Der Amsenhändler

Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauers von Karl May

Es war am Vormittage eines schönen Sommersonntages. In seinem Arbeitszimmer des Dessauer Schlosses saß Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, der Feldmarschall Preußens und des deutschen Reiches an seinem Schreibtische und stöberte in allerlei Acten und militärischen Schreibereien herum. Er trug seine einfachen grauleinenen Hosen und einen ebenso einfachen Waffenrock, an welchem kein Abzeichen seines hohen Ranges angebracht war. Seine Stirn lag in Falten; die Spitzen seines schwarzen Zwickelbartes zuckten und seine Füße stampften zuweilen ärgerlich den Boden. Er befand sich augenscheinlich in einer höchst unfreundlichen Stimmung.

Er war in der Kirche gewesen und hatte sich über die Predigt geärgert, da der Pfarrer mit der Gemeinde zu glimpflich verfahren war und nicht genug losgedonnert hatte. Nun saß der Fürst da und brummte ärgerlich vor sich hin.

Da erschallte unten im Schloßhofe ein lauter, kräftiger Gleichschritt, und gleich darauf trat der Diener ein und meldete, daß die Kapelle von Leopolds Lieblingsregimente soeben eingetroffen und aufmarschirt sei.

Der Kapellmeister war nämlich gestorben und sein Nachfolger sollte heute seine Probe ablegen. Das war keine leichte Aufgabe, denn der alte, grimmige Fürst verstand von Musik gar nichts und hatte es in seinem ganzen Leben nur zu der einen Melodie des Dessauer Marsches gebracht: »So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage«. Nach dieser Melodie sang er alle Lieder, auch in der Kirche, mochte die Orgel spielen und die Gemeinde singen, was und wie sie wollte.

»Ist der neue Pfeifer draußen?« fragte der Fürst den Diener.

»Ja. Er bittet, eintreten zu dürfen,« antwortete der Gefragte.

»Er mag kommen!«

Der Diener ging und an seiner Stelle trat der Musikus herein, den der Fürst in seiner derben Weise den »Pfeifer« genannt hatte. Er marschirte drei Schritte vor, schlug die Absätze zusammen und blieb dann in der vorgeschriebenen strammen, kerzengeraden Haltung stehen. Der Fürst musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle herab. Er mußte etwas Ordnungswidriges entdeckt haben, denn er erhob sich rasch, trat auf den Mann zu und fragte:

»Wie lange dient Er bereits, he?«

»Neun Jahre, Excellenz,« lautete die Antwort.

»Neun Jahre,« wiederholte Leopold in tiefem, zornigem Tone. »Und während dieser Zeit hat Er noch nicht gelernt, sich vorschriftsmäßig aufzuwichsen! Sieht Er nicht, Er Himmelhund, daß die rechte Spitze Seines Schnurrbartes um den ganzen zwanzigsten Theil eines Zolles höher steht als die linke? Und mit diesen lüderlichen Katerborsten kommt Er zu mir, Er neunjähriger Schlendrian! Bringe er Seinen infamen Schnurrwichsrich sofort in Ordnung, sonst lasse ich Ihn Spießruthen laufen bis die Schwarte platzt!«

Der Mann war schreckensbleich geworden und brachte die unglückselige Bartspitze schleunigst in eine tiefere Lage.[5]

»So!« sagte der Fürst. »Er scheint mir von Munk so viel zu verstehen, wie der Staar vom Porträtmalen, sonst müßte Er doch wissen, daß man zu hoch bläst, wenn der Schnurrbart zu hoch steht. Ich bin neugierig, wie Er Seine Probe bestehen wird. Was will Er denn blasen lassen, he?«

»Ein Nocturne, ein Lied ohne Worte und ein Andantino.«

Der Fürst, welcher durchaus kein Freund von Fremdwörtern war, zog die Brauen finster zusammen und sagte:

»Nocturne? Andantino? Dummes Zeug! Das ist fremder Papperlapapp! Blase Er deutsch, wie Ihm der Schnabel gewachsen ist! Und ein Lied ohne Worte? Ist Er verrückt? Ein Lied ohne Worte giebt es gar nicht!«

»Excellenz verzeihen gnädigst,« wagte der Musikus zu sagen. »Es giebt allerdings Lieder ohne –«

»Maul halten! Nicht mucksen!« donnerte ihm Leopold entgegen. »Das muß ich verstehen! Nur ein Verrückter kann behaupten, daß es Ochsen ohne Beine giebt, und so ist es auch mit den Liedern ohne Worte. Packe Er sich hinunter in den Hof und blase Er ein paar lustige Märsche! Ich werde gleich nachkommen, und der Teufel soll Ihn retten, wenn ich einen Fehler höre!«

Der Mann machte Kehrt und marschirte zur Thüre hinaus. Es war ihm angst und bange; der Fürst verstand nichts von Musik und hielt sich doch für einen gewaltigen Kenner; da war es nichts Leichtes, die Probe zu bestehen.

Nach kurzer Zeit stand der Fürst im Hofe und musterte die Musikanten. Sie kannten den alten Knasterbart zur Genüge und hatten sich die größte Mühe gegeben, fehlerfrei zu erscheinen. Das bemerkte er und darum ließ er ein tiefes, zufriedenes Knurren hören.

»Alles sauber und adrett!« sagte er. »Ich will es Euch auch gerathen haben, Ihr Schwerenöther! Na, so dudelt einmal los, aber einen Marsch! Verstanden?«

Der Dirigent gab das Zeichen, und der Marsch begann. Aber der Director hatte unglücklicher Weise nicht daran gedacht, daß der Dessauer Marsch das Lieblingsstück des Fürsten war; er ließ einen andern blasen. Da verfinsterten sich die sonnverbrannten Züge Leopolds; er sprang mitten unter die Musikanten hinein und trieb sie mit dem spanischen Rohre, welches alle seine Untergebenen kannten und fürchteten, auseinander.

»Halt!« brüllte er mit einer wahren Donnerstimme. »Still! Augenblicklich fort mit dieser Wimmerei! Was fällt Euch ein, Ihr Baßgeigenbande, mir solchen dummen Schnickschnack vorzuliedeln! Unsers Herrgotts Dragonermarsch will ich hören, und wenn Ihr den nicht blasen könnt, so scheert Euch zum Teufel! So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage! Vorwärts! Weiter! Wirds bald, ober nicht?«

Die Worte »So leben wir«, sang er mit seinem dröhnenden Basse und schlug mit dem Rohrstocke den Tact dazu auf dem breiten Rücken des Posaunisten. Das zog. Sie konnten den Marsch Alle auswendig blasen und fielen sofort ein. Es war ein eigenthumlicher Anblick, zu sehen, wie des Posaunist in kerzengerader Haltung sein Instrument ausschob und einzog nach dem Tacte, welcher auf seinem Rücken geschlagen wurde.[7]

Als die erste Klause des Marsches erklungen war, erheiterten sich die Züge des Fürsten. Er konnte noch so grimmig sein, bei den Klängen dieses Stückes vergaß er allen Aerger. Er hielt an, den Rücken des Posaunisten zu maltraitiren, stampfte aber desto kräftiger den Tact mit den Füßen. Beim Schlusse der zweiten Klause zeigte sein Gesicht bereits einen ganz verklärten Ausdruck. Aber plötzlich verschwand dieser wieder; Leopold stand ganz erstaunt da und heftete seine dunklen Augen mit einem Blicke auf die beiden Waldhornisten, als ob er etwas ganz Ungeheuerliches sähe. Dann aber brach er los. Mit einem raschen Sprunge stand er vor den beiden Männern, faßte sie hüben und drüben bei der Brust, schüttelte sie aus Leibeskräften und schrie:

»Halt, aufgehört, aufgehört! Warum blast Ihr nicht mit, Ihr beiden Himmelhunde?«

Die Musik schwieg sofort, und so konnte man die Antwort des einen Hornisten hören:

»Excellenz verzeihen! Wir haben hier sechs Tacte Pause.«

Bei diesen Worten trat der Fürst ganz erstaunt einen Schritt zurück; dann fragte er in jenem leisen Tone, der bei ihm noch gefährlicher war als das lauteste Zürnen:

»Pause? Ach, Ihr habt zu pausiren, he?«

»Zu Befehl, Excellenz!«

»Sechs Tacte, volle sechs Tacte lang?«

»Zu Befehl!«

Da sah er sich die beiden Männer mit wetterleuchtenden Blicken von den Köpfen bis zu den Füßen an, und dann donnerte er los:

»Also pausiren wollt Ihr? Da schlage doch gleich auf der Stelle ein kohlpechrabenschwarzes Wetter drein! Diese Hundekerls erhalten ihre Löhnung pünktlich und vollständig ausgezahlt, und wenn es ans Blasen geht, da wollen sie pausiren! Ich werde Euch hier mit dem Stocke bepausiren, daß Euch die Seele wackelt, Ihr ewigen Faullenzer! Gleich tretet Ihr vor und blast diese sechs Tacte Pause nach, und zwar dreimal hinter einander!«

Die zwei armen Teufel gehorchten und traten vor, aber sie blickten verlegen zu Boden, denn es war ja unmöglich, die Pause zu blasen.

»Nun, wirds, oder wirds nicht?« rief Leopold.

Da nahm der Dirigent sich seiner Leute an. Er legte die Hand salutirend an den Hut und sagte:

»Excellenz verzeihen! Pausen kann kein Mensch blasen.«

Leopold fuhr auf ihn zu und schrie im höchsten Zorne:

»Ach, nicht blasen? Keine Pause? Weshalb stehen sie denn da, als um geblasen zu werden! Er Himmelelementer versteht also von den Pausen nichts und von der Musik noch viel weniger! Und er will Kapellmeister werden? Ich werde Ihn bekapellen und bemeistern, daß Ihm drei Millionen Pausen um die Ohren fliegen. Er erhielt mit diesen Leuten Seine Löhnung, Sein Essen und Trinken, Seine Kleider und Gamaschen, und wenn ich unsers Herrgotts Dragonermarsch hören will, so stehen diese Tausendschwerenöther da, halten Maulaffen feil und pausiren! das ist stark,nein, das ist noch stärker als stark; das ist gegen alle Subordnung! Und wenn dann ich, der Kaiserliche und Königliche Feldmarschall, befehle, daß die Pausen geblasen werden sollen, so heißt es: ›Das können wir nicht!‹ Warum seid Ihr denn Musikanten geworden, wenn Ihr nicht einmal eine lumpige Pause blasen könnt, Ihr Hallunken! Aber Ihr sollt das noch lernen; Ihr sollt mir schon noch musikalisch werden! Wenn Ihr in der Arbeit pausirt, so sollt Ihr auch im Essen pausiren. Packt Euch auf der Stelle fort, und meldet Euch zum strengen Arrest! Jeder erhält fünf Tage und der gescheidte Herr Musikdirector zehn Tage, aber blos bei Wasser und täglich ein Viertelpfund Brod. Dann kommt Ihr wieder, und wenn ich noch eine einzige Pause höre, die nicht geblasen wird, so lasse ich Euch aufhängen, Einen immer an den Andern. Merkts Euch, Ihr Faulthiere, Ihr! Achtung! Rechts um! Vorwärts marsch! Scheert Euch zum Kukuk!«

Sie waren ganz unschuldig, aber sie konnten nicht anders, sie mußten diesem Commando augenblicklich Folge leisten und marschirten mit niedergeschlagenen Mienen zum Thore hinaus, verfolgt von den grimmigen Blicken des Fürsten. Diesem sah man es an, daß es jetzt nicht gerathen war, ihm nahe zu kommen. Er blickte suchend im Hofe sich um, als wolle er Jemand finden, der als Ableiter seines Zornes dienen könne, und wirklich – da kam Einer zum Thore herein geschritten, der beim Anblicke des Fürsten sofort stehen blieb; als ob er in parademäßiger Haltung angenagelt sei.

Es war eine hohe, breitschulterige Gestalt, mochte vielleicht achtundzwanzig Jahre zählen und trug die Abzeichen eines Feldwebels. Er hatte mit dem ersten Blicke erkannt, daß Leopold sich in keiner rosigen Laune befinde, aber auf seinem offenen, ehrlichen Angesicht war nicht die mindeste Spur von Furcht zu erkennen, und seine hellen Augen blickten sogar mit einer Art vertrauensvoller Liebe auf den Fürsten. Und wunderbar, sobald dieser Letztere den Ankömmling bemerkte, erheiterten sich seine Züge, und er sagte in einem milden Tone:

»Ah, Feldwebel Schubert! Er ist wieder zurück?«

»Zu Befehl, Excellenz!« antwortete der Gefragte. »Soeben bin ich angekommen.«

»Er war noch gar nicht in Seinem Quartier?«

»Nein.«

»Und dennoch steht er so propre und sauber vor mir, wie von einer Katze abgeleckt,« meinte Leopold, indem er den Feldwebel mit freundlichem Nicken betrachtete. »Ja, Er ist kein solcher Himmelhund, dem der Schnurrbart aus der Contenance gerathen kann! Aber wenn er sofort nach seiner Ankunft zu mir kommt, so hat er mir jedenfalls etwas Wichtiges zu melden?«

»Zu Befehl, Excellenz!«

»Gut, so komm er mit herauf in meine Bude! Erst hat mich der Pastor geärgert mit seiner Honigleckerei, dann geriethen mir die Trompeter und Pfeifer ganz aus Rand und Band. Die wollten sechs Tacte Pause machen, gerad lang genug, um während der Zeit von hier nach Magdeburg zu laufen. Aber ich habe ihnen eine Medizin eingestrichen, welche sie kuriren wird. Jetzt soll er michaufheitern, denn Er ist der Kerl, über den ich mich niemals zu argern brauche. Komme Er!«

Leopold schritt voran, und der junge Mann folgte ihm.

Alle Welt wußte, daß Feldwebel Schubert der Liebling des Fürsten war. Er war treu, klug und anstellig und hatte im Auftrage Leopolds gar Manches ausgeführt, was dieser selbst einem seiner Offiziere nicht gern anvertraut hätte. Er wußte den Fürsten zu behandeln, beging nie den geringsten Fehler und hätte sich lieber in Kochstücke hacken lassen, als daß er mit einem unerfüllten Auftrage, oder einer ungelösten Aufgabe zurückgekommen wäre.

Vor einiger Zeit war er von Leopold heimlich hinüber in das Hannöversche geschickt worden, um Verschiedenes auszukundschaften. Der Fürst konnte nämlich den Kurfürsten von Hannover, der zugleich König von England war, nicht leiden, und diese Abneigung war eine gegenseitige. Die meiste Gelegenheit zum Streite gaben die damaligen Werbeverhältnisse. Die Werber überschritten von beiden Seiten heimlich die Grenzen, um Rekruten anzuwerben, oder gar zu pressen. Dabei wurde sehr oft Gewalt angewendet, und darum nannte man diese Leute Seelenverkäufer. Es kam vor, daß die jungen, kräftigen Burschen vom Tanzboden weg, oder gar aus dem Bette geholt wurden, und bei der dadurch erregten gegenseitigen Erbitterung war es nichts Seltenes, daß es zuweilen gar zu Mord und Todschlag kam. Darum war die Aufgabe, welche Feldwebel Schubert erhalten hatte, eine sehr gefährliche. Wurde er ergriffen, so steckte man ihn entweder unter das hannöversche, oder englische Militär, oder man verbannte ihn als Matrose auf ein englisches Schiff, oder man griff ihn gar mit den Waffen an, um ihn einfach abzuthun. Allein, er war glücklich zurückgekehrt, wie immer von so gefährlichen Gängen, und stand nun droben vor dem Fürsten, um demselben Rechenschaft abzulegen.

Leopold hatte sich breitspurig auf einen alten Ledersessel niedergelassen und fragte:

»Da er gar nichts von sich hören ließ, so hatte ich schon Sorge, daß man ihn erwischt und aufgehängt hätte. Nun Er aber da ist, ist Alles gut. Wie steht es drüben bei unserm Nachbar von England und Hannover?«

»Schlechter als bei uns, wie immer, Durchlaucht. Kein Gehorsam, keine Ordnung, kein Verlaß,« lautete die Antwort. »Der Teufel hole das Sauleben, wie es da drüben ist!«

Der Alte schmunzelte behaglich, denn die Worte des Feldwebels enthielten ein indirectes Lob und Compliment für ihn.

»Ja,« sagte er. »Ich möchte lieber Korporal in meinem Regimente sein, als General Seiner königlichen Hoheit, des Kurfürsten von Hannover. Da ist zum Beispiel unser Erzfeind, der General von Valmy. Er trat als Oberst bei uns aus, weil ihm drüben der Generalsrang angeboten wurde. Nun ist er General, aber was hat er davon? Inspecteur der Werbestationen ist er geworden. Nun rennt er die Grenze auf und ab, reckt seine Nase in jede Grenzkneipe und schnüffelt nach, ob seine Seelenverkäufer auch Geschäfte machen. Das ist keine Generals- sondern eine Dachsbundarbeit. Er hat mir schon viel Schaden gemacht, denn er versteht dasFach. Ich gäbe gleich tausend Gulden darum, wenn ich ihn einmal diesseits der Grenze abfassen könnte. Ich würde ihn bei der Parabel nehmen, daß er die lieben Engel im Himmel geigen hören sollte!«

Ueber das hübsche, männlich ernste Gesicht des Feldwebels glitt ein schnelles, unternehmendes Leuchten, aber er sagte noch nichts. Der Fürst fuhr fort:

»Das wäre so Etwas führ Ihn, Schubert. Er ist ein unternehmender Kerl, kühn und besonnen zugleich. Könnte Er mir den General nicht einmal herüber locken, he?«

»Hm!« antwortete der Gefragte. »Die tausend Gulden stechen mir gewaltig in die Augen; ich könnte sie sehr gut gebrauchen, aber es ist mir unmöglich, sie zu verdienen.«

»Warum? Ich hoffe doch nicht, daß er Angst vor den Hannoveranern hat!«

»Fällt mir gar nicht ein! Da kennen mich Ew. fürstliche Durchlaucht zu gut. Ich wollte nur sagen, daß ich das Geld nicht verdienen kann, weil es gar nicht nöthig ist, den General herüber zu locken.«

»Nicht nöthig? Warum?« fragte Leopold gespannt.

»Weil er von selbst kommt.«

»Donnerwetter!« rief der Fürst, indem er aufsprang. »Er kommt von selber?«

»Ja.«

»Aber als was und warum? Wenn er in friedlicher Absicht kommt, so können wir ihm nichts anhaben.«

»Excellenz können ruhig sein; er kommt in einer sehr unfriedlichen Absicht. Ich habe nämlich erfahren, daß er einen ganz bedeutenden Coup beabsichtigt Unsere Werber sind glücklich gewesen; sie haben in letzterer Zeit sehr gute Geschäfte gemacht. Erst vorgestern hat Lieutenant Schadowitz in Stolberg elf Ilfelder Burschen festgenommen und unter die Rekruten gesteckt. Da haben sich die Hannoveraner vorgenommen, einen tüchtigen Schlag auszuführen. Ihre Werber haben vom Generale eine tüchtige Nase erhalten, und nun setzen sie Alles daran, unter seinen Augen die Schlappe wieder quitt zu machen.«

»Das sollen sich diese Himmelsakkermenter vergehen lassen! Um was handelt es sich?«

»Morgen geht da unten in Lenzen an der Elbe das große Vogelschießen los, welches eine volle Woche dauert. Donnerstag ist der Haupttag, an welchem auf allen Sälen getanzt wird. Da giebt es Jungburschen die schwere Menge, und dann wollen die Hannöverschen in Verkleidung auf dem Saal des Schützenhauses erscheinen und Alles gefangen nehmen, was zum Soldaten taugt.«

»Himmelelemet, das ist ja der reine Landfriedensbruch!«

»Allerdings; aber sie sagen, wir hätten ihren Landfrieden auch gebrochen; sie wollen nur Revanche nehmen. Das Beste aber dabei ist, daß der General mitkommt. Er will verkleidet zusehen, wie unsere Burschen ergriffen werden.«

»Hallo, hurrah, hosiannah, victoria, passa!« rief der Fürst, indem er vor Freude einen Sprung that. »Ich fange ihn, ich fange sie alle. Sie brocken sich da eine gute Suppe ein, und ich werde für die Pfefferkörner und den Knoblauch sorgen.Ich will gebimmelt und gebammelt werden, wenn ich auch nicht verkleidet erscheine und ein Lustspiel aufführe, daß sie vor Lachen die Maulsperre kriegen! Aber kommt der General auch wirklich?«

»Ganz sicher, Excellenz. Ich habe es aus einem ganz gewissen Munde. Ich traf nämlich da im Nienburger Gasthofe einen Kerl, der mir verdächtig vorkam. Er hatte so einen hannöverschen Dialect. Ich gab mich also für einen hannöverschen Werber aus und zeigte ihm die Legitimation, welche wir kürzlich einem der ihrigen abgenommen hatten. Er ging auf den Leim und glaubte mir Alles. Er bat mich, ihm zu helfen, und ich versprach es ihm natürlich. Er hat nämlich von dem Kommandanten der Werbestation Danenbüttel den Auftrag erhalten, alle unsere Stationen zu bereisen, auch sich zu überzeugen, ob Ew. Excellenz wirklich hier in Dessau sind – – –«

»Glaube es!« fiel der Fürst grimmig ein. »Vor mir hat diese Rotte Korah, Jonathan und Habakuck eine fürchterliche Angst. Sie denken, ich könnte ihnen über den Hals kommen, und das wird auch geschehen, sowahr sie mich den alten Dessauer nennen. Ich bin ein guter Kerl, ein seelensguter Hallunke, aber wenn ich einmal den Rappel kriege, so hält es kein Mensch mit mir aus, nicht einmal ich selber! Rede er weiter, Schubert!«

»Der Kerl,« fuhr der Feldwebel fort, »soll dann dem General in Lenzen melden, ob Alles in Ordnung ist, und dann geht der Teufel los.«

»Als was reist der Mensch?«

»Als Amsenhändler.«

»Amsenhändler? Was ist das für eine Thiergattung, he?«

»Amse heißt Ameise. Man kürzt in dieser Gegend das Wort Ameise auf Amse ab. Er thut nämlich, als ob er mit Ameiseneier für die Freunde von Stubenvögeln hausirt, und hat eine ganz gute Legitimation bei sich.«

»Wo ist er?«

»Er sitzt hier in der Flöder'schen Schänkwirthschaft.«

»Heiliges Granpelwetter! Er wagt sich nach Dessau? Na, dem will ich auf das Dach reiten, daß ihm das Herz drei Centner schwer vor die Füße fallen soll!«

»Hm! Der Mensch ist beherzt. Er hat Ew. Durchlaucht noch gar nicht gesehen und ist doch neugierig, wie Ew. Durchlaucht aussehen mögen. Er wäre am Ende gar so verwegen, nach dem Schlosse zu kommen; wenigstens hat er mich gefragt, ob Fürstliche Hoheit nicht auch Stubenvögel halten.«

Da schnippste der Fürst mit dem Finger und rief erfreut:

»Donner und Doria, das trifft sich gut! Gehe er sogleich nach der Schänkwirthschaft und sage er diesem Menschen, daß ich viele Vögel habe, zwanzig Amseln, dreißig Finken, vierzig Zippen und fünfzig Kukuks, meinetwegen auch noch eine ganze Heerde von Lerchen, Ammern, Wachteln und Krähen dazu. Bringe Er ihn so weit, daß er zu mir kommt; dann nehme ich ihn fest mit seinen Amseneiern und gehe als Amsenhändler nach Lenzen, um diese hannöverschen Spitzbuben zu fangen!«

»Das ist gefährlich, Ew. Durchlaucht!«

»Papperlapapp! Ich habe noch ganz andere Dinge gemacht. Ich bin alsScheerenschleifer, als Leierkastenmann, als Bäckergeselle, als Pflasterhändler und als Windmüller gegangen, und grad in Lenzen habe ich vor zwei Jahren bereits einen ganz ähnlichen Streich ausgeführt. Uebrigens wird Er mit einer tüchtigen Schaar Grenadiere heimlich zugegen sein. Ich kenne den Wirth des Schützenhauses; er ist eine treue Seele und wird uns allen Vorschub leisten. Aber wo befindet sich denn jetzt General Valmy?«

»Auf Schloß Gartow, welches der Bernstorffischen Familie gehört.«

»Ja; es gehört jetzt dem Andreas Gottlieb von Bernstorff, der hannöverscher Land- und Kriegsrath ist; er befindet sich jetzt in London, und so wird der General einsam und unerkannt auf Gartow hocken, bis er mit seinen Spinnenbeinen nach Lenzen hinüberkrabbelt. Besser konnte er es nicht aussuchen. Lenzen liegt am preußischen und Gartow nicht weit vom hannöverschen Ufer der Elbe; so braucht man nur herüber und hinüber zu buddeln, um eine Gaunerei fertig zu bringen. Aber ich werde bei dieser Buddelei zugegen sein und den Kerlen eine Patsche bereiten, an welche sie bis an ihr sanft seeliges Ende denken sollen und noch einige Jahre darüber hinaus. Von wem hat Er denn erfahren, daß der General auf Gartow ist? Wohl auch von dem Amsenmeier?«

»Nein,« antwortete der Feldwebel einigermaßen verlegen.

»Von wem denn?«

»Von – – hm! – – von – – – hm!«

»Na, was hmt er denn da herum? Heraus damit!«

»Von meiner – – von meiner Liebsten habe ich es erfahren, mit Respect zu vermelden, Ew. Durchlaucht.«

Der Fürst fuhr erschrocken zurück und sperrte erstaunt den Mund auf.

»Von Seiner Liebsten?« fragte er, während sich eine Falte des Zornes quer über seine Stirn legte. »Ist er vernagelt, oder übergeschnappt? Er hat eine Liebste, he?«

»Zu Befehl, Ew. Durchlaucht!«

»Halte er den Schnabel mit Seinem Befehl!« donnerte da Leopold. »Ich habe Ihm nicht befohlen, sich zu verschameriren, Er Grünschnabel! Er ist ja kaum aus den Federn heraus und sieht sich bereits nach einem Hauskreuze um! Da schlage doch das Wetter drein! Kaum hat man einmal zu einem Menschen Vertrauen gefaßt, so läuft er auch schon einer bunten Schürze nach! Ist das Dankbarkeit, he? Ist das in der Ordnung, he? Stecke er seine Nase in das A-b-c-Buch, aber lasse Er es sich nicht einfallen, sich eine Frau zu nehmen; Er dummer Junge, Er!«

Er sah bei seinen Leuten nicht gern eine Liebelei, und daß grad Feldwebel Schubert eine Geliebte hatte, das ärgerte ihn doppelt. Er redete sich selbst in seinen Grimm hinein, und so kam es, daß ihm das letzte, schlimme Schimpfwort entfuhr. Schuberts Auge blitzte auf; er sagte nichts, aber er machte Rechtsumkehrt, so accurat wie auf dem Exercierplatze, und schritt nach der Thür.

»Halt! Bataillon rechtsumkehrt! Augen rechts; richtet Euch!« brüllte da der Fürst, als ob er wirklich ein ganzes Bataillon vor sich habe. »Wo will er denn hin, he?«[19]

Der Feldwebel hatte dem Kommando augenblicklich Folge geleistet.

»Mich zum Arrest melden, Ew. Durchlaucht,« sagte er mit fester Stimme.

»Zum Arrest? Er ist ja ganz und gar perplex! Warum denn zum Arrest?«

»Excellenz haben mich, einen altgedienten Feldwebel des glorreichen Regimentes ›Fürst Leopold‹, einen dummen Jungen genannt. Fordern kann ich meinen Feldherrn nicht, folglich bleibt mir nur übrig, anzunehmen, daß ich wirklich als dummer Junge gehandelt habe, und darum melde ich mich zunächst zur Strafe in Arrest und komme dann um meinen Abschied ein. Ein braver Soldat läßt keinen dummen Jungen auf sich sitzen, mag die Beleidigung kommen, von wem sie will!«

Da trat der Fürst mit geballten Fäusten auf ihn zu und rief:

»Hund! Kanaille! Ich werde – – –«

»Halt!« donnerte ihm da der Feldwebel entgegen. »Kein Wort weiter! Ich bin weder ein dummer Junge, noch ein Hund, oder eine Kanaille! Privatim können Ew. Durchlaucht mich so nennen, denn ich habe Sie lieb und könnte für Sie tausendmal durchs Feuer gehen; aber in diesem Augenblicke habe ich die Uniform meines Regimentes an, und diese lasse ich nicht beschimpfen!«

Da trat der Fürst zurück. In seinen erregten Zügen kämpften die widerstreitigsten Gefühle. Er schritt an das Fenster und blickte lange stumm hinaus. Schubert kannte den Alten; er wußte, was kommen werde und blieb ruhig stehen. Endlich drehte sich Leopold wieder um; sein Gesicht hatte sich geglättet, als er sagte:

»Aber, Feldwebel, Er ist Gottstrambach ein halsverwegener Kerl! Mir in dieser Weise die Moral zu geigen! Da hört denn doch die Welt auf, Zwiebacke zu kauen! Aber Recht hat Er, obgleich mir ein Anderer nicht so kommen dürfte. Alle Teufel, wollte ich den Schlingel kuranzen! Von Ihm aber will ich es ausnahmsweise einmal hinnehmen und Ihn sogar wegen der Worte um Pardon bitten! Ist Er zufrieden?«

Da trat der Feldwebel rasch auf ihn zu und faßte seine Hand, die er an das Herz drückte. Die Thränen standen ihm in den Augen, als er sagte:

»Dank, tausend Dank, Excellenz! Aber ich konnte nicht anders. Hätte ich es sitzen gelassen, so wäre ich ein ehrloser Schuft gewesen.«

Auch Leopold war gerührt. Er antwortete:

»Schon gut, Schubert! Er sieht nun, was ich auf Ihn halte! Aber Seine Liebste muß ein ganz und gar verteufeltes Mädchen sein, da Er es wagt, wegen ihr es mit mir aufzunehmen. Ich hoffe, daß Er sich nicht weggeworfen hat. Wer ist denn die Hexe?«

»Sie wohnt in Gartow und ist die einzige Tochter des reichen Uhlmann. Er hat einen Laden und auch einen Bierschank, und will mir das Mädel nicht geben, weil ich in Ew. Durchlaucht Regimente diene. Das Mädel ist ein Prachtding, hoch und grad gewachsen wie ein Grenadir. Denken Ew. Durchlaucht einmal, was es da für Rekruten gäbe!«

Da erheiterte sich Leopolds Gesicht vollends. Er verheirathete gern große Personen mit einander, um aus einer solchen Ehe große Rekruten zu bekommen; andiese schwache Seite hatte Schubert jetzt appellirt, und zwar mit Erfolg, denn Leopold antwortete:

»So groß und stark ist sie? Hm, da könnte es sich vielleicht machen! Und ihr Vater will nicht? Ist er etwa ein eingefleischter Hannoveraner?«

»Ganz und gar. Ich bin sogar überzeugt, daß er die hannöverschen Werber beherbergt.«

Dann werde ich ihn bei den Ohren nehmen, daß ihm die Augen übergehen sollen wie Hochwasser! Hm! Na! Wenn ich das Mädel gesehen habe, so werde ich Ihm sagen, was ich von der Sache denke. Jetzt aber laufe Er und hole Er mir den Ameiserich herbei!

Der Feldwebel ging, und nach ungefähr zehn Minuten kam ein Mensch in den Schloßhof, der einen Sack über die Achsel und einen hölzernen Kasten auf dem Rücken hängen hatte. Er war bereits hoch bei Jahren, ging aber grad und aufrecht, so daß man ihn leicht für einen alten, verkleideten Wachtmeister halten konnte.

»Werden hier Ameiseneier gebraucht?« fragte er einen dastehenden Reitknecht.

Dieser hatte bereits Instruction erhalten und antwortete daher:

»Ja; aber da muß Er zum Fürsten selbst gehen; der hält so viel auf seine Amseln und Zippen, daß er die Ameiseneier alle selber kauft. Komme Er; ich führe Ihn!«

Sie schritten mit einander die Treppe empor, und der Händler durfte eintreten, ohne vorher angemeldet zu werden. Der Fürst saß wieder an seinem Schreibtische und blickte dem Manne finster entgegen.

»Was will Er?« fragte er.

»Kaufen Ew. Durchlaucht vielleicht Ameiseneier?« fragte der Fremde.

»Ja. Zeige Er sie einmal!«

Der Fürst erhob sich, und der Händler legte Kasten und Sack zur Erde. Er öffnete den Letzteren und nahm eine Hand voll Eier heraus, die er Leopold hinzeigte.

»Hier, Durchlaucht,« sagte Er; »lauter rein gelesene, vorzügliche Waare.«

»Ja, oben drauf,« meinte der Fürst; »aber ich werde die untersten einmal untersuchen, ob sie auch so sind. Vielleicht hat er gar außer den Ameiseneiern noch Anderes bei sich. Er kommt mir verdächtig vor.«

Er faßte ohne Umstände den Sack und fuhr mit dem Arme hinein. Er wühlte in dem Inhalte herum, fand aber kein Papier, noch sonst etwas Verdächtiges.

»So werde ich weiter suchen!«

Mit diesen Worten bückte er sich zu dem ziemlich umfangreichen Kasten nieder, der mit zwei Krummhaken verschlossen war.

»Halt!« rief da der Handelsmann. »Lassen Ew. Durchlaucht den Kasten in Ruhe; er darf auf diese Weise nicht geöffnet werden, denn – – –«

»Still! Nicht gemuckst!« unterbrach ihn Leopold mit Donnerstimme. »Ich thue, was mir beliebt, und Er Schwerenöther hat zu schweigen!«

»Um Gotteswillen, Durchlaucht, es sind ja – – – O, da hat man es!«

Er schlug bei den letzten Worten die Hände über dem Kopfe zusammen, dennder Fürst hatte den Kasten geöffnet, welcher – – lebendige Ameisen enthielt. Ein starker Duft verbreitete sich augenblicklich im Zimmer, und zu gleicher Zeit flutheten die eingesperrten Thiere aus dem offenen Kasten heraus und nach allen Seiten über die Diele hin. Der Fürst prallte erschrocken zurück.

»Heiliger Ladestock, was ist denn das?« rief er. »Das sind doch Ameisen! Kerl, wie kann Er mir das Viehzeug in die Stube bringen! Gleich schaffe Er es wieder hinaus, Er Schwenzelens, Er!«

»Ich habe Ew. Durchlaucht ja gewarnt!« entschuldigte sich der Mann.

Aber mittlerweile hatte sich der Kasten bereits halb entleert. Leopold retirirte rückwärts und rief:

»Ich frag Ihn blos, ob Er Seinen vermaledeiten Kasten zumachen will! Sieht Er denn nicht, daß die ganze Stube wimmelt! Sie laufen ja bereits an den Wänden empor. Himmelelement, hier habe ich sie bereits zu Hunderten an den Hosen hängen! Kerl, ich lasse Ihm Hundert aufzählen, wenn Er mich nicht sofort von dieser egyptischen Landplage befreit!«

Er sprang auf einen Stuhl und strich sich die Thiere von den weißen Hosen herab; dabei mußte er so schnell sein, daß er die Balance verlor; er wollte sich an der Lehne festhalten, war aber zu schwer und fiel mit sammt dem Stuhl zu Boden, wo sofort eine ganze Legion der Thiere Besitz von ihm nahm. Er raffte sich zwar rasch wieder auf und wollte sich auf den Handelsmann stürzen, dieser aber hatte sich voller Angst aus dem Staube gemacht, ohne seinen Sack und den Kasten mitzunehmen.

»Hundsfott, Dich kriege ich schon noch!« rief der Fürst.

Aber zu gleicher Zeit fühlte er die Stiche der erregten Insecten. Er sprang auf den Schreibtisch, quetschte, kratzte, schlug und drückte seinen Körper an allen Stellen, wohin er mit den Händen gelangen konnte und schrie dabei nach seinem Diener. Dieser aber war nicht im Vorzimmer. Zufälliger Weise kam die Fürstin den Corridor entlang; sie hörte das Rufen und Schreien und öffnete die Thür.

»Na, Er Himmelhund, warum hört Er denn nicht!« brüllte der Alte. »Hat Er denn keine Ohren, oder – – – ah, Du bist es, Anneliese! Rasch, rasch, reiße aus, sonst laufen sie auch Dir zu den Beinen hinan. Das sind ganz infame Kreaturen!«

Dabei stand er noch immer auf dem Schreibtische und wischte bald vorn und bald hinten an sich herum. Dielen und Wände, sowie sämmtliche Möbels waren von den kleinen Thieren bedeckt.

»Um Gotteswillen, was ist denn los?« frug die Fürstin, ganz außer sich.

»Der Teufel ist los,« antwortete er, »der Ameisenteufel!«

»Aber, was stehst Du denn da oben, Leopold! So reiße doch aus!«

Er sah sie ganz verblüfft an, dann rief er unter dröhnendem Lachen:

»Ach, richtig; daran habe ich gar nicht gedacht! Der Dessauer ist eben noch niemals ausgerissen, jetzt aber muß er es doch!«

Er sprang vom Schreibtische herab und verließ das Zimmer. Seine Stimme rief bald die ganze Dienerschaft zusammen, welche den Befehl erhielt, die Fensterzu öffnen und die Thiere zu tödten, oder zu verjagen. Einstweilen war das Zimmer unbewohnbar geworden; Leopold mußte sich in ein anderes zurückziehen, wo ihm bald Feldwebel Schubert wieder gemeldet wurde.

»Weiß Er, wo dieser verteufelte Amsenhändler ist?« rief ihm der Fürst entgegen.

»Zu Befehl!« antwortete Schubert.

»Laß Er ihn sofort gefangen nehmen!«

»Ist bereits geschehen. Er kam in die Schänke und erzählte mir, daß er Ew. Durchlaucht entflohen sei. Er wollte sofort die Stadt verlassen; da aber ließ ich ihn festnehmen und nach Nummer Sicher bringen. Hier sind seine Papiere, Excellenz!«

Er legte dem Fürsten einige Legitimationsscheine auf den Tisch.

»Schön,« sagte dieser; »Er ist doch stets ein umsichtiger und rascher Kerl! Aber wie kommt es, daß dieser Mensch lebendige Amsen bei sich hatte?«

»Er verkauft sie an Leute, welche Ameisenspiritus aufsetzen wollen, und zwar flaschenweise. Aber der Kasten ist nicht zum Oeffnen; er hat ein Loch, in welches der Flaschenhals gesteckt wird, dann laufen die Ameisen selbst hinein; dieses Loch wird sonst mit einem Stöpsel verschlossen.«

»Ah, schön, hm, gut!« brummte der Fürst. »Könnte Er mir den Kasten wieder voll Amsen verschaffen?«

»Sehr leicht!«

»So thue Er es! Diese Hannöverschen sollen auch einmal sehen, wie es ist, wenn es einem hinten zwickt und vorne zwackt. Ich mache den Amsenhändler; dabei bleibt es. Pasta!« – –

Es war am Donnerstage morgens in der Frühe, als auf der Straße, welche von Wittenberg nach Lenzen führte, ein zweispänniger Wagen fuhr, welcher von einem jungen, kräftigen Mann geleitet wurde, der kein Anderer als der Feldwebel Schubert war. Er trug die Kleider der dortigen besseren Landleute. Der Wagen war mit einer Plahne verdeckt, wer aber unter dieselbe hätte hineinblicken können, der hätte eine große Anzahl Gewehre, Säbel, Patronentaschen und Uniformstücke sehen können. Das sonderbarste aber war, daß diesem Wagen ein Trupp von ungefähr fünfzig Menschen folgte, diese eine sehr militairische Haltung hatten, obgleich sie alle eine ganz gewöhnliche, oft sehr bunt zusammengewürfelte Civilkleidung trugen.

Da, wo das kleine Flüßchen neben dem Wege den dichten Kiefernwald theilte, hielt der Wagen an, und der Feldwebel ließ die Männer herankommen.

»Halt,« sagte er. »Hier ist der Ort, wo wir uns theilen, denn wir haben nur noch eine halbe Stunde bis nach Lenzen und dürfen nicht beisammen gesehen werden. Ihr habt Jeder drei Gulden erhalten, braucht also keine Noth zu leiden und könnt Euch nach Belieben bis zur Dunkelheit in der Umgegend, oder in der Stadt auf dem Vogelschießen erlustiren. Aber kennen dürft Ihr Euch nicht. Sobald es dunkel ist, kommt Korporal Weidauer mit seinen zwanzig Mann, um die Uniformen anzulegen und die Waffen zu nehmen. Er besetzt die Elbe, läßt aus dem Hannöverschen Alles herüber, aber Niemand hinüber, bis er Gegenbefehl erhält.Korporal Emmer mit seinen dreißig Mann hat sich erst eine Stunde vor Mitternacht eingefunden. Ich bin im Schützenhause zu treffen, wo ich den Wagen beaufsichtige, daß kein Mensch merkt, was wir geladen haben. Jetzt nun macht, daß Ihr fortkommt, und seid pünktlich!«

Die Männer verschwanden im Walde, und Schubert fuhr nach der Stadt. Das damalige Schützenhaus lag vor derselben. Er bog in den Hof ein und ließ den Wirth herbei rufen. Als dieser den Fuhrmann sah, jagte er erstaunt:

»Herr Feldwebel! Was Teufel treibt – – –«

»Pst!« warnte Schubert. »Es darf kein Mensch wissen, daß ich hier bin. Habt Ihr einen gut verschlossenen Platz für diesen Wagen?«

»Ja, einen Schuppen, in den kein Mensch kommt. Um was handelt es sich denn?«

»Das werde ich Euch nachher erklären. Der Fürst kommt selbst.«

»Der Fürst? Der alte Dessauer?« fragte der Wirth betroffen.

»Ja.«

»So handelt es sich um etwas Wichtiges!«

»Allerdings. Jetzt holt den Schlüssel und schiebt mir den Wagen mit in den Schuppen; es darf kein Fremder dabei sein.«

Während der Wirth nach dem Schlüssel ging, spannte Schubert die Pferde ab und führte sie in den Stall. Sodann wurde der Wagen an Ort und Stelle gebracht. Dort theilte der Feldwebel dem Wirthe das Nöthige mit. Er konnte ihm vertrauen und wußte, daß der treue, verschwiegene Mann Nichts ausreden werde. Sodann nahm er den Schlüssel zu sich und verließ das Haus.

Er ging nicht nach der Stadt, sondern nach der Elbe zu, wo er sich vom Fuhrmanne übersetzen ließ. Jetzt befand er sich auf hannöverschem Grund und Boden. Er mußte vorsichtig sein und untersuchte seine Pistolen, welche er bei sich trug; sie waren scharf geladen.

Auf ihm wohlbekannten Schleichwegen ging er nach Gartow, aber nicht in den Ort hinein, sondern um denselben herum. Er kam an einen Gartenzaun, ohne bemerkt zu werden, übersprang denselben und versteckte sich in ein dichtes Hollundergebüsch. Der Garten gehörte zum Hause Uhlmanns, und Schubert konnte den Hof desselben überblicken. Er mußte lange, sehr lange warten, und es war fast Mittag, als endlich die schöne, hohe Gestalt eines jungen Mädchens unter der Hinterthür erschien. Er stieß einen leisen Pfiff aus, den sie sehr wohl zu kennen schien, denn die Röthe der Freude trat auf ihre Wangen und sie eilte sofort nach dem Garten, wo sie hinter dem Hollunder den Geliebten traf.

»Fritz, Du hier,« sagte sie. »Dich hätte ich nicht erwartet.«

Er umarmte und küßte sie und antwortete:

»Auch ich hätte nicht geglaubt, Dich so bald wiederzusehen, meine Seele. Sind die Werber noch bei Euch?«

»Ja, Sie müssen etwas vorhaben.«

»Warum?«

»Sie flüstern so angelegentlich unter einander und lassen doch nichts verstehen. Ich glaube, es soll in Lenzen Etwas geben, denn mein Vater geht heut auch mit hinüber. Ich konnte nichts erfahren, aber er macht ein Gesicht, als ob die Christbescheerung nahe wäre. Lasse Dich um Gotteswillen nicht sehen! Der Lieutenant – –«

Sie stockte; er aber fragte:

»Was ist mit dem Lieutenant?«

»Ich wollte Dir es nicht sagen, aber ich kann es fast nicht mehr aushalten. Er verfolgt mich auf Schritt und Tritt – – –«

»Ich schlage ihn nieder, den Hallunken!« zürnte Schubert.

»Pst, ruhig!« warnte sie. »Es ist zwar schlimm, aber ich weiß mir selbst zu helfen. Der Vater ist hart, und vor diesen Seelenverkäufern fürchte ich mich. Ich gehe nächstens fort.«

»Wohin, Anna?«

»Ich suche mir einen Dienst da drüben im Preußischen; da kannst Du mich besuchen, ohne Dein Leben zu wagen.«

Er sah ihr liebevoll in die Augen und drückte sie inniger an sich. Sie waren ein schönes Paar. Hätte der Dessauer sie so sehen können, er hätte seine Freude über sie haben müssen.

»Dieses Opfer wolltest Du mir bringen?« fragte er. »Ich danke Dir, Du Gute! Aber vielleicht ist es gar nicht nöthig; vielleicht bist Du schon bald meine Frau.«

»Ists möglich?« fragte sie, freudig überrascht.

»Ja. Ich habe nämlich mit dem Fürsten gesprochen.«

»Ah, Du hast es endlich gewagt! Was sagte er?«

»Er will Dich erst sehen.«

»So soll ich wohl gar hin zu ihm?«

»Nein. Er kommt her.«

»Um Gotteswillen, das ist ja gefährlich!«

»Nicht so sehr. Man wird ihn nicht erkennen. Na, ich will es Dir nur gestehen, daß er vielleicht noch heute kommt. Er ist in Wittenberge und läßt sich einen falschen Bart und eine falsche Nase ansetzen. Er will euer Schloß besuchen. Wenn ein alter Amsenhändler kommt, das ist er. Und sollte – – –«

Da ertönte vom Hofe her ein lauter, ungeduldiger Ruf; es war Annas Vater, welcher seine Tochter brauchte. Sie mußte fort, ohne ihr Erstaunen ausdrücken, oder einWort sagen zu können, ob sie wiederkommen werde. Schubet wartete über eine halbe Stunde, dann ging er, denn seine Gegenwart war in Lenzen nöthig. Als Anna den Garten kurze Zeit später wieder betrat, war er fort. –

Draußen am Waldesrande, wo der Weg nach Gartow vorüberführte, lag ein alter Kerl und schlief. Er hatte einen schwarzen, struppigen Vollbart und eine große, rothglänzende Schnapsnase; neben ihm lag ein Sack und ein großer hölzerner Kasten. Es hätte wohl kein Mensch in ihm den Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau vermuthet, und dennoch war er es.

Er war während der heißesten Tageszeit von Wittenberge aufgebrochen und unterwegs ein wenig müde geworden. Um sich einige Minuten auszuruhen, hatte er sich hingestreckt, war aber eingeschlafen und schlief so fest, daß Stunde um Stunde verging, ohne daß er aufwachte. Da endlich begann er sich zu regen. Er öffnete die Lider, rieb sich die Augen und sprang empor, als er sah, wie tief die Sonne bereits stand.

»Alle Wetter«, brummte er; »Da habe ich ja die ganze Prosit die Mahlzeit verschlafen! Es wird gleich dunkel werden, und ich altes Murmelthier lasse die kostbare Zeit vergehen. Mit dem Hausiren wird es nichts, aber den Uhlmann und sein Mädel, die muß ich sehen. Vorwärts!«

Er nahm den Sack und den Kasten auf und schritt dem Orte zu, dessen Schloß ihm bereits entgegenwinkte. Ueber der Thür eines der besten Häuser befand sich ein Schild mit der Inschrift »Allhier kauft man Spezereien, Schnaps und Bier bei Anseln Uhlmann.«

»Das ist der Kerl,« dachte Leopold. »Wollen einmal sehen!«

Er trat in die Stube, in welcher es bereits dunkelte. Der Wirth war eben beschäftigt, die große Oellampe anzubrennen.

»Guten Abend!« grüßte Leopold.

»Guten Abend!« antwortete Uhlmann mürrisch, indem er den Gast beleuchtete. »Was will Er?«

»Gebe Er mir einen Schnaps, aber einen tüchtigen?«

»Gehe Er in den Laden!« sagte Uhlmann. »Hier verkehren nur Herren, Leute von Seiner Sorte aber werden draußen abgefertigt.«

»So?« fragte der Fürst. »Kennt Er denn meine Sorte gar so genau?«

»Ja. Was werdet Ihr sein, als ein Hausirer, ein Herumläufer, weiter nichts.«

»Ja, aber ein Hausirer, der Geld hat, verstanden? Hier sitzt's, alter Truthahn, und vor den Herren, die hier verkehren, reiße ich noch lange nicht aus!«

Er legte Sack und Kasten auf die Bank und klopfte an seine Tasche. Das gab einen silbernen Klang, aber Uhlmann meinte dessen ungeachtet zornig:

»Es bleibt dabei, Er geht in den Laden. Und wenn Er mich noch einmal einen Truthahn nennt, so werfe ich Ihn hinaus!«

»Mache Er keinen Summs!« lachte der Fürst. »Er ist nicht der Kerl, der mich bange machen könnte. Braucht Er vielleicht eine Portion Amseneier, he?«

Bei der letzten Frage hatte sich die Ladenthür geöffnet, und Anna trat ein. Sie hörte die Worte, sah den großen Bart und die Nase und wußte sofort, wen sie vor sich hatte.

»Bleibe Er mir mit Seinen Amseneiern vom Leibe!« antwortete Uhlman. »Ich bin keine Bachstelze, die Insecten frißt!«

»Na, da giebt mir vielleicht die Jungfer den Schnaps, den Ihr mir nicht geben wollt,« sagte Leopold, indem er das schöne, stattliche Mädchen mit wohlgefälligen Blicken musterte.

»Sogleich!« antwortete sie, trat in den Laden zurück und brachte ihm das Verlangte.

»Er soll ihn ja draußen trinken!« fuhr der Vater sie an. »Solches Gelichter können wir hier nicht gebrauchen. Der Herr Lieutenant wird sogleich vom Schlosse zurück kommen. Was soll er sagen, wenn ein Amsenhändler an seinem Platze sitzt!«

»Oho!« entgegnete Leopold. »Sein Lieutenant wäre vielleicht froh, wenn er mit so einem Amsenhändler tauschen könnte. Gebe er sich keine Mühe. Ich trinke meinen Schnaps hier und auch noch ein Bier dazu, und damit pasta!«

Es lag in dem Tone dieser Worte Etwas, was dem Wirth die Lust benahm, auf seinem Willen zu bestehen; Anna aber beeilte sich, das Bier zu bringen. Es war ihr Angst um den Fürsten, denn soeben hörte sie ein sich nahendes Säbelklirren, und als sie dem Fürsten das Glas vorsetzte, trat der Lieutenant ein.

Er war ein dünner, hoch aufgeschossener Mann, dessen bartloses Gesicht keinen einzigen sympathischen Zug zeigte. Er warf einen finsteren Blick auf Leopold, ließ sich rasselnd nieder und verlangte auch ein Bier; dann wendete er sich an Leopold:

»Was macht Er hier in dieser Stube, und wer ist Er, he?«

»Ich trinke Bier und bin Amsenhändler,« antwortete der Fürst ruhig.

»Ein Amsenhändler? Ah, hat Er Seine Legitimation bei sich?«

»Hier ist sie.«

Leopold griff in die Tasche und zog die Papiere hervor, welche dem Händler, der noch in Dessau gefangensaß, abgenommen worden waren. Der Lieutenant öffnete sie mit Spannung, warf einen Blick darauf und sagte dann:

»Richtig, Er ist der Wachtmeister Horn, den wir erwarten. Hat Er sich da drüben bei den Preußen gehörig umgesehen?«

»Versteht sich.«

»Wird das Geschäft in Lenzen klappen?«

»Ausgezeichnet!« schmunzelte Leopold.

»So geht jetzt mit zum General, um ihm Bericht zu erstatten. Vorher aber muß ich der Anna einen Kuß geben.«

Er trat auf das Mädchen zu und wollte sie umarmen, sie aber stieß ihn zurück, und als er zudringlicher wurde, holte sie aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

»Was fällt Dir ein!« rief ihr Vater.

»Alle Teufel, ist das eine Wetterhexe!« rief der Fürst, ganz erfreut über die Züchtigung, welche der Offizier hinnehmen mußte.

»Ja, eine Hexe ist sie,« brummte dieser, »aber ich werde sie schon noch gefügig machen!«

Er trank sein Bier aus und winkte Leopold, ihm zu folgen. Der Wirth begleitete den Offizier hinaus, und während Leopold noch sein Bier austrank, trat das Mädchen rasch zu ihm und flüsterte:

»Herr Wachtmeister Horn, wenn Ihr in Gefahr kommt, so verlaßt Euch auf mich!«

Nach diesen Worten schlüpfte sie schnell in den Laden. Leopold nahm einfach an, daß sie Gründe haben müsse, diesem Horn ihre Theilnahme zu widmen; er ließ Sack und Kasten einstweilen liegen und folgte dem Lieutenant. Es war ihm darum zu thun, Etwas von den heutigen Absichten der Hannoveraner zu erfahren, darum wagte er sich zu dem General.

»Wenn er Lust hat, Wachtmeister, so kann Er mit dabei sein,« sagte der Lieutenant unterwegs zu ihm. »Bis zwölf Uhr haben wir uns in Lenzen einzeln eingeschlichen, und punkt ein Uhr wird der Fang gemacht.«

»Dreißig Mann. Aber da ist das Schloß. Vorwärts!«

Sie traten in den Schloßhof, wo die dreißig hannöverschen Grenadiere schon bereit standen. Der Lieutenant führte Leopold die Treppe empor und zum General. Dieser saß bei einer Pfeife Tabak, damals eine Seltenheit und blickte die Beiden erwartungsvoll an.

»Hier, Excellenz, bringe ich den erwarteten Boten,« meldete der Lieutenant.

»Welchen Boten?« fragte der General.

»Nun, den Wachtmeister Horn, der als Amsenhändler geht.«

»Horn?« fragte der General, schnell aufstehend und Leopold musternd. »Den Horn kenne ich ganz genau; das ist er nicht. Wer ist Er, he?«

Daran hatte der Fürst gar nicht gedacht, daß der General diesen Horn persönlich kennen könne. Er kam in eine augenblickliche Verlegenheit, faßte sich aber schnell und sagte:

»Nein, der Horn bin ich nicht, aber er liegt in Havelberg krank darnieder und schickt mich, Euch zu sagen, daß Alles in Ordnung sei. Weiter weiß ich nichts. Zum Beweise hat er mir seine Papiere mitgegeben.«

»Wer ist Er denn eigentlich?« fragte der General höchst mißtrauisch.

»Ich bin der Wirth zum schwarzen Eber, und bei mir liegt der Horn. Er hat ein plötzliches Fieber bekommen.«

»Hat Er gewußt, was der Horn ist? Hat Er vielleicht Jemanden von Seiner Botschaft Etwas erzählt?«

»Keinem Menschen. Ich hab gedacht, der Horn ist ein wirklicher Amsenhändler.«

»Gut! Sagt Er die Wahrheit, so ist's gut; macht Er mir aber Lügen, so ist Ihm Sein Brod gebacken. Ich werde Ihn zur Sicherheit einstweilen einsperren lassen.«

»Das geht nicht,« meinte der Fürst. »Ich muß sofort wieder nach Hause.«

»Das ist mir egal. Lieutenant, hole Er einige Leute!«

»Oho, der Wirth zum schwarzen Eber ist ein ehrlicher Kerl; er läßt sich nicht einstecken!«

Mit diesen Worten warf der Fürst den Lieutenant zur Seite und sprang zur Thür hinaus; der General aber war geistesgegenwärtig; er riß das Fenster auf und rief hinab:

»Haltet ihn auf! Fangt ihn!«

Als Leopold unten anlangte, griffen sechzig Hände nach ihm; er schlug jedoch einen raschen Bogen, machte sie dadurch irre und gelangte glücklich zum Thore hinaus. Aber alle dreißig Grenadiere rannten hinterher; sogar der Lieutenant kam nachgesprungen, und der General lief langsamer hinter der wilden Jagd her.

Der Fürst war ein guter Läufer gewesen, jetzt aber alt. Er hatte lauter junge Verfolger hinter sich, und als er das Dorf erreichte, hatten sie ihn beinahe eingeholt. Beim Hause Uhlmann's war der vorderste Grenadier nur noch fünf Schritte hinter ihm. Da erinnerte er sich der Worte, welche Anna zu ihm gesagt hatte. Er sprang schnell zur Thür hinein und riegelte sie hinter sich zu. Das Mädchen hatte das Rufen und den Lärm vernommen. Sie ahnte das Geschehene und stand im Flure. Es war finster und Leopold stieß mit ihr zusammen.

»Seid ihr es, Wachtmeister Horn?« fragte sie.

»Ja. Sie wollen mich fangen,« antwortete er athemlos.

»Kommt schnell!«[33]

Sie faßte ihn beim Arme, führte ihn eine Strecke vorwärts, öffnete eine Thür und schob ihn hinein.

»So, hier seid Ihr einstweilen sicher. Hinten stehen leere Fässer. Versteckt Euch in eins; ich will sehen, ob ich die Kerls irre leite.«

Sie schloß die Thür hinter ihm zu, und er tappte sich im Dunkeln vorwärts. Dabei stieß er an ein sehr hohes Faß, dessen Deckel an demselben lehnte.

»Da gehe ich hinein,« keuchte er, »und decke es dann zu.«

In der Eile dachte er gar nicht daran, das Faß zu untersuchen. Er hielt es für leer, schwang die Beine hinauf und plumste – – in eine Flüssigkeit, die ihm sofort bis an die Kniee emporstieg, denn er hatte sich niedergeduckt.

»Heiliges Pech!« brummte er. »Das ist ein falsches Faß! Das ist ja – –« er fuhr mit der Hand in die Flüssigkeit, roch erst daran und kostete dann vorsichtig – – »da bin ich grad in das Syrupsfaß gefahren. Na, so eine Weihnachten! Wenn sie mich jetzt fangen, können sie mich nur gleich ablecken. Ich muß gleich wieder heraus!«

Während er sich aus der Süßigkeit herauskrabbelte, vörte er bereits drohende Stimmen vor der Thür; man herlangte den Schlüssel. Er tastete sich so rasch wie möglich weiter nach hinten und fand endlich ein leeres Faß. Er hob den Deckel ab, sprang hinein, duckte sich nieder und legte den Deckel oben darüber. Aber in dem Fasse war eine so dicke Luft, er mußte husten. Er fühlte um sich und erschrak.

»Da bin ich aus dem Regen in die Traufe gerathen,« knirschte er. »Das ist ja das Mehlfaß; es ist noch wenigstens ein halber Zentner darin, aber ich habe es nicht gefühlt. Nun steckt der Syrup im Mehle, und ich kann nun gleich in den Backofen kriechen, dann ist der Pfefferkuchenmann fertig. So Etwas ist mir doch gestern und mein Lebtage nicht passirt. Holla, da kommen sie schon! Sei still, Leopold, sonst erwischen sie Dich!«

Da der Flüchtling in den übrigen Räumen nicht zu finden war, so hatte Anna den Schlüssel hergeben müssen und die Grenadiere drängten sich unter Uhlmanns Führung herein. Dieser hob die Lampe empor und blickte umher.

»Aber das ist stark!« rief er. »Hier hat der Kerl im Syrupfaß gesteckt, und hier führt die Spur weiter nach – nach dem Mehlfasse!«

Ein lauter Jubel erscholl. Der Deckel wurde abgehoben und der Fürst herausgezogen. Er bot einen schauderhaften Anblick dar. Die Soldaten lachten, daß ihnen die Bäuche wackelten, und der Wirth schimpfte wie ein Rohrsperling darüber, daß ihm der Syrup und das Mehl verschimpfirt worden war. Der Lieutenant kam auch dazu und dann der General. Dieser Letztere fragte Leopold, ob Anna gewußt habe, daß er hier steckte; er verneinte es. Er verhielt sich überhaupt sehr gelassen, und so kam es, daß der General ein mildes Urtheil fällte:

»Der Kerl ist bestraft und beschämt genug,« sagte er. »Er mag bis morgen gefangen bleiben; ist er wirklich der Eberwirth, so mag er mit seinem Syrupsteige nach Hause laufen; ist er aber ein Anderer, so wird sich das Weitere finden. Aber in diesem Zustande können wir ihn nicht nach dem Schlosse bringen. Uhlmann, hat er nicht einen festen, engen Raum, in den wir ihn einschließen können?«

»O ja,« antwortete dieser, »das Waschhaus. Es ist ganz von Stein, hat kein Fenster, und die Thür wird durch einen eisernen Querriegel verschlossen.«

»So steckt ihn hinein. Ich brauche aber einen sicheren Mann zu seiner Bewachung. Von den Soldaten kann ich keinen Einzigen entbehren. Lieutenant, Er muß sich bequemen, hier zu bleiben und zuweilen nach ihm zu sehen.«

Das war diesem sehr lieb. Er wußte, daß Uhlmann mit nach Lenzen wollte, und so war er mit dessen schöner Tochter allein. Leopold wurde in das Waschhaus eingeschlossen. Nach einiger Zeit rückten die Grenadiere unter Führung des als Bauer verkleideten Generals ab, und dann saß der Lieutenant mit Anna allein. Diese ersah die erste, beste Gelegenheit und schlich nach dem Waschhause, dessen Thür sie öffnete.

»Herr Wachtmeister!« flüsterte sie.

»Ja,« antwortete der Fürst.

»Ich lasse Euch fort. Entflieht!«

Er stand im Nu bei ihr und fragte:

»Aber, Mädchen, warum interessirst Du Dich so sehr für den alten Wachtmeister, he?«

Da faßte sie sich ein Herz und antwortete:

»O, der ist mir ganz gleichgültig! Aber ich kenne Euch, Excellenz; der Feldwebel Schubert hat mir heut früh gesagt, daß Ihr als Amsenhändler kommen wollt. Da lasse ich Euch doch zu gern laufen, denn wir haben uns sehr lieb und gehen alle Beide für Ew. Durchlaucht gern durchs Feuer.«

»Bist ein braves Mädel!« antwortete er gerührt, »und sollst den Feldwebel haben. Wo ist der Lieutenant?«

»Ganz allein in der Stube.«

»Ah! Und wo ist mein Kasten?«

»Der liegt mit dem Sacke unter der Treppe.«

»Gut. Wollen diesem Herrn Lieutenant einmal eine Lehre geben, nach welcher es ihm vergehen soll, die Geliebte eines Andern zu küssen. Hole mir rasch einen Anzug von Deinem Vater, und putze auch Dich an. Du gehst mit mir nach Lenzen. Da ist Verlobung!«[35]

Während das Mädchen vor freudigem Schreck eine ganze Weile sprachlos stehen blieb, eilte er nach der Stube. Der Lieutenant erstaunte, seinen Gefangenen vor sich zu sehen, aber Leopold machte keine Umstände mit ihm, versetzte ihm einen Schlag an die Schläfen, daß er besinnungslos niederstürzte, schleppte ihn in das Waschhaus, holte seinen Kasten herbei und öffnete ihn. Dann verriegelte er die Thür von Außen.

»So!« schmunzelte er. »Jetzt hat er Gesellschaft, und kein Mensch kann sein Rufen hören.«

Eine Viertelstunde später verließ er in einer anderen Kleidung mit Anna das Haus, dessen Thüren vollständig verschlossen wurden. An der Elbe traf er auf seine Posten, welche ihm meldeten, daß die Hannoveraner seitwärts des Schießhauses im Gebüsch warteten. Er nahm seine Beute mit sich, erreichte das Schießhaus unbemerkt und fand die dreißig Mann bereits in der Scheune ungesehen versammelt. Sie hatten ihre Uniformen bereits angelegt und wurden nun durch die Posten um zwanzig Mann verstärkt.

Er ließ den Feldwebel Schubert holen und dieser meldete, daß der General oben im Saale säße.

»Um Eins geht es los,« erklärte der Fürst. »Gehe Er wieder hinauf, Schubert, und melde Er es mir durch einen lauten Pfiff durch das Fenster, wenn die Hannoveranet in den Saal marschieren. Ist sein Schwiegervater auch oben?«

»Ja.«

»Gut, dann paßt ja Alles. Gehe er, aber lasse Er sich vor den Beiden nicht sehen!«

Als Schubert sich entfernt hatte, ließ Leopold sich auch seine Uniform aus dem Wagen bringen, nahm Anna, welche der Dunkelheit wegen von Schubert gar nicht bemerkt worden war, bei der Hand und suchte den Wirth auf. Dieser mußte Anna verstecken, ihm selbst aber ein Zimmer geben, damit er sich umkleiden könne.

Unterdessen verging die Zeit. Es schlug ein Uhr, und droben im Saale begann ein Walzer, nach dessem Tacte sich die Paare drehten. Da gab der General Uhlmann einen Wink, und dieser entfernte sich, um die hannöverschen Grenadiere herbeizuholen. Kaum war der letzte Ton des Tanzes verklungen, so wurde die Saalthür aufgestoßen und die dreißig Soldaten marschirten hinein. Ein viellstimmiger Schreckensruf erscholl, denn die Burschen wußten sofort, was ihnen bevorstand: Wer nicht gutwillig sich ergab, wurde gezwungen.

Jetzt stand der General in der Mitte des Saales und rief:

»Ruhe im Saale! Ich, Generalmajor von Valmy, erkläre im Namen Seiner Königlichen Hoheit, des Kurfürsten von Hannover, diesen Ort in Belagerungszustand. Wer Miene macht, zu entfliehen, der wird erschossen!«

Niemand hatte auf den Pfiff geachtet, welcher erschollen war, als die Hannoveraner sich über den Hof geschlichen hatten. Leopold war ihnen mit seinen fünfzig Mann auf dem Fuße gefolgt. Seine Buntröcke standen noch draußen vor der Saalthür; er aber stand unter derselben, und als Valmy sein letztes Wort kaum ausgesprochen hatte, trat der Fürst schnell einige Schritte vor und rief mit Donnerstimme:

»Und ich, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Feldmarschall des Reiches und von Preußen, erkläre den General Valmy für einen Landfriedensbrecher. Er ist mein Gefangener. Bataillon, vorwärts marsch!«

Da kamen die fünfzig Dessauer Bärenmützen hereinmarschirt, pflanzten sich an deren Wand auf und legten die Gewehre auf die Hannoveraner an. Jetzt wendete sich Leopold direct an Valmy:

»Ergebt Euch! Ihr seht, jeder Widerstand ist unnütz. Ich habe fünfzig gegen dreißig, und hier meine braven Lenzener Burschen werden auch Fäuste haben.«

Bei diesen Worten löste sich der Bann, der auf Allen gelegen hatte. Mit lautem Jubelgeschrei stürzten sich die Burschen auf die feindlichen Grenadiere.

»Der Alte ist's, der Leopold, der Dessauer!« rief es rund um. »Helft ihm! Bindet die Hannöverschen!«

Ohne daß die Dessauer Grenadiere die Hand zu rühren brauchten, wurden die Feinde, die sich nicht zu wehren wagten, sammt ihrem Anführer gefangen genommen und einstweilen in den Keller gesperrt. Nun blickte sich der Fürst im Saale um; er sah Uhlmann in der Ecke stehen und winkte ihn zu sich.

»Er Himmelelementer ist es gewesen, der uns die ganze Suppe eingebrockt hat. Eigentlich sollte ich Ihn unter die Rekruten stecken, aber dort stehen zwei an der Thür, denen zu Liebe ich Gnade für Recht ergehen lassen will. Kommt her!«

Es waren Anna, die der Wirth herbeigebracht hatte, und der Feldwebel. Sie traten herbei. Der Fürst fragte Uhlmann im strengsten Tone:

»Jetzt entscheide Er sich! Will Er Rekrut werden, oder die Hand Seiner Tochter diesem braven Manne geben?«

»O, Ew. Durchlaucht,« antwortete der vor Angst zitternde Mann, »ich habe ja gar nichts dagegen, daß sie sich nehmen!«

»Nun gut! So erkläre ich Sie, Mamsell Anna Uhlmann, und Ihn, Herr Lieutenant Schubert für Verlobte. Er hat den General Valmy in meine Hand gegeben und also die tausend Gulden verdient. Für Seine Equipirung werde ich außerdem Sorge tragen, lade mich aber dafür zu Seiner Hochzeit ein! Und Er, Uhlmann, mag es sich merken, daß ein Amsenhändler wohl seinen Schnaps im Laden trinken kann. Der Amsenhändler hat soeben aus einem Feldwebel einen Lieutenant gemacht, also braucht er vor keinem hannöverschen Säbelraßler auszureißen. Dieser steckt jetzt in Seinem Waschhause bei meinem Amsenkasten; eile Er hin, ihn zu befreien! Die Gefangenen werden alle in den Rekrutenrock gesteckt; den verätherischen General liefere ich nach Berlin. Meine Grenadiere aber und meine braven Lenzener Burschen sollen tanzen und lustig sein. Ich gebe ihnen heute Freibier, so viel, wie sie trinken wollen. Legt die Gewehre ab, und faßt die Mädels an, Er, Lieutenant Schubert, mit Seiner Anna voran! Musikanten, einen Walzer oder Hopser, aber ohne Pausen, das will ich Euch gesteckt haben, Ihr Schwerenöther!«

»Hurrah, der Dessauer! Hurrah, der Knasterbart!« erscholl es aus hundert männlichen und weiblichen Kehlen, und der Hopser begann, ohne einen einzigen Tact Pause, wie es der alte, derbe Kriegsheld gewünscht hatte.[37]


Quelle:
Der Amsenhändler. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauers von Karl May. In: Münchmeyer's illustrirter Haus- und Familien-Kalender für das Jahr 1884. 3. Jg. 1884. S. 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 29, 31, 33, 35 u. 37. – Dresden (1883).
Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauers von Karl May. In: Münchmeyer's illustrirter Haus- und Familien-Kalender für das Jahr 1884. (Umschlag-Titel: Oeconomisch-medicinischer illustrirter Haus und Familien-Kalender für das Jahr 1884). 3. Jg. 1884. S. 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 29, 31, 33, 35 u. 37. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1883). Reprint in: Karl May: Unter den Werbern. Seltene Originaltexte. Band 2. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg: Karl-May-Gesellschaft (1986).
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