I.

[516] »Reißt aus, reißt aus, der Teufelsbauer kommt!« rief es unter einem Trupp von Schuljungen, welche sich mit ihren Spielen auf der Dorfstraße breit gemacht hatten, und kaum war der ängstliche Ruf erschollen, so stob die Schaar lautlos nach allen Richtungen auseinander.

»Macht rasch die Thür'n zu und schlagt drei Kreuze; der Einsiedel geht durchs Dorf!« klang es in den Häusern.

Die Fenster und Thüreingänge wurden geschlossen, und nur verstohlen lugten die Köpfe der Neugierigen nach dem Manne, dessen bloßes Erscheinen die Abergläubischen unter den Dorfbewohnern in Furcht zu setzen vermochte.

Es war eine lange, breitschulterige Gestalt, welche langsam dahergeschritten kam, den Blick finster zur Erde gesenkt und scheinbar gleichgiltig gegen die verletzenden Demonstrationen.

Aus dem Fenster eines Hauses, neben dessen Thür auf blechernem Schilde das Wort »Ortsrichter« zu lesen war, schaute ein kleines, hageres und spitzes Gesicht hervor.

»Tannenbauer,« tönte es schnarrend zwischen den schmalen, breitgezogenen Lippen hervor, »geh' doch net durchs Dorf, sondern lauf' lieber dahinter weg. Du waaßt schon, warum!«

Der Angeredete that, als habe er die Beleidigung nicht vernommen, und setzte ohne Zögern seinen Weg weiter fort.

Unter dem Thorwege eines der größeren Güter lehnte ein hagerer, aber sehnig gebauter Mann, dessen kleine, grünlich schimmernde Augen unter den haarlosen und eigenthümlich zwinkernden Lidern hervor neugierig die Straße beobachteten. Als er den Kommenden erblickte, fuhren die eng zusammengezogenen Züge überrascht auseinander, und mit gehässigem Grinsen murmelte er vor sich hin:

»Der Teufelsbauer vom Tannenhofe? Was muß denn den heut' zum Sonntage aus seiner Satansklaus' hervorgetrieben hab'n? Wenn der sich sehen läßt, so giebt es sicher aan Unglück im Dorfe. Wart', ich fürcht' mich net vor ihm und werde ihm gleich zeig'n, daß ich noch immer der Alte bin!«

Er trat einige Schritte vor, reckte die Beine breitspurig voneinander und schlug die langen Arme herausfordernd über die Brust zusammen.

»Lebst' denn wirklich noch, Haubold Frieder?« fragte er mit absichtlich erhobener Stimme, damit man ihn in der Nachbarschaft hören könne. »Hab' gedacht, daß Du schon längst mit dem Leibhaftigen fortgeflog'n bist! Aber sag' doch 'mal, wie war denn eigentlich damals die Geschicht' mit meinem Bruder? Bist wohl net mit dabei gewes'n?«

Haubold zog die Brauen enger zusammen, senkte den Kopf noch tiefer und würdigte auch diesen Zuruf keiner Beantwortung. Als er das scharfe, höhnische Lachen vernahm, welches hinter ihm erscholl, wurden seine trotz des Alters noch immer schön zu nennenden Züge um einen Schatten bleicher, die Lippen legten sich mit herbem Ausdrucke aufeinander, und aus dem großen dunkeln Auge fiel ein Blitz zur Erde, in welchem Verachtung und Bitterkeit mit gleicher Stärke leuchteten.

Da klang es halblaut und freundlich aus der Ecke des zu dem Gute gehörigen Gartens:

»Gut'n Tag, Herr Haubold!«

Verwundert blieb er stehen und hob den gesenkten Kopf empor. Am Zaume stand mit verlegenem Gesichtchen ein junges, kaum zwanzigjähriges Mädchen, welches unter dem forschenden Blicke des ernsten Mannes die Augen niederschlug, als habe es eine Sünde begangen.

»Grüß' Gott, mein Kind! Sag', wer bist Du denn, daß Du dem Teufelsbauer net auch den Gruß versagst?«

»Ich bin die Kathrin', und mein Vater – mein Vater, das ist – das ist der Wies'nbauer, der jetzt zu Euch geredet hat,« lautete die zögernde Antwort.

»Der Wies'nbauer? Du bist seine Tochter und magst mich doch grüß'n?«

»Ich grüß' Euch gern!« Ihr Auge hob sich und suchte wie bittend das seine. »Ich hab' gehört, was der Vater sagte, und – und –«

»Und wolltest wieder gut mach'n, was er Böses gesproch'n hat?«

»Ja; aber bitt', nehmt mir's net übel!«

»Wie könnt' ich Dir darüber zornig sein, Kathrin'? Ich hab' Dich noch gar net gekannt, und vielleicht bist Du besser als Dein Vater. Du bist aan unschuldig Blut und kannst ja nix dafür, daß er so große Feindschaft hegt. Hab' Dank für Deine gute Red' und bleib' immer so brav, wie Du jetzt alleweil bist!«

Er reichte ihr die Rechte über den Zaun hinüber und wendete sich dann zum Gehen. Sie blickte ihm nach, so lange sie es vermochte, und athmete dann, während ein zufriedenes Lächeln um den kleinen Mund spielte, tief und erleichtert auf.

»Endlich hab' ich's 'mal gewagt! Sie sind alle so schlimm mit ihm, und er ist doch so still und gelass'n dabei. Vielleicht ist gar nix wahr von Dem, was die Leut' von ihm sag'n, und der Gustav – der Gustav ist ganz gewiß auch lieb und gut, obgleich er g'rad' so finster d'reinschaut wie sein Oheim und kaan and'rer Bursch' 'was von ihm wiss'n mag!«

Sie zerpflückte sinnend die Blume, welche sie von der Frühkirche her noch am Busen stecken hatte.

»Wenn man nur 'mal mit ihm sprech'n könnt'! Aber ich hab' noch niemals net geseh'n, daß er mit irgend wem geredet hätt', und auf dem Tanz, da ist er erst recht nimmer zu erblick'n. Es ist nur gut, daß der Vater gleich in die Stub' gegangen ist und net hat sehen können, daß ich mit dem Tannenbauer Zwiesprach' gehalt'n hab'. Wo der nur hingeh'n wird? Er kommt kaum alle Jahr' 'mal in das Dorf, und dann wird irgend 'was hervorgesucht an dem er schuld sein soll!«

Auch Der, nach dem sie sich fragte, konnte seine Gedanken nicht von der unerwarteten Begegnung wenden. Was hatte die Tochter seines Todfeindes veranlaßt, ihn zu grüßen? War es wirklich bloß die Absicht, die Härte ihres Vaters zu mildern? Er hatte sie noch niemals gesehen oder wenigstens ihr bei einer etwaigen Begegnung keine Beachtung geschenkt, und jetzt stellte sie sich ihm auf einmal so freundlich und versöhnend gegenüber. Dasmüßte wohl einen besonderen Grund haben. Die milde Erscheinung mit dem flehenden Auge hatte ihm, dem Gemiedenen, wohlgethan; er sann und sann im Vorwärtsschreiten und fuhr fast erschrocken auf, als er hinter sich eine rufende Stimme vernahm:

»Was ist's denn, Haubold, daß Du vorübergehst? Ich denk', Du willst zu mir!«

Er wendete sich zurück und trat auf den Sprecher zu. Dieser hatte schon längst wartend am geöffneten Thore gestanden, dessen altersschwarze Flügel mit drei weißen, riesigen Kreuzen bemalt waren, und hielt ihm jetzt mit sichtbarem Widerstreben die Hand entgegen.

»Ach so, ja; ich war in Gedank'n und hab' da gar net bemerkt, daß ich schon bei Dir bin. Aber behalt' Deine Hand; Du giebst sie mir doch net gern!«

Sein Blick fiel auf die zur Abwehr bestimmten frommen Zeichen.

»Was sollen denn die Kreuz' bedeut'n?«

»Denk' ja net etwa, daß es weg'n Dir ist!« lautete schnell die vorbeugende Antwort. »Es ist mir 'was Heimlich's über meinen Stall gerath'n, und da hab' ich die Kreid' genommen und die heilige Dreifaltigkeit ans Thor geschrieb'n. Ich denk', der Knecht hat Dir's erzählt!«

»Schon gut! Ich waaß genau, woran ich mit Euch bin. Ihr seid Aaner so dumm und ungut wie der Andere, sinnt Euch allerlei Fixfaxerei aus über mich und macht Euch einander den Unsinn so lang' weiß, bis Ihr endlich selbst an Eure eig'nen Lüg'n glaubt. Und wenn Ihr dann den Karr'n 'mal tief hineingeschoben habt, so bin ich gut genug, ihn wieder 'rauszuzieh'n. Ihr seid all' nix werth, kaan'n Kreuzer und kaan'n Pfennig! Was ist's denn, daß Du so pressant nach mir geschickt hast?«

»Ja, denk' Dir nur, heut' früh komm' ich in den Stall, da liegt die Scheck' am Bod'n und daneben auch die Kalbe, alle beide todt. Ich schick' sogleich zum Thierarzt, und als der 'kommen ist, hat er dagestand'n, das Sacktuch vor die Nas' gehalt'n und weder Rath noch That gewußt. Und der ist doch aan Studirter; er hat zwar kaane gelehrte Schul' besucht wie Du, als Du Student warst, aber er hat heid'nmäßig viel Bücher und alte, gute Schrift'n, und in denen hat er heut' nachgeschlag'n und gefund'n, daß mein Stall verhext ist. Er selber kann dageg'n nix thun, hat er mir sagen lass'n, und da ist der Knecht zu Dir gelauf'n, weil Du Dich auf die schwarze und weiße Magie verstehst wie kaan And'rer net. Schau Dir nun doch 'mal die drei Küh' an, welche noch d'rin stehen; vielleicht kannst Du sie mir rett'n!«

»Der Knecht sagt', Du hast das Vieh gestern auf der Weid' gehabt?«

»Ja. Sie sind gestern aan ganz'n Tag d'runt'n auf der Moorwies' gewes'n.«

»Du bist wohl net recht klug, das arme Thierzeug auf das Moor zu treib'n? Und nun die große Sonnenhitz' dazu; da versteht sich's doch von selber, was d'raus werden muß! Was hast denn mit den zwaa todten Stück'n gethan?«

»Sie lieg'n noch drüb'n im Schauer. Ich werd' ihnen wenigstens die Häut' abziehen lass'n.«

»Nach dem, was ich mir denk', hätt'st sie schon längst vergraben soll'n. Ich werd' jetzt in den Stall geh'n. Oder hast vielleicht Angst vor mir?«

»Geh' nur immer hinein; es bleibt ja doch nix And'res übrig, und Du wirst mir als Schulkam'rad wohl net noch größer'n Schaden mach'n, als ich so schon hab'!«

Haubold zuckte mitleidig die Achsel, öffnete die Thür zum Stalle und trat hinein. Eine dumpfe, üble Luft schlug ihm entgegen, so daß er sich fast wieder umgewendet hätte. Die drei Kühe standen betrübt an ihren Plätzen, drehten heftig die Köpfe und stießen von Zeit zu Zeit einen kurzen, stöhnenden Husten aus. Ihre Augen schwammen in Wasser, der Athem ging schnell und ängstlich, und die eingefallenen Flanken bewegten sich zitternd auf und nieder.

»Komm' 'mal her,« gebot Haubold dem Bauer und strich der ihm nächststehenden Kuh mit der Hand die Seite entlang. »Hörst', wie es knistert? Das ist der Milzbrand und kaane Hexerei. Nimm Dich in Acht; die Krankheit steckt auch Mensch'n an! Und nun paß auf, was ich Dir sag'!«

Er griff in die Tasche seines Rockes und zog zwei Düten hervor.

»Jetzt schickst' sofort zum Richter und meldest, daß der Milzbrand bei Dir ist; das mußt Du, denn es steht so im Gesetz geschrieb'n. Die Scheck' und die Kalbe gräbst' mit Haut und Haar' im Gart'n ein, so tief wie möglich, und thust Kalk darauf. Und die drei Rinder hier schaffst' heraus an die frische Luft, wenn Du sie Dir erhalt'n willst. Ich hab' mir's wohl gedacht, daß es der Milzbrand ist, und Dir darum gleich die richtige Medicin mitgebracht. Hier kann Niemand helf'n, als nur wieder 'mal der Teufelsbauer allein, und Deinem gelehrt'n Thierarzt darfst Du sag'n, daß er aan Pfuscher ist! Schau her, hier sind zwaa Düt'n. Von der erst'n giebst Du alle drei Stund'n aan'n Eßlöffel voll in Wasser und von der andern gleich darauf halb so viel in Honig eingerührt. Aber komm dieser net mit Feuer zu nah'; 's ist Schießpulver dabei!«

»Ich werd's so thun, Haubold; aber das von dem Milzbrand', das machst Du mir doch net weiß! Schießpulver hilft bloß geg'n Teufelsspuk, und Du hast Dich also ganz von selber verrath'n. Aber hab' Dank für –«

»Schon gut, schon gut! Deinen Dank, den brauch' ich net, und Deine Gescheitheit, die heil' ich net. Was Du sonst noch zu thun hast, das kannst Du auch ohne mich verricht'n. Leb' wohl!«

Ohne auf die weiteren Reden des Anderen zu achten, entfernte er sich mit raschen Schritten und schlug jetzt einen Weg ein, welcher ihn hinter dem Dorfe, die Gärten entlang, nach Hause führen mußte. Seine Gemüthsruhe war von dem seltenen und nur aus reiner Theilnahme unternommenen Ausfluge bedeutend erschüttert worden; er sehnte sich nach Einsamkeit und fand dieselbe hier auf dem stillen Pfade eher, als auf der belebten Dorfstraße, wo jede Erscheinung darauf angelegt zu sein schien, die in ihm wohnende Bitterkeit zu steigern.

Die Kirchenglocken riefen zum Nachmittagsgottesdienste. Der Eindruck ihres erhebenden Klanges wollte auch hinab in sein Herz dringen. Er blieb stehen und lauschte. Wie viele Jahre waren wohl verflossen, seit er zum letzten Male das Gotteshaus betreten hatte! Und wer trug die Schuld, daß er die Menschen mied, sogar an dem Orte, an welchem die Feindschaft und der Haß des Erdenlebens niemals Zutritt finden sollten? Er strich mit der Hand über die umwölkte Stirn und schritt weiter. Die Glocken waren verstummt; jetzt erhob wohl die Orgel ihr majestätisches Brausen, und die Gemeinde stimmte eines jener Lieder an, in denen jede Strophe, jeder Vers von Liebe und vom Frieden predigt. Wer doch dieser Liebe begegnen und diesen Frieden finden könnte!

»Bist' auch hier wieder, Haubold Frieder?« klang da eine mißtönende Stimme mitten in seine Gedanken hinein. »Hab' gedacht, Du schlägst Dich mit dem Teufel im Kuhstall herum! Aber sag' doch 'mal, wie war denn eigentlich damals die Geschicht' mit mei nem Bruder? Bist wohl gar net mit dabei gewes'n?«

Haubold fuhr herum und maß den Wiesenbauer, welcher mit der Ausbesserung des hinteren Gartenzaunes beschäftigt war, mit zornsprühenden Blicken.

»Was bist' doch für aan schlechter Kerle, Heinemann! Wär' ich wirklich der, für den Ihr mich haltet, so spräch' ich jetzt den Spruch, und Du sollt'st sehen, was d'rauf folgen möcht'!«

»So sprich ihn doch! Der Leibhaftige ist ja Dein Gevatter und wird Dir gern zu Dienst'n sein! Aber ich fürcht' mich trotzdem net vor Dir, und Du kannst nur immer Sorge trag'n, daß Du mir net 'mal in meine Hände läufst. Mich wirfst' net vom Fels'nbruch herunter, wie damals meinen Bruder, darauf darfst Du Dich verlass'n!«

Die Adern an der Stirn des Beschuldigten traten dunkel hervor; er legte die Hand an den Zaun und hob den Fuß, wie um hinüber zu springen.

»Hast Recht, Haubold Frieder; wir können die Sach' gleich hier ausmach'n! Die Hack' hab' ich schon bei der Hand, und wer ohne meine Erlaubniß in meinen Gart'n kommt, den darf ich niederschlag'n. Wer des Nachts gemordet hat, geg'n den muß man sich auch bei Tage wehr'n!«

»Nein, Wies'nbauer,« erwiderte Haubold, indem er sich mit[518] Gewalt zur Ruhe zwang und die Hand vom Zaune nahm. »Du bist mir net gewachs'n trotz Deiner Hack'; dies waaßt Du eben so gut wie ich; aber ich will mich net selbst an Dir räch'n, sondern Dich dem lieb'n Gott überlass'n. Der hat Deinen Bruder getroff'n und wird auch Dich zu finden wiss'n!«

Er ging.

»Der Teufelsbauer fürchtet sich!« rief es unter höhnischem Lachen hinter ihm. »Lauf' nur zu! Vor Deinem Advocat'n hab' ich kaane Angst, und Du, Du kommst mir schon noch hin, wo ich Dich haben will!«

Trotz der sommerlichen Hitze, welche auf der Gegend lag, fühlte der Tannenbauer bei dieser Lästerung einen kalten Schauer über seinen Körper gehen. Er dachte nicht mehr an Glockenklang und Orgelton; in seinem Herzen hatte die weiche Stimmung der alten Bitterkeit wieder Raum gegeben; er verdoppelte seine Schritte, um so schnell wie möglich von der Stelle zu kommen, welche den unversöhnlichsten seiner Feinde trug, und athmete leichter und freier auf, als er endlich das Dorf hinter sich hatte und in den Fuhrweg einbog, welcher nach dem »Teufelshofe« führte.

Dieser lag seitwärts im freien Felde. Zu beiden Seiten des Einganges erhoben sich zwei mächtige Tannen, welche die Firste des Daches weit überragten und der Besitzung ihren ursprünglichen Namen gegeben hatten, wie auch die Inschrift bezeugte, die einer der Bauern in den Schlußstein des hochgewölbten Thorweges hatte graben lassen:


»Dies Haus, das steht in Gottes Hand

Und wird zum ›Tannenhof‹ genannt!«


Auf einer der Moosbänke, welche sich um die Füße der Bäume zogen, saß ein junger Mann, welcher so eifrig mit Lesen beschäftigt war, daß er Haubold erst bemerkte, als dieser schon vor ihm stand. Er schloß das Buch und erhob sich.

»Was hast Du hier zu les'n, Gustav?«

»'s ist das Gesangbuch, Oheim. Hast wohl auch gehört, daß vorhin die Glock'n geläutet hab'n?«

»Warum gehst' denn net lieber in die Kirch'?«

»Ich mag net! Der liebe Gott ist alleweil' hier beim Tannenhofe auch, und vielleicht noch gerner, als in dem Haus', wo sie singen und bet'n und doch nix vom rechten Frommsein wiss'n.«

Der Bauer legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihm tief in die Augen.

»Armer Bub'! Hast auch schon von dem Gifte trinken müss'n, das schlimmer ist, als Schlangensaft? Hör', Gustav, woll'n hier bei uns recht lieb und gut mit'nander sein, dann brauch'n uns die Anderen nix zu kümmern!«

Der Blick des Jünglings drang durch die rasch aufsteigende Feuchtigkeit mit dem Ausdrucke der herzlichsten Liebe zu ihm herüber.

»Oheim. Du waaßt, wie hoch Dich All' im Hause halt'n; d'rum sollt'st Du Dich net immer so einsam stell'n, sondern mehr bei uns sein, als in Deinem alt'n Thurme, an dem der Heinemann das Teufelsbild gezeichnet hat!«

»Der Wies'nbauer ist's gewes'n? Ich hab' mir's wohl gedacht! Woher hast Du es erfahr'n?«

»Von der Magd; die hat es heut' daheim gehört. Soll ich das Bild vielleicht mit Lehm überstreich'n?«

»Nein, laß es steh'n! Ich hab' vorhin den Streit dem besten Anwalt übergeb'n, und der wird sicher dafür sorg'n, daß g'rad Derjenige, der mir den Schimpf hingemalt hat, ihn selber wieder wegthut.«

Er trat in das Haus. Schon im Flure desselben, drehte er sich noch einmal zurück.

»Es wird wohl heut' noch aan Gewitter geb'n. Hast' vielleicht noch Garben auf dem Felde?«

»Ja. Aber die Wagen sind schon vorgezog'n, und sobald die Kirch' aus ist, hol' ich, was noch drauß'n liegt.«

»Gut. Ich konnt' mir's denk'n, daß ich Dir so 'was net erst zu sag'n brauch'!«

Ohne in eine der Stuben zu treten, schritt er durch den Flur und Hof hinaus nach dem Garten. Dieser wurde von einer hohen, massiven Steinmauer eingefaßt und stieß mit seinem hinteren Ende an eine alte, halbverwitterte Thurmruine. Sie war jedenfalls das letzte Ueberbleibsel eines längst zerfallenen, mittelalterlichen Bauwerkes und hatte, so weit man nur zurück zu denken vermochte, stets den sich zur Ruhe setzenden Tannenbauern als Auszüglerwohnung gedient. Es ging von ihr die Sage, daß hier ein Ritter gehaust habe, der seine Seele dem Teufel verschrieben hatte und von diesem auch geholt worden sei. Seit dieser Zeit litt es Niemanden in dem zusammenbröckelnden Gemäuer, und der Ort wurde von Jedermann geflohen, bis der erste Haubold kam, den Hof erbaute und die Ruine mit in den Bereich des Gartens zog. Da er sich vor dem Spuke nich fürchtete, so schrieb man ihm geheime Künste zu, welche sich auch auf seine Nachkommen vererbten. Diese hatten es stets verstanden, sich bei den Bewohnern der Umgegend in Respect zu setzen; sie waren immer kluge Leute gewesen und hatten gar Manches zu Stande gebracht, wozu Anderen der Muth oder die Kenntnisse und das Geschick entgangen war. Wenn Niemand Obst erbaute, auf dem Tannenhofe mußten die Bäume gestützt werden; wenn rund umher die Saatfelder versagten oder die Kartoffeln nicht gerathen wollten, die Tannenbauer hatten in ihren umfangreichen Räumen kaum Platz genug für die Fülle des Erntesegens. In ihren Ställen standen die glattesten Pferde und die drallsten Rinder; kam ein Fruchthändler oder Fleischer in das Dorf, er ging immer zuerst nach dem Tannenhofe; dort floß das Geld freiwillig ein, während selbst die Wohlhabenden im Dorfe leicht über Mangel klagten; wenn irgend wer aus Noth ein Stück Land verkaufen mußte, stets waren die Tannenbauer da, um es zu erwerben; ihr Besitzthum wuchs und verbesserte sich von Jahr zu Jahr, und da man sich nicht entschließen konnte, durch die Anerkennung fremder Vorzüge die eigenen Fehler an das Licht zu stellen, so griff man zu der alten Sage zurück und schrieb den Wohlstand auf dem Tannenhofe jenen Künsten zu, von denen der Aberglaube erzählt, daß sie unter Aufopferung des Seelenheiles zum Reichthume führen.

Die Haubolde hatten immer darüber gelächelt; ja, es waren einige unter ihnen gewesen, welche sich das Vergnügen gemacht hatten, die Befangenen durch allerhand Sonderlichkeiten in ihrer Ansicht zu bestärken. Sie ließen dabei unbedacht, daß sie dadurch sich selbst und den Ihrigen zu Schaden seien, eine Unvorsichtigkeit, unter welcher ganz besonders der jetzige Bauer zu leiden hatte.

Er mochte daran denken, als er jetzt durch den Garten ging und dann vor der Ruine stehen blieb, um den Blick langsam über dieselbe gleiten zu lassen. In ihrem Innern sollten seine Vorfahren den Pact mit dem Teufel geschlossen haben; durch die Esse, welche das Mauerwerk um einige Fuß überragte, fuhr in finsteren Nächten der Drache hernieder; dunkle oder feurige Erscheinungen zuckten des Mitternachts durch die Luft, und wenn der Sturm über die unheimliche Stätte strich, so fuhren unter herzbrechendem Aechzen und Stöhnen die eingebannten Geister auf und konnten doch nicht loskommen, weil unten im tiefsten Keller das sechste und siebente Buch Moses an einer Kette festgeschlossen lag.

Er lachte unwillkürlich auf und warf, halb trotzig, halb verächtlich, den Kopf zurück.

»Und so sind die Tannenbauern zu Teufelsbauern 'worden, vor denen die Bub'n auf der Gass' davonlauf'n und die sogar der Richter aus dem Ort' hinausweist. Man höhnt und spottet ihrer, bis man 'mal ihre Hilf' gebraucht, und malt ihnen am End' gar noch den Satan an die Mauer. Aber wer den Teufel an die Wand malt, zu dem geht er auch; das ist aan altes, wahres Wort, und so will ich ruhig sein und allen Vorwurf trag'n, bis meine Hilf' gekommen ist!«

Er mußte sich bücken, um durch die niedrige, enge Pforte zu gelangen, und stieg dann die wenigen Stufen einer schmalen Treppe empor, welche zu einer Thür führte, die in diesem Augenblicke nur angelehnt war. Er wußte ganz genau, daß er sie bei seinem Gehen geschlossen hatte; Niemand, selbst Gustav nicht, wagte, hier Zutritt zu nehmen, und doch befand sich Jemand in der Klause des einsamen Einsiedlers, denn es war eine Stimme zu vernehmen, welche in halblauten, abgerissenen Sätzen mit irgend wem zu sprechen schien.

Er erweiterte leise und vorsichtig die Spalte und blickte hinein. Außer dem einen Kreisabschnitt bildenden Treppenraume befanden sich zwei dreieckige Gemächer in dem Thurme, deren rechtem Winkel die von einigen Fensteröffnungen durchbrochene[519] runde Umfassungsmauer gegenüberlag. Die vordere Stube war für einen »Einsiedel« sehr eigenthümlich ausgestattet. Die eine Wandseite wurde von hohen, wohlgefüllten Bücherständen vollständig eingenommen; die andere war mit den Insignien des Studententhums, Pfeifen, Schläger, Cerevis und hundert Kleinigkeiten behangen; an einem der Fenster stand ein augenscheinlich viel benutzter Schreibtisch, und in der Nähe desselben enthielt ein mit grünem Vorhange versehenes Fachwerk allerlei ärztliche Instrumente und chemische Werkzeuge und Apparate.

Hier war Niemand zu sehen; die Stimme kam aus dem nebenan liegenden Raume, dessen Thür weit geöffnet war. Haubold's Züge verfinsterten sich. Wer konnte es wohl unternehmen, das größte Heiligthum, welches der Tannenhof für ihn barg, zu entweihen? Zornig eilte er hinzu und stand im nächsten Augenblicke hinter einer weiblichen Person, welche am Boden kniete und mit Inbrunst ein Bild betrachtete, welches sie mit beiden Händen vor sich hielt.

»Nein, Du bist's net gewes'n,« sprach sie, »das waaß ich sicher und gewiß; aber es darf Niemand wiss'n, wie's gekommen ist, und darum mußt Du für mich leid'n, ohne daß ich Dich davon erlös'n kann!«

»Was giebt's hier zu erlös'n, und wer hat Dir geheiß'n, in meine Stub' zu gehen?« fragte es hinter ihr.

Sie erhob sich erschrocken und wendete ihm ihr blatternarbiges und jetzt vor Verlegenheit hoch erröthendes Gesicht zu.

»Nun, kannst' net Antwort geb'n? Was thut das Bild in Deiner Hand? Gleich hängst' es wieder hin an seine Stell' und machst, daß Du hinausgelangst. Aber komm' mir ja niemals net wieder herein, sonst magst' sehen, wo Du bleibst!«

Die freundliche Ausstattung des Zimmers ließ wohl kaum die Vermuthung zu, daß es dem Teufelsbauer zur Wohnung diene. An den Fenstern hingen weiße Gardinen, welche allerdings schon seit geraumer Zeit der Wäsche zu entbehren schienen, deren Feinheit aber darauf deutete, daß sie nur von einer ganz besonderen Rücksicht in die Ruine gebracht worden seien; das Sopha und die weichen Polsterstühle waren mit mühsamen Filetarbeiten belegt; das hinter einem Vorhange sich verbergende Bettchen trug einen Ueberzug von theurem französischen Leinen; der offene Waschtisch zeigte eine sorgfältige Auswahl von für einen Bauernhof ungewöhnlichen Damentoilettengegenständen; auf dem Nähtische stand ein niedliches Necessaire, und unter dem Spiegel waren allerlei Nippes und bunte Kleinigkeiten gruppirt, unter denen jedenfalls eine zarte Frauenhand gewaltet hatte. War es vielleicht die Hand des jungen, schönen Mädchens gewesen, deren blondlockiges Portrait inmitten eines der zwei welken Vergißmeinnichtkränze hing, welche zu beiden Seiten des Spiegels befestigt waren?

Vor Bestürzung noch immer wortlos, trat die Gescholtene herzu und gab das Bild, welches sie gehalten hatte, in den zweiten Kranz hinein. Es stellte einen Jüngling in Studententracht vor, und eine Vergleichung mit Haubold ließ erkennen, daß er selbst dazu gesessen habe.

»So; nun geh'!« sprach dieser. »Ich kann hier Niemand net gebrauch'n.«

Sie sah ihn bittend an. Ihre Augen, in denen ein heller Tropfen schimmerte, glichen jetzt fast denjenigen, mit welchen das Mädchenbild so voll und offen aus dem Rahmen schaute.

»Ich sah Euch geh'n,« entschuldigte sie sich endlich mit leise zitternder Stimme, »und dacht', ich könnt' inzwischen hier 'mal nach der Ordnung seh'n!«

»Das thu' ich selbst,« antwortete er in milderem Tone. »Net wahr, das hast' gewußt und bist nur aus Neugierd' hergekommen?«

Sie schlug beschämt die Lider nieder.

»Seid mir net bös', Herr Haubold! Es thut so leid, wenn Ihr mir zornig seid!«

»Das hab' ich schon geseh'n, Marie! Bist stets aan gutes Herz gewes'n, und hätt' ich Dich net gehabt damals in den Jahr'n voll Trüb- und Traurigkeit, so wär ich schier ohne Lieb' und Trost zu Grund' gegangen. Aber laß' mir meine Klaus' allein! Du hast im Haus' genug zu thun und sollst Dich net auch noch mit mir besorg'n.«

»Ich thät's so gern!« antwortete sie, und bei diesen Worten ging es so hell und warm über ihr Gesicht, daß die Zerstörung, welche die Pocken in demselben angerichtet hatten, sich vollständig vergessen ließ. Dann legte sie die Hand leise in seine dargebotene Rechte und entfernte sich.

Er stand unbeweglich, bis ihre Schritte verschollen waren.

»Was hatte sie mit meinem Bild zu thun? Und diese Aug'n! Ich hab' die Aehnlichkeit noch niemals net bemerkt. Und hier an derselben Stell' hat die Martha gestand'n, als sie so plötzlich Abschied nahm, und mit derselben Stimm' dieselben Wort' gesagt: ›Seid mir net bös', Herr Haubold!‹ O, Martha, warum bist Du damals fort und hast es auch geglaubt, daß ich der Mörder bin!«

Er nahm das Bild des Mädchens von der Wand und betrachtete es mit dem Ausdrucke unaussprechlicher Liebe.

»Nur noch aan einzig' Mal möcht' ich Dich seh'n und wiss'n, wie Dir's geht! Aan einzig' Mal nur möcht'st Du zu mir kommen, um zu erfahr'n, wie treue Lieb' ich hab' gehegt und Alles hier in Deiner Stub' gelass'n, g'rad' wie es war, als Du gegangen bist! Aber Du kommst nimmer wieder, und ich – ich hab' vergebens an Deine Lieb' geglaubt!«[520]

Quelle:
Der Teufelsbauer. Originalerzählung aus dem Erzgebirge von Karl May. In: Weltspiegel. 2. Jg. 1878. Heft 17–18. Dresden (1878). Nr. 33, S. 516-521.
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Der Teufelsbauer
Der Teufelsbauer: Eine erzgebirgische Dorfgeschichte

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