Fürst und Leiermann

Eine Episode aus dem Leben des »alten Dessauer«. Von Karl May

Es war kurz nach dem Ausbruche des ersten schlesischen Krieges, als zwei Männer auf der Straße dahinschritten, welche nahe an der hannoverschen Grenze von Arendsee nach Ziemendorf führt. Sie trugen die Kleidung gewöhnlicher Land- oder Bürgersleute, ein scharfsinniger Beobachter aber würde vielleicht Einiges bemerkt haben, was mit derselben nicht so recht zu harmoniren schien. Die großen, steifgewichsten Schnurrbärte, ihre stramme, kerzengrade Haltung, die straffe, militärische Art und Weise ihrer Bewegungen und besonders das martialische Aeußere des Einen und Aelteren von ihnen standen grade jetzt, wo sie sich jedenfalls unbeobachtet wußten, zu dem friedlichen Rocke in einem Gegensatze, welcher keineswegs durch die derben, stacheligen Knotenstöcke, die sie in den Händen trugen, gemildert wurde.

»Papperlapapp, Hauptmann; lasse Er das unnütze Reden!« meinte der Martialische. »Ich bin kein Schuljunge, sondern regierender Reichsfürst und kommandirender Feldmarschall. Als solcher werde ich wohl wissen, was ich thue! Selber ist der Mann, und was ich mit meinen eignen Augen sehe, das ist mir mehr werth, als der Bericht von hundert Spionen.«

»Aber wenn Ew. Durchlaucht durch irgend einen Zufall erkannt werden!« bemerkte trotz dieser Zurechtweisung der Andere. Seine Gestalt konnte zwar nicht eine imponirende genannt werden, trotzdem aber ließ sich aus seinem ganzen Wesen erkennen, daß auch mit ihm nicht viel zu spaßen sei.

»So mag man nur erst sehen, ob man mich bekommt! Ich hätte heut gerade Lust, mir einmal eine kleine Motion zu machen; man wird bei dieser ewigen Faulenzerei ja zuletzt von Innen und von Außen sauer und läuft endlich gar wie alter Käse auseinander. Während der Teufelskerl, der Fritz, dem man es gar nicht zugetraut hätte, die Oesterreicher trotz ihrer vielgerühmten Kavallerie nach Noten walkt, muß ich als Kettenhund auf der Bärenhaut liegen und den Jörge von Hannover anknurren, wenn er mit den Pantoffeln klappert. Könnte ich mich doch nur einmal so recht[79] nach Herzenslust über ihn hermachen! Denn, weiß Er, Hauptmann, ich habe einen ganz verteufelten Pick auf ihn, noch von dazumal her, wo wir Anno neunundzwanzig ihm einige dumme Rekruten wegschnappten und er darüber einen Spektakel verübte, der das ganze heilige römische Reich in Aufruhr brachte.«

»Vielleicht geht es auch hier noch los, Durchlaucht!«

»Das gebe Gott! Wohl mag das sündhaft klingen, aber bei dieser Langeweile fahre ich entweder aus der Haut, oder schrumpfe vor Aerger zusammen wie eine gebackene Zwetschge. Ein fröhliches Dreinschlagen hat auch sein Gutes; man weiß dann wenigstens, woran man ist. Aber, bst! Was ist denn das?«

Er blieb stehen, faßte seinen Begleiter am Arme und deutete nach seitwärts, wo eine schmale Oeffnung des Gebüsches dem Auge gestattete, eine kleine Lichtung zu überblicken, welche rings von dichten Sträuchern eingefaßt war. Mitten auf dem freien Platze, dem Auge so recht deutlich sichtbar, kniete mit gefalteten Händen eine weibliche Gestalt. Das um den Kopf geschlungene Tuch war zurückgefallen und ließ die aufgelöste Fülle des dunklen Haares erkennen, welches in dichten Ringeln über die Schulter herabquoll; das feine, von innerer Erregung geröthete Gesichtchen war mit einer Inbrunst aufwärts gerichtet, die nur dem tiefsten Grunde des Herzens enstammen konnte; die Augen schwammen in Thränen, und die vollen Lippen bewegten sich zuckend unter dem Schmerze, welcher das liebliche Wesen fast zu überwältigen schien.

»Sie betet!« flüsterte weich die sonst so harte Stimme des Fürsten.

»Sie betet!« klang es leise aus dem Munde des Andern zurück und unwillkürlich faltete er die Hände.

»Hauptmann, hat Er vielleicht meine Anneliese einmal gesehen, als sie noch jung war?«

»Nein, Durchlaucht!«

»Da sehe Er sich das Mädchen da einmal recht genau an. So eine Aehnlichkeit ist mir fast noch gar nicht vorgekommen.« Er fuhr sich nachdenklich und sichtbar ergriffen mit der Hand über das alte, wetterharte Gesicht. »Was ihr nur fehlen mag!«

»Das könnten wir ja leicht erfahren.«

»Da hat Er Recht! Ich habe das Plappern und Frommthun niemals leiden mögen, aber dieses Gebet kommt aus einer reinen und gläubigen Seele und sollte darum wohl Erhörung finden. Freilich kommt der liebe Herrgott nicht vom Himmel herunter, um gleich eigenhändig zuzugreifen, sondern er schickt seine Leute, die, wie zum Beispiel wir jetzt eben, das Ding beim rechten Zipfel anzufassen haben. Komm Er! Sie ist aufgestanden. Wahrhaftig, das Mädchen ist eine Schönheit, wie sie bei manchem Hoffeste kaum gefunden wird.«

Mit raschen Schritten eilte er zwischen den Büschen hindurch und stand nach wenig Augenblicken vor der Erschrockenen, welche sich bei dem Anblick der beiden unbekannten Männer ängstlich hinter einen mit Waldstreu halb gefüllten Korb zurückzog.

»Brauchst Dich nicht zu fürchten, Kleine!« suchte sie der Fürst mit seinem mildesten Tone zu beruhigen. »Wir haben von der Straße aus Dich beten sehen, und weil Du ein frommes und braves Kind zu sein scheinst, so schickt uns der da droben herüber, um Dir zu helfen. Welcher Hallunke ist denn Schuld, daß Du weinst, he?«

Sie stand fast zitternd vor dem Manne, der sie mit seinen dunklen Augen so eigenthümlich anblitzte, daß sie ihre Fassung vollends schwinden fühlte. Noch hingen ihr die Thränen in den Wimpern, und die zuckenden Lippen verriethen, daß die Fluth von Neuem hervorzubrechen drohe.

»Weine nicht, sondern sage, was Dir fehlt! Wenn es uns möglich ist, so werden wir Dir Hilfe bringen.«

Langsam und unsicher suchte ihr Blick den seinen, und mit vibrirender Stimme klang es leise:

»Ihr könnt mir nicht helfen! Wer seid Ihr?«

»Papperlapapp, nicht helfen! Das wird sich finden! Und wer wir sind? Nun, wir sind zwei Kerls, die schon Manches fertig gebracht haben, was andern Menschenkindern niemals gelungen wäre. Also nur immer heraus mit der Antwort! Wie heißest Du?«

»Ich heiße Emma, und mein Vater ist der Schulmeister Brehmer in Ziemendorf.«

»Brehmer? Hm, hm! Stammt er von hier?«

»Nein; er ist gebürtig aus Ottersleben bei Magdeburg.«

»Brehmer – hm! Ottersleben – hm!« brummte der Frager nachdenklich. »Ist er stets Schulmeister gewesen?«

»O nein! Er hat lange, lange Jahre bei dem Militär gestanden, wurde aber blessirt und mußte in Folge dessen seinen Abschied nehmen.«

»Dachte es mir doch; konnte mich nur nicht gleich besinnen! Nicht wahr, er bekam eine Kugel in die Achsel?«

»Ja,« antwortete sie, ihn überrascht anblickend. »Kennt Ihr ihn?«

»Ein Wenig. Wenn ich mir das Ding richtig betrachte, so sind wir eigentlich Kriegskameraden mit einander.«

»Ist es wahr? Habt Ihr vielleicht auch mit dem alten Dessauer gegen die Schweden gefochten?«

»Mit wem, he, wenn ich fragen darf?«

»Mit dem alten Dessauer,« antwortete sie, indem ihr schon gewachsener Muth durch den barschen Ton, mit welchem seine letzten Worte gesprochen waren, wieder eingeschüchtert wurde.

»Mit dem alten Dessauer! Da muß doch gleich – na, ja, Du kannst nichts dafür, und ich habe wirklich einmal mit dem alten Grobian zu thun gehabt. Wer den zum General gemacht hat, kann es auch in seinem ganzen Leben nicht verantworten.«

»Oho!« antwortete sie, und es schien auf einmal alle Furcht von ihr gewichen zu sein. »Das solltet Ihr in Gegenwart meines Vaters sagen; der würde Euch eine Antwort geben, die sich gewaschen hätte.«

»So! würde mich auch ganz gewaltig vor ihm entsetzen! Muß den Mann nur einmal aufsuchen, wenn[80] wir jetzt nach Ziemendorf kommen. Ist er zu Hause?«

»Nein,« entgegnete sie, indem ihre Züge in den früheren traurigen Ausdruck zurückfielen. »Er ist gefangen.«

»Gefangen? Alle Wetter, was hat er denn verbrochen, daß er eingesponnen werden mußte?«

»Nichts hat er verbrochen, gar nichts; er wollte nur den Paul zurückbringen, und da hat man auch ihn festgehalten.«

»Den Paul? Wer ist denn der?«

»Das ist – das ist – –«

»Aha, weiß schon, das ist Dein Schatz! Na na, brauchst Dich nicht zu schämen. Habe auch einen Schatz gehabt, und was für einen! Donnerwetter, sollte ihn nicht bekommen; aber da bin ich mit Händen und Füßen dreingesprungen und habe nicht eher locker gelassen als bis ich ihn hatte. Also, der Paul ist auch gefangen?«

»Ja.«

»Wo denn? Erzähle uns doch die Geschichte einmal ausführlich!«

»Ja, das ist so: Der Paul ist der einzige Sohn einer armen Wittfrau und Oberknecht beim Wiesenbauer, welcher ein Gut hat, größer als manche herrschaftliche Domäne. Und weil er gar so brav und immer meines Vaters bester Schüler gewesen ist, so haben die Eltern es gern gesehen, daß er viel auf mich hält und mich – mich am Ende gar – gar noch heirathen will. Da aber ist der rothe David aus Prezelle gekommen und mir auf Schritt und Tritt nachgelaufen, bis ihn der Paul einmal gehörig heimgeschickt hat. Aus Wuth darüber hat er ihm gestern in der Nacht die hannoverschen Seelenverkäufer über den Hals geschickt, und die – die – –«

Sie konnte nicht weiter; die Thränen erstickten ihre Stimme.

»Mord und Teufel, die Lumpenröcke von da drüben hätten es gewagt, über die Grenze herüber zu kommen und den Unterthan eines fremden Souverain zu pressen? Da sollen ihnen doch gleich neunundneunzigtausend Hagelwetter auf den Hals fahren! Und Dein Vater ist ihnen nachgegangen, um den armen Tropf aus der Tinte wieder heraus zu angeln?«

»Ja; er hat bloß gute Worte geben wollen, aber sie sind auch über ihn hergefallen und haben ihn hinter Schloß und Riegel gesteckt.«

»O, Ihr miserablen Canaillen! Einen alten, wohlverabschiedeten Soldaten und ehrlichen Schulmeister wie einen Spitzbuben und Gaudieb um die Freiheit zu betrügen! Wart, ich werde hinter Euch herfahren wie die Watte hinter den Flöhen und Euch das Kurfürstenthum Hannover um die Köpfe schlagen, daß die lieben Englein im Himmel darüber singen, pfeifen und trompeten sollen! Wo stecken denn die Millionenhun de?«

»Das Regiment steht in Dannenberg, die Abtheilung aber, welche hier in Ziemendorf gewesen ist, befindet sich noch in Prezelle, wo heut Kirchweih gehalten wird.«

»Aha, da wollen sie fressen, saufen, tanzen und dicke thun, während die beiden armen Teufel bei Wasser und Brot verschimmeln können! Gut, sie sollen eine Kirmeß haben, nach der es ihnen noch zehn Jahre lang hinter den Ohren jucken wird. Wie heißt denn der Paul mit seinem Familiennamen?«

»Schubert.«

»Schön! Jetzt will ich Dir nur Eins sagen, meine Tochter! Bleibe immer so fromm und gut, wie Du jetzt bist, dann wird Dich der liebe Herrgott in keiner Noth verlassen. Du sollst Deinen Paul wieder haben und Deinen Vater obendrein, Adieu!«

Sich scharf auf dem Absatze herumdrehend, entfernte er sich; nach wenigen Schritten aber blieb er wieder stehen und wandte sich noch einmal zurück.

»Aber höre 'mal, was bekomme ich denn eigentlich, wenn ich Dir Deinen Herzenswunsch erfülle?«

»Ich weiß nicht,« antwortete sie verlegen. Es war ihr diesem Manne gegenüber so eigenthümlich zu Muthe. Seine ganze Art und Weise hatte Etwas, was ihr Respekt und Vertrauen einflößte, und doch mußte sie seine Worte und Versprechungen als diejenigen eines ihr vollständig Fremden in einen gewiß nicht ungerechten Zweifel ziehen.

»So weiß ichs desto besser und werde mir den Lohn nehmen, sobald ich ihn verdient habe. Aber sag' noch, wie stark die Hannoverschen ungefähr gewesen sind!«

»So an die fünfzehn oder zwanzig Mann.«

»Da werden sie den Himmel nicht einreißen! So ein paar Lüneburger Haidschnucken packt man bei der Parebel und hält sie drei Wochen lang zum Fenster hinaus, bis sie verhungert sind. Adieu!«

Jetzt kehrte er nicht wieder zurück, sondern schritt auf die Straße hinaus, wo er stehen blieb.

»Höre Er, Hauptmann, ich will ihm 'mal 'was sagen: Die beiden Männer müssen wir wieder haben und dem Jörge seine zwanzig Kriegspudel dazu. Darum muß Er unverzüglich nach Leppin, wo wir unsre dreißig Eisenfresser gelassen haben. Mit denen kommt er so schnell wie möglich nach Ziemendorf, wo Er mich vielleicht im Kruge findet; bin ich aber dort nicht mehr anzutreffen, so marschirt Er im Schnellschritt nach Prezelle, und dort wird sich dann das Uebrige ganz von selbst ergeben.«

»Durchlaucht, ich halte es für meine Pflicht, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welche – – –«

»Papperlapapp! Bekümmere Er sich um meine Befehle und nicht um meine Sicherheit! Was ist's denn, wenn sie mich erwischen? Er wird ja kommen und seinen Feldobersten nicht im Stiche lassen!«

»Es können aber ganz unvorhergesehene Umstände eintreten, und die Disposition Ew. Durchlaucht ist so allgemein, daß – – –«

»Mordelement, Hauptmann, Er wird mich doch nicht etwa disponiren lehren! Und vor seinen unvorhergesehenen Umständen fürchte ich mich den Kuckuck. Wenn sie kommen, so lasse ich auch etwas Unvorhergesehenes eintreten, und dann wird sich zeigen, wer zu befehlen hat, ich oder die Umstände. Laufe Er nur, was Er laufen kann, so wird die Sache prächtig klappen!«

Bei den letzten Worten drehte er sich kurz um und schritt von dannen, seinen bisherigen Begleiter in einer keineswegs angenehmen Situation stehen lassend. Nachdem er einige Zeit sinnend und ärgerlich gestikulirend vorwärts gegangen war, traten die Büsche von der Straße zurück und die letztere führte nunmehr durch offenes Terrain. Er blieb stehen, um zu recognosciren. In einer Entfernung von wenig mehr als dreißig Minuten lag Ziemendorf vor ihm. Kein Mensch war rings umher zu bemerken außer einem einsamen Fußgänger, welcher seitwärts auf einem Feldwege dahergeschritten kam und allem Anscheine nach die Straße zu erreichen suchte. Das rechte Unterbein war ihm nach hinten gebogen und der Schenkel vom Knie an in ein ledernes Futteral geschnallt, an welchem sich eine hölzerne Stelze befand. Auf dem Rücken trug er einen in eine alte Wachsleinwand gehüllten Kasten. Sobald er die Straße betreten hatte, blieb er stehen,[81] um den Fürsten herankommen zu lassen, zog dann seine Mütze und bat in demüthigem Tone:

»Gebt einem armen Krüppel eine kleine Münze, Herr! Die Zeiten sind schlecht, und ich habe fünf Kinder daheim.«

»So? Fünf Kinder, und das nennt Er schlechte Zeiten? Wenn sie wirklich so schlecht sind, so sei Er nur so gut, sich in Beziehung auf seine Nachkommenschaft auch nach ihnen zu richten! Was für ein Gebreste ist Ihm denn in das Bein gefahren?«

