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Es klopfte an der Thür des Schlafzimmers, und eine helle, jugendliche Mädchenstimme rief:
»Papa, steh' auf; die Stube ist jetzt warm!«
»Gleich!« schnarrte es unter der sich bewegenden Bettdecke hervor. Eine weiße Zipfelmütze kam zum Vorschein, darunter eine fürchterliche, scharf gebaute Nase, dann eine dünne, schiefe Linie, im gewöhnlichen Leben Mund genannt, ein aufwärts gebogenes, spitzes Kinn, ein weit hervortretender Kehlkopf, eine hochrothe Gesundheitsflanelljacke, zwei unendlich lange Beine in einer weiten, schlingernden Negligéhose, und nun stand er da, der Herr Stadtrath, Hausapotheker und Kohlenwerksbesitzer Johannes Hampel, stieß die beiden Fäuste so weit wie möglich ab, spaltete die dünne Linie zu einem letzten, kraftvollen Gähnen und trat dann an die Wand, wo über dem Waschtische der unvermeidliche Abreißkalender angebracht war.
»Was haben wir denn heute eigentlich für einen Datus? Sapperlot, den ersten October; das ist einer von den vier großen Unglückstagen im Jahre: den ersten Januar ist Adam aus dem Paradiese vertrieben, den ersten April ging die Sündflut los, den ersten Juli ist Sodom und Gomorrha untergegangen, und am ersten October wurde der Teufel vom Himmel auf die Erde heruntergeworfen. Nun geht er den ganzen Tag und besonders am Abende umher und treibt allerlei Unfug mit Mensch und Thier. Ich will nur gleich das Amulet umhängen, welches meine selige Mutter von der alten Zigeunerin erhalten hat; da bin ich sicher, daß mich der Böse ungeschoren läßt!«
Der wohlehrbare Herr Stadtrath gehörte nämlich zu dem jetzt immer kleiner werdenden Häuflein von Gläubigen, denen die Sage heilig, der Kalender untrüglich und die Welt der Geister und Gespenster eine feste, unumstößliche Gewißheit ist. Wer es wagte, an diesen Dingen zu rütteln, der hatte es sicher auf immer mit ihm verdorben, obgleich er sonst trotz seiner mancherlei Eigenheiten und wenn man ihn nur richtig zu nehmen verstand, ein Mann war, mit dem es sich ganz prächtig verkommen ließ.
Er fuhr in seine Kleidung und trat dann in die Wohnstube.
»Guten Morgen!«
»Guten Morgen, Papa,« antwortete das Mädchen, aber ohne die sonstige offene Freundlichkeit in den vollen, weichen Zügen.
Er warf einen halb prüfenden, halb unsicheren Blick auf sie.
»Ich hoffe, daß Du über Nacht zu Verstand gekommen bist! Wo bleibt die Milch?«[728]
»Du wirst heute welche von der Kuh trinken müssen, Papa.«
»Von der Kuh? Warum?!«
»Weil – weil – das Mädchen mag es Dir selber sagen!« Sie eilte fort und brachte nach wenigen Augenblicken das sichtlich außerordentlich verlegene Dienstmädchen zur Thür hereingeschoben.
»Was ist's,« fragte er erwartungsvoll, »daß ich heute Kuhmilch trinken soll? Weißt Du nicht, daß ich sie nicht vertragen kann?«
»Herr Stadtrath, die Ziege ist – die Ziege muß – die Ziege hat –«
»Nun, was ist, was muß, was hat meine Angoraziege? Heraus damit!«
»Die Angoraziege hat – sich – heute Nacht – heute Nacht erhängt.«
»Erhängt? Meine Angoraziege – erhängt? Du hast wohl den Verstand verloren, he?«
»Nein, den habe ich noch; aber die Ziege, die ist futsch!«
»Futsch, wirklich futsch?« Die Adern seiner Stirn schwollen, und seine Brauen zogen sich ganz bedenklich zusammen. »Ich sage Dir, wenn die futsch ist, so gehst Du auch futsch! Also vorwärts, was hat's gegeben?«
»Sie muß eine unruhige Nacht gehabt und sich dabei mit dem Kopfe in den Strick verwickelt haben; denn als ich heute früh in den Stall kam, um sie zu melken, hing sie –«
»Nun, hing sie –?«
»An der Wand und –«
»Wand und –? Wird's bald, he?«
»Und war todt.«
»Und war todt! Meine Angoraziege todt, erhängt, elendiglich am Stricke ums Leben gebracht, erstickt, erdrosselt, erwürgt, er– er– er– hinaus mit Dir, hinaus, sage ich, sonst – sonst –!«
Mit erhobenem Arme trat er auf das Mädchen zu, welches schleunigst hinter der Thür verschwand. Er wendete sich um und stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und ab. Dann blieb er mit zorngeröthetem Angesichte vor der Tochter stehen.
