IV.

In der Falle

[414] Der Buschwebel hatte doch die Anzeige gemacht und eingesandt, und die Folge davon war, daß Frieder vom Amte einen Bestellzettel erhalten hatte und heut in die Stadt geritten und im Verhör gewesen war. Dieses schien einen für ihn befriedigenden Verlauf genommen zu haben, wie die Miene zeigte, mit welcher er das Pferd bestieg, um wieder heimzukehren.

Ein gut Theil über die Hälfte des Wegs war zurückgelegt, und er gelangte an ein einsames Wirthshaus, welches mitten im Walde an der Straße lag. Ein hochbeladener Heuwagen hielt vor der Thür, und er erkannte das Gespann als Eigenthum des Feldbauern. Er konnte annehmen, daß derselbe Leute genug habe, um dergleichen Fuhren nicht selbst unternehmen zu müssen; jedenfalls führte ein Knecht das Geschirr, und es war dann kein Grund vorhanden, auf den frischen Trunk zu verzichten, welchen er hier zu sich nehmen wollte.

Er stieg daher ab, befestigte die Zügel an das Staket und trat in die Stube. Er hatte sich getäuscht. Außer einigen Holzhackern, welche im Winkel ihr mageres Brod verzehrten, befanden sich der Feldbauer und einige Soldaten in dem Zimmer. Sie waren auf einem Patrouillengang durch den Forst hier eingekehrt und wurden von dem sonst nicht sehr freigebigen Bauer auf das Beste traktirt. Frieder setzte sich an einen separaten Tisch, ließ sich sein Bier geben und wandte sich von den Anwesenden dem Fenster zu.

»Trinkt immer, trinkt,« meinte der Feldbauer mit einem giftigen Blicke auf den Neuangekommenen. »Ehrliche Leut', die ohne Larv' sich sehen lass'n, dürf'n in das Wirthshaus gehn; Andre aber sollt' man durch die Polizei fortweis'n!«

»Was ist's denn mit der Larv'?« frug der Wirth.

»Nix weiter, als daß man die kleinen Spitzbub'n hängt, die groß'n aber lauf'n läßt. Der Buschwebel hat Einen gefangen, der die Mask' und den Revolver getrag'n hat. Er gehört ganz sicher zum Waldkönig, hat sich aber gut herausgelog'n und wagt's auch noch, bei Männern zu sitz'n, die keine Mörder und Blender sind!«

»Wer ist's denn?«

»Ja, da fragst' mich zu viel. Schau Dich darnach um!«

»Ach so! Warst' in der Stadt?« forschte der Wirth ablenkend.

»Ja. Das Heu ist mir heuer verregnet, so daß ich mit meiner Ernt net reich'; da es nun jetzt billig ist, will ich mir einen Vorrath hol'n.«

Frieder trank sein Bier, bezahlte und ging. Die Niederträchtigkeit seines Feindes war so ungeheuerlich, daß er sie kaum zu fassen vermochte. Als er an dem Wagen vorüberlenkte, durchzuckte ihn ein Gedanke.

»Ist dem Feldbauer wirklich das Heu vernäßt, so daß er sich welches kauf'n muß? Seine Wies'n trag'n ja grad so gut wie die unsern, und der Bachhof hat doppelt so viel Futter als er verbrauch'n kann! Und warum fährt er selber? Da steckt 'was dahinter, und er traktirt die Soldat'n net umsonst, so viel ist gewiß. Ich muß ihn auf der Zech belausch'n, wenn er das Heu ablädt!«

Er nahm den Braunen scharf in die Zügel und sah bald das Dorf vor sich liegen. Vor demselben und zwischen der Straße und dem Feldhof erblickte er Martha, welche am Ufer des Baches Wäsche netzte. Er konnte sich diese Gelegenheit, einige Worte mit ihr zu wechseln, unmöglich entgehen lassen und lenkte zu ihr hin.

»Gut' Arbeit, Martha! 'Hast große Wäsch'?«

»Ja, da giebt's zu thun, Frieder. Aber welch ein Glück, daß der Vater net zu Haus' ist!«

»Weshalb?«

»Es ist uns am Montag gar bös ergangen, Frieder, und so schlimm wie da ist er noch gar nie gewes'n.«

»Weg'n dem Tanz?«

»O nein. Von dem hat er kein Wort gesagt. Aber von weg'n Dem, daß Du dann im Wald gewes'n bist mit dem Revolver und verlarvt.«

»Das weißt' auch schon?«

»Der Buschwebel hat's ihm gleich in der Früh' erzählt, und dann brach das Gewitter los. Frieder, das war schauderhaft! Der Vater hat gesagt, ich sei in Dich – – –«

»Du sei'st – – was denn, Martha?«

»Ich kann's net sag'n! Dann hat er mich beim Haar ergriff'n und ebenso die Mutter, die mir mit Flehn zu Hülf' kommen wollt'. Nachher – – –«

»Halt, Martha, erzähl' net weiter, sonst reit' ich wieder zurück und zertret' ihn zu Staub und Brei, wo ich ihn find'! Ich weiß jetzt All's; das Maß läuft immer voller, und ist der letzt' Tropf'n hinein, so kommt die Fluth, in der er untergeht!«

»Frieder, ich bitt' gar schön, thu's net! Du bist ihm über, das wiss'n All', aber es kann nix d'raus werd'n als Kummer, Sorg' und Unheil!«[414]

»Bedauerst' ihn vielleicht?«

»Er ist ja doch der Vater! Die Mutter wär' schon längst von ihm, wenn net die Schand' dabei zu fürcht'n wär'. Sie hat ihn niemals lieb gehabt und wohl auch nimmer acht'n können, und ich, ich zittre, wenn ich ihn nur seh. Aber der Zorn bringt schlimme Frucht, Frieder.«

»Wer sie sä't, der wird sie ernt'n, Martha; das ist ein göttlich' Gesetz, daran Niemand das Geringst' zu ändern vermag. Ich bin ihn auch heut, erst vorhin wieder geflohn, als er mit mir beginnen wollt', doch wo er mir das Herz antastet, da soll er net auf Nachsicht rechnen. Lieber laß' ich mir den Hof wegbrennen als Den beleid'gen, den meine Lieb' umfangen hält! Was hast gedacht bei meinem Gang zum Wald?«

»Der Vater sagt, Du seist der Waldkönig; ich aber hab' gleich das Richt'ge vernommen: Du hilfst dem Förster. Net wahr?«

»Der hat es mir bezeugt. Jetzt komm' ich vom Gericht und hab' den Freipaß für den Wald bei Tag und Nacht.«

»Und wirst auch hinausgehn.«

»Warum sollt' ich net?«

»Frieder, thu's net! Es ist jetzt gar viel Gefahr im Wald, und selbst der Tapferst' kann net sag'n, ob er gut daraus hervorgeht. Es giebt ja Leut', um deretwill'n Du Dich schonen mußt!«

»'Hast Recht, Martha! Aber es giebt auch einen Engel, der mich beschützt bei jedem Weg, den ich thu.«

»Welcher ist das?«

»Du selbst!«

»Ich? Wo denkst' hin! Meinst wohl, weil ich bei der Wäsch bin, wo man weiß und sauber geht!«

»Dann wärst' ja blos der Wäsch'engel! Aber sag, warum legst' sie hier auf die Wies' und net in den Gart'n, wo es bequemer ist?«

»Wir hab'n dort kein Wasser. Der eine Brunnen wird reparirt, und der andre, den der Vater ganz nur allein gegrab'n hat, giebt keinen Tropf'n, weil er in den Stoll'n gestoß'n ist, der unter dem Hof fortgeht. Wir dürf'n davon gar net red'n, sonst wird der Vater bös; er sagt, die Leut' lach'n ihn aus, wenn sie hör'n, daß er Wasser gesucht hat da, wo keins zu find'n ist.«

»Wie alt ist dieser Brunnen?«

»So alt, als ich auf dem Feldhof bin. Er grub ihn gleich in der erst'n Zeit und nur bei Nacht.«

»So weiß die Gemeind' gar nix davon?«

»Nein, weil's zu viel' Umständ' macht. Nur die Mutter hat's gewußt und ich. Die Mündung ist in der Hinterkammer neb'n der Scheun', wozu er nie den Schlüssel herausgiebt. D'rum also muß ich auf die Wies'.«

»Und das ist gut, Martha, sonst hätt' ich Dich jetzt net gesehn!«

»'Wirst mich auch heut am Abend sehn, wenn ich es möglich mach'n kann. Er geht wieder um Acht zur Ruh.«

»Ja komm', Martha! 'Wirst große Freud' anricht'n. Und sollt' ich net sofort daheim sein, so komm' ich sicher, noch eh Du wieder gehst. Leb' wohl!«

»Leb' wohl, Frieder!«

Sie blickte ihm nach, wie er dem Braunen die Sporen gab und in eleganter Sicherheit auf demselben über die breiten Gräben setzte. Wie war er doch so ganz anders als die Männer, welche sie bisher kennen gelernt hatte, besonders aber als der Vater! Sie durfte ihm gar nicht erzählen, wie dieser sie und die Mutter am Montag mißhandelt[427] hatte. Es war noch viel ärger gewesen als sie angedeutet hatte, und wenn sie auch den eigentlichen Grund nicht kannte, der den Feldbauer über den nächtlichen Gang Frieders in solche Wuth versetzt hatte, sie wußte doch, daß diese Zornesergüsse wiederkehren würden, da es nicht in ihrer Absicht lag, dem wilden Manne das jung emporsprossende Glück ihres Innern zu opfern.

Frieder kam nach Hause. Er mußte darüber lächeln, daß seit seinem Hiersein ihn der Waldkönig fast mehr in Anspruch nahm als das Bachgut. Er war abermals gezwungen, den Feldbauer zu belauschen und zwar ohne Verzug, und konnte daher den Eltern nur kurze Auskunft ertheilen.

»Nun, wie war's auf dem Amt'?« frug der Vater.

»Ganz wie ich's gedacht hab'. Sie wollt'n Alles wiss'n', ich hab' ihnen aber blos gesagt, daß ich mich weg'n dem König vermaskir'. Dann mußt' ich von Euch erzähl'n und bekam darauf die Erlaubniß, zu thun, was ich für gut halt'.«

»Ja, warum sagst' doch net, was Dir arrivirt ist im Wald? Wenigstens uns kannst's doch erzähl'n. Wir sind gar sehr erschrock'n, als wir hört'n, daß Du es machst wie der Franz; 'wirst uns wohl auch so ein Herzeleid bringen wie er. Was soll d'raus werd'n?«

»Nix Anders als daß ich den König fang', Vater; d'rauf kannst' Dich verlass'n!«

»Ja, grad so wie der Franz und ich! Dann wirst eines Tag's am Baum gefund'n oder Du kommst eines Morgens heim ohne Aug' und Licht.«

»Vater, sorg' Dich net! Ich bin groß und alt genug, um zu wiss'n, ob ich sicher geh –«

»Ich war's auch!«

»Und grad jetzt nun weiß ich ganz genau, daß er mir nix schaden kann. Er ist schon fest in meiner Hand.«

»Fest – in Deiner Hand –?« Der Blinde sprang auf, und auch die Mutter trat hinzu. Sie hatte das Wort noch nicht ergriffen, weil der Vater ja auch ihre Gedanken aussprach. »Ist's wahr, Frieder, sag' schnell, ist's wirklich wahr?«

»So wahr als ich vor Euch steh!«

»So red', wer ist's? Schaff' ihn mir zur Stell', rasch, jetzt gleich, damit mein täglich Gebet Erhörung find' und ich ihn unter mir zerdrück', wie der Funk' zerstiebt unter dem Hammer, der Eis'n zermalmt. Sag' ihn, bring' ihn; ich will ihn hab'n, ich muß ihn hab'n, sofort und ohn' Verzug!«

Ein einziger Augenblick hatte den alten Mann in eine Aufregung versetzt, die ihn alles Andre vergessen ließ. Frieder versuchte, ihn zu besänftigen:

»Du sollst ihn hab'n, Vater, aber jetzt noch net. Es ist noch net die recht' Zeit dazu!«

»Die recht' Zeit ist stets, ist immer, ist sofort! Oder weißt noch net, wer's ist?«

»Ich weiß es; aber eh' ich den Namen nenn', muß der Beweis vollständig sein und ohne Lück'. Drum hab' noch eine kleine Zeit Geduld! Du bist der Erst', der ihn von mir empfängt, das will ich Dir versprech'n!«

Er ging.

Hinter dem Dorfe, da, wo der Wald sich von der Höhe hernieder zu neigen begann, hatte man einst nach Erz gegraben. Der Ertrag war in der ersten Zeit lohnend gewesen, nach und nach aber so gesunken, daß man den Bau aufgegeben hatte. Noch heut trat die Taubgesteinshalde weit aus dem Berge hervor, um deren Rand sich eine rohe, hölzerne Umzäunung zog zum Zeichen, daß der Zugang für den Unberufenen verboten sei. Der Platz gehörte jetzt zum Areal des Feldhofes, und der jetzige Bauer hatte an Stelle des kleinen, verwitterten Häuschens, welches das Mundloch des noch immer offenen Schachtes bedeckte, eine Scheune errichtet, angeblich um sich bei der Heu- und Grummeternte am Berge die Mühe des Heimbringens zu ersparen. Der Ort wurde noch heut »die Zeche« genannt, und Niemand kam hinauf, um den Argwohn des gefürchteten Feldbauern nicht zu erregen.

Frieder richtete es ein, daß er von der Forstseite aus die Halde erreichte und an die hintere Wand der Scheune gelangte, wo man ihn vom Thale aus nicht bemerken konnte. Die Thür war verschlossen, das wußte er; doch kostete es ihm keine große Anstrengung, mit dem Messer einen Laden zu öffnen. Er stieg durch diesen in das Innere und verschloß ihn dann wieder. In einer Ecke der Scheune stieg der Schacht in die Tiefe; seine Mündung war mit Brettern belegt. Der übrige Raum war zur Hälfte mit Heu bis unter das Dach angefüllt. Er stieg hinauf und wühlte sich so zwischen die duftigen Bündel hinein, daß er vor Entdeckung sicher sein und doch Alles überblicken konnte.

Der Feldbauer hatte bald nach Friedern die Schenke verlassen; die Räder seines Wagens knarrten, er öffnete die beiden Flügel des Thores und schob das ungelenkte Fuhrwerk rücklings in die Scheune. Die Pferde blieben unter dem Eingange halten, der eine so geringe Breite besaß, daß Niemand an ihnen vorüber Zutritt nehmen konnte. Nachdem er die Läden einer raschen Besichtigung unterworfen hatte, legte er Jacke und Mütze ab, entfernte die Bretter von dem Mundloche und zog unter dem Heu eine umfangreiche Seilrolle und einen Gegenstand hervor, dessen Zweck Frieder völlig unbekannt war. Er sollte nicht lange über denselben im Unklaren bleiben.

Nachdem einige Bündel Heu vom Wagen genommen waren, zeigte sich, daß sie nur bestimmt gewesen waren, die eigentliche Ladung dem Auge zu entziehen. Diese bestand in Paketen, kleinen Fässern und Kisten, welche der Bauer mit einer Schnelligkeit ablud, die man seinem massiven Körperbau gar nicht zugetraut hätte. Dann zog er den räthselhaften Gegenstand herbei, welcher aus vier oben in einem Gelenk vereinigten, unten aber sich ankerartig auseinanderbiegenden Eisenstäben bestand, befestigte ihn an das Seil, belud ihn mit einem Theile seiner Fracht und ließ ihn dann in den Schacht hinab.

Frieder mußte im Stillen die Klugheit seines Gegners anerkennen, welcher eine Vorrichtung erfunden hatte, die das Abladen überflüssig und jede anderweite Hülfe entbehrlich machte. Denn war die Ladung unten angekommen, so stießen die Ankerarme auf den Boden, legten sich auseinander und warfen ihre Last von selber ab; wurde die Vorrichtung dann wieder emporgezogen, so nahm sie ihre vorherige Gestalt an.

Auf diese Weise waren die Güter bald in dem Schachte verschwunden; der Feldbauer versteckte die beiden Gegenstände unter das Heu, bedeckte das Mundloch wieder, warf das noch vorhandene Futter vom Wagen und fuhr davon, nachdem er das Thor verschlossen hatte.

»Jetzt nun kenn' ich das ganz' Geschäft!« athmete Frieder tief auf. »Hier hält er die Einfuhr', ohne daß ein Mensch ein Wort davon erfährt oder mit einer Silb' daran denkt; am Stoll'n ist die Ausfuhr' durch die Pascher, die gar net wiss'n, woher die Päck' und Kist'n kommen, und dazwisch'n ist der Brunnen, durch den er den Auf- und Abstieg nimmt, wenn man im Feldhof denkt, er schläft. Dort muß er auch die Niederlag' hab'n, und in der Mauer, die ich betrachtet hab', ist ein Loch, durch das er geht, obgleich ich's net zu find'n vermocht'. Aber ich werd's noch entdeck'n und zwar heut. Er geht wieder um Acht zum Schlaf, wie Martha sagt', und wenn ich auch net beim Stein gewes'n bin, so weiß ich also dennoch, daß seine Leut' bestellt sind; er hat den Zettel dazu wohl gleich in der Früh besorgt, und jetzt, jetzt steigt er durch den Brunnen, um die Güter parat zu mach'n.«

Er öffnete den Laden und sprang hinaus. Offen lassen durfte er ihn auf keinen Fall, und nur nach langer Mühe gelang ihm der Verschluß. An der Berglehne traf er ganz unerwartet mit dem Buschwebel zusammen, welcher von weiter oben aus dem Walde kam und so eilig zu haben schien, daß er beinahe von ihm umgerannt worden wäre.

»Was läufst' hier im Weg herum!« polterte er mit hochgeröthetem Gesicht, welches sich höhnisch verzog. »'Bist ja mehr im Wald als zu Haus'; aber ich werd' Dir gar bald das Spazier'ngehn verleid'n!«

Frieder sah ihn groß an. War der Mann verrückt, daß er nach den Erfahrungen der letzten Zeit noch in diesem Tone sprechen konnte?

»Feldwebel, mach'n Sie kalte Umschläg'; die Hundstag' sind vor der Thür!«

»Ja, die Tag', wo man die Hund' an die Kett' legt und ihnen den Beißkorb giebt. 'Wirst auch einen bekommen für Dein Herumstreich'n. Und das gar bald; ich sorg' dafür!«

Er eilte weiter, geraden Weges auf den Feldhof zu. Vom Flur desselben aus erblickte er den Bauer, welcher eben den Schlüssel an die Brunnenstube steckte.

»Halt, Bauer, komm her!«

»Was soll's?«

»Eine Neuigkeit, eine wichtige. Komm herauf in meine Stub', denn hier ist net der Ort dazu!«

Er schritt voran. Der Bauer folgte ihm halb erwartungsvoll, halb mißmuthig. Er war von ihm in der dringendsten Beschäftigung gestört worden.

»Nun, Buschwebel, was giebts, daß ich hierher geschleppt werd'?«

»Ich hab' ihn; ich hab ihn fest!« antwortete der Gefragte, mit einer Miene im Zimmer hin- und herstolzirend, als habe er eine Schlacht gewonnen.

»Wen denn?«

»Ihn und seine ganze Sippschaft!«

»So sag doch' wen!«

»Den Waldkönig!«[428]

»Bist wohl net bei Trost?« frug der Bauer, die Spannung seiner Züge so viel wie möglich beherrschend.

»Sogar sehr, ganz ungeheuer bin ich bei Trost! Hab ich Dir's net gesagt, Feldbauer, daß ich ihn fangen werd'? O, man weiß schon, warum man grad mich herbeigeschickt hat! Und kaum bin ich hier, so ist er auch schon in die Fall' gerath'n. Der Lieutenant ist mir sicher, und mit der Marthe – hm, hübsch ist sie, und bekommen thut sie auch Etwas mit; aber ein Offizier muß auch Ambition halt'n. Wenn sie einen Andern will, so bekomm' ich Zehn dafür!«

»Aber so red' doch kein solch dummes Zeug, Webel, sondern sprich von der Leber weg! Du hast den Waldkönig? Wo denn?«

»Beim alten Stoll'n!«

Der Bauer schrak beinahe sichtbar zusammen.

»Beim alten Stoll'n! Hast' ihn wohl schon dort?«

»Ja, wenigstens so gut, als hätt' ich ihn schon! Dir kann ich's erzähl'n, denn Du bist der Letzt', der ihn warnt. Aber halt' den Mund, das sag' ich Dir! Also, ich geh heut in den Wald. Ich hatt' Etwas viel gespeist und die große Hitze, so daß ich müd zu werd'n begann und es für's Best' hielt, mich ein wenig in das Moos zu leg'n. Das war dort auf der Höh', wo die Stein' auf der kleinen Lichtung lieg'n. Da kriech' ich unter die Zweig', streck' mich aus und schlaf' auch richtig ein. Ich weiß net, wie lang ich so geleg'n bin, da wach' ich auf einmal auf: es raschelt in dem Laub. Rasch blick ich durch die Zweig', und was seh' ich? Rath einmal!«

»Nun!«

»Ein Mann steht bei dem Gestein, hebt einen Block in die Höh', blickt darunter, läßt ihn wieder fall'n und geht dann fort!«

»Was ist's weiter!« meinte der Zuhörer so gleichgültig wie möglich.

»Was es weiter ist, das wirst' gleich hör'n! Ich bin noch net fertig, mir die Sach' zurecht zu leg'n, da kommt noch Einer, der dasselbe thut, nach zehn Minuten wieder Einer, und so geht es fort, bis ich endlich mich vor Neugierd' net mehr zu halt'n vermag. Ich[429] nehm' also die Zwischenzeit gut wahr, spring hin, seh nach, und was hab ich gefund'n, he?«

»Nur heraus damit; ich bin doch net allwissend!«

»Unter dem Stein liegt ein Zettel, und darauf steht: Beim alten Stollen, um 10. Was sagst' dazu?«

»Das ist ja ganz absonderlich!«

»Absonderlich blos? Nein, noch viel mehr! Der Waldkönig giebt am Stein seine Bestellung auf; seine Leut' kommen heut' an den alt'n Stoll'n; ich hol' unsere ganze Mannschaft zusammen und fang' sie all' mit 'nander. Weißt', was das ist?«

»Glück, ungeheures Glück, und noch dazu im Schlaf, grad' wie's im Buch steht! Aber, Buschwebel, nimm's auch in Acht, daß Dir's net wieder davonläuft!«

»Mir net, drauf kannst getrost Gift nehmen!«

»Hast' den Zettel mitgenommen?«

»Fällt mir gar ein! Hält'st mich wohl für auf die Nas' gefall'n?«

»Nun, als Beweis!«

»Das Papier nützt mir nix, die Pascher brauch ich, die will ich hab'n! Aber wenn ich ihnen den Zettel hinwegnehm', so wittern sie Verrath und kommen net.«

»Das mag wahr sein! Aber 'hast sie doch erkannt?«

»Keinen! Die in der Näh' wohnen, sind vielleicht schon dagewesen, noch eh' ich recht erwacht bin; doch das schadet nix. Ich weiß, wo sie zu finden sind, und werd' sie all' mit 'nander bekommen.«

»Aber net auf die Weis', wie Du vorhin sagt'st!«

»Warum?«

»Am alt'n Stoll'n, heißt's, aber wo? An einem Punkt von ihm oder an der Mündung?«

»Hm, ja, das weiß ich net!«

»Siehst'! Nun nimmst die ganz'n Soldat'n mit, stellst sie auf und grad wo die Schmuggler das Rangtewuh hab'n, wie Du sagst, da hast' sie net beisammen. Und denkst' etwa, der Waldkönig ist so dumm und merkt net, daß Ihr da seid? Er hat seine Spion' in jedem Haus, und wenn Keiner 'was sieht, das Gelauf von Euch wird doch bemerkt. Seine Leut' kommen natürlich net anmarschirt wie eine Kompagnie Soldat'n, sondern sie schleichen sich Einer hübsch nach dem Andern herbei, da kannst' wart'n, bis Du sie bekommst!«

»Das klingt ganz richtig! Aber was soll ich thun?«

»Buschwebel, Du mußt das ganz von selber wiss'n! Der Feldbauer ist ein Esel, das hast' ja gesagt, net wahr? Wie kann er Dir da sag'n, was zu thun ist?«

»Hartkopf, der Du bist! Das war ja gar net so schlimm gemeint, Du hast mehr vom Waldkönig gehört als ich, und kennst also seine Schlich' auch besser. Sag', was würdst' thun an meiner Stell'?«

»Plaudern gar net; zu keinem Mensch'n.«

»Auch zum Lieut'nant net?«

»Erst recht net! Oder willst', daß er Dir den Preis wegnimmt? Du mußt ihm ja gehorch'n, auch wenn er die Sach' so anstellt, daß nur er die Ehr' davon hat.«

»Mein Seel', Du hast Recht, Feldbauer! Ich muß die Sach' erst ganz allein auf mich nehmen, und wenn ich den Ort genau kenn', sie so einricht'n, daß ich den Offizier net brauch', nämlich so, daß der Fang so schnell kommt, daß ich keine Zeit hab', ihm vorher Meldung zu mach'n.«[430]

»Jetzt wirst' gescheidt, Buschwebel! Niemand darf das Geringst' davon wiss'n, sondern Du schleichst allein hinaus, leis' und heimlich, daß Dich keine Katz' bemerkt, bis an den Stoll'n. Ich denk' mir schon den Ort, wo's ist.«

»Sag', wo?«

»Grad an der Mündung, wo auch der Bachbauer damals gesteckt hat, steht eine Birk', und gleich daneb'n geht ein Loch in die Erd'. Es ist von Gesträuch bewachs'n, so daß man es gar net sieht, aber Du wirst's schon werk'n, wenn sie hineinkriech'n.«

»Weißt's genau?«

»Ganz und gar. Das Loch kenn' ich schon lang, hab aber net gedacht, daß ein Versteck dahinter ist, in dem die Pascher sind.«

»Soll'n sie's etwa mit der Glock' in die Welt hineinläut'n, wo sie steck'n? Aber es ist gut, daß ich erst mit Dir gesproch'n hab. Nun ich einmal weiß, wo sie zu find'n sind, können sie mir nimmer entgehen. Ich werd' es schon so anfangen, daß ich den Lieut'nant net brauch'. Am Meist'n freu ich mich auf den Bachfrieder, denn der ist dabei, das weiß ich ganz genau.«

»Wirklich? Woher?«

»Weil er auch da drob'n war und jedenfalls auch mit unter den Stein geblickt hat, nämlich als ich noch schlief. Ich hab' ihn dann eingeholt, und er ist ganz verlegen dagestand'n, als er mich erblickt hat. Was will er im Forst? Er ist Bauer und gehört auf den Acker oder in den Stall.«

»Ich an Deiner Stell' macht' kurz'n Prozeß mit ihm. Sobald er mir 'mal begegnet', bekäm' er die Kugel, und keine Katz' miaut' nach ihm. Ob er der König ist oder net, dabei ist er doch, und dann ist's ja gleich, ob er ein wenig früher oder später vorgenommen wird.«

»Verdient hätt' er's; aber die Kugel ist net genug für ihn. Er muß ins Zuchthaus, das ist noch zehnmal schlimmer als der Tod. Nachher kann er darüber nachdenk'n, wer der Stärkst' ist, er oder ich. Aber, weißt', Feldbauer, Du kennst das Loch; geh mit hinaus zum Stoll'n!«

»Was fällt Dir ein! Mich geht die Sach ja gar nix an. Ich bin net herbeikommandirt, um den Waldkönig zu fangen, und werd' mich hüt'n, mir die Hand an ihm zu verbrennen. ›Was Deines Amt's net ist, da laß' den Vorwitz,‹ sagt das Sprichwort, und Du hast ja selbst gemeint, ich hätt' den groß'n Mund aber die kleine Faust. Was kann ich Dir da nütz'n?«

»Mach' keine Flaus'n! Was in der Hitz' gesagt wird, kann vergessen werd'n. Und Dein Schad' würd's auch net sein, wenn Du mir beistehst auf den heut'gen Abend.«

»Mein Vortheil auch net. Fürcht'st Dich vielleicht allein im Wald?«

»Ich? Der Buschwebel? Bist' bei Sinnen?«

»Ja, mehr als Du selber. Ich wett', Du kommst net allein hinaus zum Stoll'n. Der Muth ist eine eig'ne Sach'; er weicht gern aus dem Herz'n und setzt sich auf die Zung'.«

»So mag's bei Dir sein, aber bei mir net. Ich geh, und morg'n wirst' sogleich erfahr'n, was ich ausgerichtet hab'.«

»Ich bin begierig d'rauf. Geh nur beizeit'n und lauf' net wieder fort, wenn's anfängt, Dich zu gruseln!«

Er verließ die Stube und ging nach dem Hofe, wo er den Brunnenraum öffnete und dann von Innen wieder sorgfältig verschloß.

»Welch' ein Glück, daß er net zu schweig'n versteht! Hätt' er im Still'n die Anzeig' gemacht, so wär' ich in eine saub're Tint' gerath'n. Muth hat er, das ist wahr; aber die Klugheit fehlt ihm dabei. Jetzt droht mir von ihm mehr Gefahr als vom Bachfrieder. Er kennt den Stein und das Geheimniß, und ich muß ihn zur Verschwiegenheit bringen. Das Blend'n hilft hier nix; entweder stirbt er, oder – ja, oder er muß mit zur Gesellschaft tret'n; das ist die einz'ge Wahl, die ich ihm lass'. Zu hart ist's net für ihn, denn was hat er gesagt von der Marthe? Er bekommt zehn And're an ihrer Stell'! Gut, er wird noch alle Finger nach ihr leck'n und sie dennoch net erhalt'n. Sie war nur die Lockspeis' und soll mir noch weit höher hinaus. Heut' halt' ich Abrechnung mit ihm von weg'n dem Esel, den er mir ins Gesicht geworf'n hat. Er soll ihm wohl bekommen!«[443]

Die Haspel, außer welcher nicht der kleinste Gegenstand in der Brunnenstube zu bemerken war, trug zwei Eimer, welche so an dem Seile befestigt waren, daß je einer von ihnen niederfuhr, wenn der andre in die Höhe ging. Der Feldbauer bestieg den oberen und ließ sich langsam hinab, indem er das den unteren tragende Seilende durch die Hände gleiten ließ. –

Der Feldwebel war in seiner ungewöhnlichen Aufregung zurückgeblieben. Er hatte keine Ahnung davon, daß er ein Spielball in der Hand Dessen sei, den er fangen wollte. Der Rath des Feldbauers schien ihm der beste, und er befolgte ihn um so genauer, als ihm sehr viel daran lag, seinen Muth zu beweisen.

Er konnte das Hereinbrechen des Abends kaum erwarten und machte sich, sobald es zu dunkeln begann, auf den Weg. Die Vorsicht, welche er anzuwenden hatte, ließ ihn nur langsam vorwärts kommen; doch erreichte er die verschüttete Mündung des Stollens noch vor dem neunten Glockenschlage. Er fand auch bald die Birke; es war die einzige, welche an dieser Stelle stand, und er bückte sich nieder, um nach dem angegebenen Loche zu forschen. In diesem Augen blicke aber erhielt er einen Schlag auf den Kopf, der ihn sofort vollends zu Boden streckte; eine Schlinge legte sich um seinen Hals; Hände und Füße wurden zusammengebunden – er hatte das Bewußtsein verloren.

Als er erwachte, war es vollständig dunkel um ihn her, und es vergingen einige Minuten, ehe er sich auf das Geschehene besinnen könnte. Mit der Erinnerung kam ein fürchterlicher Grimm über ihn; er zerrte mit aller ihm zu Gebote stehenden Gewalt an den Fesseln, und als er diese Anstrengung fruchtlos fand, begann er laut zu rufen.

Seine Stimme mußte gehört worden sein, denn es dauerte nicht lange, so vernahm er das Rasseln eines Schlosses, eine Thür wurde geöffnet, und heller Lichtschein fiel auf das faulende Stroh, welches sein Lager bildete. Er befand sich in der Gefängnißhöhlung, welche Frieder jüngst bemerkt hatte. Draußen standen zwei tief verhüllte Männer; der Eine von ihnen trug eine Laterne; der Andre trat näher und löste den Strick, welcher die Füße des Gefangenen zusammenhielt.

»Vorwärts!« gebot er mit einem derben Tritte seiner schwerledernen Stiefel, indem er ihn zugleich beim Kragen packte und in die Höhe zog. Dann stieß er ihn in den Gang und schob ihn vor sich her bis in die Erweiterung des Stollens, wo die Hängelampe unter einem dämpfenden Schirme hervor ein zweifelhaftes Licht verbreitete und eine bedeutende Anzahl finsterer Gestalten, wohlbewaffnet und mit der Maske versehen, rund auf den Bänken Platz genommen hatte.

Einer von ihnen erhob sich.

»Feldwebel, weißt', wo Du bist?« Seine Stimme klang dumpf unter der Maske hervor, so daß wohl jede Silbe zu vernehmen, an ein Wiedererkennen aber nicht zu denken war.

»Ja. Im Stoll'n bin ich, in der Räuberhöhl', hinterrücks überfall'n und hereingeschafft. Aber das soll Euch net gut bekommen; ich werd' Euch all' zusammen an den Galg'n bringen oder ans Schaffot!«

Ein durch die Larven gedämpftes allgemeines Gelächter war die Antwort.

»Spar' das Droh'n und Aufschneid'n!« meinte der vorige Sprecher. »Du bist net in der recht'n Lag' dazu. Du stehst vor Gericht und sollst das Urtheil hab'n für die Müh', die Du Dir mit uns gibst.«

»Vor Gericht? Ich kenn' kein Gericht, das in solcher Weis' abgehalt'n wird, ich protestir' dageg'n, ich erkenn's net an; ich will meine Freiheit hab'n!«

»Ob Du protestirst oder net, das ist uns ganz gleich, und wenn das Urtheil ausgeführt ist, mußt's schon anerkennen.«

»Das thu' ich net! Ihr habt kein Recht, mich zu fangen; Euch selber gehört der Strick und die Kugel; Ihr seid Diebe, Mörder, Räuber.« –

»Halt! Schau Dich um, Buschwebel. Dort steht der Waldkönig. Siehst' das Pistol in seiner Hand? Sobald Du noch ein einzig' Wort sagst, das ihm net gefällt, bist' eine Leich'. Dann schimpf, so viel Du willst!«

Der Sprecher deutete nach dem Hintergrunde des Stollens. Dort stand hoch aufgerichtet die breite Gestalt des Pascheroberhauptes. Die langen Haare rollten bis auf den Nacken herab, der dunkle Bart quoll unter der Larve hervor, im Gürtel blitzten die Waffen, und die ausgestreckte Rechte hielt sich zum Losdrücken bereit.

Den Feldwebel überlief ein kalter Schauer. Sein ganzes heißblütiges Naturell sträubte sich gegen den Zwang, und doch mußte er einsehen, daß hier die einzige Rettung nur in der Ergebung zu suchen sei.

»So beginnt das Poss'nspiel, aber macht's so kurz wie möglich!«

»Hab' keine Sorg'! Wir sind net an allzu große Läng' gewöhnt! Also, Du hast geschwor'n, den Waldkönig zu fangen, um Lieut'nant zu werd'n und den Preis zu erhalt'n, der auf seinen Kopf gesetzt ist. Weil das aber ein ganz vergeblich Beginnen ist, so woll'n wir Mitleid mit Dir hab'n und Dir behilflich sein. Die Treß', nach der Du Dich sehnst, sollst' gleich bald erhalt'n und auch den Preis, aber net in Silber und Gold, sondern in Hanf und Eis'n: Sieh' her! hier ist der Strick und dort der Nagel. Da wirst abgethan, und morg'n in der Früh' hängst' im Wald, und in der Tasch' steckt der Zettel mit der Schrift: ›Zur Strafe, vom Waldkönig!‹ grad wie beim Bachfranz und beim Förster.«

»Das ist Todtschlag, das ist Mord, den ich gar net verschuldet hab'!«

»Sei still! Weshalb bist' nach Finsterwalde versetzt? Warum liegst' im Wald den ganz'n Tag, und wozu bist' heut' an den Stoll'n gekommen? Du hast unsern Bestellort belauscht und mußt sterb'n. Der Tod macht alles stumm; dann sind wir sicher.« Er wandte sich zu den Paschern. »Wer von Euch für den Tod stimmt, der mag aufsteh'n!«

Alle ohne Ausnahme erhoben sich.

»Siehst', Feldwebel, wie's um Dich steht? Bet' ein Vaterunser oder ein Ave Maria, ganz wie Du willst, denn in zwei Minut'n hängst' an der Wand!«

Die Männer hatten sich nicht wieder gesetzt, sie umringten ihn drohend. Er fühlte zum ersten Male in seinem Leben die Angst vor dem Tode über sich kommen.

»Gibt's keine Rettung, keine Hülf' weiter?« frug er bebend.

»Keine!«

»Ich werd' schweig'n, ich werd' Euch net verrath'n!«

»Das versprichst' wohl, aber zu halt'n, das vermagst' net!«

»Ich schwör's Euch zu. Fordert den schlimmst'n Eid; ich werd' ihn willig leist'n!«

»Dein Eid nützt uns nix. Nur das Grab ist still und plaudert net. Komm' her!«

Er legte ihm die Schlinge wieder um die Beine. Ein Widerstand war unmöglich. Der Buschwebel hatte dem Tode mehrmals kalt in das Auge geschaut; das war auf dem Schlachtfelde gewesen, wo man mit ruhmglänzender Stirn und bewaffneter Faust gegen ihn anstürmt. Hier aber war das anders. Hier sollte er ohne Kampf und Ehre vom hinterlistigen Meuchelmorde überfallen werden; seine ganze Natur bäumte sich dagegen auf, und kein Mittel schien ihm zu kostbar oder zu – verwerflich, um sich zu retten. Er versuchte noch einmal die Festigkeit der Fesseln, seine Muskeln schwollen unter ihnen beinahe um das Doppelte, aber sie rissen nicht. Man schleppte ihn zur Mauer; er fühlte die verhängnißvolle Schlinge um den Hals, und sein Blick fiel auf den Waldkönig, der zwar jetzt den Arm zurückgezogen hatte, sonst aber noch in der vorigen Haltung im Hintergrunde stand.

»Hilf mir – rett' mich!« rief er. »Warum bist' der König, wenn Du net begnad'gen darfst!«

»Das darf ich schon, wenn ich will!« klang es zurück. »Aber wer mich fangen will, für den gibt's keine Gnad'!«

»Ich will Dich net fangen, ich werd' mich um Dich net bekümmern; ich will so thun, als ob Du gar net vorhand'n seist!«

»Das gilt nix! Wenn Du los sein willst, so mußt' einen bessern Preis bezahl'n!«

»Welch'n?«

»Dich selber.«

»Wie meinst' dies?«

»Tritt ein in die Gesellschaft!«

»Als Pascher? Nimmermehr!«

»Net als Pascher, sondern als Schutz. Du trittst in meinen Dienst und schaffst mir Kund' von meinen Feind'n.«

»Also Spion!«

»Nimm's, wie Du willst!«

»Das thu' ich net!«

»Gut, hängt ihn auf!«

»Gnade! Gebt mir Bedenkzeit!«

Der König schien nachzudenken.

»Sollst sie hab'n,« entschied er dann; »aber morg'n um diese Zeit hängst' entweder oder bist unser Kam'rad. Fort mit ihm!«

Er wurde wieder in sein Gefängniß geführt. Man gab ihm die Hände und Füße frei, befestigte ihn aber mittelst einer Kette an die Mauer. Den Inhalt seiner Taschen hatte man ihm schon vorher genommen. Nachdem für Wasser und Brod gesorgt worden war, schloß sich die Thür hinter ihm. Er blieb zurück, und zwar[444] mit ganz andern Gefühlen als diejenigen waren, mit denen er seinen heutigen Gang angetreten hatte. –

Quelle:
Der Waldkönig. Eine Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl May. In: All-Deutschland! 3. Jg. 1879. Stuttgart (1879). Nr. 28, S. 443-445.
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Der Waldkönig
Der Waldkönig - Erzählungen aus den Jahren 1879 und 1880 (Reprint der Karl-May-Gesellschaft)

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