»Die Gicht hat mirs so krumm gezogen.«

»Die Gicht – schlechte Zeiten – fünf Kinder – und da guckt ihm die Schnapsbulle aus dem Sacke! Kerl, Er ist ein ganz unverschämter Lügner, und ich hätte fast Lust, Ihn hier nach meiner Stockflautuse tanzen zu lassen. Aber Er kommt mir zufälliger Weise grad gelegen. Will Er sich einige hübsche Thaler Geld verdienen?«

»Herr, für Geld thut man Alles, was sich thun läßt! Was verlangt Ihr von mir?«

»Sei Er zunächst einmal aufrichtig! Hier hat Er einen Thaler, wenn Er die Wahrheit sagt. Er trägt diesen Stelzfuß nur aus Geschäftsrücksichten; ich habe es gleich an seinem Gange gesehen, was?«

»Hm, wir sind hier unter uns Zweien. Ihr mögt Recht haben; man muß sich helfen, so gut wie man kann. Her mit dem Thaler! So; danke schön!«

»Er will mit Seinem Leierkasten gewiß hinüber nach Prezelle zur Kirmeß?«

»Ihr könnt gut rathen!«

»Wo ist Er her?«

»Aus der Gegend von Soltau.«

»Also ein Hannoveraner! Hat Er Seine gehörigen Papiere bei sich?«

»Freilich. Die muß ich ja allerorten vorzeigen, ehe ich meine Orgel drehen darf!«

»Schön! Ich möchte mir einmal bis ungefähr morgen früh Seinen Kasten, Seine Papiere und Sein hölzernes Bein borgen. Wie viel will Er dafür haben?«

»Sapperlot, Herr, das ist eine bedenkliche Geschichte. Ich kenne Euch nicht, und wenn Ihr mir mit diesen drei nothwendigen Dingen durchbrennt, so sitze ich mit den paar Pfennigen, die Ihr mir bieten werdet, in einer sauberen Patsche.«

»Schwatze Er kein albernes Zeug! Ich gebe Ihm zehn Thaler, und zwar jetzt gleich, und bringe ihm die Sachen morgen Vormittag in den Ziemendorfer Krug.«

»Das ließe sich hören! So ein schönes Stück Geld bekommt man nicht alle Tage zu sehen. Wenn ich nur wüßte, ob Ihr auch Wort haltet mit dem Wiederbringen!«

»Na, was soll ich denn sonst mit seiner alten Wimmerlade und dem unglückseligen Humpelfuße machen! Glaubt Er etwa, daß ich das Gerölle braten und verzehren werde? Was ist die Leiermühle denn eigentlich noch werth?«

»Zwanzig Thaler unter Brüdern.«

»Das ist vielleicht möglich; ich verstehe mich auf solche musikalische Seltenheiten ganz verteufelt schlecht. Weiß Er was? Ich werde Ihm die zwanzig Thaler geben, damit Er eine Caution in den Händen hat, und wenn ich Ihm morgen den Hausrath wiederbringe, so zahlt Er mir zehn davon zurück. Ist er damit zufrieden?«

»Auf diese Weise läßt sichs machen. Aber wer Ihr seid, das möchte ich doch wohl wissen!«

»Das geht Ihn grad so viel an, wie mich seine krumme Gicht angeht! Hier hat Er das Geld, und nun schnalle Er den Menuettfuß herunter; ich habe eine ganz absonderliche Sehnsucht, einmal das Trampelthier zu spielen. So! Da steht auch der Kasten; und nun die Papiere her!«

»Hier sind die Wische!«

»Gut! Warte Er einmal! Na, sie sind nicht ganz so schlecht, wie ich dachte, und für einen Nachmittag mag es mit ihnen wohl einmal gehen. Und nun will ich Ihm nur noch Eins sagen: Er erzählt keinem Menschen Etwas von unserm Handel! Wenn Er reinen Mund hält, kommt es mir auf einem Extrathaler auch nicht an; schlabbert Er aber nur ein Wort von der Sache aus, so ist es Sein eigener Schaden! Und nun mache Er sich schleunigst aus dem Staube; wir haben für heut Nichts mehr mit einander zu schaffen!«

Obgleich der Mann sehr gern der in Aussicht stehenden Verwandlung beigewohnt hätte, zog er es doch vor, diesem Gebote Folge zu leisten und schritt nach einigen kurzen Bemerkungen auf Ziemendorf zu. Mit einiger Mühe gelang es Leopold, den Stelzfuß an das Bein zu befestigen; dann hing er die Drehorgel um, griff zum Knotenstocke und hinkte langsam und stolpernd von dannen.

»Heiliger Mephistopheles,« knurrte er mit zusammengekniffenem Gesichte; »muß mich da der Teufel reiten, daß ich mir die vermaledeiete Sperlingswade anschnalle! das ist ja ein Gefühl, als ob mein Corpus aus neunmalhunderttausend Hühneraugen zusammenapothekert wäre! Aber ein vortrefflicher Gedanke ist es doch, als fürstliche Durchlaucht und militärische Excellenz den Leierbengel zu machen. Mit dem Gichtstiefel und der Hopsertruhe bin ich für das ganze hochlöbliche Kurfürstenthum Hannover vollständig unkenntlich gemacht, ganz abgesehen davon, daß ich einen prächtigen Erlaubnisschein habe, für einige Pfennige das ganze heilige deutsche Reich zu leiermüllern. Nach Ziemendorf komme ich gar nicht, sondern ich stampfe gleich querfeldein auf die Grenze zu, denn je eher ich Prezelle erreiche, desto besser ist es für die Gefangenen. Der Hauptmann wird sich schöne wundern, wenn er mein heutiges Avancement in Augenschein nimmt!«

Trotz der Ungeduld, mit welcher Fürst Leopold von Anhalt-Dessau die Ausführung Dessen, was er sich einmal vorgenommen hatte, zu betreiben pflegte, kam[82] er wegen des künstlichen Beines nur langsam vorwärts. Dasselbe für einstweilen wieder abzuschnallen, war nicht gerathen, da er sehr leicht unterwegs auf Jemanden stoßen konnte, der ihn in Prezelle wiedersehen mußte, und so arbeitete er sich unter dem jammervollsten Gesichtsausdrucke und den kräftigsten Kernsprüchen stundenlang vorwärts, bis er endlich das nicht unbedeutende Kirchdorf vor sich liegen sah. Da blieb er stehen und versetzte dem hölzernen Beine einen krachenden Hieb mit dem Knotenstocke.

»Da hast du Eins, du satanischer Höllenknüppel, du! Einmal gehinkt in meinem Leben und nicht wieder, wenn mich unser Herrgott vor dem Elende bewahrt, in der Schlacht eine Kugel auf den Stiefel zu bekommen! Aber jeden Druck und jeden Stich und jeden Zwick, den ich auf diesem Passionswege gefühlt habe und heute noch fühlen werde, sollen mir die Gelbschnäbel des tapfern Jörge bezahlen! – Hm! Werde mit meiner Ludelei unter dem jungen Volke Freude anrichten! Hätte doch fragen sollen, was für Stücke eigentlich in dem alten Flötenschranke stecken, und es wundert mich nur, daß der Kerl ihn mir gegeben hat, ohne mich im richtigen Gebrauche zu unterweisen. Sehe ich denn wirklich so fürchterlich drein, wie die Leute immer sagen, daß selbst so einem Galgenstricke die Gedanken abhanden kommen, wenn ich ihn angucke? Glücklicher Weise verstehe ich es ein wenig, mit dem Dinge umzugehen, denn ich habe früher schon einmal den Orgelmann gemacht, was mich vorhin eigentlich erst auf die glückliche Idee brachte, die Polkaschachtel umzuhängen. Das war dazumal, hahahaha! als sie mich mit Denen, auf die wir's abgesehen hatten, vor meinen eigenen Werbern in den Keller versteckten. Und als die nun kamen und alle Welt glaubte, daß ihnen der Fang nicht gelingen werde, da fing ich an zu leiern, und – hurrah! hatten sie die Muttersöhne und auch mich! Na, die Gesichter vergesse ich nicht!«

Die wohlthuende Erinnerung an dieses Abenteuer ließ ihn die Unbequemlichkeit des Vorwärtsschreitens leichter ertragen, und bald hatte er die ersten Häuser des Dorfes erreicht, wo ihm eine Schar jubelnder Kinder entgegengesprungen kam.

