5.

Miß Admiral

[610] Es giebt Fieber, welche ihre Entstehung nicht den in den ärztlichen Verzeichnissen enthaltenen Contagien verdanken und doch so rapid und ansteckend wirken, wie jene körperlichen Krankheitserscheinungen, die sich seuchenartig von Mensch zu Mensch verbreiten und im Stande sind, ganze Ort- und Völkerschaften zu dezimiren, Fieber, die ihren Ursprung in außer der menschlichen Constitution liegenden Verhältnissen, in politischen, religiösen und ähnlichen Umständen finden, sich der Phantasie der Nationen bemächtigen, die ruhigste Stimmung in hellauf lodernde Leidenschaft verwandeln und ein weit um sich greifendes Delirium erzeugen, welches nur langsam geordneteren und normalen Zuständen weicht.

Solche Fieber haben alle Zeiten ebensowohl wie alle Zonen aufzuweisen, und bei allen war es der Gedanke des Gewinnes, welcher die Fasern der einzelnen Person und der Gesammtheit in hohe Erregung versetzte und die rohen Kräfte zur möglichsten Geltung und Anstrengung brachte. Man denke an Californien! Die Zahl der eingewanderten Bewohner dieses Landes war eine nur geringe, als ein Glücklicher die Entdeckung machte, daß die Cannons und Thäler desselben einen nicht zu berechnenden Reichthum an Gold enthielten. Die Kunde davon machte mit blitzartiger Schnelligkeit die Runde um den Erdball, und in kurzer Zeit wimmelte die Gegend von Abenteurern aus aller Herren Länder, welche herbeigeströmt waren, um das Sesam zu erschließen, in welchem die flimmernden Schätze seit Jahrmillionen ungekannt und ungeahnt geruht hatten. Zeltlager und Barackenschaften entstanden im Handumdrehen, zahlreiche Ortschaften wuchsen aus der Erde, und wo sich die Lage derselben als gut gewählt erwies, verwandelten sie sich in[610] beinahe beispielloser Kürze in Städte, deren Einwohnerschaft nach Hunderttausenden zählte.

Eine derselben ist San Franzisko, die Beherrscherin des Goldlandes und des stillen Weltmeeres.

Wer jetzt am Hafenquai dieser Stadt steht und das Völkergewühl, welches hier in fast unlösbarer Bewegung durcheinander wirrt, beobachtet, wer die breiten, langgestreckten Straßen, die umfangreichen Plätze, die prächtigen Paläste und Gebäude sieht, hinter deren Spiegelscheiben Alles aufgestapelt ist, was vom Golde stammt, mit ihm in Beziehung steht und für dasselbe zu haben und zu kaufen ist, der vermag nur schwer an die geringen, ja armseligen Anfänge zu denken, aus denen sich die Metropole des schimmernden Metalles entwickelt hat.

Und wie die Wogen da draußen im Hafen und auf der See steigen und fallen, wie die bunt zusammengewürfelte Menschheit in den Straßen, Plätzen und öffentlichen Localen sich ohne Rast und Ruhe schiebt und stößt, drückt und drängt, so steigt und fällt auch das wankelmüthige Glück, so schiebt auch das untreue Verhängniß den Spielball, Mensch genannt, zum scheinbar sichern Halt empor und stößt ihn im nächsten Augenblicke wieder hinab auf den Grund, den das »Ungeziefer der Gesellschaft« bewimmelt. Wer gestern noch als Millionenmann gepriesen und beneidet wurde, bricht vielleicht schon heut mit Hacke, Spaten und Büchse nach den Diggins auf, um den verlorenen Reichthum wieder zu gewinnen. Die Existenzen sind vorwiegend problematisch, und manche glänzende Salonerscheinung entpuppt sich, wenn das Spiel zu Ende ist, als ein haltloses, abenteuerliches Dasein, dessen Bestehen nur von dem Falle des Würfels abhängig war.

Auf dem Kourse von Acapulco nach San Franzisco segelte ein Fahrzeug. Es war ein stramm gebautes, schneidiges Dreimastenschiff, welches unter dem Spriete und hinten am Stern in goldenen Lettern den Namen »L'Horrible« trug. Die Kleidung der Mannschaft bewies, daß das Schiff zur Kriegsflotte der Vereinigten Staaten gehöre, obgleich aus mancher Kleinigkeit in Bau und Takelung sich vermuthen ließ, daß es nicht zu diesem Zwecke gebaut sei.

Im gegenwärtigen Augenblicke stand der Befehlshaber auf dem Quarterdecke und blickte hinauf nach den Wanten, wo einer der Männer hing und mit dem Rohre in der Hand scharfen Ausguck hielt.

»Nun, Jim, hast Du ihn?«

»Ay, ay, Capt'n; dort segelt er grad vor dem Glase!« antwortete der Gefragte, mit der Hand windwärts deutend. Er nannte den Befehlshaber Capitain, obgleich dieser die Abzeichen des Marinelieutenants trug. Ein Grad höher kann niemals schaden, zumal wenn der Betreffende den höhern Rang verdient.

»Welchen Lauf hält er?«

»Er sucht unser Kielwasser, Master. Ich glaube, er schlägt von Guayaquil oder Lima, vielleicht gar von Valparaiso herauf, weil er mehr aus dem Westen steuert als wir.«

»Was für ein Fahrzeug ist es, Jim?«

»Kann es noch nicht sagen, Sir; laßt ihn erst noch um Etwas näher kommen!«

»Wird er das?«

»Sicher, Capt'n!«

»Möchte es fast nicht glauben,« lautete die Antwort. »Wäre doch neugierig, das Schiff zu sehen, welches den ›l'Horrible‹ übersegelt!«

»Hm,« machte der Mann, indem er aus den Wanten niederstieg und dem Lieutenant dann das Rohr über gab; »kenne doch eins, dem es gelingen sollte!«

»Welches?«

»Die ›Swallow‹, Sir.«

»Ja, die; sonst aber weiter keins! Aber wie sollte die ›Swallow‹ in diese Gewässer kommen?«

»Weiß nicht, Master; aber das Schiff da hinten ist keine Bostoner Heringstonne, sondern ein kleiner, rascher Klipper. Wäre er größer, so müßte man ihn auf die Entfernung hin deutlicher sehen. Und die ›Swallow‹ ist auch ein Klipper.«

»Well, wollen sehen!« entschied der Lieutenant, den Mann verabschiedend und sich mit dem Rohre nach dem Steuer begebend.

»Ein Segel in Sicht?« frug der Steuermann.

»Ja.«

»Wo, Sir?«

»Hinter uns.«

»Möchtet Ihr da nicht ein Reff in die Segel ziehen lassen?«

»Ist nicht nöthig.« antwortete der Commandant, jetzt selbst durch das Glas blickend. »Es ist ein ganz famoser Segler; er wird uns auch ohne Reff einholen.«

»Pah, Sir; das möchte ich sehen!«

»Es ist so,« klang es mit einem leisen Anfluge von verletztem seemännischen Stolze. »Er greift den Raum mit Macht. Seht, Maate, vor drei Minuten war er blos vom Mars aus zu erkennen; jetzt stehe ich auf Deck und sehe ihn.«

»Soll ich ein Weniges vom Winde abfallen?«

»Nein; ich will sehen, wie lange er braucht, um Seite an Seite mit uns zu segeln. Ists ein Amerikaner, so soll michs freuen; ists aber ein Anderer, so will ich ihm lieber den Teufel, als ein solches Fahrzeug gönnen.«

Es dauerte nicht lange, so waren die Mastenspitzen und dann auch der schlanke Rumpf des fremden Schiffes schon mit unbewaffneten Auge zu erkennen.

»Es ist ein Klipper mit Schoonertakelage,« meinte der Maate.

»Yes. Ein prächtiges Fahrzeug, bei allen Teufeln! Seht, wie es schief vor dem Winde läuft, und mit vollem Segelwerk. Der Mann, der es befehligt, scheint sich vor einer Hand voll Wind mehr als gewöhnlich nicht zu fürchten. Jetzt legt er sogar die Braamtücher bereit, so daß der Schooner das Steuer hebt und fast nur auf dem Buge tanzt!«

»Ein wackerer Bursche, Sir. Aber kommt ein diverger[611] Windstoß, so legt sich der Klipper in die See, so wahr ich Maate bin und Perkins heiße! Der Mann segelt doch ein Wenig zu verwegen.«

»Nein. Seht Ihr nicht, daß die Reffleinen nicht angesorrt sind, sondern nur festgehalten werden? Bei einem Bö läßt man sie fahren, pah!«

»Jetzt zieht er die Flagge. Wahrhaftig, ein Amerikaner! Seht Ihr die Sterne und Streifen? Er frißt das Wasser förmlich, und in fünf Minuten ist er an unsrer Seite.«

»Er frißt das Wasser; ja, das ist der richtige Ausdruck für eine solche Fahrt. By god, der Kerl hat wahrhaftig sechs Kanonenlucken auf jeder Seite, eine Drehpasse auf dem Vorderkastell und also wohl auch so etwas Aehnliches kurz vor dem Steuer. Könnt Ihr das Bild bereits erkennen, Maate?«

»Noch nicht; aber wenn mich nicht Alles trügt, so ist es die ›Swallow‹. Ich habe sie in Hobokken einmal bestiegen und mir jede Talje und Schote, jedes Stückchen Tau und Takelwerk genau angesehen.«

»Wer kommandirte damals auf ihr?«

»Hab' den Namen vergessen, Master; war ein alter, halb wracker Seehund mit einer rothblauen Nase, die ganz nach Gin und Brandy aussah. Aber den Maate habe ich gut gekannt, hieß Peter Polter, stammte aus Germany da drüben herüber und war ein wohlbefahrener Junge, auf den sich Jeder wohl verlassen konnte. Habt Ihr ihn jetzt nahe genug am Rohre?«

»Ja. Es ist die ›Swallow‹. Haltet einen oder zwei Striche mehr nach Luv; es ist augenscheinlich, daß sie mit uns reden will!«

Er kehrte auf das Quarterdeck zurück.

»Holla, Jungens, an die Brassen!«

Die Männer sprangen zu den Leinen.

»Mann am Stock, zieh auf die Flagge!«

Das Stern- und Streifenbanner der Union flog in die Höhe.

»Greift an zum Beidrehen!«

Die Befehle wurden mit anerkennungswerther Präcission ausgeführt.

»Constable!«

Der Gerufene trat an sein Geschütz.

»Laßt fallen. Feuer!«

Die Segel fielen und zugleich krachte der Schuß über die See.

»Achtung, Maate, leg bloß den Wind!«

Augenblicklich gehorchte das Steuer dem Rufe, und mit möglichst weniger Leinewand an den Ragen legte sich der »l'Horrible« herum, um auf die »Swallow« zu warten.

Auch von ihrem Borde krachte ein Schuß. Mit beinahe fabelhafter Geschwindigkeit kam sie herbeigeflogen. Unter ihrem Spriete breitete eine aus Holz gehauene blaue Schwalbe ihre vergoldeten, spitzen Flügel aus. Die Namensinschrift am Stern war jetzt nicht zu bemerken. Die flotte Prise lag voll in ihrem schweren Segelwerke. Zur Seite geneigt, so daß die Spitzen ihrer Stangen fast das Wasser berührten, schoß sie mit einer Sicherheit und Zierlichkeit heran, die ihrem Namen alle Ehre machte. Jetzt war ihr Klüversegel fast in gleicher Breite mit dem Sternwimpel des l'Hor rible, da erscholl die Stimme ihres Befehlshabers, welcher vorn auf dem Deck seines Schooners stand:

»Hallo, die Reffs!«

Im Nu schlappten die Segel hernieder, das Fahrzeug stieg vorn in die Höhe, erhob sich aus seiner geneigten Lage, schwankte einmal kurz auf die andere Seite und richtete sich dann stolz und kräftig über die gebändigten Wogen.

»Ahoi, was für ein Schiff?« frug, mit der Hand vor dem Munde der Befehlshaber des »l'Horrible«; er wußte gar wohl, was für ein Fahrzeug er vor sich hatte, mußte aber der gebräuchlichen Form genügen.

»Die ›Swallow‹, Lieutenant Parker, von New-York, direct von New-Orleans um Cap Horn herum. Und Ihr?«

»Der ›l'Horrible‹, Lieutenant Jenner aus Boston, zur Kreuze in diesen Gewässern, Sir!«

»God bye, Sir! Habe Euch Etwas zu übergeben. Soll ich per Schaluppe hinüberkommen, oder darf ich mich Dahlbord an Dahlbord an Eure Langseite legen?«

»Versucht's, wenn Ihr's zuwege bringt, Lieutenant!«

»Pa, die ›Swallow‹ bringt noch Schwereres fertig!«

Er trat zurück und gab den Seinen einen Wink. Die »Swallow« warf sich leicht herum, beschrieb einen kurzen Bogen und legte sich so nahe an das andere Fahrzeug, daß ihre Mannschaft die Wanten desselben zu erfassen vermochten, ein Manövre, welches bei solchem Winde und mit dieser Sicherheit nur ein Amerikaner auszuführen den Muth hat.

Während die beiden Schiffe sich auf einem nachbarlichen Wellenpaare wiegten, stand Max Parker mit einem gewandten Sprunge neben dem Lieutenant Jenner.

»Habe den Auftrag, Euch diese versiegelte Depesche zu überreichen, Sir!« meinte er, indem sie sich freundschaftlich die Hände schüttelten.

»Ah! Wollt Ihr mit hinab in die Kajüte? Müßt doch einen Trunk am Bord des ›l'Horrible‹ nehmen!«

»Hab' nicht gut Zeit, Lieutenant. Laßt einen Schluck heraufbringen!«

Jenner gab den dazu nöthigen Befehl und öffnete dann, nachdem er respectvoll salutirt hatte, das Couvert.

»Wißt Ihr, was die Depesche enthält?«

»Nein; kann mir's aber denken.«

»Ich muß sofort nach San Franzisko, wohin ich übrigens schon den Kours genommen hatte. Ich soll Euch dieses mittheilen.«

»Well, so habe ich Euch diese Depeschen an die dort stationirenden Unionscapitaine zu überreichen. Ihr wißt wohl, daß der Süden revoltirt?«

»Habe davon gehört, obgleich ich schon längere Zeit in dieser Breite kreuze. Werden sich aber wohl verrechnet haben, die Rebellen, was?«

»Meine es auch; doch ist der Süden stark und im Besitze fester Häfen und ungeheurer Hilfsquellen. Kampf wird es geben, schweren, harten Kampf, und ungewöhnlicher Anstrengung[612] wird es bedürfen, um ihn niederzuringen. Ich wünsche, daß wir uns wiedersehen, Sir, Seite an Seite, dem Feinde gegenüber!«

»Sollte mich freuen, Master, herzlich freuen, mit einem Schiffe, wie Eure ›Swallow‹ ist, den Gegner packen zu können. Wohin seid Ihr jetzt bestimmt?«

»Auch nach San Franzisko, wo ich neue Ordres empfange. Vorher jedoch muß ich ein Wenig auf der japanesischen Route streifen. Fare well, l'Horrible!«

»Fare well, Swallow!«

Die beiden Männer leerten ihre Gläser, dann sprang Parker auf das Deck seines Fahrzeuges zurück. Die »Swallow« stieß vom »l'Horrible« ab, warf ihre Segel wieder an die Ragen, nahm den Wind voll in die Leinewand und schoß unter einem lauten Abschieds-Hallo der beiderseitigen Mannschaften davon. So schnell wie sie vom südwestlichen Gesichtskreise her erschienen war, so schnell verschwand sie wieder an dem in Gluth getauchten westlichen Horizonte.[613]

Es war, als sei eine graziöse Fee aus den Fluthen aufgetaucht, um den einsamen Schiffer zu begrüßen und dann unerbittlich wieder in ihr nasses, geheimnißvolles Reich zurückzukehren.

Auch der »l'Horrible« setzte jetzt alle Segel bei, um die unterbrochene Fahrt mit vergrößerter Geschwindigkeit wieder aufzunehmen. Zwar währte die Fahrt noch einige Tage, dann aber mehrte sich die Zahl der ihm begegnenden oder zu gleichem Ziele mit ihm zusammentreffenden Fahrzeuge, und endlich ging er auf der Rhede der »Goldkönigin« vor Anker.

Hier überließ Jenner das Ordnen der polizeilichen und hafenbehördlichen Angelegenheiten seinem Steuermanne und begab sich sofort an Bord eines neben ihm liegenden Panzerschiffes, an dessen Kapitain eine der ihm anvertrauten Depeschen adressirt war. Die andern der ihm bezeichneten Fahrzeuge mußten erst noch aufgesucht werden oder befanden sich auf kurzem Ausfluge zur See.

Der Capitain nahm die Depesche in Empfang und führte ihn in die Kajüte hinab, wo sich kameradschaftliches Gespräch entwickelte.

»Ihr werdet einige Zeit hier zu verweilen haben,« meinte am Schlusse desselben der Kommandant des Panzerungeheuers. »Habt Ihr Bekanntschaften in der Stadt?«

»Leider nicht. Ich werde in gesellschaftlicher Beziehung nur auf die Restaurationen und Hotels angewiesen sein.«

»Dann erlaubt mir, Euch meine Verbindungen zur Verfügung zu stellen!«

»Wird mit Dank und Vergnügen acceptirt.«

»Ich kenne da zum Beispiel eine exquisite Dame, die sich die ganze Etage eines der feinsten Häuser gemiethet hat. Sie ist eine Pflanzerswittwe aus Martinique, nennt sich de Voulettre und gehört zu denjenigen Frauen, die ewig jugendlich bleiben, deren Alter nie bestimmt werden kann, weil Bildung, Geist und Liebenswürdigkeit die Macht der Jahre paralysiren. Sie macht ein großes Haus, scheint unerschöpflich vermögend, sieht bei sich nur die Vertreter der Aristokratie des Geistes, des Geldes und der politischen Macht und ist grad mir ganz außerordentlich interessant, weil sie große Seereisen gemacht und sich Kenntnisse über unsern Beruf angeeignet hat, über welche sie mancher wackere Seebär beneiden möchte.«

»Dann bin ich wirklich begierig, sie kennen zu lernen.«

»Ich werde Euch schon heut die Gelegenheit dazu bieten. Ich bin heut Abend zu ihr geladen, wollt Ihr mit?«[625]

»Sicher, Capitain.«

»Gut. Ich werde Euch vorstellen, und dann dürft Ihr Euch so frei bewegen, als befändet Ihr Euch an Bord Eures ›l'Horrible‹. Ist übrigens ein prächtiges Fahrzeug, Lieutenant, und ich kann Euch zu diesem Kommando aufrichtig Glück wünschen. Das war so nett, so sauber, so adrett, so boudeaux, als Ihr herbeigestrichen kamt und Ruck und Zuck die Segel und der Anker fielen. Kam er nicht von den Inglishmen in den Besitz der Vereinigten-Staaten-Flotte?«

»Ja. Vorher aber war er das gefürchtetste Fahrzeug zwischen Grönland und den beiden südlichen Kaps. Oder habt Ihr nie von dem ›schwarzen Capitain‹ gehört?«

»Wie sollte ich nicht? Vielleicht mehr noch als Ihr. Ich wußte nur nicht gleich, wohin ich den Namen ›l'Horrible‹ thun sollte; jetzt aber besinne ich mich. Das Fahrzeug wurde auf einer Ebenholzfahrt betroffen und daher weggenommen. Die Bemannung hing man an die Ragen und den schwarzen Capitain – – ah, wie war es nur mit ihm?«

»Er befand sich nicht an Bord, dafür aber eine Dame, die man beim Ueberfalle eines Kauffahrers verschont und mitgenommen hatte, um ein Lösegeld zu erpressen.«

»Wer war sie?«

»Weiß es nicht. Seit jener Zeit hat man nie mehr Etwas wieder über den Piraten gehört. Entweder hat die Lection gefruchtet, oder er ist doch mit an Bord gewesen und im Kampfe getödtet oder als gewöhnlicher Vormarsgast mit gehangen worden.«

»Wäre ihm recht geschehen! Also heut Abend bei der Frau de Voulettre; ich werde Euch abholen, Lieutenant, ja?«

»Ich werde diese Ehre – –«

»Pshaw, ich bitte nur, mir Euer braves Fahrzeug einmal ansehen zu dürfen, ehe wir an das Land rudern. Im Uebrigen aber dürft Ihr Euch wahren; die Wittwe ist eine Frau, der eine einmal beabsichtigte Eroberung nicht schwer zu fallen scheint!«

Während dieses Gespräches kam ein Mann langsam und gemächlich am Quai herabgeschlendert, ganz in der Haltung eines Menschen, der über sich und seine Zeit vollständig Herr ist. Von kaum mittler Statur und dabei schlank gebaut, trug er die Kleidung eines Diggers, der von den Minen kommt, um von der anstrengenden Arbeit auszuruhen und sich ein Weniges in der Stadt umzusehen. Ein breitkrempiger, vielfach zerknitterter Hut hing ihm in das Gesicht hernieder; doch vermochte er nicht, das große, häßliche Feuermaal zu verdecken, welches sich von dem einen Ohre quer über die ganze Wange bis über die Nase zog.

Wer ihn sah, wandte sich mit Abscheu von dem abstoßenden Anblicke weg. Der Mann bemerkte dies sehr wohl, schien sich aber nicht sehr darüber zu grämen und ließ sich sogar durch gelegentliche laute Aeußerungen in seiner offenbaren Seelenruhe nicht stören.

Da blieb er stehen und ließ sein Auge hinaus auf die Rhede schweifen.

»Wieder Einer vor Anker,« murmelte er; »ein Segelschiff und, wie es scheint, nicht schlecht gebaut. Wenn nur – –«. Er hielt plötzlich in seinem Selbstgespräch inne und beschattete das Auge mit der Hand, um schärfer sehen zu können. »Sacré nom du dieu, das ist, – ja, das ist er, das ist der ›l'Horrible‹, wegen dem ich nun schon seit einem Monate hier vor Anker liege. Endlich, endlich sehe ich ihn wieder, und – – doch, er liegt zu weit vom Lande, und ich könnte mich täuschen. Ich werde mich überzeugen, ob ich mich irre oder nicht!«

Er schritt die Stufen hinab, vor denen mehrere Boote lagen, und sprang in eines derselben.

»Wohin?« frug der Besitzer, der sich auf der Ruderbank sonnte.

Der Mann deutete leicht nach der Rhede hinaus.

»Spazieren.«

»Wie lange?«

»So lange es mir gefällt.«

»Könnt Ihr bezahlen?«

Der Frager musterte seinen Fahrgast mit nicht sehr vertrauensvollen Blicken.

»Nach der Fahrt mit gutem Gelde, vor der Fahrt mit guten Fäusten. Wähle also!«

»Hm, hm,« brummte der Schiffer, offenbar eingeschüchtert durch den drohenden Blitz, welcher aus dem dunklen Auge des Fremden leuchtete, »steckt Eure zehn Finger, wohin es Euch beliebt, nur nicht in mein Gesicht. Könnt Ihr das Steuer führen?«

Ein kurzes Nicken war die Antwort, dann wurde der Kahn gelöst und suchte durch das Gewirr der umherliegenden Fahrzeuge aller Gattungen seinen Weg hinaus in das freie Wasser.

Der Fremde verstand zu steuern wie nur irgend Einer, das hatte der Schiffer schon nach den ersten Ruderschlägen bemerkt. Er ließ kein eigentliches Ziel errathen, umkreiste in weitem Bogen das Panzerschiff und den »l'Horrible« und führte dann das Boot an seinen Platz zurück, wo er die Fahrt auf eine Weise bezahlte, die seine äußere Erscheinung allerdings nicht hatte vermuthen lassen.

»Er ists,« seufzte er erleichtert, indem er die Stufen emporstieg; »nun soll die Frau de Voulettre bald so spurlos verschwinden, wie Clairon und die Miß Admiral in New-York vor dem Herrn Vicomte de Latour mit dem Gelde Wallersteins spurlos verschwunden ist. Jetzt aber in die Taverne!«

Er lenkte seine Schritte einer Gegend der Stadt zu, wo die obscuren Existenzen ihr elendes und oft auch verbrecherisches Leben fristen. Er mußte durch ein Gewirr enger Gassen und Gäßchen schreiten, deren Häuser kaum diese letztere Bezeichnung verdienten. Der wüste, holperige Boden bildete ein besonders für die Nacht halsbrecherisch zu nennendes Terrain, und die Hütten, Baracken und Zelte glichen eher einem wilden Zigeunerlager als dem Theile eines wohlgeordneten Stadthaushaltes, wo die mächtige Hand einer kräftigen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei jeden schädlichen[626] oder auch nur verdächtigen Stoff auszuscheiden oder wenigstens unter scharfer Bewachung zu halten verpflichtet ist.

Endlich hielt er vor einer langgestreckten Bretterbude, über deren Thür mit einfachen Kreidezügen die Inschrift »Taverne of fine brandy« angebracht war. Vor und hinter diesen Buchstaben war mit eben auch Kreide je eine Schnapsflasche auf das rissige Holz gemalt.

Er trat ein.

Der lange Raum war mit Gästen gefüllt, denen man es ansah, daß sie nicht zu den Kreisen der Gesellschaft gehörten, welche die Bezeichnung gentlemanlik für sich in Anspruch nehmen. Ein unbeschreiblicher Spiritusdunst und Tabaksqualm warf den Eintretenden förmlich zurück, und der Lärm, welcher hier herrschte, schien eher thierischen, als menschlichen Kehlen zu entstammen.

Der Mann mit dem Feuermaale kehrte sich nicht im mindesten an diese Unannehmlichkeiten. Er trat an den Schenktisch und wandte sich zu den hinter dem selben paradirenden Wirthe.

»Ist der lange Tom hier, Master?«

Der Gefragte musterte ihn mit einem mißtrauischen Blicke.

»Warum?«

»Weil ich mit ihm zu sprechen habe.«

»Wer ist der lange Tom, he?«

»Pah! Spielt nicht Versteckens! Ich kenne den Mann ebenso gut wie Ihr und bin von ihm hierher bestellt worden.«

»Wer seid Ihr?«

»Das geht Euch den Teufel an. Hab Euch auch noch necht nach der Geburtsliste gefragt, auf der Euer Name verzeichnet sein mag!«

»Hoho, wenn Ihr so kommt, so könnt Ihr lange fragen, ehe Ihr die Antwort bekommt, die Ihr haben wollt. Eher ist es möglich, daß Ihr einen guten Faustschlag oder zwei von hier mit fortnehmt!«

»Darüber ließ sich vielleicht auch noch sprechen. Aber ich will Euch wenigstens so viel sagen, daß es Euch der lange Tom verteufelt anrechnen wird, wenn Ihr mich nicht mit ihm sprechen laßt.«

»So? Nun, ich will einmal so thun, als ob ich ihn kenne; versteht Ihr, Sir? Wenn er Euch wirklich bestellt hat, so hat er Euch jedenfalls ein Wort gesagt, ein kleines Wörtchen, ohne welches man nicht zu ihm kommt.«

»Das hat er. Hört einmal!«

Er neigte sich über den Tisch hinüber und raunte dem Wirthe einige leise Sylben zu. Dieser nickte zustimmend mit dem Kopfe.

»Richtig! Jetzt darf ich Euch trauen. Tom ist noch nicht hier; es ist eben jetzt die Zeit, wo gewöhnlich die Polizei kommt, um sich ein Weniges unter meinen Gästen umzusehen. Ist sie fort, so gebe ich ein Zeichen, und in fünf Minuten ist er da. Setzt Euch bis dahin nieder!«

»Hier nicht, Master. Tom sagte mir, daß es bei Euch einen kleinen Raum giebt, wo man nicht von Jedermanns Auge belästigt wird.«

»Den giebt es, ja; aber er ist eben auch nicht für Jedermann da.«

»Nicht für Jedermann. Aber für wen denn?«

»Wenn ich Euch das erst sagen muß, so scheint es unter Eurem Hute ganz niederträchtig finster zu sein!«

»So sehr doch nicht, wie Ihr denkt!«

Er zog ein Goldstück hervor und schob es dem speculativen Manne zu.

»Gut! Es steht mit Euch doch nicht ganz so schlimm, als ich dachte. Aber wißt Ihr, wenn man Jemandem den Gefallen thut, die Spürnasen von ihm abzuhalten, so ist ganz natürlich eine Liebe der andern werth. Wollt Ihr Etwas trinken?«

»Ein Glas Wein.«

»Wein? Seid Ihr verrückt. Was soll ich hier mit diesem albernen Getränke machen? Ihr bekommt eine Flasche Brandy, wie es hier Sitte und Gewohnheit ist. Hier, und auch ein Glas dabei. Jetzt setzt Ihr Euch an den Tisch dort hinter dem breiten Ofen. Gleich daneben ist eine Thür, die Niemand sehen kann. Ich werde sie aufstoßen; dann paßt Ihr auf, und beim ersten Augenblicke, wo es kein Anderer bemerkt, schlüpft Ihr schnell hinein.«

»Soll geschehen.«

»Es ist jetzt leer in der Stube. Aber es werden bald Gäste kommen, und ich rathe Euch, sie nicht zu incommodiren. Es sind rasche Bursche, bei denen Wort und Klinge nicht weit von einander liegen!«

Es geschah, wie er gesagt hatte, und bald saß der Fremde in dem verborgenen Raume. Dieser faßte nur zwei Tische mit vielleicht einem Dutzend Stühlen, welche jetzt leer standen. Aber, wie der Wirth gesagt hatte, kamen bald Gäste, einer nach dem andern, herbeigeschlüpft, und nahmen in einer Weise Platz, welche errathen ließ, daß sie gewohnt seien, hier in dieser Abgeschlossenheit zu verkehren.

Die Notiz, welche sie von dem bereits Anwesenden nahmen, bestand nur in einem kurzen, musternden Blicke; sonst aber beachteten sie seine Anwesenheit nicht im Mindesten und führten ihr halblautes Gespräch so ungenirt, als ob kein Fremder zugegen sei. Sämmtliche Männer schienen Seeleute zu sein, wenigstens zeigten sie sich während ihrer Unterhaltung in dem Schiffswesen sehr bewandert und in allen nautischen Vorkommnissen der jüngeren Vergangenheit außerordentlich gut unterrichtet. Auch die im Hafen und auf der Rhede liegenden Fahrzeuge wurden besprochen.

»Wißt Ihr,« frug Einer, »daß der ›l'Horrible‹ draußen vor Anker gegangen ist?«

»Der ›l'Horrible‹, das Kaperschiff?«

»Ja, Befehlshaber Lieutenant Jenner. Ein prächtiges Schiff, ganz unvergleichlich in Bau und Ausrüstung; der schwarze Capitain hat es bewiesen.«

»Schade um den armen Kerl, daß er den Strick hat schmecken müssen! Oder nicht, he?«[627]

»Jammerschade; er wußte Etwas aus sich und seinen Jungens zu machen.«

»Er vielleicht weniger, aber er soll einen ausgezeichneten Segelmeister gehabt haben, der das eigentliche Kommando führte.«

»Hab' auch davon gehört. Der Kerl soll gar nicht einmal ein Mann, sondern ein Weib gewesen sein, ein wahrer Satan. Will's auch gern glauben, denn wenn sich der Teufel ein Extraplaisir machen will, so fährt er in ein Frauenzimmer.«

»Richtig,« meinte ein Dritter, »ein Frauenzimmer ist es gewesen und Miß Admiral hat sie geheißen; ich weiß es genau. Und wer noch mehr erfahren will, der mag nur den langen Tom fragen, der weiß Bescheid. Ich glaube, der Hallunke ist schon einmal mit dem schwarzen Capitain gefahren und kennt den ›l'Horrible‹ besser als er gestehen will.«

»Möglich; zuzutrauen ist es ihm. Und wenn es wirklich so gewesen ist, so fällt mir gar nicht ein, es ihm übel zu nehmen; denn so ein Hundeleben wie auf einem elenden Kauffahrer giebt es natürlich auf einem wackeren Kaper nicht. Ich will nicht weiter reden, aber, na, Ihr wißt schon, was ich meine!«

»Papperlapapp, heraus damit! Oder wenn Du Dich fürchtest, so will ich es sagen: Wenn der schwarze Capitain noch lebte und den ›l'Horrible‹ noch hätte, ich ginge auf der Stelle zu ihm an Bord. Da hört Ihr's, und ich meine, daß Ihr mir Recht gebt!«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür von Neuem und ein Mann trat in gebückter Stellung ein, den Alle als alten Bekannten begrüßten.

»Der lange Tom! Komm her, alter Swalker und verteie Dich hier auf diesen Stuhl. Weißt Du, daß wir soeben von Dir gesprochen haben?«

»Ja, von Dir und den ›l'Horrible‹!«

»Laßt den ›l'Horrible‹ nur immer draußen auf dem Wasser, Ihr alten Schwatzratten,« antwortete er, sich niedersetzend und dem Manne mit dem Feuermale unbemerkt zublinzelnd. »Was geht Euch das Fahrzeug an, he?«

»Uns nichts, aber Dich desto mehr. Wir meinen, daß Du es besser kennst als wir; oder bist Du nicht einmal auf seinen Planken herumgelaufen?«

»Ich sage nicht ja und nicht nein, aber möglich wäre es. Es sind wohl einige hübsche Dutzend guter Schiffe, die den Tom gesehen haben, und wer kann da Etwas dawider haben, wenn der ›l'Horrible‹ mit dabei gewesen ist?«

»Niemand. Doch sag, ist es wirklich wahr, das der Segelmeister des Kapers ein Weibsbild gewesen ist?«

»Wie ich gehört habe, ja.«

»Hm, da muß doch trotz alledem eine miserable Wirthschaft auf dem Fahrzeuge stattgehabt haben!«

»Wieso?«

»Na, wenn ein Frauenzimmer das Kommando eines Schiffes führt, so möchte ich nicht dabei sein. Ich meine, daß grad Dies und nichts Anderes daran Schuld ist, daß der ›l'Horrible‹ genommen worden ist.«

»Meint Ihr – – –?« ließ sich da mit gedehnt fragender Stimme der Fremde mit dem Feuermale vernehmen.

»Ja, ich meine es. Oder habt Ihr vielleicht Etwas dagegen?«

»Geht Euch Nichts an; wollte bloß wissen, ob Ihr das wirklich meint!«

»Geht mich Nichts an, he? Wenn sich ein Fremder in Das mengt, was ich sage, so geht es mich nichts an, nehmt Eure Zunge etwas fester hinter die Zähne, sonst schlage ich Euch Eins auf das Maul, daß sie Euch hinunter bis auf die Zehen fährt!«

»Seht ganz danach aus!«

»Wie – was –? Da – da habt Ihr, was Euch gehört!«

Mit einem raschen Schritte stand er vor dem schmächtigen, um Kopfeshöhe kürzeren Mann und holte zu einem Schlage aus, der sicher keine wohlthuende Liebkosung sein konnte. Der Bedrohte aber hatte ihn im Nu gefaßt, hob ihn in die Höhe und schmetterte ihn mit solcher Wucht zu Boden, daß er sich kaum aufzuraffen vermochte.

Sofort sprang der ihm am nächsten Sitzende herbei, um die schmähliche Niederlage seines Kameraden zu rächen. Es wurde ihm ganz dasselbe Schicksal: mit wahrhaft katzenartiger Geschwindigkeit wich der Gegner seinen Streichen aus, unterlief ihn und warf ihn zur Erde nieder, daß es dröhnte.

Schon wollte der Dritte seinem Beispiele folgen, als der lange Tom sich in das Mittel legte.

»Stopp!« meinte er, ihn beim Arme packend und zurückhaltend. »Mach keine Dummheit, alter Bursche. Mit Dem dort nimmst Du es nicht auf und noch zehn Andere ebenso!«

»Oh, das will ich sehen!«

»Versuch's, wenn Du durchaus nicht anders willst, aber ich meine, daß ihr einen Offizier vom ›l'Horrible‹ respectiren werdet.«

»Vom ›l'Horrible‹!«

Auch die beiden Anderen, welche sich jetzt vom Boden erhoben hatten und Miene machten, den Angriff von Neuem zu beginnen, stimmten überrascht in die Frage ein.

»Vom früheren oder jetzigen?«

»Vom früheren natürlich; oder glaubt Ihr etwa, daß sich so ein Schwachkopf von Vereinigten-Staaten-Marineoffizier hier in unsere Kabine wagen möchte?«

»Ist's wahr?«

Der Mann mit dem Feuermale nickte leichthin mit dem Kopfe.

»Wird wohl wahr sein, Ihr Männer. Der lange Tom kennt mich ein Weniges von früher her, wo wir einige Zeit lang auf denselben Planken herumgestiegen sind und manchen guten Coup ausgeführt haben.«[628]

»So; das ist etwas Anderes! Wenn es so steht, so seid Ihr sicher bei uns, und wir werden Euch unsre Fäuste nicht weiter zu schmecken geben.«

»Pah,« klang die geringschätzige Antwort; »vor Euren Fäusten ist mir ganz verteufelt wenig bange, wie Ihr gesehen habt. Doch seit Ihr keine üblen Maaten, denke ich, und so will ich die Sache nicht nur gut sein lassen, sondern mich sogar auch ein Wenig bei Euch auf den Stuhl verteien.«

»Gut sein lassen? Ich denke, der Streit ist nicht von uns, sondern von Euch ausgegangen. Als Fremder ging Euch das, was wir sprachen, nichts an!«

»Hm, Ihr mögt nicht so ganz unrecht haben, aber ich bin gewohnt, meine Leute auf die Probe zu stellen, ehe ich den Handschlag von ihnen nehme.«

»Eure Leute?« meinte der Eine.

»Auf die Probe stellen?« der Andre.

»Den Handschlag nehmen?« der Dritte.

»So ists! Habt Ihr nicht vorhin gesagt, daß Ihr nach dem ›l'Horrible‹ möchtet?«

»Das war so eine Rede. Ihr werdet Euch wohl die Beifügung gemerkt haben: wenn der schwarze Capitain noch lebte und ihn befehligte.«

»Wißt Ihr denn so genau, daß er todt ist?«

»Alle Wetter! Wollt Ihr damit etwa sagen, daß er noch lebt?«

»Er lebt noch.«

»Wißt Ihr das gewiß?«

»Gewiß.«

»Wo steckt er, he?«

»Das ist nicht Eure, sondern meine Sache!«

»Auf dem ›l'Horrible‹ jedenfalls nicht!«

»Nein; da habt Ihr recht. Aber er – – hm, wenn er ihn nun wiederbekäme?«

»Wiederbekäme? Holla, Sir, das wäre ja ein verdammt guter Streich von ihm!«

»Und von Euch!«

»Von uns? Wieso?«

»Weil Ihr mit dabei sein könnt, wenn Ihr wollt,« klang es leise und vorsichtig.

»Was wollt Ihr damit sagen, Master?«

»Ich will damit sagen, daß man Männern, die der lange Tom seine Freunde nennt, wohl ein Wenig Vertrauen schenken darf. Oder nicht, he?«

»Bei allen Teufeln, da habt Ihr recht und geht nicht fehl! Wir sind überall gern dabei, wo es ein gutes Stück[641] Geld oder einen hübschen Sold zu verdienen giebt. Tom mag uns Euch empfehlen!«

»Ist schon geschehen,« antwortete der Genannte. »Dieser Sir kennt Euch so wie ich, und ich hatte ihn herbestellt, damit er Euch einmal sehen und mit Euch sprechen könne. Wißt Ihr etwas Neues?«

»Nun?«

»Ich werde Bootsmann auf dem ›l'Horrible‹.«

»Bootsmann? Willst Du uns kalfatern?«

»Fällt mir gar nicht ein! Auch Ihr könntet eine gute Stelle finden, wenn Ihr wolltet.«

»Ob wir wollen! Aber das Schiff gehört ja den Buntjacken.«

»Jetzt, aber lange nicht mehr, das ist sicher.«

»Wieso?«

Er neigte sich über den Tisch herüber und flüsterte:

»Weil wir es ihnen nehmen werden.«

»Donnerwetter, das wäre ja ein Streich, wie er noch gar niemals dagewesen ist. Man würde in den ganzen Staaten und wohl auch noch weiter darüber hinaus davon sprechen.«

»Fürchtet Ihr Euch davor?«

»Fürchten? Pah! Was kann uns das Gerede schaden? Mit dem ›l'Horrible‹ unter den Füßen braucht man sich vor der ganzen Welt nicht zu scheuen!«

»Ja, und könnte ein Leben führen wie der große Mogul oder wie der Kerl heißt, der so viel Dollars besitzt, daß die See voll würde, wenn er einmal so dumm sein wollte, sie hineinzuwerfen.«

»Es liegt nur an Euch, es so zu haben!«

»An uns? Sprecht weiter, Sir!«

Der Rothmaalige langte in die Tasche, zog ein wohlgefülltes Portefeuille hervor, entnahm demselben einige Banknoten und legte Jedem eine derselben hin.

»Wollt Ihr diese Wische haben?«

»Werden nicht so albern sein, sie zurückzuweisen! Aber was sollen wir dafür thun?«

»Nichts; ich schenke sie Euch umsonst. Aber wenn Ihr die Richtigen seid, so könnt Ihr morgen oder übermorgen fünfmal soviel haben!«

»In wiefern?«

»Wollt Ihr eine Spazierfahrt hinaus auf die Rhede mitmachen?«

»Warum nicht?«

»Um den Buntjacken einen Besuch abzustatten?«

»Warum nicht?«

»Es wird wohl einige Hiebe oder Messerstiche dabei geben.«

»Thut Nichts!«

»Doch ist es möglich, daß es auch glatt abgeht.«

»Desto besser.«

»Ihr bleibt dann natürlich auf dem Schiffe.«

»Versteht sich! Aber wer wird uns befehligen?«

»Wer anders als der Capitain?«

»Der schwarze?«

»Der schwarze!«

»So lebt er wirklich noch?«

»Er lebt noch, und Ihr sollt mit ihm zufrieden sein, wenn Ihr das Eurige thut.«

»Wird an Nichts fehlen, Sir, darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

»Gut; so hört, was ich Euch sage!«

Sie rückten erwartungsvoll zusammen.

»Ihr kauft Euch bessre Kleider, denn so wie jetzt darf Euch Niemand sehen!«

»Soll geschehen.«

»Ihr geht des Abends nicht aus, sondern bleibt hier, um auf mich oder meinen Boten zu warten!«

»Ist uns lieb. Die Spürnasen machen uns ja draußen genug zu schaffen.«

»Sobald ich schicke kommt Ihr mit Tom zu – zu – in die Wohnung der Frau de Voulettre.«

»Alle Teufel, das ist eine verdammt vornehme, reiche und schöne Miß. Ich habe von ihr sprechen hören. Was haben wir mit ihr zu schaffen?«

»Die Offiziere des ›l'Horrible‹ werden bei ihr zu finden sein.«

»Ah!«

»Ihr wollt Hoyer auf dem Schiffe nehmen, und sie wird Euch den Herren empfehlen.«

»Donnerwetter – uns empfehlen – die reiche, vornehme Miß? Seid Ihr klug, Sir?«

»Ich denke es!«

Die Männer sahen ihn halb zweifelnd, halb respectvoll forschend an.

»Dann seid Ihr wohl ein Wenig gut mit ihr bekannt?«

»Möglich! Ihr werdet jedenfalls gemiethet werden und geht sofort an Bord.«

»Ganz wie Ihr befehlt, Sir.«

»Es wird dann dafür gesorgt werden, daß die Offiziere und Subalternen an das Land gehen. Der schwarze Capitain wird dann mit seinen Leuten bei Euch anlegen und – – na, das Uebrige ist nicht meine Sache; ich bin blos sein Agent. Was Ihr noch zu wissen braucht, das wird Euch Tom schon sagen.«

Die Männer nickten zustimmend. Der Plan des scheinbaren Agenten nahm ihre Köpfe so sehr in Anspruch, daß sie keine Zeit zu langen Reden hatten.

»Und nun noch Eins: Tom ist Bootsmann, und Ihr habt ihm von diesem Augenblicke an in allen Stücken Gehorsam zu leisten, versteht Ihr?«

»Yes, Sir!«

»Seid Ihr treu und verschwiegen, so könnt Ihr auf den Capitain rechnen, bei dem geringsten Zeichen von Verrath aber seit Ihr verloren, dafür ist gesorgt. Also nehmt Euch zusammen!«

»Keine Sorge, Master! Wir wissen, was wir vorhaben; es ist so Etwas schon längst unser Wunsch gewesen, und[642] da er nun so schön in Erfüllung geht, werden wir uns das Vergnügen doch nicht selbst verderben.«

»Schön! Hier habt Ihr noch ein Weniges, um zu trinken; ich muß nun fort. Adieu!«

»Adieu, Sir!«

Während die Andern sich in achtungsvolle Stellung erhoben, reichte er Tom wie herablassend die Hand und verschwand dann durch die Thür.

»Alle Teufel, konnte der Kerl zugreifen!« bemerkte der Eine.

»Und was die Hauptsache ist, mit diesen kleinen Händen,« fügte der Andere hinzu. »Man sieht es ihm nicht an, aber er hat wahrhaftig den Satan im Leibe!«

»Setzt Euch,« mahnte Tom; »ich habe Euch noch Mancherlei zu erklären.«

Die Männer saßen noch lange beisammen und lauschten den Reden ihres Kameraden. Er war ein erfahrener und gewiegter Maate und verstand es, sie vollständig für das beabsichtigte Unternehmen zu gewinnen, so daß an einen Verrath ihrerseits nicht zu denken war. – – –

Die Gemächer der Frau de Voulettre waren am Abende nach dieser Unterredung hell erleuchtet. Sie hatte große Soiree. Im Salon wurde zum Piano getanzt; an den Büffets nahm man die feinsten Delicatessen und Erfrischungen zu sich; die älteren Herren hatten sich in die Nebenzimmer zurückgezogen, wo man Allerlei discutirte oder sich einem »kleinen« Spielchen hingab, bei welchem die Dollars zu Hunderten gesetzt, gewonnen oder verloren wurden.

Selbst der Neid mußte gestehen, daß unter allen anwesenden Damen der Herrin des Hauses die Krone gebühre. Sie war eine wahrhaft hinreißende Schönheit und verstand es, jedes Wort so auszusprechen und jede, auch die kleinste Bewegung so zu executiren, daß der Beobachter selbst gegen seinen Willen angezogen und dann dauernd gefesselt wurde.

Jetzt eben ruhte sie in nachlässiger, aber wohl berechneter Stellung auf dem sammetnen Divan und wehte sich mit dem perlenbesetzten Fächer Kühlung zu. Ihr dunkles, glühendes Auge ruhte mit sichtbarem Interesse auf dem Gesichte des Marinelieutenants Jenner, der ihr von dem Capitain des Orlogschiffes vorgestellt worden war.

»Sie kommen um Kap Horn, Lieutenant?«

»Direct nicht. Ich kreuze schon längere Zeit vis-á-vis dem Isthmus.«

»Ah, ein langweiliges Geschäft, nicht? Hatten Sie nicht Zeit, schon längst einmal hier anzulegen?«

»Leider nicht. Der Dienst zur See ist streng. Hätte ich aber ahnen können, welcher Stern mir weiter nördlich leuchten könne, so wäre ganz sicher der mir gewordenen Instruction eine weitere Ausdehnung geworden.«

»Schmeichler! Hat es im Süden oder Osten keinen Stern für Sie gegeben?«

»Keinen, Miß!«

»Sie Aermster! Sehen Sie zu, daß der gegenwärtige Ihnen hell und lang genug leuchten möge!«

»Will er das?« frug er, fast verwirrt von der Schönheit der reizenden Frau.

Sie senkte den Fächer zum Busen und antwortete nicht. Aber diese Bewegung ebenso wie der Blick, welcher ihm aus ihrem Auge entgegenstrahlte, sagte ihm ganz dasselbe, was deutliche Worte hätten sagen können. Eine kleine Befriedigung aber gewährte sie ihm doch:

»Wissen Sie, Lieutenant, daß ich mich außerordentlich für das Seewesen interessire?«

»Ah! Die See hat allerdings etwas Anziehendes selbst für Damen; aber das, was man unter ›Seewesen‹ gewöhnlich zu verstehen pflegt, ist so trocken und – gefährlich, daß ich kaum einer Lady im Ernste zumuthen möchte, sich –«

»Pah,« fiel sie ihm in die Rede; »nicht jede Dame fürchtet die Gefahr, ebenso wie nicht jeder Herr ein Herkules ist. Meine Heimath ist eine Insel, rings vom Wasser umgeben; ich habe zahlreiche Verwandte drüben auf dem Continente, bin viel hin und hergefahren, oft droben in New-York oder Boston gewesen, habe sogar einmal das Kap der guten Hoffnung besucht und mir dabei eine Theilnahme für die See angeeignet, welche sich auf Alles erstreckt, was mit der Letzteren in Beziehung steht. Sogar den nautischen Wissenschaften, die für den Laien allerdings so schwer und trocken sind, wie sie sagen, habe ich einige Theilnahme schenken dürfen, und wenn Sie mein Arbeitskabinet betreten wollten, so könnte ich Ihnen den sichersten Beweis für diese Behauptung liefern.«

»Für ein solches Heiligthum dürfte mein Fuß doch vielleicht zu profan sein.«

»Meinen Sie? Man lebt hier so ungenirt und unabhängig von den sonstigen Regeln der Etiquette und Dehors, daß ich meinen Gästen gegenüber sicherlich keinen faux-pas begehe, wenn ich Sie ersuche, mir Ihren Arm zu geben!«

Sie legte ihren Arm in den seinen und schritt mit ihm durch mehrere Gemächer bis in ein Zimmer, welches allerdings die Bezeichnung »Arbeitskabinet« wenig oder gar nicht verdiente. Es war das Boudoir der Dame und mit einem Luxus ausgestattet, der gradezu raffinirt genannt werden mußte.

Hier trat sie an ein kostbares Schreibmöbel, öffnete einen Kasten desselben und entnahm demselben eine vollständige Sammlung der zuverlässigsten und werthvollsten Seekarten. Die andern Kästen enthielten alle nautischen Instrumente, welche zur Führung eines Schiffes erforderlich sind.

Jenner konnte seine Verwunderung über diesen unerwarteten Schatz nicht verbergen.

»Ich muß gestehen, Miß, daß ich in meiner Kajüte nicht bessere Karten und Instrumente besitze!«

»Möglich; ich pflege nie etwas Unbrauchbares zu meinem Eigenthum zu machen.«

»Aber diese Gegenstände sind nur nach tiefen Studien und nur in der Praxis zu verwenden!«

»Und diese Studien trauen Sie einer Dame nicht zu?«[643]

»Ich fand noch keine, welche mich zu einer andern Ueberzeugung bekehrt hätte.«

»So bitte ich, mich zu examiniren!«

Ihr Auge hing mit einem belustigten Blicke, in welchem ein aufmerksamer Beobachter jedenfalls Etwas wie Hohn oder Verachtung bemerkt hätte, in seinen offenen, ehrlichen Zügen.

»Examiniren?« lachte er. »Wer vermöchte es, hier Ihnen gegenüber die zu einem solchen Vorhaben nöthige Ruhe zu bewahren! Ich glaube, Miß, wenn Sie es wären, die mich examinirte, ich vermöchte Ihnen nur mit Anstrengung Rede und Antwort zu stehen!«

»Sind die Herren von der Marine stets so befangen?«

»Nie, als nur unter dem Auge Derjenigen, in deren Herzen man Anker werfen möchte für jetzt und immerdar.«

»Sehnen Sie sich so sehr nach einem sichern Hafen?«

»Jetzt zum ersten Male.«

Er versuchte, den Arm um ihre verführerische Taille zu legen. Sie litt es ohne Widerstreben.

»Und wie lange wollen Sie da liegen bleiben?«

»Ewig!«

Er zog sie an sich. Der Duft, von welchem das Zimmer erfüllt war, berauschte ihn; er wußte kaum, wie verwegen er, der hier zum ersten Male stand, eigentlich handle; er beachtete auch die Bereitwilligkeit nicht, mit welcher das herrliche Wesen sich seinen Liebkosungen hingab; er hielt sie fest umschlungen und drückte Kuß um Kuß auf ihre schwellenden Korallenlippen.

Endlich richtete sie sich in seinen Armen aus ihrer hintenübergebeugten Lage empor.

»Sie haben eine etwas eigenthümliche Art, mich von Ihrer Befangenheit zu überzeugen, Herr Lieutenant!«

»Eigenthümlich vielleicht, Miß, zugleich aber auch unendlich köstlich und beseligend.«

»So köstlich wie unter dem Aequator eine Sternennacht an Bord des ›l'Horrible.‹ Es ist ein prächtiges Schiff, Sir, das prächtigste, welches ich kenne; aber wissen Sie, daß ich Sie dieses Fahrzeuges wegen hassen sollte?«

»Hassen? Weshalb?«

»Weil ich auf ihm die schlimmsten und bittersten Stunden meines Lebens durchlitten und durchjammert habe.«

»Sie waren auf dem ›l'Horrible‹?« frug er erstaunt.

»Ja. Sie kennen die Geschichte dieses berühmten oder vielmehr berüchtigten Fahrzeuges?«

»So ziemlich.«

»So hörten Sie auch von einer Dame, welche sich an Bord desselben befand, als es genommen wurde?«

»Gewiß.«

»Sie war mit einem Kauffahrer vom Kap gekommen und in die Hände des schwarzen Capitains gerathen?«

»So ist es!«

»Nun, diese Frau war ich!«

»Waren Sie? Welch ein Zusammentreffen, Miß? Sie müssen mir später von diesem außerordentlichen Abenteuer erzählen! Aber, soll ich das Verbrechen des Seeräubers büßen?«

»Wer könnte Sie dazu verurtheilen wollen?«

»Nur Diejenige, welche soeben sagte, daß sie mich eigentlich dieses Fahrzeuges wegen hassen sollte.«

»Ist der Fluch, welcher auf demselben ruhte, hinweg genommen?«

»Ich denke es.«

»Darf ich mich davon überzeugen?«

»Das heißt?«

»Das heißt, darf – darf – aber Sie werden mir ob meiner Frage, ob meiner Bitte vielleicht zürnen!«

»Sprechen Sie, ich zürne nicht!«

»Darf ich den ›l'Horrible‹ sehen, darf ich ihn nochmals besteigen, um die Stätte, an welcher ich so viel verlor, durch meine Gegenwart zu – zu – entsündigen?«

»Sie dürfen!« erwiderte er, beglückt von dem Gedanken, das herrliche Wesen in seinem kleinen, wohlgeordneten Reiche umherführen zu können.

»Und wann?«

»Wann Sie befehlen!«

»Dann morgen, Sir, morgen am Vormittage!«

»Gern, sehr gern, Miß. Ihr Fuß soll die Stätte heiligen, die meine gegenwärtige Heimath ist!«

»Dann sollen Sie Gelegenheit finden, das Examen anzustellen,« lächelte sie schalkhaft. »Doch wünsche ich, Lieutenant, daß mein Besuch Ihnen keinerlei Unbequemlichkeit veranlasse. Ich bin weder Admiral noch Commodore und habe nicht das mindeste Recht, einen seemännischen Eclat zu beanspruchen.«

»Keine Sorge, Miß! Selbst wenn ich wollte und es mir überhaupt gestattet wäre, den ›l'Horrible‹ im Paradekleide auf Sie warten zu lassen, würde ich mit einigen kleinen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Grad morgen früh gehen einige meiner Männer auf Abschied vom Bord, und ich muß, um wieder vollzählig zu sein, mich nach Ergänzung umsehen.«

»Ah! Darf ich Ihnen dabei dienen, Sir?«

»Ich würde eine solche Liebenswürdigkeit mit Dank anzuerkennen wissen!«

»O bitte, nein, zum Dank würde dann nur ich verpflichtet sein! Ihre Bemerkung erinnert mich an einige brave Männer, die in meinen Diensten standen und auf ein gutes Schiff zu kommen wünschen. Sie sämmtlich sind sehr wohlbefahrene Seeleute, denen ich das beste Lob ertheilen kann. Darf ich sie Ihnen empfehlen?«

»Ihre Empfehlung überhebt mich der Mühe, mich nach passenden Persönlichkeiten umzusehen. Darf ich um das Nähere bitten?«

»Sie wohnen in der Nähe. Ich werde sie in das Vorzimmer rufen lassen, wo Sie die Prüfung vornehmen können.«[644]

»Ihre Güte drückt mich förmlich nieder, Miß. Ich bin überzeugt, daß keiner Ihrer Schützlinge zurückgewiesen wird!«

»Ich danke! Gestatten Sie mir, den betreffenden Befehl zu ertheilen!«

Erst jetzt entzog sie ihm ihre Hände, die er bisher festgehalten hatte, und kehrte mit ihm in die Gesellschaftsräume zurück.

Jenner war vollständig bezaubert von der Schönheit und Liebenswürdigkeit der herrlichen Frau, die ihm eine Freundlichkeit und Theilnahme erwies, nach der die Andern wohl vergebens gestrebt hatten. Er, der einfache, in gesellschaftlicher Beziehung anspruchslose und in Betreff der Frauen noch vollständig unerfahrene Seemann konnte sich unmöglich einem Argwohne hingeben, und als ihm gemeldet wurde, daß die Betreffenden im Vorzimmer verharrten, trat er am Arme der Gastgeberin hinaus, warf Tom mit seinen Gefährten einige leichte Fragen hin, gab ihnen das gebräuchliche Angeld und gebot ihnen, schon am nächsten Morgen am Bord des ›l'Horrible‹ einzutreffen.

Er blieb auch für den Verlauf des ganzen Abends der Bevorzugte der fleißig umworbenen Wirthin und nahm, als man sich zum Aufbruche rüstete, ein bisher noch nie gekanntes und noch weniger empfundenes Entzücken mit hinweg.

»Nun, Lieutenant,« frug der Capitain, welcher ihn begleitete, »wie gefällt Ihnen dieses Weib?«

»Ueber alle Beschreibung!«

»Hm, jedenfalls habe ich Ihnen nicht zuviel gesagt. Aber ich glaube, daß das Wohlgefallen nicht ein einseitiges, sondern ein gegenseitiges ist.«

»Sie will den ›l'Horrible‹ sehen,« antwortete Jenner ausweichend.

»Ah! und wann?«

»Schon morgen am Vormittage.«

»Hm, gratulire zu einer so schnellen Eroberung, Lieutenant! Der Empfang wird jedenfalls ein gebührender sein.«

»Höflich, nicht mehr!«

»Soll ich mich dazu einladen?«

»Darf ich Sie ersuchen, Capitain?«

»Nein, nein,« lachte dieser; »ich will ein rücksichtsvoller Kamerad sein und Sie in Ihrer Herrlichkeit nicht stören, allerdings nur unter einer gewissen Bedingung!«

»Sie lautet?«[657]

»Sie bringen mir Ihren Besuch auf eine Viertelstunde herüber zu mir!«

»Zugestanden!«

»Topp?«

»Topp!«

Die beiden Offiziere bestiegen das ihrer harrende Boot, um sich nach ihren Fahrzeugen zu begeben. –

Am andern Morgen herrschte am Bord des »l'Horrible« ein regeres Leben als gewöhnlich. Die Mannschaft war unterrichtet worden, daß eine hochgestellte Dame das Schiff zu besichtigen wünsche. Die peinliche Ordnung und Reinlichkeit, welche auf einem Kriegsschiffe zu herrschen pflegt, ließ zwar alle Vorbereitungen in dieser Richtung als überflüssig erscheinen, dennoch aber unterwarf Jenner sein Fahrzeug einer sorgfältigen Prüfung und verordnete hier und da einen Handgriff oder befahl ein kleines Arrangement, um seine schwanke Wohnung in einem möglichst vortheilhaften Lichte erscheinen zu lassen.

Er hatte diese Thätigkeit eben erst beendet, als die neu angeworbenen Matrosen an Bord erschienen und sich ihm vorstellten. Er nahm sie in Pflicht, ließ ihnen ihren Raum anweisen und bekümmerte sich dann nicht weiter um sie. Die specielle Beaufsichtigung der Leute war ja nicht seine, sondern die Sache des Maate.

Als dann später die Frau de Voulettre erschien, empfing er sie mit wirklich ausgesuchter Artigkeit. Die Kleidung, welche sie trug, war der südlichen Zone angemessen, weich und luftig, hob ihre Reize vortheilhaft hervor und schien ganz gewählt zu sein, ihn mit seiner schönen Eroberung im höchsten Grade zufrieden zu stellen.

Auch die Mannschaft war vollständig entzückt von ihr, und ein Jeder beeilte sich, ihr die ausgesuchteste Aufmerksamkeit zu erweisen.

»Ein prächtiges Schiff!« meinte sie, als sie von der Besichtigung desselben mit Jenner unter das auf dem Decke errichtete Zeltdach zurückgekehrt war, wo der Koch mit den gewähltesten Leckerbissen auf sie wartete. »Ich muß gestehen, Sir, daß es sich sehr zu seinem Vortheile verändert hat. Die gegenwärtige Takelung ist ausgezeichnet, so daß ich glaube, seine Geschwindigkeit habe um ein Beträchtliches gewonnen, seit es in die Hand der Vereinigten-Staaten-Marine gelangt ist.«

»Ich kenne die Zahl der Knoten nicht, die es früher zurückgelegt hat, aber ich bin dennoch in der Lage, Ihrer Meinung mich anzuschließen, wenn auch nicht aus dem Grunde, um dabei mir ein Verdienst beizulegen. Die Verwaltung der Staaten-Marine besitzt eben mehr als ein Privatmann die intellectuellen und pecuniären Mittel, welche die Ausrüstung eines Schiffes erfordert.«

»Es will mir scheinen, als ob der ›l'Horrible‹ einen Vergleich mit jedem andern Schiffe getrost aufnehmen könne.«

»Auch hier stimme ich bei, obgleich ich eine Ausnahme kenne, allerdings nur eine einzige.«

»Und diese wäre?«

»Die ›Swallow‹, Lieutenant Max Parker.«

»Die ›Swallow‹? Mir ist, als hätte ich von ihr gehört. Was für ein Schiff?«

»Klipper mit Schoonertakelage.«

»Wo stationirt?«

»Mit Depeschen unterwegs nach hier. Ich stieß einige Grade südlich von hier auf sie, wo ich von Parker Instructionen in Empfang nahm. Er legte nach der japanesischen Linie hinüber, wird aber bald hier vor Anker gehen.«

»Es soll mich verlangen, dieses ausgezeichnete Fahrzeug zu sehen! Parker ist ein amerikanischer Name?«

»Der Lieutenant ist, so viel ich weiß, kein Nordamerikaner, sondern ein Deutscher.«

»Ah! Woher?«

»Kann es nicht sagen; doch, bitte, nehmen Sie von dem kleinen Imbiß, der Ihrem Geschmacke allerdings nicht angemessen sein dürfte. Der Koch eines Kriegsschiffes ist nur selten auf ein Menu für Damen vorbereitet.«

»Aber eine Dame auf ein Menu für brave Seegasten. Darf ich eine Einladung aussprechen, Herr Lieutenant?«

»Ich füge mich dankbar Ihren Bestimmungen.«

»Dann darf ich Sie heut' Abend bei mir sehen und auch erwarten, daß Sie die übrigen Chargen mitbringen?«

»So weit der Dienst es gestattet, ja.«

»Ich danke! Es wird ein Souper entre nous, bei welchem ich mich bestreben werde, Ihren freundlichen Empfang nach Kräften zu erwidern.«

»Dieser Empfang ist der Frau de Voulettre überall gesichert. So habe ich zum Beispiel den Auftrag, Ihnen, wenn auch nur für einen Aufenthalt von wenigen Minuten, eine Einladung hinüber nach der Panzerfregatte auszusprechen. Der Capitain würde sich für diese Aufmerksamkeit Ihnen außerordentlich verbunden fühlen.«

»Ich sage zu, doch nur unter einer Bedingung.«

»Welche ist dies?«

»Ihre Begleitung, Herr Lieutenant.«

»Zugestanden, und zwar von Herzen gern!«

Er senkte den Blick tief in ihr leuchtendes Auge. Sie schlug erglühend die Wimpern nieder, während ihre kleinen, weißen Händchen leise zitterten. Der wackere Offizier fühlte sich gefangen; aber die Fesseln, die ihn umschlangen, waren zu süß, zu verführerisch, als daß er sich hätte sträuben mögen. –

Quelle:
Auf der See gefangen. Criminalroman von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878–1879). Nr. 42, S. 657-658.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Auf der See gefangen
Auf der See gefangen
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