2.

[286] Es war zwölf Uhr des Nachts. Im Douanenhaus zu St. Goar saß der Lieutenant Jambrieu bei der Lampe und schrieb an einem Berichte, welchen er morgen in der Frühe an seine Vorgesetzten nach Bacharach abgehen lassen wollte. Das Schreiben ging ihm heute gar nicht recht aus der Hand; seine Gedanken waren alle auf der Niedermühle, wo es ja Eine gab, die dem leckeren Franzosen in die Augen gestochen hatte.

»Morbleu!« murmelte er, die Feder zur Seite legend, »ich bringe partourt keinen gescheidten Satz fertig, weil mir das verteufelte Mädchen im Kopfe liegt. Ich bin so nervös und unruhig. Sollte das vielleicht eine Ahnung sein? Ich habe gehört, sie schamerirt mit dem Franz aus der Obermühle. Vielleicht steckt sie grad jetzt mit ihm in einer Ecke und läßt sich das rothe Mäulchen von ihm küssen. Wenn ich so Etwas bemerkte, ich stäche dem armseligen Coion den Degen durch den Leib! Coion, ja, so hat der Kaiser gesagt und so ist es auch wahr; Coions sind sie alle, diese Deutschen, und Brigands und Spitzbuben dazu, welche zu ganzen Schaaren und Banden den Schmuggel betreiben, ohne daß man ihnen beikommen kann!«

In diesem Augenblicke hörte er eilige Fußtritte dem Hause nahen, und einige Secunden später trat ein langer, hagerer Mann in das Zimmer, dem der Schweiß in großen Tropfen auf Stirn und Mund stand.

»Verzeihung, Herr Lieutenant, daß ich so spät störe,« entschuldigte er sich; der Angeredete ließ ihn aber den beabsichtigten Satz nicht beginnen, sondern erwiderte, sich erhebend, mit dem Tone eines Gönners:

»Ihr seid es, Niedermüller? Ihr stört mich nicht und wenn Ihr mitten in der Nacht mich aus dem Schlafe weckt! Was führt Euch zu mir? Ihr seid ja ganz außerordentlich echauffirt!«

»Es ist auch die Sache darnach, Herr Lieutenant, und ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht so gelaufen wie jetzt, um noch zur rechten Zeit zu kommen!«

»Zur rechten Zeit? Diable! Das klingt ja fast, als hättet Ihr mir eine wichtige Botschaft zu bringen. Setzt Euch und sprecht!«

Der Müller nahm auf dem dargebotenen Stuhle Platz und begann:

»Sie kennen den Obermüller, Herr Lieutenant?«

»Ja.«

»Und seinen Sohn, den Franz?«

»Auch ihn. Warum fragt Ihr?«

»Sie wünschen die Schmuggler zu fangen, die Ihnen bisher so geschickt entgangen sind?«

»Ob ich will? Sacre nom du dieu, ich habe keinen heißeren Wunsch, als sie einmal auf frischer That zu ertappen. Sie schaffen nun seit Jahren die kostbarsten Waaren im Werthe von vielen tausend Franks über die Grenze, ohne daß es gelungen ist, ihrer habhaft zu werden. Aber was hat dies mit dem Obermüller zu thun?«

»Er ist ein Mitglied der Bande oder gar ihr Anführer.«

»Helas! Ist das möglich! Woher wißt Ihr es?«

»Das sollen Sie gleich hören! Schon seit einiger Zeit habe ich bemerkt, daß die Anna zu einer gewissen Abendstunde in den Garten geht; es ist mir aufgefallen, und ich beschloß, ihr einmal nachzugehen, um zu sehen, was sie zu so ungewöhnlicher Zeit da draußen zu thun habe. Heut' bin ich ihr nachgeschlichen, und was denken Sie, was ich gesehen habe?«

»Nun?«

»Sie stand mit dem Franz am Zaune, und verhandelte allerlei ungereimte Dinge mit ihm. Ich stand schon im Begriffe, mich zu erkennen zu geben, als er von ihr den Schlüssel zu meinem Kahn verlangte, auf welchem ich den jenseitigen Kunden das Mehl zu bringen pflege.«

»Weiter, weiter!« drängte der Douanenoffizier.

»Weiter? Ich bin fertig. Das Uebrige können Sie sich denken!«[286]

»Denken? Hm, ja. Also der Franz schamerirk mit Eurer Tochter. Das habe ich mir schon längst gedacht! Ich hoffe aber, daß – – –«

»Keine Sorge, Herr Lieutenant! Nun ich weiß, was hinter meinem Rücken vorgeht, werde ich dafür Sorge tragen, daß es nicht wieder geschieht.«

»Natürlich! Aber Ihr könnt doch unmöglich mit Eurer Geschichte fertig sein?«

»Ich bin fertig, denn das Andre hat für Sie kein Interesse,« meinte der vorsichtige Müller, welcher seine Tochter nicht in Gefahr bringen wollte. »Nur das habe ich zu sagen, daß der Bursche mit meinem Kahn hinüber ist; sein Vater fuhr später auch ab, und etwas weiter unten bemerkte ich ebenfalls einige Boote, welche vorsichtig hinüber steuerten. Man hatte die Ruder mit Lappen umwunden. Es gilt jedenfalls ein Unternehmen, und ich bin daher Hals über Kopf nach St. Goar gelaufen, um Ihnen Nachricht davon zu bringen.«

»Ich danke Euch, Niedermüller; es wird Euer Schade nicht sein!« antwortete Jambrieu und begab sich nach der Thür, um den im Vorraume befindlichen Zollwächter herbei zu rufen. Nachdem er diesem die nöthigen Befehle ertheilt hatte, schnallte er sich den Degen fester, steckte die geladenen Pistolen bei und warf den Mantel über.

»So, jetzt bin ich armirt, und nun allons, Niedermüller, Ihr geht ruhig nach Hause; es braucht Niemand zu wissen, wem ich die Kunde verdanke; ich aber begebe mich nach dem rendez-vous, an welchem ich meine Leute erwarten werde.«

Die beiden Männer verließen das Haus und schritten am Ufer abwärts, bis sie die Stelle erreicht hatten, wo nach der Aussage des Niedermüllers Franz mit dem Boote abgestoßen war. Der Erstere verabschiedete sich hier, um nach seiner Wohnung zu gehen, der Lieutenant aber begab sich nach einer in der Nähe liegenden Stelle, wo er bereits einige seiner Untergebenen vorfand, welche er durch den schnell abgesandten Boten an diesen Ort befohlen hatte. In kurzer Zeit stießen noch Mehrere hinzu, und bald waren die Wächter in einer Anzahl versammelt, welche genügend war, auch einen größeren Trupp, als die Schwärzer gewöhnlich zu bilden pflegten, siegreich in Empfang zu nehmen.

Der Offizier vertheilte seine Leute nach ab- und aufwärts in einer Weise, daß eine bedeutende Strecke des Stromes von ihnen beobachtet werden und ihre Vereinigung auf das gegebene Zeichen doch leicht und schnell erfolgen konnte, und bald lag tiefe Stille auf der Gegend, welche in jedem Augenblicke der Schauplatz eines blutigen und erbitterten Kampfes werden konnte.

Die Zeit verging. Mitternacht war längst vorüber. Es schlug Eins und Zwei. Da endlich ließ sich unterhalb des Ortes, an welchen Jambrieu sich befand, ein klagender Unkenruf vernehmen. So rasch und geräuschlos wie möglich eilte er vorwärts und traf fast zu gleicher Zeit mit den Anderen bei dem Douanier ein, welcher das Signal gegeben hatte.

