunde, um Sie anzukleiden und zu schmücken. Die Frau Fürstin ist längst aufgestanden; man hat sie vier Stunden früher als gewöhnlich geweckt. Auch der junge Fürst ist längst auf den Beinen und munter wie ein Häschen, der kleine Kobold; so war er schon als Kind, wie ich ihn noch auf meinen Armen trug. Munter, munter, junges Fräulein! Was sehen Sie mich denn so verwundert an? Sie müßten schon längst aus dem Bette sein.«
Gertrud gehorchte, kleidete sich schnell an, ließ sich schmücken und erschien im Saale, wo die Eltern und der Bruder schon versammelt waren. Sie mußte sich auf einem bequemen Armstuhl niederlassen und man reichte ihr eine Tasse Chocolade; was zu[183] jener Zeit ungefähr dasselbe bedeutete, wie bei den alten Römern das Anlegen der Toga.
Als gemeldet ward, daß die Kutsche bereit stehe, nahm der Fürst die Tochter bei Seite und sagte zu ihr: »Wohlan, Gertrud, gestern hast du uns Ehre gemacht, heute mußt du dich selbst übertreffen. Es kommt darauf an, in dem Kloster und in dem Orte, wo du bestimmt bist, die erste Rolle zu spielen, mit Würde und mit allem Anstande aufzutreten. Sie erwarten dich.« – Es braucht wohl nicht erst gesagt zu werden, daß der Fürst am Tage vorher der Aebtissin noch schleunigst Nachricht gegeben hatte. »Sie erwarten dich und Aller Augen werden auf dich gerichtet sein. Sei also ganz ungezwungen und unbefangen. Die Aebtissin wird dich fragen, was du willst; das ist aber nur eine Förmlichkeit. Du kannst antworten, du wünschest in diesem Kloster, wo du so liebevoll erzogen worden, wo man dich mit so vielen Freundlichkeiten überhäuft hätte, worin du doch auch die Wahrheit sprichst, eingekleidet zu werden. Trage diese wenigen Worte in ungezwungener Weise vor, damit es nicht etwa heiße, sie seien dir in den Mund gelegt worden, und du könntest nicht für dich selbst sprechen. Die guten Mütter wissen nichts von dem, was vorgefallen ist; das ist ein Geheimniß, welches in der Familie begraben bleiben soll. Trage also auf deinem Gesicht nicht etwa Zerknirschung oder Furcht zur Schau; das könnte Verdacht erregen. Vergiß nicht, aus welchem Geschlechte du entsprossen bist. Sei bescheiden und artig; aber denke auch daran, daß an diesem Orte, außer der Familie, Niemand über dir steht.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, brach der Fürst auf; Gertrud, die Fürstin und der junge Fürst folgten ihm, gingen die Treppe hinab und stiegen in den Wagen. Unterwegs gab der Fürst der Tochter noch viele gute Lehren und wiederholte ihr mehr als einmal die Formel, wie sie zu antworten habe. Als sie in Monza einfuhren, zog sich Gertrudens Herz krampfhaft zusammen. Doch wurde ihre Aufmerksamkeit für den Augenblick durch einige, ich weiß nicht, was für Herren, gefesselt, die den Wagen anhalten ließen, um sie durch eine kleine Anrede zu empfangen. Als darauf[184] der Wagen sich wieder in Bewegung setzte, fuhr man langsamer dem Kloster zu, mitten durch eine Schaar von Neugierigen, die von allen Seiten herbeiliefen. Der Wagen hielt endlich vor den bekannten Mauern, vor der Pforte still; Gertrudens Herz schlug noch weit ungestümer. Man stieg aus, von einem Haufen Volks umringt, welchen die Dienerschaft zurückdrängte. Alle die Blicke, die auf die Aermste gerichtet waren, zwangen sie, unaufhörlich auf ihr Benehmen zu achten; aber mehr als alle diese Blicke zusammen fürchtete sie die Augen des Vaters, die alle ihre Bewegungen und Mienen wie durch einen unsichtbaren Zügel lenkten. Man gelangte durch den ersten Hof in den zweiten; hier war die innere Klosterpforte weit geöffnet und dicht mit Nonnen besetzt. In der ersten Reihe die Aebtissin, von den ältesten Schwestern umgeben; hinter diesen standen andere Nonnen, dicht an einander gedrängt, einige auf den Fußspitzen; zuletzt die Laienschwestern auf Schemeln stehend. Hin und wieder sah man auch ein paar jugendliche Augen leuchten, einige junge Gesichtchen zwischen den Kapuzen durchblicken; es waren die kecksten und die muthigsten unter den Kostgängerinnen, die sich durch die Nonnen durchgedrängt und sich glücklich eine Oeffnung gemacht hatten, um auch etwas sehen zu können. Aus diesem Gedränge erschollen Bewillkommungen hervor; man sah viele Arme wie zu einem herzlichen Empfang ausgebreitet. Man erreichte die Pforte; Gertrud stand der Mutter Aebtissin gegenüber. Nach den ersten Höflichkeitsbezeigungen fragte diese sie in einem halb heitern, halb ernsten Tone, was ihr Begehr an diesem Orte sei, wo ihr Niemand etwas verweigern würde.
