1778.
Segen Gottes dem Mann, Segen des Enkels ihm,
Und die Thräne des Danks ferner Jahrhunderte,
Welcher schattende Wipfel
Dir, o fröhlicher Hügel, gab!
Und das duftende Grün deiner Gesträuche, die,
Zweig geschlungen in Zweig, labende Kühlung streun,
Und das Schnekkengewinde
Deines blühenden Hekkengangs.
Ueberirrenden Bliks, schauet mein Aug' umher,
Ob kein Taxusgebild oder ein Buchsbaumrand
Deine Schönheiten fälsche,
Und, o Freude! ich späh' umsonst!
[45]
Ungeschminkte Natur, eben so wunderschön
Als in deinem Gefild, glükliches Schweizerland,
Deinen blumichten Thalen,
Und bewipfelten Felsenreihn,
Weilt im Maiengewand, mütterlichliebevoll,
Nachtigallen im Schoos, Blumen um ihrer Stirn,
Hier im traulichen Schatten
Melancholischen Fichtengrüns,
Winkt und lächelt mir zu, winket und lächelt sanft,
Schüttelt Blüthen herab, säuselt um mich herum,
O ich folge, ich folge,
Allbelebende Göttin, dir!
Sieh! den Hügel hinan leitet die Göttin mich,
Auf dem einsamen Pfad dämmernder Schattennacht,
Zeigt des fröhlichen Hügels
Ganze Fülle der Schönheit mir!
Laubgewölbe voll Duft, welche dem Rastenden
Kühlung bieten und Ruh', Rasen dem Schlummerer,
Ueberhüllet von Geisblatt
Oder rankendem Wintergrün;
Und vom Gipfel herab, blühend wie Edens Flur,
Das gesegnete Land, welches im Goldpallast
Und in dörflicher Hütte
Himmelselige Wohner nährt!
[46]
Sag, o Hügel, mir an, warest vom Anbeginn
Du von Düften bewölkt? sproßten dir Blumen auf?
Und entwehte die Kühle
Deinem zitternden Laube stets?
Baumlos ragtest du einst, naket und dürftig auf,
Sparsam keimte dein Gras unter dem Sand' hervor,
Disteln zischten im Winde,
Und dein Gipfel war schattenleer!
Aber Blumen entblühn, Lauben bekleiden sich,
Bäume treiben empor, lachender Mai beginnt,
Wenn im Herzen des Edlen
Nachweltliebe zu Thaten keimt.
Solche Seelen belohnt, wenn in der Rasengruft
Ihre Hülle von Staub lange der Ernte reift,
Manches fühlenden Mädchens
Einsamdankende Zähre noch.
Segen Gottes dem Mann, Segen des Enkels ihm
Und die Thräne des Danks ferner Jahrhunderte,
Welcher schattende Wipfel
Dir, o fröhlicher Hügel, gab.
Buchempfehlung
Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro