Die beiden Kulledschi

Bekanntlich gibt es in Aegypten kein andres Trinkwasser als dasjenige, welches man aus dem Nile schöpft. Es ist so lau, daß man es vor dem Genusse abkühlen muß. Dies geschieht dadurch, daß man es in poröse Thongefäße füllt, durch deren Wände es langsam sickert. Die dadurch hervorgerufene Verdunstung bewirkt, daß es bedeutend frischer und also auch wohlschmeckender wird.


Topffloß auf dem Nil.
Topffloß auf dem Nil.

Diese Gefäße, welche entweder Krug- oder Flaschenform besitzen, werden in der Gegend von Kenneh und Ballas aus echtem thebaischem Thone gefertigt und nach dem letzteren Orte Ballasi genannt. Eine minderwertige Sorte kommt aus Semennud in Unterägypten und wird von betrügerischen Händlern zuweilen als echte Ballasi verkauft. Wer mit solchen Thongefäßen handelt, wird nach dem arabischen Worte Kulle, welches Wasserkrug bedeutet, Kulledschi genannt.

Kenneh und Ballas verschiffen jährlich Hunderttausende von Krügen, welche zuweilenauf Nilschiffe verladen werden, meist aber in Form von Flößen nach ihrem Bestimmungsorte gehen. Man fertigt zu diesem Zwecke aus Palmfaserstricken ein Netz, in dessen Maschen die Krüge befestigt werden. Sind mehrere Lagen übereinander geordnet, so fassen zwar die unteren Wasser, die oberen aber bleiben leer, so daß das Floß unmöglich sinken kann. Darüber werden Stangen gelegt und Matten gebreitet, um, wie unsre Abbildung zeigt, ein festes Deck zu gewinnen. Zuweilen bringt man sogar einen Mast mit Rahe und dreieckigem Segel an, um den Wind, falls er günstig weht, benutzen zu können.

Um beweisen zu können, daß ihre Ware eine echte ist und nicht etwa aus Semennud stammt, lassen sich die Händler, bevor sie Kenneh oder Ballas mit ihrem Floße verlassen, gewöhnlich von dem dortigen Schech el Belled (Ortsvorsteher) eine schriftliche Bescheinigung darüber geben, daß sie wirklich hier gewesen sind. Ob dies aber dem kaufenden Publikum hinreichende Sicherheit bietet, mag eine Geschichte zeigen, welche sich zur Zeit des noch heute in lebhaftem Andenken stehenden Mustapha Effendi ereignete.

Dieser Beamte, ein geborener Kurde, war Muchtessib in Kairo, ein Wort, welches man am besten mit »Marktmeister« übersetzt. Ein Muchtessib hat die Läden zu revidieren und die Händler zu beaufsichtigen, damit jeder Käufer das richtige Maß und Gewicht erhalte und die Ware nicht höher als zu dem vorgeschriebenen oder gebräuchlichen Preise zu bezahlen habe. Bei der bekannten Bestechlichkeit orientalischer Beamten ist dieses Amt meist nur vorhanden, um den Träger desselben reich zu machen; Mustapha Effendi aber machte eine rühmenswerte Ausnahme; er erfüllte seine Pflicht mit großer, oft allzu großer Strenge und hätte gewiß jeden Versuch, ihn zu bestechen, auf das härteste bestraft. Er durchwanderte vom Morgen bis zum Abend die Gassen und Plätze der Stadt, durchkroch alle Läden und Winkel und zeigte dabei einen Blick, dessen Schärfe nicht das Geringste zu entgehen vermochte. Nie war er allein; es folgten ihm stets mehrere Polizisten, welche diejenigen Gegenstände trugen, deren er zur Ausübung seines Amtes bedurfte. Das war eine Wage, ein Hohl- und ein Längenmaß und – mit Respekt sei es gesagt – ein vollständiger Apparat zur Applikation der Bastonnade. Mustapha Effendi hatte nämlich nicht nur die Pflicht, die Sünden der Verkäufer zu entdecken, sondern er besaß auch das Recht, dieselben augenblicklich zu bestrafen. Dabei war die Bastonnade nicht etwa sein einziges Züchtigungsmittel, o nein! er hatte sich vielmehr durch das Auffinden der verschiedensten und meist originellsten Bestrafungsarten geradezu berühmt gemacht. Seine beiden Haupteigenschaften waren eine echt kurdische Unerbittlichkeit und eine Schlauheit, mit welcher er den größten Pfiffikus endlich doch einmal besiegte.

