IV.

In Mexiko

[567] Ein steifer Nordost wehte und schwellte die Segel der Vereinigten-Staaten-Brigg »Union,« daß sie vor dem Winde über die Wogen dahinflog, graziös zur Seite geneigt und sich den scharfen Bug mit großflockigem Gischte beschäumend.

Sie war nach Vera Cruz bestimmt, um Farbehölzer nach Galveston zu bringen, und hatte nur zwei Passagiere an Bord, die eben jetzt an der Reiling standen und einer Tintorera zuschauten, welche seit Kurzem dem Schiffe folgte. Diese gefräßigste und gefährlichste aller Haifischarten liebt die Nähe der Küste und war somit ein sicherer Beweis, daß das Ziel der Reise nicht mehr fern sei.

Der Eine der Passagiere war in ein bequemes Grau gekleidet und trug den in diesen Breiten gebräuchlichen Panamahut. Der Andre stak in einem ausgefransten Habit von Büffelhaut und trug auf dem Kopfe eine Mütze, die während der ganzen Fahrt die muntere Aufmerksamkeit der Matrosen erregt hatte. Beide waren im Passagierbuche als Mr. Richard Forster und Mr. Tim Summerland eingetragen und schienen außerordentliche Eile zu haben, nach Vera Cruz zu kommen.

»Seht nur das Ungethüm, Sir, was für einen Rachen und welch große Augen es hat. Wer zwischen solche Zähne kommt, der[567] ist nicht so glücklich wie der Prophet Elias, der drei Monate und sechs Tage in dem Bauche eines Walfisches zubrachte, bis ihn dieser auf den Libanon speiete! Und Ihr meint wirklich, daß es Leute gibt, die nur mit dem Messer in der Faust in das verteufelte Wasser springen, um sich mit dem Ungethüm herumzubalgen? Ich danke für solche Passion. Ich will doch lieber zwischen eine Heerde angeschossener Büffel gerathen, als mich von einem Viehzeuge verschlingen lassen und dann noch extra ersaufen! Das Wasser ist ganz gut, das haben wir ja in der Llano estacado gesehen; aber in solchem Haufen beisammen wie hier ist es eine gefährliche Erfindung, und ich will froh sein, wenn ich einige Quadratschuh festen Boden unter mir habe!«

»Das wird noch vor Abend der Fall sein, Tim, wie mir der Kapt'n sagte. Und wenn es mit der Postverbindung trifft, so sind wir morgen schon in Mexiko.«

»Das soll mich freuen! Aber ungeheuer ärgerlich würde es sein, wenn wir uns auf falscher Fährte befänden und umsonst über diese mechante Pfütze herübergeschwommen wären.«

»Man darf diese Möglichkeit nicht außer Rechnung bringen, doch glaube ich richtig zu vermuthen, wenn ich meine, daß wir diesen reichen Plantagenbesitzer aus Texas bei seinem Bruder, dem ehrenwerthen Alkalden Don Antonio Molez finden werden.«

»Wenn es so ist, Sir, so jage ich ihm gleich im ersten Augenblicke mein Messer in den Leib für den Diebstahl, den er an Euch verübt hat.«

»Ich glaube sehr, daß wir Beide, Olbers und ich, wieder zu dem Unsrigen kommen. Sarah sagte, daß sie eine ganze Menge Goldstaub und Nuggets bei ihm gesehen habe, und dieser Werth wird mehr als hinlänglich gewesen sein, die Kosten seiner Reise zu decken. Die Papiere des Bankiers hat er natürlich gegen andere vertauscht.«

Jetzt trat der Kapitän hinzu. Forster hatte zu seiner Freude einen Studiengenossen in ihm gefunden und ihm daher die Veranlassung zu seiner Reise und ihren Zweck mitgetheilt.

»Wie lang fahren wir noch, Williams?«

»In zwei Stunden sind wir am Hafen. Hier hast Du das Rohr. Gestern schnitten wir den Wendekreis und doublirten dann die Höhe von Tampico. Der Streifen vor uns ist die Küste vom wahren Kreuze.«

Wirklich erkannte Forster einen dunkeln Streifen, welcher den Horizont abschloß.

»Kennst Du den Fahrplan der Post?«

»Nein. Jedenfalls aber wirst Du nicht lange zu warten brauchen. Du glaubst also wirklich, den Kerl in Morelia zu finden?«

»Wahrscheinlich, behaupten aber kann ich es nicht.«

»Ich möchte annehmen, daß er in Texas ist. Er muß dort bekannt sein, sonst hätte er nicht so viel von dem Lande gesprochen, welches eine solche Ausdehnung besitzt, daß er trotz der Sorge um eine etwaige Verfolgung seine Spekulation dort ins Werk zu setzen vermag. Denke nur daran, daß es kein Vereinigten-Staaten-Territorium, sondern eine mexikanische Provinz ist und seine Auslieferung langwierige Unterhandlungen voraussetzen würde, während denen ihm eine Flucht zehnmal gelingen könnte.«

»Deine Ansicht in Ehren, aber ich kann mich ihr nicht anschließen. Sein ganzes Aeußere deutet auf spanische Abkunft, und Mexiko ist ihm jedenfalls bekannter als Texas; sein Bruder lebt dort, den ich keineswegs für seinen Stiefbruder halte. Master Wilson wird wohl ursprünglich ein Sennor Molez gewesen sein. Zwar glaube ich auch wie Du, daß er auf die Ausführung seiner Spekulation nicht verzichten werde; aber die Grants sind in Texas nur mit Mühe und durch langwierige Vermittelung, in Mexiko aber aus erster Hand und viel billiger zu haben. Vielleicht steht er in Beziehung zu einer bei der Verwaltung der Staatsländereien betheiligten Persönlichkeit oder hofft, durch den Alkalden in eine solche Beziehung zu treten. Gelingt ihm sein Vorhaben, so wird er keineswegs nach Texas ziehen sondern die Grants sofort mit Gewinn zu verkaufen suchen und sich dann für immer unsichtbar machen.«

»Well, Sir, so ists richtig,« meinte Summerland; »aber wir werden dafür sorgen, daß er ein wenig mehr als ehrliche Leute sichtbar wird, nämlich fünf Ellen hoch am Stricke, wenn ihn mein Messer nicht etwa schon vorher gekitzelt hat!«

»Wie lange bleibt die ›Union‹ im Hafen liegen?«

»Das ist unbestimmt,« antwortete Kapitän Williams; »je nach der Leichtigkeit, mit welcher es mir gelingt, die Ladung zusammenzubringen. Willst Du wieder mit retour?«

»Ich würde mit Niemandem lieber fahren, als mit Dir.«

»So spute Dich, Deinen Mann zu fangen, und bringe ihn gleich mit, damit ich seine interessante Bekanntschaft mache!«

»Wenn ich dies könnte! Zwar bin ich mit polizeilichen Vollmachten versehen, aber auf diese hin stehen mir leider nur die Behörden der Vereinigten Staaten zu Diensten. In Mexiko gelten sie gleich Null.«

»Die Voraussetzung des Kapitäns ging in Erfüllung. Nach nicht viel mehr als zwei Stunden warf die ›Union‹ zwischen der von Meereswogen umspülten Felsenfeste San-Juan de Ulloa und der alten Stadt Vera Cruz die Anker. Die beiden Passagiere nahmen vom Kapitän Abschied, ließen sich nach der breiten Hafentreppe rudern, stiegen dieselbe empor und schritten über den mit Menschen angefüllten Platz dem Zollgebäude zu.«

Nachdem sie hier ihre Obliegenheiten erfüllt hatten, erfuhren sie, daß die Post schon in kurzer Zeit abgehe, und verließen mit derselben die ungesunde, baumlose Sandebene der Küste, um sich nach der alten Kaiserstadt Mexiko zu begeben. Schon am Nachmittage des folgenden Tages warfen sie den ersten Blick von den Bergen, welche das Thal und den prächtigen See von Tenochtitlan umschließen, auf die schöne Stadt, rollten zu derselben hinunter und wurden von dem Rosselenker vor einem der ersten Hotels abgeliefert, dessen Wirth sich über die exquisite Kopfhaut Summerlands zwar zu verwundern schien, sie aber mit großer Höflichkeit empfing.