»Anna, ist's wahr?«
»Ja.«
»Ja! Also wirklich futsch! Gut, so muß auch die Sophie fort! Der habe ich die Ziege übergeben, und sie hat darauf zu sehen, daß so ein unerhörter Selbstmord nicht vorkommen kann. Sie hat dem Thiere falsches Futter gegeben, ja, falsches Futter; deshalb ist eine Indication eingetreten, wie wir Lateiner sagen, eine Verdauungsunmöglichkeit, ein Bauchgrimmen, welches der Angora den Strick um den Hals gedreht hat. Fort muß sie; ich kündige ihr gleich heute und schreibe ihr ein Attestament ins Dienstbuch, daß sie zeitlebens an den heutigen Tag gedenken soll, der – Sapperlot,« unterbrach er sich, »ja, ja, da hat man's, heute ist der erste October, an dem der Teufel vom Himmel geworfen worden ist, und der fängt sich ganz herrlich an!«
Er begann seinen Sturmlauf von Neuem.
»Schon der Vorabend war ganz wunderschön. Kommt da der Holfert, der Mehlkleister, den sie vom Gymnasium geschickt haben, weil er zu dumm gewesen ist, und der es trotzdem drüben in den ›drei Schwänen‹ wagt, mein Latein lächerlich zu machen, obgleich ich das Seminar drei volle Jahrgänge hindurch besucht habe, und hält um die Hand meiner Tochter an, der einzigen Tochter des Kohlenwerksbesitzers, Hausapothekers und Stadtrathes Hampel; ist so etwas nicht unerhört? Und als ich Nein sage, da heult und jammert das Mädel, als ob die Welt verloren sei, und der Bursche hält mir eine Rede, na, vere anglium, grade als ob er ein Engel sei und ich der größte Rabenvater, den es giebt. Und heute, heute geht mir schon in aller Frühe meine prachtvolle Angoraziege darauf, die mir kein Mensch jemals ersetzen kann!«
»Hat Dir nicht erst kürzlich der Meinsdorfer Richter eine gute Milchziege angeboten?« wagte Anna jetzt zu bemerken.
»Sei still; sie mag ganz gut sein, aber eine Angora ist's doch nicht! Ich leide an einem epidemischen Gastribus, wie wir Lateiner sagen, zu deutsch Magenkatarrh, von dem mich nach Hahnemann und Doctor Lutze nur fünf Tassen Ziegenmilch, früh Morgens warm getrunken, retten können. Diese Rettung habe ich der Angora nun drei Jahre lang zu verdanken, und heute, heute hat sie sich erhängt! Sic tibi terra Levi, Friede ihrer Seele! Was thue ich nun?«
Sein Zorn begann einer ruhigeren Stimmung zu weichen.
»Was habt Ihr mit der Ziege gemacht?«
»Sie liegt noch im Stalle.«
»Gut! Ich werde sie amputiren, um nachzusehen, wie lange sie noch gelebt hätte. Wenn ihr der Strick nicht gar zu viel abgewürgt hat, so kann die Sophie bleiben. Und was die Meinsdorfer betrifft, das will ich mir einmal überlegen. Kuhmilch aber trinke ich nicht. Koche mir eine Tasse homöopathischen Gesundheitskaffee aus der Fabrik von Krauße und Compagnie in Nordhausen!«
Es war am Abende desselben Tages; das Essen stand auf dem Tische, aber Niemand wollte so recht herzhaft und fleißig zulangen, als gewöhnlich. Hampel hatte keinen Appetit; der plötzliche Tod der Angoraziege lag ihm noch sehr am Herzen, und die gestrige Werbung des Buchbinders und Galanteristen Franz Holfert mit ihrem Gefolge von Unmuth und Verstimmung hatte ihm allen Appetit verdorben. Anna saß mit verweinten Augen an ihrem Platze und dachte an alles Andere, nur nicht an das Essen, und Sophie, das Dienstmädchen, hatte zwar die Beruhigung erhalten, daß sie noch bleiben dürfe, da die Ziege höchstens noch ein Jahr gelebt hätte, doch war ihr der heutige Schreck so in die Glieder gefahren, daß der Magen vor der Hand ganz außer Berücksichtigung blieb.
