Zweiundzwanzigster Auftritt


[97] Die Vorigen.

Es ist vollständig dunkel geworden. Die Szene wird nur von dem flackernden Herdfeuer Schēfakās erleuchtet. Das gibt gespenstige Schatten. Das Läuten der Gebetsbretter kommt näher. Es stellen sich Beter und Neugierige ein, die vom Scheike zur Herstellung von Sitzen angehalten werden. Ihren vereinten Kräften gelingt es auch, den schweren, sechstausend Jahre alten Thron umzudrehen, auf den sich der Scheik zu setzen hat, das Gesicht nach dem Zelt gerichtet. Um diese Vorbereitungen zu beleben und interessanter zu machen, kommen die Nachbildungen des Scheik, des Imām, des Kādi und Babels beliebig wieder aus dem Zelte, um irgend Etwas zu besorgen oder nachzuholen. Es gerät für einige Augenblicke Alles durcheinander, bis die Phantasie im Zelt verschwindet und alle Spieler ihr folgen. Da setzt sich der Scheik auf den Thron. Rechts und links von ihm und überall setzen sich die Andern nieder, doch so, daß sie dem Publikum die Schattenbilder nicht verdecken. Es wird still. Die Stimme des Vorbeters erschallt hinter der Szene. Er tritt herein und singt:


Heeehhh alas salāh! Heeehhh alal = felāh! Auf zum Gebete! Auf zum Heile! Heeehhh alas salāh! Heeehhh alal = felāh! Allāh akbar! Allāh hu!


Während er dies singt, erscheinen hinter ihm seine Adjuvanten, denen der Scheik zuruft.


STIMME DES SCHEIK.

Das »Ūmehā!« Und dann an eure Plätze!


Der Vorbeter kniet nieder, hinter ihm die mit ihm Gekommenen. Hierauf beginnt das »Ūmehā« mit den bekannten Verneigungen. Nach einiger Zeit sieht man, daß die Beter sich von den Knieen erheben und, ohne mit dem »Ūmehā« aufzuhören, ihre Zuschauerplätze[97] längs der beiden Seiten aufsuchen. Schēfakās Feuer verschwindet, und es wird für kurze Zeit vollständig dunkel.

Da plötzlich fällt von innen Licht auf den Vorhang der Männerabteilung des Zeltes, und man sieht die am Boden sitzenden Schatten des Scheik, des Imām, des Kādi und Babels, welche auch mitbeten und sich sehr eifrig nach dem Takte des »Ūmehā« verneigen. Hinter ihnen viele Andere. Dann hört das »Ūmehā« mit einem Schlage auf. Es ist Alles still. Die Schatten verneigen sich nicht mehr. Sie sitzen bewegungslos und lauschen nach der dunklen Frauenabteilung hin, aus welcher es leise, wie mit Ketten, klirrt. Das Klirren wird lauter. Die gefesselte Bibel,

verschleiert, tritt hinter dem dunkeln Vorhange hervor, tut einige Schritte seitwärts bis zur Mitte des erleuchteten Vorhanges, wobei ihr die Aufmerksamkeits-Bewegungen der hinter diesem Vorhange befindlichen Schattenspieler zu folgen haben, und spricht.


»Laßt uns die heilge Fāt'ha beten!«


Da erklingen die Harfen im Innern des Turmes. Die Bibel hebt die Hände und betet.


»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichtes! Dir wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich freuen und nicht – – – – –«


Sie kommt nicht weiter, denn der Schatten des Scheik springt hinter ihr von seinem Sitze auf, knallt zornig mit der Peitsche und schreit, während die Harfenklänge sofort verstummen und die Bibel schnell wieder im Dunkel der rechten Zelthälfte verschwindet.


SCHATTEN DES SCHEIK.

Was fällt dir ein, du Wurm, du Laus, du Milbe!

Wasch dir den Mund mit Seife von Ischnān,

Doch wage niemals, so mit Gott zu sprechen,

Als ob er wenigstens dein Freund und Vetter,

Wohl gar der Onkel deiner Tante sei.

Du hast nach meinem Formular zu beten,

Kein Wort zu viel und keines davon weg;

Allāh ist Herr, und was ich will, geschieht!

Ich will das »Ūmehā« noch einmal hören!


[98] Das »Ūmehā« beginnt zum zweitenmal, und der Schatten des Scheik schlägt mit der Peitsche genau so den Takt dazu, wie er es beim Nachmittagsgebete getan hat. Dann gibt er das Zeichen, aufzuhören und spricht.


Das mag genügen! Merkt euch diese Lehre,

Und betet nach der altbewährten Weise!

Das schnappt und klappt! Das ist so fest gefügt!

Das bricht sich Bahn! Wer kann da widerstehen!

So ein Gebet steigt wie in Wehr und Waffen

Zum Himmel auf und muß selbst Gott besiegen!

Das ist das alte, heilge »Ūmehā«;

Die ganze Erde wird ihm angehören!

ALLE SCHATTEN springen auf, tanzen wie toll umher und rufen.

Das ist das alte, heilge »Ūmehā«;

Die ganze Erde wird ihm angehören!


Sie umringen den Scheik und Babel und führen Beide im Triumphe davon. Nur Zwei bleiben da, nämlich die Schatten des Imām und des Kādi. Sie

gestikulieren hinter den sich Entfernenden her und führen folgendes Gespräch.


SCHATTEN DES IMĀM.

Triumph, Triumph!

SCHATTEN DES KĀDI.

Für uns!

SCHATTEN DES IMĀM.

Wie er gehorcht!

SCHATTEN DES KĀDI.

So ahnungslos, daß er geleitet wird!

SCHATTEN DES IMĀM.

Ein Meisterplan von dir!

SCHATTEN DES KĀDI.

Von dir!

SCHATTEN DES IMĀM UND DES KĀDI zugleich.

Von Beiden![99]

SCHATTEN DES KĀDI.

Wir lenkten damals schon – – –!

SCHATTEN DES IMĀM.

Bei Bēnt'ullāh!

SCHATTEN DES KĀDI.

Und er gehorchte – – –

SCHATTEN DES IMĀM.

Ganz genau wie heut!

SCHATTEN DES KĀDI.

Es war ein Sieg des heilgen Rechtes – – –

SCHATTEN DES IMĀM.

Ein Sieg des heilgen Glaubens,

Daß er die Christin endlich gehen ließ

Und dann das Dokument für richtig hielt,

Mit dem wir ihren Tod bestätigten.

Wie nun, wenn sie jetzt plötzlich hier erschiene?!

SCHATTEN DES KĀDI erschrocken.

Um Gotteswillen, still! Der Scheik hört es!


Er deutet nach außen, wo der Scheik sich hoch und starr von seinem Throne aufrichtet, zum Sprunge bereit.


SCHATTEN DES IMĀM sich ängstlich umsehend.

Der Scheik – – –?

SCHATTEN DES KĀDI bestätigend.

Der Scheik!

DER WIRKLICHE SCHEIK vor Aufregung fast brüllend.

Jawohl der Scheik, der Scheik!


Will sich auf das Zelt stürzen, bleibt aber schon nach dem ersten Schritte stehen, wirft die Arme in die Luft und schreit.[100]


Betrogen wurde ich! Sie lebt! Sie lebt!

Ihr Fälscher! Ihr Halunken! Gebt sie her!


Springt nach dem Zelte, reißt den Vorhang auf und dringt hinein. In diesem Augenblicke verlischt das

Licht. Es herrscht Finsternis. Man hat nur noch sehen können, daß der scheinbar wirkliche Imām und der scheinbar wirkliche Kādi, die neben ihm gesessen haben, schnell über die Szene huschen, um sich in Sicherheit zu bringen. Es entsteht große Verwirrung. da eilt Schēfakā zum Feuer und schürt es auf, daß die Flammen leuchten. Bei ihrem Scheine sieht man, daß der Scheik die Schatten des Imām und des Kādi aus dem Zelte gezerrt bringt. Er ruft dabei.


Heraus mit dem Geständnis! Schnell heraus!

Wo habt ihr sie?

BABEL herbeitretend.

Das sind doch nur die Schatten!

SCHEIK wie außer sich, muß sich besinnen.

Die Schatten?


Läßt sie los, worauf sie augenblicklich verschwinden.


BABEL.

Ja?

SCHEIK.

Wo sind die Wirklichen?

BABEL.

Soeben fort!

SCHEIK.

Ich muß sie haben! Schnell!


Alles eilt von dannen. Der Scheik will es auch tun, bleibt aber unter der Wucht des gegenwärtigen Eindruckes nochmals stehen und ruft.


Sie lebt! Sie lebt! So lebt doch auch der Sohn!

Ich muß sie haben – – – muß sie Beide haben!


Er will fort, da kommt der Neger.[101]


Quelle:
Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten von Karl May. Freiburg i.Br. 1906, S. 97-102.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
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