Sie mußten für heut hier bleiben, um sich von der unbequemen Fahrt auszuruhen und eine Gelegenheit nach Morelia abwarten. Es nahte die Dämmerung, jene Zeit, in welcher die Bevölkerung der Hauptstadt sich auf dem beliebtesten Vergnügungsort Mexiko's zu ergehen pflegt. Es war immerhin der mögliche Fall, daß Wilson noch in Mexiko sein konnte. Er hatte einen Vorsprung von nur einem Tage, und dann war anzunehmen, daß er jetzt diesen Ort, die Alameda, auch besuchen werde. Sie beschlossen daher, sich getrennt dahin zu begeben, um nach ihm zu forschen.

Summerland ging zuerst. Forster wußte, daß er der vornehmen und schönen Welt der Stadt begegnen werde, und machte sorgfältige Toilette. Er hatte von dem Hotel nicht weit bis zu dem Gitterthore dieser öffentlichen, mit Parkanlagen, Springbrunnen und Ruheplätzen versehenen Promenade, und war gleich beim Eintritte überrascht von dem prächtigen Schauspiele, welches sich ihm bot.

Die Großen und Reichen Mexiko's durchschritten lustwandelnd die sauberen Wege der Alameda, und die reiche, strahlende Toilette der Damen zeugte genugsam von dem Luxus, an welchen sich die Nachkommen der spanischen Eroberer gewöhnt hatten. In Seide rauschend, von luftigen Spitzengewändern umwogt, mit der reizenden, malerischen Basquina angethan und mit Diamanten und Perlen geschmückt, promenirten die schönen Frauen und Mädchen, theils nach altem Brauche verhüllt, theils auch mit offenem Visir, und dann enthüllten die zurückgeworfenen Mantillen den ganzen Zauber ihres reichsten Schmuckes, ihrer funkensprühenden schwarzen Augen. Elastisch und leicht wiegten sie sich auf ihren wunderbar zierlichen Füßen, geschmeidig war jede Bewegung ihres schönen, üppigen Körpers, und das Fächerspiel, in welchem diese Damen die höchste Virtuosität besitzen, entfaltete seine größte Beredsamkeit. Wie ein Gewinde von Blumen des sonnedurchglühten Tropenlandes schwebte der Strom dieser reizenden Neuspanierinnen durch den Park, und zwischen ihnen hervor prunkten die reichen Uniformen des Militärs und die minder strahlende Tracht der nicht militärischen Stände. Je mehr die Sonne sich zu den westlichen Gebirgen herniedersenkte, je feuriger im Süden die eisigen Spitzen der beiden Vulkane erglühten, desto größer und zahlreicher wurde die Menge, die sich hier spazierend bewegte oder auf den Ruheplätzen niedergelassen hatte. Sie sind reizend und schön, diese Mexikanerinnen, intrigant und untreu in der Ehe, wild und unbändig in ihrer Leidenschaft, sei es in Liebe, sei es in Haß, und wehe dem, welcher ihrer Gluth mit kalter Ruhe begegnet oder sich eines Treubruches schuldig macht; dann scheuen ihre kleinen, weißen Hände nicht vor dem Dolche zurück, und sie wissen ihn so sicher zu führen, daß er seines Zieles fast niemals verfehlt.

Forster wanderte langsam unter ihnen dahin und musterte jeden Begegnenden, denn eine innere Stimme sagte ihm, daß er die Reise nicht umsonst gemacht habe. Er mußte bemerken, welches Aufsehen seine prächtige, in vornehmer Nonchalance dahinschreitende Gestalt hervorrief. Hunderte Augen blieben auf ihm hangen, und ebenso viele Fächer versuchten, ihre Sprache an ihn zu richten. Er mußte an das reine, heilige Wesen denken, welches er in Stenton zurückgelassen hatte, und glitt mit gleichgültigem Blicke über diese Aufmerksamkeiten hin.

Eine außerordentlich reich und vornehm gekleidete Dame begegnete ihm an dem Arme eines viel älteren, jedenfalls den höheren Ständen angehörenden Herrn. Sie war eine Schönheit, wie man sie nur selten zu finden vermag, und warf im Vorüberschreiten einen langen, sprechenden Blick auf ihn. Eine Minute später kehrte er[568] am Ende des Weges um und hatte noch keinen großen Theil der Promenade wieder zurückgelegt, so erblickte er sie wieder. Auch sie hatte sich gewandt. In seiner Nähe hielt sie den Fächer, von ihrem Begleiter unbemerkt, küssend an die Lippen und traf ihn mit der ganzen Gluth ihres großen, wie aus verborgenen Tiefen hervorleuchtenden Auges.

Wie durch Zufall entfiel dabei der Fächer ihrer Hand. Forster hob ihn empor und überreichte ihr ihn. Er war von außerordentlich feiner Arbeit und reich mit kostbaren Steinen geschmückt. Sie nahm ihn und berührte dabei mit ihren kleinen Fingern seine Hand.

»Dank, Sennor! Seid Ihr ein Fremder, da Ihr allein promenirt?«[569]

Er verbeugte sich zustimmend gegen sie und ihren Begleiter, welcher diese Bewegung mit vornehmer Zurückhaltung erwiderte.

»So ist es, Donna,« antwortete er im reinsten Spanisch.

»Und wie findet Ihr Mexiko?«

»Es ist die Heimath der Feen, das Land der Seligkeit, von welchem die Dichter erzählen, daß Keiner zurückkehre und Jeder verloren sei, der seine Grenzen einmal überschreite.«

»So seid auch Ihr verloren?«

»Ich bin gefeit von einer mächtigen Zauberin!« lächelte er, sich tief verneigend und trat zurück. Ein unbeschreiblicher Blick traf ihn, in welchem die Bewunderung mit dem Zorne über den Etikettenfehler rang, den er durch die Abbrechung des durch List herbeigeführten Gespräches begangen hatte. Dann rauschte sie davon.

Er verließ den Platz nicht eher, als bis dieser sich beinahe entleert hatte und er nun sicher war, daß der Gesuchte nicht hier gewesen sei. Um einige Straßen der Stadt im Lichte des Abends zu betrachten, kehrte er nicht direkt nach dem Hotel zurück, sondern schlug einen Umweg ein, der ihn nach dem Innern des Häusermeeres führte. Schon war er, sich die verschiedene, oft wirklich schöne, oft auch bizarre Architektur der Häuser betrachtend, einige Straßen vorwärts gekommen, als sein Blick ein schmales Gebäude streifte und an einem der oberen Fenster haften blieb. Es war geöffnet, und ein unverhüllter Frauenkopf blickte aus ihm auf die Straße herab. Er zog sich unter das Thor, an welchem er eben vorüberschreiten wollte, zurück und verwandte kein Auge von dem Gesichte, welches er mit größter Deutlichkeit erkannte.

»Welch ein Zufall! Sarah, die Terzerone! Wo die ist, muß auch Wilson sein!«

Er wartete, bis der Kopf sich zurückgezogen hatte und trat dann in das Haus. Seinem Aeußeren nach konnte es nur von gewöhnlichen Leuten bewohnt sein, und er brauchte also keine große Rücksicht zu nehmen, sondern trat sofort in das einzige Zimmer, welches das Parterre enthielt. Es war zwar ärmlich aber sauber ausgestattet. Eine alte Frau erhob sich aus dem Sessel, in welchem sie halb schlummernd geruht hatte.

»Verzeiht, Matrina, daß ich Euch störe. Nicht wahr, hier über Euch wohnt Don Carlo Piskaldo, den ich suche?«

Er hatte den ersten besten Namen gewählt, der ihm eingefallen war.

»Don Carlo Piskaldo, Sennor? Nein, der wohnt nicht hier, hat auch nie bei mir gewohnt. Meine Zimmer gehören einem Don Tomasio, der mit seinem Weibchen erst gestern hier angekommen ist und Mexiko auch gleich wieder auf einige Tage verlassen hat.«

»Das stimmt; es muß also nur eine Namensverwechselung vorliegen. Dank, Matrina, ich muß die Donna sprechen!«

Er verließ die Stube, stieg die schmale Treppe empor und klopfte. Ein leiser Ruf erklang, und er trat ein.