Da erhob sich der Stadtrath, fuhr in den Ausgehrock, setzte die Mütze auf und griff zum Stocke.
»Gehst Du in die ›drei Schwanen‹, Papa?« fragte die Tochter.
»Nur für einen Augenblick, um mich zu entschuldigen; ich muß nach Meinsdorf zum Richter.«
»Wegen der Ziege?«
»Ja. Ich muß morgen wieder meine gewohnte Milch haben.«
»Aber so spät!«
»Es ist noch nicht ganz acht Uhr, und die drei Viertelstunden bis da hinaus sind ja nur ein Spazirgang. Aber denke ja nicht etwa, daß Du machen kannst, was Du willst, weil ich nicht zu Hause bin. Wenn ich wiederkomme und erfahre, daß etwa der Mehlkleister, der Lateinverderber dagewesen ist, so setzt's etwas!«
»Dem Franz wird es gar nicht einfallen, heute –«
»Papperlapapp, ich kenne das! Aber ich bin Homöopath, und die Liebe ist eine Krankheit, die nicht allöopathisch geheilt werden kann: Simia simius, wie wir Lateiner sagen. Der Buchbinder ist ein Habenichts, und Du bist das reichste Mädel im Orte. Zu Dir paßt kein Anderer als der Rentier Koggelmann, der beinahe so viel hat wie ich. Er hat schon einige Male so von Weitem nachgefragt, und wenn es noch einmal geschieht, so werde ich von ganzem Herzen Ja sagen.«
»Den Koggelmann, das kleine, fünfzigjährige Backäpfelmännchen? Den mag ich nicht!«
»So mag ich ihn desto lieber, und damit Punctum! Geht nicht etwa eher zu Bett als bis ich komme. Wenn ich die Ziege kaufe, so bringe ich sie gleich mit, und da muß Sophie den Stall bereit halten!«
Er ging. Es war eigentlich nicht die rechte Tageszeit zum Ziegenhandel, aber sein Kohlengeschäft pflegte ihn für den Tag so in Anspruch zu nehmen, daß ihm für Anderes nur der Abend frei blieb. Als er die »drei Schwanen« erreicht hatte, trat er für einen Augenblick in die Gaststube. Heute war politische Sitzung um den Stammtisch, wo er als der eifrigste Zeitungsleser des Ortes gewöhnlich das endgiltige Wort auszusprechen pflegte, und so ging es gar nicht anders, er mußte sich entschuldigen.
Die Gäste waren schon alle beisammen; auch Holfert saß an seinem gewohnten Platze.
»Was, Herr Stadtrath,« meinte der Wirth, »gestiefelt und gespornt! Wo soll denn die Reise hingehen?«[729]
»Nach Meinsdorf zum Richter. Ich will mir eine Ziege holen. Meine Angora hat sich heute Nacht gehängt.«
»Die Angora? Gehängt?« Alles lachte. »Aus welchem Grunde denn? Doch aus unglücklicher Liebe!«
»Jedenfalls! Ich denke mir, sie ist von einem gewissen Buchbinder und Galanteristen angesteckt worden, der seit gestern den Contagius dazu bei sich führt.«
»Contagium, das Contagium heißt es, Herr Stadtrath!« meinte Holfert, erzürnt über den Hieb, der gegen ihn gerichtet war.
»Halte Er den Schnabel, und stecke Er Seine Nase lieber in die Grammatik, wo Er sich über den Contagius belehren kann! Ich habe drei Jahrgänge lang das Seminar besucht und den Vertrieb der homöopathischen Hausapotheke des Doctor Nollenheim übernommen und spreche also ein Latein, vor dem sich Seine Kleisterpinselei verkriechen muß.«
Der alte Herr hegte eine außerordentliche Abneigung gegen den Buchbinder, und das hatte seinen Grund. Alle Welt wußte, daß er das Seminar verlassen hatte, weil seine Begabung nicht hinreichend gewesen war. Holfert hatte die Universität besuchen sollen, aber leider davon absehen müssen, weil mit dem Tode des Vaters ihm die nöthigen Mittel entzogen waren. Nun lag sich die Gelehrsamkeit der beiden Männer in den Haaren, und es hatte hier am Stammtische schon manche heiße Schlacht gegeben, aus welcher Holfert stets als Sieger hervorgegangen war.
»Warum aber gehst Du denn selbst nach Meinsdorf?« fragte Einer der Anwesenden, der einem etwaigen Streite zuvorkommen wollte. »Du konntest doch Jemanden schicken!«
»Brauche keinen Makler, der mich über die Ohren haut; bin selber Manns genug, mir eine Ziege zu holen. Wirth, einen Pommeranzen! Früh Ziegenmilch und Abends einige rothe Pommeranzen; merkt Euch das, Ihr Leute; dann ist man sicher vor jeder Krankheit, oder tutum a morbis, wie wir Lateiner sagen!«
»Tutus a morbo heißt es, Herr Stadtrath!«
»Ruhig soll Er sein, Er – Er – Er ist ja selbst ganz titus amorphium, und was Seine Klugheit anbelangt, so meckerte meine Angora zehnmal gescheiter als Er. Was hat Er denn auf dem Gymnasium gethan, he? Tag und Nacht gebüffelt, um nur das kleine Einmaleins zu lernen; aber ein flotter Bursche, wie Unsereiner war, pah! Was habe ich nicht als Schüler für herrliche Streiche und Abenteuer ausgeführt! Ich könnte ganze Nächte lang davon erzählen, und Er – Er hat's zu keinem einzigen gebracht. Wenigstens habe ich noch nie davon gehört!«
»Streiche? Hm, Herr Stadtrath, Ihretwegen besucht man nicht die Schule; aber ich könnte Ihnen wohl auch so einiges Hübsche erzählen und warne Sie, den Teufel ja nicht an die Wand zu malen, sonst – lupus in fabula – könnte ich vielleicht gerade Ihnen einmal beweisen, daß ich –«
»Er –? Mir –? Er wäre der Rechte! Erstens heißt es nicht lupus in fabula, sondern lupa in famulus, Er Sprachverderber, und zweitens möchte ich Den sehen, der mich zum Narren halten könnte. Er aber am allerwenigsten!«
»Hoppsa, Herr Stadtrath! Was gilt die Wette, daß ich Ihnen eine Nase drehe, wie Sie gar keine noch gesehen haben?«
»Bei Ihm rappelt's! Aber weil Er es wagt, mit mir anzubinden, so soll Er sich blamiren und Seine Strafe haben. Was hat Er Lust, zu setzen?«
»Ich setze mein ganzes Hab und Gut gegen die Anna. Topp?«
»Gegen die Anna? Warum gerade die? Mein Mädchen ist tausendmal mehr werth, als alle Seine Siebensachen!«
»Aha, wird es Ihnen Angst?«
»Angst? Sapperlot, das bilde Er sich ja nicht ein! Da will ich Ihm doch gerade beweisen, daß ich mich vor Ihm nicht fürchte. Ich nehme Seine Wette an. Also höre Er: Wir treffen uns morgen Abend wieder hier. Wenn Er bis dahin Seine Nase fertig hat, so bekommt Er das Mädchen, sonst aber gehört Sein Geschäft und Alles, was Er hat, mir, und Er kann sich darauf verlassen, daß ich mir den Gewinn schon übermorgen nehme. Schlägt Er ein?«
»Ja. Topp!«
»Topp! Das Mädchen bekommt Er nicht, das weiß ich ganz genau, und ich freue mich nur, daß Er mir endlich einmal die richtige Gelegenheit giebt, Ihm das große Maul zu stopfen. Ich werde Ihm lehren, mit dem Kohlenwerksbesitzer, Hausapotheker und Stadtrath Hampel anzubinden! Jetzt aber muß ich fort. Es ist zwar heute der erste October, an dem der Teufel vom Himmel heruntergeworfen worden ist, aber ich brauche mich nicht zu fürchten, denn auf halbem Wege liegt die Wiesenschänke, und ich trage ein Amulett bei mir, das gegen allen Zauber hilft. Also übermorgen ist Seine Kleisterei mein Eigenthum; hier sitzen die Zeugen; abgemacht und gute Nacht!«
Er ging und ließ die Anderen infolge der so unverhofft abgeschlossenen Wette in einer nicht geringen Aufregung zurück. Holfert erzählte von seiner zurückgewiesenen Werbung, saß dann, ohne auf die um ihn wogenden Reden zu achten, eine ganze Weile nachdenklich da und fuhr endlich mit sich aufheiterndem Gesichte in die Höhe.
»Kennt vielleicht Jemand die Ziege beim Meinsdorfer Richter?«
»Ich habe sie schon oft gesehen,« meinte der Wirth, welcher Fleischerei betrieb und in allen Ställen der umliegenden Dörfer zu Hause war. »Sie ist mittelgroß, dreijährig und schwarz ohne einen weißen Flecken, gerade wie der Bock, den ich gestern meinen Jungen mitgebracht habe. Er soll das Ziehen lernen.«
»Wie der Bock –? Sie haben einen –? Der gerade so aussieht –? Hört einmal, Ihr Leute, wenn Ihr verschwiegen seid, so will ich Euch einmal etwas sagen!«
Die Köpfe wurden zusammengesteckt; Holfert erklärte seinen Plan; lautes Lachen ertönte, und der Wirth rief:
»Prächtig, herrlich; ich borge Ihnen den Bock, denn das wird ein Capitalspaß, wenn der Alte nichts merkt!«
»Keine Sorge! Der Wiesenwirth ist mein Pathe, und ich kann mich auf ihn sicher verlassen.«[730]
Trotz der Gefährlichkeit des ersten Octobers hatte Hampel Meinsdorf glücklich erreicht, die Ziege gekauft und machte sich nun mit ihr auf den Nachhauseweg.
»Hm,« brummte er, »eigentlich ist es für einen Stadtrath und Hausapotheker keine passende Beschäftigung, so ein Viehzeug stundenlang hinter sich herzuschleppen; aber selber bleibt selber. Es ist besser, ich habe morgen früh meine Milch, als daß ich noch mehrere Tage warte und extra Spesen zahle. Die alte Heppe hat so spät nicht aus dem Stalle gewollt, und ich muß ziehen wie ein Pferd. Bei der Wiesenschenke hänge ich sie an und trinke einen Pommeranzen!«
Die Ziege war schwer fortzubringen; sie wehklagte jämmerlich und stemmte sich mit allen Vieren ein, so daß Hampel den Strick um die Hände schlingen und sich förmlich vorspannen mußte.
»Auch ein Vergnügen ist's nicht gerade,« raisonnirte er weiter. »Die Augen funkeln ja der Bestie wie glühende Kohlen, und wenn sie so fortschreit, so muß ich bei dem heutigen Tage und trotz meines Amulettes gewärtig sein, ihr Zetermordius ruft mir den Teuf– lupa in famulus, ich will lieber den Mund halten und machen, daß ich an die Schenke komme!«
Als die Ziege das Haus vor sich liegen sah, schwieg sie und begann besser zu laufen. Der Wirth stand mitten auf der Straße, als warte er auf Jemanden.
»Herr Stadtrath,« rief er verwundert, »Sie hier, und mit einer Ziege! Wie kommt denn das?«
»Das sollen Sie gleich erfahren. Ich werde das Thier hier an den Zaun binden und mir drinnen einen Rothen genehmigen!«
Kaum war er hinein, so kam Einer um die Gartenhecke herum, knüpfte die Ziege los und befestigte ein anderes gehörntes Individuum an ihre Stelle.
Hampel hielt sich nur einige Minuten auf, dann nahm er sein Thier wieder bei der Leine und machte sich, aus allen Kräften ziehend, von Neuem auf den Weg.
»Sapperlot, hat das Vieh Gewalt gesammelt! Himmel heilig –!« Der Ruf blieb ihm vor Schreck im Munde stecken. Der Bock des Schwanenwirthes war, einer so gewaltthätigen Behandlung ungewohnt, ihm von hinten an das Kamisol gegangen und stieß nun mit den Hörnern auf ihn los, daß der ehrsame Hausapotheker Mühe hatte, sich vor einer schmählichen Niederlage zu bewahren. »Holla, Du sackermentsche Bestie, ich werde Dir lehren, Dich an mir zu vergreifen! Jetzt nehme ich Dich bei den Hörnern, und nun vorwärts marsch, alte Liese!«
Es ging nicht so leicht, als er dachte. Der Bock zog, schob, schüttelte mit dem Kopfe, ging in die Höhe, zerrte und stieß, daß Hampel an allen Gliedern wie zerschlagen das Städtchen erreichte. Er vermied, durch dasselbe zu gehen, und schlug vielmehr einen Seitenweg ein, um seine Wohnung zu erreichen.
Dort angekommen, übergab er das Thier der wartenden Sophie.
»Hier hast Du sie. Schaffe sie in den Stall, aber verriegele ihn gut, denn das infame Viehzeug hat Mucken!«
Vollständig ermüdet und abgespannt schob er sich hinauf in seine Stube, fuhr in das bekannte Nachthabit und legte sich schlafen.
»Papa,« rief am anderen Morgen Anna, »steh' auf; die Stube ist warm!«
Er stand auf und trat zum Kalender.
»Wer regiert heute? Ah, der heilige Vollrad; das ist ein guter Kerl, und ich kann meine Milch ohne Sorgen trinken. Heute komme ich nicht aus dem Hause, und da möchte ich wissen, wie mir der Kleisterfranz seine Nase drehen will!«
Er trat in die Stube. Die Tochter war nicht allein, denn Sophie hatte sich schon vorsorglich eingefunden.
»Wo ist meine Milch?«
»Ich habe keine, Papa!«
»Warum nicht, he? Hast du gemolken, Sophie?«
»Nein, ich kann nicht.«
»Weshalb nicht? Giebt die Ziege etwa nichts?«
»Nein, denn die Ziege ist – ist – ist ja ein Bock!«
»Ein B– was, ein Bock? Heiliger Lucifer! Bist Du verrückt?«
»Nein, Herr Stadtrath; aber Sie haben einen Bock gekauft. Wo soll da die Milch herkommen?«
»Ja, Papa, ich habe mich überzeugt, es ist ein Bock!«
»Ein Bock? Meine Ziege, die ich angesehen, eigenhändig untersucht, gekauft und nach Hause geschleppt habe, ein Bock? Ihr habt alle Beide den Verstand verloren! Hinunter in den Stall, rasch, sofort; ich werde Euch lehren, eine Ziege für einen Bock zu halten!«
Hier galt keine Einrede. Er schritt, mit seinen ewigen Beinen mehrere Stufen zugleich nehmend, voran, riß die Stallthür auf und sah hinein.
»Nun, da steht sie ja, ganz wie ich sie gekauft und – Sapperl–!«
Das Wort blieb ihm stecken. Die schmale Linie unter seiner vor Schreck kreideweißen Riesennase spaltete sich zu einem Loche, als wolle er den Bock sammt dem ganzen Stalle verschlingen.
»Wahrhaftig, ein – ein B– ein Bock! Da ist – da ist der erste October schuld, an dem der Teufel vom Him–«
Er warf die Stallthür zu, daß es krachte, und sprang die Treppe hinauf, als komme der vom Himmel geworfene Gottseibeiuns hinter ihm dreingesaust.
Als Anna nach einiger Zeit in seine Stube blickte, sah sie die Spitze der Nachtmütze unter der weit emporgezogenen Bettdecke[745] hervorragen. Der Schreck hatte ihn vollständig überwältigt und in die Federn getrieben.
Dort lag er bis zur Abenddämmerung, ohne zu essen, zu trinken und ein Wort hören zu lassen. Dann rappelte er sich auf und kam in die Wohnstube. Er hatte seine Ruhe wiedergewonnen und sich das Ereigniß zurechtgelegt.
»Warum hat die Sophie nicht gleich gestern Abends etwas gesagt?« fragte er Anna.
»Sie hat das Thier ja gar nicht ansehen können, so bösartig ist es gewesen. Du nimmst die Mütze? Wo willst Du hin?«
»Nach Meinsdorf. Ich schaffe den Racker wieder hinaus und muß mein Geld zurückbekommen!«
Sie ließ ihn ruhig gehen. Er hatte den lächelnden Zug, welcher um ihren Mund lag, nicht bemerkt, und kaum war er mit dem Bocke durch die Gartenpforte verschwunden, so verließ Sophie eilig das Haus, um eine Botschaft ihrer jungen Herrin auszurichten. Als er an die Wiesenschenke kam, stand der Wirth unter der Thür.
»Herr Stadtrath, schon wieder? Wo hinaus?«
»Heda, sehen Sie sich einmal hier das Viehzeug an! Was ist's, eine Ziege oder ein Bock?«
»Hm, ein Bock natürlich! Aber ich denke –«
»Kommen Sie herein; ich muß Ihnen etwas ganz Außerordentliches erzählen!«
Er hing den Bock an den Zaun und trat hinein. Sofort kam eine Gestalt um die Zaunecke und bewerkstelligte eine zweite Umwechselung. Als er wieder aus dem Hause trat und die Ziege abband, bat der Wirth:
»Sprechen Sie auf dem Rückwege wieder vor, Herr Stadtrath. Ich muß wissen, was der Richter zu der Sache sagen wird!«
Er versprach es und machte sich mit dem vermeintlichen Ziegenbocke von dannen. In Meinsdorf angekommen, zog er das Thier in den Hof de Richters, welcher ihm erstaunt entgegenkam.
»Was ist denn das, Herr Hampel? Warum bringen Sie die Ziege wieder?«
»Warum –? Die Ziege –? Seht sie Euch doch einmal an! Ist das eine Ziege, he?«
Der Mann nahm einer Magd die Stalllaterne aus der Hand, um besser zu sehen.
»Nun, was denn sonst? Oder soll es vielleicht ein Kameel oder Trampelthier sein?«
»So? Da guckt doch her! Ist das etwa –« Jetzt riß er den Mund noch weiter auf als heute Morgen, hatte sich aber sofort wieder gefaßt, nahm den Strick rasch auf und war im nächsten Augenblicke mit sammt der Ziege zum Thore hinaus. Erst draußen vor dem Dorfe hielt er inne.
»Tausendsapperlot, ist das ein Abenteuer! Ja, der heilige Vollrad ist ein guter Kerl; er macht stets wieder gut, was am ersten October geschieht. Ich aber konnte mich beim Richter blamiren jetzt und in alle Ewigkeit, wenn ich nicht gemacht hätte, daß ich fortkam; denn er hätte die Geschichte für ein Märchen, für einen fabilus gehalten, wie wir Lateiner sagen! Ich bin nur neugierig, was sie in der Wiesenschenke dazu meinen werden!«
Wieder hing er die Ziege an den Zaun. Nach einiger Zeit erschien er, ein Licht in der Hand, mit dem Wirthe und dessen ganzer Familie, um die Wahrheit seines unglaublichen Berichtes zu beweisen. Kaum waren sie wieder in die Stube zurückgekehrt, so schlich sich Holfert nun zum dritten Male herbei, befestigte den Bock an Stelle der Ziege und machte sich mit der Letzteren nach der Stadt von dannen.
Hampel folgte ihm ziemlich spät, da es sehr viel zu besprechen und zu bewundern gab, ehe er fortkam. Wenn ihm der Transport auch Mancherlei zu schaffen machte, so schlimm wie gestern war es heute doch nicht; das mannhafte Thier schien sich an die ungewohnten Excursionen zu gewöhnen. Wieder die Stadt umgehend, gelangte er durch den Garten in seine Wohnung und rief die beiden Frauenzimmer herbei.
»Hier habt Ihr die richtige Ziege, und morgen bekomme ich meine Milch! Und damit es keine Ausrede giebt, Sophie, leuchte einmal her! Was man sieht, das sieht man, oder, wie wir Lateiner sagen: Nihil est im intellerius, quod num pribus furioso im senfum! Ich habe mir gestern Abend draußen in Meinsdorf vormelken lassen; sie giebt täglich drei – Potz Himmeltausendsapp– alle guten Geister – Anna, schlage drei Kreuze, es ist ein Bock, ein wirklicher, richtiger, wahrhaftiger Bock! Ich habe nicht gedacht, daß der heilige Vollrad auch ein Vergnügen daran findet, die Ziegen in Bö– Bö– Was ist denn das?«
Es hatte im Stalle gemeckert; die Thür stand offen, und mit einigen steifbeinigen Sätzen war der Bock hinein.
Hampel riß dem Dienstmädchen das Licht aus der Hand und trat hinzu.
»Wo – wie – wa – was? Zwei solche Bestien, eine Ziege und – und –« Wie am Morgen warf er die Thür zu, daß es krachte, sprang die Treppe hinauf, in das Wohnzimmer und – fuhr erschrocken zurück. Drin saßen die sämmtlichen Stammgäste aus den »drei Schwanen«, unter ihnen auch Holfert, um den Tisch und empfingen ihn mit dröhnendem Gelächter.
»Warum – weshalb – guten Abend – Sapperlot, was wollt Ihr hier?«
»Uns zur Verlobung einladen, Herr Stadtrath; denn Holfert hat gewonnen!«
»Verlobung – Holfert – gewonnen? Inwiefern, he?«
»Nun, weil er Ihnen nicht nur die versprochene Nase, sondern einen ganz gehörigen Ziegenbock gedreht hat!«
»Zie– Zie– Ziegenbock?«
»Freilich! Oder haben Sie denn die famose Verwechselung bei der Wiesenschenke wirklich nicht bemerkt?«
»Verw– Wiesensch–? Himmeltausendsapp– so ist es also nicht der erste October gewesen, sondern Er – Er – Er –« Mit einem raschen Griffe seiner langen Arme hatte er den Buchbinder gepackt. »Ich werde Ihn bei der Parabel nehmen, daß Er es wagt, mich, den Kohlenwerksbesitzer, Hausapotheker und Stadtrath Hampel für den Narren zu halten – ich schlage Ihm ein Colophonium inflectus ins Gesicht, daß er denken soll –«
»Falsch, Herr Stadtrath! Sie meinen colaphum inflig –«
»Halte Er den Schnabel!« donnerte Hampel ihm in die Rede, stieß ihn bei Seite und war im nächsten Momente hinter der Schlafzimmerthür verschwunden.
Ein lautes Hallo folgte ihm. Als es sich gelegt hatte und man hinaus zu ihm wollte, fand sich, daß er die unverschließbare Thür verbarricadirt hatte. Da kein Zuruf fruchten wollte, wurde Gewalt angewendet. Der Waschtisch und die Stühle, welche er vorgesetzt hatte, flogen bei Seite, und die ungeladenen Gäste traten ein. Die weiße Nachtmütze guckte zwischen Kissen und Bettdecke hervor; er hatte sich in sein gewohntes Asyl geflüchtet, wurde aber schonungslos hervorgezogen und in die Stube zurücktransportirt.
»Laßt mich gehen; ich bin müde, ich bin krank, ich muß tinctura solerius trinken!«
»Solaris heißt's, Herr Stadtrath!«
»Ruhe, silentius, sage ich Ihm! Was hat Er überhaupt hier in meinem Hause zu suchen?«
»Meinen Gewinn; hier sitzen die Zeugen!«
»Fällt mir gar nicht ein! Hebe Er sich hinweg, und heirathe Er Seinen Ziegenbock!«
»Das können wir nicht zugeben, Herr Stadtrath,« lachte der Schwanenwirth, »selbst wenn Holfert bereit dazu wäre. Wir sind Zeugen Ihres Versprechens, das Sie halten werden. Der Bock aber gehört mir, und ich verweigere meine Zustimmung zu der von Ihnen vorgeschlagenen Verbindung. Anna, kommen Sie her; wir wollen einmal Sturm laufen!«
Hampel wurde umstellt. Zehn Stimmen klangen bittend, rathend, warnend und drohend durcheinander; zwanzig Hände streckten sich nach ihm aus; er wurde aus einem Winkel in den anderen gezogen und geschoben; weder Abwehr noch Einwendung wollte ihm etwas helfen. Endlich hielt er sich die Ohren zu und rief:
»Laßt los, Ihr Sapperloter; ich will mich wenigstens erst wieder anziehen. So kann ich mein Jawort nicht geben!«[746]
»O ja, doch, doch; heraus damit! Oder sollen wir die Ziegengeschichte ins Blatt rücken lassen?«
»Nein, nur das ja nicht! Ich will meinetwegen Ja sagen, doch nur, wenn – wenn –«
»Nun, wenn –«
»Wenn der Mehlkl – der Holfert zugiebt, daß mein Latein besser ist als seins!«
»Von ganzem Herzen gebe ich das zu, mündlich und schriftlich,« rief der Buchbinder, indem er ihn und Anna zugleich umarmte. »Meine Herren, der Herr Kohlenwerksbesitzer, Hausapotheker und Stadtrath Hampel soll leben, auch die Ziege, der Bock und sogar der Herr Rentier Koggelmann! Nun giebt's endlich einmal nach dem Regen Sonnenschein, oder, wie wir Lateiner sagen, post nubitor phöbus, und –«
»Halt, falsch,« fiel ihm Hampel in die begeisterte Rede; »post nutrio phönix muß es heißen! Er hat keine schlechten Anlagen, und wenn Er mein Schwiegersohn ist, so giebt Er Seine Mehlkleisterei auf, tritt in mein Geschäft und wird dann auch ein richtiges Latein sprechen lernen. Jetzt aber ziehe ich mich an; Ihr bleibt hier, und Anna, Du gehst in den Keller, weißt schon, in die linke Ecke. Der Holfert hat endlich klein zugeben müssen, und mein Sieg soll gefeiert werden. Ab, basta, Selum!«[747]
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