»Ich bin hier ....«, fing Gertrud an; aber als sie die Worte aussprechen sollte, die ihr Geschick unwiderruflich entschieden, zauderte sie einen Augenblick und heftete die Augen fest auf die sie umgebende Menge. In diesem Momente traf ihr Blick eine ihrer früheren Gespielinnen, die sie mit halb mitleidiger, halb boshafter Miene betrachtete, als wollte sie sagen: Ei, ei, hat sich die Prahlerin doch fangen lassen! Die ser Anblick regte in ihrer Seele alle die alten Empfindungen wieder lebhaft auf und gab ihr auch zugleich ein wenig von dem früheren Muthe zurück, und schon suchte[185] sie nach einer ausweichenden Antwort; doch als sie, gleichsam um ihre Kräfte zu prüfen, den Blick zum Angesichte des Vaters erhob, sah dieser sie so ungeduldig, so finster und drohend an, daß sie aus Furcht entschlossen, mit derselben Schnelligkeit, womit sie vor einem Gegenstande des Entsetzens die Flucht ergriffen haben würde, in ihrer Antwort fortfuhr: »Ich bin hier, um die Erlaubniß zu bitten, in diesem Kloster, worin ich so liebevoll erzogen worden, den Schleier nehmen zu dürfen.« Die Aebtissin antwortete sogleich, es sei ihr sehr leid, daß die Gesetze es nicht zuließen, ihr augenblicklich eine bestimmte Antwort und ihre Einwilligung zu geben; diese könnte erst nach einer allgemeinen Abstimmung der Schwestern erfolgen, der die Erlaubniß der Obern vorangehen müsse. Gertrud aber kenne genugsam die Gesinnungen, die man für sie hege, und sie könnte daher wohl schon voraus wissen, wie die Antwort ausfallen würde; bis dahin aber verbiete es kein Gesetz der Aebtissin, noch den Schwestern, ihr die Freude zu erkennen zu geben, die sie über das Gesuch empfänden. Es erhob sich darauf ein verworrener Lärm von Glückwünschen und Beifallsbezeigungen. Zugleich brachte man große silberne Schalen voll Zuckerwerk, die zuerst der jungen Braut und dann den Eltern dargereicht wurden. Während einige von den Nonnen Gertruden umschmeichelten, sagten andere der Mutter und dem jungen Prinzen viel Schönes und Artiges. Die Aebtissin ließ den Fürsten ersuchen, an das Gitter des Sprachzimmers zu kommen, wo sie ihn erwarten würde. Zwei ältere Schwestern begleiteten sie, und als sie ihn erscheinen sah, sagte sie: »Um den Vorschriften zu gehorchen .... um einer nicht zu umgehenden Förmlichkeit zu genügen, obwohl in diesem Fall ... muß ich Ihnen sagen ... daß, so oft ein junges Mädchen den Schleier zu nehmen wünscht ... die Vorgesetzte, die ich unwürdiger Weise bin, verpflichtet ist ... den Eltern anzuzeigen, daß, wenn sie etwa dem Willen der Tochter Gewalt angethan hätten, sie in den Kirchenbann fallen. Sie müssen mich entschuldigen ...«
»Sehr wohl, sehr wohl, ehrwürdige Mutter. Ich lobe Ihre Gewissenhaftigkeit; es ist durchaus richtig ... aber Sie werden nicht zweifeln ...«[186] »O bedenken Sie, mein Fürst, daß es meine Pflicht ist, so zu sprechen ... übrigens.« –
»Gewiß, gewiß, Mutter Aebtissin.«
Nachdem sie diese wenigen Worte gewechselt hatten, verneigten sich die beiden Sprechenden gegenseitig und trennten sich, als fiele es Beiden schwer, die Unterredung fortzusetzen; Jeder kehrte zu den Seinigen zurück; die Aebtissin ging hinein, der Fürst heraus.
»Nun wohlan«, sagte der Fürst, »Gertrud wird bald Gelegenheit haben, sich nach Gefallen an der Gesellschaft dieser guten Mütter zu erquicken. Für jetzt wollen wir sie in Ruhe lassen; wir haben sie genug geplagt.« Nach diesen Worten verneigte er sich und gab das Zeichen zum Aufbruch; die Familie rüstete sich mit ihm; die Höflichkeitsbezeigungen wiederholten sich noch einmal und man fuhr wieder ab.
Auf dem Heimwege fühlte sich Gertrud zum Sprechen nicht allzusehr aufgelegt. Erschreckt durch den Schritt, den sie gethan hatte, beschämt über ihre Zaghaftigkeit, über die Andern, wie über sich selbst aufgebracht, dachte sie über die Gelegenheiten nach, die ihr noch zum Neinsagen übrig blieben, und gab sich selbst in ihrer Niedergeschlagenheit und Bestürzung das Versprechen, sie wolle bei der ersten besten Gelegenheit dreister sein und den Kopf nicht wieder verlieren. Aber mit all diesen Gedanken konnte sie die Furcht vor den drohenden Blicken des Vaters nicht überwinden; erst als sie es wagte, ihm verstohlen einen Blick zuzuwerfen und sie sich überzeugte, daß jede Spur von Zorn aus seinem Gesichte verschwunden war, als sie merkte, daß er sehr zufrieden mit ihr sei, fühlte sie sich für einen Augenblick ganz ruhig und heiter.
Kaum nach Hause zurückgekehrt, wurde wieder Toilette gemacht; darnach die Mittagstafel, dann einige Besuche, dann ein Spaziergang, dann wieder Gesellschaft und endlich die Abendtafel. Als diese zu Ende war und die Gäste sich verabschiedet hatten, rückte der Fürst noch mit einer andern Angelegenheit heraus, mit der Wahl einer Pathe nämlich. So nannte man die Dame, welche, von den Eltern darum ersucht, die künftige junge Nonne in der Zeit zwischen dem Gesuche bis zur Einkleidung als Wächterin[187] überall hin begleitete; man besuchte während dieser Zeit die Kirchen, die öffentlichen Paläste, die Landhäuser, Gesellschaften, die Reliquien, kurz Alles, was in der Stadt und in der Umgegend sehenswerth war; damit die jungen Mädchen, ehe sie das unwiderrufliche Gelübde aussprechen, sich selbst überzeugten, welch einer Welt sie entsagten. »Wir müssen nun auch an eine Pathe denken«, sagte der Fürst, »denn morgen wird der Vicar der Nonnen kommen, um die Prüfung abzumachen, und gleich darauf wird Gertrud von den frommen Müttern zur Aufnahme vorgeschlagen werden.«
Er hatte sich bei diesen Worten gegen die Fürstin gewendet; diese glaubte sich dadurch aufgefordert, auch ihre Meinung abzugeben und fuhr fort: »da wäre ...«; der Fürst aber unterbrach sie sogleich: »Nein, nein, Frau Fürstin; vor Allem muß die Pathe der jungen Braut gefallen; und wenn auch nach dem allgemeinen Gebrauche den Eltern die Wahl anheim gestellt ist, so hat Gertrud doch ein so gesundes Urtheil und einen so richtigen Takt, daß man mit ihr schon einmal eine Ausnahme machen kann.« Hier wendete er sich Gertruden zu und fuhr mit einer sehr gnädigen und wichtigen Miene, die eine ganz besondere Vergünstigung ankündigen sollte, fort: »Jede von den Damen, die diesen Abend hier anwesend waren, besitzt die nöthigen Eigenschaften, um die Pathenstelle bei einem jungen Mädchen aus solchem Hause, wie unsere Tochter ist, zu vertreten; eine jede, sollte ich meinen, müßte sich geehrt fühlen, die Auserwählte zu sein; wähle also, meine Tochter.«
Gertrud sah sehr wohl ein, daß eine Wahl treffen, aufs neue seine Zustimmung geben hieß; aber die Aufforderung geschah mit so vieler Freundlichkeit, daß eine Weigerung oder eine Entschuldigung wie eine abscheuliche Undankbarkeit ausgesehen haben würde. Sie that also auch diesen Schritt und nannte die Dame, die ihr diesen Abend am meisten gefallen, diejenige nämlich, die sie am meisten umschmeichelt, gelobt, und sie auf jene vertrauliche herzliche Weise behandelt hatte, die in den ersten Augenblicken der Bekanntschaft schon das Ansehn einer langgepflegten Freundschaft hat.[188]
»Eine vortreffliche Wahl«, rief der Fürst aus, der gerade diese Dame für seine Tochter als Pathe wünschte und die Wahl auch nicht anders erwartet hatte.
Am andern Morgen erwachte Gertrud mit dem Gedanken an den Vicar, der zur Prüfung kommen sollte; und während sie noch darüber nachsann, ob sie nicht diese so entscheidende Gelegenheit noch zum Rücktritt benutzen könnte, ließ der Fürst sie rufen. »Wohlan, Tochter«, redete er sie an, »bis jetzt hast du dich ganz vortrefflich benommen; heute kommt es darauf an, dem Werke die Krone aufzusetzen. Alles, was bis jetzt geschehen, ist mit deiner Einwilligung geschehen. Wenn während dessen Zweifel in dir aufgestiegen wären, oder Reue, jugendliche Grillen, so hättest du dich darüber erklären müssen; aber da die Sache nun einmal so weit vorgerückt ist, so ist zu dergleichen Kindereien keine Zeit mehr. Der gute, brave Mann, der heute Morgen kommen soll, wird dir hunderterlei Fragen über deinen Beruf vorlegen; ob du ihn aus freiem Willen erwählt hast, warum, wie du dazu gekommen bist und was weiß ich? Wenn du mit deinen Antworten zögerst, so wird er dich, wer weiß wie lange, auf die Folter spannen. Er würde dich bis zum Ueberdruß damit martern; es könnte aber auch noch ein anderes schlimmeres Uebel daraus entstehen. Nach all den öffentlichen Erklärungen, die bereits geschehen, würde schon das geringste Schwanken, welches man an dir wahrnähme, meine Ehre aufs Spiel setzen; man würde glauben, daß ich einen Gedanken, den du nur so hingeworfen, einen Einfall, für einen festen Entschluß genommen, daß ich die Sache gewaltsam herbeigezogen hätte und dergleichen mehr. In diesem Falle würde ich mich gezwungen sehen, zwischen zwei sehr ärgerlichen Auswegen wählen zu müssen; entweder müßte ich zugeben, daß die Welt von meiner Handlungsweise einen sehr schlechten Begriff bekommt, ein Ausweg, der sich durchaus nicht mit den Rücksichten verträgt, die ich mir selbst schuldig bin; oder ich müßte den wahren Beweggrund deines Entschlusses ans Licht ziehen und ....« Hier bemerkte er, daß Gertrudens Gesicht glühend roth ward, daß ihre Augen immer größer wurden und ihr Gesicht sich zusammenzog, wie die Blätter einer Blume in schwüler Luft, die einem Sturmwetter[189] vorangeht. Er brach das Gespräch ab. »Nun, nun«, nahm er mit heiterer Miene wieder das Wort, »es hängt alles von dir, von deinem Willen ab. Ich weiß, du hast Einsicht und bist vernünftig, du bist kein Kind, das eine abgemachte Sache noch zuletzt umstoßen und verderben wird; ich mußte doch aber auch für diesen unvorhergesehenen Fall denken. Wir wollen nun nicht mehr davon sprechen; wir sind darüber einig geworden, daß du mit Ungezwungenheit und Offenheit antworten wirst, damit in dem Kopfe des frommen Mannes nicht etwa Zweifel aufsteigen. Auf diese Weise bist du die Sache auch am schnellsten los.« Und nachdem er ihr einige Antworten eingegeben, mit denen sie den muthmaßlichen Fragen begegnen sollte, ging er zu dem gewöhnlichen Gespräche von den Annehmlichkeiten und Genüssen über, die Gertrud im Kloster bevorständen; er unterhielt sie damit so lange, bis ein Diener den Vicar anmeldete. Der Fürst rief ihr noch einmal schnell alle Ermahnungen ins Gedächtniß zurück und ließ dann die Tochter, wie es die Sitte erheischte, mit dem Vicar allein.
Der fromme Mann kam schon mit der guten Meinung, daß Gertrud einen großen Beruf für das Kloster in sich fühle; denn so hatte ihm der Fürst gesagt, als er ihn um die Prüfung gebeten und eingeladen hatte. Nach den gewöhnlichen Redensarten begann er: »Mein junges Fräulein«, sagte er, »ich komme, die Rolle des Teufels zu spielen; was Sie in Ihrem Gesuche für wahr und gewiß ausgegeben, werde ich in Zweifel ziehen; ich komme, Ihnen alle die Schwierigkeiten klar hinzustellen und mich zu überzeugen, ob Sie dieselben auch wohl überlegt haben. Sie werden also erlauben, daß ich Ihnen einige Fragen vorlege.«
»Fragen Sie nur«, versetzte Gertrud.
Der gute Priester fing nun an, sie nach der vorgeschriebenen Form zu befragen. »Haben Sie in Ihrem Herzen den Entschluß, Nonne zu werden, aus freiem Willen, aus Ueberzeugung gefaßt? Sind Sie nicht durch Drohungen, oder durch Schmeicheleien, oder durch Ueberredung dazu gedrängt worden? Hat Niemand Sie dazu gezwungen? Sprechen Sie ohne Rückhalt zu einem Manne, dessen Pflicht es ist, Ihren wahren Willen zu erfahren,[190] damit er verhüte, daß diesem auf keinerlei Weise Gewalt angethan werde.«
Die wahre Antwort auf eine solche Frage stellte sich Gertrudens Geist sogleich mit schrecklicher Klarheit dar. Um aber diese Antwort zu geben, mußte sie erst zu einer Erklärung schreiten, sie mußte von den Drohungen sprechen, die man ausgestoßen, eine ganze Geschichte erzählen .... die Unglückliche bebte vor diesem Gedanken zurück; sie sann schnell auf eine Antwort, die sie am schnellsten und sichersten von diesem Verhör erlöste.
»Ich will Nonne werden«, sagte sie, ihre Unruhe verbergend, »ich will Nonne werden aus eigener Neigung, aus freiem Willen.«
»Seit wann haben Sie diesen Gedanken gefaßt?« fragte der gute Priester weiter.
»Ich habe ihn immer gehabt«, antwortete Gertrud, die nach diesem ersten Ausspruche dreister und kühner geworden war, um gegen sich selbst zur Lügnerin zu werden.
»Welches aber ist der Hauptgrund, der Sie dazu bestimmt, ins Kloster zu gehen?«
Der gute Priester wußte nicht, welche schreckliche Seite er berührte; Gertrud that sich große Gewalt an, damit ihr Gesicht nicht die Wirkung verrieth, die seine Worte in ihrer Seele hervorbrachten.
»Der Grund«, sagte sie, »ist, Gott zu dienen und den Gefahren dieser Welt zu entfliehen.«
»Sollte es nicht etwa nur ein augenblicklicher Unmuth sein? vielleicht nur eine Grille? Sie entschuldigen mich, aber eine vorübergehende Ursache kann zuweilen einen Eindruck machen, von dem man meint, er müsse ewig dauern; das Herz ändert aber seine Meinung und dann ....«
»Nein, nein«, fiel Gertrud hastig ein, »die Ursache ist keine andere, als die ich Ihnen gesagt habe.«
Mehr um seine Pflicht und Schuldigkeit zu thun, als daß er es für nöthig gehalten hätte, beharrte der Vicar in seinen Nachforschungen; Gertrud aber war entschlossen, ihn zu täuschen, der Gedanke, diesen ernsten würdigen Priester, der so weit entfernt[191] war, eine solche Abscheulichkeit bei ihr zu argwöhnen, zum Mitwisser ihrer Schwäche zu machen, erfüllte sie mit Schauder; und dann wieder dachte die Aermste daran, daß er es allein verhindern könnte, daß sie Nonne würde; aber damit hatte auch seine Macht und Gewalt über sie, wie sein Schutz ein Ende. Sobald er sie verlassen hatte, stand sie dem Fürsten allein gegenüber. Was sie dann in diesem Hause zu leiden gehabt hätte, davon würde der gute Priester nie etwas erfahren haben, oder hätte er es auch erfahren, so konnte er doch bei all seinem guten Willen nichts für sie thun als sie bemitleiden. Der Examinator war früher müde zu fragen als die Unglückliche zu lügen; und da er beständig dieselben Antworten hörte und keinen Grund hatte, an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln, so änderte er endlich die Sprache; er drückte ihr seine Freude über ihren Entschluß aus und sagte ihr, was ihm am meisten geeignet schien, sie in ihrem guten Vorsatze zu bestärken; darnach nahm er Abschied.
Als er beim Weggehen durch die Zimmer schritt, stieß er auf den Fürsten, der zufällig an ihm vorüberzugehen schien; auch ihm wünschte er Glück zu der guten Stimmung, in welcher er die Tochter angetroffen hatte. Der Fürst hatte bis dahin in der peinlichsten Ungewißheit geschwebt; bei dieser Nachricht des Vicars athmete er wieder auf und vergaß ganz seine gewohnte ernste Haltung; er stürzte fast zu Gertruden und überhäufte sie mit Lobeserhebungen, mit Versprechungen und mit Zärtlichkeiten, die in diesem Augenblicke zum großen Theile aufrichtig waren. Aus solchem Mischmasch besteht das menschliche Herz. –
Während dessen hatte der Vicar der Nonnen das nöthige Zeugniß ausgestellt und die Erlaubniß, die Versammlung zu Gertrudens Aufnahme zu halten, langte an. Diese fand statt, und wie zu erwarten war, sprachen, der Vorschrift gemäß, zwei Drittel der Wahlstimmen für die junge Braut, und Gertrud ward aufgenommen. Der langen Quälereien müde, verlangte sie endlich selbst, so bald als möglich ins Kloster eintreten zu dürfen. Einem so eifrigen Verlangen widersetzte sich natürlich Niemand. Ihr Wille geschah also; sie wurde unter großem Pomp nach dem Kloster geleitet und nahm den Schleier. Nach einem zwölfmonatlichen[192] Noviziate voll Reue und Schwanken, erschien der Tag, an dem sie das Gelübde ablegen sollte, an dem sie ein entschiedenes Nein oder das verhängnißvolle Ja, welches sie schon so oft gesagt, aussprechen sollte; sie wiederholte es und war Nonne für immerdar.
Es ist eine der guten und vortrefflichen Eigenschaften der christlichen Religion, daß sie einem Jeden, der sich in der Bedrängniß zu ihr flüchtet, Trost spendet. Sie giebt die Mittel an die Hand, Geschehenes wieder gut zu machen, verleiht Einsicht und Kraft, es um jeden Preis auch auszuführen; und wenn dem nicht also ist, so weiß sie es auszugleichen und macht, wie das Sprüchwort sagt, aus der Noth eine Tugend. Was aus Leichtsinn unternommen wurde, das lehrt sie mit Weisheit durchführen, und bewegt die Seele, das mit Neigung zu umfassen, was ihr eine höhere Macht auferlegt zu tragen; eine Wahl, die frevelhaft war und unwiderruflich ist, spricht sie heilig und gut. Sie ist ein so beschaffener Weg, daß, aus welcher Verwirrung, aus welcher Verderbniß der Mensch auch auf ihn gelangt, er mit Ruhe und Zuversicht darauf weiter schreiten und zufrieden ein glückliches Ziel erreichen kann. Auf diese Weise hätte Gertrud eine fromme und glückliche Nonne werden können. Aber die Unglückliche trug ihr Joch nur gezwungen und empfand darum den Druck um so schwerer und um so stärker.
Sie härmte sich heimlich ab, daß ihre Jugend in einer langsamen Marter hinwelke; sie bejammerte ihre Schönheit und beneidete in solchen Augenblicken jedes Weib, das die Glückseligkeiten der Welt genießen konnte.
Der Anblick der Nonnen, die zu ihrem Eintritt ins Kloster die Hand mit im Spiele gehabt hatten, war ihr verhaßt. Sie dachte an alle die feinen Künste, die sie dazu in Bewegung gesetzt hatten, und ließ sie dafür durch Unhöflichkeit und Eigensinn büßen; sie machte ihnen sogar unverhohlen Vorwürfe.
Zuweilen schien sie einigen Trost im Befehlen zu finden; sie sah es gern, daß man ihr im Kloster den Hof machte, daß ihr von auswärts Ehrerbietung bezeigt wurde, daß ihr irgend ein Unternehmen glückte, daß sie Einfluß hatte und daß man sie die[193] Signora nannte. Aber was waren das für Tröstungen! das Herz fühlte recht gut ihre Unzulänglichkeit und hätte oftmals gern die Tröstungen der Religion hinzugefügt, um aus ihnen wieder neue Kraft zu schöpfen; diese aber werden nur Demjenigen zu Theil, der jeden andern Trost als unwirksam verschmäht, wie der Schiffbrüchige, der das rettende Brett fassen will, Schilf und Zweige, die seine Hand in der Todesangst gefaßt hielt, fahren läßt. –
Bald nach Ablegung des Gelübdes war Gertrud zur Oberin der Kostgängerinnen ernannt worden; man denke sich jetzt, wie es den armen Mädchen unter einer solchen Zuchtmeisterin erging. Ihre alten Gefährtinnen hatten alle das Kloster verlassen; sie hatte alle Leidenschaften aus jener Zeit behalten, und in der einen oder der andern Art mußten ihre Zöglinge schwer darunter leiden. Wenn es ihr durch den Sinn fuhr, daß viele unter denselben zu der Lebensweise bestimmt waren, der sie hatte entsagen müssen, so empfand sie gegen diese Armen einen Groll, der sich bis zur Rachsucht steigerte; sie bewachte sie streng, behandelte sie hart und ließ sie die Freuden, die sie einst in der Welt genießen sollten, schon im Voraus büßen. Wer in solchen Augenblicken mitangehört hätte, mit welchem Jähzorn sie dieselben wegen einer kleinen Uebereilung anschrie, der würde sie für ein sehr wildes, gottloses Weib, aber nicht für ein frommes, gottergebenes Wesen gehalten haben. Zu anderer Zeit machte sich der Abscheu vor dem Kloster und dessen Sitten wieder in einer völlig entgegengesetzten Laune Luft. Sie ertrug dann nicht nur den Lärm und die Ungezogenheiten ihrer Zöglinge, sie regte sie vielmehr noch dazu an; sie nahm an ihren Spielen Theil und gab sich der größten Ausgelassenheit mit ihnen hin, mischte sich in ihre Gespräche, und ließ eine der Zöglinge einmal über die Geschwätzigkeit der Mutter Aebtissin ein Wort fallen, so sprach Gertrud, ihre Stimme nachahmend, ihr jedes Wort nach und machte sie dadurch lächerlich; dann wieder verzog sie das Gesicht wie die eine oder die andere Nonne und brach in ein unmäßiges Gelächter aus; aber dieses Lachen kam nicht aus dem Herzen und hatte etwas Gezwungenes. –
So hatte sie einige Jahre verlebt, ohne daß sich etwas Besonderes[194] zutrug, als plötzlich ihr Mißgeschick sie aus dieser Ruhe wieder herauswarf.
Unter den Vorrechten und Auszeichnungen, die ihr eingeräumt waren, um sie einstweilen für die Aebtissinwürde zu entschädigen, gehörte auch die, daß sie eine abgesonderte Wohnung inne haben durfte. Diese lag auf einer Seite des Klosters, die an ein Haus stieß, in welchem ein junger Mann wohnte, der sich ein Geschäft daraus machte, lasterhafte Streiche auszuführen. Er gehörte zu den Vielen, die in jener Zeit, im Bunde mit einer ganzen Bande von Raufern, bis zu einem gewissen Grad sich über die öffentliche Gewalt und über die Gesetze lustig machen konnten. In unserm Manuskripte wird er einfach Egidio genannt. Dieser hatte zum Zeitvertreib aus einem seiner Fenster, das nach einem kleinen Hofe jener Klosterseite herauslag, Gertrud einige Male dort lustwandeln sehen. Von der Gefahr und der Gottlosigkeit seines Vorhabens eher angereizt als zurückgeschreckt, wagte er es, sie eines Tages anzureden. Die Unglückselige antwortete ihm.
Gertrud empfand zum ersten Male wieder eine wahrhafte Befriedigung. In ihr verstimmtes Gemüth ergoß sich ein frischer Lebensstrom; diese Befriedigung aber glich dem Stärkungstranke, welchen die erfinderische Grausamkeit der Alten dem Verurtheilten kredenzte, um seine Kräfte für die Folter zu stärken. Es ging in dieser Zeit eine große Veränderung mit Gertrud vor; sie wurde plötzlich ordnungsliebender und ruhiger, sie verhöhnte die Andern nicht mehr, sie zeigte sich vielmehr liebreich und höflich, so daß die Schwestern sich über ihre Verwandlung aufrichtig freuten; sie waren weit entfernt, den wahren Grund davon zu ahnen und zu begreifen, daß die neue Tugend nichts weiter als eine ihren alten Fehlern noch hinzugefügte Heuchelei war. Diese scheinbare Bekehrung, dieses sogenannte Sichweißbrennen dauerte nicht lange; wenigstens zeigte sie auch hiebei keine Ausdauer. Der gewohnte Unmuth und die gewöhnlichen Launen stellten sich sehr bald wieder ein, die Verwünschungen und Verspottungen des klösterlichen Gefängnisses ließen sich wieder hören und wurden oftmals in einer Sprache ausgestoßen, wie man sie an diesem Orte und aus diesem Munde nicht hätte vermuthen sollen. Einem jeden solcher[195] Ausbrüche folgte aber auch gleich die Reue, und sie versuchte durch Schmeicheln und schöne Worte ihren Fehler wieder gut zu machen. Die guten Nonnen ertrugen alle diese Launen mit Geduld und entschuldigten Alles mit der eigensinnigen, leicht erregbaren Gemüthsart Gertruds.
Eine Zeitlang schien Niemand weiter darüber nachzudenken. Eines Tages aber gerieth Gertrud mit einer Laienschwester um irgend eine Kleinigkeit in Streit und ließ sich so von ihrer Wuth hinreißen, daß sie diese mit einem wahren Sturz von Schmähreden überhäufte. Die Laienschwester ließ sich diese Behandlung eine Weile gefallen und unterdrückte ihren Aerger. Endlich aber, als Gertrud gar kein Ende finden konnte, sie zu beschimpfen, riß ihr die Geduld; sie warf ein Wort hin, daß sie gar Mancherlei wisse und bei Gelegenheit reden würde.
Von diesem Augenblick an war der Friede Gertruds dahin. Nicht lange darauf wurde die Laienschwester eines Morgens vergebens zu ihren gewöhnlichen Dienstverrichtungen erwartet. Man suchte sie in ihrer Zelle und fand sie nicht darin; man rief sie mit lauter Stimme, sie antwortet nicht. Man durchstöbert alle Winkel von oben bis unten, sie ist nirgends zu finden, und wer weiß, auf welche Vermuthungen man gerathen wäre, wenn man nicht beim Suchen eine große Oeffnung in der Gartenmauer entdeckt hätte. Alle meinten nun, sie habe sich auf diesem Wege aus dem Kloster davon gemacht. Ueberall wurden Nachforschungen angestellt, ganz Monza und die Umgegend kam in Bewegung; aber die Vermißte war nicht aufzufinden und man erhielt auch niemals die geringste Kunde über sie. Vielleicht hätte man sich über ihren Verbleib Gewißheit verschaffen können, wenn man, anstatt in der Ferne Nachforschungen über sie anzustellen, die Nähe noch genauer durchsucht hätte. Nach vielen Verwunderungen und Schwätzereien, weil Niemand dem Frauenzimmer so etwas zugetraut hatte, gelangte man endlich zu der Ueberzeugung, daß sie eine sehr weite Reise unternommen haben müßte; um so mehr, da die Entflohene einmal zu einer andern Schwester eine Aeußerung gethan, aus der man schließen konnte, sie sei nach Holland geflüchtet. Gertrud scheint indessen nicht der Meinung gewesen zu sein. Sie[196] that zwar nicht, als ob sie an derselben zweifelte, sie bestritt nicht die allgemeine Annahme und trat auch nicht mit Vermuthungen hervor; wenn sie solche hatte, so wurden sie niemals so gut verhehlt. Sie vermied nichts ängstlicher und sorgfältiger, als sich in diese Geschichte zu mengen; sie zeigte nicht die geringste Neugierde, diesem Geheimniß auf den Grund zu kommen. Je weniger sie aber darüber sprach, desto mehr dachte sie darüber nach. Wie oft des Tages drängte sich unversehens das Bild jenes Frauenzimmers ihrem Geiste auf und schien nicht wanken, nicht weichen zu wollen. Wie oft wünschte sie dieselbe lieber lebendig von Fleisch und Blut vor sich zu sehen, als sie unaufhörlich in Gedanken vor Augen zu haben und Tag und Nacht sich in Gesellschaft dieser leblosen, schrecklichen Gestalt befinden zu müssen! –
Seit diesem Vorfalle war ein Jahr verflossen, als Lucia der Signora vorgestellt wurde und die Unterredung mit ihr hatte, bei der wir in unserer Erzählung stehen geblieben sind.
Don Rodrigo war der Gegenstand, um den sich die Fragen der Nonne drehten; sie ging dabei auf gewisse Einzelheiten mit einer Zudringlichkeit und Dreistigkeit ein, die Lucien sehr befremden mußte, denn sie hätte niemals geglaubt, daß die Neugier der Nonnen durch dergleichen Begebenheiten so sehr erregt werden könnte. Die Aussprüche, die Gertrud bei ihren Fragen und Ausforschungen mit einmischte, waren nicht weniger zweideutig und seltsam. Es hatte fast den Anschein, als mache sie sich über Lucia's Abscheu gegen Don Rodrigo lustig; sie fragte sie, ob er denn ein so sehr zu fürchtendes Ungeheuer wäre, und fand die Sprödigkeit des jungen Mädchens fast unvernünftig und närrisch, wenn sie nicht etwa aus sehr guten Gründen Renzo den Vorzug gegeben hätte. Auch über diesen that sie sehr kühne Fragen, über die Lucia erröthete und ganz verdutzt dastand. Als die Nonne gewahr wurde, daß sie ihrer Phantasie und ihrer Zunge doch wohl zu freien Lauf gelassen, suchte sie ihr Geschwätz dadurch wieder gut zu machen, daß sie ihm eine gute Absicht unterschob.
Bei Lucia blieb aber doch ein Gefühl zurück, von dem sie nicht recht wußte, ob es Erstaunen oder Furcht sei, und kaum fand sie sich mit ihrer Mutter allein, so theilte sie dieser ihre Gedanken[197] darüber mit; Agnese aber, die schon mehr Erfahrung hatte, zerstreute durch wenige Worte alle ihre Zweifel und klärte sie über das ganze Geheimniß auf.
»Wundere dich darüber nicht, meine Tochter,« sagte sie: »wenn du erst die Welt so kennen wirst, wie ich, so wirst du einsehen, daß diese Dinge gar nicht so wunderbar sind. Die vornehmen Leute sind alle auf die eine oder die andere Art ein wenig närrisch. Man muß sie reden lassen, besonders wenn man sie nöthig hat; man muß thun, als hörte man ihre Gelehrsamkeit, die sie auszukramen meinen, sehr aufmerksam an. Hast du nicht gehört, wie sie mir über den Mund gefahren ist, als ob ich unanständige Reden geführt hätte? Ich habe mir durchaus nichts daraus gemacht. Sie sind Alle so. Und bei alledem müssen wir dem Himmel noch danken, daß sie sich so schnell deiner angenommen hat und uns wirklich beschützen zu wollen scheint. Uebrigens, mein Kind, wenn du hier der Gefahr entgehst und es sich wieder einmal trifft, daß du mit vornehmen Leuten zu thun hast, so wirst du gescheidter sein, wirst gescheidter sein.«
Das Verlangen, sich dem Pater Guardian zu verpflichten, das angenehme Gefühl, als Beschützerin zu gelten, der Gedanke, daß dieser so fromme Schutz den günstigsten Eindruck hervorbringen würde, eine gewisse Zuneigung zu Lucien und auch eine gewisse Beruhigung, einem unschuldigen Geschöpfe Gutes zu erweisen, diesen armen Unterdrückten mit Rath und That beizustehen, dies Alles hatte die Signora wirklich bewogen, sich das Schicksal der beiden armen Flüchtlinge zu Herzen zu nehmen. Aus Achtung vor den Befehlen, die sie gab, und vor dem Eifer, den sie zeigte, wurden Lucia und Agnese in der dicht an das Kloster stoßenden Wohnung der Schaffnerin untergebracht und so angesehen, als ob sie im Dienste des Klosters ständen. Mutter und Tochter freuten sich herzlich, so schnell einen sichern und ehrenvollen Zufluchtsort gefunden zu haben. Gern wären sie vor Jedermann unbemerkt geblieben; aber in einem Kloster war dies keine Kleinigkeit, um so mehr, da sich ein Mensch daselbst befand, der sehr darauf brannte, über eine von ihnen Näheres zu erfahren, ein Mensch, in dessen Seele sich mit der Leidenschaft und dem gereizten Eigensinn[198] auch noch der Zorn verband, daß man ihm zuvorgekommen war und ihn getäuscht hatte. Wir lassen die Frauen in ihrer Zufluchtsstätte und kehren nach dem Palaste Don Rodrigo's zurück, der zu dieser Stunde gerade Nachricht über den Erfolg seines schändlichen Unternehmens erwartete.
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