Vierzehnter Auftritt


[74] Die Vorigen.

Der Scheik der Todeskarawane erscheint im Hintergrunde, wird aber zunächst nicht bemerkt.


SCHĒFAKĀ.

Es hindert mich. Ich kann mich nicht bewegen,

Und wenn ich das nicht tu, so hört man nichts.


Sie versucht, majestätisch hin und her zu gehen, was ihr aber nicht gelingt. Sie hebt dabei das Kleid hoch auf. Man hört bei jedem Schritte die Spangen klirren, weil sie stampft. Sie rezitiert dazu.


»Wenn du wie eine Fürstin vor mir schreitest,

Klingt dir am Fuß die Spange von Sirgūlla.«

Sie klingen wirklich, Scheik, die goldnen Spangen.


Stampft.


Jedoch die Majestät, die fehlt mir noch.

Drum gib mir deinen Arm, und führe mich.

Du bist der Geist; da bringe ich es besser.


Sie zieht ihn mit sich fort und geht mit ihm mißlungen-stolzen Schrittes auf und ab. Er findet sich hinein und denkt an das Gewand, welches er als Modell zum »Geiste« getragen hat. Indem er die

einzelnen Teile desselben nennt, beschreibt er sie durch lebhafte Handbewegungen.


SCHEIK mit hoher Würde hin und her schreitend.

Ich bin der Geist, im Mantel von Elissa!

SCHĒFAKĀ versucht, es ihm nachzumachen.

Und ich die Seele! Gold aus Babylon![74]

SCHEIK.

In königlicher Mārakānda-Seide!

SCHĒFAKĀ.

Mit Steinen, die Schamūramāt einst trug!

SCHEIK.

Im Haar den Götterreif von Ēridū!

SCHĒFAKĀ.

Mit zauberschweren Āltupīrti-Ketten!

SCHEIK.

Ein Gürtel von geweihter Schlangenhaut!

SCHĒFAKĀ.

Und Perlen aus der Zeit der Sündenflut!

SCHEIK.

Und endlich gar die scharfe Sūri-Klinge!

SCHĒFAKĀ ihn nach dem Alabaster führend.

Und bin ich müd, so winkt mir süße Ruhe

Auf weißem Alabaster von Martū,

Auf dem ich wie ein holder Königstraum

Aus Āgadī zu euch hinüberschlummre.


Legt sich hin.


Da liegt der Traum!


Sieht dabei nun den Scheik der Todeskarawane, richtet sich schnell wieder auf, deutet nach ihm und ruft.


Ein Fremder dort, ein Fremder!

SCHEIK greift, als er den sehr ärmlich Gekleideten sieht, nach der Peitsche.

Wer bist du, Mensch?

BABEL.

Wer brachte dich hierher?[75]

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Ich bin der Scheik der Todeskarawane.

SCHĒFAKĀ in heftigem Schreck.

Der Scheik der To – – – Allāh beschütze uns!


Eilt zu ihrem Vater und duckt sich hinter ihm nieder. Während die »Seele« sich derart in den Schutz der »Wissenschaft« flüchtet, verschwindet in demselben Augenblicke Mārah Dūrimēh, nur von den Zuschauern gesehen, von ihrem Platze und deutet damit an, daß nun ein selbständiger, mündiger Geist in die Handlung einzugreifen beginnt. Der Scheik der Todeskarawane wird durch den Anblick dessen, was er hier so plötzlich vor sich sieht, in eine gewaltige, innere Bewegung versetzt. Er hat dies dem Zuschauer ahnen zu lassen, ohne aber dieser

Aufregung äußere Zeichen zu verleihen, die gegen seinen Charakter und seine Rolle verstoßen würden. Diese letztere ist so schwer, daß sie nur von einem Meister gegeben werden kann, dem es gelingt, durch die kleinste Bewegung Großes zu sagen und trotz der sprechendsten Geste verschwiegen zu bleiben. Er geht langsam einige Schritte vorwärts, wie ein Träumender, und doch Alles, was er sieht, wie mit den Augen verschlingend. Dann bleibt er stehen und grüßt die Anwesenden, natürlich orientalisch.


SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Salām!

SCHĒFAKĀ zaghaft.

Salām!

BABEL züruckhaltend.

Salām!

SCHEIK DER TODESKARAWANE zum Scheik, der ihm nicht danke.

Ich grüßte dich!

SCHEIK weicht vor ihm bis an den Thron zurück, auf den er sich setzt.

Es stinkt so plötzlich hier!

SCHEIK DER TODESKARAWANE horcht beim Klange dieser Stimme auf, zu Babel und Schēfakā.

Wo ist der Scheik?[76]

SCHĒFAKĀ hinter ihrem Vater hervor, weil dieser mit der Antwort zögert.

Auf seinem Throne da.

SCHEIK DER TODESKARAWANE ohne nach dem Scheik zu schauen.

Wer bist denn du?


Er geht zu ihr hin, zieht sie hinter ihrem Vater hervor und betrachtet sie lächelnd, aber mit ungewöhnlichem Interesse. Dabei dreht er sie um sich selbst, bis sie ihm das Gesicht wieder zuwendet. Sie antwortet sehr schüchtern, bei jeder dieser Drehungen einen Satz.


SCHĒFAKĀ.

Ich heiße Schēfakā – – – die »Menschenseele« – – –

Bin Babels Tochter – – – bin das »Schreckenskind«.

SCHEIK DER TODESKARAWANE humoristisch.

Das glaube ich!


Ernst fortfahrend.


Die »Seele« war von je

Das Schreckenskind des menschlichen Gehirnes.

Der Schreckensvater aber ist der Geist,

Der sogenannte Geist – – –

SCHEIK aufbegehrend.

Wen meinst du da?


Der Scheik der Todeskarawane horcht, ohne ihn anzusehen, beim Klange dieser Stimme wieder auf. Er lauscht wie in weite Ferne und läßt seinen Blick ganz eigenartig umherschweifen.


SCHĒFAKĀ Mut gewinnend.

Was suchest du?

SCHEIK DER TODESKARAWANE mit umherirrender, aber keineswegs unsicherer Aufmerksamkeit.

Ich suche Alles, Alles!

SCHĒFAKĀ.

So sage, was?

SCHEIK DER TODESKARAWANE betrachtet sie von oben bis unten.

Ich sah dich schon einmal – – –

Doch aber du – – – du bist es nicht gewesen.[77]

SCHEIK befehlend.

Von welchem Stamme bist du?

SCHEIK DER TODESKARAWANE ohne sich nach ihm umzudrehen.

Das weiß ich nicht.

SCHEIK spuckt verächtlich aus.

Wie heißest du?

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Ich habe keinen Namen.

SCHEIK wieder ausspuckend.

Der Name deines Vaters?

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Unbekannt.

SCHEIK spuckt zum dritten Male aus.

O Schmach, o Schmach! O Schande über Schande!

SCHEIK DER TODESKARAWANE zu Schēfakā, indem er mit dem Kopfe hinter sich nach dem Scheike winkt.

Auch diesen sah ich schon – – – mit seiner Peitsche!

Was spieltest du mit ihm, grad als ich kam?

SCHĒFAKĀ mit einem Anfluge von Stolz.

Wir spielten Geist und Seele – – – die bin ich.

BABEL geht nach seinem Platze, deutet auf den Scheik.

Und er, er ist der Geist!

SCHEIK DER TODESKARAWANE wendet sich endlich dem Scheik zu.

Der Geist! Der Geist!


Indem er dies sagt, geht er einen Bogen um den Scheik und nimmt ihn scharf in die Augen. Dann lehnt er sich an einen Mauerrest und spricht weiter.


Zu Märdistān, im Walde von Kulūb,

Liegt einsam, tief versteckt, die Geisterschmiede.[78]

BABEL.

Da schmieden Geister?

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Nein, man schmiedet sie!

Der Sturm bringt sie geschleppt, um Mitternacht,

Wenn Wetter leuchten, Tränenfluten stürzen.

Der Haß wirft sich in grimmer Lust auf sie.

Der Neid schlägt tief ins Fleisch die Krallen ein.

Die Reue schwitzt und jammert am Gebläse.

Am Blocke steht der Schmerz, mit starrem Aug

Im rußigen Gesicht, die Hand am Hammer.


Zum Scheik.


Da, jetzt, o Scheik, ergreifen dich die Zangen.

Man stößt dich in den Brand. Die Bälge knarren.

Die Lohe zuckt empor, zum Dach hinaus,

Und Alles, was du hast und was du bist,

Der Leib, der Geist, die Seele, alle Knochen,

Die Sehnen, Fibern, Fasern, Fleisch und Blut,

Gedanken und Gefühle, Alles, Alles

Wird dir verbrannt, gepeinigt und gemartert

Bis in die weiße Glut – – –

SCHEIK aufschreiend.

Allāh – – – Allāh!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Schrei nicht, o Scheik! Ich sage dir, schrei nicht!

Denn wer da schreit, ist dieser Qual nicht wert,

Wird weggeworfen in den Brack und Plunder

Und muß dann wieder eingeschmolzen werden.

Du aber willst zum Stahl, zur Klinge werden,

Die in der Faust des Parakleten funkelt,

Sei also still! – – – – – – – – – –[79]

– – – – Man reißt dich aus dem Feuer – – –

Man wirft dich auf den Ambos – – – hält dich fest.

Es knallt und prasselt dir aus jeder Pore.

Der Schmerz beginnt sein Werk, der Schmied, der Meister.

Er spuckt sich in die Fäuste, greift dann zu,

Hebt beiderhändig hoch den Riesenhammer

Und nun – – –

SCHEIK schreit auf.

Allāh – – – Allāh!

SCHĒFAKĀ ist der Schilderung mit grauenvoller Spannung gefolgt, warnt den Scheik.

Sei still, sei still!

Willst du ins alte Eisen?

SCHEIK.

Nein!

SCHĒFAKĀ.

So schweig!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Die Schläge fallen. Jeder ist ein Mord,

Ein Mord an dir. Du meinst, zermalmt zu werden.

Die Fetzen fliegen heiß nach allen Seiten.

Dein Ich wird dünner, kleiner, immer kleiner,

Und dennoch mußt du wieder in das Feuer – – –

Und wieder – – – immer wieder, bis der Schmied

Den Geist erkennt, der aus der Höllenqual

Und aus dem Dunst von Ruß und Hammerschlag

Ihm ruhig, dankbar froh entgegenlächelt.

Den schraubt er in den Stock und greift zur Feile.

Die kreischt und knirscht und frißt von dir hinweg

Was noch – – –

BABEL einfallend.

Halt ein![80]

SCHEIK aufspringend.

Halt ein!

SCHĒFAKĀ bittend.

Es ist genug!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Es geht noch weiter, denn der Bohrer kommt,

Der schraubt sich tief – – –

SCHEIK.

Sei still! Um Gottes willen!

SCHEIK DER TODESKARAWANE geht auf den Scheik zu, bleibt hart vor ihm stehen und fragt.

Du bist in Märdistān gewesen?

SCHEIK weicht vor ihm zurück.

Nein!

SCHEIK DER TODESKARAWANE folgt ihm auf dem Fuße und nimmt ihn scharf in das Auge.

Im Walde von Kulūb?

SCHEIK tritt weiter zurück.

Noch nie, noch nie!

SCHEIK DER TODESKARAWANE folgt ihm wieder.

Nicht in der Geisterschmiede?

SCHEIK weicht noch weiter.

Niemals! Nein!

SCHEIK DER TODESKARAWANE folgt ihm.

Und nennst dich Geist? Und schämst dich, mich zu grüßen?


Hält ihm die Hand hin.


Salām?

SCHEIK weicht immer weiter zurück und wird immer verlegener.

Nur Männer pflegen sich zu grüßen.

Wo hast du deine Waffen?[81]

SCHEIK DER TODESKARAWANE folgt ihm immer wieder, macht die ausgestreckte Hand bedeutungsvoll zur Faust und schüttelt sie.

Hier!


Öffnet die Hand wieder und hält sie ihm hin.


Salām?

SCHEIK retiriert noch immer, und der Scheik der Todeskarawane folgt ihm. Die Blicke beider sind wie ineinander gebohrt.

Schaff deine Augen weg! Ich mag sie nicht!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Zum letzten Mal: Salām?!

SCHEIK ist an eine Mauer getrieben worden, kann also nicht weiter zurückweichen, vermag auch nicht länger, dem auf ihn gerichteten, zwingenden Blick zu widerstehen. Er schlägt also ein und sagt.

Salām!

SCHEIK DER TODESKARAWANE zwingt den Scheik zu einem nochmaligen Drucke der Hand.

Salām!

SCHEIK wohl oder übel einstimmend.

Salām![82]

Quelle:
Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten von Karl May. Freiburg i.Br. 1906, S. 74-83.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
Babel und Bibel: Arabische Fantasia in zwei Akten

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