Sie wars! Das Auge auf die Thür gerichtet, erkannte sie ihn sofort, wie der Schreck zeigte, welcher ihr Gesicht trotz seines dunklen Teints erbleichen ließ.

»Mylord Forster!« rief sie, mit den Händen den Tisch erfassend, an welchem sie stand.

»Ich bin es, Sarah! Warum erschrickst Du?«

»Ich – ich – erschrak nicht. Es – es war nur die Freude!«

»Wirklich? So erlaube, daß ich mich setze! Wo ist Master Wilson, der sich hier Tomasio nennt?«

»Nach Morelia zu seinem Bruder.«

»Wann kommt er zurück?«

Ihr ungewisser Blick suchte in seinem Gesichte zu lesen.

»Sarah, die Wahrheit!« gebot er ernst.

»In vier oder fünf Tagen.«

»Was thut er dort?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wo hat er seine Effekten?«

»Hier.«

»Briefe und sonstige Schreibereien?«

»Auch hier.«

»Zeig einmal her!«

»Das darf ich nicht, Sir. Er hat sie eingeschlossen, denn auch ich darf sie nicht sehen.«

»Wo sind sie?«

»Hier in der Kommode.«

»Schön; so helfe ich mir selbst!«

Er ergriff den Kaminhaken, stemmte ihn in die Fuge des Kastens und sprengte das Schloß auf. Sie wagte nicht, Widerstand zu leisten und versuchte auch kein Wort der Einwendung mehr. Tief unter der Wäsche versteckt, fand er eine Brieftasche und ein zusammengebundenes Paket mit allerlei Skripturen. Er öffnete die erstere; ein triumphirendes Lächeln flog über sein Gesicht; sie enthielt seinen Depositenschein, die gestohlenen Wechsel und Olbers' sämmtliche Anweisungen im Werthe von fünfzigtausend Dollars. Wilson hatte sich doch nicht sicher gewußt und die Verwerthung bis später aufgeschoben. Er nahm die Brieftasche zu sich und öffnete dann das Paket.

Es enthielt in Schriftübungen und einer kleinen Monogramm- und Stempelsammlung den sichern Beweis, daß der Besitzer sich sehr eingehend mit Fälschungen beschäftigt habe. Auch einige Briefe waren dabei. Er öffnete die Bogen und überflog ihren Inhalt. Der letzte zeigte ein neueres Datum und schien Forsters ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.

Als er ihn gelesen hatte, legte er die übrigen Papiere wieder an ihre Stelle zurück und frug, den Brief in die Tasche schiebend:

»Hat er zu Dir von dem Grafen Hernano gesprochen?«

»Kein Wort.«

»Du sagtest mir in Stenton, daß er viel Goldstaub und Nuggets besitze?«

»Er hat in New-Orleans Einiges davon verkauft; das Andre befindet sich im untern Kasten.«

Auch dieser wurde aufgesprengt. Er enthielt mehrere schwere Beutel, die einen nicht geringen Werth repräsentirten.

»Alles geraubt. Er soll auch nicht ein Körnchen davon behalten!«

»Geraubt?« frug sie erschrocken. »Nein, das hat Tom nicht gethan!«

»Er hat es gethan, Sarah: Master Olbers fünfzigtausend Dollars, mir mehrere Tausend und dieses Gold den Goldgräbern, die er ermordet hat.«

»Ermordet? Mein Gott, Sir, ich höre wohl nicht recht!«

»Du hörst sehr recht. Er ist ein Mörder, ein Räuber und Fälscher und aus Stenton bei Nacht und Nebel entflohen, weil die Polizei ihn suchte. Die Narbe hat er nicht von einem Indianer, sondern von mir. Ich traf ihn in der wilden Prairie mitten unter Mördern und gab ihm den Hieb, von welchem die Narbe stammt.«

»Nein, nein, das ist nicht möglich, Mylord Forster!«

Sie warf sich auf das Sopha und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er beschloß, den sichersten Trumpf auszugeben.

»Nicht blos das, sondern noch viel mehr. Auch Dich hat er betrogen!«

»Mich? Niemals!«

»Er hat, während er zu Dir ging, um die Hand von Miß Marga angehalten. Ich selbst habe dabeigestanden; es war am Tage seiner Flucht.«

Sie sprang empor. Ihr Auge blitzte.

»Ists wahr, Sir? Könnt Ihr es beschwören?«

»Ja, Sarah! Er hat Dich nur mitgenommen, um Dich später treulos zu verlassen.«

»Der Bube!«

Ihr südliches Naturell begann, sich im Zorne zu offenbaren.

»Er hat keine Plantage, keinen Fußbreit Land in Texas; er lebt nur vom Verbrechen und wird auch Dich ins Verderben führen.«

»Mich, Mylord Forster? Nein, das wird er nicht!« Sie ballte die kleinen Fäuste. »Ich habe ihn lieb gehabt wie mein Leben; aber ich glaube Euch; er hat Miß Marga gewollt und nun ist meine Liebe hin. Sobald er zurückkehrt, werde – – –«

»Er kehrt nicht zurück zu Dir, Sarah, denn Du wirst sofort mit mir das Haus verlassen.«

»Das darf ich nicht, Sir, denn er hat mir streng befohlen, daheim zu bleiben bis er kommt.«

Er lächelte.

»Du scheinst Deine Lage nicht zu begreifen! Daß Du Mutter Smolly ohne ihre Erlaubniß verlassen hast, will ich nicht beurtheilen; es war Undank, aber kein Verbrechen. Aber, Sarah, Du bist mit einem Raubmörder und Fälscher geflohen und hast ihn in seinem Thun unterstützt, bist also vor dem Gesetze seine Mitschuldige – verstehst Du nun, weshalb Du mit mir gehen mußt? Als meine Gefangene!«

»Gefangen?« schrie sie. »Ich habe nicht das Geringste verbrochen!«

»Und mein Geld, das er mir raubte, ehe er Stenton verließ? Ich traf ihn in meinem Zimmer; er wollte mich mit dem Messer tödten, brachte mir aber nur zwei Wunden bei und entkam.«

»Ist das wahr? Er verlangte Euern Schlüssel, weil er von Eurem Zimmer aus etwas in Olbers' Haus beobachten wollte.«

»Der Schlüssel war Dir anvertraut und gehörte nicht in seine Hände. Er hat mich beraubt und verwundet.« Er streifte den Aermel seines Rockes empor. »Sieh hier den Schnitt und den Stich; Du bist Mitschuldige an dem Raube und Mordversuch.«

Sie erbleichte so tief, als es bei der Farbe ihrer Haut möglich[570] war und stierte ihn wie geistesabwesend an. Erst nach einer langen Pause vermochte sie Worte zu finden.

»Das ist ja entsetzlich, Sir, das ist ganz fürchterlich! O Gott, hätte ich ihm doch nie geglaubt, hätte ich doch Mutter Smolly nie verlassen! Giebt es keine Rettung für mich, Sir?«

»Vielleicht, wenn Du mir Alles aufrichtig mittheilst!«

»Ich werde es thun, Mylord Forster. Fragt, ich will auf Alles Antwort geben!«

Er stellte ein eingehendes Verhör an und erfuhr, was zu wissen nöthig war. Er fühlte inniges Mitleid mit der Verführten, die keine andre Schuld als ihre Liebe trug.

»Willst Du mir gehorchen, Sarah, so kann noch Alles gut werden!«

»Befehlt nur, Sir! Ihr werdet sehen, daß ich auch das Schwerste thue.«

»So packe ein, was Dir gehört. Du gehst mit mir!«

Mit zitternder Hast suchte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Er nahm alle Werthsachen Wilsons an sich und verließ heimlich mit ihr das Haus. Die Wirthin durfte nicht in den Stand gesetzt werden, irgend welche Auskunft zu ertheilen. Das Hotel war bald erreicht, und der schon längst zurückgekehrte Summerland staunte nicht wenig, als er das Mädchen bemerkte. Forster erzählte ihm Alles, nachdem er für ein Zimmer gesorgt hatte, in welches Sarah sich zurückziehen mußte.

»Alle Wetter, Sir, das ist ja ein ganz famoser Fang! Und der Brief, was steht in dem?«

»Das will ich Dir erklären. Schon in den ältesten Zeiten der spanischen Herrschaft in Mexiko pflegte die Regierung große Länderstrecken an Privatpersonen zu geben, entweder unter der Bedingung, binnen gewisser Jahre eine bestimmte Anzahl Menschen darauf anzusiedeln, oder sie verkaufte sie ihnen für eine sehr geringe Summe, die mit dem Werthe des Landes in gar keinem Verhältnisse stand und gewöhnlich in die Privattasche des höheren Beamten floß. Hier nennt man solche Stücke Landes Empressario's, bei uns im Norden aber Grants. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß man noch jetzt, wo man die Empressario's aus Geldnoth billig vergiebt, eine Legua von viertausendfünfhundert Acker für den Preis von noch lange nicht tausend Dollars weggiebt und ein einziger Mann oft zehn bis fünfzehn Legua's in dieser Weise von der Regierung ersteht. Der Verkauf dieser Grants nun liegt in den Händen des Grafen Don Ventura Hernano, und der brave Alkalde von Morelia schlägt in diesem Briefe seinen Bruder, zwar nicht in deutlichen Worten, aber doch so, daß man die Andeutungen zu verstehen vermag, einen Streich vor, der den Grafen zur willigen Abtretung eines größeren Landstriches führen soll. Er begiebt sich, wie hier steht, wöchentlich ein Mal auf eines seiner Güter, welches in der Nähe von Morelia liegt; die Gräfin begleitet ihn gewöhnlich, und bei einer solchen Gelegenheit sollen Beide überfallen und gefangen werden. Dabei erscheint Wilson als Retter und befreit den Grafen, während die Gräfin zurückbehalten wird, um ein Lösegeld zu erzielen, welches den Antheil der Helfershelfer bildet.«

»Ein verteufelt sauberer Plan, Sir, den man nur so einem spanischen Schuft zutrauen kann. Warum aber hat Wilson diesen Brief nicht vernichtet?«

»Das frage ich auch. Bei jeder schlimmen That giebt es einen Fehler, der sie an das Licht bringen kann. Wir sind vollständig geborgen, denn wir haben den Raub wieder und noch mehr dazu; ich konnte unter den hiesigen Verhältnissen nicht anders handeln. Eigentlich also könnten wir sofort zurückkehren; aber ich muß diesem Wilson das Handwerk legen und werde morgen mit dem Frühesten zum Grafen gehen, um ihm die Angelegenheit vorzutragen.«

»All reight! Wir begleiten ihn und nehmen die Schufte sammt dem Retter beim Skalp, das ist so sicher wie meine Mütze! Aber das Mädchen?«

»Bleibt hier bis zu unserer Rückkehr. Ich bin überzeugt, daß wir ihr von jetzt an trauen können.«

»So legt Euch schlafen, Sir, damit wir morgen nicht etwa den Spaß versäumen!«

Sie gingen zur Ruhe mit dem glücklichen Bewußtsein, gleich in den ersten Stunden mehr erreicht zu haben, als sie jemals ahnen konnten.

Am andern Morgen erkundigte sich Forster nach dem Palaste des Grafen. Dort hörte er, daß dieser bereits vor einer Stunde mit der Gräfin zu Pferde abgereist sei. Sofort begab er sich zu einem Pferdehändler, sorgte für drei gute, ausdauernde Reitthiere und einen Führer, und hielt mit ihnen schon nach kurzer Zeit vor dem Hotel. Tim Summerland war sofort bereit. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Anschlag des Alkalden konnte möglicherweise schon heut ausgeführt werden. Sarah schwor, zu bleiben und bis zu ihrer Rückkehr nicht einmal an das Fenster zu treten; dann ging es fort.

Der Führer war ein junger und, wie es schien, recht zuverlässiger Bursche, der auch ganz gut zu reiten verstand.

»Nach Morelia hin will ich Euch dienen, Sennor,« meinte er, als sie die Stadt im Rücken hatten; »aber nach Queretaro und Quanajuato zu wäre ich wohl nicht gleich mitgegangen.«

»Warum?«

»Diese Gegend ist seit einiger Zeit verrufen durch die Bravero's, welche dort herumlungern und Niemanden ungeschoren vorüberlassen. Erst vor acht Tagen haben sie eine ganze Mula überfallen und die Reisenden niedergemacht. Santa Maria, was half es, daß man Reiter gegen sie schickte! Sie haben sich zurückgezogen und werden es in Kurzem noch schlimmer treiben als vorher.«

Forster wurde bedenklich. Er mußte unwillkürlich diese Bravero's mit dem Unternehmen Wilsons in Verbindung bringen und gab seinem Thiere die Sporen.

Bald erreichten sie das schäumende Wasser von St. Jago, über welches eine alte, halb eingestürzte Brücke führte. Die Gegend wurde öder, der Weg immer weniger betreten und verlor sich endlich ganz in sandiges Geröll. Mitten im Jagen hielt Forster die Augen auf den Boden gerichtet, auf welchem sich die Hufspuren dreier Pferde zeigten. Hier war jedenfalls der Graf mit seiner Dame und einem Diener geritten.

Nach und nach zeigten sich wieder Büsche und immergrüne Nadelhölzer, und dann nahm ein Wald sie auf, unter dessen weit auseinanderstehenden Riesenbäumen sie ihre Eile nicht zu mindern brauchten. Da war es Forster, als vernehme er den Hilferuf einer weiblichen Stimme. Auch Summerland hatte ihn gehört.

»Go on,« rief er, »sie haben den Grafen und wir haben sie. Vorwärts, Sir!«

Die Pferde bekamen die Sporen und flogen pfeilschnell über den weichen Boden, der ihre Hufschläge beinahe unhörbar machte. Da, nach kaum einer Minute, sahen sie eine Dame in den Händen mehrerer im Gesicht geschwärzter Männer, während zwei männliche Gestalten sich muthig gegen eine beträchtliche Uebermacht vertheidigten. Forster zog den Revolver. Auf dem Kampfplatze angekommen, warf er sich vom Pferde, sprang an die Seite der Dame und drückte los. Zwei der Männer fielen, der dritte entsprang. Jetzt wandte er sich gegen die Uebrigen und riß das Messer heraus. Summerland arbeitete schon mitten unter ihnen, und auch der Führer that seine Schuldigkeit. Der Muth der Beiden hatte den seinen angefeuert. Die Banditen waren von dem nachdrücklichen Angriffe so überrascht, daß ihr Widerstand schnell erlahmte. Sie flohen mit Zurücklassung ihrer Todten und Verwundeten in den schützenden Wald.[571]

Jetzt erst warf Forster einen schärferen Blick auf die Geretteten und erkannte mit Verwunderung den Herrn und die Dame, mit denen er gestern auf der Alameda gesprochen hatte. Der Graf war leicht verwundet, die Gräfin aber bereits wieder wohlauf.

»Ihr seid es, Sennor?« frug sie. »Dann hat Euch Eure mächtige Zauberin herbeigeführt!«

Auch der Graf trat herbei. Er zeigte nicht die geringste Spur seiner gestrigen vornehmen Zurückhaltung.

»Nehmt meinen besten Dank, Sennores, für die rechtzeitige Hilfe, welche Ihr uns brachtet! Ohne Euch, das ist sicher, wären wir verloren gewesen.«

»Wir müssen den Dank zurückweisen, Don Hernano, denn es drohte Eurem Leben keine Gefahr; man wollte sich mit einem Lösegeld begnügen.«

»Woher wißt Ihr das, und wie kommt Ihr als Fremder zu meinem Namen?«

»Das erlaubt, Euch später zu erklären! Jetzt müssen wir vor allen Dingen trachten, aus der Nähe dieses Ortes zu kommen. Wo sind die Pferde?«

Die beiden Thiere des Grafen und der Gräfin lagen erschossen am Boden; das Pferd des Dieners hatte, wie auch die andern drei nach ihm, das Weite gesucht. Summerland machte sich sofort mit dem Diener und dem Führer auf, sie einzufangen, während die Gräfin nach der Wunde ihres Gemahls sah und Forster sich beschäftigte, die Sättel von den gefallenen Pferden zu schnallen. Die Verletzung zeigte sich ganz ungefährlich; die Pferde wurden nach einiger Mühe herbeigeschafft, auf eines derselben der Damensitz befestigt, und dann verließ man, der Diener und der Führer zu Fuß, die Stätte.

Die Besitzung des Grafen lag nicht allzuweit entfernt; man erreichte sie nach kaum einer halben Stunde und konnte nun in voller Ruhe das Geschehene besprechen.

Im elegantesten Salon, den es nur geben konnte, saßen Forster mit Summerland und den beiden Gatten zusammen. Die Gräfin, welche eine starke, furchtlose Natur sein mußte, machte die Honneurs, als sei sie eben von dem Besuche einer Freundin zurückgekehrt, und nur der Graf, dessen Alter eine größere Empfänglichkeit für dergleichen gewaltsame Eindrücke zur Folge haben mußte, hatte sich noch nicht vollständig erholt und dachte mit Schaudern an die Gefahr, in welcher er geschwebt hatte.

»Vor allen Dingen, Sennores, laßt mich Eure Namen kennen lernen,« bat er.

»Der meinige ist Forster, Richard Forster, Frankfort, Kentucky, Vereinigte Staaten, und dieser Sir ist mein Jagd- und Reisegefährte Tim Summerland – – – Savannen und Prairien, Vereinigte Staaten,« setzte er lächelnd hinzu.

»Und Euer Charakter, Don Forster?«

»Ich – – schreibe Bücher, Sennor, eine Beschäftigung, welche mich oft zwingt, mir auf Reisen den nothwendigen Stoff zu holen.«

»So wollt Ihr über Mexiko schreiben?«

»Nein. Für dieses Mal folge ich einer andern Intention, die mit dem heutigen Vorfalle in sehr genauer Verbindung steht. Gestattet, sie Euch mitzutheilen!«

Er erzählte nun in Kürze, was dem Grafen zu wissen nöthig war, und schloß dann mit der Bemerkung:

»Damit habe ich den Beweis geliefert, daß Ihr Euch in keiner Lebensgefahr befandet und wir Euch nur in unserem Interesse folgten. Wir müssen also jedes Recht auf irgend eine Verpflichtung unbedingt zurückweisen.«

»Nein, Sennores,« protestirte der Graf lebhaft, »das dürft Ihr nicht! Ich befand mich in Lebensgefahr, dafür zeugt meine Verwundung, und Ihr hättet recht gut zurückkehren und Eure Aufgabe für gelöst betrachten können, wenn Ihr nicht erfahren hättet, was mir drohte.«

»Mein Gemahl hat vollständig Recht,« schloß sich auch die Gräfin an. »Was hätte ich nicht in der Gefangenschaft Schreckliches zu erdulden gehabt, alle unberechenbaren Umstände, welche mein Leben in Gefahr bringen konnten, auch abgerechnet. Ich fühle mich Euch, Sennor Forster, verbunden, wie noch keinem Andern und werde eine so heilige Verpflichtung mir nicht rauben lassen! Wir werden Euch sehr dringend ersuchen, während Eures Verweilens in Mexiko unsere Gastfreundschaft nicht zurückzuweisen!«

»Das versteht sich ganz von selbst, Sennores, und ich hoffe, hier ganz bestimmt keine Fehlbitte zu thun.«

»Und dennoch müssen wir danken! Unser Weg geht unverweilt nach Morelia, wo wir bestimmt unsern Mann treffen, der verhindert war, sein Rettungswerk zu spielen. Er hat dasselbe jedenfalls hinter einem Busche hervor vollbringen wollen und ist von den entflohenen Bravero's von dem Mißlingen des Unternehmens benachrichtigt worden. Er wird schleunigst den Alkalden aufsuchen und dort müssen wir mit ihm Abrechnung halten.«

»Verzeiht, Sennor Forster! Er hat hier im Lande einen Raubanfall verursacht und verfällt also unter Herbeiziehung der Vereinigten-Staaten-Gesandtschaft unsern Gesetzen. Diese sind in einem solchem Punkte streng, und mit dem, was sie von ihm übrig lassen, mögt Ihr immer Abrechnung halten. Auf diese Weise versichere ich mich zweier Gäste, deren seltene Eigenschaften ich von ganzem Herzen anerkenne.«

»Aber,« warf Forster ein, »er wird entkommen, wenn nicht sofort gehandelt wird!«

»Die Handlung ist bereits im rührigsten Verlaufe. Ich habe gleich nach unserer Ankunft einen zuverlässigen Boten nach Morelia geschickt und werde jetzt, da ich den Zusammenhang besser kenne, einen zweiten abreiten lassen, der Alles ebenso besorgen wird, als ob wir selbst an Ort und Stelle seien. Zugleich sind eine Anzahl Arbeiter in den Wald gegangen, um sich der Gefallenen zu versichern.[588] Ich habe sehr begründete Ursache, zu glauben, daß wir es mit denselben Männern zu thun haben, welche die Gegend von Queretaro heimsuchten.«

Er erhob und entfernte sich. Summerland konnte es in dem fein ausgestatteten Raume unmöglich länger aushalten; er trat auf die Veranda. Nun sah sich die Gräfin mit dem schönen, muthigen Fremden, dem sie gestern eine solche Aufmerksamkeit erwiesen hatte, allein. Ihre Anschauung war keine andere, als die aller mexikanischen Schönen, obgleich die gute Bildung, welche sie genossen haben mußte, Manches milderte, was bei einer Andern unbeaufsichtigt hervortreten durfte.

»Kennt Ihr Eure Zauberin schon lange, Sennor?«

»Erst seit Kurzem.«

»So muß ihre Macht wirklich groß sein. Größer als diejenige der mexikanischen Feen?«

»Größer nicht, Donna, wie ich überzeugt bin seit gestern; es gilt wohl auch im Zauberreiche das Recht des Erstbesitzes.«

»In diesem Falle ein böses Recht, welches uns die Erlaubniß nimmt, Euch jede Stunde Eures Hierweilens zu einer unvergeßlichen zu machen!«

»Es wird keine einzige meinem Gedächtnisse entschwinden. Die Schönheit ist ewig, und das Andenken an sie kann kein Ende haben. Sie lebt in demselben fort, selbst wenn sie dem Auge längst entschwunden ist.«

»Das fühle ich am Lebhaftesten in diesem Augen blicke, Don Riccardo; ich werde den Mann nie vergessen, der mich so tief verschuldete.«

Ihr Auge brannte in das seinige herüber. Der Wiedereintritt des Grafen kam dem Bedrängten zu Hülfe.

»Die Staffette ist fort, und nun könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß die Polizei der ganzen Umgegend in Alarm gesetzt und ihre Schuldigkeit thun wird. Ihr dürft also getrost hier verbleiben.«

»Ich für meine Person, Don Hernano, darf vielleicht zusagen, mein Begleiter aber muß unbedingt nach Mexiko zurück.«

»Giebt es hierfür einen Grund?«

»Einen sehr triftigen. Die Wohnung, welche Wilson miethete, muß bewacht werden, und zwar von Jemand, der ihn persönlich genau kennt. Er kehrt auf alle Fälle dorthin zurück, wenn wir nicht schon hier seiner habhaft werden.«

»So muß ich allerdings meine Zustimmung geben. Sennor Summerland soll von mir einige Zeilen an die Polizei erhalten, welche ihm dann mit allen Kräften zu Gebote stehen wird. Jetzt aber laßt Euch Euer Zimmer anweisen, Don Forster, damit Ihr Euch ausruhen könnt!«

Forster lächelte über den Gedanken, daß er nach dem kurzen Ritte der Erholung nöthig habe; die Gräfin erhob sich.

»Folgt mir, Sennor, und erlaubt, daß ich selbst Euch geleite!«

»Gestattet zuvor einen kurzen Augenblick!«

Er trat unter die Thür zur Veranda.

»Tim, Du mußt sofort nach Mexiko zurück!«

»Well, Sir, das ist mir außerordentlich angenehm; ich bin verteufelt wenig auf gräfliche Weise einstudirt!«

»Unser Führer mag Dich begleiten. Du erhältst von Don Hernano ein Schreiben an die Polizei, welches Du übergiebst, und bewachst das Haus, wo Wilson sein Zimmer hat. Ich kenne den Namen der Straße nicht, doch kannst Du bei Sarah Alles erfahren. Ich kann nicht sagen, wenn ich Dir folgen werde; wenn Du ihn siehst, so laß ihn nicht wieder aus den Augen!«

»All reight, Master Forster; tragt keine Sorge um mich. Ich werde aufpassen wie die Kundschafter im Lande Kanaan, als sie die große Traube fanden und hinüber nach Mesopotamien schleppten!«

Forster wandte sich zurück und stellte sich nun der Gräfin zur Verfügung. Diese führte ihn in ein Zimmer, welches wahrhaft fürstlich ausgestattet war und an ein höchst bequem eingerichtetes Schlafkabinet stieß.

»Darf ich hoffen, daß es Euch genügen wird?«

»Vollkommen, Sennorita. Ich habe ja überhaupt gar nicht die Absicht, Euch Störung und ungewöhnliche Mühewaltung zu bereiten!«

Sie entfernte sich. Er trat an das Fenster und blickte hinaus in den herrlichen Garten, wo eine reiche, südliche Vegetation in den buntesten Farben prangte.

Es ging ihm beinahe wie Tim Summerland; er fühlte sich unbehaglich an diesem Orte, in der Nähe dieses Weibes, und doch vermochte er nicht, ihr zu zürnen oder eine Schuld auf sie zu werfen, welche die Gluth der Tropensonne nicht getheilt hätte. Er verließ nach kurzer Zeit das Zimmer wieder und begab sich in den Garten. Von hier aus bemerkte er, daß man die im Walde liegen gebliebenen Bravero's brachte. Er eilte zu der Gruppe, welche die geschwärzten Gestalten umgab, und erfuhr, daß man nur die Todten angetroffen hatte, während die Verwundeten verschwunden waren.

Auch der Graf trat hinzu.

»Wascht ihnen die Gesichter! Vielleicht finden wir ein bekanntes unter ihnen.«

Man leistete dem Befehle Folge, und kaum hatten die Züge der ersten der fünf Leichen ihre ursprüngliche Farbe erhalten, so rief einer der Arbeiter:

»Per dios, der Alkalde von Morelia!«

»Ja, er ists, ich kenne ihn,« bestätigte der Graf. »Wie kommt ein solcher Beamter unter die Banditen?«

Forster bog sich nieder, um die Kleidung des Mannes, dem eine seiner Kugeln in die Brust gedrungen war, zu untersuchen. Er öffnete die Knöpfe derselben und bemerkte, daß das Leben noch nicht völlig aus ihm gewichen sei.

»Habt Ihr nicht bemerkt, daß er noch athmet? Wasser herbei!«

Die Brustwunde war tödtlich; die Kugel mußte in die unmittelbare Nähe des Herzens eingedrungen sein. Bei der Untersuchung des kleinen Loches, welches ihren Weg bezeichnete, zuckte der Verwundete schmerzhaft zusammen. Forster ließ sich dadurch nicht stören. Gerade dieser Schmerz war am Besten geeignet, das geschwundene Bewußtsein wenn auch nur auf kurze Augenblicke zurückzurufen. Wirklich öffneten sich die geschlossenen Lider, sanken schwer wieder nieder und erhoben sich dann langsam zum zweiten Male, um dem Blicke Raume zu geben, die Umgebung zu erfassen.

Der Graf bog sich zu ihm nieder.

»Antonio Molez, der Tod hat Euch ergriffen. Wollt Ihr ohne Bekenntniß sterben?«

Der Gefragte schwieg. Er mußte sich erst auf das Geschehene besinnen. Dann hauchte er:

»Vergebt!«

Forster zog den Brief aus der Tasche und hielt ihm diesen vor die erstarrenden Augen.

»Habt Ihr das geschrieben?«

»Ja.«

»Wo ist Euer Bruder?«

»Im Walde. Er – wollte – – den Grafen – befreien.«

»Ihr seht, Don Hernano, daß ich Euch die Wahrheit mittheilte.« Dann wandte er sich wieder zu dem Sterbenden: »Wohin kehrt er aus dem Walde zurück?«

»Ich – weiß es nicht. Santa Madonna – bitte für mich – ich sterbe. Ich wollte – reich werden – mein Amt schützte mich – – ich bin der Anführer der – – –«

Sein Oberkörper erhob sich unter einer konvulsivischen Bewegung; ein Blutstrom entquoll seinem Munde; er sank todt zurück.

»Gott sei seiner Seele gnädig! Er war der Anführer der Bravero's und hatte seinen schlimmsten Streich gegen mich gerichtet Ich vergebe ihm!« sprach der Graf.

Die andern Vier waren ohne Leben; die fünf Leichen wurden bis auf Weiteres unter Verschluß gebracht.

Beim Diner, welches die drei Personen im Speisesaale vereinigte, war der Ueberfall natürlich Hauptgegenstand des Gespräches. Don Hernano sann lange vergebens auf eine Art und Weise, seine Erkenntlichkeit zeigen zu können, ohne unzart zu sein. Da endlich kam ihm ein Gedanke, und er mußte es bewundern, nicht sofort auf denselben verfallen zu sein. Der Zweck des Ueberfalls war gewesen, sich die Gunst des Grafen zu erwerben, um durch ihn in den Besitz billiger Ländereien zu kommen. Konnte dieser Zweck nicht jetzt zum Mittel werden, den Retter zu belohnen? Er schien kein reicher Mann zu sein, und das Geschenk von einigen Legua's guten Landes verursachte dem Grafen ja nicht die mindeste Schwierigkeit. Er faßte den Entschluß, diesen Gedanken auszuführen und die bezüglichen Papiere sofort bei seiner Ankunft in Mexiko ausfertigen zu lassen.

Da erschallten eilige Huftritte vom Thore her; die beiden nach Morelia gesandten Boten kehrten zurück und traten bald darauf in den Speisesaal.

»Nun?« frug der Graf, in ihren Gesichtern eine wichtige Botschaft lesend.

»Wir haben ihn.«

»Ah! Das ist ja über alles Erwarten schnell gegangen.«

»Er traf eben ein, als die Polizei das Haus des Alkalden besetzt hatte.«

»Leistete er Widerstand?«

»Ganz wüthend. Er war vorzüglich bewaffnet und hat einige der Leute verwundet.«

»Und wo befindet er sich jetzt?«[589]

»Im Gefängnisse, von wo er morgen nach dem vorläufigen Verhöre nach Mexiko transportirt werden soll.«

»Gut, Ihr könnt abtreten!« Dann wandte er sich zu der Gräfin und Forster. »Ich muß den Menschen sehen und reite nach aufgehobener Tafel nach Morelia. Wollt Ihr mit, Don Forster?«

»Auf jeden Fall.«

»Man wird unsere Ankunft willkommen heißen. Er ist nicht persönlich bekannt, und Ihr könnt also seine Person feststellen. Uebrigens sind wir ja bei der Untersuchung gegen ihn sehr betheiligt, so daß es die Arbeit des Beamten erleichtert, wenn wir zugegen sind.«

»Soll ich von dem Ritte ausgeschlossen werden?« frug die Gräfin.

»Ich denke, Du wirst lieber hier bleiben, als Dich der Berührung eines solchen Menschen aussetzen!«

Sie verzichtete nur ungern, sah aber ein, daß er Recht habe, und ergab sich in seinen Willen. Nach einer Viertelstunde saßen der Graf und Forster zu Pferde. Es war keine weite Entfernung zurückzulegen, und in kurzer Zeit hatten sie Morelia erreicht.

Der Ort war voller Aufregung über das Geschehene, und vor dem Gerichtsgebäude, welches zugleich als Gefängniß diente, hatte sich eine Menge Volkes versammelt, durch welches die beiden Männer sich kaum zu drängen vermochten. Der Beamte hatte bereits ein Verhör angestellt und empfing den Besuch mit der größten Zuvorkommenheit.

»Soeben war ich im Begriff, Euch aufzusuchen, Excellenza, um die nöthigen Erkundigungen einzuziehen, ein Vorhaben, dessen mich Eure Anwesenheit überhebt.«

»Spracht Ihr bereits mit dem Gefangenen?«

»Ja. Ich erkannte in ihm einen außerordentlich schlauen und dabei gewaltthätigen Menschen, dem Alles zuzutrauen ist. Er hat nicht das Geringste gestanden, und ich glaube sehr, daß nur der geladene Revolver, der hier neben mir lag, ihn abhielt, eine Extravaganz zu begehen. Darf ich um einen möglichst genauen Bericht des Geschehenen ersuchen?«

»Zunächst stelle ich Euch hier meinen Retter, Don Forster, Frankfort in Kentucky vor, der im Stande ist, Euch über den Inkulpaten genauere Auskunft zu geben als ich.«

Die beiden Herren ließen sich nieder; der Beamte hörte ihrer Erzählung aufmerksam zu und nahm das Nothwendige zu Notiz.

»Habt Ihr den Brief bei Euch, Don Forster?«

»Ja. Hier ist er!«

Der Beamte las ihn.

»Wollt Ihr mir das Schreiben überlassen?«

»Ich bitte, es mit dem möglichsten Nutzen zu verwenden.«

»Wilson hat es von Stenton aus beantwortet; ich fand seinen Brief unter den Privatpapieren des Alkalden, fand aber für gut, ihm beim ersten Zusammentreffen nichts davon zu sagen. Jetzt freilich steht es anders; ich werde ihn sofort wieder vorführen lassen, um ihn Euch gegenüberzustellen, und bitte, sich einstweilen in dies Kabinet zu verfügen!«

Er geleitete sie in einen anstoßenden Raum, dessen Thür angelehnt blieb, und gab dann den Befehl, Wilson zu holen. Dieser wurde gebracht. Er war gefesselt, stand aber aufrecht und mit einer Miene da, in welcher sich die höchste Entrüstung abspiegeln sollte.

»Was solls schon wieder? Ich denke, wir sind fertig und ich werde entlassen!«

»Entlassen sollt Ihr werden, aber vielleicht nicht in der von Euch vorausgesetzten Weise. Zuvor aber muß ich noch einige Fragen an Euch richten, die Euer Vorleben betrifft. Wollt Ihr mir noch einmal Euern Namen sagen?«

»Tommasio Molez; Ihr scheint an Gedächtnißschwäche zu leiden!«

»Möglich, doch Ihr vielleicht nicht weniger, da Ihr vollständig vergessen zu haben scheint, wo Eure früheren Aufenthaltsorte waren. Ihr seid geboren in St. Juan Bautista und befandet Euch seit zwölf Jahren in Brasilien?«

»So ists. Ich setzte während dieser Zeit keinen Fuß aus dem Kaiserreiche, bin dort Bürger und werde mich an das brasilianische Konsulat wenden, wenn Ihr mich länger meiner Freiheit beraubt. Dann mögt Ihr sehen, wie Ihr mit den Folgen fertig werdet!«

»Wollt Ihr Euch nicht an den Konsul der Vereinigten Staaten wenden?«

»Warum?«

»Weil Tom Wilson bei ihm mehr Erfolg haben dürfte, als Tommasio Molez bei der von Euch genannten Vertretung.«

»Tom Wilson? Wer ist das?«

Er war beim Nennen dieses Namens zusammengefahren, hatte sich aber schnell wieder gefaßt.

»Ein Pfahlmann, Raubmörder, Fälscher, Einbrecher, kurz eine sehr angenehme Persönlichkeit. Ihr habt wohl noch nie von ihm gehört?«

»Was habe ich mit einem solchen Subjekte zu thun?«

»Vielleicht noch mehr als Euer Bruder, welcher mit ihm in einem höchst interessanten Briefwechsel stand.« Er ergriff das Schreiben des Alkalden, und ließ ihn einen Blick auf dasselbe werfen.

»Kennt Ihr diesen Brief?«

»Nein.«

»Das ist eigenthümlich! Er wurde doch in Eurer Wohnung gefunden.«

Jetzt erbleichte Wilson.

»Meine Wohnung wollte ich bei meinem Bruder nehmen, ich hatte sonst keine und bin erst gestern an gekommen.«

»Ihr miethetet also in Mexiko wirklich keine Zimmer für Euch und eine Person, welche als Knabe anlangte, jetzt aber Damenkleider trägt?«

»Nein.«

»So habt Ihr also auch keinerlei Anspruch auf das, was dort vorgefunden wurde.«

»Was?«

»Dieser Brief, eine Sammlung Schriftübungen, welche viel zu denken giebt, mehrere Beutel voll Goldstaub und Nuggets und endlich eine Brieftasche mit Werthpapieren, welche plötzlich und unter eigenthümlichen Umständen aus Stenton, Arkansas, verschwunden sind. Wollt Ihr sie wieder haben?«

»Sie gehen mich nichts an!«

Man hörte es den mühsam hervorgestoßenen Worten an, welche Ueberwindung sie ihn kosteten.

»Auch das Mädchen nicht?«

»Nein.«

»Aber dann vielleicht dieser Brief, der in Stenton aufgegeben wurde?«

Er hielt ihm sein eigenes, an den Bruder gerichtetes Schreiben vor.

»Auch nicht. Ich kann überhaupt nicht begreifen, was Ihr von mir wollt. Ich komme gestern zu meinem Bruder, gehe heut mit ihm spazieren und werde bei meiner Rückkehr trotz seines amtlichen Charakters arretirt!«

»Das hat wohl seine Gründe. Der Spaziergang war ein außerordentlich bewaffneter; der Alkalde kehrte nicht zurück – –«

»Was geht das mich an? Er wird wohl noch kommen. Wir trennten uns, weil er einen Amtsbesuch zu machen hatte.«

»Zum Grafen Don Hernano, dem er erzählte, welches reizende Abenteuer er mit Euch erlebt habe. Er befindet sich noch dort, und ich werde ihn heut noch aufsuchen.«

Er konnte die Wirkung dieser Worte trotz aller Selbstbeherrschung nicht verbergen. Dennoch antwortete er trotzig:

»Ich habe nicht das Geringste dagegen!«

»Auch nicht gegen die Gesellschaft, in welcher ich diesen Besuch vornehmen werde?«

»Sie ist mir höchst gleichgültig.«

»Das dürfte erst zu beweisen sein. Da, blickt Euch einmal um!«[590]

Wilson machte eine Wendung nach dem Kabinet, unter dessen Thür der Graf und Forster erschienen. Der Anblick des Letzteren warf ihn um einige Schritte zurück; dann machte er eine Bewegung, wie um sich auf ihn zu stürzen, besann sich aber noch und meinte so kaltblütig wie möglich:

»Wer sind die Sennores?«

»Verstellt Euch nicht, Master Wilson,« meinte Forster; »Ihr habt ausgespielt! Oder wollt ihr wirklich behaupten, daß Ihr mich nicht kennt?«

»Behauptet Ihr etwa mich zu kennen?«

»Leider habe ich das Unglück, dies thun zu müssen.« Und zum Richter gewandt, fuhr er fort: »Ich rekognoszire diesen Mann als denjenigen, über welchen ich meine Aussage vorhin zu Protokoll gab, Sennor!«

»Und ich,« sprach Wilson mit scheinbarer Kälte, »rekognoszire diesen Menschen als den raffinirtesten Lügner, der mir vorgekommen ist.«

»Schon gut,« fiel der Beamte ein; »ich bin nun sehr im Klaren über Eure Persönlichkeit. Hätte ich noch den leisesten Zweifel, was aber nach den Worten Sennor Forsters nicht möglich ist, so würde ich Euch einem Sennor Summerland und einer gewissen Sarah gegenüberstellen, welche Beide bereit sind, über Euch die gewünschte Auskunft zu geben. Ich habe mit Euch nichts mehr zu schaffen und werde Euch morgen unter sicherer Bedeckung nach Mexiko liefern, wo Euch das Weitere erwartet. Ihr könnt abtreten!«

Auch die beiden Andern entfernten sich nach längerem Gespräche mit dem Beamten, welcher versprach, am andern Morgen die Besichtigung der Leichen vorzunehmen und ihre Bestattung sodann anzuordnen. Sie kehrten auf das Landgut des Grafen zurück, wo sie den Abend im traulichen Beisammensein verbrachten.

Am nächsten Vormittage traf der Beamte ein und besichtigte die Leichen, welche zur Feststellung ihrer Persönlichkeit nach Morelia geschafft wurden. Sodann ritt man in den Wald, um den Thatort zu besichtigen, und gleich von hier aus kehrte er heim, um die Auslieferung des Gefangenen zu bewerkstelligen.

Forster wollte nun den Rückweg nach Mexiko antreten, da aber der Graf und die Gräfin dies erst am andern Tage zu thun beabsichtigten, so ließ er sich erbitten, noch bis dahin zu warten.

Unterdessen saß Wilson zwischen den vier kahlen Wänden seiner engen Zelle, wo man ihm die Handschellen abgenommen hatte, da das Gefängniß für die Sicherheit des Gefangenen vollständig bürgte und eine Flucht ganz unmöglich war. Er hatte die Ellbogen auf die Kniee gestemmt und den Kopf in die Hände gelegt und brütete in finstern Gedanken vor sich hin.

»Forster und Summerland – wer hätte daran gedacht, daß mir diese zwei Hallunken folgen würden? Wie sie nur auf meine Spur gekommen sind! Sicher sind nur sie es gewesen, welche Sarah ausfindig gemacht haben und sie zu dem Entschlusse brachten, mich zu verrathen. O, könnte ich mich an ihnen rächen, ich würde viel, ich würde Alles dafür geben. Viel? Alles? Habe ich denn überhaupt noch Etwas? Meinen so gloriös erworbenen Reichthum haben sie mir genommen; ich besitze nichts als das Leben, und auch dieses nicht mehr, denn – in wenig Tagen wird man auch dieses von mir fordern.«

Er sprang auf.

»Aber nein, so weit ist es noch nicht. Noch ist es möglich, wieder freizukommen; hier allerdings nicht und in Mexiko vielleicht ebenso wenig, aber unterwegs kann sich eine Gelegenheit bieten, zu entkommen, und ich werde sie benützen, denn ich riskire dabei ja nur das bereits verfallene Leben. Und gelingt es, so will ich Rache nehmen, fürchterliche Rache! In Mexiko freilich darf ich mich nicht attrapiren lassen, sonst bin ich verloren. Aber sie müssen mit dem Gelde und dem Mädchen über New-Orleans; ich gehe dahin, erwarte sie, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht wiederbekäme, was sie mir genommen haben.«

Seine Geduld sollte nicht länger mehr auf die Probe gestellt werden. Die Thüre des Gefängnisses öffnete sich; er wurde in den Hof geführt und auf ein Pferd gebunden. Ein Unteroffizier mit einigen Mann Kavalleristen übernahmen seine Bedeckung. Der Erstere schnallte die Auslieferungspapiere in die Satteltasche, dann ging es fort nach Mexiko, den Gefangenen in der Mitte.

Wilson hatte nicht die mindeste Gewalt über sein Pferd, welches von einem der Reiter am Zügel geführt wurde; auch erlaubten ihm seine Fesseln nicht die kleinste Bewegung, und so sehr er auch all seinen Scharfsinn anstrengte, so fleißig er sein Auge suchend umherschweifen ließ, es wollte sich keine Möglichkeit der Rettung erkennen lassen.

Die Kavalleristen zeigten sich außerordentlich schweigsam, und nur als man den Wald erreicht hatte und an die Stelle gelangte, wo der Graf überfallen worden war, meinte der Anführer:

»Wirst's wohl nicht wieder thun, Bursche. Die heilige Gerechtigkeit läßt nicht mit sich spassen!«

»Quien save, wer weiß es!« erklang die trotzige Antwort.

Als sei sie eine Losung gewesen, krachten in demselben Augenblicke von beiden Seiten mehrere Schüsse; der Unteroffizier mit zweien der Reiter stürzten vom Pferde; die Uebrigen wollten sich gegen die zwischen den Bäumen herbeispringenden Angreifer vertheidigen, erkannten aber, daß auf deren Seite die Uebermacht sei, und jagten mit Zurücklassung des Gefangenen davon.

»Unerwartete Hülfe in der Noth, nicht wahr, Sennor?« frug Einer der auch heut geschwärzten Männer, indem er das Messer zog und die Fesseln durchschnitt.

»Bei allen Teufeln, ja. An Euch hätte ich nicht gedacht und glaubte mich auf mich selbst angewiesen.«

»Hm, wir mußten wohl! Ihr hattet einige von unsern Namen gehört, und da mußten wir Euch um die Gelegenheit bringen, sie den Herren vom Gerichte auszuplaudern.«

»Da zeigt Ihr Euch heut klüger als gestern, wo Ihr es vergaßet, meinen verwundeten Bruder in Sicherheit zu bringen.«

»Verwundet, Per dios, er war todt, Sennor!«

»Euer eigenes Wohl hätte dennoch erfordert, seine Leiche zu beseitigen; aber er war nicht todt, sondern ist zum Grafen Hernano geschafft worden, wo er Alles gestanden hat. Ob er dann an seiner Verwundung gestorben ist, ob er noch lebt und sich in Gefangenschaft befindet, weiß ich nicht. Ich könnte mich seiner auch nicht annehmen, denn ich muß schleunigst fort. Habt Dank für die Schüsse; sie kamen zur rechten Zeit!«

»Wo wollt Ihr hin?«

»Fort aus dem Lande,« erwiderte er mit vorsichtiger Zurückhaltung.

»Jedenfalls zunächst nach Vera Cruz! Geht nicht direkt, Sennor, sondern über Jalapa, das ist sicherer. Und wenn Ihr hinkommt, so sucht meinen Vetter Saldano auf, er hat eine Wirthschaft am Hafen, kennt unser Handwerk und wird Euch alle Hülfe leisten.«

»Ich werde ihn aufsuchen.«

Er war zu dem Pferde des Unteroffiziers getreten und öffnete die Satteltasche. Sie enthielt neben dem Aktenhefte seine Börse und alle Gegenstände, die man ihm abgenommen hatte.

»So, jetzt komme ich wieder zu dem Meinigen. Als Reisegeld wird es ausreichen, und diese hübschen Bogen müssen wir verschwinden lassen.«

Einer der Bravero's reichte ihm ein Zündhölzchen. Die Akten gingen in Flammen auf; dann bestieg er das Pferd des Unteroffiziers.

»Lebt wohl, Sennores, und macht auch fernerhin gute Geschäfte. Mich aber bekommt Ihr nicht wieder zu sehen!«

»Lebt wohl! Nach Eurem Bruder werden wir uns erkundigen. Lebt er noch, so sollen sie ihn nicht länger behalten, als wir es für gut befinden. Die Empressarios aber müßt Ihr Euch nun wo anders holen!«

»Der Teufel soll sie holen; ich mag sie nicht!«

Er nahm die Zügel auf, setzte die Sporen ein und flog davon. Er kannte die Gegend von früheren Zeiten her und kam also nicht in Gefahr, seinen Weg zu verfehlen. – –[598]

Quelle:
Ein Dichter. Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohenthal. In: All-Deutschland! 3. Jg. 1879. Heft 16–20. Stuttgart (1879). Nr. 38, S. 598-599.
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