Ein solcher Pfiffikus war Sadok Omar, der Kulledschi. Die Wasserkrüge, welche er verkaufte, trugen alle das Zeichen der echten Ballasi; es war erwiesen, daß er sie aus Ballas holte; er vermochte die Zeugnisse des dortigen Schech el Belled vorzuzeigen, und doch war der Muchtessib überzeugt, daß diese Krüge nicht aus Ballas, sondern aus Semennud stammten. Der Ton, welchen sie beim Klopfen von sich gaben, war nicht derjenige der echten Ballasi; aber dies reichte nicht aus, Sadok Omar des Betruges zu überführen.

Neben diesem Händler wohnte ein andrer Kulledschi, Selim Ben Nuba genannt, weil er ein dunkelfarbiger Nubier war. Aus der fernen Heimat nach Kairo gekommen, war er mehrere Jahre Diener bei einem fränkischen Konsul gewesen und hatte sich so viel erspart, daß er einen Ballasihandel beginnen konnte. Da er ehrlich war, brachte er es nicht zu dem Gewinne seines Nachbars Sadok Omar, welcher seine billige unechte Ware zu dem hohen Preise der echten verkaufte und sich dennoch außerordentlich darüber ärgerte, in dem Nubier einen so nahe wohnenden Konkurrenten bekommen zu haben. Er haßte den letzteren und that sein möglichstes, ihm Schaden zu bereiten und ihn geschäftlich zu ruinieren. Dies wollte ihm aber nicht gelingen, denn Selim Ben Nuba war infolge seiner Ehrlichkeit ein Liebling des Muchtessib, der ihn zwar nicht begünstigte, aber doch mit offenen Augen über ihn wachte. Dies erschütterte Sadok Omars Geduld in der Weise, daß er beschloß, seinen Zweck durch einen Handstreich zu erreichen.

Er pflegte nämlich seine Krüge in Semennud zu kaufen, und in dem Ballastraume eines Sandals (Nilschiffes) hinauf nach Ballas zu bringen. Dort wurden sie des Nachts ausgeladen und zu einem Floße verbunden, um nach Kairo gebracht zu werden. Da ihnen das Zeichen der echten Ballasi eingedrückt war und der Schech el Belled die Bescheinigung darüber, daß Sadok Omar hier gewesen sei, nicht verweigern konnte, so hatte der letztere niemals des Betruges überführt werden können. Neben diesem Geschäft betrieb Sadok Omar noch ein andres, nicht minder verwerfliches – die Schmuggelei. So oft er in Semennud unechte Krüge verlud, versteckte er in die untersten derselben allerhand abendländische Artikel, welche in Damiat heimlich an das Land gekommen waren und von ihm mit nach Ballas genommen wurden, wo er gegen hohen Gewinn sofortigen Absatz fand. Infolge dieses Gewinnes hatte er es soweit gebracht, Besitzer des Sandals zu werden, während der Reïs (Kapitän) desselben offiziell als der Eigentümer des Schiffes galt.

Jetzt nun hatte Sadok Omar den Plan, unechte Krüge, welche auch das Zeichen der unechten trugen, zu kaufen und sie Selim Ben Nuba in die Hände zu spielen. Er hatte erfahren, daß dieser im nächsten Monate nach Ballas gehen wolle, um ein Ballasifloß zu holen, und das gab ihm die Gelegenheit, sein Vorhaben auszuführen. Er ging also nach dem Hafen von Bulaq, um den Befehl zu erteilen, daß man den Sandal segelfertig machen solle. Eben als er auf dem Kleindecke des Schiffes stand und mit dem Reïs sprach, kam der Muchtessib Mustapha Effendi mit vier Polizisten über die nahe Brücke gegangen. Er sah den Kulledschi, blieb stehen und sagte zu einem der Polizisten:

»Siehst du Sadok dort auf dem Sandal? Diesem Spitzbuben war noch niemals beizukommen. Was mag er auf dem Schiffe wollen? Du bist klug; eile heim; kleide dich wie ein Matrose an und begieb dich dann zum Reïs des Schiffes, um ihm deine Dienste anzubieten. Vielleicht gelingt es dir, zu erfahren, welche Absicht diesen Sadok Omar nach dem Hafen getrieben hat.«

Das war am Nachmittage. Abends kam der Polizist zu seinem Gebieter, um ihm zu melden:

»Effendi, ich muß mit nach Semennud; gieb mir die Erlaubnis dazu, wenn du den Kulledschi fangen willst!«

»Alles, alles erlaube ich dir, falls du ihn nur fängst,« antwortete der Muchtessib schnell. »Was hast du erfahren?«

»Sadok Omar geht nach Semennud, um Töpfe zu kaufen. Der Reïs brauchte[696] einen Matrosen und hat mich angeworben. Darf ich mit, so werde ich jedenfalls vieles erfahren, was uns bisher verborgen blieb.«

»Natürlich mußt du mit, ganz natürlich! Ich danke Allah für die Aussicht, diesen listigen Schakal endlich einmal fangen zu können. Wehe ihm, wenn er mir in die Hände läuft! Er soll die Scherben aller seiner Töpfe schmecken!«

Der Polizist wurde mit den nötigen Verhaltungsmaßregeln ausgerüstet und verließ am andern Morgen mit dem Sandal Bulaq, den Hafen von Kairo. Sadok Omar, der Kulledschi, befand sich auch an Bord. Er hatte seinen Laden unter die Aufsicht eines Gehilfen gestellt. Von da an wartete Mustapha Effendi mit großem Verlangen auf die Rückkehr seines Untergebenen. Diese erfolgte nach ungefähr drei Wochen. Er meldete, daß in Semennud über fünfhundert große Thonkrüge in den Raum geschafft worden seien. Bei dieser Arbeit war er nicht mit beschäftigt gewesen, und so wußte er nicht, daß eine bedeutende Anzahl dieser Krüge mit ausländischen, unverzollten Artikeln angefüllt wurden. Den übrigen Platz hatte man zum Transporte gewöhnlicher Waren, welche noch heute in Kairo ausgeladen werden sollten, benutzt. Morgen früh sollte der Sandal dann flußaufwärts nach Ballas segeln.

»Mit den unechten Töpfen nach Ballas?« meinte der Effendi. »Hier liegt der Punkt, an welchem Sadok Omar zu fassen sein wird, und zwar werde ich selbst ihn bei dem Schopfe nehmen. Ich fahre schon heute mit einem Regierungs Noqer (kleiner Schnellsegler) voran, um den Sandal in Ballas zu beobachten und abzufangen. Du segelst natürlich mit dem Kulledschi. Ich verkleide mich und lege die Tracht eines Fellah an; dennoch wirst du mich leicht finden, denn der Ort ist klein, und ich werde danach trachten, dir heimlich zu begegnen.«

Es bedurfte nur eines Befehles von Mustapha Effendi, so stand der Noqer ihm zur Verfügung. Als er sich nach einigen Stunden nach dem Hafen begab, um an Bord zu gehen, sah er Selim Ben Nuba, den armen, ehrlichen Kulledschi, welcher suchend längs des Ufers ging.

