Heigh-day! gab das eine Ueberraschung, als heut vor Jim Hallers armseligem Blockhause ganz unerwartet dessen jüngster Bruder Bill, der berühmte Westmann, den er jahrelang nicht gesehen hatte, und eine junge, schöne Lady sich von den Pferden schwangen! Jim sprang schnell hinaus, um Bill mit Macht um den Hals zu fallen; dieser ließ das über sich ergehen und sagte dann:
»Gib auch Amely einen Kuß, alter Boy! Sie ist seit zwei Wochen meine Frau, das einzige Kind von Bent Harrison, dem Besitzer der Clear-River Silbermine. Verstanden?«
Jim war zunächst sprachlos; dann rief er um so lauter:
»Bent Harrison? Heavens! Das einzige Kind einer Silbermine, welche im vorigen Jahre reine zweimalhunderttausend Dollars ergeben hat, Deine Frau? Und Du ein armer Teufel! Mylady, sister-in-law, das ist ein famoser Streich von Euch und ich heiße Euch tausendmal willkommen.«
Er gab ihr einen lauten Kuß oder vielmehr Schmatz auf die blühende Wange und führte dann beide ins Innere des Blockhauses, wo sie von seiner braven Frau und den vier Kindern tüchtig gehandschüttelt wurden, ehe sie sich auf die alten Holzschemel setzen durften.
Während des Nachmittags hatte man vor lauter Neuigkeiten nichts erfahren können. Jetzt ist es Abend geworden; auf dem Herde lodert das Holzfeuer, auf dem Tische steht ein mächtiger Krug mit Ingwerbier, und nun kommt Jim endlich zu der Frage, welche ihm längst auf den Lippen geschwebt hat, wie sein Bruder, der arme Scout, zu der reichen Frau gekommen ist. Bill setzt sich lächelnd in Positur, nickt seiner Amely liebevoll zu, was von derselben freundlich erwidert wird, und antwortet:
»Wir haben uns droben in den Bighornbergen gefunden, an einer Stelle, welche die Indianer Kai-p'a, das ›singende Wasser‹, nennen, und das ging folgendermaßen zu.«
»Ihr wißt wohl, daß der Yellowstone-Nationalpark jetzt nicht mehr nur von kühnen Jägern und Trappern durchzogen wird, er ist vielmehr in neuer Zeit eine von Touristen häufig besuchte Gegend geworden. Man begegnet zuweilen sogar ganzen Gesellschaften von ihnen, bei denen sich auch Ladies befinden, welche die Wunder des Nationalparkes kennen lernen wollen. Diese Leute haben meist keine Ahnung von der Gefahr, in der sie sich befinden. Die Indianer, welche das ungeheuer reiche Territorium haben hergeben müssen, sinnen auf Rache; sie umschleichen ungesehen die Reisenden, und wehe dem, der in ihre Hände fällt! Besonders haben sie es dabei auf die Ladies abgesehen, um sie zu entführen und dann zu zwingen, ihre Squaws zu werden, was für eine gebildete Dame natürlich viel schlimmer als der Tod ist.«
»Ich war von der Bighole-Prärie herüber nach dem Park gekommen, hatte denselben nach allen Richtungen durchwandert und war dabei auf die Spuren vieler einzelnen Indianer gestoßen, welche einem jetzt zu irgend einem Zwecke zerstreuten Jagdtrupp anzugehören schienen. Zuletzt kam ich an den außerordentlich fischreichen, wunderbaren Yellowstonesee, den ich ganz genau kannte. Bei meiner letzten Anwesenheit hatte ich mir, um zu fischen, ein Rindenkanoe gebaut und dasselbe, als ich die Gegend verließ, gut versteckt. Jetzt fand ich es unversehrt wieder und nahm es sofort in Gebrauch. Ich ruderte mich einige hundert Yards vom Ufer fort und warf dort die Angeln aus. Eben als ich das that, stieg links von mir eine ungeheure Masse heißen Wassers auf, wohl fünf Minuten lang und zwanzig Yards hoch; dann sank die Riesenfontäne in sich zusammen, und die Stelle war glatt wie vorher. Das war der Quarter-Hour-Geyser.«
»Ihr müßt nämlich wissen, daß die Geyser des Nationalparkes sich nicht nur am Lande befinden, sondern auch unter dem See thätig sind und in meist ganz genauen Zeitintervallen ihre kochenden Fluten weit über die Oberfläche des Sees emportreiben. Wer den letzteren per Kanoe befährt, muß diese Stellen und Intervalle kennen, sonst kann es leicht geschehen, daß er mit emporgeschleudert und dann als verbrühte Leiche mit in die Tiefe gerissen wird. Ich hatte das genau studirt; ich kannte auch den Quarter-Hour-Geyser und wußte, daß seine Stöße in Zwischenräumen von genau fünfzehn Minuten erfolgten.«
»Ich glaubte in der weiten Gegend allein zu sein. Denkt euch nun mein Erstaunen, als ich plötzlich ein Kanoe erblickte, welches vom jenseitigen Ufer herüberkam und auf die Geyserstelle zuhielt! Außer dem Ruderer saßen zwei Männer und eine Lady in demselben. Sie gehörten zu einer drüben lagernden Touristengesellschaft, hatten den Geyser speien sehen und kamen herbei, um den nächsten Ausbruch aus der Nähe zu betrachten, aber sie kannten den Punkt nicht genau, blieben grad über dem unterseeischen Krater halten und waren, wenn sie dort blieben, unbedingt verloren.«
»Natürlich griff ich sofort zu den Rudern, um sie zu warnen. Da es mir aber nicht einfallen konnte, mich selbst mit in die Gefahr zu begeben, so hielt ich außerhalb des Geyserkreises an und rief ihnen meine Warnung zu. Ich bekam zur Antwort, daß ich sie nicht belästigen, sondern mich davontrollen möge. Sie waren vornehme Leute, während ich ein ziemlich verwildertes Aussehen zeigte. In drei Minuten mußte der Geyser repetiren; es war also keine Zeit zu verlieren. Als ich meinen Zuruf wiederholte, wurde ich ausgelacht; also mußte ich, um sie zu retten, Zwang anwenden. Ich legte darum mein Gewehr auf den lautesten Lacher an und drohte, ihn zu erschießen, wenn das Kanoe nicht gewendet werde – vergeblich. Da zielte ich sorgfältig, um ihm einen Streifschuß in den Arm zu geben, und drückte ab. Die Kugel traf; die Insassen des Bootes schrieen wütend auf, aber der Ruderer legte sich schnell in die Riemen, um aus dem Bereiche meiner Büchse zu kommen. Einige Sekunden später stieg zwischen mir und ihnen die kochende Wassermasse in die Höhe, die ganze Umgebung in heißen Brodem hüllend – die Leute waren gerettet. Als der Ausbruch vorüber war, sah ich sie zurückrudern. Ich folgte ihnen, um sie vor Aehnlichem zu warnen und mich ihnen als kundigen Führer anzubieten.«
»Aber wie wurde ich von der Gesellschaft, welche aus über dreißig Personen bestand, empfangen! Keiner sah ein, daß ich nur durch die wirkliche Verwundung des einen ihn und die anderen hatte retten können. Sie hatten ein Detachement Dragoner aus Old Fort als Schutzwächter mit, und diese Soldaten wollten kurzen Prozeß mit mir machen und mich einfach erschießen. Schon machte ich mich auf das Aeußerste gefaßt, da nahm sich die Lady meiner an. Sie allein glaubte meiner Versicherung, reichte mir dankend die Hand und brachte es so weit, daß ich mich entfernen durfte.«
»Was soll ich sagen! Ich will nicht viele Worte machen, aber von diesem Augenblick an mußte ich fort und fort an die guten, dankbaren Augen denken, mit denen sie mich verwilderten Kerl angestrahlt hatte. Ich näherte mich am nächsten Tage dem Lagerplatze; er war verlassen. Die Fährte der Gesellschaft führte nach Südosten, ungefähr in der Richtung auf den Owl-Creek zu. Dort wußte ich die Schlangenindianer, welche gerade jetzt das Kriegsbeil ausgegraben hatten. Es war bekannt, daß ihr Häuptling Avaht-uitsch, das ›große Messer‹, geschworen hatte, nicht eher zu ruhen, als bis er hundert Skalpe der Bleichgesichter erobert und zehn weiße Frauen für seinen Wigwam gefangen habe. Sollte die Lady mit den unvergeßlichen Augen etwa auch in seine Hände fallen? Nein und abermals nein! Ich versteckte mein Kanoe wieder und brach dann auf; um der Spur zu folgen. Sie führte über den Owl-Creek hinüber, als ob die Leute beabsichtigten, Lander-City zu erreichen. Dann aber wich sie östlich ab und zeigte nach den Bighornbergen, deren landschaftliche Schönheiten wohl wert sind, von Touristen genossen zu werden. Zu diesen gehört eine enge Quellenschlucht, in welcher sich eine Stelle befindet, die den Namen Kai-p'a, das ›singende Wasser‹, führt. Der Bach stürzt sich da von einer hohen Felsenkante herab, rauscht eine kurze Strecke zwischen mächtigen Steintrümmern hin und füllt dann einen kleinen, tiefen Kessel an, aus welchem es keinen andern Ausweg gibt als ein enges Loch von röhrenartiger Gestalt, welches sich das Wasser durch den Stein gefressen hat. Ist nun nach einem Regen oder überhaupt in der nassen Jahreszeit der Bach angeschwollen und der Kessel voll, so wird das Wasser mit großer Gewalt durch diese Röhre gedrängt und es werden durch die Reibung oder auf irgend eine andere Weise Töne erzeugt, welche dem fernen Gesange einer menschlichen Stimme gleichen. Daher der vorhin erwähnte Name.«[335]
»Nach dieser Schlucht führte die Fährte, und ich mußte annehmen, daß die Gesellschaft da angehalten habe, um das ›singende Wasser‹ zu belauschen. In der Nähe angekommen, verließ ich die Spur, um zu rekognosziren, denn ich konnte mich nicht gut offen sehen lassen, weil die Leute mir nicht freundlich gesinnt waren. Indem ich mich so zwischen Felsen und Bäumen hinschlich, gewahrte ich die Fährte eines Moccassin; es befanden sich also Indianer in der Nähe. Ich folgte ihr in vorsichtigster Weise; sie war nur dem Auge eines scharfsichtigen Westmanns bemerkbar und führte gerade auf den Kessel zu. Nahe demselben hörten auf dieser Seite die Bäume auf; ich legte mich also, um weniger leicht gesehen werden zu können, auf die Erde nieder und kroch langsam weiter. Dabei hörte ich jetzt ganz deutlich die Töne des ›singenden Wassers‹. Das mußte mir, dem erfahrenen Scout, auffallen, denn es war wochenlang sehr trockenes Wetter gewesen und der Bach konnte unmöglich so viel Wasser haben, wie zur Hervorbringung der Töne nötig war. Hier mußte irgend eine Teufelei im Spiele sein. Ich schlich zunächst wieder zurück, um mich meines Pferdes, welches ich ziemlich weit entfernt zurückgelassen und angebunden hatte, zu versichern und es in größerer Nähe unterzubringen. Vielleicht war es nötig, schnell in den Sattel zu kommen. Dann kroch ich wieder vorwärts, leise, vorsichtig, dem Rande des Bergkessels zu.«
»Die Schlucht lag nun offen vor mir da. Im Hintergrunde wurde sie durch die kahle Masse des Slippery-Berges scheinbar abgeschlossen; links zog sich eine mit Tannen und Cedern arm bewachsene Höhe, welche hart am Wasserkessel in einen kahlen, zerrissenen Steinkoloß auslief, heran und rechts stieg ein ebenso zerklüfteter Felsenriese dem Anscheine nach bis in die Wolken auf. Am Fuße des letzteren stand eine Gruppe[337] vom Wetter zerfetzter Weymouthskiefern, deren einige vom Sturme gebrochen und von der Hochflut bis hinunter zum Wasser gerissen worden waren. Weiter vorn, rechts, sah ich unter weit auseinander stehenden Bäumen, zwischen denen hindurch der Blick auf offenes, grasiges Terrain fiel, die Touristen mit ihrer Schutzwache lagern. Sie hatten allem Anscheine nach den Kessel des Kai-p'a schon in Augenschein genommen, und ihre Pferde waren in der Nähe angebunden; nur ein mit einem Damensattel versehenes lief frei herum und knusperte die Blätter von den wenigen Zweigen, die es gab; es war das der Lady mit den schönen, guten Augen.«
Aber auf derselben Seite, nur noch weiter zurück, sah ich etwas, was die Weißen wegen der dazwischen liegenden Felsen nicht bemerken konnten, nämlich eine Schar von wohl über vierzig Indianern, von denen jeder bei seinem Pferde stand, bereit, augenblicklich in den Sattel zu springen und sich auf die Bleichgesichter zu werfen. Schon wollte ich mich zu den letzteren schleichen, um sie zu warnen, da wurden die Töne des ›singenden Wassers‹ stärker. Das waren keine Elementarlaute, sondern das war eine menschliche Stimme; sie erklang unweit von mir vom Wasser herauf. Zugleich erblickte ich die Lady, welche, von den Tönen angezogen, den Lagerplatz verließ und nach dem Wasser kam. Dort ließ sie sich nieder, um den Punkt zu erlauschen, an welchem der Gesang entstand. Ihr Pferd war ihr nachgelaufen und blieb drüben bei den Weymouthskiefern stehen.
»Ich schob mich weiter vor, bis an den hohen Rand des Wasserkessels und sah hinab. Dort lag – ein Indianer eng zusammengeduckt hinter mehreren Steinen und ahmte mit geschlossenem Munde durch die Nase den Klang des ›singenden Wassers‹ nach. Es war Avaht-uitsch, der Häuptling der Schlangenindianer; ich kannte ihn.«
»Ich begriff, daß er es zunächst auf die Lady abgesehen hatte. Er wollte sie vom Lager weglocken, damit sie beim Ueberfalle nicht verwundet oder gar getötet werden sollte. Er wollte sie unbeschädigt nach seinem Wigwam bringen. Jetzt war sie da am Wasser und ich wußte, daß er in wenigen Augenblicken das Kriegsgeheul als Zeichen zum Angriffe erschallen lassen werde. Das mußte verhütet werden. Schießen durfte ich nicht, da sonst die Indianer sich sofort aus ihrem Verstecke auf die ahnungslosen Weißen geworfen hätten; darum ergriff ich einen schweren, neben mir liegenden Stein, um ihn dem gerade unter mir befindlichen Häuptling auf den Kopf zu werfen. Ich traf so gut, daß der Rote wie tot zusammenbrach.«
»Da ich mich dabei hatte halb aufrichten müssen, war ich von der Lady gesehen worden. Sie fuhr betroffen in die Höhe. Wie sie mir später sagte, hatte sie mich sofort erkannt. Ich glaubte sie gerettet, hatte mich aber geirrt. In ihrer Nähe lagen einige große Steine, hinter welchen zwei Rote verborgen gewesen waren. Diese hatten meinen Angriff auf den ›Großes Messer‹ bemerkt; sie sprangen hervor, ergriffen die Dame und zerrten sie eiligst hinauf nach den Weymouthskiefern, wo das Pferd stand. Die Lady ließ keinen Laut hören, sie war sprachlos vor Schreck. Auch die beiden Indianer verhielten sich still und zögerten, den Kriegsruf hören zu lassen, da sie sich noch zu nahe bei den Weißen befanden. Ich richtete mich auf, um zu schießen, mußte das aber bleiben lassen, denn die Kerls bildeten mit dem Mädchen eine so verschlungene Gruppe, daß ich die schönen, guten Augen leicht hätte für immer auslöschen können. Ich schnellte mich also zu meinem Pferde, sprang in den Sattel, trieb es in einem weiten Sprunge über den Bach und jagte auf die Weißen zu. An ihnen vorüberfliegend, deutete ich nach hinten und schrie: ›Zu den Waffen, dort sind Indianer!‹ Sie sprangen auf, um sich zu verteidigen, ich aber jagte weiter, um der Lady zu helfen.«
»Diese war bis zu ihrem Pferde geschleppt worden. Einer der Roten stieg auf; sie wurde zu ihm emporgerissen und -gehoben, dann sprengte der Kerl mit ihr fort, während der andere hinter Felsen und Bäumen verschwand. Ich sah den Reiter mit seiner Beute nach der vorhin erwähnten offenen Prärie galoppiren und schoß ihm nach, kaum zweihundert Schritte von ihm entfernt. Der Damensattel genirte ihn, er mußte die Lady halten, so daß er seine Reitkunst nicht ganz entwickeln konnte. Ich kam ihm immer näher. Nach zwei Minuten hatte ich ihn bis auf hundert, nach drei Minuten bis auf siebenzig Schritte eingeholt. Er sah sich um und bemerkte mich. Die Lady begann, sich zu sträuben; das störte ihn noch mehr. Er griff zum Messer und erhob die Hand wie zum Stoße, um ihr anzudeuten, daß sie sich ruhig zu verhalten habe, und zugleich mir durch diese Pantomime zu sagen, daß er sie lieber töten als mir überlassen werde. Vom Pferde aus durfte ich nicht schießen. Ich wartete also, bis ich mich ihm auf fünfzig Schritte genähert hatte, hielt dann an, sprang aus dem Sattel und richtete das Gewehr auf ihn. Meine Hand zitterte nicht. Um die Lady nicht zu treffen, mußte ich möglichst hoch, nach seinem Kopfe, zielen. Das war ein schwerer Schuß – er krachte; der Rote machte eine Bewegung nach vorn, als ob er von hinten einen Schlag erhalten habe; die Lady entglitt seinen Armen und fiel zur Erde. Ich war gar nicht wieder aufgestiegen, sondern hinterher gerannt. Schon stand ich bei ihr und hob sie auf. Sie war unverletzt, aber vor Entsetzen so schwach, daß ich sie an mich drücken mußte. Sie hielt die Augen geschlossen, doch, alter Jim, Du kannst mir glauben, sie war auch ohne den warmen Augenstrahl so reizend, daß es meinen bärtigen Mund mit unwiderstehlicher Gewalt auf ihre Lippen zog. Der erste Kuß in meinem Leben, aber – by god, der letzte noch lange nicht! Doch davon nichts weiter! Ich will nur sagen, daß ich ihr Pferd einfing, sie in den Sattel hob, dann auf das meinige stieg und mit ihr zurückkehrte.«
»Da hörten wir Schüsse knallen und das Geheul der Wilden. Ich durfte meine Lady nicht neuen Gefahren aussetzen, suchte also schnell ein gutes Versteck für sie, ließ die Pferde bei ihr und rannte nach dem Kampfplatze. Die Dragoner hatten sich tapfer gewehrt, aber die Touristen waren weder Kriegs- noch Westmänner, sie schossen beharrlich daneben. Doch cheer up, meine Büchse begann, ein Wort mitzusprechen, und schon nach kurzer Zeit machten sich die Roten aus dem Staube. Es hatte Opfer gekostet. Zwei Dragoner und drei Touristen waren tot und leidlich viele verwundet. Ich selbst hatte ein Kugelloch im Schenkel und einen tüchtigen Streifer über der Hüfte. Dennoch ritt ich zurück, um die Miß, um welche es große Sorge gab, zu holen. Ihr Vater war auch blessirt, er hatte einen Pfeil in die Schulter erhalten, ein ziemlich unangenehmes Ding für einen, der nicht Westmann ist.«
»Natürlich sah ich nun auch nach dem Häuptlinge. Er lag noch wie tot am Wasser und wurde heraufgezogen; das Singen war ihm schlecht bekommen. Später kam er zu sich und wurde gut gefesselt, um als Geisel bei uns zu bleiben und dann von den Dragonern mit nach Old Fort genommen zu werden. Ich wurde jetzt aus anderen Augen betrachtet. Man nannte mich den Retter nicht nur der Lady, sondern der ganzen Gesellschaft, wogegen ich mich auch gar nicht sträubte. Tausendmal lieber aber waren mir die Blicke, mit denen die Augen der Miß immer und immer wieder auf mir ruhten. Und ich – nun ich hätte mir ihr schönes, liebes Gesicht bis in alle Ewigkeit hinein betrachten können; aber dazu gab es keine Zeit. Die Toten mußten begraben, die Verwundeten verbunden werden. Diese letzteren waren der Pflege bedürftig, aber wir durften der Rachsucht der Indianer wegen nicht am Kai-p'a bleiben. Wir machten uns also, so gut es ging, nach Fort Aspen, der nächsten bewohnten Stelle, wo wir gute ärztliche Behandlung fanden. Bent Harrison that es nicht anders, ich mußte in einem Zimmer mit ihm liegen und mich ebenso wie er von Amely pflegen lassen. Sie hat alles mögliche gethan, aber ich kalkulire, daß ich doch mehr aus purer Liebe so schnell wieder auf die Beine gekommen bin. Ich war überglücklich, als ich von ihr erfuhr, daß sie mir den Kuß da draußen am ›singenden Wasser‹ nicht übel genommen habe, und als das ihr Vater erfuhr, war er der Meinung, daß sie mir das auch fernerhin beweisen müsse – all by all, sie hat mir gesagt, daß sie lieber ihre schönen, guten Augen für immer auf mir ruhen lassen, als die Squaw des ›Großen Messers‹ werden wolle, und hat den armen Scout zu einem Mann gemacht, der fast gar nicht weiß, wohin und wo hinaus mit seinem Glück. Oder nicht, Amely?«
Bill ist mit seiner Erzählung zu Ende und blickt bei seiner Frage strahlenden Auges zu seiner »Lady« hinüber. Diese erhebt sich, kommt zu ihm herüber, legt ihre Wange an die seinige und antwortet:
»My darling, ich muß Dir ja gehören, weil ich ohne Dich verloren gewesen und sicherlich gestorben wäre.«
»Beim Himmel,« ruft da Jim gerührt, »Du brauchst gar keine Silbermine, um glücklich zu sein!«
»Nein, wirklich nicht, mein alter Jim. Die Mine ist ganz überflüssig, sie macht uns schwere Sorgen, denn es fehlen uns die Hände, täglich so einen Haufen Dollars abzuzählen. Darum sind wir gekommen, um euch abzuholen. Wollt ihr uns helfen?«
Da springt Jim auf, schleudert mit dem Fuße seinen Schemel fort und jauchzt:
»Sofort, sofort! Frau, Kinder, die Not hat ein Ende. Laß Dich umarmen, alter Bill! In Zukunft werden wir jährlich einmal nach den Bighornbergen wandern, um Deinem ›singenden Wasser‹ unsern Dank zu bringen!«[338]
Buchempfehlung
Die vordergründig glückliche Ehe von Albertine und Fridolin verbirgt die ungestillten erotischen Begierden der beiden Partner, die sich in nächtlichen Eskapaden entladen. Schnitzlers Ergriffenheit von der Triebnatur des Menschen begleitet ihn seit seiner frühen Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dessen Lehre er in seinem Werk literarisch spiegelt. Die Traumnovelle wurde 1999 unter dem Titel »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick verfilmt.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro