6.

Entkommen

[658] Die erregten Lüfte, welche heulend über die Ebene jagten, sie fangen sich an den Felsenmauern der Gebirge und gehen – zur Ruhe. Die Wolken, die entweder majestätisch langsam am Himmel hinzogen, oder, vom Sturme gepeitscht, wie wilde, wirre Gespensterschaaren an Firmamente sich auf- und niederwälzten, sie gießen ihr wärmeloses Blut zur Erde nieder und gehen – zur Ruhe. Der Bach, der Fluß, der rauschende Strom, der ohne Rast und[658] Aufenthalt von dem unerbittlichen Gesetze der Schwere zwischen seinen Ufern fortgetrieben wird, er wälzt sich endlich in das Meer und geht – zur Ruhe. Bewegung und Ruhe ist der Inhalt des ganzen, des besonderen wie allgemeinen Lebens, auch des menschlichen.

Die wilde Prairie kennt keine Heimath, keinen häuslichen Herd, an welchem die Familie ihr Glück zu genießen und zu feiern vermag. Wie das Wild, vorsichtig, scheu und heimlich, jagt oder schleicht der Jäger sich über die weiten Savannen, vor, neben, hinter und um sich die Gefahr und den immerfort drohenden Tod. Aber nicht immer darf dies währen, sonst würde seine riesige Körperkraft, seine muthige Ausdauer, seine unbeugsame Energie endlich doch erliegen. Auch er bedarf der Erneuerung seiner Kräfte, der Erholung und Ruhe. Und dies findet er an den sorgfältig ausgesuchten Orten, die er theils zu diesem Zwecke theils auch zur Aufstapelung seiner Jagdbeute herzustellen pflegt, in den sogenannten Hiding-holes oder Hide-spots. – – –

Es war einige Tage nach dem abenteuerlichen Zusammentreffen der Truppe Treskows mit Sam Fire-gun, als drei Männer durch die Prairie ritten, welche einige Maulthiere an der Koppelleine führten. Dieser Umstand ließ errathen, daß sie ausgezogen waren, um »Fleisch zu machen«, das heißt nach dem Jägerausdruck, um auf die Jagd zu gehen und die Ihrigen mit der notwendigen Nahrung zu versorgen.

Der Eine war kurz und dick, der Andere unendlich lang und hager, und der Dritte hing auf seinem Pferde, als erwarte er aller Augenblicke einen heftigen Choleraanfall.

»Zounds,« meinte dieser Letztere, indem er einen Versuch machte, sich in gerade Stellung emporzurichten, »ich wollte, ich wäre in unserm Loche zurückgeblieben und hätte mich nicht vom Teufel reiten lassen, mit Euch hier auf der traurigen Wiese herumzuschlingern wie ein Fahrzeug, welches Kompaß und Steuer verloren hat. Machen mir da die verteufelten Jungens weiß, daß die Büffel hier herumlaufen wie die Ameisen, und nun sind wir bereits zwei Tage auf dem Kurse, haben aber weder Ochse noch Kuh, ja nicht einmal ein armseliges Kalb zu Gesichte bekommen. Und dabei schüttelt mich mein Gaul wie eine Medizinflasche auf und nieder, daß ich gewiß noch aus allen Fugen gehe und zuletzt nicht einmal mehr meinen Namen weiß. Macht, daß wir bald wieder vor Anker gehen. Wer Fleisch haben will, mag sich welches holen: ich brauche keins!«

»Ob Du Fleisch brauchst oder nicht, Peter, das bleibt sich gleich,« antwortete der Dicke; »aber was willst Du essen, wenn wir keines bekommen?«

»Wen denn anders als Dich, den fetten Hammerdull, he! Oder denkst Du etwa, daß ich mich da an Pitt Holbers machen werde, an dem Nichts zu finden ist als Knochenzeug und ungegerbte Schwarte?«

»Was sagst Du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?« lachte Dik Hammerdull.

»Wenn Du meinst, daß sich der alte Seefisch um sich selber zu bekümmern hat, Dik, so gebe ich Dir vollkommen recht. Ich habe nicht den mindesten Appetit, ihn anzubeißen.«

»Das wollte ich mir auch verboten haben! Wer den Steuermann Peter Polter aus Langendorf anbeißen will, der muß ein andrer Kerl sein als – – – Donner und Doria, guckt doch einmal hier zur Erde. Hier ist irgend Wer gelaufen; ob Mensch oder Thier, das weiß ich nicht, aber wenn Ihr das Gras untersuchen wollt, so wird es sich wohl zeigen, was für eine Kreatur es gewesen ist.«

»Egad, Pitt Holbers,« meinte Hammerdull, »es ist wahr; hier ist das Gras zerstampft. Laßt uns absteigen!«

Die beiden Jäger verließen ihre Pferde und untersuchten den Boden mit einer Sorgfalt, als hinge ihr Leben daran.

»Hm, alter Pitt, was meinst Du dazu?«

»Was ich meine? Wenn Du denkst, daß es Rothhäute gewesen sind, Dik, so gebe ich Dir vollständig Recht.«

»Ob es welche gewesen sind oder nicht, das bleibt sich gleich, aber daß es keine Andern waren, das ist sicher. Peter Polter, steig ab, daß man Dich nicht so weit erkennen kann.«

»Gott sei Dank, Ihr Leute, daß wir auf die rothen Hallunken stoßen, denn auf diese Weise komme ich von meiner Bestie herab!« erwiderte dieser, indem er sich mit einer Miene, als sei er einer fürchterlichen Gefahr entronnen, von dem Gaule herabbalancirte. »Wie viele sind es ihrer denn gewesen?«

»Fünf, das ist sicher. Und daß sie zu den Ogellallah gehören, daran ist auch kein Zweifel.«

»Woran erkennst Du das?«

»Weil vier von ihnen neu eingefangene Pferde haben. Das Thier des Fünften ist uns entgangen, als wir sie überrumpelten, und zum Fang der andern benutzt worden. Macht Euch kampfbereit. Wir müssen ihnen nach, um zu sehen, was sie wollen!«

Die drei Männer sahen nach ihren Büchsen, machten ihre Waffen brauchfertig und folgten dann den Spuren, aus deren Richtung ein näherer Zweck des Rittes allerdings nicht zu erkennen war. Sie führte endlich direct auf ein schmales aber tiefes Flüßchen zu, welches die Indianer durchschwommen haben mußten, da man ihre Spur am jenseitigen Ufer erkennen konnte.

Hammerdull musterte, vorsichtig zwischen dem Gesträuch haltend, das drüben sich ausbreitende, hügelige Terrain.

»Wir müssen ihnen auch dort nach. Sie führen nichts Gutes im Schilde, und wenn ich berechne, daß wir ihnen vor – –«

Er konnte nicht weiter sprechen; ein Lasso zischte durch die Luft, schlang sich um seinen Hals und riß ihn zur Erde. So erging es auch den beiden Andern; ehe sie an Gegenwehr denken konnten, waren sie von den fürchterlichen Riemen umschlungen, lagen unter den unvermuthet über sie hergefallenen Feinden und wurden ihrer Waffen beraubt und gefesselt.[659]

Mit wahrhaft gigantischen Anstrengungen sträubte sich der Steuermann gegen die Umschlingung; es half ihm Nichts; die Büffellederriemen waren zu fest; er erreichte Nichts als ein verächtliches Knurren von Seiten der Indianer. Dik Hammerdull und Pitt Holbers dagegen nahmen die Sache gelassener. Sie schwiegen und ergaben sich regungslos in ihr Geschick.

Der Jüngste der Wilden trat vor sie hin. Drei Adlerfedern schmückten sein hochgeflochtenes Haupthaar, und das Fell eines Jaguars hing ihm von den Schultern hernieder. Er musterte sie mit drohendem Blicke und begann dann mit einer verächtlichen Handbewegung:

»Die weißen Männer sind schwach wie die Brut des Prairiehundes; sie vermögen nicht, ihre Fesseln zu zersprengen!«

»Was sagt der Hallunke?« frug Peter Polter, der das Idiom des Wilden nicht verstand, die beiden Leidensgefährten.

Er erhielt keine Antwort.

»Die weißen Männer sind keine Jäger. Sie sehen nicht, sie hören nicht und haben keine Klugheit. Der rothe Mann sah sie kommen hinter sich her. Er ging durch das Wasser, um sie zu täuschen, und kehrte zurück. Sie haben keine List gelernt und liegen nun auf der Erde wie Kröten, die man mit dem Stocke zerschlägt.«

»Mille tonere, wollt Ihr mir wohl endlich sagen, was der Kerl zu schwatzen hat, he?« schrie der Steuermann, sich erfolglos unter seinen Fesseln emporbäumend.

Die Angeredeten schwiegen auch jetzt.

»Die weißen Männer sind feig wie die Mäuse. Sie wagen nicht, mit dem rothen Manne zu sprechen; sie schämen sich, vor ihm zu liegen als – –«

»Heiliges Graupelwetter, was er sagt, frage ich Euch, Ihr Schufte!« brüllte Peter, jetzt über ihr Schweigen noch wüthender, als über die Lage, in welche sie durch ihre Unvorsichtigkeit gerathen waren.

»Ob er Etwas sagt oder nicht, das bleibt sich gleich,« meinte Hammerdull; »aber er schimpft Dich eine dumme, feige Kröte, weil Du so unvorsichtig gewesen bist, Dich fangen zu lassen!«

»Dumm – feig – Kröte – mich schimpft er –, mich blos? Habt Ihr Euch etwa nicht auch fangen lassen? Wart, Ihr Schlingel, er soll den Peter Polter aus Langendorf kennen lernen und Ihr dazu! Mich allein hat er geschimpft, mich allein, hahaha! Na warte, so werde ich ihm auch beweisen, daß nur ich allein mich nicht vor ihm zu fürchten brauche!«

Er zog die sehnigen Glieder langsam zusammen. Die Indianer waren seitwärts getreten, um sich leise zu berathen und bemerkten diese Bewegung nicht.

»Eins – zwei – drei – adjes Dik Hammerdull – adjes Pitt Holbers – kommt recht bald hinterdrein gesegelt!«

Das Vertrauen auf seine Riesenkraft hatte ihn bei dieser fast übermenschlichen Anstrengung nicht im Stiche gelassen. Die Riemen sprangen; er schnellte empor, stürzte zum Pferde und flog davon.

Die Wilden hatten das Entkommen eines ihrer Gefangenen für keine Möglichkeit gehalten, und die Bewegungen des Steuermannes waren so blitzesschnell gewesen, daß er schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatte, ehe sie nach den Schießwaffen griffen. Die Kugeln trafen ihn nicht; aber zwei der Indianer saßen auf, ihn zu verfolgen. Die Andern blieben bei den beiden Gefangenen zurück.

Während des ganzen Zwischenfalles war kein Wort, kein Ruf zu hören gewesen; jetzt trat der junge Wilde, welcher vorhin gesprochen hatte, wieder zu den beiden Jägern heran.

»Kennt Ihr Sam Fire-gun, den weißen Jäger?«

Die Gefragten würdigten ihn keiner Antwort.

»Ihr kennt Ihn, denn er ist Euer Häuptling. Aber Ihr habt auch gekannt Riccarroh, die Bärentatze, dessen Blut geflossen ist von Euern Händen. Er weilt jetzt in den ewigen Jagdgründen, und jetzt steht sein Sohn vor Euch, um seinen Tod zu rächen an den weißen Männern. Er ist mit den Jünglingen den alten Kriegern nachgezogen, welche das Feuerroß fangen wollten, und hat zweimal gefunden die Leichen seiner Brüder. Den Entkommenen hat er neue Pferde gefangen und wird nun liefern die Mörder an den Feuerpfahl.«

Er trat zurück. Die beiden Jäger wurden, ohne daß sie sich dagegen wehrten, auf ihre Pferde gebunden, dann ging es über das Flüßchen hinüber dem Walde zu, der sich längs des hügeligen Horizontes hinzog. Die drei Wilden wußten, daß sie wegen der zwei Uebrigen keine Sorge haben brauchten. –

Es war am Abende. Ein kleines, gedämpftes Feuer brannte unter dem dichten Laubdache inmitten eines Kreises von Indianern, welche aufmerksam dem Berichte des jungen Häuptlings lauschten, der, hochaufgerichtet unter ihnen stehend, ihnen die Gefangennahme der Weißen erzählte und daran seine weiteren Vorschläge schloß.

Seine Worte schienen Beifall zu finden, wie ein oft eingeschaltetes »Uff!« seiner Zuhörer zeigte. Dann trat der einzige Weiße, welcher sich unter ihnen befand, hervor und begann:

»Der große Geist öffne die Ohren meiner rothen Brüder, damit sie verstehen das, was ich ihnen jetzt zu sagen habe!«

Nach einigem Räuspern fuhr er fort:

»Sam Fire-gun ist ein großer Jäger; er ist stark wie der Bär des Gebirges und klug wie die Katze hinter dem Stamme des Sykamore; aber er ist ein Feind des rothen Mannes und hat ihm mehr als hundert Scalpe genommen. Er hat getödtet Riccarroh, den berühmten Häuptling der Ogellallah, hat niedergeschlagen die Hälfte des Stammes und sich wieder frei gemacht, als er in unsre Hände fiel.«[660]

»Sam Fire-gun hat das Gold der Berge in seinem Wigwam aufgestapelt und Niemand durfte wissen, wo er wohnte,« fuhr der Weiße in seinem Gespräche zu den Indianern fort. »Er ist mein Feind, und darum nahm ich meine Männer, um sein Wigwam zu finden und ihm das Gold zu nehmen. Da trafen wir auf unsre rothen Brüder, verbanden uns mit ihnen und wurden einig: sie das Blut und wir das Gold der Feinde. Aber an dem Himmel stand für uns kein günstiges Gestirn; die weißen Männer wurden außer mir alle getödtet, und von den rothen Brüdern erhielten nur Wenige das Leben. Wir waren ohne Waffen und Pferde, und die Noth hätte uns ergriffen, wenn wir nicht auf die jungen Krieger des Stammes getroffen wären, welche ausgezogen waren, um zu zeigen, daß sie würdig sind, in den Reihen der Tapfersten zu kämpfen. Sie werden die Getödteten rächen und die Scalpe ihrer Feinde nehmen, aber anders, als der junge Häuptling will.«

Ein Ruf der Spannung ging durch den Kreis der Zuhörer.

»Wir haben entdeckt den Zugang zu dem Wigwam des Feindes. Er wohnt in einer Höhle, in welche das Wasser führt, das die Spur seines Fußes und seiner Pferde verdeckt. Meine Brüder wollen da eindringen in der Dunkelheit der Nacht und ihn im Schlafe tödten. Aber die rothen Männer mögen erwägen, daß er nicht ohne Wächter ist und heute Einer seiner Leute ihnen entkommen ist, der ihm ihre Anwesenheit verrathen wird. Ich weiß einen bessern Weg zu ihm.«

»Der weiße Mann spreche!« ertönte es.

»Das Wasser, welches in den Wigwam fließt, bleibt sicher nicht in demselben, sondern fließt wieder ab. Ich habe den Ort gefunden und will jetzt den jungen Häuptling hinführen, um zu entdecken, ob durch die Erde gelangen ist. Man frage die beiden Gefangenen, ob sie davon wissen!«

Der Vorschlag wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen; der Kreis theilte sich, und der Anführer trat auf Pitt Holbers und Dik Hammerdull zu, welche gefesselt und geknebelt in der Nähe lagen.

Sie hatten jedes Wort vernommen. Der Gedanke des feindlichen Trappers hatte jedenfalls seine Berechtigung, doch wußten sie von einem zweiten Eingange zu dem Hide-spot nicht das Geringste.

Das Versteck Sam Fire-gun's bestand allerdings aus einer Höhle, welche die Natur in dem Innern eines kalkfelsigen Berges gebildet hatte. Der Zugang zu derselben war durch das Wasser eines Baches gebrochen worden, welcher[673] sich im Hintergrunde der Höhle brausend in die dunkle Tiefe des Bergesinnern stürzte und nach der Meinung der Jäger dort verschwand. Sam Fire-gun hatte diese Höhle selbst entdeckt, sie als Versteck eingerichtet und über ihre Beschaffenheit nie anders gesprochen, als daß sie nur bis an den Rand des Sturzbaches zu betreten sei.

Es wurde den Gefangenen der Knebel aus dem Munde genommen, dann führte man sie in den Kreis, wo der weiße Trapper das Verhör begann:

»Ihr seid Leute von Sam Fire-gun?«

Hammerdull würdigte ihn keines Blickes, wandte sich aber zu seinem Freunde.

»Pitt Holbers, altes Coon, was meinst Du, wollen wir dem verrätherischen Hallunken antworten?«

»Hm, wenn Du denkst, Dik, daß wir uns nicht zu schämen und zu fürchten brauchen, so stopfe ihm doch einige Worte in den Mund!«

»Ob ich sie ihm hineinstopfe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er könnte wirklich denken, wir hätten aus Angst vor ihm und den Indsmen die Sprache verloren; also wollen wir ihm Einiges zu hören geben!«

Der Trapper blieb zu dem »Hallunken« ruhig. Er wiederholte seine Frage:

»Ihr gehört zu Sam Fire-gun?«

»Ja, und Ihr nicht, weil der Colonel nur ehrliche Männer bei sich haben mag.«

»Schimpft, wie Ihr wollt, wenn Ihr meint, daß für Euch Etwas dabei herauskommt; für jetzt habe ich Nichts dagegen. Wie nennt Ihr Euch?«

»Wäret Ihr vor zwanzig Jahren über den Missisippi hinübergegangen und hättet vierzig Jahre lang gesucht, so wäre Euch vielleicht Jemand begegnet, der Euch sagen könnte, wie ich heiße. Jetzt aber ist's zu spät.«

»Mir auch gleich. Ihr habt Gold im Hide-spot?«

»Viel, sehr viel, jedenfalls aber mehr, als Ihr Euch dort holen werdet.«

»Wo liegt es vergraben?«

»Wo es vergraben liegt, das bleibt sich gleich, Ihr dürft es ja nur finden!«

»Wie stark ist Eure Gesellschaft?«

»So stark, daß jeder Einzelne Euch heimleuchten wird.«

»Wer war der Indsman, welcher Euern Colonel von den Banden half?«

»Das darf ich Euch schon sagen, er heißt ungefähr Winnetou.«

»Der Apache?«

»Ob Apache oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er wird es wohl sein.«

»Wie viel Ausgänge hat Euer Versteck?«

»Grad so viele, wie Männer da sind.«

»Das sind?«

»Für Jeden einen und denselben, nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn Du denkst, Dik, ich habe nichts dagegen!«

»Beschreibt mir einmal die Höhle!«

»Seht sie Euch an, das wird Euch besser bekommen!«

»Gut, wie Ihr wollt! Ihr hättet Euch Eure Lage erleichtern können, aber Ihr wollt es nicht anders haben, als daß Ihr gepfählt und verbrannt werdet. Ihr werdet natürlich mit in die Dörfer der Ogellallah genommen, und was dort geschieht, könnt Ihr Euch denken!«

»Pah! Ob gepfählt oder verbrannt, das bleibt sich gleich; für jetzt jedoch sind wir noch hier, und Ihr mögt Euch vorsehen, daß ich Euch nicht ein Wenig klopfe, damit Ihr später besser schmort und bratet, wenn Euch dieses Glück an unsrer Stelle passirt!«

Der Trapper wandte sich ab.

»Meine rothen Brüder mögen diesen weißen Männern noch strengere Fesseln geben als bisher; sie verdienen den Tod am Marderpfahl!«

Hammerdull und Holbers wurden schärfer geschnürt und wieder zur Erde geworfen. Das Feuer brannte, wurde aber so spärlich und langsam genährt, daß der Geruch des Rauches nur auf wenige Schritte zu bemerken war. Der abendliche Schimmer, welcher vor kurzer Zeit noch über dem Laubdache des Urwaldes gespielt und geschwebt hatte, war verschwunden; es wurde finster und immer finsterer, und unter der Blätterdecke herrschte eine so dichte Finsterniß, daß das an die Dunkelheit gewöhnte Auge eines Indianers oder Westmannes dazu gehörte, die nächsten Gegenstände zu unterscheiden.

Da brach der Trapper mit dem jungen Anführer der Indianer auf. Der Letztere stand vor seiner ersten Waffenthat, und wenn er nach dem Gebrauche seiner stoischen Rasse sich auch Nichts davon merken ließ, so brannte er doch vor Begierde, den Beweis zu führen, daß er würdig sei, unter die Zahl der erwachsenen Krieger aufgenommen zu werden.

Er schritt lautlos hinter dem Weißen her. Der Weg, den der Trapper trotz der dichten Dunkelheit nicht verfehlte, führte in gerader Richtung durch den Wald, zwischen den Riesenstämmen tausendjähriger Eichen und Buchen hindurch, bis sie an den Lauf eines Wassers kamen, den sie mit verdoppelter Vorsicht aufwärts verfolgten.

Nach einiger Zeit gelangten sie an die Stelle, wo die Wellen aus dem Fuße des Berges traten. Dichtes Gesträuch bestand diesen Ort. Der Trapper langte in das Gestrüpp, schob es auseinander und verschwand hinter demselben. Der Indianer folgte ihm. Sie befanden sich in einem niedrigen natürlichen Stollen, dessen Sohle das Bett des Baches bildete, in dessen Wasser sie langsam vorwärts krochen.

Es war ein mühevoller und beschwerlicher Weg, welchen sie zurücklegten. Auch der Trapper verfolgte ihn zum ersten Male; er war heut blos bis an den Eingang gekommen. Sie mochten wohl eine halbe Stunde lang dem durch das Innere des Berges in zahlreichen Windungen und kleinen Schnellen sich arbeitenden Wassers entgegengekrochen sein, als sie ein leises Braußen vernahmen, welches von Sekunde zu Sekunde stärker wurde und endlich ein Getöse bildete,[674] welches auch den lautesten Schall der menschlichen Stimme unhörbar machte.

Sie standen vor dem senkrechten Fall des Baches. Oben über ihnen befand sich der Hide-spot Sam Fire-gun's, und vor ihnen lag ein gewiß sehr tief von dem stürzenden Wasser ausgehöhltes Kesselloch, aus welchem die Wellen an ihren Füßen vorüberspühlten. Wurde der Wasserlauf wirklich als geheimer Ausgang benutzt, so mußte es irgend eine Vorrichtung geben, welche die Möglichkeit bot, neben dem stürzenden Bache von oben in die Tiefe zu gelangen.

Der Trapper suchte mit den tastenden Händen. Seine Erwartung hatte ihn nicht getäuscht; er ergriff ein Doppelseil, stark und haltbar aus Schlingpflanzenfaser gedreht und in zahlreiche Knoten geschlungen, so daß es keiner großen Anstrengung bedurfte, sich an ihm auf- oder niederwärts zu bewegen.

Er unterrichtete seinen Begleiter von diesem Funde und dem daraus hervorgehenden Unternehmen, da zu sprechen nicht möglich war, durch fühlbare Fingerzeige, probirte, ob das Seil oben auch genügend befestigt sei und zog sich dann langsam an ihm in die Höhe.

Der Indianer folgte ihm.

Es war für den Uneingeweihten ein gefährlicher, ja beinahe ein fürchterlicher Weg, sich neben dem Wassersturze, dessen Sprühregen sie durchnäßte und dessen Schall in dem engen Raume sie fast betäubte, unter sich eine ungekannte Tiefe und über sich einen vielleicht nur allzu wachsamen Feind, mühsam empor zu turnen. Sie schreckten nicht vor ihm zurück, der Eine aus Gier nach dem Golde, von dessen Menge man sich Wunderdinge erzählte, und der Andere aus jugendlicher Thatenlust.

Sie legten ihn glücklich zurück und faßten im oberen Bette des Wassers festen Fuß. Das Getöse des Falles machte es ihnen unmöglich, irgend ein Geräusch vor sich zu entdecken; sie tasteten sich langsam vorwärts, bis der Schall sich zu einem leisen Rauschen gemildert hatte. Da blieb der Trapper stehen; es war ihm, als habe er menschliche Laute vernommen. Das Messer ziehend und den wegen des Wassers bisher sorgsam verhüllten Revolver lockernd, schlich er, natürlich gefolgt von dem ebenso kampfbereiten Indianer langsam und geräuschlos vorwärts. Die Stimmen wurden deutlicher.

»Verdammt, mir schneiden die Riemen in das Fleisch, als seien sie aus Messerschneiden gedreht. Der Teufel hole diesen Sam Fire-gun und seine ganze Gesellschaft!«

»Klage nicht, sage ich Dir; es wird ja nicht besser dadurch. Wir sind nur selbst an unsrer Lage schuld! Hätten wir eine bessere Wacht gehalten, so wären wir nicht so schmählich überrumpelt worden. Dieser Winnetou ist ein wahrer Teufel, der Colonel ein Riese und die Andern alle sind Männer, die schon manchen guten Messerstich in ihrem Fleische gefühlt haben. Aber einen Trost haben wir: sie werden uns nicht tödten, und das giebt Hoffnung. Ich habe bald die Hände frei und dann, sacrebleu, dann werde ich mit ihnen Abrechnung halten, denn wir werden – –«

»Sander – Master Sander, seid Ihr es?« klang da eine leise Frage aus dem Hintergrunde des Raumes, in welchem Latour und Letrier gebunden lagen.

»Wer ist da?« antwortete der Gefragte, auf's Höchste überrascht.

»Sagt erst, wer Ihr seid!«

»Heinrich Sander und Peter Wolf. Wir liegen hier gefangen und gefesselt. Unsre Feinde sind weit vorn und können uns nicht hören. Wer aber seit Ihr?«

»Das sollt Ihr gleich erfahren. Gebt einmal Eure Riemen her; wir wollen sie gleich herunter haben!«

Einige Schnitte genügten, um die Gefangenen von ihren Banden zu befreien. Die vier Männer hatten sich nach wenigen Worten erkannt und verständigt.

»Wie kommt Ihr in die Höhle?« frug Latour. »Sie geht ja nur bis zum Wasserfall!«

»Für einen Schwachkopf, der nicht nachdenken kann, ja; ich aber habe mir die Sache so prächtig zusammengereimt, daß ich diesem alten Fire-gun schnell hinter die Schliche gekommen bin. Das Wasser kann doch unmöglich hier im Berge verschwinden.«

»Ah!«

»Es muß einen Ausweg, einen Abfluß haben.«

»Natürlich. Daß ich doch an diesen Umstand nicht gedacht habe!«

»Diesen Ausweg habe ich gefunden und das Andere dazu.«

»Weiter, weiter!« drängte Latour.

»An der Seite des Falles führt ein Seil hinab. Mit seiner Hülfe gelangt man wieder in den ruhigen Bach und von da in das Freie. Wollt Ihr mit? Natürlich!«

Latour überlegte einige Sekunden:

»Herzlich gern; aber es geht nicht.«

»Warum nicht? Fürchtet Ihr Euch vor dem Bischen Klettern?«

»Pah! Wir haben vielleicht mit dergleichen Tauen oder Seilen mehr zu thun gehabt als Ihr. Aber wenn wir Euch folgen, verderben wir Euch und uns den ganzen Coup.«

»Wieso?«

»Es ist jedenfalls gerathener, Ihr bindet uns wieder und laßt uns hier, bis Ihr mit den Indsmen wiederkommt.«

»Ich meine doch nicht, daß es Euch hier so sehr gefallen kann!«

»Wenn ich mich jemals vor irgend Wen fürchten könnte, so würde ich mich hüten, hier zu bleiben. Bedenkt, was für eine Menge Gold hier aufgestapelt liegt. Wenn unsere Flucht vor der Zeit entdeckt wird, so ist es für uns verloren und wir bereiten uns einen Empfang, der uns den letzten Athem nimmt.«

»Beim Teufel, Ihr habt Recht; das konnte ich mir eher denken! Wir brauchen einige Stunden Zeit, ehe wir wieder hier sein können, und während dieser Frist könnte[675] Alles verloren sein. Habt Ihr wirklich den Muth, bis dahin zu bleiben, wo Ihr seid?«

»Unnütze Frage! Nur setze ich voraus, daß Ihr uns nicht etwa im Stiche laßt.«

»Fällt uns gar nicht ein! Die rothen Gentlemen haben mit dieser Gesellschaft ein nothwendiges Wörtchen zu sprechen, und ich bin auch nicht so dumm, das schöne Metall hier liegen zu lassen.«

»Gut, so bindet uns wieder!«

»Kommt her! Fest werde ich es nicht machen; und hier habt Ihr für den Nothfall ein Messer, mit dem Ihr Euch helfen könnt! So, das ist gethan, und nun fort!«

Die beiden kühnen Männer verschwanden mit unhörbaren Schritten. Die Gefangenen hatten ihre vorige Stellung wieder eingenommen; sie fühlten sich um Vieles sichrer und leichter als vor wenigen Augenblicken. – –

Während dies im Innern des Hide-spot geschah, lehnte der kleine Bill Potter außerhalb desselben an einem Baumstamme und horchte aufmerksam auf jedes Geräusch, welches die nächtliche Stille ihm zu Ohren brachte. Er hatte den Posten übernommen und für die Sicherheit der Gesellschaft zu sorgen.

Da vernahm er ein Plätschern, wie von eiligen Schritten, die sich im Bache fortbewegten. Er warf sich zur Erde nieder, um den Nahenden besser zu erkennen, ohne selbst bemerkt zu werden. Dieser blieb in seiner Nähe stehen und versuchte, die dichte Dunkelheit zu durchdringen.

»Have-care – attention – Achtung, ist denn hier kein Mann von der Wacht an Bord?«

»Peter Polter, Du bists?«

»Na, wer soll ich denn sein, wenn ich nicht der Peter Polter aus Langendorf bin, he? Wen hat der Colonel denn eigentlich hergestellt? Man kann ja nicht einmal sein eigenes Gesichtsbugspriet erkennen!«

»Wer ich bin? Hihihihi, kennt der Peter Polter den Bill Potter nicht und steht doch nur zwei Schuh von ihm so lang da wie ein Hikorystamm! Wo sind denn die Andern?«

»Welche Andern denn, alter Swalker?«

»Nun, Hammerdull und Holbers! Und wie ist's mit dem Fleische, das Ihr holen sollt?«

»Das Fleisch holt Euch nur selber und den Dicken dazu mit sammt dem Dünnen. Ihr findet Alles bei den Indsmen draußen am Flusse, wenn sie nicht unterdessen um ein Weniges weiter geritten sind!«

»Indsmen – am Flusse? Was soll das heißen?«[676]

»Das soll heißen, daß ich keine Zeit habe, mit Dir ein langes Garn abzuwickeln,« erwiderte Peter Polter dem kleinen Bill Potter. »Ich muß hinein zum Colonel; von ihm kannst Du nachher Alles hören.«

Er wandte sich dem Eingange der Höhle zu. Dort saßen die Jäger um das Feuer. Sam Fire-gun erkannte den Nahenden.

»Schon wieder hier, Steuermann? Die Andern sind wohl mit dem Fleische noch zurück?«

»Ja, mit dem rothen Fleische, Sir! Sie sind gefangen und werden nun gehenkt oder erschossen oder gefressen – mir ganz egal.«

Die Männer sprangen empor.

»Gefangen? Von wem? Erzähle!«

»Das soll geschehen. Aber langt mir einmal einen Schluck und einige Bissen von dem Zeug dort her. Ich bin gesegelt wie ein Avisokutter und krache in allen Fugen wie ein Wrack, das den Kalfator verloren hat. Der Teufel soll mich holen, wenn ich jemals wieder in diese unselige Prairie komme und mich auf den Rücken einer solchen Bestie verteie, die mit mir in die Lappen geht, so daß ich den richtigen Kurs verliere und in alle Ewigkeit nicht wiederfinden kann. Hätte das Viehzeug nicht ganz von selbst den Hide-spot gewittert, so flöge ich noch in zehn Jahren draußen im Grase herum!«

Das Verlangte wurde ihm gegeben, und er begann seinen Bericht, welcher natürlich eine nicht geringe Aufregung hervorbrachte, obgleich sich dieselbe bei den an Schweigsamkeit und Selbstbeherrschung gewöhnten Jägern nicht in der lauten und geräuschvollen Weise wie bei Andern zeigte.

»Hammerdull und Holbers gefangen?« frug der Colonel. »Sie müssen befreit werden, und zwar so bald wie möglich, denn die Rothen werden kurzen Prozeß mit ihnen machen.«

»Wir brechen sofort auf!« meinte Treskow, der die beiden originellen Trapper lieb gewonnen hatte und ihnen daher die schleunigste Hilfe gönnte.

»Ja,« stimmte Wallerstein bei; »wir müssen sofort aufbrechen, sonst erhalten die Indsmen einen Vorsprung, den wir ihnen nicht wieder abgewinnen können!«

Sam Fire-gun lächelte.

»Ihr werdet doch warten müssen bis zum Anbruche des Morgens, da es in der Dunkelheit unmöglich ist, eine Spur zu erkennen. Ich glaube sogar kaum, daß uns der Steuermann an das Wasser zu führen vermag, wo er mit ihnen überrumpelt worden ist.«[689]

»Ich –? An das Wasser –?« rief Peter Polter erbost. »Was geht mich das armselige Wasser an, wo wir einen so miserablen Schiffbruch erlitten haben? Ich lasse mich von oben bis unten durchsägen, wenn ich sagen kann, ob die Pfütze rechts oder links von hier liegt. Ich habe weder Kompaß noch Lockleine mitgehabt und bin von dem Dicken und Langen in's Schlepptau genommen worden, so daß ich mir nicht die geringste Mühe gegeben habe, auf den Kurs zu merken, den wir gesteuert sind. Und später ist die verteufelte Bestie mit mir davongestrichen, daß mir Hören und Sehen vergangen ist. Was soll ich da von Eurem Wasser wissen? Laßt mich in Ruh damit!«

»Hihihihi,« lachte der herbeigetretene kleine Bill Potter in seiner gewöhnlichen Weise, »reitet der große Mensch draußen in der Prairie herum und weiß nicht, wo er gewesen ist! Nun werden wir erst seiner Fährte folgen müssen, ehe wir die Spuren der Redmen finden. Ist das nicht lustig, he?«

»Willst Du wohl den Schnabel halten, Du winziges Kreaturchen Du?« donnerte ihm der, ob dieser Beleidigung ergrimmte Steuermann entgegen. »Wenn ich an Bord eines guten Schiffes stehe, so weiß ich auf die Linie, wo ich mich befinde, aber hier in der Savanne und noch dazu auf dem Rücken eines solchen Pestilenzviehzeuges ist es einem ja so fürchterlich schlimm zu Muthe, daß man sich vor Herzeleid nicht einmal auf den eigenen Verstand besinnen kann. Willst Du Deine Redmen haben, die Hallunken, so suche sie Dir selber! Ich habe nichts dagegen.«

»Ich denke, wir brauchen weder der Spur des Steuermannes zu folgen, noch die Fährte der Indianer zu suchen,« unterbrach Fire-gun den komischen Streit. »Die jungen Leute der Ogellallah sind in kriegerischem Thatendurste den erfahrenen Männern gefolgt, haben deren Leichen gefunden, und dürsten nun nach Rache. Ganz sicher haben sie sich einen verborgenen Lagerplatz aufgesucht, zu welchem man die beiden Gefangenen schleppt. Dort wird man sie nach unserm Hide-spot ausforschen, aber Hammerdull und Holbers sterben lieber, als daß sie uns verrathen. Darum würde es den Indsmen schwer werden, ihn zu entdecken; aber ich meine, daß ihre entkommenen Genossen zu ihnen gestoßen sind, und da diese unser Versteck so ziemlich wissen, so wird man einen Ueberfall beschließen und zwar einen baldigen, damit uns der ihnen entflohene Steuermann nicht zeitig genug zu warnen vermag. Aus diesem letzteren Grunde sind sie sicher schon unterwegs und wir haben sie zu erwarten, ohne sie erst aufsuchen zu müssen. Der Posten mag daher wieder an seinen Platz gehen und wird verdoppelt. Wir Andern halten uns schlagfertig. Also, das Feuer aus, vor der Höhle, Kinder; die Kienfackeln im Innern können weiter brennen. Ich werde einmal nach unsern beiden Gefangenen sehen.«

»Ich gehe mit, Onkel,« meinte Wallerstein; »ich habe die meiste Veranlassung, mich zu überzeugen, daß wir sie festhaben.«

Er ergriff einen der brennenden Kienäste und leuchtete dem voranschreitenden Colonel.

Bei den Gefangenen angekommen, warf der Letztere einen forschenden Blick auf sie. Sein Auge fiel dabei auf den feuchten und in Folge dessen etwas weichen Kalkboden der Grotte. Ueber sein Gesicht zuckte ein gedankenschneller Blitz der Ueberraschung, der allerdings kaum zu bemerken war, da die düster rothe Flamme nur von seitwärts auf ihn fiel.

»Alles sicher; komm!« meinte er ruhig und verließ mit seinem Begleiter den Platz. Aber zu den Seinigen zurückgekehrt, genügte ein halblauter Ruf, sie schleunigst um sich zu versammeln.

»Hört, Leute, ich habe recht gerathen. Die Indsmen sind nicht nur unterwegs, sondern sogar schon im Hide-spot gewesen!«

Eine dem Schrecken nahe Verwunderung zeigte sich auf den Gesichtern der sofort nach Messer und Revolver greifenden Leute.

»Ich muß Euch ein Geheimniß mittheilen, von dem ich bisher aus Rücksicht auf die allgemeine Sicherheit kein Wort verlauten ließ. Die Höhle hat nämlich einen verborgenen Ausgang.«

»Ah!« klang es leise rundum.

»Ich fand ihn an demselben Tage, an welchem ich die Höhle entdeckte. Das Wasser des Baches fällt hinten in die Tiefe und hat sich da einen Kessel gegraben, aus welchem es durch das Innere des Berges seinen Ausweg findet. Ich befestigte an der Seite des Falles ein festgedrehtes Doppelseil, ließ mich hinab und fand, daß die Passage dem Wasser entlang und hinaus in das Freie ganz gut zu ermöglichen ist. Das Seil hängt noch und befindet sich in gutem Zustande. Als ich nun jetzt nach unserm Gefangenen sehe, bemerke ich fremde Fußtapfen im Boden: ein rascher Blick auf die beiden Männer überzeugte mich, daß ihre Banden gelockert sind.«

»Wie geht das zu?« frug Treskow. »Ich habe sie selbst gefesselt und zwar so, daß sie nur mit Hülfe Anderer gelöst werden können.«

»Die Indianer haben einige Kundschafter ausgeschickt, welchen die Entdeckung des Ausganges gelungen ist. Sie sind in denselben eingedrungen, an dem Seile emporgestiegen, haben die Gefangenen gefunden, ihnen die Banden gelockert und sie jedenfalls auch mit einigen Waffen versehen. Dann sind sie zu rückgekehrt, um die Ihrigen zu holen.«

»Warum haben sie da Latour und Jean Letrier nicht mitgenommen?« frug Wallerstein.

»Weil dann Alles verrathen war, wenn wir die Abwesenheit derselben vor der Zeit entdeckten. Vor allen Dingen müssen wir die zwei gefährlichen Bursche unschädlich machen, indem wir sie wieder binden. Vorwärts, Neffe, wir gehen voran; die Andern folgen leise nach, um sich, sobald der Widerstand, den sie leisten werden, beginnt, auf sie zu werfen. Wir müssen alles Blutvergießen zu vermeiden suchen!« –[690]

Während dieser Unterredung war in der Grotte auch ein leises Gespräch geführt worden.

»Jean, hast Du den Blick gesehen?« frug Latour flüsternd, als sich Sam Fire-gun und Wallerstein entfernt hatten.

»Welchen Blick?«

»Den der Colonel auf den Boden warf.«

»Nein; ich habe den Kerl gar nicht angesehen.«

»Er hat Alles entdeckt.«

»Nicht möglich! Er ging ja vollständig beruhigt fort.«

»Nichts als schlaue Verstellung! Er sah die Fußspuren des Jägers und Indianers; ich habe es ihm trotz des halben Lichtes augenblicklich angemerkt. Es zuckte ganz verdächtig über sein Gesicht. Dann warf er einen kurzen aber dolchscharfen Blick auf unsre Fesseln, und der Klang, den sein ›Alles sicher‹ hatte, vervollständigte mir nur den Beweis, daß er Alles durchschaut hat.«

»Teufel! Wenn er nur fort wäre, um die Leute zu holen und uns wieder binden zu lassen. Es wäre zum verrückt werden!«

»Er bringt sie sicher.«

»So wehre ich mich bis auf den letzten Blutstropfen. Denn wenn sie uns wieder fesseln, ist Alles verloren. Sie werden uns in einen andern Raum stecken und die Indsmen an unsrer Stelle empfangen.«

»Sicher! Aber eine Gegenwehr ist gar nicht nothwendig.«

»Wieso?«

»Sie wäre sogar vollständig zwecklos, da wir doch nur bezwungen würden. Der einfachste und zugleich der einzige Weg zu unsrer Rettung ist der, daß wir sofort fliehen.«

»Aber wenn Ihr Euch irrt, Capitain, wenn der Alte gar nichts bemerkt hätte?«

»So wäre es ganz gleich. Sie kämen dann vor der Ankunft der Indianer ganz gewiß nicht wieder hierher, sodaß unsre Flucht entdeckt und der Plan des Ueberfalles verrathen würde. Ich mache mich davon; wir haben ja gehört, welcher Weg zu nehmen ist. Rasch, Jean, ehe es zu spät ist!«

Sie standen von der Erde auf und befreiten sich von den Riemen; dann folgten sie dem Rauschen des Falles, fanden, allerdings erst nach einem längeren und hastigen Suchen, das Seil, an welchem sie sich hinunterließen. An der wallenden und braußenden Oberfläche des Beckens angelangt, untersuchte der vorangekletterte Latour, mit den Händen fest am Seile haltend, die engen Felsenwände mit den Füßen und fand die niedere Seitenöffnung, durch welche sich die abfließenden Wellen drängten. Ein Schwung brachte ihn in dieselbe hinein; er zog das Seil fest an sich, um seinem Begleiter die Richtung zu geben. Es war ein gefährlicher Augenblick für die beiden Flüchtlinge, welche sich wegen des Toben des Falles keine hörbare Mittheilung machen konnten; aber das muthige Unternehmen gelang, und in tief gebückter Stellung im Wasser fortwatend, gelangten sie in einigen Minuten zwar vollständig durchnäßt, aber sonst ganz wohl behalten in das Freie.

Hier reckten sie sich in die Höhe und blieben, von der Anstrengung einen Moment ausruhend, mit keuchendem Athem halten.

»Hier müssen wir warten, bis die Indsmen kommen,« meinte Letrier.

»Das geht nicht. Der Colonel wird uns verfolgen lassen, sobald er unsre Flucht entdeckt. Wir müssen weiter fort.«

»Aber wir wissen ja das Lager der Indianer nicht!«

»Thut Nichts! Wir brauchen uns ja nicht weit zu entfernen, sondern suchen ein Versteck hier in der Nähe und warten das Weitere ruhig ab.«

»Das Richtige ist es eigentlich, Capitain; denn wenn wir jetzt auf die Rothen treffen, so müssen wir wieder zurück, und dazu habe ich verteufelt wenig Lust. Jedenfalls ist es gerathener, wir schicken die guten Leute für uns in das Feuer und sehen dann zu, wie wir auf eine praktische Weise zu den Kastanien gelangen.«

»Ganz meine Meinung! Komm!«

Sie drangen einige Schritte weit in das Gesträuch ein und verbargen sich in dem wirren Dickicht desselben. Hier verhielten sie sich so regungslos wie möglich und lauschten mit angestrengter Aufmerksamkeit in die Nacht hinaus.

Da klang ein leises Geräusch, ähnlich dem Rascheln eines kleinen Insectes, an ihr Ohr.

»Die Indianer!« flüsterte Latour.

Er hatte sich nicht getäuscht. Mit dem weißen Jäger und dem Sohne des Häuptlings Riccarroh an der Spitze, nahten sie sich, Einer hinter dem Andern in einer langen, mit außerordentlicher Behutsamkeit sich vorwärts bewegenden Linie. An dem verborgenen Ausgange Halt machend, hielten sie eine kurze Berathung; dann verschwand Einer nach dem Andern in der kleinen Oeffnung des Wasserlaufes. Zwei aber blieben zurück, um Wache zu halten.

Es verging eine lange, lange Zeit. Der Himmel, den man in der Finsterniß vorher nicht von dem Laubdache des Waldes zu unterscheiden vermochte, begann von demselben abzustechen; die einzelnen Stämme erst, sodann auch die Aeste und Zweige ließen sich erkennen; hier und da erhob ein erwachender Vogel seinen noch schläfrigen Morgenruf – die Nacht begann dem Tage zu weichen, und die Dämmerung brach herein.

Die zwei wachhaltenden Indianer standen regungslos am Ufer des Baches, da wo derselbe aus dem Berge trat. Sie erlitten gewiß nicht geringe Ungeduld über das unerwartet lange Verbleiben der Ihrigen, aber kein Zug ihrer jugendlichen, bronzenen Gesichter verrieth dies. Sie waren schon als Knaben an die unbedingteste Selbstbeherrschung und die Ueberwältigung selbst der gewaltigsten Gefühle gewöhnt worden. Sie hatten ganz das Aussehen zweier auf den Lauf ihrer Büchsen gestützten und mit allen indianischen Waffen versehenen Statuen.

Da krachten plötzlich zwei Schüsse zu gleicher Zeit, sodaß sie wie ein einziger Schuß erklangen; die beiden Wachen stürzten, durch die Köpfe getroffen, zur Erde. Im[691] nächsten Augenblicke hoben sich neben ihnen zwei Gestalten empor, welche von ihnen unbemerkt die enge Wasserpforte passirt hatten. Es war Sam Fire-gun und der kleine Bill Potter.

»Hihihihi,« lachte der Letztere, »sind zu früh flügge geworden, die kleinen Jungens; haben noch nicht gelernt, die Augen und Ohren aufzuthun. Seht Ihr's, Colonel, daß ich Recht hatte? Sie haben vergessen, ihre Spuren zu verwischen, und nun können wir den Lagerplatz suchen, wo der Dicke mit dem Dünnen angehobbelt liegt.«

»Getraust Du Dich allein wieder zur Höhle emporzuarbeiten, Bill?«

»Warum nicht? Glaubt Ihr etwa, Bill Potter fürchtet sich vor den zwei Tropfen Wassers, die er zu schlucken bekommt?«

»So kehre zurück und bringe die Andern um den Berg herum zu dieser Stelle. Es braucht nur die gewöhnliche Wache zurückzubleiben, denn der Platz ist vollständig gesäubert. Ich gehe Euch voran, den Spuren nach. Sputet Euch aber, mich bald einzuholen!«

Der kleine Trapper verschwand nach einer zustimmenden Geberde in der Oeffnung, und Sam Fire-gun begann, die Fährte aufzunehmen. Diese war so deutlich, daß er, wenigstens für den Beginn ihrer Verfolgung, keine übermäßige Aufmerksamkeit auf sie zu verwenden brauchte und er sie nur flüchtig nebst dem umherliegenden Terrain überblickte. Daher entgingen dem sonst so scharfsinnigen Manne die Spuren, welche die beiden Flüchtlinge wegen des nächtlichen Dunkels nothwendiger Weise zurückgelassen hatten, und er verschwand, den Fußtapfen der Indianer folgend, gar bald zwischen den Bäumen des Waldes.

Wieder verging eine längere Zeit.

»Wäre es nicht besser, Capitain, wenn wir ihm heimlich folgten?« frug Jean Letrier. »Wenn wir glücklich entkommen wollen, müssen wir unbedingt Pferde haben und können uns nur an die Thiere der Rothen halten.«

»Das geht unmöglich. Die Jäger kommen nach und würden unsre Spur sofort entdecken.«

»Was hindert uns, den Alten für immer unschädlich zu machen? Wir haben ein Messer.«

»Jean, wir haben gar Vieles und Schweres möglich gemacht, aber Westmänner sind wir nicht. Der Colonel hat ein feines Gehör und ist uns mit seinen Waffen überlegen. Selbst wenn es uns gelänge, einen guten Stich anzubringen und zu den Pferden zu gelangen, so hätten wir kaum einige Minuten später die ganze wüthende Horde im Rücken.«

»Wenn der Alte weg ist, brauchen wir die Uebrigen nicht zu fürchten. Der unsinnige Steuermann, der Juwelier, der veritable Polizeispion, sie verstehen von der Prairie Nichts und sind – –«

»Und Winnetou, der Apache?« fiel ihm Latour in die Rede.

»Teufel, ja, an den habe ich gar nicht gedacht. Chez dieu, der wäre ganz allein im Stande, uns einzuholen und mit seinem verdammten Tomahawk zu zerschmettern. Aber, was thun? In Ewigkeit hier liegen bleiben können wir doch nicht.«

»Du bist ein Schwachkopf, Jean. Im Hide-spot liegt ein ganzer Reichthum an Gold aufgestapelt.«

»Nun?«

»Gold brauchen wir.«

»Wollen wir Sam Fire-gun schön bitten, es uns zu verehren?«

»Pah! Wir haben es.«

»Wenn?«

»Wenn die Trapper jetzt fort sind.«

»Und wie?«

»Das ist leicht. Oder fällt Dir gar nichts ein, Jean?«

»Mir fällt jetzt weiter Nichts ein, als daß wir in eine ganz armselige Klemme gerathen sind.«

»Aus welcher wir bald heraus sein werden.«

»In wiefern?«

»Wir warten, bis die Jäger fort sind.«

»Und dann?«

»Dann,« flüsterte Latour, obgleich kein Lauscher in der Nähe war, »dann kehren wir auf demselben Wege zurück, den wir gekommen sind.«

»Teufel! Nach der Höhle?«

»Versteht sich!«

»Und lassen uns drin abschlachten.«

»Oder auch nicht. Du hast ja gehört, daß blos ein einziger Jäger als Wache zurückbleiben soll. Er wird eine ganze Strecke von der Höhle am Bache stehen und uns gar nicht bemerken.«

»Ah – richtig! Der Colonel hat einen gewaltigen Fehler begangen, daß er hier am Bache keinen Posten aufstellte.«

»Natürlich. Also wir kehren in die Höhle zurück.«

»In die Höhle zurück,« wiederholte der Diener eifrig, dem das neue Abenteuer zu gefallen begann.

»Suchen nach dem Golde –«

»Nach dem Golde –?«

»Nehmen es fort und –«

»Und?«

»Bewaffnen uns, denn im Hide-spot giebt es allerlei Schieß- und Stechzeug.«

»Das ist wahr, eine ganze Rüstkammer voll.«

»Dann stechen wir den Posten nieder.«

»Das ist nothwendig.«

»Nehmen uns Jeder ein gutes Pferd.«

»Wo stecken die Thiere, Capitain?«

»Ich weiß es allerdings noch nicht! sie werden aber schon zu finden sein. Die Jäger reiten im Bache empor; es muß in der Nähe desselben irgend ein Platz sein, wo man die Thiere anhobbelt. Wenn wir die Ufer aufmerksam untersuchen, so finden wir ihn ganz gewiß.«[692]

»Und dann?« frug Jean Letrier den Vicomte de Latour.

»Dann geht es fort. Wohin, das wird sich finden, jedenfalls aber nach dem Missisippi. Die dortigen Ortschaften liegen uns am Nächsten, und dort können wir das Metall in Geld umsetzen. Ich denke, wenn wir jetzt ein Wenig Muth zeigen, so sind wir für immer –«

Er hielt mitten in seiner Rede inne. Ein knisterndes Geräusch, welches von der Seite her an ihre Ohren drang, hatte ihn verstummen lassen.

Leise Schritte erklangen. Bill Potter drang durch die Büsche, hinter ihm außer dem zurückgelassenen Posten die sämmtlichen Bewohner des Hide-spots. Auch Winnetou war dabei. Ohne Aufenthalt folgten sie den Spuren, welche Sam Fire-gun ihnen mit Vorbedacht deutlich zurückgelassen hatte. Die beiden Versteckten hielten den Athem an; ein einziger Blick aus dem scharfen, geübten Auge des Apachen konnte die allerdings jetzt kaum mehr bemerkbaren Eindrücke wahrnehmen, welche sie zurückgelassen hatten. Die Gefahr ging glücklich vorüber, da Winnetou sich auf den vorangehenden Trapper verließ und den Boden nicht im Mindesten beachtete.

»Grace à dieu,« meinte Letrier, als das Knistern der Zweige in der Ferne verklungen war. »Jetzt stand wahrhaftig Alles auf dem Spiele, und trotzdem ich naß bin bis auf die Haut, habe ich geschwitzt, als stäke ich im Bade.«

»Jetzt ist es Zeit; aber wir müssen nun vorsichtig sein und jede Spur hinter uns verwischen.«

Dieses Letztere machte ihren ungeübten Händen so viel Mühe, daß eine bedeutende Weile verging, ehe sie in dem Bette des Baches verschwanden. Sie kannten den Weg, den sie schon einmal gemacht hatten, und gelangten trotz der Beschwerlichkeit desselben glücklich oben an. Der hinter seinem Herrn emporkletternde Letrier hatte eben das Seil verlassen und festen Fuß gefaßt, als er sich von Latour zurückgehalten fühlte. Sie standen vor einer ganzen Menge herumliegender menschlicher Körper. Durch Betasten überzeugten sie sich, daß es die getödteten Indianer seien. Sie stiegen über die Leichen hinweg und kamen so an die Grotte, wo sie vorher gefesselt gelegen hatten. Hier konnten sie wieder mit einander sprechen.

Letrier schüttelte sich.

»Brrr, Capitain, die armen Burschen sind Einer nach dem Andern ruhig abgefangen und ausgelöscht worden, sobald sie in der Höhle ankamen. Ein Glück, daß wir uns[705] verborgen hielten, sonst hätten wir mitgemußt und hätten ganz dasselbe Schicksal erlitten!«

»Wir haben jetzt keine Zeit zu solchen Betrachtungen. Vorwärts, und zwar zunächst zu den Waffen!«

In den Hauptraum der Höhle mündeten mehrere kleine Kammern. Eine derselben war ringsum mit allen möglichen Kriegswerkzeugen, welche das Leben in der Prairie erfordert, behängt. Auch Pulver, Blei und Kugelformen waren in Menge vorhanden. Lebensmittel, wenn auch nicht in einem großen Vorrathe, zeigten sich in einem Nebenraume.

Die beiden Männer versahen sich zunächst mit allem Nöthigen; dann begannen sie, nach den verborgenen Reichthümern zu suchen.

Alle ihre Bemühungen in dieser Beziehung waren vergebens. Die kostbare Zeit verging und ihr Forschen wurde von Minute zu Minute hastiger, ohne daß sie Etwas fanden.

»Es ist zu sorgfältig versteckt, Jean,« meinte endlich Latour, als sie vor der letzten Kammer anlangten, die ihnen noch übrig blieb. »Und selbst wenn wir es entdeckten, wie wollen wir es fortbringen? Das Gold ist schwer, und ich wüßte mir keinen Rath.«

»Wir packen es auf Reservepferde.«

»Das wäre das Einzige, würde aber unsre Flucht bedeutend verzögern und unsern Marsch sehr verlangsamen. Aber sieh, das muß die Eqtrawohnung des Colonels sein!«

Der Raum war an seinen Wänden mit ungegerbten Fellen behangen, um die Feuchtigkeit der Wände abzuhalten und enthielt einige roh gearbeitete Sessel und Kästen, über welche Letztere die Suchenden sofort begierig herfielen. Auch sie enthielten Nichts von dem gehofften Golde, sondern nur einen Vorrath von Kleidungsstücken und allerlei sonstigen Gegenständen. Die Sachen wurden in der Eile rings auf den Boden umhergestreut. Da stieß Latour einen halblauten Ruf der Freude aus. Er hatte eine alte, abgegriffene Brieftasche gefunden, welche als letzter Gegenstand, sorgfältig eingewickelt, auf dem Boden eines der Kästen gelegen hatte.

»Kein Gold, aber vielleicht doch von Werth!«

Er trat in die Haupthöhle zurück, weil es da lichter war und öffnete das Portefeuille.

»Was ist d'rin, Capitain?« frug der Diener mit Spannung.

»Nichts, gar Nichts; ich habe mich auch hier getäuscht,« antwortete der Gefragte ruhig; aber in seinem Innern wogte es gewaltig auf und nieder. Der Inhalt bestand in mehreren höchst werthvollen Depositenscheinen. Sam Fire-gun hatte bedeutende Mengen Gold bei verschiedenen Bankhäusern des Ostens abgeliefert und sich über die umgerechneten Summen diese Scheine ausstellen lassen. Der gegenwärtige Besitzer konnte sie bei jeder Bank augenblicklich in courante Münze umsetzen. Doch, das brauchte der Diener ja nicht zu wissen.

Während Latour einige mit vorgefundene Blätter und Zettel überflog, entfuhr ihm plötzlich ein Ausruf des Erstaunens.

»Was ist es, Capitain?«

»Ah – oh – nun ist mir Alles klar!«

»Was?«

»Unsere Entdeckung und Gefangennahme durch die Trapper.«

»Wieso?«

»Clairon hat uns verrathen.«

»Clairon – die Miß Admiral –? Nicht möglich!«

»Und doch! Hier ist ein Zettel, den sie geschrieben und dem Colonel gegeben oder durch einen seiner Leute übermittelt hat.«

»Was steht darauf?«

»Daß – daß – nun, Alles, was nöthig war, um uns zu verderben.«

»Aber wenn ist das geschehen?«

»Bei dem Ueberfalle des Bahnzuges durch die Ogellallah jedenfalls, wenigstens kann ich mir eine andre Zeit und Gelegenheit nicht denken. Sie ist als Passagier bei dem Zuge gewesen und im Coupee geblieben, als Alles ausstieg. Die Umstände waren ja solche, daß keiner der Beamten Zeit oder Veranlassung gefunden hat, von der Reisenden zu sprechen. Da hat sie mich bemerkt und erkannt, den Zettel geschrieben, ihn abgegeben und ist dann davongedampft – alle Teufel, der Zug ging nach dem Westen; sie ist also mit dem Golde, welches sie mir gestohlen hat, jedenfalls nach Californien. Weißt Du was?«

»Nun?«

»Wir müssen ihr nach!«

»Nach Californien?«

»Ja.«

»Ich gehe mit. In unsrer Lage ist es ganz gleichgültig, wohin wir – bst, Capitain, ich glaube, die Wache kommt herbei. Wir sind wohl ein Wenig zu laut gewesen.«

»Kommt mir grad recht. Zurück hinter die Ecke!«

Der Mann mochte wirklich ein verdächtiges Geräusch vernommen haben. Er trat in die Höhle, warf erst einen vorsichtigen Blick hinein und schritt dann der Richtung zu, in welcher die Leichen der Indianer lagen. Er kam nicht weit. Mit lautlosen Schritten trat Latour an ihn heran und stieß ihm das Bowiemesser von hinten so kräftig und sicher in das Herz, daß er mit einem röchelnden Athemzuge zu Boden stürzte.

»Nun aber fort, rasch, rasch!«

Mit eiligen Schritten verließen sie die für sie so verhängnißvolle Höhle. Dem Bache folgend, kamen sie nach einiger Zeit zu einer Stelle, wo das Ufer sich von Pferdehufen zertreten zeigte, obgleich mitten aus den Hufspuren die Stämme eines dichten Buschwerkes aus der Erde traten. Eine nähere Untersuchung des Buschwerkes zeigte ihnen, daß dieses eine Art Pforte bilde und nur künstlich eingesetzt sei. Es wich ihren Händen und nun zeigte sich ein schmaler Weg, der zu einer kleinen grasbewachsenen Lichtung führte, auf welcher sich die Pferde der Jäger befanden. Sie verloren[706] nicht die mindeste Zeit, saßen schnell auf und setzten nun wohlberitten ihren Weg fort.

Latour besorgte jetzt doppelt für seine Sicherheit als vorher. Er hatte nicht nur sein Leben zu retten, sondern auch den Reichthum zu bewahren, zu dem er so plötzlich gekommen war. Und zudem erfüllte ihn der Gedanke, Clairon zu ereilen, mit einer Energie, die ihn zu den äußersten Anstrengungen befähigte, den Trappern zu entkommen, die ihm jedenfalls nachgejagt kamen, sobald sie seine Flucht entdeckten. –

Quelle:
Auf der See gefangen. Criminalroman von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878–1879). Nr. 45, S. 705-707.
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Auf der See gefangen
Auf der See gefangen
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