»Was willst du hier finden, mein Sohn?« fragte der sonst so grimmige Mann freundlich. »Erwartest du neue Ware?«

»Nein, o Effendina,« antwortete der Gefragte mit einer tiefen Verneigung. »Ich suche ein Schiff, mit welchem ich morgen nach Ballas gehen kann, um Krüge einzukaufen.«

»Du darfst mit mir fahren, und zwar ohne zu bezahlen. Eile heim, dein Haus zu bestellen! In einer Stunde segelt der Noqer, welchen du da vor uns liegen siehst, ab. Aber sei verschwiegen. Niemand darf wissen, daß wir bei einander sind und welches Ziel wir haben.«

Das war eine Ehre, welche der Nubier wohl zu schätzen wußte. Er ging schnell nach seiner Wohnung, um sich zur Reise vorzubereiten, und trachtete dann, möglich unbeobachtet an Bord zu kommen. Kurze Zeit später entfaltete der »Noqer« seine beiden Segel und richtete den scharfen Bug gegen die gelben Wasser des Nils, um nach mehrtägiger Fahrt in Kenneh anzulegen. Dort sollte er vor Anker bleiben, um nicht in Ballas gesehen zu werden. Mustapha Effendi hatte einen weißen Haïk angelegt, dessen Kapuze er über den Kopf zog. Er stieg mit Selim Ben Nuba aus, um sich über den Nil nach Ballas rudern zu lassen, wo er sich, da man ihn nicht kannte, für einen Verwandten Selims ausgab. Dieser letztere kaufte über fünfhundert echte Ballasi und dazu die billigen Palmfasernetze, welche zur Herstellung des Floßes nötig waren. Diese Ausgabe verschlang die ganze Barschaft, welche er besaß. Er wollte das Floß, welches auf die einfachste Weise hergerichtet wurde, wie gewöhnlich ganz allein nach Kairo steuern, doch kaufte der Effendi ihm Matten zur Bedeckung der Krüge und sogar einen Mast mit dem gebräuchlichen Seil- und Segelwerke.

Noch während Selim Ben Nuba mit Hilfe einiger Fellahs an der Zusammensetzung des Floßes arbeitete, kam der Sandal seines Nachbars an und legte sich ganz in der Nähe vor Anker; dennoch würdigte Sadok Omar den Nubier keines Grußes und scheinbar selbst nicht einmal eines Blickes. Er war übrigens fast reich gekleidet, während Selim der herrschenden Hitze halber und auch aus Sparsamkeitsrücksichten nur den hier gebräuchlichen Lendenschurz trug. Der Effendi hatte sich am hohen Ufer ganz einsam unter einen Akazienstrauch gelegt, von welchem aus er alles leicht und gut beobachten konnte.

Sadok Omar verließ das Schiff, um mit seinem hiesigen Geschäftsfreunde über den Preis und die Uebergabe der Schmuggelwaren zu verhandeln. Die Bemannung des Sandal ging auch von Bord, um ein Kaffeehaus aufzusuchen. Der als Matrose verkleidete Polizist sonderte sich von ihnen ab, denn er hatte seinen Effendi bemerkt, mit dem er sprechen mußte. Er stieg zu ihm hinauf und meldete:

»Herr, ich habe nun alles erfahren, mehr, weit mehr, als ich erwarten konnte. Ich schmeichelte mich bei Sadok Omar ein, und er hat mir sein Vertrauen geschenkt, weil er mich für einen eben solchen Menschen hält, wie er selbst einer ist. Er hat mich als Harrabi (Schmuggler) in seinen Dienst genommen.«

»Als Harrabi?« fuhr der Muchtessib auf. »Er schmuggelt sogar?«

»Ja. Er hat viele Krüge voll zollpflichtiger Waren an Bord, und ich soll heut abend beim Ausladen derselben helfen. Wenn wir damit fertig sind, werden die Flöße umgewechselt.«

»Die Flöße? Welche?«

»Wir haben unechte Krüge auf dem Schiffe; Selim Ben Nuba aber hat echte gekauft. Unsre Krüge sind von derselben Größe wie die seinigen. Wir können also ein Floß bauen, welches ganz genau dem seinigen gleicht. Dann schaffen wir in der Dunkelheit seine Matten, seinen Mast und sein Segel auf unser Floß und hängen dieses an diejenige Uferstelle, an welcher jetzt sein Floß angebunden ist. Er wird nichts bemerken und mit den unechten Krügen nach Kairo fahren. Er kann erst dort den Umtausch erfahren und hat nur die Wahl, die Krüge entweder als Ballasi oder ehrlich als unechte zu verkaufen. Im ersteren Falle zeigt ihn Sadok Omar bei dir an, und in letzterem hat er einen Verlust, an welchem Falle er zu Grunde gehen muß; in beiden Fällen ist er verloren.«

Da sprang Mustapha Effendi vom Boden auf, ballte beide Fäuste und rief ergrimmt:

»Wallahi mahul – bei Gott, das ist entsetzlich! Kann es solche Menschen geben? Dieser ehrliche Nuba soll betrogen, ja, soll zum Verbrecher gestempelt werden? Und meiner, meiner will man sich bedienen, ihn zu vernichten! Vorher aber will ich ein Wort mit dem Bösewicht sprechen, und was für ein Wort! Er dünkt sich seiner Sache sicher, denn er weiß, daß wegen der Gefahr der Augenentzündung am Nil kein Mensch im[697] Freien schläft; darum meint er, daß Selim Ben Nuba sich während der Nacht nicht auf seinem Floße befinde und dieses also unbewacht sein wird. Aber er soll sich irren. Wann will er von hier abfahren?«

»Mit dem echten Floße morgen früh, nachdem er die Bescheinigung erhalten hat, daß er hier gewesen ist. Der Sandal aber geht schon vorher nach Kairo zurück.«

»Gut! Um ihn desto strenger bestrafen zu können, lasse ich ihm Zeit, sein Vorhaben vollständig auszuführen; dann aber ist er mir verfallen. Du wirst ihn bedienen, bis alles beendet ist. Jetzt kannst du gehen. Man soll uns nicht länger bei einander sehen.« –

Selim Ben Nuba hatte sein Floß bis zum Anbruch des Abends fertig gebracht; dann begab er sich in die Hütte eines Fellah, der ihm geholfen hatte, um dort zu schlafen. Einige Zeit später entwickelte sich am Wasser ein geheimnisvolles, aber lebhaftes Treiben. Krüge und Netze wurden aus dem Schiffe an das Ufer gebracht, um dann zu einem Floße vereinigt zu werden, welches mit demjenigen des Nubiers vertauscht wurde. Dann mußten alle Matrosen sich in den Sandal zum Schlaf begeben. Nur zwei durften wach bleiben, nämlich der verkappte Polizist und noch einer, dem Sadok Omar sein Vertrauen schenkte. Diese beiden mußten die Schmuggelwaren in Tücher binden und zu dem Tadschir (Kaufmann) tragen, für welchen sie bestimmt waren. Dann wurden auch sie auf das Schiff geschickt, denn sie sollten nicht zugegen sein, wenn Sadok Omar das Geld in Empfang nahm. Es war ein erkleckliches Sümmchen, welches ihm in ägyptischen goldenen Pfunden ausgezahlt wurde. Er steckte sie in einen Lederbeutel, verabschiedete sich von seinem Geschäftsfreunde und kehrte nun auch nach dem Flusse zurück. Bevor er den Sandal bestieg, ging er auf das Floß, dessen echt Krüge er gegen seine unechten umgetauscht hatte, hob an einer Stelle die Decken und Matten empor und versteckte den Beutel mit dem Golde in den darunter befindlichen Krug, wobei er murmelte:

