Vierter Auftritt


[119] Die Phantasie. Der Scheik der Todeskarawane.


SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Wir sind allein. Du bist – – –?

PHANTASIE lächelnd.

Die Phantasie.

SCHEIK DER TODESKARAWANE nickt beistimmend.

»Die im Gefilde von Sitāra wohnt,

Dem hochgelegnen Tal der Sternenblumen;«

Jawohl, jawohl; das wußte ich bereits.

Jedoch da oben liegt auch Märdistān

Und auch Kulūb, mit seiner Geisterschmiede.

Da lag ich einst, gefesselt und geknebelt,

Im Feuer – – in der Glut – – um Stahl zu werden – –

Und alle Hämmer schlugen auf mich ein – –

Doch war ich still – – ich trug die Qual und schwieg – –

Und als die Lohe meine Seele faßte,

Die man mir nehmen, mir entreißen wollte,

Da schrie ich auf, doch nur in meinem Innern,

Zu Gott, dem Herrn, daß er mir helfen möge.

Da schwanden mir die Sinne, und ich sah

Vor mir ein gütig-mildes Angesicht

Und hörte eine Stimme, die mich bat,

Nur stark zu sein und mutig auszuharren,[119]

Dann werde die Erlösung sich vollenden.

Und heut erkenne ich dein Angesicht

Und deine Stimme. Du bist es gewesen!

PHANTASIE mit dem Finger auf ihn zeigend.

Als deine Phantasie. Du hast gehört:

Ich heiße stets wie der, dem ich mich füge.

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Als meine Phantasie! Wenn du sie wärst!

Ich würde dich aus tiefstem Herzen bitten,

Führ mich zurück in mein vergangnes Leben

Und dann hinab


Auf den Turm zeigend.


in diesen Turm zu steigen,

Um mir zu offenbaren, wer ich bin.

PHANTASIE.

Ich will es tun, doch nur, so weit ich darf.

Wer in Kulūb zum Geist geschmiedet wurde,

Der braucht nur Fingerzeige, weiter nichts.

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

So will ich kurz und auch nur wenig fragen.

Stamm ich von hier?

PHANTASIE.

Du bist der Sohn des Scheikes.

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Und der Beweis?

PHANTASIE.

Den hast du selbst zu finden.

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Und zweitens meine Mutter?[120]

PHANTASIE.

Ist dir nahe.

SCHEIK DER TODESKARAWANE freudig.

Ich danke dir, ich danke dir! Mir nahe!

Sie lebt! Sie lebt! Schon das ist mir genug!


Wieder sachlich.


Und drittens, gibt es unten in dem Turme

Wohl einen Saal mit einem Drachenbilde,

Vom Boden bis hinauf zur Decke reichend,

Den aufgesperrten Rachen voller Zähne?

PHANTASIE.

Das ist Kitāl, das Götzenbild des Kampfes,

In tiefem Blute stehend dargestellt.

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

So doch, so doch! Wie leicht wird mir, wie leicht!

Ich kam so völlig ahnungslos hierher,

Daß Alles, was ich sah, mich nur verwirrte,

Doch aber nun, nun wird es klar in mir,

Und unser Schach wird noch ganz anders enden,

Als ich erwartete – – – und wohl auch du!

PHANTASIE gütig.

Und wohl auch ich?

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Du sahst mich in Kulūb,

So kennst du mich, so weißt du, wer ich bin!

Ich reite Schach, zwar für die Ān'allāh – – –

PHANTASIE einfallend.

Und aber doch für Mārah Dūrimēh![121]

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Ganz so, wie du!

PHANTASIE.

O nein, doch etwas anders!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Doch aber geistig, nicht im Sande draußen,

Und auch nicht morgen oder übermorgen,

Schon heut, schon hier, so meisterhaft, so zwingend,

Daß ich, bevor das Schattenspiel begann,

Schon wußte, wer dich leitet – – –

PHANTASIE scherzend.

Eure »Hexe!«[122]

Quelle:
Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten von Karl May. Freiburg i.Br. 1906, S. 119-123.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
Babel und Bibel: Arabische Fantasia in zwei Akten

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