Siebenter Auftritt


[125] Die Vorigen. Der Scheik. Babel.


DER SCHEIK sehr angeregt, die Peitsche in der Hand.

Ein Bote ist aus Ūmm Welād erschienen,

Zu sagen, daß die acht Erwarteten

Bei Tages Ende abgeritten seien.

BABEL.

Sie können also jeden Augenblick

Im Lager drüben zu empfangen sein.

Man bringt sie uns herüber.


Setzt sich an seinen Platz und beschäftigt sich sofort mit den Büchern und Figuren.


SCHĒFAKĀ.

Māschallāh,

Da muß ich eilen!


Gibt dem Scheik der Todeskarawane eine Kulle in die Hand.


Hole Wasser! Schnell!


Er gehorcht, aber ruhig und lächelnd.


SCHEIK zur Phantasie, die auf dem Throne saß, nun aber aufgestanden ist.

Ich suchte dich und finde dich erst hier.

Du hast die Schattenspieler unterwiesen,

Mich über Bēnt'ullāh zu unterrichten,

Und wußtest also, was geschehen war.

Wie kamst du zu der Wissenschaft?[125]

PHANTASIE.

Sehr leicht.

Ich habe sie aus allerbester Quelle,

Das heißt vom Kādi und von dem Imām.

SCHEIK.

Das leugnen sie.

PHANTASIE.

Sie sprachen miteinander.

Ich hörte es, nur sahen sie mich nicht.

SCHEIK.

Die Folgen konntest du wohl nicht berechnen,

Doch sind sie glücklich abgewendet worden,

Und darum bin ich wohl mit dir zufrieden.

Du hast es völlig meisterhaft verstanden,

Ganz ohne Vorbereitung mich zu fassen,

Mich aufzuwühlen und mir einzuflüstern,

Grad das zu tun, was ich verwerfen muß.

Wird dir das bei den Feinden auch gelingen?

PHANTASIE.

Noch besser als bei dir!

SCHEIK ihr die Hand hinhaltend, in die sie einschlägt.

So nimm die Hand.

Ich bitte dich, mir Helferin zu sein.

Du wirst der alten Hexe zugesellt,

Um Alles zu erfahren, was sie spricht.

Das liefert Stoff zu einem Schattenspiel,

In welchem du – – –

PHANTASIE einfallend.

Den habe ich bereits![126]

SCHEIK schnell, sich freuend.

Und ist er gut? Für meinen Zweck geeignet?

Er muß die Feinde dergestalt erregen,

Daß sie die Pflicht der Gastlichkeit verletzen,

Sich mit den Waffen gegen uns empören

Und dann von uns – – –


Hält inne und fährt dann vorsichtiger fort.


Du weißt es, was ich will!

PHANTASIE.

Sei ohne Sorge, ohne alle Sorge!

Du wirst das Spiel noch eher kennen lernen,

Als sich die Gäste heut zur Ruhe legen,

Und sicher einverstanden mit ihm sein.

SCHEIK anerkennend, zu Babel.

Ein Teufelsweib, die Phantasie!

BABEL auf sie deutend.

Ja, diese!

SCHEIK zur Phantasie, wichtig tuend.

Wie wäre es, wenn du im Schattenspiel

Die Bibel bringen könntest – – – in Gestalt – – –

In weiblicher – – – die Feinde zu empören?

Nichts besser wohl als das! Von mir erdacht!

Man ist doch Geist!

PHANTASIE schlicht.

Die Bibel ist schon da.

SCHEIK erstaunt.

Schon da? Schon da?

PHANTASIE.

Hast du sie nicht gesehen?

SCHEIK.

Gesehen?[127]

PHANTASIE.

Nicht gehört?

SCHEIK.

Sogar gehört?

PHANTASIE.

Sie durfte euch die heilge Fāt'ha beten,

Weil diese ganz im Sinn der Bibel ist.

SCHEIK.

Das war die Bibel?!


Rundum.


Hört ihr es, die Bibel,

Die mir das Ūmehā verleidet hat,

Das Schnarren und das Knarren im Gebete!

Von heute an will ich es nicht mehr hören.


Zur Phantasie.


Doch aber hoffe und erwarte ich,

Du meinst die Bibel alten Testamentes;

Das neue untersagt uns der Kurān. –

Und dann noch Eins, von großer Wichtigkeit:

Versuche bei der Hexe zu erlauschen,

In welcherlei Verkleidung oder Maske

Der Geist des Abendlandes sich versteckt!


Drohend, mit entsprechender Gebärde.


Ich ziehe ihn hervor! An beiden Ohren!

Damit er ihre Züge nicht verändert

Und mich mit fremden Finten überrascht.


Erklärend.


Sie läßt den Gegner Zug um Zug gewinnen,

Bis fast zuletzt; dann aber greift sie ein,

Läßt Schlag auf Schlag und Stoß auf Stoß erfolgen

Und haut ihn endlich māt zu Boden nieder.

Das ist ihr Tric, an dem man sie erkennt.

Doch gegen mich wird er vergeblich sein.[128]

Ich habe schon gezogen, wie ihr wißt,

Und bin doch Geist – – sie aber höchstens – – Seele!

HĀKAWĀTI die eigenen Worte des Scheikes bringend.

Das alte Märchen! Immer nur dies Märchen!

SCHĒFAKĀ zum Hākawāti.

So laß ihn doch!

HĀKAWĀTI.

Er hat kein Recht dazu!

BABEL sehr bestimmt.

Er hat das Recht. Ich weiß es. Ich bin Babel!

PHANTASIE warnend.

Der seinen Geist wie Sālmanāssar kleidet

Und seine Seele wie Schamūramāt.

Ich warne euch!


Auf Schēfakā deutend.


Seht euch die Seele an!

Sie hat den Tand freiwillig abgelegt.


Zum Scheik.


Ich rate dir, dasselbe auch zu tun!

SCHEIK hochfahrend.

Du meinst den Mantel von Elīssa?

PHANTASIE langsam nach dem Zelte gehend.

Ja.

SCHEIK.

Den goldnen Reif von Ēridū?

PHANTASIE.

Auch den.

SCHEIK.

Die Schlangenhaut – – –[129]

PHANTASIE einfallend.

Sogar die Suri-Klinge.

SCHEIK erstaunt.

Sie weiß wahrhaftig Alles, Alles, Alles!

PHANTASIE.

Und nicht nur das! Drum warne ich, o Scheik,

Denn wenn die Hexe des Schatrāndsch erscheint,

So wird sie dir den König bald entblößen.

Das ist der Tric, von dem du eben sprachst,

Mit andern Worten zwar, jedoch derselbe.

Halt fest, halt fest den täuschenden Ornāt,

Denn wenn er fällt, muß sich die Wahrheit zeigen!


Verschwindet in der Frauenabteilung des Zeltes.[130]


Quelle:
Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten von Karl May. Freiburg i.Br. 1906, S. 125-131.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
Babel und Bibel: Arabische Fantasia in zwei Akten

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