»Was giebt es, Sombrier?« frug er ihn. »Hast Du Etwas bemerkt?«

»Bücken Sie sich nieder, Herr Lieutenant,« lautete die Antwort, »daß Ihr Auge in gleicher Linie mit dem Wasser kommt, und blicken Sie hier hinüber!«

Der Offizier folgte der Weisung und suchte das nächtliche Dunkel in der Richtung zu durchdringen, welche ihm der erhobene Arm des Sprechers angab. Der leise, phosphorische Schimmer, welcher die Oberfläche des Wasser kennzeichnete, ließ einige schwarze Punkte erkennen, welche auf dem Strome sich bewegten und bei ihren Nahen sich mehr und mehr vergrößerten.

»Voilà, da sind sie! Tretet zurück; laßt sie ruhig aussteigen und die Boote befestigen. Dann aber rasch auf sie los!«

Er hatte sich in seiner Voraussetzung verrechnet; die Schmuggler waren klüger und vorsichtiger als er dachte. In sicherer Entfernung vom Ufer ließen sie die Boote halten, und bald zeigte ein leises Plätschern, daß Einer von ihnen in das Wasser gesprungen war, um an das Land zu schwimmen und daselbst zu recognosciren.

Mit kraftvollen Armen theilte er die Fluth, stieg leise und langsam die Dammböschung empor und blieb hier horchend stehen. Da klang ein leiser Ton durch die Nacht, so leise, daß er einem Anderen vielleicht entgangen wäre; er aber hatte ihn vernommen und griff zum Messer.

»Sacré,« murmelte Jambrieu zwischen die Zähne, »muß ich auch jetzt grad an den verteufelten Säbel stoßen! Ich werde dem Kerl den Rückzug abschneiden, damit er nicht zurück in das Wasser kann!«

Er hatte einen höchst unklugen Entschluß gefaßt. So leise er auch aufzutreten versuchte, der Schmuggler vernahm doch das Geräusch seiner Schritte und wandte sich nach dem Strome um. Jedenfalls war es seine Absicht, die Boote schwimmend wieder zu erreichen; er konnte sie aber nicht ausführen, denn noch hatte er keinen Fuß im Wasser, so fühlte er sich von dem Offizier gepackt und zurückgehalten.

»Zurück!« rief er mit laut schallender Stimme; »die Zollratten sind da!« und machte zu gleicher Zeit eine Anstrengung, von dem Lieutenant loszukommen.

Es gelang ihm nicht, denn es hatten sich zahlreiche Hände ausgestreckt, die ihn packten, und während er mit den überlegenen Gegnern rang, zog Einer derselben die geöffnete Blendlaterne unter dem Mantel her vor und ließ ihm den hellen Schein derselben in das Gesicht fallen.

»Der Franz,« rief es; »der Franz aus der Obermühle!« Und »Bindet ihn!« fügte der Offizier hinzu.[287]

Franz war erkannt; gelang es ihm nicht, zu entkommen, so war sein Loos die Galeere. Der starke Bursche fühlte bei diesem Gedanken seine Kräfte sich verdoppeln: wie der Löwe die Hunde, so schüttelte er die kleinen, schmächtigen Franzosen von sich ab; sie stürzten um ihn zur Erde, und nur Jambrieu hielt so fest, daß nicht von ihm loszukommen war.

»Laß los, Bonapartenpudel, sonst magst Du sehen, wie es Dir geht!«

»Meinst Du, Coion? Zeig' doch, was Du kannst!«

»Sollst's gleich sehen!« antwortete es.

Der blasse Schimmer einer blanken Messerklinge leuchtete auf den Offizier nieder; er stieß einen kurzen, schrillen Wehelaut aus, fuhr zuckend mit dem Armen in die Luft und brach dann zusammen.

Mit einigen Sprüngen brachte Franz sich aus dem Bereiche seine Feinde und war im nächsten Augenblicke in der Finsterniß verschwunden. Ein fernes Plätschern bewies, daß die Boote den Warnungsruf beachtet hatten und schleunigst davonruderten. Der erwartete Fang war den unachtsamen Häschern entgangen. – – –

Quelle:
Die Kriegskasse. Eine kleine Episode aus einer großen Zeit von E. Pollmer. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878). Nr. 19, S. 301.
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