»Ein Orgelmann, ein Orgelmann!« rief es aus allen Kehlen. »Mach los, mach los; einen Tanz wollen wir hören!«

»Werdet Ihr mich wohl in Ruhe lassen, ihr Affenbrut, Ihr! Ich muß doch erst die Erlaubnis dazu haben! Wo wohnt der Schulze?«

»Da oben wohnt er. Wir gehen mit!«

Umsprungen von der hoffnungsvollen Ortsjugend hinkte er weiter und trat nach kurzer Zeit durch ein weit offenstehendes Thor in den Schulzenhof, natürlich gefolgt von seinen immer zahlreicher werdenden Begleitern. Die Bewohner des Gutes, welche nebst den anwesenden Kirchweihgästen grad bei Tische saßen, fuhren, erschrocken über den ungewöhnlichen Lärmen, mit den Köpfen an die Fenster, fühlten sich jedoch bei dem Anblicke des unerwarteten Musikanten nicht nur vollständig beruhigt, sondern gaben ihre Freude über seine Ankunft dadurch zu erkennen, daß sie ihm entgegenkommend die Thüren öffneten und ihn zum Eintritte aufforderten. Nur das Oberhaupt des Dorfes war im Bewußtsein seiner amtlichen Würde ruhig auf dem Großvaterstuhle sitzen geblieben und nickte dem Ankömmlinge kaum eine Entgegnung seines respektvollen Grußes zu.

»Wer ist man? Wie heißt man? Wo kommt man her? Und was will man?« klang es aus dem fettglänzenden Gesichte hervor.

»Man ist das und das! Man heißt so und so! Man kommt da und da her! Und man will Dieses oder Jenes!« lautete die ausführliche Antwort.

Da zogen sich die kleinen Augen des Schulzen noch mehr zusammen, und das Gesicht wurde um einige Töne röther, als es vorher gewesen war.

»Weiß Er, mit wem Er spricht?«

»Nein!«

»Ich bin der Schulze von Prezelle!«

»Ach so! Und weiß Er, mit wem Er gesprochen hat?«

»Das werde ich wohl erfahren!«

»Jawohl! Er hat mit Niemanden gesprochen, denn ›Man‹ ist Niemand. Will Er so gut sein, sich einmal diese Papiere anzusehen!«

Er gab die geliehenen Legitimationen und Erlaubnisscheine hin. Der Schulze nahm sie in Empfang und beguckte einen nach dem andern mit einer Miene, die möglichst gelehrt sein sollte, dem Fürsten aber sofort erkennen ließ, daß der gute Mann mit dem Alphabete auf einem nicht sehr vertrauten Fuße stehe.

»Also, wie heißt Er?«

»Das steht drin!«

»Wo ist Er her?«

»Steht auch drin! Sehe Er nur richtig nach!«

»Aber ich will es aus Seinem Munde hören! Uebrigens sagt man zu einem Beamten nicht ›Er‹ sondern ›Ihr‹; weiß Er das?«

»Da stehen wir auf gleichem Fuße, denn ich bin auch Beamter.«

»Wie so?« frug der Vater von Prezelle erstaunt.

»Weil ich kaiserlicher, königlicher, kurfürstlicher, landgräflicher und so weiter Drehorgelmarschall bin.«

»Ich habe dem deutschen Kaiser, den Königen von Schweden, den Kurfürsten von Hannover und hundert andern Potentaten vorgespielt, und all die Herren haben einen gewaltigen Respekt vor mir gehabt. Seht Euch nur die Papiere an, wenn Ihr es nicht glaubt!«

Der dicke Schulze unterwarf die Dokumente einer neuen Prüfung.

»Richtig, da steht es: Schweden – Hannover – Deutscher Kaiser – hundert Potentaten – Ihr seid ein ganzer Kerl!«

»Das will ich meinen! Wenn Ihr neben die Potentaten kommen wollt, so dürft Ihr nur Euern Namen zu den andern Potentaten setzen. Ich werde nächstens den Kurfürsten Georg wieder ein Stücklein hören lassen, und da wird es Euch große Ehre machen, wenn er von Euch zu lesen bekommt.«

»Eure Meinung ist gut und löblich, und Ihr sollt dafür auch ein tüchtiges Stück Aepfelkuchen haben, aber solchen Herren gegenüber bin ich immer gern bescheiden gewesen. Hereinschreiben werde ich mich also nicht, aber wenn Ihr zu ihm kommt, so könnt Ihr es ihm durch die Blume zu verstehen geben, daß hier auch Leute wohnen, die zu regieren wissen und Musik im Kopfe haben.«

»Gut! Ich weiß nur heut noch nicht genau, von welcher Art die Blume sein wird, durch welche ich mit ihm reden werde; aber verstehen wird er mich; das kann ich Euch versprechen. Und nun gebt Ihr mir wohl die Erlaubnis, hier im Orte meine Orgel hören zu lassen?«

»Natürlich! Ihr könnt vor allen Häusern und in allen Stuben spielen, und es ist recht gut, daß Ihr gekommen seid, denn der Schulmeister, welcher immer zum Tanze fiedelt, liegt krank im Bette und unser[83] junges Volk hat sich schon blau geärgert, daß es zur Kirchweih auf das gewohnte Vergnügen verzichten soll. Zuerst aber laßt Ihr natürlich Eure Stücke hier in meiner Stube los!«

»Das will ich Euch gern zu Gefallen thun. Aber da ist ja hier in der Gegend der Teufel einmal so recht tüchtig in die Schulmeisterei gefahren. Ich bin von Ziemendorf dahergekommen, habe aber denen über der Grenze da drüben Nichts vorspielen wollen, denn wie Ihr in den Papieren gelesen habt, ist mein Kasten ein echter Hannoveraner, und da habe ich gehört, daß ihnen der Schulmeister reinweg davongelaufen ist!«

»Davongelaufen? Da hat man Euch schlecht berichtet! Er ist herübergekommen, um einen Kerl loszubringen, den unsre Buntröcke das Mitgehen geheißen haben. Ist ihm aber schlecht bekommen, denn nun stecken Beide bei dem David Petermann im Gewölbe. Der Eine wird morgen früh nach Dannenberg transportirt, und der Andere, ja wir wissen noch gar nicht, was wir mit dem anfangen. Er hat einen Rekruten befreien wollen und gehört also vor ein Kriegsgericht, wie der Korporal sagte, und dann hat er auf uns und auf den Kurfürsten geschimpft, und da gehört er vor unser Amt und vor die Landdrostei. Wir werden uns die Sache heut noch überlegen. Ich möchte ihn zuerst vor das Amt und dann nachher in das Kriegsgericht schaffen lassen, denn eine kurfürstliche Beleidigung geht vor. Ich wollte diese Geschichte ganz geheim behalten, aber Ihr sollt sie erfahren, weil Ihr es Euch vorgenommen habt, meine Gesinnung dem Kurfürsten durch die Blume zu verstehen zu geben.«

»Daran thut Ihr sehr recht! Und der Jör – – der Kurfürst wird es Euch großen Dank wissen, daß Ihr so aufrichtig mit mir gewesen seid. Aber jetzt will ich einmal losmachen!«

Er plazirte die Orgel auf einen Stuhl, schlug die Decke zurück, stellte die Walze und begann zu drehen. Gleich bei den ersten Tönen fuhr der Schulze erschrocken von dem Stuhle empor.

»Halt, halt! Das Ding dürft Ihr hier nicht hören lassen; das ist ja der Dessauer Marsch!«

Der Fürst war selbst etwas erschrocken, als er seine Lieblingsmelodie, die einzige, welche er zu singen verstand, erklingen hörte: »So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage.« Schnell gab er der Walze eine andere Stellung; die munteren Tonweisen wurden mit lebhaftem Beifall aufgenommen, und als das letzte Stück verklang, war der unangenehme Eindruck, welchen das erste hervorgebracht hatte, vollständig vergessen.

»So! Weiter steckt keins mehr drin, und nun will ich machen, daß ich fortkomme; die Andern wollen auch was haben!«

Der Schulze gab ihm seine Papiere zurück, und reichlich beschenkt verließ er den Hof.

Nun machte er zur Freude der Gassenjugend eine Concertrunde durch das ganze Dorf, und seine Hauptaufgabe hierbei war, sich in dem Petermannschen Hause möglichst umzusehen. Von den Jungens erfuhr er leicht, wo dasselbe gelegen sei. Als er es erreichte, schritt er gleich durch Hof und Flur in die Wohnstube. Hier saßen mehrere Soldaten bei Schnaps und Bier am Tische und würfelten. Ein ungewöhnlich langer und stämmiger, rothhariger Bursche erhob sich bei dem Eintritte des Musikanten vom Stuhle und trat ihm entgegen.

»Was will Er hier? In meinem Hause wird nicht gebettelt, und Seine Ludelei brauchen wir erst recht nicht zu hören!«

»Was? Nicht hören?« rief einer der Soldaten. »Freilich wollen wir einen lustigen Tanz haben! Mach los, Spielmann: Du sollst auch trinken, so viel Du vertragen kannst!«

»Ihr habt nur zu befehlen, nicht wahr?! Wenn dieser Kerl da etwa denkt, daß ich ihn anbetteln will, so mag er seine schlechten Dreier behalten! Er ist wohl der rothe David, he?«

»Wie kann Er es wagen, mich zu schimpfen, Er armseliger Strolch, Er! Wenn Er sich nicht auf der Stelle verduftet, so gerbe ich Ihm sein altes Leder, daß man Stiefelsohlen draus schneiden kann! Vorwärts marsch hinaus!«

»Dazu wäre Er mir der Rechte, Er Windbeutel, Er! Ich quetsche Ihn doch gleich mit den bloßen Händen zu Brei! Und wenn Er mir etwa zu viel Kram macht, so stecke ich Ihn in meinen Kasten, und leire Ihm die arme Seele aus dem Leibe, daß der Teufel Seinen fuchsigen Balg als Staatsatzel bekommt! So ein ungezogener Flegel ist mir doch all mein Lebtage nicht vor die Augen gekommen!«

»So ists recht!« lachten die Kriegsleute, die sich gern an einer Katzbalgerei erlustirt hätten. »Laß Dir nichts gefallen, Alter! Der David ist kein solcher Riese, als wie er thut!«

»Das braucht Ihr mir gar nicht erst zu sagen! Wird Euch auch nicht viel besser gehen als ihm!«

»Wie meinst Du das, he?«

»Grad so, wie ich es gesagt habe. Denkt nur nicht, daß ich Euch den Gefallen thue, mich mit dem dummen Jungen hier herumzuwalken!«

»Was bin ich? Ein dummer Junge?« rief der Rothe und faßte den alten Haudegen beim Rocke. »Das soll Er mir noch einmal sagen, und noch dazu in meiner eigenen Stube!«

»Lasse Er um Tausend willen meinen Gottfried fahren, wenn Er nicht auf der Stelle an die Wand genagelt sein will!«

»Giebs ihm David!« ermunterten die Andern jetzt den Wirth, um auf alle Fälle ihren Zweck zu erreichen. Da aber flog derselbe auch schon über die Stube herüber und krachte mit solcher Kraft an die Wand, daß ihm Hören und Sehen verging.

»So! den wäre man los! Und Ihr da haltet Eure Gänseschnäbel, sonst klopfe ich Euch auf das hannoversche Gewissen, daß die Preußen nichts weiter von Euch finden als die mausigen Schnurrbartfedern, die Euch unter der Nase flattern!«[84]

»Was? Gänseschnabel? Hannoversches Gewissen? Der Kerl ist ein Preuße! Warte einmal, Alter; Dich müssen wir uns genauer besehen!«

Im Nu war er umringt. Auch Petermann hatte sich wieder aufgerafft und kam auf ihn losgefahren.

»Er hat sich an mir vergriffen! Er muß seine Hiebe bekommen!« schrie er wüthend.

»Und Er hat den Rock unseres Kurfürsten beleidigt! Er ist ein Preuße, ein Spion! Er wird gehängt!« riefen die Anderen. »Hast Du Papiere? Her damit!«

»Ihr wärt die Kerls darnach, mir meine Papiere abzuverlangen! Die kriegt bloß der Schulze in die Hände!«

»Wieder ein Schimpf!« meinte einer. »Nehmt ihm die Wische und schlagt ihm auf das lose Maul!«

»Halt!« warnte ein Besonnenerer. »Die Papiere haben wir hier nicht zu verlangen. Schickt nach dem Schulzen und steckt den Grobian einstweilen hinter zu den beiden Anderen!«

»Hast Recht, Kamerad! Vorwärts, Mann; Du bist arretirt!«

»So?! Das wäre mir – –« Er unterbrach sich, denn es leuchtete ihm sofort ein, daß diese Wendung der Dinge dem Zwecke seines Hierseins recht gut zu statten komme. »Na, dagegen kann ich nichts haben. Gegen Gewalt darf man sich wehren, wenn Ihr mich aber gesetzlich rechtmäßig arretirt, so werde ich mich fügen. Ob ich ein Spion bin, das wird sich finden, sobald der Schulze kommt. Ihr brockt Euch da eine Suppe ein, die Euch schlecht bekommen kann!«

Er folgte den Leuten willig hinaus in den Flur, wo man eine Thür öffnete, die an starken, eisernen Angeln ging und mittelst dicker Krampen und Vorstecker verschlossen war. Sie führte in ein Gewölbe, welches seiner Kühle wegen zur Aufbewahrung von allerlei landwirthschaftlichen Erzeugnissen zu dienen pflegte, jetzt aber als Gefängnis benutzt wurde. Eine einzige, kleine und vergitterte Maueröffnung gestattete dem Tageslichte Zutritt, doch war es hell genug in dem Raume, um zwei Männer zu bemerken, welche auf einer an der Wand stehenden Bank neben einander Platz genommen hatten.

»Guten Tag, Ihr Leute!« grüßte er, als die Thür hinter ihm wieder verschlossen war. »Da kommt noch einer, den sie hängen wollen!«

»Hängen?« frug der Aeltere der zwei Gefangenen. »Weßhalb denn?«

»Weshalb? Hm! Weil ich von einer gewissen Emma geschickt worden bin, um Zweien aus der Patsche zu helfen, die gern nach Ziemendorf zurück möchten!«

Bei diesen Worten sprangen beide von ihrem Sitze auf und traten freudig überrascht zu ihm heran.

»Emma?« rief Paul Schubert lauter, als es die Vorsicht erforderte. »Wer seid Ihr, und wo habt Ihr sie getroffen?«

»Leise, leise, junger Mann! Die da draußen brauchen nicht zu hören, was ich Euch zu sagen habe. Wer ich bin? Hm! – nicht wahr, Er ist der Schulmeister Brehmer und stammt aus Ottersleben?«

»Ja. Woher kennt Ihr mich?«

»Komme Er doch 'mal her unter das Fenster und sehe er mir ordentlich in das Gesicht. So! Hat Er mich nicht schon einmal gesehen?«

Brehmer trat höchlichst erschrocken einen Schritt zurück. Wer dieses Gesicht nur einmal gesehen hatte, der konnte es sicher nicht wieder vergessen.

»Mein Gott, ist's möglich?! Durchl – – –«

»Bst! Schreie Er nicht, als stäke Er am Spieße, sondern nehme Er mir den Kasten ab! So! Wir wollen ihn dort in die Ecke stellen. Und nun setzt Euch her und hört hübsch ruhig zu!«

Es war eine höchst ungewöhnliche Situation, in der sich die drei Männer befanden, und ebenso wundersam war die Unterhaltung, welche zwischen ihnen geführt wurde. Brehmer befand sich wie im Traume über das Glück, seinen vielbewunderten Feldherrn in solcher Gestalt und aus solchen Gründen neben sich zu sehen. Schon die bloße Anwesenheit des gewaltigen Recken beruhigte ihn vollständig über seine Besorgnis erregende Lage, und trotz dieser letzteren hätte er die gegenwärtigen Augenblicke für Vieles in der Welt nicht hingegeben.

Da rasselten die Vorstecker, und die Thür öffnete sich.

»Orgelmann, kommt doch 'mal heraus. Bringt aber den Kasten mit!« befahl einer der Soldaten, hinter welchem der Schulze sichtbar wurde.

