|
Vor einigen Jahren war ich mit einer Schar von Tobakriegern hoch oben auf der Pampa de Salinas gewesen, wo wir sehr Wichtiges erlebt hatten. Ich wollte jetzt hinauf nach dieser Pampa, um die Stätte der damaligen Ereignisse wiederzusehen, und meine drei Tobas waren gern bereit, mich zu begleiten. In Cochabamba versahen wir uns mit guten Pferden, die dort sehr billig sind, und mit allem, was wir zu dem Ritte brauchten, und dann ging es nach der Cordillere, ohne daß wir einen Führer mitnahmen, denn es liegt für mich ein eigener Reiz darin, mich wie ein Vogel auch da zurecht zu finden, wo ich noch nie gewesen bin.
Wenn man, an der untersten Stufe der Cordilleren2 stehend, dein freien Blick nach rückwärts hinuntergleiten läßt, so schweift er über hügelig durchwellte Landschaften bis hinunter nach dem Tieflande, welches sich als unbegrenzte Fläche bis zum fernen Horizonte ausbreitet. Von da unten herauf atmet ein warmes, süßduftendes Leben. Die Ebene ist von den feurigen Tinten der Tropensonne überflutet und streckt tausend unsichtbare Arme aus, den Wanderer wieder zu sich hinabzuziehen.
Hier oben aber atmet die Brust eine gesunde, von dem Fieberhauche des Tieflandes freie Lebensluft. Dunkle Waldflächen wechseln mit freiliegenden, grünen Pampas, welche das Auge erquicken und den Europäer heimatlicher anmuten als die Dickichte der Tieflandsflüsse oder die hoch über ihm von den Gebirgsschultern getragenen weiten, öden Puam-Flächen.
Da, wo am Fuße der Cordilleren Menschen fernab von der Verkehrsstraße wohnen, bauen sie sich kleine, einstöckige, mit Palmenstroh gedeckte Häuser, welche regelmäßig um einen großen, freien Platz gelagert werden.
Jedes dieser Häuschen hat einen Garten, hinter welchem die Felder liegen, von deren Ertrag der Montañero seinen Unterhalt bestreitet. Vielleicht giebt es auch eingehegte Weideplätze mit darauf weidenden Herden, deren Besitzer dann den Ruf eines reichen Mannes hat.
Der Montañero ist ein einfacher Mann, dabei aber sehr höflich und sehr stolz wie jeder Spanier. Er lebt wie ein Freigraf unter Seinesgleichen und hält sich für besser und auch glücklicher als der Bewohner der tief unter ihm liegenden Ebene. Die Händel, bei denen da unten oft mit Menschenblut bezahlt wird, gehen ihn nichts an, doch sieht er es gern, wenn hie und da jemand von dort zu ihm heraufsteigt, von dem er erfahren kann, was im Tieflande geschehen ist und wie man sich da unten schlägt und verträgt.
Gewöhnlich ist das ein Comerciante, ein Handelsmann, welcher den Bewohnern der Höhe diejenigen Erzeugnisse der Industrie zuträgt, welche da oben zwar auch gebraucht, doch nicht verfertigt werden. So einen Comercianten darf man in Beziehung auf das Ansehen, in dem er steht, keineswegs mit unseren Hausierern vergleichen. O nein! Er ist ein Caballero (Kavalier) in jeder Beziehung und wird als solcher von jedermann geachtet und geehrt. Daß er Geld verdienen will, bringt seinem Ansehen nicht den geringsten Schaden, und wenn er einer hübschen Montañera ja einmal einen schlechten Schmuck als gutes Gold verkauft, wird bei seinem nächsten Besuche im Scherz darüber hinweggegangen, und die Freundschaft bleibt trotzdem dieselbe, wie sie vorher gewesen ist.
Diese schöne Verträglichkeit pflegt nur dann Einbuße zu erleiden, wenn mehrere Comerciantes an einem Orte, wo sie Geschäfte machen wollen, zusammentreffen. Dann macht der gelbe Neid sich bemerkbar, und die stolzen Caballeros verwandeln sich in gemeine Kampfhähne, welche wütend über einander herfallen.
