VI.

Im Schachte

[462] Am andern Morgen lief eine Nachricht durch das Dorf, welche selbst die Unbetheiligten in nicht geringe Aufregung versetzte. Der Buschwebel wurde vermißt. Der Lieutenant war schon am frühen Morgen in dienstlicher Angelegenheit in Finsterwalde gewesen und nach dem Feldhof gegangen, um seinen Untergebenen aufzusuchen. Dort hatte er in Erfahrung gebracht, daß dieser gestern gegen Abend in den Wald gegangen und bis jetzt noch nicht wieder zurückgekehrt sei. Eine Befragung der Soldaten hatte ergeben, daß er während der Nacht keinen der ausgestellten Posten inspizirt habe, und es ließ sich also vermuthen, daß ihm schon am frühen Abend ein Unglück zugestoßen sei. Aus diesem Grunde wurden alle verfügbaren Personen in den Wald beordert, um denselben nach dem Vermißten abzusuchen, und gegen Mittag schon brachte Einer von ihnen die Dienstmütze des Webels.

Sie hatte an der verschütteten Mündung des Stollens gelegen und trug die deutlichen Spuren eines kraftvollen Hiebes, der auf den Kopf ihres Trägers geführt worden war. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr; der Feldwebel war in die Hände des Waldkönigs gerathen und entweder bereits todt oder wurde an irgend einem verborgenen Orte in Gefangenschaft gehalten.

Der Offizier zog darum auch die in der Umgegend stehende Mannschaft herbei, um Nichts unversucht zu lassen, der Person oder Leiche des Verlorenen wieder habhaft zu werden; das sämmtliche Forst- und Grenzpersonal wurde in Allarm versetzt und selbst eine Menge Civilisten requirirt, um ja nicht aus Mangel an Kräften eine Spur unentdeckt zu lassen.

Die Nachbarn standen vor dem Dorfe auf der Gemeindewiese und theilten sich ihre Vermuthungen mit, als ein neues Ereigniß ihre Aufmerksamkeit erregte. Die Pforte des Bachhofes öffnete sich und der Bauer trat heraus. Er trug die Sonntagsjacke und wurde von dem Jungknechte geführt, welcher den Weg nach dem Feldhofe einschlug.

»Der Bachbauer geht nach dem Feldhof. Der jüngst' Tag ist vor der Thür; schlagt drei Kreuz' und werft die Händ' über dem Kopf zusammen!« meinte Einer.

»Wart's erst ab, ob er auch wirklich hinein geht; er kann ja auch vorüber woll'n!« antwortete ein Anderer.

»Siehst's denn net, daß er grad nach dem Thor einbiegt! Jetzt tritt er hinein. Was mag er beim Feldbauer woll'n.«

»Das wirst' schon noch erfahr'n, denn wenn die Beid'n zusammenkommen, so schalt's im ganz'n Dorf zurück! –«

»Ist Wer im Hof?« frug Frieders Vater, als er das Thor hinter sich hatte, seinen Führer.

»Ja, ein paar Knecht' und Mägd', die uns ganz verwundert anschaun. Und dort kommt grad auch die Tochter unter die Thür.«

»Gieb ihr den Wink und führ' mich hin!«

Martha erbleichte vor Schreck, als sie ihn erblickte, doch wartete sie, bis er vor ihr stand.[462]

»Grüß Gott, Martha! Ist der Bauer daheim?«

»Ja, er hält den Mittagsschlaf.«

»So weck' ihn und führ' mich einstweil'n in die Stub'! Bleibst hier im Hof,« wandte er sich dann an den Knecht, »bis ich Dein nachher wieder bedarf!«

Sie nahm ihn bei der Hand und leitete ihn in die Stube, wo sich auch die Bäurin befand, die ebenso erschrak, wie vorher die Tochter.

»Ihr wollt zum Bauer?« frug sie erstaunt nach gewechseltem Gruße.

»Ja, zu ihm. Ein gar selt'ner Besuch, net wahr?«

»So selten, daß ich beinah' Angst bekomm'.«

»Vor mir oder vor ihm?«

»Vor Euch net, Bachbauer. Wer brav und recht handelt, braucht sich net vor Euch zu fürcht'n.«

»Das will ich meinen! Und grad darum werft Eure Angst hinaus, denn Niemand hat so wenig Grund dazu wie Ihr. Ich komm' in einer Sach', die gar gut und löblich ist, und wenn's so geht, wie ich denk, so bring' ich Fried' und Freundlichkeit.«

Martha war unterdessen gegangen, um den Vater zu wecken. Sie kehrte zurück, um sein Erscheinen anzukündigen, und hatte noch nicht ausgesprochen, so stand er bereits hinter ihr.

»Oho, wer ist denn das? Der Goliath, der net lernen will, rechtschaff'nen Leut'n aus dem Weg zu gehn. Jetzt kommt er gar noch auf den Feldhof und verpestirt mir die frische Luft. Mach Dich von hinnen, sonst gebrauch' ich mein Hausrecht und setz Dich hinaus!«

»Das wirst' net thun. Ich bin heut' eine heil'ge Person, die selbst der ärgst' Feind net anzutast'n wagt.«

»So! Bist etwa als heil'ge Blindkuh in den Kalender gesetzt word'n?«

»Den Spott vergeb ich Dir. Du denkst, Du hast ihn billig, aber glaub' mir, er ist eine gar theure Waar'! Ich komm' mit Dir zu red'n, mit Dir ganz allein. Hast' keine Stub' für Dich?«

»Für mich? Der ganz' Hof ist ja mein, also brauchst' um die Stub' net bang zu sein. Doch darfst' net denk'n, daß ich mir von Dir die Vorschrift geben lass'. Deine Heiligkeit ist net weit her, das weiß ich ganz genau, und was Du mir zu sag'n hast, kann jeder Andre hör'n.«

»Es ist nur für Dich allein, und Dein eig'nes Interess' erheischt, daß es Niemand hör'.«

»Mach' keine Fabelei! Entweder sprichst oder gehst, das ist mein Bescheid. Ich wüßt' net, was Du dem Feldbauer für Heimlichkeit zu sag'n hätt'st. Bleibt da!« gebot er den Frauen, welche Miene machten, sich zurückzuziehen. »Nun heraus damit und so kurz wie möglich! Was bist' für eine heil'ge Personnag' geword'n?«

»Ich bin als Freiersmann auf den Feldhof gesandt – – –«

»Als Freiersmann? Ein blinder Brautwerber; das müßt einen schönen Eh'stand geb'n. Willst etwa die Düngermagd für Deinen Student'n hab'n? Nimm sie hin und schau, daß ich Dich nun los werd'!«

»Halb hast' recht gerath'n: Der Frieder ist's, der mich schickt, doch net um die Magd, obgleich das keine Schand' sein würd, wenn sie brav ist und ihre Sach' versteht.«

»So wüßt' ich weiter net, wen Du begehrst. Ich brenn' vor Neugierd'; sag' rasch, wem solch' ein Glück bescheert werd'n soll!«

Er setzte sich mit einer Miene auf den Stuhl, als erwarte er eine vergnügte Unterhaltung. Martha war bleich geworden, und die Bäuerin zitterte beinahe vor Sorge um das Kommende. Der Bachbauer war der Einzige, der seinen Gleichmuth bewahrte.

»Feldbauer, es ist Feindschaft zwisch'n uns gewes'n seit langer, langer Zeit; Du weißt wohl, warum. Ich hab sie net begonnen und brauch' sie also auch net zu end'n, doch die Unversöhnlichkeit bringt nix als Unheil, und darum bin ich 'kommen, um Dir die Hand zum Frieden darzureich'n.«

»So, also das willst'? Meinst', ich bin ein Bettelbub', dem man den Pfennig hinwirft, der nix gilt? Ich brauch' Deine Hand net und Deinen Fried'n net; ich hab Hand genug, und den Fried'n schaff' ich mir schon selber, zum Beispiel wenn Du ihn mir jetzt störst. Der, den Du bringst, ist Bachgutfried'n, der paßt net auf den Feldhof. Und bezahl'n soll ich ihn doch auch, net wahr? Was willst dafür?«

»Den – den Buschwebel!«

Der Spott seines Gegners hatte die mühsam festgehaltene Ruhe des Bachbauers erschüttert. Seine Antwort enthielt den ersten Pfeil, den er versendete.

»Den Buschwebel? Bist' verrückt?«

»Nein. Ruf den Lieutenant her, so will ich ihm sag'n, wo der Webel steckt und wer ihn herausgeb'n kann! Merk' Dir Eins, Feldbauer: ich komm, um in Ruh' mit Dir zu red'n; zeigst Du Vernunft, so bleib ich das Kind, mit dem sich gut sprech'n läßt, bist' aber widerhaarig, so bin ich der Goliath, der Keinen fürchtet, obgleich er blind ist, selbst den Waldkönig net, der den Bachgutfried'n net gebrauch'n kann!«

Der Feldbauer war erbleicht, doch faßte er sich schnell und stand vom Stuhle auf.

»Bachbauer,« donnerte er, »wahr' Deine Zung', sonst schlag' ich den Goliath nieder, so lang und groß er ist!«

»Das thust' net, Feldbauer, denn auf die Faust kannst' Dich net verlass'n; das hast' ja wohl gemerkt. Steck lieber die Perrück' auf und den Bart, bind' die Larv' vor und schieß mir das Pulver in die Aug'n, das bringst' besser zu Weg', grad so gut, hörst', grad so gut wie der Waldkönig da unt'n im Stoll'n!«

Auch er hatte sich erhoben; der Haß hatte wieder die Oberhand über ihn gewonnen; er blitzte aus jedem seiner Züge, er grollte aus seinem Tone, er streckte und reckte sich in jeder seiner Muskeln. Der Feldbauer hatte Miene gemacht, sich auf ihn zu stürzen, sank aber unter der Wucht der gegen ihn geschleuderten Anklage in den Stuhl zurück. Der Bachbauer hörte diesen krachen.

»So ist's recht! Setz Dich nieder und hör' mich ruhig an; dann magst' thun, was Dir beliebt!« Auch er nahm wieder Platz. »Du kennst den Frieder. Er ist ein Bursch', dem's Keiner in keinem Stück gleichthut. Das ist die Summ' von ihm; im Einzeln brauch ich weiter nix zu sag'n. Er hat die Martha lieb, und – – –«[475]

»Die Martha?« brauste der Andre auf, doch beherrschte er sich wieder. »Sprich weiter, Bachbauer, dann kommt auch die Summ' von mir!«

»Also er hat die Martha lieb und sie ihn auch. Sie ist ein Madel, fünfzig Feldhöf' werth, so daß ich geg'n seine Wahl net das Mindest' einzuwend'n hab. Du bist nun zwar weder der Vater noch der Vormund und hast net über sie zu bestimmen, aber weil ich Versöhnung will, komm ich dennoch zu Dir, um Dir die Sach' vorzutrag'n. Gieb Dein Wort dazu, und es soll All's vernichtet sein, was zwisch'n uns so wild und wirr emporgewachs'n ist!«

»Bist' fertig?«

»Ja.«

»So kommt jetzt mein Bescheid; der lautet: Fort, hinaus!«

»Ich mein' – – –«

»Nix hast' zu meinen! Hinaus!«

»Bleib ruhig, Feld – – –«

»Hinaus! Gehst' oder net!«

Er war aufgefahren und auf den Bachbauer zugetreten. Jetzt faßte er ihn am Arme.

»Vater!« rief Martha voll Angst und eilte herbei. Auch die Mutter wagte sich in die Nähe und hob flehend ihre Hände empor.

»Habt kein Sorg' um mich!« mahnte jetzt in finstrer Ruhe der Blinde. »Bleibt still an Eurem Platz!«

»Ja, macht Euch fort, sonst fliegt auch Ihr hinaus! Also vorwärts, Gesell', sonst mach' ich Dir Bein'!«

»Wagst' wirklich, den Goliath anzutast'n? Hinweg mit der Hand!«

Als diesem Gebote nicht sofort Folge geleistet wurde, streckte er die Arme aus. Im Nu wurde der Gegner ergriffen, empor gehoben und mit solcher Wucht zu Boden geschmettert, daß er die Besinnung verlor.

Die Frauen stießen einen Schreckensruf aus und warfen sich bei ihm nieder. Der Blinde stand stolz und hochaufgerichtet da und lächelte.

»Er hat genug, net wahr?«

»Mein Gott, Bachbauer, er ist todt!«

»Nein, todt ist er net; ich kenn' meinen Griff. Sollt' er todt sein, so hätt' ich Etwas weiter ausgelangt. Doch sagt, Feldbäu'rin, ist Euch der Frieder recht?«

»Er ist mir der Liebst' von Allen, die ich kenn'!«

»So seid getrost; es wird Euch nix geschehn! Und sollt' Etwas kommen, wobei Ihr Hülf' von Nöth'n habt, so schickt hinaus zu uns; sie wird Euch gern gebracht!«

Er schritt an dem Besinnungslosen vorüber dem Ausgange zu. Das noch zitternde Mädchen faßte seine Hand und geleitete ihn in den Hof, wo ihn der Knecht empfing.

»Vergiß net, Martha, daß Dir der Bachhof off'n steht. Leb wohl!«

Er ging. Wie gern hätte sie an seiner Seite den Feldhof verlassen und gleich in diesem Augenblicke den verheißenen Schutz in Anspruch genommen; aber sie mußte an der Seite der Mutter ausharren, die ihrer schwachen Hülfe und ihres Trostes bedurfte.

Als sie wieder in die Stube trat, begann sich der Bauer zu regen. Er blickte einige Zeit wie abwesend um sich her, dann kam ihm das verlorene Bewußtsein wieder. Mit einem Sprunge war er auf die Füße.

»Wo ist er, der Hallunk', der mich in meinem Haus geschlag'n hat? Ihr habt ihn fort gelass'n, Ihr habt ihm geholf'n, Ihr – – –«

Er streckte schon die Arme aus, sich an der Frau und Tochter zu vergreifen, da zog ein Gedanke sie ihm wieder zurück.

»Hierher, Martha, hierher kommst' und stehst Red' und Antwort auf das, was ich Dich frag!«

Sie folgte der Weisung und nahm allen ihren Muth zusammen.

»Du steckst mit dem Bachfrieder unter einer Deck' und hast mit ihm charmirt?«

Sie schlug die Augen zu Boden.

»Gut; ich seh' schon, wie's steht. Bist wohl gar bei ihm im Bachhof gewes'n?«

»Ja.«

»Und hast gewußt, daß der Alt' heut kommen werd'?«

»Nein.«

»Ihr habt vom Waldkönig gesproch'n?«

»Ja.«

»Was weißt' von ihm?«

Sollte sie verrathen, daß der Geliebte Alles wisse? Nein; es konnte sein Untergang sein.

»Ich hab' ihn geseh'n.«

»Du? Wo?«

»In der Brunnenstub'.«

Sie sah ihm fest in die Augen. Er konnte seinen Schreck nicht verbergen und fuhr einen Schritt zurück.

»Wer ist's?«

»Du selber!«

Da, wo die Mutter stand, erscholl ein Seufzer. Das Entsetzen hatte ihr sogar den Schrei versagt. Sie lag an der Erde.

»O mein Gott, die Mutter stirbt!«

Sie wollte hin zu ihr. Er hielt sie fest.

»Laß sie lieg'n! Sie ist zäh' wie die Katz' und macht die Aug'n ganz von selber auf. Nun weiß ich auch, warum der Bachbauer von der Perrück' und der Larv' geredet hat. Du hast ihm All's erzählt?«

»Ja.«

»Also steht's so! Du hast Dich an den Lump, den Frieder gehängt und Deinen eigenen Vater an ihn verrath'n. Ich sollt Dich bei den Haar'n ergreif'n und – – aber nein, ich werd's net thun; Du und Deine Mutter, Ihr seid den Griff net werth. Geh hin zu ihr, und wenn sie erwacht, so kommst' mit ihr hinauf in meine Stub'!«

Er ging voran. Droben angekommen wanderte er mit langen erregten Schritten im Zimmer auf und ab.

»Waldkönig, Dein Reich geht zu End', so schnell und plötzlich, wie Du's nimmer geglaubt hast! Noch ist's Zeit; noch wiss'n sie net All's, und ich werd' die Maßregeln so ergreif'n, daß ich All's noch rett', was ich erworb'n hab. Vom Stoll'n hat er gesproch'n, aber er kennt ihn net. Will er Anzeig' mach'n, so mag er's thun; ich bin zu End, noch eh' sie kommen. Und wie nun, wenn ich ihn hinhalt', bis ich fertig bin? Ja, das ist das Best'. Die Weiber müss'n hinab! da können sie net plaudern, und ich fahr' zum Schwäher, der mir den Hof abkauft. Er hat ihn längst begehrt und kann ihn gleich bezahl'n, wenn ich mit ihm Abrechnung halt'. Morg'n bring ich ihn mit; wir versammeln die Leut', wozu ich den Zettel gleich nachher leg', er übernimmt das ganz' Geschäft und mag dann thun, was er will. Dann geh ich in die Welt und lach der klugen Leut', die all' Finger nach mir streck'n und doch nix greif'n als die Luft.«

Er begann sich umzuziehen.

»Der Webel mag steck'n, bis ich zurückkehr; vielleicht darf er gar nimmer wieder heraus. Und der Bachfrieder, ja, mit dem hab' ich noch eine Furch zu ackern, bei der ihm Hör'n und Seh'n vergehen soll. Was geht ihn der Waldkönig an? Was hat er nach ihm zu spionir'n? Ist er Soldat oder Jäger oder Grenzer? Er hat ein unberufen Amt übernommen, und ich werd ihm dafür die Löhnung zahl'n bis zum letzt'n Heller. Ich weich' net eher aus dem Ort, bis er dasselb' Gesicht hat wie der Goliath; das bin ich mir und dem Nachfolger schuldig!«

Jetzt brachte Martha die Mutter geführt. Beide blieben unter der Thür stehen und sprachen kein Wort.

»Wir verreis'n. Macht Euch fertig und nehmt Speis' mit für einen Tag oder zwei. In einer Viertelstund' wird angespannt.«

»Wohin, Vater?« frug Martha.

»Das geht Euch nix an; das ist meine Sach'!«

»Auf zwei Tag? Und wir all' Drei? Willst den Hof so verwaist zurücklass'n?«

»Halt' den Mund und thu, was ich befehl',« herrschte er sie an, »'hast die Supp' eingebrockt und kannst sie nun auch auslöffeln!«

Sie gingen.

»Was hat er vor, Mutter?«

»Ich weiß net, aber nix Gut's, das ist sicher. Mir ist's auch gleich, mit mir ists all', er mag thun was er will!«

»So darfst' net sprech'n, Mutter! Weg'n ihm darf'st Dich net vergrämen und verjammern; er ist's net werth. Sei stark, thu' mir's zu Lieb'! Weißt net, was der Bachbauer gesagt hat? Der Vater mag verreis'n, wohin er will; ich pack' meine Sach' und geh zum Bachhof. Kommst' mit?«

»Nein. Das gäb' einen Skandal, wie er net größer gedacht werden kann. Harr' aus bei mir, Marthe; vielleicht hilft Gott, daß All's noch gut wird!«

»So will ich bei Dir bleiben; aber das thu' ich: ich schicke zum Frieder und laß' ihm sag'n, daß der Vater uns wegzwingt und net sagt, wohin. Darf ich?«

»Ja, thu es; doch laß' nix davon merk'n!«

Martha ertheilte ihren Auftrag einem Tagelöhner, der nicht so leicht wie das Hausgesinde vermißt werden konnte. Der alte Mann konnte sich trotz ihrer Mahnung nicht sofort von seiner Arbeit trennen und machte sich dann nur langsam auf den Weg. Er traf Frieder im Hofe des Bachgutes beschäftigt.

»Recht, daß ich Dich gleich find'. Die Marth' läßt Dir schnell[476] sag'n, daß der Bauer sie mit der Mutter auf den Wag'n packt und fortschaff'n will.«

»Wohin?«

»Das hat er net gesagt. Sie müss'n Speis' für zwei Tag' mitnehmen.«

»Und wenn gehts fort?«

»Sogleich. Das Geschirr stand schon bereit, als ich ging.«

»Jetzt sogleich, wo es bereits dunkelt?«

Er eilte hinaus auf die Straße und schritt eine Strecke auf ihr hin, bis er den Feldhof erblicken konnte. Aus dem geöffneten Thore desselben rollte in diesem Augenblicke der Wagen mit dem Bauer vorn auf dem Bocke und den Frauen auf dem Innensitz. Der Erstere hatte sein Augenmerk auf die muthigen Pferde gerichtet, welche ihm zu schaffen machten, und hielt das Gesicht von dem Dorfe abgewandt. Frieder benutzte dies, trat hinter dem Straßenbaume, der ihn verbarg, hervor und winkte. Sein Zeichen wurde von Martha, welche ihr Taschentuch erhob, beantwortet. Er eilte zurück und gebot dem Knechte, schleunigst zu satteln, dann ging er zu den Eltern.

»Soeb'n schleppt der Feldbauer die Martha mit ihrer Mutter fort. Sie wiss'n net, wohin und hab'n zu mir gesandt. Ich muß sehn, was er mit ihnen thut, und reit' ihm nach!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er auf sein Zimmer, warf sich in andere Kleider und lenkte schon nach wenigen Augenblicken zum Thore hinaus. Die Geliebte sollte ihm entrissen werden; er mußte ihr folgen und gab dem Braunen die Sporen. Im Galopp flog dieser die Straße dahin; der Wald war in kaum einer Minute erreicht, und hier, wo die Chaussee in schnurgerader Richtung allmählig bergan stieg, sah er trotz der hereinbrechenden Dunkelheit das Geschirr des Feldbauers in ziemlicher Ferne vor sich.

»Er fährt nach der Grenz'. Vielleicht schafft er sie zum Kaufmann hinüber, mit dem er das Geschäft macht. Ich reit' nun langsam, denn er darf mich net bemerk'n.«

Er ließ das Pferd im Schritt gehen und erst als die Verfolgten jenseits der Höhe verschwunden waren, nahm er die Zügel zum scharfen Trab empor. Auf dem Höhenpunkte angekommen, wo rechts und links ein paar schlecht befahrene Holzwege in den Forst abzweigten und die Straße sich wieder abwärts senkte, vermochte er, so weit sein Auge die Dämmerung durchdringen konnte den Wagen nicht mehr zu erkennen.

»Er hat's eilig und ist scharf gefahr'n. Vorwärts; ich darf ihn net aus dem Aug' verlier'n!«

Eine Viertelstunde verging; das nächste Dorf lag vor ihm, und noch hatte er die Erstrebten nicht erreicht. Bei der Chausseegeldereinnahme hielt er an.

»Ist hier ein Wag'n vorüber, Fuchs und Schimmel angespannt?«

»Nein.«

»Ganz gewiß?«

»Ganz sicher. Ich bin seit einer Stund' net vom Fenster weggekommen.«

Er zog den Braunen herum und jagte zurück.

»Er hat eine Schelmerei vor und ist in einen von den beiden Waldweg'n eingelenkt!«

Als er die Höhe wieder erreichte, stieg er ab, um die Wege zu untersuchen. Es war nun mittlerweile dunkel geworden; das Licht des Zündholzes reichte zu seinem Zwecke nicht aus; er trat zu einer knorrigen Kiefer, welche niedrig und verwachsen am Waldesrande stand, und fand glücklicher Weise an den Knospenstellen mehrerer Zweige einige von Insektenstichen erzeugte Harzkapseln. Rasch war einer derselben in Brand gesetzt, und bei dem breitlodernden Lichte sah er deutlich die schmalen Spuren der Wagenräder, welche rechts von der Straße in den Forst hineinführten[477] und von den älteren, tiefer und breitergehenden Geleisen der hier verkehrten Holzfuhrwerke zweifellos zu unterscheiden waren.

»Was hat er hier gewollt? Der Weg geht auf der Höh' bis hin zur Zech', und kein andrer zweigt sich von ihm ab. Ich muß ihm folg'n, aber das Pferd wird mich verrath'n. Hier anbind'n und zurücklass'n darf ich's net. Ich reit' im Carrière nach Haus', geb's ab und spring den Berg hinauf zur Zech', das ist das Best', was ich zu thun vermag!«

Er stieg wieder auf, um diesen Vorsatz auszuführen. Da war es ihm, als vernehme er den unbewachten Knall einer vorsichtig geführten Peitsche.

»Was ist das? Kommt er vielleicht zurück?«

Ein dumpfer Ton ließ sich hören, als ob ein Wagenrad an eine aus dem Wege hervorstehende Wurzel stoße. Schnell war er wieder von dem Thiere herunter, zog es zwischen die nächsten Bäume verhüllte ihm mit dem Taschentuche die Nüstern und versuchte, es durch Streicheln zur möglichsten Ruhe zu bewegen. Es gelang; der Braune gab keinen Laut von sich, als der Wagen hart an ihm und seinem Herrn vorüberging und dann in die Straße einlenkte.

»Das war er. Ich hab' ihn ganz genau erkannt; er fährt nach der Grenz'. Aber wo sind die Frau'n? Sie war'n net darin. Er hat ihnen ein Leid angethan, das ist sicher! Und statt ihnen zu Hülf' zu kommen, hab' ich beinah' eine Stund' versäumt mit Umweg und Forschung nach der Spur. Es muß 'was ganz Absonderlich's sein, sonst hätt' er net das Wagniß unternommen, heut, wo der Wald von Soldat'n wimmelt, gar mit dem Fuhrwerk der Gefahr zu trotz'n.«

Noch im Zweifel mit sich selbst, vernahm er jetzt ein lautes Rascheln, welches sich der Straße näherte. Einige Soldaten sprangen, als hätte er sie durch die soeben gemachte Erwähnung gerufen, über den Graben und traten, als sie ihn erblickten, mißtrauisch auf ihn zu.

»Wer da?«

»Gut' Freund! Kennt ihr mich denn net.«

Der Anrufende war einer von den Beiden, welche auf dem Bachhofe im Quartier lagen.

»Der junge Herr mit dem Pferd! Ist 'was am Zeug geriss'n?«

»Nein. Ich will noch zum Förster und mag mit dem Gaul doch net in den Wald; der Hafer sticht ihn heut, und er könnt' mir Dummheit mach'n. Ihr geht doch net nach dem Dorf?«

»Wir sind grad d'rüber. Soll ich das Pferd mitnehmen?«

»Ja. Sagt dem Vater, daß ich bald nachkomm'! Ist der Feldwebel gefund'n?«

»Nein. Den braucht Ihr net wieder durch's Fenster zu spedir'n!«

Sie gingen mit dem Braunen ab. Er konnte ihnen das Pferd getrost anvertrauen; seine Stärke hatte ihn in Respekt gesetzt, und die gute Pflege des Bachhofes war nach der unliebsamen Tanzaffaire das beste Mittel zur allmähligen Aussöhnung gewesen.

Er betrat den Holzweg, welchem er folgte, ohne etwas Auffallendes zu bemerken. Auf der Zechenhalde angelangt, stieg er auf die gewöhnliche Weise in die Scheune; er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß dieser Ort mit dem Verschwinden der zwei Frauen in Verbindung stehe.

Als er einen von den mitgenommenen Harzäpfeln in Brand gesteckt hatte, gewahrte er eine kleine Blendlaterne, welche an einem Nagel hing.

»Er ist hier gewes'n und hat die Latern' zurückgelass'n, weil er sie net braucht. Mir ist's grad' recht, denn ohn' sie könnt' ich nix beginnen!«

Er brannte sie an und untersuchte nun das Innere der Scheune. Auf den ersten Blick schien Alles in dem gewöhnlichen Stande zu sein, doch bald fiel ihm ein Seilende auf, welches unter dem Heu hervorblickte. Er entfernte die Bündel und gewahrte nun, was ihm bei seinen bisherigen Besuchen dieses Ortes entgangen war: ein vollständiges Haspelwerk befand sich unter dem Heu und dabei ein Fahrstuhl, Beides vielleicht vor kaum einer halben Stunde in Gebrauch gewesen. Er sah sich um nach einer Spur von der Geliebten, einem Bande, einer Schleife, wie der Romanschreiber es so gern seinen Helden finden läßt; es war Nichts zu bemerken. Nun schaffte er die Haspel über das Mundloch, hing den Fahrstuhl ein, stieg auf und ließ sich hinab. Es ging schneller und sicherer als mit der primitiven und immerhin unzuverlässigen Vorrichtung, deren er sich das letzte Mal bedient hatte.

Unten angekommen, stand er schon im Begriff, in den Stollen einzubiegen, als er einen Laut vernahm, der sich aus der Tiefe des zweiten Schachtes hervorzuringen schien. Er kniete sich an der Oeffnung, welche er heut ebenso unbedeckt fand wie letzthin, nieder und rief hinab:

»Ist Wer da unt'n!«

Eine Antwort erfolgte, deren Laute er nicht zu unterscheiden vermochte.

»Martha!«

Er legte das Ohr auf den Boden, und jetzt war es ihm, als ob er seinen Namen rufen höre. Nun leuchtete er hinab und entdeckte zwei eiserne Haken, aber die Fahrt, welche an ihnen befestigt gewesen war, fehlte. Wenn die Frauen wirklich unten waren, wie hatte der Feldbauer sie hinabgebracht? Er schritt ein Stück in den Stollen hinein, um irgend einen Anhalt zu finden, und hatte sich nicht getäuscht. Die vermißte Fahrleiter lag am Boden. Sie war entfernt worden, um den Gefangenen, die günstigen Falls nur einen Theil des Schachtes zu ersteigen vermochten, die Flucht abzuschneiden. Er hing sie ein, erprobte sorgfältig ihre Festigkeit und stieg dann hinab. Die Fahrt stieß an eine zweite, diese an eine dritte, und so kam er langsam aber ohne Aufenthalt immer weiter hinab, bis er ganz vernehmlich hörte:

»Frieder, bist's oder ein Andrer?«

»Martha, ich bin's!«

Ein Jubelruf erschallte, und als er den Boden unter sich fühlte, schlangen sich zwei Arme um ihn, und zwei warme Lippen küßten ihn immer und immer wieder ohne Unterlaß.

»Ich hab Deinen Wink gesehn und darum gewußt, daß Du kommen werd'st!« Dann verließen sie ihre bis auf das Aeußerste angespannten Kräfte; sie sank auf den feuchten, moderigen Boden nieder neben der regungslosen Mutter, welche von sich und dem, was bei ihr geschah, nicht das Mindeste zu wissen schien.

Er untersuchte sie. Sie lebte, aber ihr Puls ging kaum bemerkbar, und alle an sie gerichteten Worte hallten erfolglos an ihr Ohr.

»Martha, wie seid Ihr herabgekommen?«

Sie konnte unter dem jetzt ausbrechenden Schluchzen nicht antworten.

»Wein' net, Martha, sondern sei stark um der Mutter will'n, sonst weiß ich net, was ich mit Euch beginnen soll!«

Sie faßte sich mit Gewalt.

»Er sagt', wir wollt'n verreis'n, und gebot, Speis' mitzunehmen für zwei Tag', hier liegt sie neb'n der Mutter in dem Tuch'. Dann sind wir gefahr'n, bis es dunkel war und wir vor der Zech' hielt'n. Da hat er die Scheun' geöffnet und uns hineingestoß'n. Was nun gefolgt ist, kann ich net erzähl'n. Wir wollt'n net hinab, bis er das Messer zog und uns die Wahl ließ zwisch'n Gehorsam oder Tod. Von da an hat die Mutter keinen Laut gethan und ist wie todt gewes'n bis jetzt. Ich hab' dann in dem furchtbar'n Loch herniedersteigen müss'n, und die Mutter hat er sich auf den Rück'n gebund'n und herabgetrag'n. Dann ist er wieder hinauf und hat gesagt, daß er morg'n wiederkommen werd'. Ich hab' erst bei der Mutter geleg'n und geweint, daß mir der Athem verging; dann mußt' ich an Dich denk'n, Frieder, und ich hab' die Händ' gerungen und gebetet, daß der liebe Gott Deine Schritt' herbeilenk'n mög', damit Du uns findest und befrei'st.«

»Er hat sie gelenkt, Martha, und nun laß' ich Dich net wieder von mir fort, damit Du net wieder in die Hand des Wütherich geräth'st, der kein Gefühl und kein Erbarmen kennt. Er hat Angst gehabt, daß Du plaudern mög'st, und Euch deshalb gefangen genommen. Aber das soll die letzt' Kart' sein, die er spielt; sobald er zurückkehrt, ist's mit ihm aus, und wenn der liebe Gott vom Himmel käm', um Gnad' von mir zu erflehn. Ich hab' ihm Verzeihung geben woll'n; er aber hat sie verschmäht, den Vater verhöhnt und Dich mißhandelt und gar mit dem Messer bedroht. Das ist der Punkt in mir, mit dem net zu spaß'n ist. Er hat mit der Sünd' gespielt, und sie mag ihn verschlingen!«

Er leuchtete in dem Raume umher.

»Wie nun, wenn hier die böse Luft vorhand'n wär'? Dann lägst' todt mit der Mutter hier, und ich – Martha, ich riß' ihm jedes Glied stückweis' vom Leib herunter! Komm herauf; ich kann Dich keine Minut' länger hier unt'n sehn!«

Die Fahrt war noch fast neu. Der Waldkönig hatte sie jedenfalls nicht längst erst angefertigt, und man konnte sich ihr unbesorgt anvertrauen. Die Furcht vor dem Messer des Vaters hatte Martha die Kraft gegeben, den gefährlichen Weg zurückzulegen; jetzt stärkte sie das Vertrauen auf die Nähe des Geliebten. Von ihm unterstützt, gelangte sie hinauf in den Stollen. Er ließ sie hier auf kurze Zeit allein und kehrte zur Mutter zurück. Was der Feldbauer vermocht hatte, mußte auch ihm gelingen; er brachte die Besinnungslose wohlbehalten empor. Sie schlug für einen kurzen Augenblick die Lider empor; ihr Blick fiel auf zwei geliebte Gesichter, ein müdes Lächeln ging über ihre bleichen Züge, dann schloß sie die Augen wieder. Frieder zog seine Jacke aus und legte sie ihr unter den Kopf.[478]

»Wir dürf'n sie net allein lass'n; das Loch ist in der Näh'. Getraust' Dich, ein paar Minut'n hier im Finstern zu sein, bis ich wiederkehr', Martha?«

»Es ist so schaurig hier unter der Erd', Frieder. Mußt' denn fort?«

»Ja. Ich muß den Buschwebel such'n.«

»So denkst', auch der ist hier?«

»Ja, wenn er noch lebt. Ich geh an die Höhl', von der ich Dir und den Eltern erzählt habe. Hier hast' Zündholz und Harzäpfeln; sie reich'n vielleicht, bis ich wiederkehr'.«

»Frieder, geh net fort! Ich hab so Angst, daß Dir 'was Böses begegnet.«

»Sei ohne Sorg'. Ich bin heut ganz sicher!«

Er hob die Fahrt wieder aus und legte sie an dieselbe Stelle, wo er sie gefunden hatte; dann folgte er dem Stollen. Dabei beeilte er sich so viel wie möglich, um die Geliebte nicht lange in der Ungewißheit zu lassen. Auf der ganzen Strecke fand er nichts Bemerkenswerthes; an der Mauer angekommen, schob er einen der Riegel zurück; sie folgte seinem Drucke, und er schlich sich an die jetzt wohl verschlossene Thür des Gefängnißraumes. Eine Kette klirrte im Innern. Er durfte den Gefangenen nicht befreien, weil dessen Abwesenheit den Verdacht der Schmuggler erregen konnte, und ebenso wenig wollte er mit ihm sprechen, bevor alle Maßregeln zur Ergreifung der Verbrecher getroffen waren. Eine Unvorsichtigkeit des Buschwebels konnte Alles vereiteln. Aber wissen mußte er doch, wer der Gefangene sei. Er führte einen einzigen, raschen Schlag gegen die Thür.

»Wer ist drauß'n? Macht auf! Ich hab's ja taus'ndmal geruf'n und gebrüllt, daß ich den Spion mach'n will, wenn Ihr mich net hängt!«

Er hatte genug gehört. Es war die Stimme des Buschwebels, und seine Worte enthielten eine kurze aber deutliche Beschreibung dessen, was er während seiner Gefangenschaft erfahren hatte. Er kehrte in den Vorrathsraum zurück, schob den Riegel vor und eilte zu Martha.

»Wie lang bist' fortgeblieb'n, Frieder! Ich hab viel Furcht gehabt; das Licht hat net gelangt und die Mutter ist wie todt. Ach Gott, was wird noch All's geschehn!«

»Hab gut'n Muth, Martha! Schau, hier ist der Fahrstuhl. Zusammen können wir net empor; hernieder ist's leichter gewes'n. Die Mutter muß zuerst hinauf. Willst' wart'n?«

»Ja.«

Er legte die Bäurin in den Stuhl, stieg selbst hinein und zog an. Oben angelangt, bettete er die Besinnungslose auf das weiche Heu und kehrte zurück, um auch Martha heraufzubringen. Trotz seiner Stärke fühlte er sich ermüdet. Er mußte sich ausruhen, ehe er daran ging, das Innere der Scheune wieder in Ordnung zu bringen. Als dies geschehen war, öffnete er den Laden und half dem Mädchen hinaus. Dann reichte er ihr die Mutter zu, deren bewußtloser Zustand Alles ungemein erschwerte, und folgte nun selbst nach.

»Gott sei Dank; jetzt nun erst ist's glücklich vorüber. Komm' nach dem Bachhof, Martha!«

»Soll ich net nach Haus', Frieder?«

»Nie wieder, und heut erst ganz und gar net. Der Bauer muß denk'n, Ihr seid noch immer im Schacht, und damit er die Befreiung net erfährt, darf Euch kein Mensch sehn, bis All's zu End' gegangen ist.«

Er hob die Feldbäuerin empor, nahm sie in die Arme wie ein Kind, und stieg, gefolgt von der Geliebten, mit ihr den Berg hinab. Glücklich und ungesehen in der Nähe des Bachhofes angelangt, blieb er halten, um für einen Augenblick zu verschnaufen; da tauchte eine in einen Mantel gehüllte Gestalt vor ihm auf, der Hahn einer Pistole knackte, und eine befehlende Stimme gebot:

»Halt, steh! Wer seid Ihr?«

Frieder erkannte den Lieutenant, welcher eine ganz besondere Veranlassung haben mußte, hier so nahe am Dorfe und in eigener Person Patrouillendienst zu verrichten.

»Der Bachbauer, Herr Lieutenant. Hab'n Sie ein wenig Zeit?«

»Vielleicht. Warum?«

»Bitt', kommen Sie mit herein in den Hof. Ich hab' Ihnen Wichtig's mitzutheil'n!«

»So! Wer ist das Frauenzimmer und wen haben Sie hier auf dem Arme?«

»Das werd'n Sie drin erfahr'n; hier ist net der Ort dazu.«

»So gehn Sie voran; ich werde folgen!«

Die Bachbäuerin schlug vor Verwunderung die Hände über dem Kopfe zusammen, als sie die Kommenden bemerkte.

»Du lieber Herrgott, Frieder, wen bringst' denn da?«

»Die Martha mit ihrer Mutter, die ganz von Besinnung ist. Thu' sie schnell ins Bett, und schick den Knecht mit dem Wag'n in die Stadt zum Doktor! Aber er und Niemand als wir darfs wiss'n, daß sie und der Herr Lieutenant hier sind!«

Seinem Gebote wurde sofort Folge gegeben. Der Knecht fuhr schleunigst nach der Stadt, nicht anders glaubend, als der Bachbauer sei plötzlich unwohl geworden; die Kranke wurde in weiche Federn gebettet, und Martha ließ es sich nicht nehmen, bei ihr zu bleiben. Die Andern aber sahen mit Ungeduld den Aufklärungen entgegen, welche sie von Frieder zu erwarten hatten. – – –[492]

Quelle:
Der Waldkönig. Eine Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl May. In: All-Deutschland! 3. Jg. 1879. Heft 11–16. Stuttgart (1879). Nr. 31, S. 492-493.
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Der Waldkönig
Der Waldkönig - Erzählungen aus den Jahren 1879 und 1880 (Reprint der Karl-May-Gesellschaft)

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