»Habe jetzt keine Zeit. Macht die Bude nur immer wieder zu!«

»Was habt Ihr denn da drin so nothwendig zu thun?«

»Das geht Ihn den Kuckuck an! Ich bleibe hier! Nun weiß Er wohl, wie viel es geschlagen hat? Wer voreilig handelt, muß auf Unannehmlichkeiten gefaßt sein.«

»Wir haben ja nun gesehen, daß Ihr kein Spion seid!«

»Das zu untersuchen seid Ihr Kerls alle zu dumm! Seine Durchlaucht und Königliche Hoheit, der Kurfürst Georg mag das selbst entscheiden! Ich bleibe hier!«

»Herr Orgelmarschall,« bat jetzt der Schulze, »Ihr werdet Euch doch nicht auf die schlechte Seite legen wollen! Kommt heraus! Die Jungens und Mädels wollen gern tanzen, und liegen draußen wie vor einer Festung. Wenn Ihr nicht kommt, so wird wahrhaftig Revolution im Dorfe!«

»Das wäre schon recht! Warum steckt man einen kaiserlich-königlich-kurfürstlich-landgräflichen Leiermann mit solchem Gesindel zusammen, wie hier auf der Bank sitzt! Aber Euretwegen, Schulze, will ich einstweilen die Beleidigung vergessen. Ihr seid ein tüchtiger Kerl und gescheidter als das ganze übrige Hannover zusammengenommen. Nun wißt Ihr meine politische Meinung und laßt mir dafür hier das Musikgehäuse nach dem Saal schaffen; ich habe die krumme Gicht im Stelzfuße, und hier in dem naßkalten Loche ist sie mir beinahe wieder gerade geworden!«

Das willfährige Ortsoberhaupt rief einige stämmige Jungens herbei, welche es sich zur Lust machten, die vielbegehrte Orgel an Ort und Stelle zu schaffen, sodann nahm er den jetzweiligen Inhaber derselben brüderlich beim Arme und wanderte mit ihm selbander das Dorf hinauf, dem Wirthshause zu. Die Belagerungsmannschaften hatten gar nicht auf die beiden »Beamten« gewartet, sondern es für sicherer gehalten, das musikalische Instrument gar nicht aus den Augen zu lassen; sie waren also sammt und sonders hinter demselben hergezogen, und als Leopold den niedrigen Tanzsal betrat, fand er ein so zahlreiches Publikum versammelt, daß es ihm wegen der bevorstehenden Arbeit hätte angst und bange werden mögen.

»Laßt mich in Ruhe, Ihr Teufelszeug« wehrte er ab, als man ihm unter aufmunternden Zurufen von allen Seiten Flaschen und Gläser entgegenbrachte. »Bin ich denn ein Haifisch, daß Ihr mir zumuthet, so eine Ueberschwemmung hinunter zu schlingen? Schafft mir ein paar Stühle da hinten in die Ecke, und dann sollt Ihr springen, daß Hannover wackelt!«[85]

Er postirte sich an dem angegebenen Ort, und bald war das ersehnte Vergnügen in vollem Gange. Mittlerweile brach der Abend herein, und der Fürst zählte die Viertelstunden, welche bis zum Eintreffen des Hauptmanns noch verfließen mußten. Wenn derselbe sich sputete, so konnte er in zwei Stunden hier sein. Deßhalb erschrak Leopold fast, als er, nach der Thür schauend, ihn unter derselben stehen und mit unruhigem Auge den Saal überblicken sah.

»Da muß etwas passirt sein, was ihn verhindert hat, nach Leppin zu gehen,« brummte er besorgt in den Bart, »und nun sucht er mich. Mord und Todtschlag, es wird mir hier doch nicht gar etwas in die Quere kommen, da bis jetzt Alles so schön gegangen ist! Aha, jetzt sieht er mich. Was er für Augen macht! Grad als ob ihm ein Gespenst erschienen sei! Ja, ja, der Feldmarschall dreht die Trompetennudel! Jetzt schleicht er sich langsam durch!«

Der Hauptmann, noch in sein landläufiges Kostüm gekleidet und den Knotenstock in der Hand, hatte schnell seine Ueberraschung bemeistert und näherte sich so wenig auffällig wie möglich seinem Vorgesetzten. In der Nähe desselben angelangt, blieb er erst eine kleine Weile stehen, dem Anscheine nach seine ganze Aufmerksamkeit dem Tanze zuwendend; dann trat er wie absichtslos an den Musikanten heran, welcher eben eins seiner Stücke beendet hatte, und flüsterte:

»Alles in Ordnung, Durchlaucht!«

»Was? In Ordnung? Ich denke, es ist Ihm irgend etwas passirt, weil Er schon hier ist.«

»Ich habe mir unterwegs ein Pferd genommen, um so schnell wie möglich nach Leppin zu kommen. Dort ließ ich einige Wagen requiriren, auf welchen ich die Mannschaft immer Trapp und Galopp bis nach Ziemendorf brachte, wo Excellenz nicht zu finden waren. Nun halten sie draußen vor dem Dorfe seitwärts im Felde, und ich bitte um weitere Befehle.«

»Gut, sehr gut! Er ist kein ganz unebener Kerl! Die Gefangenen habe ich gefunden. Sie stecken bei dem David Petermann, vier Güter von hier rechts an der Straße, in einem Gewölbe, welches sich im Hausflur befindet. Wir müssen jetzt noch warten, bis die Buntröcke sich alle hier eingefunden haben; dann sind sie uns am sichersten. Die Wagen mögen stehen bleiben; wir brauchen sie wieder; die Leute aber bringe Er vorsichtig in den Obstgarten, der hier grad gegenüber liegt, und wenn ich unsers Herrgotts Dragonermarsch aufspiele – Er kennt ihn doch, Hauptmann, – so kommt Er mit ihnen herauf. Einige Mann von ihnen aber mögen zu gleicher Zeit zu Petermann eilen, um die Gefangenen und mit ihnen den rothen David herbeizubringen. Hat Er mich verstanden?«

»Zu Befehl, Durchlaucht!«

»So scheere Er sich vorsichtig wieder von dannen!«

Der Offizier befolgte diesen zart gegebenen Rath, und Leopold steckte ein neues Stück auf. Die Zeit des Abendbrotes ging vorüber, und in Folge dessen mehrten sich die Gäste zusehends, auch die Soldaten stellten sich alle bis auf Einen ein, der jedenfalls zur Bewachung der Gefangenen bei dem rothen David zurückgeblieben war, welcher sich bis jetzt nicht hatte sehen lassen. Nun erhob sich ein noch regeres Treiben als zuvor; die in Menge getrunkenen Spirituosen thaten ihre Wirkung, und der Uebermuth ward endlich so toll, daß er sich auf allerlei Spitzfindigkeiten und Händel zu legen begann. Zuletzt band man sogar mit dem Spielmanne an. Er antwortete nach seiner derben Art und Weise, und es dauerte gar nicht lange, so stand fast das sämmtliche Militär um ihn herum, in der Absicht, sich über ihn lustig zu machen.

»Laßt ihn gehen; er ist Generalleiermann, und wir müssen Alle vor ihm präsentiren!« meinte einer von ihnen.

»Dann ist er auch ein Preuße, denn im ganzen Reiche ist dieser Rang beim Stabe nicht zu finden.«

»Nein, das glaube ich nicht; für einen Preußen ist er zu alt; die sterben alle frühzeitig an der Dummheit. Aber zu so einem Range können wir es auch bringen; das will ich Euch gleich zeigen. Gehe einmal weg; ich will ein Stück zum Besten geben!«

»Packe Er sich zum Teufel, sonst gebe ich Ihm einen Klapps auf Seine Klugheit, daß Ihm alle Armeerangarten vor den Augen flimmern sollen!«

Er wollte nach dem Stocke greifen, schnell aber kam ihm einer zuvor und nahm denselben von der Orgel weg, auf welcher er gelegen hatte.

»Ich wollte Dich schon beklappsen. Da sind mir noch ganz andre Kerle unter die Fäuste gekommen, als Du bist! Fort von dem Kasten, jetzt sind wir da!«

»Ja, fort,« rief es in dem Kreise. »Jetzt drehen wir!«

»Laßt meine Orgel in Ruhe, sonst wird es bös, sage ich Euch! Zum Tanzen will ich Euch vorspielen, so viel Ihr wollt, an meinem Eigenthum aber darf sich Keiner vergreifen!«

»Oho! da werden wir uns auch ganz schrecklich vor Dir fürchten. Vorwärts marsch bei Seite!«

Er faßte den Fürsten beim Arme, dieser aber nahm ihn in der Mitte des Leibes, hob ihn hoch empor und schleuderte ihn mitten unter die Anderen hinein, so daß sie auseinander flogen. Im nächsten Augenblicke jedoch war er umzingelt und wurde von allen Seiten gepackt. Er suchte die Dränger von sich abzuwehren, was ihm aber nicht gelingen wollte, denn es fehlte ihm der feste Halt. Eine Schnalle des Stelzfußes war aufgegangen und dieser, nun nur noch locker befestigt, wackelte in der Weise an dem zurückgebogenen Beine herum, daß er eher als Hindernis denn als Stütze diente. Dies erhöhte den Aerger des Fürsten und schnell entschlossen machte er sich für einen Augenblick frei und bückte sich nieder, um die andre Schnalle auch zu öffnen. Dann riß er das falsche Bein herunter und schwang es hoch in die Luft empor.

»Gebt Raum ihr Canaillen, sonst schlage ich Euch das Spazierholz um die Köpfe, daß Euch die Beulen wie die Bomben platzen!«

»Er hat einen falschen Fuß, der Betrüger!« johlte es ihm entgegen. »Der Kerl ist kerngesund. Haut ihn durch, haut ihn durch!«

Sie warfen sich auf ihn, er aber empfing sie mit so wuchtigen Hieben, daß sie gar nicht heran konnten. Der Stelzfuß mit seiner schweren Kniescheibe war eine furchtbare Waffe in der Hand eines solchen Mannes; doch für die Dauer hätte Leopold dem Andrange so zahlreicher Gegner wohl kaum widerstehen können, wenn nicht ein für ihn glücklicher Umstand eingetreten wäre. Der Wirth nämlich, welcher einsah, daß eine Balgerei ihm großen Schaden machen könne, war schleunigst herbeigeeilt und zu dem Leierkasten getreten. In der Absicht, durch das Erklingen einer verführerischen Weise die Streitenden auseinander und zum Tanze zu bringen, ergriff er die Kurbel und setzte sie in Bewegung. Zufälliger Weise war das letzte auf der Walze punktirte Stück abgespielt worden, es konnte folglich kein anderes als das erste ertönen, und so brauste denn mitten in das Getümmel der damalige Lieblingsmarsch der Preußen »So leben wir, so leben wir, so[86] leb'n wir alle Tage« hinein. Im Nu hielten die Kämpfenden inne, die Hannoveraner aber nur, um sich gleich darauf desto wüthender auf den Fürsten zu stürzen.

»Seht Ihr es, daß er ein Spion ist? Er hat den ›Dessauer,‹ den alten Spitzbuben in der Orgel!«

»Ja, Ihr Himmelhunde, den Dessauer habe ich drin, und Ihr werdet den ›alten Spitzbuben‹ noch diese Stunde so gut kennen lernen, daß Ihr an ihn denken sollt bis an Euer seliges Ende!«

Er machte sich mit dem Beine aus Leibeskräften über ihre Köpfe her; zu gleicher Zeit ward der noch geschlossene zweite Thürflügel aufgerissen und – eins, zwei – eins, zwei – marschirte die erwartete Abtheilung preußischer Grenadiere, lauter zweiundsiebzigzollige, bärtige Bursche mit ellenhohen Mützen in den Saal. Der Schreck über diese unerwarteten Gäste machte den Lärm total verstummen; eine wahre Todtenstille trat ein, und Diejenigen, welche die Aergsten gewesen waren, standen am verblüfftesten da und starrten mit aufgerissenen Augen den ungebetenen Zuspruch an.

»Nun, was steht Ihr denn da und sperrt die Mäuler auf so weit wie die Scheunenthore? Jetzt ist Euch der Muth wohl in die Gamaschen gefahren, daß Ihr den hellen Wadenkrampf verspürt? Der Dessauer steckt nicht bloß da in der Heulbudike, sondern er steht auch noch wo anders, und der ›alte Spitzbube‹ wird Euch zeitlebens in dem Bauche grimmen.«

»Er warf den Rock von sich, und nun kam eine Uniform zum Vorschein, an welcher die Anwesenden sehr leicht den eigentlichen Charakter des seltenen Orgelmannes erkennen konnten.«

»Gewehr auf!« kommandirte er. »Legt an! – So! und nun, Ihr Millionenrackers, sage ich Euch: Wer nur einen Mucks von sich giebt, der mir nicht gefällt, der bekommt eine Kugel vor den Kopf. Korporal Weidauer, ich sehe, daß Er eine Handvoll Stricke mitgebracht hat; Er ist immer ein Kerl, der an Alles denkt. Trete Er vor und binde Er die Erzhallunken; aber fest, es ist von wegen dem Wadenkrampf!«

Auch der Hauptmann ließ seinen Waffenrock sehen, und die Persönlichkeit des Fürsten sowie das feste Auftreten seiner Untergebenen machte einen so überwältigenden Eindruck, daß die kurfürstlichen Soldaten sich binden ließen, ohne den geringsten Widerstand zu versuchen.

Noch war der Korporal mit dieser Arbeit nicht vollständig fertig, als neue Ankömmlinge erschienen. Es waren die zu Petermann beorderten Leute mit den beiden befreiten Gefangenen, dem rothen David und dem dort zurückgebliebenen Posten.

»Nun, Brehmer,« rief Leopold dem Schulmeister entgegen: »habe ich Wort gehalten?«

»Durchlaucht, ich danke! Das war nicht anders zu erwarten!«

»Ja, ja, Er kennt mich! Natürlich seid Ihr beide nun frei und werdet nachher mit mir nach Ziemendorf fahren. Vorher aber müssen wir noch ein Wort mit unseren Kirmeßleuten reden. Wo ist der Schulze?«

Der Gesuchte wurde aus einem Winkel herbei geschoben; er zitterte vor Angst an allen Gliedern.

»Trete Er einmal näher, Er großer Potentate, Er! Ich will Ihm Etwas sagen, aber nicht durch die Blume. Was klappert Er denn vor Furcht? Ich werde Ihn nicht todtbeißen! Höre Er, seine Prezeller sind Galgenschwengel, wie sie niederträchtiger gar nicht gefunden werden können; weil Er aber einen so delikaten Apfelkuchen bäckt, will ich einmal gnädiger sein, als Ihr es eigentlich verdient habt. Eigentlich müßte ich das ganze armselige Nest mit Kind und Kegel aufspießen oder todtschießen lassen, und beim nächsten Male werde ich es auch thun: jedoch für heut sollt Ihr mit einem blauen Auge davonkommen, indem Ihr dem Manne da, den Ihr erst der Landdrostei und dann dem Kriegsgerichte übergeben wolltet, aus dem Gemeindesäckel zwanzig Thaler Schmerzensgeld auszahlt.«

»Herr Orgelmarschall – – –«

»Ruhig! Ich bin der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, wenn Er es noch nicht gemerkt hat, den sie vorhin den ›alten Spitzbuben‹ gen – – na, wartet nur, Ihr Canaillen, ich lasse Euch Spießruthen laufen, daß die Fetzen bis nach Egypten fliegen! – Also, Er Schwerenöther, die zwanzig Thaler hat Er auf der Stelle herbei zu schaffen! ich werde Ihm ein Picket mitgeben, und die Quittung habe ich ihm heut zur Genüge vorgeorgelt. Was ich Ihm dabei versprochen habe, das werde ich halten! Sobald ich nächstens dem Jörge wieder 'mal tanzen lasse, werde ich ihm durch die Blume von dem dicken Prezeller Schulzen erzählen. Jetzt kann Er gehen, aber in zehn Minuten ist Er wieder hier. Korporal Weidauer, helfe Er dem Manne zählen!«

Der Korporal machte Kehrt und marschirte hinter dem Vater des Dorfes zur Thür hinaus. Jetzt wandte sich Leopold zu Petermann.

»Und nun kommt Er daran! wie kann Er sich denn eigentlich unterstehen, als so ein schandbarer Seelenverkäufer und Menschenverräther über die Grenze zu kommen, um Seine armselige Rache zu kühlen, Er zehnfaches Galgenfutter, Er! Und mich nennt Er heut einen Strolchen und will mir mein Leder gerben, daß man Stiefelsohlen daraus schneiden kann, Er Millionen- und Zinnoberfuchs! Ich werde Ihn beledern und besohlen, daß Er die vier großen sammt den zwölf kleinen Propheten um Hülfe rufen soll, denn weiß Er, Er wird in dieselbe Grube gesteckt, die Er dem Schubert da gegraben hat. Er marschirt nachher mit uns hinüber und wird in des Königs Rock gesteckt. Thut Er da gut, so will ich Ihm Seine Schlechtigkeit nicht anrechnen, bleibt Er aber ein Lump, so mache Er sich auf den Strick gefaßt!«

»Durchlaucht, ich kann doch nicht von meiner Wirthschaft – – –«

»Maul halten und Ordre pariren! Hier habe bloß ich zu reden! Für seine zwei dummen Ackerfurchen wird sich wohl ein Esel finden, der sie mit den langen Ohren bewackelt, bis Er einmal seinen Abschied bekommt. Er mag die Sache von drüben aus in Ordnung bringen; ich habe keine Zeit, mich her zu setzen, bis Er seinen Kram in Ordnung hat, und Nachsicht hat Er nicht verdient, das muß Er selber eingestehn!«

Er wandte sich von dem vollständig Zerknirschten ab und zu den gebundenen Soldaten.