Frutobamba war ein solches Gebirgsdorf, welches wir am Sonnabend vor Palmarum gegen Abend erreichten. Es bestand aus vielleicht zwölf oder vierzehn Häusern, welche, wie oben beschrieben, ein Viereck um den Mittelplatz bildeten. Die Gärten prangten in Blumen, und hinter ihnen dehnten sich schöne Orangenhaine aus, an welche dann die Fruchtfelder stießen. Eine Schar von Kindern kam uns jubelnd entgegen; sie freuten sich darüber, daß Fremde kamen. Wir fragten sie nach der Venta, dem Gasthause, und hörten, daß dieses hier den viel stolzeren Namen Posada führe. Der Wirt wurde Don Geronimo de Magujo genannt. Sein Haus war das größte des Dorfes, zwar auch nur einstöckig aber sehr langgestreckt, so daß es zwei Thüren besaß. Don Geronimo empfing uns mit einer stolzen, selbstbewußten Liebenswürdigkeit, wie ein König seine Gäste empfängt. Als wir ihn fragten, ob wir bei ihm nächtigen könnten, stellte er uns sein ganzes Haus, sein ganzes Vermögen zur Verfügung. Ich nahm dies natürlich für bloße Redensart und erklärte mich mit einer Stube für uns drei und einem Corral (Stall) und Maisfutter für die Pferde zufrieden.
»Tretet herein in das Gastzimmer, Sennores,« sagte er, »und geduldet Euch zwei Augenblicke, bis man Euch Eure Sala vorgerichtet hat!«
Also eine »Sala«, einen Saal sollten wir bekommen! Hätte ich die hiesigen Verhältnisse nicht bereits gekannt, so wäre es mir wohl angst um die Bezahlung geworden.
Das Gastzimmer bestand aus einem kahlen Raum mit gestampfter Diele, einem Tische und einigen Stühlen. Die Fensteröffnungen waren mit geöltem Papiere verklebt. Auf meine Frage nach Speise und Trank erklärte er, daß bei ihm alles Menschenmögliche zu bekommen sei; bei näherem Eingehen auf das Specielle aber stellte sich heraus, daß dies Menschenmögliche nur aus einer Kaffeetasse voll Mate3 und einem sehr zähen Asadobraten bestand. Ich war frugal gewöhnt und fügte mich in die Umstände.
Ein Knecht hatte unsere Pferde in den Corral geschafft. Ich ging hinaus, um nach ihnen zu sehen. Für sie war besser gesorgt als für uns. Sie hatten Wasser, Gras und Mais die Hülle und Fülle. Dann machte ich mit meinen Tobas einen Spaziergang durch und um das Dorf. Die Bewohner selbst rüsteten sich zur morgigen Palmsonntagfeier. Selbst die kleinste Hütte war mit Palmen geschmückt, die hier allerdings billig zu haben waren. Dann kehrten wir nach der Posada zurück und erfuhren, daß unsere Sala noch nicht ganz vorgerichtet sei. Endlich, nach langem Warten, kam der Knecht, um sie uns anzuweisen. Wir mußten zur zweiten Hausthüre hinein und fanden ein kleines, vollständig leeres Loch, aus welchem uns ein schrecklicher Geruch entgegenkam. Wer weiß, was alles hier gelegen hatte und wegen uns fortgeräumt worden war! Ich frug nicht darnach und sagte dem Knechte, daß wir doch lieber hinter dem Hause im Freien schlafen wollten. Er machte eine sehr gravitätische Körperbewegung, warf den Kopf in den Nacken und meinte:
»Die Sennores können thun, was sie wollen; aber diese Sala ist für sie bestellt und bestimmt und muß bezahlt werden.«
Darüber war es dunkel geworden. Gegessen hatten wir, und so schleppten wir, da wir vom heutigen langen Ritte ermüdet waren, unsere Sättel und Decken hinter das Haus, wickelten uns in die Ponchos4 und schliefen ein, ohne uns durch den Lärm der festlich gestimmten Dorfbewohner irre machen zu lassen.
Ihr Lachen, Schreien, Rufen und Singen störte mich nicht. Bei solchem Lärm kann ein Prairiejäger ganz gut schlafen; aber kleine, charakteristische Geräusche, auf welche ein anderer gar nicht achtet, die sind es, welche ihn aus dem tiefsten Schlafe wecken können. So auch hier. Ich wachte plötzlich auf; ich hatte etwas gehört, ohne aber zu wissen, was. Ich lauschte. Das Dorf lag in tiefster Ruhe; die Leute von Frutobamba waren schlafen gegangen; es war zur Zeit des Vollmondes, welcher hoch am Himmel stand und die Umgebung hell beleuchtete; ich konnte aber nichts sehen, was mich gestört haben könnte.
Schon wollte ich den Kopf wieder sinken lassen, da klang ein eigentümlicher Ton an mein Ohr; es war wie ein Schmerzensruf aus einer tiefen Grube. Nach kurzer Zeit hörte ich es wieder, und zwar länger als vorher. Es kam von oben, nicht von unten. Wir lagen an der hintern Mauer des Hauses, und in dieser befand sich grad über mir ein Fenster, nämlich ein Fenster nach dortigen Begriffen; eigentlich war es ein vollständig offenes Mauerloch von so geringer Größe, daß man nicht einmal den Kopf hindurchstrecken konnte. Ich erinnerte mich, daß unser »Saal« ein solches Fenster gehabt hatte, und als ich über die Oertlichkeit nachdachte, fand ich, daß wir unter dem Fenster dieser Sala lagen. Sollte dieselbe einen andern Besitzer bekommen haben? Wieder drangen Klagelaute aus dem Fenster. Ich stand auf und hielt das Ohr an das Loch, doch so, daß ich von innen nicht bemerkt werden konnte. Da hörte ich sehr deutlich sporenklingende Schritte. Es ging jemand drinnen auf und ab im Finstern, denn es brannte kein Licht, sonst hätte ich den Schein desselben sehen müssen. Und nun vernahm ich deutliche Worte. Befanden sich mehrere Personen in der Sala? Oder sprach der Mann mit sich selber?
»O Mutter, Mutter!« seufzte es. »Tot – tot – – – tot! Que angustia, que martirio – – welche Angst, welche Qual!«
Hierauf folgte ein langgezogenes »Huh!« wie man es wohl von einem Frierenden zu hören bekommt, und dann jammerte es weiter.
»Und der Vater, der Vater! Lebt er noch? Habe ich ihn auch gemordet? Warum finde ich ihn nicht? Ah, que desgracia, ay, que pena – o, welches Unglück, o welcher Schmerz!« Es lief mir eiskalt über den Rücken. Der Mann da drinnen wurde von seinem Gewissen gefoltert. Oder war er ein Wahnsinniger, der sich seine Qualen in der Einbildung schuf?
Ich horchte und hörte weiter:
»O, cielos, cielos, cielos – o Himmel, Himmel, Himmel! Ein Verbrechen, ein Verbrechen! Nach – nach – nach – Erlösung schreien – – – Zunge – Zunge – am Gaumen klebt; o desdichado de mi, o ich Unglücklicher!«
Was waren denn das für Worte. So hatte ich doch zu Perdido gesagt! Sollte er etwa – – –? Nein! Dieser freche Gottesleugner, dieser hartgesottene Bösewicht konnte unmöglich so zerknirscht sein. Und doch waren es meine Worte, und ich mußte daran denken, daß er sich so oft von unserem Lager entfernt hatte, um mit sich selbst zu reden. Sollte er es doch sein? Sollte sein Grimm gegen den Glauben nur eine, allerdings entsetzliche Maske sein, unter welcher die Qualen der Reue sein Inneres durchwühlten?
»Kreuzestod, Kreuzestod!« erklang es wieder. »Für wen, für wen? Für mich? Wahnsinn – – Wahnsinn – – Wahnsinn! Auferstehung? Christ ist erstanden?! Hahahaha!«
Dieses Lachen klang so wahnwitzig und zugleich so trostlos, daß mich ein Grauen überlief. Die langsamen Sporenschritte klangen fort und fort, dazwischen ächzte und stöhnte der Mann zum Herzbrechen. Dann kreischte er plötzlich auf, als ob eine Faust sich um sein Herz gekrallt hätte:
»Perdido, Perdido, der Verlorene! So heiße ich; so habe ich mich selbst genannt! Wer wird mich Hallado nennen, Hallado, den Wiedergefundenen? Aleman mald cido, – verfluchter Deutscher! Dein Stachel ist's, Dein Stachel, ja, der Deinige!«
Jetzt konnte kein Zweifel mehr sein: es war Perdido! Welch ein Zufall! Wie kam er hierher? Was wollte er hier? Nun ich wußte, wer der Mann war, erschien es mir als Unrecht, noch länger zu lauschen. Ich legte mich wieder nieder und hüllte mich gegen die nächtliche Kühle in meinen Poncho; aber es vergingen Stunden, bis ich den Schlaf wieder fand. Darum wachte ich nicht auf, als die Zeit dazu gekommen war, sondern der Toba Manuel weckte mich. Ich erzählte den drei Gefährten, daß Sennor Perdido sich in der Posada befinde; da fragte Mateo angelegentlich:
»Werden wir weiterreiten, Sennor?«
»Ja.«
»Das ist gut! Laß uns gleich aufbrechen!«
»Gleich? Warum?«
»Daß wir nicht von diesem Perdido gesehen werden.«
»Wir werden erst am Gottesdienste teilnehmen. Fürchtest Du Dich vor Perdido?«
»Nein. Aber er haßt Dich und hat Dir Rache geschworen. Er wagt es nicht, Dich offen anzugreifen, denn Du würdest ihn besiegen; aber er wird aus dem Hinterhalte auf Dich schießen.«
»Pah! Ich sehe mich vor!«
»Sennor, thu mir den Gefallen und geh' gleich jetzt mit fort! Du weißt, wie lieb ich Dich habe. Ich würde sterben, wenn er Dich tötete.«
»So wirst Du niemals sterben, denn er tötet mich nicht.«
Damit mußte sich der brave Toba zufrieden geben. Wir gingen in das Gastzimmer, um den Mate dort zu trinken. Wir waren noch nicht fertig, so kam Perdido herein. Man sah es ihm an, daß er die halbe Nacht durchjammert hatte. Als er uns erblickte, fuhr er mit der Hand nach dem Messer und stieß einen Fluch aus, besann sich aber doch eines Bessern und ging wieder hinaus.
Draußen tönten Schüsse; es waren Freudenschüsse, um das Fest einzuleiten. Die Hütten des Dorfes waren leer, denn die Bewohner derselben befanden sich im Freien. Mehrere von ihnen gingen dem Wanderfrater aus Cochabamba entgegen, welcher kommen wollte, um den Gottesdienst abzuhalten. Er kam wie ein Prophet des alten Testamentes, ein ernster Mann in härenem Gewande, mit tiefliegenden, weltfremden Augen. In der Mitte des freien Platzes war ein kleiner Palmenaltar errichtet worden. Jedermann hatte eine Palme in der Hand, und jedermann rief demjenigen, den er noch nicht begrüßt hatte, ein freudiges Hosianna zu. Der Gottesdienst war einfach, so, wie ich es mir für diese kleine Gemeinde in so abgelegener Gegend gedacht hatte, und doch ist mir die Feier dieses Domingo de ramos, dieses Palmsonntages stets treu im Gedächtnisse geblieben, treuer als manche andere, bei welcher die Festfreude unter der Festunruhe und Festarbeit erstickte.
Gern hätte ich mich mit dem Frater unterhalten, aber er mußte schnell wieder fort, nach einem andern, mehrere Stunden entfernten Dorfe. Ich konnte ihm nur die Hand drücken und mich bedanken.
Nun trieb Mateo zum Aufbruche; aber wir waren ja Herren unserer Zeit, und ich wollte erst essen. Ich hatte mir ein Mittagsmahl bestellt und von dem Wirte das Versprechen bekommen, daß es ein wahres Festmahl sein solle. Als wir in die Gaststube traten, saß Perdido am Tische und sah mir hohnlächelnd entgegen. Früh, als wir diesen Platz gehabt hatten, war er nicht hingekommen, nun glaubte er, wir würden, weil er da saß, uns auch vor ihm genieren. Ich ging aber hin und setzte mich nieder, so thuend, als ob er gar nicht vorhanden sei. Das brachte ihn auf und er warf mir die spöttische Frage hin:
»Nun Sennor, ich sehe, daß Sie den Domingo de ramos mit diesen hochintelligenten Dorfleuten begehen. Mir scheint, Sie sind der Esel, auf welchem der Palmsonntag hier eingezogen ist. Denn ein Esel war es doch damals, nicht?«
Ein Glück für ihn, daß ich ihn während der Nacht belauscht hatte, sonst hätte ich ihn sofort niedergeschlagen. Statt dessen antwortete ich in aller Ruhe:
»Sie können mich nicht beleidigen, Sennor Riberto. Sie sind ein – – –«
»Ich heiße nicht Riberto!« fuhr er mir zornig in die Rede.
»Und haben doch Ihren Vater, den alten Bankier Riberto vergeblich gesucht!« warf ich ihm hin, indem ich seinen Blick mit dem meinigen festpackte.
Er erschrak.
»Wer – – wer – wer hat Ihnen – – – – –« stammelte er.
»Das ist Nebensache; kurz und gut, ich weiß es. Sie sind jener verlorene Sohn, welcher seine Mutter in den Tod und seinen Vater in das Elend trieb. Die Liebe einer Mutter ist ohne Grenzen, und selbst der strengste Vater kann barmherzig sein. Die beiden würden Ihnen vielleicht verzeihen, aber Sie können sie nicht um Vergebung bitten. Wenden Sie sich an den Heiland der Welt, der allein Sie retten kann! Er ist heute bei allen Gläubigen eingezogen und möchte auch bei den Verlorenen, auch bei Ihnen Einzug halten. Oeffnen Sie ihm Ihr Herz! Es ist heute Domingo de ramos, der Sonntag der Palmenzweige, welche das Zeichen des Friedens, der Versöhnung sind. Söhnen Sie sich mit dem himmlischen Richter aus; dann wird Ihr Gewissen Sie nicht mehr des Nachts vom Lager treiben, daß Sie nach Vergebung und Erlösung wimmern! Warten Sie nicht, bis Ihnen die Zunge am Gaumen klebt und Sie nicht mehr um Gnade bitten können!«
Sein Mund öffnete sich; seine Augen schienen aus ihren Höhlen hervortreten zu wollen, und sein Gesicht bekam infolge des Blutandranges nach dem Kopfe eine blaurote Färbung. Er erhob sich, mich immer groß anstarrend, langsam von seinem Stuhle, indem er sich mit beiden Händen schwer auf die Platte des Tisches stützte; er schien sprechen zu wollen und doch nicht zu können. Dann endlich stieß er mit aller Anstrengung hervor:
»Perro, maldito – Hund, verfluchter! Das bezahlst Du mir mit Deinem Leben!«
Er fuhr mit beiden Händen nach dem Gürtel; da aber stand ich aufrecht vor ihm, faßte ihn bei den Oberarmen, drückte ihm dieselben so fest in die Seiten, daß er stöhnte, und sagte ihm:
»Wenn jemand etwas zu bezahlen hat, so sind Sie es, Riberto! Ihre Drohungen belache ich. Wenn ich will, so drücke ich Ihnen den Brustkasten ein wie einem armen Sperlinge, und Sie – – –«
Ich kam nicht weiter; ich wurde unterbrochen. Bei der Scene, welche sich im Zimmer abspielte, hatten wir nicht beachtet, daß mehrere Reiter angekommen und draußen abgestiegen waren. Jetzt traten sie herein. Als sie sahen, daß ich Riberto gepackt hielt, riefen sie lachend aus:
»Ha, una riña, una pendencia – ah, eine Prügelei, eine Schlägerei!«
Sie drängten sich herbei, um zuzuschauen. Ich hatte mit dem Rücken nach der Thür zu gestanden und drehte jetzt den Kopf nach ihnen um. Da rief einer von ihnen:
»Holá, ea silencio, el rastreador – holla, still da, das ist der Rastreador!«
Rastreador heißt Pfadfinder. So war ich bei meinem vorigen Aufenthalte in den Pampas und den Anden oft und viel genannt worden.
»El rastreador!« wiederholten seine Gefährten, und »el rastreador!« sagte auch Riberto, indem seine Augen sich noch weiter als vorher öffneten.
»Ja, der Rastreador,« bestätigte der vorige Sprecher. »Der schießt hundert Kugeln aus seinem Laufe, ohne zu laden, und schlägt den stärksten Feind nur mit der bloßen Faust zu Boden.«
»Sie kennen mich, wie es scheint, Sennor,« fragte ich. »Wo haben Sie mich gesehen?«
»In Tucuman, als Sie damals mit den Toba-Indianern von dem Salzsee auf der Pampa de Salinas zurückkehrten.«
»Aber ich kenne Sie nicht!«
»Nein. Ich stand von weitem und habe nicht mit Ihnen sprechen können, Sennor.«
Die Leute standen in höchst achtungsvoller Haltung da. Ich ließ jetzt die Arme Ribertos los und sagte zu ihm:
»Sie scheinen meinen Namen auch gehört zu haben und wissen nun, mit wem Sie anbinden wollten. Lassen Sie sich das nicht wieder einfallen, und beherzigen Sie den hochernsten Rat, den ich Ihnen vorhin gegeben habe!«
Es ging eine fliegende Röte über sein Gesicht. Er warf mir einen Blick des Hasses zu, der mich sicher durchbohrt hätte, wenn er von Stahl gewesen wäre; dann wendete er sich ab und wollte hinausgehen. Da trat ihm einer der Neuangekommenen in den Weg und sagte:
»Wir erfuhren soeben, daß sich ein Comerciante Namens Perdido hier befindet. Sind Sie dieser, Sennor?«
»Ja,« antwortete der Gefragte.
»So verbieten wir Ihnen, hier Handel zu treiben. Wir sind auch Comerciantes und betreiben unser Geschäft in Compagnie.«
»Sie haben mir nichts zu verbieten!« wehrte er sich in entschlossenem Tone.
»Darüber denken Sie, wie Sie wollen, und wir werden thun, was wir wollen, wenn Sie uns nicht gehorchen!«
Er ging hinaus; sie folgten ihm und setzten draußen den Zank mit ihm fort. Sie hatten mir Hochachtung erwiesen; das konnte mich aber nicht hindern, sie für das zu halten, was sie waren; sie sahen ganz wie Strolche aus.
Ich hatte mich also nicht geirrt, als ich annahm, daß Sennor Perdido ein Händler sei. Er hatte das gestohlene Vermögen seines Vaters durchgebracht und mußte sich nun auf diese Weise ernähren.
Als wir dann aufbrechen wollten, stellte es sich leider heraus, daß eines unserer Pferde lahmte. Wir mußten es gegen ein anderes umtauschen. Aber, sonderbarer Weise, obgleich die Bewohner des Dorfes von den Comerciantes alles mögliche, was diese hatten, kauften, verkaufen wollte am heutigen Tage keiner von ihnen; sie meinten, dies würde eine Entweihung des heiligen Domingo de ramos sein. Wir waren also gezwungen, bis morgen in Frutobamba zu bleiben. – – –
Buchempfehlung
Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.
44 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro