II.

Die letzten Halme waren zusammengeharkt, und Kathrine steckte den Rechen in die Garben, mit denen der Leiterwagen hoch beladen war.

»Nun, was soll's, daß Du Dir's so bequem mach'n willst?« fragte der Wiesenbauer, indem er nach den Zügeln griff.

»Darf ich net noch aan wenig außen bleib'n, Vater? Es ist Sonntag heut', und Du brauchst mich jetzt doch net weiter.«

»Hab' nix dawider; Ihr Weibsleut' wißt immer am Best'n, wenn der Sonntag ist, an dem Ihr die Händ' in den Schooß leg'n müßt. Aber sei zur recht'n Zeit zu Haus', damit das Vieh net versäumt wird!«

Das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung, zu beiden Seiten von Knecht und Magd geleitet, welche bereit waren, mit den langen Heugabeln die schwanke Ladung im Gleichgewichte zu erhalten. Sie hatten schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt, als sie beim Passiren eines Hohlweges lauten Peitschenknall vor sich vernahmen. Heinemann antwortete in derselben Weise. Der Nahende mußte außerhalb der Senkung warten, da innerhalb derselben ein Ausweichen nicht möglich war. Als der Fahrweg wieder offenes Terrain erreichte, sahen sie Gustav, welcher mit seinem Geschirre und einigem Gesinde an der Seite hielt.

»Ah, Du bist's?« fragte Heinemann höhnisch. »Erst sieht man den groß'n und nachher auch den klaanen Beelzebub; das hat nix Gutes zu bedeut'n! Aber zum Verwundern ist es net, daß Euch das Gewiss'n aus dem Hofe treibt, denn Euer Wapp'n ist dort an die Wand geschrieb'n!«

Er zeigte bei diesen Worten nach der Ruine, auf deren von hier sichtbaren Rückseite eine große, schwarze, mit Schwanz, Hörnern und Pferdehufen ausgestattete Teufelsgestalt zu bemerken war. Gustav bog sich mit zornig glühendem Gesichte über den Leiterbaum herüber.

»Merk's, Wies'nbauer, was ich Dir heut' sag': ›Die Erntezeit ist aane heil'ge Zeit, und wer sie durch Bosheit entweiht, der wird die Strafe find'n. Was man in den Acker thut, das giebt er sorgfältig wieder; Du hast Wind und Asch' gesä't und wirst Sturm und Feuer ernt'n!‹«

»Oho!« lachte Heinemann. »Wie kommst denn Du zu dieser frommen Predigt? Also Feuer werd' ich ernt'n! Was Ihr auf dem Teufelshofe seid, das waaß hier Jedermann; wollt Ihr mir etwa auch noch den Brand ins Haus leg'n? Fahr' zu, Teufelsbub'; ich kann Dich net in meiner Nähe leid'n!«

Er hieb mit der Peitsche auf Gustav's Pferde ein; diese bäumten sich erschreckt empor und sprangen zur Seite auf seine eigenen Thiere ein, welche, dadurch scheu gemacht, sich schnaubend in die Stränge legten und mit dem Wagen davonrannten. Sie kamen nicht weit; die hohe Ladung gerieth ins Wanken, verlor das Gleichgewicht und stürzte krachend auf die Seite.[533]

»Das ist aan schneller Lohn!« meinte der junge Tannenbauer, indem er sein Gespann beruhigte und dann die unterbrochene Fahrt fortsetzte. »Es mag ihm nur net schlimmer kommen!«

Es waren die letzten Getreideschütten, welche er zu holen hatte; die Arbeit des Aufladens war bald gethan, und er übergab das Fuhrwerk dem Knechte.

»Fahr' Du das Fuder heim! Es ist net hoch und wird Dir kaane Mühe mach'n. Ich geh' derweil' aan bischen hier den Bach entlang und komm' schon noch zur recht'n Zeit nach Haus'. Es ist ja heut' Sonntag!«

Wie sein Oheim heute am Vormittage, so fühlte auch er jetzt infolge der inneren Aufregung das Bedürfniß nach Einsamkeit, und einsamer gab es in der ganzen Gegend keinen Ort als denjenigen, nach welchem er seine Schritte lenkte.

In den Höhenzug, welcher das Thal, auf dessen Sohle das Dorf sich streckte, abschloß, schnitt eine enge Schlucht ein, deren hinterer Theil sich erweiterte und einen felsigen Kessel bildete, dem durch den Abbau von Bruchsteinen das ursprüngliche grüne Pflanzenkleid verloren gegangen war. Fast senkrecht stiegen die hohen, nackten Felsenwände empor, hier und da eine scharfe Spitze hervorschiebend; kein Strauch, kein Bäumchen ließ sich blicken, nur selten spitzte ein dünner Grasbüschel aus einer schmalen Ritze hervor, und nur da, wo ungefähr in der halben Höhe der Wand vor Zeiten eine höhlenartige Vertiefung in das Gestein gesprengt worden war, hatte sich am unteren Rande derselben allerlei Dorngestrüpp und herbeigewehtes Laubwerk angesammelt. Hoch oben an der äußersten Kante des Kessels trat eine balconartige Hervorschiebung aus dem Felsen heraus, welche mit einer hölzernen Barrière versehen war. Diese Stelle wurde an Sonn- und arbeitsfreien Tagen von den Dörflern gern besucht, da sie durch die Schluchtöffnung hindurch einen weiten Ausblick in das Land hinaus eröffnete.

Dieser einsame Kessel führte in der Umgegend den Namen »Felsenbruch« und war für nächtliche Verirrte eine gefährliche Stelle, da er, ringsum von Hochwald umgeben, ganz unvorbereitet plötzlich und beinahe lothrecht hinunter in das Thal fiel und Jedem, der im Finstern den Schritt über seinen Rand hinaus leitete, Tod und Verderben bringen mußte.

So gern man den dunkeln Forstweg betrat, welcher zu der »Kanzel« führte, wie der Balcon genannt wurde, der Grund des Felsenbruches wurde nur wenig betreten; es knüpfte sich an ihn die Erinnerung an ein grausiges Verbrechen, welches vor Jahren hier verübt worden war und von dem man noch heute mehr und öfterer im Dorfe erzählte, als es bei der seitdem verflossenen Zeit zu vermuthen war.

Aus einer kleinen Oeffnung des sonst festgeschlossenen Gesteines floß ein klarer Quell hervor, dessen leise murmelnden Wellen sich erst durch allerlei Bruchgeröll einen vielgekrümmten Weg suchten und dann die Schlucht entlang den Ausgang in das von ihnen befeuchtete Thal fanden.

Seinem Ufer entlang schritt jetzt Gustav langsam dahin. Er hatte keine dringende Arbeit vor und konnte sich die Kühlung gönnen, welche ein Gang an dem von Büschen bestandenen Bache nach dem heißen Tage gewährte. Nur mit seinen Gedanken beschäftigt, achtete er weder auf Zeit noch Ort und war darum beinahe verwundert, als er, unwillkürlich aufblickend, die Bemerkung machte, daß er die Schlucht passirt habe und bereits am Eingange zum Bruche stehe. Es gab für ihn allen Grund, diesen Ort zu meiden, und er hatte ihn darum auch seit Jahren nicht betreten; heute aber trieb es ihn vorwärts nach der Stelle, auf welche der Ursprung so mancher bitteren Erfahrung zurückzuführen war.

Gerade unter der Kanzel und nur wenige Schritte von der Felsenwand entfernt, stand ein hölzernes Kreuz mit einer Inschrift auf dem Querbalken, deren Leserlichkeit unter dem Einflusse von Regen und Wetter sehr gelitten hatte. Sie lautete: »Hier starb am 10. September 1845 der wohlachtbare David Friedrich Heinemann eines gewaltsamen Todes. Er war 26 Jahre alt und wurde meuchlings von der Kanzel herabgestoßen von –«. Ueber den boshaften Gedankenstrich hatte eine übelwollende Hand mit Bleistift die zwei Worte »dem Teufelsbauer« gesetzt, und hinter ihnen folgte die Bemerkung: »Zur Erinnerung an den Mörder errichtet von Andreas Heinemann.«

An dem Kreuze lehnte eine Mädchengestalt, welche von Gustav erst bemerkt wurde, als er um ein herabgestürztes Felsstück trat, dessen zerborstene Masse sich gerade vor das Erinnerungszeichen gelegt hatte. Er wäre gern zurückgewichen, aber es war zu spät dazu; sie hatte ihn schon bemerkt.

»Grüß Gott, Mamsell Heinemann!« klang es kurz und fremd. »Ich hab' net gewußt, daß Jemand hier ist, den ich stör'. Aber brauchst Dich net zu fürcht'n; ich geh' schon wieder!«

»Gustav!« hörte er ihre zögernde Stimme, als er sich bereits gewendet hatte. Er kehrte sich ihr wieder zu.

»Was ist's? Willst' etwas sag'n?«

»Ja!« antwortete sie schüchtern. »Ich möcht' Dich gern 'was bitt'n!«

»Hab' nix dawider. Sprich!«

»Ach nein; wenn Du so feindselig red'st, so getrau' ich mir es net!«

Er überflog sie mit fragendem Blicke. Er war ihr oft begegnet, aber noch nie hatte er bemerkt, was ihm jetzt so deutlich in die Augen fiel: sie war schön, schöner vielleicht als alle Mädchen, welche er kannte. Und wie mild und freundlich lag es auf ihrem offenen, rosigen Gesichtchen! Es ging eine eigenthümliche und ihm bisher fremde Bewegung durch sein Inneres, und in sanfterem Tone sprach er:

»Ich bin Dir net feind. Sag' nur immer, was Du begehrst!«

»Ich möcht', daß Du net wieder so zu mir sagst, wie vorhin!«

»Wie denn anders?«

»Hast Du noch net gehört, wie mein Name lautet?«

»O ja, Kathrin'; aber hast Du auch gehört, wie der unsere klingt? Dein Vater hat mich vorhin Beelzebub geheiß'n; willst Du etwa mit dem Teufel vertraulich thun?«

»Der Vater? Bist ihm auch begegnet?«

»Ja.«

Sie trat ihm einen Schritt näher und hielt ihm die Hand entgegen.

»Ich hab' nix gemein mit dem, was der Vater treibt; ich net und die Mutter auch net. Komm, vergieb mir das, was er Euch thut, und nenne mich net anders, als wie ich's gewöhnt bin. Willst'?«

»Ja, ich will, Kathrin'! Aan gutes Wort find't seine gute Statt, und Dir könnt' ich erst recht nimmer 'was abschlag'n!«

Sie entzog ihm die Hand nicht, welche er ergriffen hatte und fest hielt.

»Ist's wahr? Aber es ist nur so schwer, Dir aane Bitt' zu sag'n. Dich sieht man nur höchstens 'mal auf dem Felde, doch sonst bist' gar nirgends net zu find'n!«

»Möcht'st mich denn auch wo anders seh'n?« fragte er.

Er kam sich wie ein Fremder vor, und es war ihm, als sei alles Leid und alles Bittere plötzlich in ihm heil geworden.

»Wenn Du's gern thust und es Dir net Schad'n bringt!«

»Schad'n? Mir net, aber Dir! Schau, hier steht das Kreuz. Mein Oheim hat den Deinig'n von der Kanzel herabgestürzt, sag'n die Leut', und die Haubolde sind alle mit'nander dem Satan verfallen. Magst' mich dennoch seh'n, Kathrin'?«

»Ja, Gustav!«

»Und net bloß seh'n, sondern noch 'was Anders!« bat er, indem er sich zu ihr niederbog und den Arm um sie zu legen versuchte.

»Was denn?« fragte sie, sich gegen die Umarmung sträubend.

»Auch lieb haben!« sagte er, sie an sich ziehend.

»Nein; das ist gleich zu viel!« antwortete sie, sich von ihm befreiend, und als er sie immer noch festzuhalten strebte, war sie mit einem »Leb' wohl, Gustav!« hinter dem Felsenstücke verschwunden.

Er folgte ihr nicht, sondern blieb zurück.

Lange Zeit stand er bewegungslos da, den Blick auf die Stelle geheftet, die ihren Fuß getragen hatte; er wurde sich seines Gedankenganges kaum bewußt, bis er endlich wie aus einem Traume erwachte und dabei Bleistiftworte bemerkte, deren Sinn ihm schneidend durch die so glücklich bewegte Seele fuhr.[534]

»Nein, solche Tück' läßt sich fast gar net denk'n! Aber d'rum soll es jetzt auch aus sein mit dem Kreuz'!«

Er faßte es an dem Querbalken; ein kurzes Rütteln, dem ein kraftvoller Stoß folgte, und das starke Holz war hart am Boden abgebrochen. Dann hob er es auf und schlug es an den Felsen, daß die abgeschmetterten Stücke weit umherflogen.

»So! Geg'n die Inschrift konnt'n wir nix thun; aber wenn man nun gar noch unseren Namen darauf kritzelt, so durfen wir uns wehr'n. Und wie das Kreuz zu nichte ist, so soll auch der böse Leumund weichen müss'n, – ob im Gut'n oder durch Gewalt, das mag die Zukunft lehr'n. Ich hab' dies armselige Leb'n satt und werd' den Leut'n zeig'n, daß ich mich net zu schämen brauch' und gar wohl auch aan Recht besitz' zu dem, was Andere thun und treib'n!«

Er ging.

Der Bach murmelte seine melancholische Weise; aus den Zweigen der Tannen und Fichten tönte ein monotones Rauschen in den Grund herab; die Dämmerung begann sich hernieder zu senken, und über den Himmelsstreifen, welchen die Schlucht erkennen ließ, zogen vom Abendrothe broncirte Wolkenschichten.

»Es ist doch gut gemeint und wunderbar eingericht't vom lieb'n Gott, daß die Farb', welche für uns das Abendroth bedeutet, für fernere Ort' zur Morg'nröthe wird!« flüsterte er vor sich hin. »Ob es wohl auch wahr ist, daß das Unglück aanes Menschen sich stets allemal für den anderen in Glück umwandelt? Dann könnte man sich wenigstens tröst'n. Aber ich hab' noch net geseh'n, daß der Haß, der uns verfolgt, irgend wem Heil und Seg'n gebracht hat. Es bleibt dabei; ich stemme mich dageg'n und zahle von jetzt an All's mit gleicher Münz' zurück. Die Kathrin' soll seh'n, daß ich mich nimmer fürcht'!«

Man hatte mit dem Abendbrode auf ihn gewartet.

Trotz seiner Jugend vertrat er in Allem die Stelle des Hauswirthes, welcher Letztere nur in höchst dringlichen Fällen einmal die Ruine verließ, um die Wohn- oder Wirthschaftsräume zu betreten. Marie, welche seit einer langen Reihe von Jahren die Wirthschaft führte, genoß die Achtung, welche man sonst nur der Hausfrau zu zollen gewohnt ist; so schwer es einem Dienstboten ankam, als Ingesinde auf den Teufelshof zu ziehen, – war er einmal da und hatte das allgemeine Vorurtheil überwunden, so sehnte er sich gewiß nicht wieder zu einer anderen Herrschaft, und so hatte sich denn, obgleich von einem eigentlichen Familienleben nicht die Rede sein konnte, zwischen den Bewohnern des Tannenhofes ein Verhältniß herausgebildet, welches in Beziehung auf gegenseitige Anhänglichkeit und Liebe nichts zu wünschen übrig ließ.

Besonders war es Marie, deren stilles, geräuschloses und aufmerksames Walten wohlthuend auf den Kreis der Hausgenossen wirkte. Eine Mutter hätte nicht besser für die Ihren sorgen können, als sie es that; Gustav galt ihr fast mehr als Sohn, und wenn sich gar die Rede auf Haubold lenkte, so glänzten ihre Augen in sichtbarem Feuer, und über ihre zerrissenen Züge breitete sich eine Verklärung, die nur dem tiefsten Innern entstammen konnte.

Als nach Tische der junge Tannenbauer aus seiner Stube, in welche er sich begeben hatte, wieder herab kam, blickte sie ihn erstaunt an. Er hatte sich zum Ausgehen angezogen.

»Willst' noch fort, Gustav?« fragte sie. »Das ist doch grad' so aan Wunder, als wenn der Oheim jetzt noch vor zu uns kommen wollt'!«

»Hast Recht, Marie! Aber es muß auch 'mal aan Wunder geben, damit die Welt zum Glauben kommt.«

Sie schien eine Erklärung der sonderbaren Worte zu erwarten; er aber enthielt sich jeder Beifügung und verließ schweigend den Hof. Sein Weg führte ihn durch das Dorf nach dem Gasthause, aus dessen oberen Räumen lustige Tanzmusik durch die geöffneten Fenster herab auf die Straße schallte.

Während das junge Volk sich munter im Saale herumschwenkte, saßen die älteren Männer in einem Nebenzimmer und unterhielten sich über die größte Neuigkeit des heutigen Tages.

»Aan gescheiter Kerle ist er,« klang es am unteren Ende des Tisches, wo die weniger wohlhabenden Bauern saßen, während oben die reichen Vierspänner ihren Platz behaupteten. »Ich hab' ganz genau Acht gegeb'n; er strich die Küh' nur so über den Leib und hat sich seinen Spruch dabei gedacht, und davon sind sie schon bis zum Abend so besser 'word'n, daß ich glaub', ich werd' sie noch erhalt'n. Das mit den Düt'n ist ja nur zum Schein gewes'n, denn bei dem Streich'n hat es geknistert wie bei aaner Elektrisirmaschin'; das war Teufelswerk und kommt von dem Zauber, dem er überleg'n gewesen ist.«

»Ja, den Teufel hat er, das ist gewiß!« versicherte mit schnarrender Stimme der Ortsrichter. »Ich hab' ihm auch die Leviten richtig geles'n und ihm gesagt, daß er vom Dorfe lass'n soll.«

»Besser hast's ihm net gesagt, als ich!« behauptete Heinemann. »Aber das mit dem Teufel nehm' ich bloß, um ihn zu ärgern, denn ich glaub' net d'ran, obgleich ich net waaß, wie ich's erklären soll, daß stets aan Unglück geschieht, wenn er aus seiner Klaus' hervorkommt. Heut' ist er ausgewes'n, und paßt auf, wir werd'n schon morgen wiss'n, was wir davon hab'n. Es sollte geboten werd'n, daß ihn Kaaner zu sich kommen läßt!«

»Zu wem soll'n wir denn in der Krankheit geh'n, wenn kaan Arzt und Niemand helf'n kann? Wir können doch net an dem mit leid'n, was Du von ihm denkst!«

»Und ist das etwa net wahr? Wer soll's denn sonst gewes'n sein, als er? Als die Schauspieler in das Dorf gekommen sind, hat die Martha bei seinem Vater, der damals noch lebte, in der Ruin' gewohnt, und mein Bruder, der David, hat sie gern gehabt. Der Haubold ist damals als Student auf der Un'versität gewes'n und auf die Ferien nach Haus' gekommen. Da hat sich die Martha in ihn verschamerirt, und mein Bruder hat das Nachseh'n gehabt. Die Beid'n sind nachher hier auf dem Saal, wo die Bühne aufgerichtet war, zusammengerath'n. Haubold ist nach der Vorstellung, wie allemal, mit der Sängerin hinaus auf die Kanzel spazir'n gegangen, mein Bruder ihnen nach, und am anderen Morg'n hat der arme Tropf zerschmettert im Fels'nbruch geleg'n. Die Martha ist verschwund'n, und der Teufelsstudent hat nix von der Sach' wissen woll'n. Aber warum ist es denn sogleich mit seinem Studio zu End' gewes'n? Das böse Gewiss'n hat ihm zum Weiterlernen net Ruh' gelass'n; er ist auf dem Hof geblieb'n und so niedersinnig 'word'n, daß er sich endlich gefürcht't hat, vor die Leut' zu tret'n!«

»Wißt Ihr auch schon, wer da ist?« fragte in diesem Augenblicke der Wirth, welcher herbeigetreten war, um die leeren Gläser fortzunehmen.

»Wer denn?«

»Der Gustav vom Teufelshof.«

Diese Nachricht erregte allgemeines Aufsehen. Es konnte sich Keiner erinnern, den jungen Mann jemals im Wirthshause oder gar beim Tanze auf dem Saale gesehen zu haben. Jeder vermuthete einen besonderen Grund, den sein heutiges Erscheinen haben mußte, und die Neugierde Aller war so groß, daß der Tisch bald leer stand, da sich die Gäste hinaus auf den Tanzboden begeben hatten, um den Ankömmling mit eigenen Augen zu sehen.

Dieser war erst vor Kurzem eingetreten und hatte an einem der Seitentische Platz genommen. Die bereits daran Sitzenden hatten sich sofort erhoben und waren davon gegangen. Nun saß er allein; Niemand sprach mit ihm, und selbst der Wirth fragte ihn nicht, ob er etwas trinken wolle.

Er schien sich aus diesem Verhalten wenig zu machen, vielmehr lag eine gewisse Befriedigung auf seinen wohlgeformten, regelmäßigen Zügen. Er hatte Katharina gesehen, welche, von einer Schaar junger Burschen umschwärmt, dem Eingange gegenüber saß und bei jeder Tour zum Tanze gefordert wurde. Eine Vergleichung mit den anderen Mädchen brachte ihn zu dem Resultate, daß keine sich mit ihr zu messen vermöge, und es überkam ihn eine wunderbar glückliche Regung, wenn er an die Art und Weise dachte, in welcher sie heute mit ihm gesprochen hatte.

So wenig er sich um andere Personen kümmerte, er selbst war doch der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Die Alten hatten ihre Neugierde nun befriedigt und waren, da sie für jetzt an seinem Verhalten nichts Besonderes bemerkten, zu ihren Gläsern zurückgekehrt; die Jungen beobachteten ihn verstohlen[535] und flüsterten sich hier und da ihre Bemerkungen zu, und die Mädchen – es gab keinen Burschen, der so hübsch und reputirlich sah, wie er; das sagten sie sich alle, und gar mancher heimliche Blick flog aus verlangendem Auge zu ihm hin, – wenn er nur nicht gerade der Teufelshaubold wäre!

Auch Katharina blickte öfters nach ihm herüber, aber nicht verstohlen, sondern offen und freundlich, so wie sie ihm am Nachmittage in das zum ersten Male beseligte Gesicht gesehen hatte. Der Wunsch, welcher heute am Zaune über ihre Lippen gekommen war, hatte schnell und vollständiger noch, als sie geglaubt hätte, seine Erfüllung gefunden. Sie hatte Gustav gesprochen, ja, er war jetzt auf dem Saale erschienen, und aus welchem Grunde, das ahnte sie. Darum that es ihr um so mehr wehe, daß ihm das Vorurtheil so schroff gegenüber trat und er so verlassen an seinem Tische sitzen mußte. Wie gern wäre sie aufgesprungen und zu ihm hingegangen! Aber das durfte sie nicht, und dabei mußte sie all' den vielen Drängern Rede und Antwort stehen und sich gar noch über den Sohn des Richters ärgern, welcher sie in der auffälligsten Weise in Beschlag genommen hatte und gar nicht von ihrer Seite weichen wollte.

Sie hatte ihm den nächsten Rheinländer versprechen müssen, und er nahm daraus die Veranlassung, bei ihr zu bleiben, um den Tanz nicht zu versäumen.

Was mußte Gustav denken, wenn er sah, daß sie immer inmitten von Burschen saß, von denen doch nicht loszukommen war![536]

Die Zeit verging, und Niemand bemerkte bei der allgemeinen Fröhlichkeit, daß das Gewitter, welches der Tannenbauer schon für den Nachmittag erwartet hatte, seine drohenden Wolkenmassen zusammenballte und schon einzelne schwere Tropfen herniederfallen ließ. Da erklangen die ersten Tacte einer neuen Tour, und Jeder eilte, sich eine Tänzerin zu suchen.

Der Halbkreis, welcher Katharina umschlossen hielt, fuhr auseinander, als drohe ein Unheil.

Gustav war herbeigetreten und bot dem überraschten Mädchen die Hand.

»Ich bitt', Kathrin', mach' dies'n Tanz mit mir!«

Sie erhob sich und legte den Arm in den seinen.

»Nein, das geht net!« rief protestirend des Richters Sohn. »Das ist der Rheinländer, den Du mir versproch'n hast. Geh' weg, Teufelshofer, und rühr' mir mein Mädchen net an!«

Gustav's Auge überflog den Sprecher von oben bis unten; dann bog er sich leicht zu Katharina nieder.

»Hast's ihm versproch'n?«

»Ja.«

»Mit wem tanz'st' lieber? Sag's grad' und aufrichtig, Kathrin'!«

Sie hörte es dem Tone seiner Stimme und sah es dem tiefen, forschenden Blicke seines Auges an, daß sich diese Frage auf mehr als nur den Tanz bezog. Ihr Arm zitterte leise in dem seinigen, aber sie wagte trotz der kritischen Lage die Antwort:

»Mit Dir!«

»So bist Du von jetzt an meine Tänz'ein, und kaan Mensch hat mehr etwas an Dir zu präsentiren. Geh' fort, Klaaner, und schaff' Raum! Du hast gehört, wie nun die Actien steh'n.«

»Das woll'n wir seh'n! Die Kathrin' hat mir zugesagt, und ich tret' net zurück, am allerwenigst'n aber vor Dir!«

»Sie hat Dir wieder abgesagt. Hier ist aan Jed's sein[548] eigner Herr und kann thun, ganz was ihm beliebt. Mach' Dich zur Seit', ich könnt' Dir sonst auf die Füß' tret'n!«

»Nein, wir leiden's net, daß aaner vom Teufelshof hier tanz'n darf. Gieb das Mädchen her, sonst kommst Du durch die Thür!«

Er faßte Gustav bei der Schulter, während noch mehrere herzu traten, um sich an dem Streite zu betheiligen.

»Was?! Du greifst mich an? Glaubst' denn, daß ich mich fürcht', und wenn die ganz'n Kerle nach mir lang'n! Laß' los, sonst spielst Du Luftballon!«

Als der Gewarnte der Mahnung nicht Folge leistete, drückte ihm Gustav mit einem raschen Griffe die Arme an den Leib, hob ihn hoch empor und schleuderte ihn über den Knäuel der Umstehenden weg, hinter denen er zu Boden stürzte. Dann nahm er wieder Katharina's losgelassenen Arm und drängte mit drohender Miene vorwärts.

»Nun wird getanzt. Schafft Platz, wenn Ihr net auch das Flieg'n lernen wollt!«

Es lag in seinem kräftigen Auftreten eine solche Macht, daß die Kampfeslustigen furchtsam zurückwichen. Er schritt zur tanzenden Reihe und wollte eben beginnen, als plötzlich die Musik verstummte. Der Richter stand in der Mitte des Saales und hatte mit erhobener Hand zum Schweigen gewinkt.

»Was ist denn hier für aan Teufel los?« fragte er, die kleine Gestalt möglichst emporreckend, mit wichtiger Amtsmiene. Sein Sohn stand neben ihm und rieb sich die maltraitirten Glieder. »Komm' 'mal her, Haubold, grad' hierher vor mich! Ich hab' Dich 'was zu frag'n!«

Er zeigte bei diesen Worten mit dem Finger auf den Punkt, bis zu welchem Gustav sich ihm nähern sollte.

»Zu frag'n? Willst' etwa aan Mittel wiss'n, noch drei Ell'n höher zu werden? Stell' Dich auf den Tisch, dann bist' grad' groß genug zum Richter!«

»Her kommst'!« rief das Ortsoberhaupt, ergrimmt über diese Beleidigung. »Sonst laß ich Dich durch den Büttel hertransportir'n!«

»Dann bist' auch aan rechter Kerle, wenn Du den Spitz auf mich hetz'n kannst! Komm' her, wenn Du mit mir zu red'n hast! Brauchst doch deshalb net auf die Eis'nbahn zu steig'n!«

Da fühlte er eine Hand an seinem Arme. Es war der Wiesenbauer, welcher sich herbeigedrängt und mit Erstaunen seine Tochter an der Seite des Verhaßten gesehen hatte.

»Was ist mir denn das? Hat Dich etwa der Drach' um den Verstand gebracht, daß Du es wagst, das Mäd'l anzurühr'n? Gleich laß los! Man muß ja ganz gewärtig sein, Du machst mir die Kathrin' zur Hex'!«

»Das werd' ich jetzt auch thun. Paß auf, Wies'nbauer, wie ich es mach'!«

Er legte beide Arme um das Mädchen, dem unter dieser kräftigen Berührung ein Widerstreben gar nicht möglich war, zog die vor Schreck und Scham Erglühende zu sich empor und küßte sie auf den Mund.

»So, nun ist die Hex' fertig und dem Beelzebub verfall'n! Und wenn –«

Er konnte nicht weiter sprechen; Heinemann hatte seine Tochter von ihm weggerissen und packte ihn wüthend bei der Brust.

»Das werd' ich Dir bezahl'n, Du Teufelsbub', aber mit anderem Geld, als Du gegeb'n hast!«

»Bild' Dir nix ein, Heinemann; Du bringst Dein Geld bei mir net an den Mann!«

Er schob ihn von sich ab und umspannte seine Hände dann mit solcher Festigkeit, daß dem zornigen Manne fast der Athem versagte.

»Du hast uns den Teufel an die Wand gemalt, und nun ist er zu Dir 'kommen; er hat Deine Tochter geküßt und giebt sie net wieder her, Du magst nun mach'n, was Du willst. Geh' hin in Fried'n und trag Dein Schicksal still und mit Geduld; das ist das Best', was ich Dir rath'n kann!«

Er gab ihn frei.

»Net um die Seligkeit möcht' ich diese Schand' erleb'n, und Du darfst nur dann an sie denk'n, wenn – wenn,« setzte er mit grinsendem Hohne hinzu, »wenn auch ich im Fels'nbruch lieg'. Willst' mich etwa hinunter expedir'n? Dann thu's nur net eher, als bis ich das Feuer geseh'n hab', was Du mir heut' versprachst!«

Die Antwort wurde Gustav abgeschnitten.

Ein grelles, blendendes Licht zuckte an den Fenstern des Saales vorüber; ihm folgte ein krachender Donnerschlag, unter dem das Haus zu beben schien, und bei der augenblicklich eingetretenen tiefen Stille war das Brausen des Windes zu vernehmen, welcher draußen heulend die Wipfel der Bäume schüttelte. Das Gewitter war da, und gleich sein erster Schlag war ein so furchtbarer, daß der Schreck darüber Aller Gesichter erbleichen machte.

»Da hast' das Feuer, Wies'nbauer!« tönte die Stimme Gustav's durch das Schweigen.

Es leitete ihn bei diesen Worten keine bestimmte Absicht, und er sprach sie nur unter dem Eindrucke der Situation; aber[549] es lag in Ton und Haltung etwas so unwiderstehlich Ueberzeugendes, daß sofort der Ruf erscholl:

»Es hat eingeschlag'n. Der Wies'nhof brennt!«

Der Streit war vergessen, und eine angstvolle Beweglichkeit kam über die Versammlung. Die Thür war zu eng, um die Andrängenden schnell genug hindurch zu lassen, unter deren Vordersten sich Heinemann befand. Er dachte nicht an den Gegner, dachte nicht an seine Tochter; er stürzte die Treppe hinab und hinaus in die vom Sturme durchfegte Nacht. In wenigen Minuten war der Saal geleert; nur zwei Personen befanden sich noch in demselben.

Gustav stand noch an derselben Stelle, an welcher er den verhängnißvollen Ruf ausgestoßen hatte. Er hätte nicht vermocht, sich Rechenschaft über denselben zu geben, aber er glaubte selbst so fest an die Wahrheit seiner Worte, als läge der Wiesenhof schon in Schutt und Asche vor ihm.

Ein klagender Laut ließ ihn zur Seite blicken. Dort saß mit thränenden Augen und gefalteten Händen Katharina zusammengesunken auf der Bank.

Er trat zu ihr hin.

»Bist wohl matt vom Schreck', Kathrin'?«

»Ist's wahr vom Feuer?«

»Ich hab' net geseh'n, ob's brennt und wo.«

»Aber Du sagt'st doch, daß es bei uns sei!«

»Net ich hab's gesagt; die Ahnung hat aus mir ge sproch'n. Komm, geh'; ich will Dich führ'n!«

»Ich waaß net, ob ich kann. Ach Gott, was hast Du heut' gethan!«

»Ist's bös gewes'n, Kathrin'? Dann will ich die ärgste Straf' erleid'n, die es giebt; Du sollst mich nimmer wieder anschau'n, und ich geh'!«

»Nein, bleib', Gustav! Der Vater hat mich verlass'n, und kaan Ander's hat an mich gedacht. Ich kann ohne Deine Hilf' net von hier weg. Komm, ich will mich auf Dich stütz'n!«

Er nahm sie in den Arm, um sie fort zu geleiten. Als sie auf die Straße traten, war dieselbe fast tageshell erleuchtet. Kein Regentropfen fiel zur Erde; nur den einen Blitzstrahl hatte das Wetter herabgeschleudert und war dann vom Sturme hinweggetrieben worden.

Aber oberhalb des Gasthofes stieg eine rothglühende Lohe flackernd empor, in welcher brennende Garbenbüschel wirbelten. Das Feuer mußte die kaum eingeheimste Ernte ergriffen haben.

»Die Erntezeit ist aane heil'ge Zeit, und wer sie durch Bosheit entweiht, der wird die Strafe find'n!« hatte Gustav heute zu Heinemann gesagt; er hörte noch die letzten Worte desselben: »Dann thu's net eher, als bis ich das Feuer gesehen hab', was Du mir heut' versprachst!« in seinem Ohre klingen, und als er jetzt forschend aufblickte, um zu bestimmen, wo es brenne, ergriff ihn ein heiliges Grauen vor der Sicherheit seiner eigenen unwillkürlichen Prophezeiung.

Es war kein Zweifel möglich; der Wiesenhof stand in Flammen!

Quelle:
Der Teufelsbauer. Originalerzählung aus dem Erzgebirge von Karl May. In: Weltspiegel. 2. Jg. 1878. Heft 17–18. Dresden (1878). Nr. 35, S. 548-550.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Teufelsbauer
Der Teufelsbauer: Eine erzgebirgische Dorfgeschichte

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon