V.

Herzenskampf

[445] Noch ehe es völlig dunkel war, hatte sich Frieder wieder hinauf zur Zeche begeben. Er trug ein ziemlich umfangreiches Paket bei sich, welches mehrere vollständig neue und sehr lange Leinen enthielt. Sie waren schwach, um nicht viel Raum wegzunehmen, aber er hatte sie erprobt und wußte, daß sie ihn halten würden.

Nach reiflicher Ueberlegung war er zu der Ansicht gekommen, daß er, um das Geheimniß des Waldkönigs vollständig aufzudecken, auf der Zeche einfahren müsse. In die Brunnenstube des Feldhofes zu gelangen, war ihm unmöglich, und das Eindringen durch den Einsturztrichter konnte kaum zu einem weiteren Resultate führen. Zwar begab er sich jedenfalls in eine Gefahr, die um so größer war, als er sie noch nicht kannte und sie von mehreren Seiten auf ihn lauerte; aber das Glück war ihm bisher so hold gewesen, daß er auch jetzt sein Vertrauen festhielt.

Mit einer kleinen Handsäge, die er mitgenommen hatte, schnitt er sich einige harte Stämmchen im Busche und lehnte sie unter den Laden der Zechenscheune. Nachdem er diesen geöffnet hatte und eingestiegen war, zog er sie in das Innere, legte sie quer über einander und verband sie an ihrem Berührungspunkte mit einem festen Stricke. Dann zog er einen Haken mit einer Rolle daran hervor, den er daran befestigte, und befand sich nun im Besitze einer Vorrichtung, die ihm mittelst der Leinen die Einfahrt ermöglichen mußte. Das Seil, dessen sich heut der Feldbauer zur Bergung seines Paschgutes bedient hatte, reichte nur einmal hinab und war für Frieder also unbrauchbar; doch hatte sich dieser die ungefähre Länge desselben gemerkt, um sie als Maßstab für seine Leinen zu nehmen.

Diese waren an ihren Enden so verbunden, daß die Verbindungsstellen ohne Stocken über die Rolle des Globen lausen konnten, die Anwendung einer Vorsicht, welche nicht verabsäumt werden durfte.

Er verschloß den Laden wieder, entfernte die Bretter von dem Mundloche, legte die Stämme darüber und schob die Leine über die Rolle. Dann zog er eine kleine Blendlaterne hervor, zündete sie an und befestigte sie über der Brust.

»Glück auf!« murmelte er, sich selbst ermunternd, und trat in die Schlinge, welche er sich für den Fuß zurechtgelegt hatte. Nicht blos die Finsterniß, nein, auch der Tod war es, der unter ihm lauerte. Die gähnende Tiefe grinste ihm entgegen wie der Schlund eines ungeheuren Geschützes, welches in jedem Moment[445] ihm ein sicheres Verderben entgegenspeien konnte. Der kleinste Zufall konnte Unheil bringen, doch der muthige Jüngling schüttelte alle ängstlichen Gedanken von sich ab, griff ruhig Fuß um Fuß der Leine ab und fühlte, als er deren Ende noch nicht erreicht hatte, den festen Boden unter sich.

Er sah sich um. Nicht weit von ihm führte ein zweites Mundloch abermals zur Tiefe; es war unbedeckt; und zu seiner Rechten ging der Stollen in horizontaler Richtung in die Erde hinein. Er folgte ihm. Die Schienen, auf denen man die Hunde bewegt hatte, waren noch ziemlich wohl erhalten, ja, es hatte den Anschein, als seien sie auch jetzt noch benutzt. Diese Beobachtung bestätigte sich, als er bei der Stelle anlangte, welche seiner Muthmaßung nach unter dem Feldhof liegen mußte: ein Hund stand hier, noch mit einigen Fässern und Bündeln beladen, und unfern davon lag ein leerer Wassereimer am Boden, an ein Seil befestigt, welches in die Höhe ging.

Er leuchtete empor. Die Decke zeigte ein zirkelrundes Loch, dessen Höhe der Schein der Laterne nicht zu erreichen vermochte. Das war der Brunnen, den der Feldbauer ganz allein gegraben hatte.

Frieder ging weiter. Er hatte eine geraume Strecke zurückzulegen, ehe er die Quermauer erreichen konnte, jenseits welcher er seine Nachforschungen gehalten hatte, das wußte er. Darum beschleunigte er seine Schritte so viel wie möglich, und gelangte endlich an eine Stelle, wo der Stollen zu einem Raume erweitert worden war, der, wie gleich der erste Blick belehrte, zur Waarenniederlage benutzt wurde. Hier lag alle mögliche Art von Schmuggelgut vom Boden bis zur Decke aufgespeichert, auch Waffen hingen an den Wänden, wohl für den Fall der Aushilfe, und an der einen Seite war ein Schränkchen angebracht, dessen Thür offen stand.

Frieder leuchtete hinein. Neben Gold und allerlei Werthsachen lagen einige Bücher; sie enthielten eine zwar von unkundiger Hand geführte aber sehr genaue Buchführung über das geheimnißvolle Speditionsgeschäft des Waldkönigs. Die Namen aller Interessenten waren genannt; die Bücher mußten ihnen verderblich werden, wenn sie in die Hand der Behörde gelangten – der Feldbauer war doch nicht so schlau, wie er es selbst von sich dachte.

Der Stollen führte weiter, doch nur wenige Ellen, dann stand Frieder an der Mauer, welche sein heutiges Ziel bildete. Er war auf eine schwierige und vielleicht gar resultatlose Untersuchung derselben vorbereitet gewesen, sah sich aber, allerdings nur zu seiner Freude, getäuscht, denn sobald der Schein der Laterne auf sie fiel, gewahrte er die Konstruktion, von welcher er an ihrer andern Seite keine Spur gefunden hatte.

Es war eine Drehwand, zwischen vier Rahmenbalken aufgeführt, welche so bearbeitet und angestrichen waren, daß sie an der Mündungsseite des Ganges ganz genau an die Wände desselben anschlossen und auch in Beziehung ihrer Farbe nicht von ihrer Umgebung abstachen. Ein hölzerner Riegel je hüben und drüben bewerkstelligte den Verschluß. Frieder schob den einen zurück und konnte nun mit einem verhältnißmäßig leichtem Drucke die Mauer bewegen.

Der Waldkönig hatte das Alles jedenfalls nur eigenhändig hergestellt. Welche Anstrengung und Ausdauer hatte es ihm wohl gekostet, dem alten Stollen seine jetzige Einrichtung zu geben!

Jetzt hätte Frieder durch den Trichter das Freie am leichtesten und Sichersten erreichen können, aber er mußte wieder zurück, um seine Anwesenheit nicht zu verrathen. Die Scheidemauer war nur von dieser Seite zu öffnen und zu verschließen, und die im Schachte niederhängende Leine konnte nur allzu leicht zum Verräther werden. Er kehrte also um und beeilte sich so viel wie möglich, die Ausfahrt zu erreichen. Er wußte nicht, zu welcher Stunde die Schmuggler heut bestellt waren, und konnte darum einer Begegnung mit dem Waldkönige recht gut gewärtig sein.

Nur einem Manne von seiner riesenhaften Stärke war es möglich, sich in dem Schachte emporzuziehen, und als er später nach sorgfältiger Entfernung aller Spuren die Scheune verließ, athmete er auf wie nach einer Anstrengung, die auch die kleinste seiner Fasern in Anspruch genommen hatte.

Bei den Eltern fand er Martha, die ihm beinahe verlegen die Hand reichte. Es war ja das erste Mal, daß sie mit ihm in Gegenwart der Seinen zusammentraf.

»Wo bist' schon wieder gewes'n, Frieder?« forschte der Vater. »Ich hab' mich gefreut, daß Du aus der Fremd' gekommen bist, und geglaubt, Dich immer bei mir zu hab'n; jetzt aber ist's ganz anders. Du bist fast gar nie daheim, sondern gehst Deine Weg', und wir bleib'n zurück und mög'n sehn, wie wir mit unsrer Sorg' fortkommen!«

»Laß' gut sein, Vater! Das Herumstreich'n hat ein End'. Meine Aufgab' ist gelöst, und Ihr sollt mich nun von jetzt an wieder ganz bei Euch hab'n.«

»Ist's wahr? Deine Aufgab' ist erfüllt, und Du gehst net wieder in den Wald?«

»Ja. Nur ein einzig Mal noch muß ich hinaus, um die Schling' zusammenzuzieh'n, die ich bisher gelegt hab'. Dann ists genug.«

»Hast' ihn schon d'rin, Frieder? Kann er auch net wieder heraus?«

»Nein; er steckt fest, so fest, daß ein Entrinnen unmöglich ist, und für mich ist net die geringst' Gefahr mehr vorhand'n.«

»Darf ich's auch glaub'n? Wir sind vor Sorg' und Angst beinah' vergangen, seit wir wiss'n, daß Du des Nachts hinausgehst, um den Waldkönig zu fangen.«

Martha hatte bisher dem Gespräch zugehört, ohne zu wiss'n, auf wen es sich bezog. Bei dem letztgenannten Namen aber fuhr sie erschrocken auf.

»Den Waldkönig willst' fangen, Frieder?« frug sie erblassend.

»Ja.«

»O, thu das net, Frieder! Er ist fürchterlich und wird sich grausam rächen.«

»Recht hast' mit dem fürchterlich, Martha, doch seine Rach' fürcht' ich net. Der Stachel dazu ist ihm genommen.«

»Wenn auch! Weißt', was in der Bibel steht? ›Die Rache ist mein; ich will vergelt'n, spricht der Herr!‹ Ueberlaß ihn dem lieb'n Gott, den kann er net bethör'n und überwind'n!«

Da trat der alte Bachbauer zu ihr und tastete seine Hand auf ihre Schulter.

»Marthe, Du sprichst, wie ein Weib reden muß, dem ein weich und zart' Gemüth gegeb'n ist, in das der Haß und die Feindschaft noch nimmer hinabgestieg'n sind. Aber blick um Dich her auf das Elend, das der König angerichtet hat, geh hinaus auf den Kirchhof, wo der Franz in der kalt'n Erd' gebettet liegt, schau her auf mein Angesicht, und Du wirst anders denk'n. Weg'n meiner hat sich noch nie ein Wurm gekrümmt, mein Herz ist mild und sanft; aber es hat eine Stell', die ist wie Erz und Stein; die hat der Waldkönig angegriff'n, und nun bleibt sie hart und starr, bis ich mit ihm quitt geworden bin. Der Frieder ist der Einzig', den ich hab', und seit ich weiß, daß er den Feind beschleicht, hab ich den Seelenkrampf, denn jeder Aug'nblick konnt' mir die Kund' bringen von seinem Untergang. Aber nun er so weit vorgeschritt'n ist, darf er nimmer wieder zurück; ich verbiet es ihm, und er will's auch selber net. Wir hab'n ein Recht auf den Waldkönig, und das soll uns Niemand nehmen!«

»Gebt's dennoch auf, Bachbauer, gieb's auf, Frieder! Denn solch' ein Recht kommt net von Gott!« bat sie mit unverkennbarer Angst in Stimme und Miene.

»Und dennoch kommt's von ihm! Du hast vorhin den Spruch gesagt, Martha, aber seine Bedeutung kennst' gar nimmer. Die Rach' kommt von Gott; er wird vergelt'n; aber er steigt net vom Himmel herab, um mit der Faust dreinzuschlag'n, sondern er gebietet es uns, die Straf zu vollstreck'n. Ich hab seine Stimm' gehört seit langer Zeit, aber ihr net Gehorsam leist'n können. Soll ich ihr jetzt widerstreb'n, wo ich die Macht hab', Vergeltung auszuüb'n? Nein! Frieder, wirf mir den Waldkönig in diese beide Händ', und ich will Dich segnen all mein Lebelang; keine Macht, kein Reichthum und keine Bitt' soll ihn befrei'n, und wie er kein Erbarmen gehabt hat mit uns, so soll auch ihm sein Recht werd'n, voll und unverkürzt, wie er's verdient!«

»Ist er wirklich in Deine Hand gegeb'n, Frieder?« frug das Mädchen.

»Ja; er kann mir net den geringst'n Widerstand leist'n, wenn ich ihn fass'n will.«[446]

»Und kennst' auch seinen Namen?«

»Auch den.«

»Wer ists, Frieder? O sag's, ich bitt' gar sehr!«

»Das kann ich heut noch net, doch morg'n vielleicht sollsts erfahr'n.«

»Aber gesehn hast' ihn! Wie sieht er aus?«

»Stark und breit, im Gürtel Messer und Pistol', das Gesicht voller Bart und die Larv' obendrauf; er ist gar furchtbar anzuschaun.«

»Was hat er für Haar?«

»Es ist dunkel und geht bis auf die Achsel hernieder.«

Sie stieß einen Schrei aus, schlug die Hände vor das Gesicht und sank auf ihrem Sessel zusammen. Die Bäuerin eilte erschrocken herbei, und auch Frieder erfaßte bestürzt ihre Hände, um sie von dem Gesichte zu entfernen.

»Um Gotteswill'n, was gibts, was hast, Marthe?«

Sie ließ die Arme sinken und legte den Kopf schwer auf die Lehne des Stuhles. Ihr Busen ging hoch, ihre Lippen zuckten, und aus den halb geschlossenen Wimpern rollten zwei große, schwere Tropfen über die todesbleichen Wangen herab.

»Frieder!« klang es müde zwischen den Lippen hervor.

»Martha, sei stark; mach' Dein Herz frei, und sag', was Dir fehlt. Du wirst gern Trost und Hülf' von uns erhalt'n!«

»Ich hab keinen Vater mehr!«

»Wie meinst' das? Was weißt von ihm?«

»Alles, Alles weiß ich! O, meine liebe, gute Mutter, das wirst' nimmer überwind'n, das kannst net verschmerz'n, daran wirst' untergehn und sterb'n, Du und auch ich!«

Der Gedanke an die Mutter gab dem erstarrenden Pulse neues Leben; sie brach in ein herzerschütterndes Schluchzen aus. Die Bäuerin ließ sich an ihrer Seite nieder und zog das konvulsivisch bebende Köpfchen liebevoll an sich.

»Wein' net, Marthe, sondern erzähl' uns Dein Leid. Du sollst nie und nimmer von uns verlassen sein!«

»O nein, ich kann's net erzähl'n! Ihr würdet mich hass'n und mich von Euch jag'n, und das, ja, das wär mir noch schlimmer als das Andre!«

»Dich hass'n und Dich fortjag'n, Marthe? Was denkst von uns! Frag den Mann und frag den Frieder, ob die an so 'was denk'n!«

»Hier nimm die Hand,« meinte mit gütiger Stimme der Bauer; »ich reich sie Dir hin als Stütz' und Hülf' in jeder Noth. Nur mußt' sie sag'n, damit ich weiß, wie ich Dir beispringen kann!«

»Und hier ist auch meine Hand, Martha,« fügte Frieder hinzu. »Ich hab' sie noch nie den Unwürd'gen gereicht, und Du kannst Dich in aller Noth auf sie verlass'n. Drum sag', warum hast' keinen Vater mehr?«

»Du weißt's ja auch!«

»Ich weiß net, ob Du das Richt'ge meinst.«

»Es ist das Richt'ge, Frieder, und – ja, ich will's sag'n; es muß doch einmal heraus, und je eher, desto besser ist's! Wißt Ihr, Bachbauer, wer der Waldkönig ist?«

»Nein, der Frieder hat mir's bisher net sag'n woll'n.«

»Er hat's verschwieg'n blos um meinetwill'n. Mein Vater ist's!«

»Dein – Vater ist's? Der Feldbauer!«

Der Blinde ließ ihre Hand, die er in der seinen hielt, fallen und trat einige Schritte zurück. Ueber sein entstelltes Angesicht zuckte es wie eine plötzliche Erkenntniß; seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen, seine Zähne bissen sich fest auf einander; sein Fuß erhob sich, und seine Ellbogen warfen sich empor, als wolle er sich auf Den stürzen, von dessen Geheimniß so plötzlich der Schleier gerissen war.

»Ja, mein Vater, der Feldbauer! Net wahr, nun bin ich Euch verhaßt und verachtet und muß geh'n?«

»Der – der – der also!« knirschte es zwischen den Lippen des Gefragten hervor. »Ich hab' mirs so oft gedacht und konnt' mir den Waldkönig gar net anders denk'n als in seiner Gestalt. Also hat er mir den Sohn gemordet, er hat mir das Aug' geraubt,[459] er ist der Satan gewes'n für das ganz' Gebirg und hat Verderb'n gebracht über so viel ehrliche Leut', die sich net von ihm verlocken ließ'n! Frieder, ist's wahr? Ist's kein Andrer?«

»Er ist's, Vater!«

»So sei er verflucht, taus'ndmal, millionenmal! Die Erd' kann ihn net länger trag'n, und der Himmel mag ihn nimmer hab'n; hinunter in die Höll' mit ihm! Frieder, komm', reich' mir die Hand! Ich muß hinaus zum Feldhof, hinaus zu ihm, ich muß ihn zermalmen, zerdrück'n, fort, fort, ich halt's hier nimmer aus!«

Er streckte die Hand aus nach dem Sohne; sie wurde von einer anderen, kleineren erfaßt.

»Bachbauer!«

Die Arme Martha's umklammerten ihn, als könne sie dadurch das drohende Unheil von ihrem Heim abwenden.

»Was soll's? Will'st ihn vielleicht errett'n? Hab ich net vorhin gesagt, daß keine Macht, kein Reichthum und keine Bitt' ihm helf'n soll? Er ist mein erster und mein letzter Gedank' bei Tag und Nacht; er hat mir mehr geraubt als Ihr wißt und versteht: meine Seel', mein Gemüth, meine Ruh', meinen Fried'n, mein Glück, meinen Hof, meine Welt mit Allem, was darinnen ist, und auch Euch selber. Es ist finster um mich und in mir; ich kann nix seh'n mit dem Aug' des Leibes und kann nix seh'n mit dem Aug' des Geistes. Was ich gekannt, ich hab's vergess'n und verlor'n, und kein einzig Bild ist mir von Euch geblieb'n. Sagt, giebt's größern Raub auf der Erd'? Giebt's eine Straf', die groß genug ist dafür?«

Da trat die Bäurin zu ihm und nahm ihn bei der Hand. Sie kannte die Macht, die ihre Stimme über ihn hatte.

»Komm, Vater, setz' Dich nieder! Der erst' Gedank' ist net immer der best'. Laß den Frieder erzähl'n und die Martha, dann woll'n wir seh'n, was Du thust!«

»Ja, erzähl', Frieder; heraus damit; ich brenn' vor Begierd', zu wiss'n, wie Du hinter seine Schlich' gekommen bist!«

»Das werd' ich thun; doch muß ich erst erfahr'n, wie Martha ihn erkannt hat. Magst's sag'n, Martha?«

»Es muß ja sein! Der Vater sagt' heut, daß er gleich nach dem Nachttisch schlaf'n geh', und ich nahm mir daher vor, Euch zu besuch'n. Ich wollt' durch den Gart'n, weil da mein Gang vom Gesind' net bemerkt werd'n kann. Ich ging daher ganz leis' über den Hof und an der Brunnenstub' vorüber. Es war Licht darin. Ich blickte hinein, und wen sah ich? Den Vater. Er glaubt' uns all' noch drin beim Ess'n und hielt sich darum sicher vor Verrath. Er hatt' die hohen Stiefel an und einen Gürtel um den Leib, in dem es von Waff'n blitzte. Grad als ich an das Fenster trat, nahm er eine lange Perrück' auf den Kopf und hing einen Bart um das Kinn. Dann band er die Larv' vor das Gesicht und stieg in den Brunnen. Das ist's, was ich bemerkt hab; es war genug für mich. Ich bin dabeigestand'n, als hätt' mich der Blitz geschlag'n; die Bein' sind mir gewes'n wie Blei, das Herz wie Stein und der Kopf wie Eisen, und als ich dann gegangen bin, so hab' ich gewankt wie ein Trunkener, dem die Glieder net gehorchen mög'n.«

»Du armes Wurm,« meinte mitleidsvoll die brave Bäurin; »drum warst' so bleich und müd', als Du herbeikamst!«

»Der Mensch ist net den kleinen Finger seines Kindes werth!« stimmte der Blinde bei, dessen Blut schon in weniger hohen Wogen ging. »So hat er sein Versteck im Brunnen?«

»Im Stoll'n, in den der Brunnen geht, Vater,« berichtigte Frieder. »Weißt, der Stoll'n beginnt unt'n an der Zech', führt unter dem Feldhof vorbei und mündet im Wald. Der Feldbauer bringt die Güter aus der Stadt, läßt sie in den Schacht hinab und fährt sie auf dem Hund bis unter den Wald, wo die Niederlag' ist. Die Pascher sind neunzehn Mann; sie steig'n da, wo der Gang net weit von der Mündung eingestürzt ist, hinab, empfangen die Waar' und trag'n sie über die Grenz. Sie kennen blos den untern Theil des Stollens, und dort sind auch die Stuf'n, die Du hinabgestiegen bist.«

»Warst' denn darin?«

»Ja; da die Martha den Waldkönig kennt, kann ich nun All's erzähl'n!«

Er begann seinen Bericht, den er in größter Ausführlichkeit erstattete. Mehr als einmal ergriff die Mutter oder auch Martha seine Hand, wenn seine Erzählung eine Gefahr berührte, in welcher er sich befunden hatte. Das Mädchen vergaß den Vater und ihr eigenes Unglück und dachte nur an das fürchterliche Wagniß, welches dem unerschrockenen Jüngling mehr als die Freiheit und Leben hätte kosten können. Die Bäuerin hatte ganz die gleichen Empfindungen, und der Bauer saß da, scheinbar kalt und ruhig, während er doch jedes Wort des Erzählers verschlang und ein über das andre Mal tief aufathmete vor Erwartung des Kommenden oder vor Stolz, einen Sohn zu besitzen, welche der alten Tradition des Bachhofes solche Ehre machte.

Als dieser geendet hatte, herrschte eine ganze Weile tiefes Schweigen in der Stube. Der Vater war der Erste, welcher es brach.

»'Hast Recht gehabt, Frieder! Die Schling' ist gelegt; er kann uns net entgehn. Nur noch einmal mußt' hinaus und ich geh' mit, es ist keine Gefahr dabei, und bei dem Fang muß ich zugeg'n sein. Kann ich auch nix sehn, so kann ichs doch hör'n, wie er sich krümmt und windet, und dann will ich vor ihn hintret'n und ihm den letzt'n Stoß versetz'n, der ihn gefangen gibt. Gleich morg'n früh machst' die Anzeig' beim Feldwebel; der mag's dem Offizier bericht'n, und dann kann der Tanz beginnen.«

»Gnade!« flehte Martha. »Habt Erbarmen mit mir und der Mutter. Wenn Ihr ihn fangt, wird sie die Schand' net überleb'n! Ich will Euch dankbar sein so lang ich leb'; ich will zu Euch ziehn und Eure Magd werd'n, die Geringst' in Eurem Dienst, will Euch Alles am Aug' absehn und Euch auf den Händen trag'n so gut ich kann und vermag!«

»Gnade? Hat er Gnad' mit mir gehabt oder Erbarmen? Die geg'n ihn wär ein Verbrech'n, das uns an seiner Schuld theilnehmen ließ. Was geht Dich und die Mutter der Waldkönig an! Dem Feldbauer will ich um Deinetwill'n und Ihretweg'n all' den Haß vergeb'n, den er auf mich geworf'n hat; aber der Waldkönig ist Euch fremd, und seine Sünd' steigt hoch zum Himmel empor, sie schreit um Vergeltung wie das Blut Abels, und kann nimmer gesühnt und vergeben werden. Das ganze Dorf weiß, wie Ihr mit dem Feldbauer steht. Von seinem Thun wird net der geringst' Vorwurf auf Euch kommen, und alle Thor' und Thür'n sind Euch geöffnet, wo Ihr anklopft. Wollt Ihr noch länger hinsiech'n und hinkriech'n unter dem Unglück, das er Euch bereitet? Werft es ab, das ist Eure Pflicht und Schuldigkeit, und ihr werdet mirs noch Dank wiss'n, daß ich ihn zertreten hab!«

Er erhob sich und ging in die Nebenstube. Der Goliath kannte sich und wußte ganz genau, daß er längeren Bitten unmöglich widerstehen konnte.

Martha weinte. Sie hatte viel gelitten, heut aber war der bitterste Tag ihres Lebens.

»Sei still,« tröstete die Mutter; »bis morg'n ist noch lang' Zeit, und ich kenn' den Mann, der gar bärbeißig thut und vor der Bitt' den Reißaus nimmt, weil er sie net versag'n kann. Der Frieder wird schon helf'n!«

»Soll ich, Martha?«

»O, thu's, Frieder, thu's! Auf Dich muß ich die einzige Hoffnung setz'n, die mir noch möglich ist. Wirst' sie erhör'n?«

»Dir thu ich All's zu lieb, was ich vermag. Ich werd' mit dem Vater sprech'n, und vielleicht läßt sich ein Ausweg find'n, der das Land vom Waldkönig befreit, auch ohn' daß der Feldbauer dabei zur Sprach' kommen muß.«

»Mach's möglich, Frieder, und ich will Dir's dank'n so lang ich leb' und Athem hab'!«

Sie schickte sich an, den Heimweg anzutreten.

»Darf ich mitgeh'n, Martha?«

»Ja.«

Als sie die Stube verlassen hatten, trat der Bauer wieder herein.

»Warum gingst' fort, Vater?«

»Weil mir's die Marth' angethan hat und ich ihr nix abschlag'n kann. Sie hat so einen Schick und so eine Stimm', daß man thun muß, was sie bittet. Ich glaub' gar, sie könnt' mich herum bringen, den Waldkönig lauf'n zu lass'n!«

»Und das magst' wohl net?«

»Auf keinen Fall!«

»Dann strafst' net ihn allein, sondern auch die Seinen, und zwar viel schlimmer noch als ihn. Er geht ins Zuchthaus, da thut ihm Niemand 'was zu Leid; sie aber müss'n jede Stund' von der Schand' hör'n, die auf ihnen lastet.«

»Das woll'n wir abwart'n, Frau! Ich nehm' sie in den Schutz, und wer sie nur mit dem kleinst'n Laut, mit dem stillst'n Blick beleidigt, der hat's mit mir zu thun. Sie Beid' sind Goldes werth, und ich bin neugierig, ob der Frieder net das Aug' aufthut. Ein Madel wie die Marth' giebt's nimmer wieder!«

Die Beiden, von denen hier die Rede war, gingen schweigend dem Feldhofe zu. An der Stelle, wo sie schon einmal gestanden hatten, hielt Martha die Schritte an.

»Gut' Nacht, Frieder!«

»Warum so schnell, Martha?«

»Hast net gehört, was Dein Vater sagt'?« »Er sei verflucht, taus'ndmal, millionenmal! Das ruht nun auch auf mir. Das[460] Mörderkind darf net bei rechtschaff'nen Leut'n stehn. Geh fort von mir, Frieder, und auch ich will gehn, so weit meine Füß' mich trag'n!«

»Zürn' dem Vater net! Er ist gar arg verletzt; aber sein Zorn dauert net ewig, und der Fluch kam nur aus zorn'gem Herz'n. Die Mutter versteht's gar gut, ihn langsam weich zu stimmen, und ich wett', sie ist schon jetzt dabei. Ein Mörderkind bist' net, das darfst' mir glauben! Der Feldbauer ist Dir fremder als der fremdest' Mensch, und Du hast net den geringst'n Theil an ihm!«

»Er ist der Mann meiner Mutter, das mußt' bedenk'n, Frieder. Und wenn das Gericht kommt und ihn fortnimmt, so stirbt sie, und ich, ich sterb mit ihr.«

Ihre Worte klangen nach jenem stillen, einwärts gekehrten Weinen, welches tieferen Eindruck macht als laut hinausgeschluchzter Schmerz.

»Das wär' das Fürchterlichst', das mir begegnen könnt'! Dein Leb'n ist mir werther als das mein'ge und für Dein Glück wollt' ich gern das Schwerst' erleid'n!«

Er hatte ihre Hände gefaßt, und sie hörte an dem leisen Beben seiner Stimme, daß seine Worte keine Unwahrheit enthielten.

»Sprich nimmer so. Ich darf Dir doch net werth sein, Frieder!«

»Wer kann's verbiet'n, wenn Du's sein willst? Kein König und kein Kaiser!«

»Du selber!«

»Ich? Wär' jeder Stein im Gebirg' eine That, die auf dem Gewiss'n des Waldkönigs liegt, und jeder Baum im Wald das Zeich'n eines Verbrechens, das er begangen hat, so käm' mir dennoch kein solch' Verbot in den Sinn. Und wenn alle Welt auf Dich zeigt' und Niemand nix von Dir wiss'n möcht' um seinetwill'n, ich würd' Dich ehr'n mehr als mich selber und Dich vertheid'gen geg'n jede Silb', die wider Dich erklingt.«

»Ist's möglich, Frieder?« hauchte sie.

»Willst's glaub'n?«

»O, wenn ich dürft'!«

»Du darfst!« Er legte ihr die Hände auf das volle, weiche Haar und zog ihr Köpfchen herzinnig an die Brust. »Martha, ich hab Dich lieb, so lieb, wie ich Dir's nimmermehr net sag'n kann. Als ich Dich sah, hab ich von Anbeginn gewußt, daß meine Seel' zu Dir gehört all'zeit und immerdar; Du bist das Köstlichst', was ich kenn, das Herrlichst', was ich mir erwünsch', und all' mein Lebenlang möcht ich nix thun, als nur Dir zeig'n, wie heilig und wie theuer Du mir bist. Bitt', sag es, willst' mein Eig'n sein, Martha?«

Die Worte erklangen in jenem unwiderstehlichen Tone, dessen die menschliche Stimme nur einmal im Leben fähig ist. Martha hatte kein Wort der Erwiderung, aber sie konnte nicht anders, sie mußte ihre Arme um seinen Hals legen und ihren Kopf fest, fest an die starke Brust lehnen, in der so reiche Liebe wohnte. Er bog sich herab und blickte ihr in das große, klare Auge.

»Net so still, Martha. Sag' nur ein Wort, ein einziges Wort! Bist mir gut?«

»Ja.«

Er vernahm das Wörtchen kaum, aber es erfüllte ihn mit unendlicher Seligkeit.

»So sollst' hier an meinem Herz'n sein so lang es klopft und schlägt, und den Strahl empfind'n, der das Leid in Freud' und Seligkeit verkehrt!«

Sie standen noch lange still und wortlos bei einander, Hand in Hand und Blick in Blick getaucht, und als sie endlich schieden, schien es, als ob sie sich kaum von einander zu trennen vermöchten.

»Schlaf wohl, Martha, und glaub, es wird All's noch gut!«

»Schlaf wohl, Frieder, ich vertrau' auf Dich und Gott, der helf'n wird!«

Der Jüngling fand seine Eltern noch wach. Sie wußten, daß sie nur spät die Ruhe finden würden und hatten auf ihn gewartet.

»'Bist gar lang, Frieder,« meinte die Mutter. »Die Martha wollt' Dich wohl gleich ganz behalt'n?«

»Ja, Mutter, sie mich und ich sie. Wir geb'n einander nimmer wieder her.«

»Was sagst', Bub'?« frug der Vater. »Ist's wahr?«

»Ja. Die Martha wird meine Frau trotz Feldbauer und Waldkönig. Ist's Euch recht?«

»Von ganz'm Herz'n!« riefen Beide, indem sie seine Hand ergriffen, und der Bauer fügte hinzu: »Eine größ're Freud' konnt'st[461] uns gar nie bereit'n! Und der Feldbauer – – ja, was wird denn nun mit dem? Darf ich den eig'nen Schwäher ins Gefängniß liefern?«

»Vater, was er uns gethan, das kann vergeben werd'n; aber wir sind net die Einz'gen, und wenn er frei geht, droht noch viel Gefahr. Mich dünkt's fast ein Verbrech'n, wenn wir ihn laufen lass'n, und doch kann ich der Martha kein solch' Herzeleid anthun und ihrer Mutter auch. Ich geh' hinaus zu ihm und red' ihm ins Gewiss'n. Will er sich bekehr'n, so ist's gut, will er aber net, so ist's die Schuldigkeit, die Landplag' auszurott'n.«

»Das klingt mir aus der Seel', Frieder! Ich will er trag'n, was net mehr zu ändern ist, und ihm seine Schuld net anrechnen, und wenn er besser wird, so kann Dich Niemand zwingen, den Schwiegervater anzuzeig'n. Geht er aber net in sich, so bist's Gott schuldig und der ganz'n Welt, ihn unschädlich zu mach'n. Aber net Du sollst zu ihm, sondern ich selber geh. Geb' ich die Rach' auf, nach der ich mich gesehnt, so lang als ich im Finstern wandle, so will ich's wenigstens sein, der ihm das Entweder – Oder nach dem Feldhof bringt.«

»Du, Vater? Das geht ja net!« meinte Frieder, und auch die Bäurin erhob lauten Widerspruch; er aber schnitt ihre Einreden dadurch ab, daß er sich erhob.

»Gut, gut, ich weiß All's, was Ihr sag'n wollt, aber ich weich' net ab von meiner Forderung. Ich bin noch immer der Goliath, wißt Ihr's, und hab keinen Grund, mich vor dem Waldkönig zu fürcht'n, wenn er off'n vor mir steht. Ich geh hinaus; dabei bleibts, und nun gut' Nacht!« – – –

Quelle:
Der Waldkönig. Eine Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl May. In: All-Deutschland! 3. Jg. 1879. Heft 11–16. Stuttgart (1879). Nr. 29, S. 459-462.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Waldkönig
Der Waldkönig - Erzählungen aus den Jahren 1879 und 1880 (Reprint der Karl-May-Gesellschaft)

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