»Das ist heimlich verdientes Geld und muß auch heimlich aufbewahrt werden. Man weiß nicht, was geschehen kann; Allah allein ist allwissend.«

Nun erst begab er sich auf das Schiff, um unter dem Hinterdeck desselben sich schlafen zu legen. Als er erwachte, war die Zeit der Morgenröte nahe. Er mußte den Sandal verlassen, da dieser bald absegeln sollte, während er auf dem Floße, wo, wie schon erwähnt, sein Geld versteckt war, nachfolgen wollte. Schon setzte er den Fuß auf das Landungsbrett, als er draußen vor demselben mehrere bewaffnete Männer stehen sah, deren einer ihm zurief:

»Schon wach, Kulledschi? Hat dich das böse Gewissen aufgeweckt? Das ist mir lieb, da ich mit dir zu sprechen habe.«

Der Sprecher kam, gefolgt von den andern, über das Brett gegangen. Sadok Omar stand schon im Begriff, eine zornige Antwort zu geben, da erkannte er im Näherkommen das Gesicht des Mannes und rief erschrocken aus:

»Allah kerihm! Das ist ja Mustapha Effendi, der Muchtessib von Kahira!«

»Ja, der bin ich,« donnerte ihn der Genannte an. »Du hast deine Rolle ausgespielt, du Schmuggler und Betrüger!«

»Schmuggler? Betrüger? Effendi, wer hat mich bei dir verleumdet? Wer ist's gewesen, der – – –«

»Schweig!« unterbrach ihn der Beamte. »Sage mir, wem dieses Schiff gehört! Aber lüge nicht, sonst laß ich dich zur Dschehenna fahren! Ist es dein Eigentum?«

»Ja – es – gehört – mir,« stammelte der eingeschüchterte Kulledschi.

»Nein, es gehört nicht dir, sondern dem Khedive, für den ich es hiermit in Besitz nehme, da es Schmuggelwaren enthalten hat. Und wem gehört das Floß hier nebenan?«

»Auch mir.«

»Nein, sondern dem ehrlichen Selim Ben Nuba, der hier hinter mir steht; sein sind die echten Krüge, welche du umgetauscht hast. Dir gehört das zweite Floß mit den Krügen aus Semennud, deren Scherben du schmecken wirst, wie ich mir vorgenommen habe.«

Sadok Omar wollte leugnen; da rief der Effendi den Polizisten auf, welcher alles erzählte. Gegen einen solchen Zeugen war nicht aufzukommen. Der Kulledschi sah sich gezwungen, ein Geständnis abzulegen, zumal seine eigenen Leute, um nicht selbst bestraft zu werden, gegen ihn aussagten. Die Folge davon war der eigentümlichen Individualität des Effendi angemessen eine außerordentlich drastische.

Ueber das Schiff bestimmte er, daß es bis zur thatsächlichen Besitzergreifung hier liegen zu bleiben habe. Dann begab er sich mit allen aus dem Schlafe geweckten Bewohnern des Ortes zu dem Geschäftsfreunde, um ihn gefangen nach Kenneh zu liefern und die gepaschten Waren zu konfiszieren. Darauf verkündete er den Leuten mit lauter Stimme:

»Hört, ihr Männer von Ballas! Dieser Sadok Omar hat schlechte Krüge aus Semennud hierher gebracht, um sie als echte Ballasi zu verkaufen und den Ruhm eures Gewerbes zu schänden. Ich habe geschworen, daß er die Scherben seiner Krüge schmecken soll. Ich befehle also: Man binde ihn an einen Baum; man nehme sein Floß auseinander und werfe ihm die Krüge einen nach dem andern an den Leib, bis sie in Scherben zerbrechen. Ich bin Mustapha Effendi, der Muchtessib von Kahira, und wer mir nicht gehorcht, bekommt die Bastonnade!«

Es läßt sich denken, daß die Leute nicht länger zögerten, denjenigen zu bestrafen, der ihren industriellen Ruf in dieser Weise gefährdet hatte. Die Krüge aus Semennud wurden ihm vom ersten bis zum letzten förmlich auf dem Leibe zerschlagen (wirkliche Thatsache), und groß war dabei der Jubel dieser allerdings ungebildeten Menschen. Als diese Exekution vorüber war, erklärte der Effendi, daß er nun seines Amtes gewaltet habe und nach Kenneh aufzubrechen gedenke. Man bestieg das Floß, welches aus den echten Krügen bestand. Sadok Omar wankte mit halbzerschlagenem Leibe hinterdrein; ihn erwartete in Kairo eine noch viel härtere Strafe.

Als die Leute von Ballas sahen, daß das Floß abgehen solle, kamen mehrere von ihnen, welche auch nach Kenneh wollten und baten, sie umsonst mitzunehmen. Der Effendi befand sich in guter Stimmung und erteilte ihnen die Erlaubnis. Darum sehen wir auf unserm naturgetreuen Bilde das Floß zahlreich besetzt, sogar Frauen und Kinder fahren mit. Selim Ben Nuba steht, mit dem Lendenschurze bekleidet, im Mittelpunkte der Scene am halben Maste. Ihm zur Rechten sieht man, das weiße Tuch um die Schultern geschlagen, den pfiffigen Polizisten. Im Vordergrunde steht, auf einen Stab gestützt, Mustapha Effendi in der Kleidung eines Fellah. Und auf der hinteren Ecke des Floßes liegt, den Kopf in die Hand gestützt, Sadok Omar, dem[698] man es leicht ansieht, daß ihm die letzte Vergangenheit und nächste Zukunft bedeutende äußerliche und innerliche Schmerzen bereiten.

Somit könnte unsre Erzählung schließen, wenn derselben nicht ein Nachspiel gefolgt wäre, welches zu berichten nicht vergessen werden darf.

Einige Zeit später kam der Effendi mit seinen vier Polizisten wieder durch die betreffende Gasse von Kairo. Der Laden Sadok Omars war zwar offen, aber leer. Der Inhaber war für mehrere Jahre eingesperrt worden. Daneben aber stand Selim Ben Nuba vor dem seinigen. Als er den Effendi auf sich zukommen sah, lud er ihn höflich zu sich ein, bot ihm die unvermeidliche Pfeife und die ebenso notwendige Kaffeetasse und sagte dann:

»Effendi, das Herz ist mir schwer; ich muß es erleichtern, indem ich dir ein Geständnis mache. Ich habe in einem meiner Krüge Geld, viel Geld gefunden und weiß nicht – –«

»Still!« fiel ihm der Effendi lächelnd in die Rede. »Sadok Omar hat beim Verhöre davon gesprochen. Er hat nichts zu fordern, und der Khedive hat die Waren erhalten. Was in deinen Krügen steckt, ist dein Eigentum. Sadok Omar wollte dich verderben; dieses Geld aber wird das Gegenteil bewirken. Wende es gut an und bleib ehrlich wie bisher; dann wird Allah dich stets so behüten, wie er dich in Ballas behütet hat.«[699]

Quelle:
Die beiden Kulledschi. In: Der Gute Kamerad. 5. Jg. Nr. 50. S. 694–699. – Berlin, Stuttgart (1891).
In: Der Gute Kamerad. Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung. [Jahrgangstitel: Der Gute Kamerad. Spemanns Illustriertes Knaben-Jahrbuch]. 5. Jg. Nr. 50. S. 694–699. – Berlin, Stuttgart: W. Spemann (1891). Reprint in: Der Schwarze Mustang. Anhang: Die kleineren »Kamerad«-Erzählungen von Karl May. Einführung von Erich Heinemann. Hamburg: Karl-May-Gesellschaft 1991.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

640 Seiten, 29.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon