[133] Er hatte sonst gar nichts dagegen, wenn Frau Griebel zu ihm kam, er plauderte stets sehr gern mit ihr; allein in diesem Augenblick war ihm das Knarren der Lederschuhe, die kräftig aufstapfend das Gartentreppchen heraufkamen, in tiefster Seele zuwider. Er sah, wie bei diesem Geräusch ein helles Rot über das Gesicht des Mädchens lief; sie ließ sich jedoch nicht weiter beirren und band die Leinenrolle wieder zusammen, als Frau Griebel die Thür öffnete.
Auch das Töchterlein Luise kam mit. Die Präsentierteller, die beide trugen, reichten kaum aus für die Himbeersaft- und Selterwasserflaschen, das Kaffeegeschirr, die Arnikatinktur, und Gott möchte wissen, was alles die brave Dicke in der Eile zusammengerafft hatte.
»Na –?!« fragte sie gedehnt, mit hochgezogenen Brauen und auf der obersten Stufe wie festgenagelt stehen bleibend. Und flinker als gewöhnlich wandte sie den Kopf zurück nach ihrem Küchlein und machte sich sichtlich breit, um den Thürrahmen mit[133] ihrer Person auszufüllen und den naseweisen jungen Augen, die sie hinter sich wußte, den Einblick zu versperren.
»Ja, nun kommen Sie zu spät, verehrteste Griebel!« sagte der Gutsherr. »Es ist doch nicht zu verachten, wenn man altes Leinen und Arnika bei der Hand hat, wie die Leute auf dem Vorwerk. Das Malheur mit meiner ungeschickten Hand ist mir dort passiert, und weil ich schreckliche Angst vor dem Verbinden hatte – ich bin gar furchtsam von Gemüt – so bin ich ausgerissen; freilich umsonst,« – er zuckte mit dem ernsthaftesten Gesicht die Achseln – »der Heilgehilfe ist mir auf den Fersen geblieben, und wohl oder übel mußte ich stillhalten. Da sehen Sie her, fürsorglichste aller Pflegemütter, die klaffende Wunde ist zugenäht, kunstgerecht zugenäht, und den will ich sehen, der an dem Verband etwas auszusetzen hat!«
»'s ist die Möglichkeit – zugenäht?« Mit diesen Worten wurde der Präsentierteller klirrend auf den Tisch gesetzt, und somit war es nunmehr auch Klein-Luischen unverwehrt, einzutreten.
»Na, dann ist's ja gut,« meinte Frau Griebel. »Aber das mit dem ›furchtsamen Gemüt‹, das lassen Sie nur unterwegs, Herr Markus – ich bin nicht von gestern! ... Meiner Treu, die Bandage sieht wirklich aus, als hätte sie unser alter Medizinalrat auf Schloß Heinrichsthal angelegt – das ist ein tüchtiger Mann – ein berühmter Doktor, Herr Markus! Ja, vor so einem Verband, wie der da, muß sich freilich der Trillröder Bartkratzer in die Ecke verkriechen! Und das hast du gemacht? Du, die Magd bei Amtmanns?« – Sie richtete ihre Augen scharf auf das Mädchen. – »Ja, wo lernen denn bei euch zu Lande die Mägde solche Männerarbeit? Nicht einmal im Institut, wo doch meiner Luise das Menschenmögliche beigebracht wird, kommt dergleichen vor – oder doch, Luise?«
»Nein, Mama,« erwiderte das Töchterlein, das bisher schweigend Amtmanns schöne Magd angestaunt hatte. – »Aber eine Mitschülerin, die zu Ostern auf ein Gut in Südrußland als Gouvernante engagiert ist, geht jetzt zu den Diakonissinnen, um die Krankenpflege zu lernen.«
»So? – Na ja, da ist's richtig – euer Fräulein drüben ist auch eine solche, und du hast's ihr abgeguckt!« sagte Frau Griebel zu dem Mädchen, das mit weggewendetem Gesicht ruhig das Zusammenpacken der Utensilien beendete und nun den Korbdeckel darüber legte. »Das ist ja nun freilich ganz gut und[134] praktisch bei einem Malheur, wie es unserem Herrn da passiert ist – da konnte sie dich doch nachschicken! Sie selbst dürfte es natürlich nicht probieren, bis hierher, in die Herrenstube zu kommen – das wäre eine schöne Blamage für eine Amtmannsnichte! Hui, da möchte ich meine Trabanten in Stall und Küche hören!«
Ein flammendes Erröten schoß dem Mädchen in die Wangen, und ihre beiden Hände fuhren rückwärts, nach den verknoteten Zipfeln ihres großen weißen Busentuches, um sie zu lösen.
»Was reden Sie da?« fuhr der Gutsherr scharf und zornig auf. »Wo bleibt der gesunde Sinn meiner braven Griebel? – Ich frage, welcher vernünftige Mensch möchte sich wohl dem urteilslosen Gewäsch Ihrer ›Trabanten in Stall und Küche‹ unterordnen? – Die ärztliche Hilfe, gleichviel, wer sie ausübt, steht über dem Verband des gesellschaftlichen, oft recht albernen Herkommens! Das wären mir die rechten Helfer, die einem Ertrunkenen oder Verblutenden gegenüber erst erwägen, ob sich der ärztliche Beistand auch für sie schicke!«
»Na, mit dem Verbluten war's so gefährlich nicht, Herr Markus,« entgegnete Frau Griebel mit unzerstörbarer Ruhe und nicht im mindesten empfindlich. »Ihre schöne Rede in Ehren, aber so ganz zutreffend war sie doch nicht. Und dem guten Ruf einer Dame kann auch die grobe Gesellschaft, die ich meine, eine Schlappe beibringen – dabei bleibe ich – gerade so wie das nichtsnutzige Mäusevolk in das schönste Seidenkleid seine Löcher knabbert, ohne den Kuckuck danach zu fragen, ob es vornehm ist oder nicht! ... Sie sollten nur einmal die Klappermühlen in der Gesindestube hören, zum Beispiel über diese da;« – sie zeigte auf das Mädchen – »aber ich will mir den Mund nicht wieder verbrennen – i Gott bewahre – ich bin still!« unterbrach sie sich.
»Darum möchte ich auch recht sehr bitten,« sagte Herr Markus mit finsterem Ernst.
»Du meine Seele, Sie nehmen ja das so ernsthaft, wie ein Advokat, Herr Markus! – Ja gelt, nun ist die brave Griebel' auf einmal ein alter Drache, der der lieben Jugend spinnefeind ist? – ich kann mir's schon denken! Aber so bin ich nicht, nein, so bin ich nie gewesen. Schöne junge Mädels haben mir's mein Lebtag angethan, auch in meiner Jugend, und ich hab' vielleicht gerade um deswegen so gern an so einer Schlanken in die Höhe gesehen, weil ich selber keine Schöne gewesen bin – halt immer so ein kleiner, dicker, runder Knopf, wie heute noch; na, meinem Peter[135] war ich doch recht so! ... Na ja, wie ich sage – und in der Seele leid hat mir's immer gethan, wenn's mit so einer, die ich in mein Herz geschlossen hatte, auf einmal ein Häkchen gehabt hat und die Leute haben mit Fingern auf sie gewiesen – du brauchst dich nicht auf die Seite zu drücken« – wandte sie sich nach dem Mädchen zurück, das leise hinter ihr wegging und die Altanthür zu gewinnen suchte, und wie neulich auf dem Fahrweg bei der Schneidemühle hielt die dicke Frau den Schürzenzipfel der Fortstrebenden fest. »Das, was ich da sage, paßt auch auf dich, ja gerade auf dich! ... Jetzt, wo du das Scheuleder nicht über dem Kopfe hast, jetzt sieht man erst, was an dir ist! Du bist eine schöne Person, das muß dir der Neid lassen! Meiner Treu, so ein Gesicht kann man weit und breit suchen –«
Sie verstummte für einen Moment buchstäblich verblüfft, denn das Mädchen riß sich bei den letzten Worten das Halstuch ab und warf es verhüllend über den Kopf. Nun aber übermannte ein heiliger Zorn die gleichmütige Frau. »Was? Bist du denn eine Katholische, eine Klosternonne, daß du gar so penibel thust? Ist's denn ein Unglück oder eine Schande, wenn dir eine ehrbare Frau in dein Gesicht guckt? – Tausendsapperment, was für eine Heilige! Sag' 'mal, bist du denn auch im Forstwärterhaus solch ein scheuer Vogel?« –
Ein lauter Ausruf Luises schnitt diese kräftige Strafrede ab ... Bei der heftigen Bewegung des Mädchens war ihr das gelöste Samtband vom Halse auf den Teppich herabgeglitten. Sie selbst, so wenig wie die erbitterte Frau hatte acht darauf gehabt; mit desto mehr Spannung aber war Herr Markus dem Herabgleiten des Bandes gefolgt, und nun griff er hastig zu und nahm es vom Boden auf – eine Goldmünze hing daran, bei deren Erblicken Klein-Luischen den Jubelruf ausgestoßen hatte.
In diesem Augenblick fiel aber auch der Blick des Mädchens auf das am Bande schaukelnde Goldstück. Sie fuhr mit beiden Händen prüfend nach ihrem Halse. »Der Henkeldukaten ist mein!« erklärte sie gelassen und streckte die Rechte danach aus.
»So? Dein? – Hör' 'mal, Mädel, das will mir nicht in den Kopf! – Wie kämst du denn zu einem solchen Wertstück?« fragte Frau Griebel, indem sie ihre verschüchterte Luise ruhig beiseite schob, um die Sache selbst auszufechten. »Den Henkeldukaten da kenne ich so gut wie meine Tasche – er gehört meiner Luise, so gewiß, wie zweimal zwei vier ist ... Solche uralte Familienstücke laufen nicht[136] herdenweise in der Welt 'rum – unsere alte Dame hat das selber gesagt, wie sie meiner Kleinen am Konfirmationstage den Dukaten um den Hals gebunden hat – das war gar feierlich dazumal, mich überläuft's noch kalt, wenn ich dran denke. Und nun sag's nur – 's ist ja weiter kein Unglück – gelt, du hast den Henkeldukaten draußen vor dem Hause gefunden, und es hat dich gelockt, auch einmal zu probieren, wie dir so ein hübsches Geflinkere zu Gesicht steht?« –
Das Mädchen wurde blaß über das ganze Gesicht. »Gefundenen Schmuck tragen, ist so gut wie stehlen,« preßte sie hervor.
»Ach was – ›stehlen‹!« wiederholte die kleine Dicke kopfschüttelnd. »Wer sagt denn das, närrisches Mädel du? – So siehst du nicht aus! – Eine erfahrene Frau, wie ich, weiß auf den ersten Blick, wo Barthel den Most holt. Verstündest du dich aufs Muscheln und Mausen, da hättest du dir auch schon bessere Sachen auf den Leib geschafft ... Aber du bist jung, und da ist das bißchen Eitelkeit zu entschuldigen. Ich trag' dir's auch nicht nach, Gott bewahre! Bin ich doch heilfroh, daß wir unsern Henkeldukaten wieder haben! – Ein andermal binde ihn aber auch fester, Luise!«
»Diesen Henkeldukaten keinesfalls!« erklärte das Mädchen fest. »Dann trüge Ihr Töchterchen ja auch einen Schmuck, der ihr nicht gehört ... Er ist seit Jahren mein Eigentum,« wandte sie sich ernst an den Gutsherrn – »und – nun, es muß ja gesagt und bewiesen sein – er stammt auch aus dem Besitz der verstorbenen Frau Oberforstmeisterin. Sehen Sie sich die Prägung an – es ist eine der ersten sizilianischen Goldmünzen aus dem zwölften Jahrhundert –«
»Ganz recht,« bestätigte er. »Ich kenne sie und ihre Umschrift lautet: ›Sit tibi, Christe, datus,« –
»Quem tu regis, iste Ducatus‹,« vollendete sie.
Er lächelte und legte den Henkeldukaten in ihre Hand. »Es bedurfte dieser Beweisführung nicht ... Nur über eines wundere ich mich: daß Ihre egoistische Herrin auch Anwandlungen von Großmut haben kann und ihre Dienerin mit dem hübschen Andenken der verstorbenen alten Freundin schmückt.«
Das Mädchen schwieg errötend, und das unter dem Kinn gebundene Tuch wieder aufknüpfend, legte sie sich das Band um den Hals.
»Und das soll ich nun wirklich geduldig und stumm wie ein[137] Stockfisch mit ansehen?« rief Frau Griebel empört und zeigte nach den braunen Fingern des Mädchens, wie sie hastig die Bandzipfel zu einem Knoten verschlangen. »Ich soll es leiden, daß sich Amtmanns Magd vor meinen Augen den Henkeldukaten umbindet, den meine Luise seit drei Jahren alle Tage an ihrem Hälschen getragen hat? Und das bloß, weil die Aparte dort pfiffig genug gewesen ist, sich das Verschen zu merken, das drauf steht? – Ich könnt's freilich nicht hersagen – nicht um die Welt, und wenn Sie mich totschlügen, Herr Markus! So fremdes Kauderwelsch ist nie meine Sache gewesen; ich bin gut deutsch – was geht mich der französische Quark an?«
»Es ist ja Latein, Mama!« lachte Klein-Luischen und schlang ihre hübschen Arme um die Schultern der erregten Frau.
»Ach, meinetwegen, französisch oder lateinisch, das ist mir ganz egal! Und geh nur weg, du Schmeichelkatze; diesmal lasse ich mich nicht 'rumbringen! ... Schön ist's nicht von Ihnen, Herr Markus, daß Sie dem hergelaufenen jungen Ding gegen eine rechtschaffene Frau überhelfen! Und der König Salomo in der Bibel hätten Sie dazumal auch nicht sein dürfen – nichts für ungut, Herr Markus, aber zu einem Urteil gehören auch Beweise! – Ja, lachen Sie nur, lachen Sie immerzu – ich nehm's Ihnen gar nicht übel! Weiß ich doch, daß ich zuletzt lache! ... Das Mädchen sagt, der Henkeldukaten sei auch von unserer seligen Dame – Amtmanns neue Magd aber, wie sie dasteht, ist erst in den Hirschwinkel gekommen, nachdem die Frau Oberforstmeisterin längst begraben war. Hat die Selige vielleicht Henkeldukaten vom Himmel 'runtergeschüttelt, und noch dazu für eine, die ihr Brot unter den Leuten suchen muß, für eine, die sie bei Lebzeiten mit keinem Auge gesehen hat? Machen Sie mir doch so etwas nicht weis! ... Und wieviel solcher Dukaten soll denn die alte Dame gehabt haben? Man kann sich doch nicht den ganzen Hals damit bepflastern, man trägt doch allemal nur einen –«
»Man trägt auch neun an einer goldenen Halskette, wie eine solche im Nachlaß meiner Tante vorhanden ist, verehrteste Griebel!« fiel der Gutsherr mit einem Gemisch von Humor und Aerger ein. »Ich werde Ihnen in der That nachher die verlangten Beweise bringen – Sie sollen sich selbst überzeugen, daß zwei Goldmünzen an der Kette fehlen, und es ist wohl kein Zweifel, daß die eine auf das Vorwerk verschenkt worden ist. Oder wollen Sie leugnen, daß dort Leute wohnen, die der Verstorbenen auch nahe gestanden haben? –«[138]
»Ei, wie werde ich denn das wollen? – Also wirklich, neun Stück an einer Kette, und alle egal?« fragte sie kleinlaut und betroffen. »Je nun, das hab' ich nicht gewußt,« entschuldigte sie sich achselzuckend. »Unsere alte Dame war keine, die sich gern putzte und mit ihren Schmucksachen behing – du lieber Gott, für wen denn auch? Bei der Tillröder Kirmse, die auch für den Hirschwinkel mit gilt, war das obere Stockwerk im Gutshause immer zwei Tage lang fest verschlossen, und keine Maus, geschweige denn ein Kirmsengast, hätte auch nur ein Kuchenkrümchen im Speiseschrank über uns gefunden – Gesellschaftstrubel und Staatmachen waren eben nicht ihre Sache! ... Na ja, da wird's schon so sein! Den andern Henkeldukaten hat die Frau Amtmann, oder vielleicht auch Fräulein Franz gekriegt ... Aber da frage ich nun, wie kommt er denn an den Hals da – weißt du's vielleicht, Jüngferchen?« wandte sie sich über die Schulter nach dem Mädchen hin. »Ich soll doch nicht etwa denken, daß die Damen auf dem Vorwerk es ruhig mit ansehen, wenn sich die Magd ihre Schmucksachen umbindet? Und noch dazu in der Woche, beim Heumachen und Scheuern, und zu dem verschossenen Fähnchen da, das dir nächstens vom Leibe fällt – 's ist der reine Spektakel –«
»Aber, Mama!« fiel ihr Luise mit sanfter Mahnung ins Wort. Die Augen des jungen Mädchens hingen unverwandt an der »Aparten«, welche bei allen Demütigungen, die sie hinnehmen mußte, nicht einen Moment ihre stolz reservierte Haltung verlor. »Das klingt alles so verletzend – du bist doch sonst so gut und mitleidig und kannst kein nasses Auge sehen! – Die Damen auf dem Vorwerk haben den Henkeldukaten jedenfalls verschenkt –«
»Verschenkt!« wiederholte Frau Griebel ärgerlich. »Da piept nun solch eine Grasmücke und denkt wunder was sie für eine Weisheit ausgekramt hat, und es ist doch ohne Sinn und Verstand gewesen ... Du lieber Gott, auf dem Vorwerk, wo Schmalhans Küchenmeister ist, wo sie nachmittags nicht einmal ein Töpfchen Kaffee ans Feuer zu rücken haben, und wo der alte Herr in einem Schlafrock 'rumläuft, der mit seinen tausend Flicken die reine Landkarte vorstellt – da werden sie wohl den Dienstboten Dukaten schenken – jawohl, Dukaten! ... Gänschen du! Nasse Augen kann ich freilich nicht sehen; aber sieh dir einmal die schwarzen dort an! die haben keine Thräne –«
Sie hielt inne und sah nach dem Gutsherrn, der unterbrechend die Hand gegen sie ausstreckte; aber sein böses Gesicht schüchterte[139] sie nicht ein. »Na, was haben Sie denn an meiner Rede auszusetzen, Herr Markus?« fragte sie ganz gemütlich. »Sieht denn das verstockte Mädel dort aus, als hätte sie je in ihrem Leben nasse Augen gehabt? Nichts als der Hochmutsteufel sitzt drin – die sehen auf unsereinen 'runter, wie auf den Staub am Wege! Mit solchen hab' ich kein Mitleiden – ich müßte heucheln, wenn ich's sagen wollte ... Im übrigen will ich mich nicht weiter ärgern! Unser Henkeldukaten ist's nicht, das sehe ich ja wohl ein, und wem der andere gehört, das ist nicht meine Sache. Die guten Leute drüben mögen doch selber aufpassen – ich bin nicht Schatz- und Kronhüter auf dem Vorwerk!«
Sie trat an den Tisch und fing an, das mitgebrachte Geschirr zu ordnen, und das Mädchen ging hinaus. Vergebens bog sich Herr Markus vor, ihre Augen suchend – das Gesicht war verschlossen und undurchdringlich wie von Stein. Sie hob die Wimpern nicht und schritt an ihm vorüber, die Treppe hinab.
Wie magnetisch hingezogen, ging Luise ihr nach und blieb auf dem Altan stehen. »Gehen Sie nicht im bösen!« rief sie halblaut und bittend hinab.
Das Mädchen, das eben unter dem Altan wegging, sah weder auf, noch machte sie die geringste Bewegung, die bewiesen hätte, daß sie den Zuruf beachte.
»Bemühen Sie sich nicht, Klein-Luischen!« sagte der Gutsherr, der auch herausgetreten war, laut und anzüglich, »das macht Ihre kindliche Bitte nicht wieder gut. Der Unschuldige muß mit dem Schuldigen leiden – das ist so Frauenart ... Ich bin auch in Acht und Bann gethan, weil ich meinte, jedes verteidigende Wort sei, solchen Anschuldigungen gegenüber, eigentlich eine Beleidigung.«
»Geh herein, Luise, und mache keine dummen Streiche!« gebot Frau Griebel kurz und trocken vom Tisch herüber. »Lasse sie doch laufen, die Aparte! Da soll man wohl auch noch, wie bei Hofe, die Worte auf die Goldwage legen, wo doch ein Blinder sieht, daß die Geschichte mit dem Henkeldukaten faul ist ... Herr Markus, das ist eine Magd, wie andere Mägde auch, und weil sie sich so ein Air zu geben weiß, da brauchen Sie nicht gleich zu thun, als wär' sie womöglich die Amtmannsnichte selbst. Damit verdirbt man nur die Leute, und es ist nachher gar kein Aushalten mehr mit dem Gesinde.«
Mit diesen Worten kam sie auch näher an die Altanthür,[140] wobei sie an dem Trinkglas, welches die Mischung von Himbeer und Selterwasser aufnehmen sollte, wischte und putzte. »Wissen[141] möchte ich eigentlich, wo die Junge auf dem Vorwerk das Mädchen aufgelesen hat! Mir kommt sie immer vor, als müßte sie von einer Zigeunergesellschaft weggelaufen sein. Sie kann so allerhand Künste, wie man an dem Verband da sieht; sie spricht so fremd und närrisch und – sehen Sie doch hin, wie sie dort am Hölzchen geht! Das Tuch fällt ihr vom Kopfe, und sie merkt es nicht einmal – richtig! dort bleibt's am Wege liegen! – Na ja, da haben wir's, das richtige leichtsinnige Zigeunerblut! ... Und hat sie nicht so brandschwarze, dicke Haare, wie die Tatern?2 – Sie funkeln ordentlich in der Sonne ... Ja, schlank und blank und geschmeidig wie die Eidechsen ist das Taternvolk – die alten Hexen stehlen den Weibern das Portemonnaie aus der Tasche, und den jungen Männern gar oft das Herz aus dem Leibe ... Passen Sie nur auf, Herr Markus, die Geschichte mit dem Henkeldukaten ist noch nicht zu Ende – wir werden noch 'was erleben!«
»Warten wir's ab!« schnitt er ihre Rede kurz und barsch ab und griff nach den Büchern auf dem Tische, welche das Mädchen gebracht hatte.
»Na ja, etwas anderes wird uns auch nicht übrigbleiben – aber viel Geduld werden wir nicht brauchen,« sagte sie trocken und sah ihm kopfschüttelnd nach, wie er mit den Büchern das Gartentreppchen hinab nach dem Gutshause ging und sie mit all ihren herbeigeschleppten Herrlichkeiten allein im Pavillon stehen ließ. Später aber wurde sie ernstlich böse, denn der Gutsherr war direkt aus dem oberen Stock in den Wald hineingegangen, wie die Mägde sagten.
Und Herr Peter Griebel schmunzelte – er setzte sich eben zum Vesperbrot unter den Birnbaum im Hofe nieder – und drehte gemütlich die Daumen umeinander, wie sie vor ihn hintrat und in etwas beschleunigtem Tempo sagte: »Der gute Mann denkt wohl, die Griebel sei expreß für ihn auf die Welt gekommen? Ja, prosit! – Da hab' ich nun bei der Hitze und Glut den Kaffee fertig gemacht, bin in den Keller nach Selterwasser gerannt, hab' ein selbstgesponnenes, noch ganz schönes Betttuch seinetwegen zerschnitten – das wurmt mich am allermeisten! – und in allen Kasten und Schränken nach der Arnika gesucht, und das alles – für die Katze! Er soll mir nur wiederkommen!«[142]
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