»Na, was sagt Ihr nun, Ihr Heidenvolk, he?! Nichts? Da will ich Euch 'was sagen: Wir brauchen jetzt da drüben Kanonenfutter, und weil unsre jungen Leute alle vor lauter Dummheit sterben, so fehlt es uns ganz außerordentlich an gelehrten Pudels, die wir dem Wiener Thereserl auf den Reifrock hetzen können, und darum will ich nur vom Jörgen von Hannover heut einmal eine Probe mitnehmen. Ihr werdet des Königs Soldaten, und wenn ich solche Ausbunde von Klugheit auf unsre vernagelten Brandenburger pfropfe, so wird wohl ein Gewächs zu Stande kommen, das zu gebrauchen ist. Aber merkt Euch Eins: Bei uns[87] zu Hause gedeiht der Haselstock verteufelt besser als in der kurfürstlichen Haide, und wen der lieb hat, der darf sich um zu wenig nie beklagen! He, Wirth, schaffe Er einmal etwas Ordentliches zu essen und zu trinken her für meine bunten Kinder; sie haben einen tüchtigen Schluck verdient, und Prezelle wird bezahlen!«

In diesem Augenblicke brachte der Korporal den Schulzen zurück, welcher dem Fürsten mit süßsaurer Miene einen alten, schmutzigen Leinwandbeutel entgegenhielt.

»Der Sack gehört dem Brehmer. Tragt ihn hin! So! Und nun, Schulze, komme Er 'mal her zu meiner Fagottmühle! Meine Jungens möchten gern ein wenig Tafelmusik haben, und weil ich des Guten schon genug gethan habe, so ernenne ich Ihn zum fürstlich Anhalt-Dessauischen Leiergriffel. Das ist ein Amt, welches Ihm viel Ehre bei Seinem Monarchen eintragen wird, wenn er die Nachricht davon durch die Blume bekommt. Und weil Er heut dem ›alten Spitzbuben‹ seinen Leibmarsch so gern hat hören wollen, so will ich extra für Ihn die Walze stellen und Er soll die Freude genießen, sich das Ding eigenhändig vorzuorgeln. Da; jetzt kann es losgehen! Na, wie wird's? Oder soll ich etwa nachhelfen?!«

Der arme Dorfregent mußte wohl oder übel die hochverrätherische Melodie hervorarbeiten und was das Schlimmste war, der Fürst fand seine Freude so an ihr, daß er die Walze immer wieder zurückstellte, sobald der Marsch zu Ende war. Auf diese Weise wurde »So leben wir« so oft wiederholt, bis die Preußen fertig mit Essen und Trinken waren und sich zum Aufbruche richteten, wo der schweißtriefende Schulze den ersten unbewachten Augenblick benutzte, sich ungesehen aus dem Staube zu machen.

Der Abschied Leopolds war kurz, aber in so kräftigen Worten abgefaßt, daß er den Prezellern ganz gewiß für lange Zeit in heilsamer Erinnerung blieb. Bei den im freien Felde harrenden Wagen angekommen, stiegen Preußen und Hannoveraner auf, und im scharfen Trabe ging es nach Ziemendorf.

Während der Fürst dort den Andern gebot, ihren Weg fortzusetzen, fuhr er bis vor die Thür des Schulhauses, unter welcher auf ein mit der Peitsche gegebenes Zeichen die Frau und Tochter Brehmers erschien. Er war der Erste, welcher abstieg und trat sogleich auf die beiden Frauen zu.

»Na, da ist ja die Emma! Guten Abend! Da gucke Dir 'mal die beiden Männer an, welche ich mitbringe, ob es auch die Rechten sind!«

Mit einem lauten Freudenschrei eilte das brave Kind zunächst zum Vater, welchem sie jubelnd die Arme um den Nacken schlang. Auch die Mutter konnte die Gefühle ihres Herzens bei dem unverhofften Wiedersehen der fast verloren Geglaubten nicht verbergen, und beide gaben sich ihrem Entzücken so rückhaltlos hin, daß Brehmer selbst sie an ihre häuslichen Pflichten mahnen mußte. Einige leise geflüsterte Worte genügten, ihnen zu sagen, was für ein hoher Gast vor ihrer bescheidenen Wohnung stehe, und nun begann allerdings eine Verlegenheit für sie, die ihren Höhenpunkt erreichte, als der Fürst ihnen voran nach der Stube schritt und sich dort gemüthlich auf das alte, knackende Kanapee fallen ließ.

»So, hier sitze ich, und nun stellt Euch einmal alle in Reih und Glied hierher! Ich habe nur einige Minuten Zeit und werde also meine Sache kurz machen. Brehmer, nach Dem, was heut geschehen ist, kann Seines Bleibens hier nicht länger mehr sein und Er soll deßhalb eine hübsche Schulmeisterstelle bei mir im Dessauischen haben. Ist Er damit einverstanden?«

»Durchlaucht, das wäre ja ein Glück, welches ich – –«

»Papperlapapp! Ich werde doch für einen alten Kriegskameraden sorgen! Und Er, Schubert, ist Oberknecht auf einem großen Gute?«

»Ja!«

»Versteht Er sich denn auch ordentlich auf Sein Fach?«

»Mein Herr bekümmert sich fast gar nicht um die Bewirthschaftung seines Besitzthums und überläßt Alles ganz meinem Ermessen. Die Leute sagen, unsre Felder seien weitaus im besten Stande und mit unserm Vieh könne sich kein anderes messen.«

»So? Hm! Da würde Er wohl nur schwer fort zu bringen sein?«

»Durchlaucht – –!«

»Weiß schon, weiß schon! Ich werde Ihn auf die Probe stellen und wenn Er Seine Sache versteht, so soll Er an demselben Orte wohnen wo der Brehmer seine Stelle bekommt. Ich brauche einen Inspektor dort. Seine Mutter bringt Er natürlich auch mit!«

Dem jungen Mann standen über diese Güte die Freudenthränen im Auge. Leopold aber wehrte seine lebhaften Dankeserweisungen von sich ab.

»Schon gut! Lasse Er das jetzt; ich muß fort!«

Dann erhob er sich und hielt der Hausfrau die Hand entgegen.

»Ihren Mann kenne ich von langer Zeit her schon, Sie aber habe ich noch nicht gesehen. Sie scheint mir eine tüchtige und brave Hausfrau zu sein, grad wie meine gute Anneliese es immer gewesen ist, das sieht man hier ja deutlich in der saubern, blitzeblanken Wirthschaft. Und eine Mutter ist Sie dazu, vor der man Respekt haben muß, das habe ich heut an Ihrem frommen, herzigen Kinde bemerkt. Wenn alle Weiber ihre Pflicht so treu erfüllten, so gäbe es viel weniger Unglück und Herzeleid im Lande. Da, schlag Sie ein; wir wollen gute Freundschaft halten! Und wenn Sie mit Ihrem Manne nach dem Dessauischen kommt, so werde ich Sie schon einmal aufzusuchen wissen!«

Es war eine ungewöhnliche Rührung über den alten, strengen Knasterbart gekommen. Trug die Erinnerung an seine eigene und einzige Liebe daran die Schuld, oder war es der Eindruck der zwar armen aber traulichen Häuslichkeit, der ihn so mild stimmte? Vielleicht[88] Beides zugleich. Es dauerte auch nur einige Augenblicke, so war er Herr seiner Weichheit geworden und trat nun lächelnd zu dem Mädchen.

»Also mein Wort habe ich gehalten, und was die Folgen davon sind, das wird man ja später erfahren dürfen. In den jetzigen Kriegsläuften will es Einem nur selten einmal fröhlich um das alte Herze werden, aber wenn sie vorüber sind, so würde ich gern einmal bei einer lustigen Hochzeit sein, um doch wenigstens zu sehen, daß der liebe Herrgott da droben mich heut nicht umsonst von der Straße weg in den Busch geschickt hat. Aber wie steht es denn nun eigentlich mit meinem Lohne, von dem Du gar Nichts wissen wolltest?«

Sie schwieg, und eine dunkle Röthe übergoß ihr hübsches Gesichtchen von der Stirn bis auf den Hals herab.

»Na, Strafe muß sein, das habe ich heut bewiesen! Und Lohn muß auch sein, das werde ich ebenso beweisen!«

Er faßte sie unter dem Kinn, hob ihr Köpfchen empor und gab ihr einen herzhaften Kuß auf die vollen, frischen Lippen.

»So! Der Schubert wird nicht darüber räsonniren und meine Anneliese auch nicht, wenn ich ihr davon erzähle. Jetzt aber lebt wohl, Ihr Leute! Ihr werdet bald eine gewisse Entscheidung von mir erfahren, und dann wird es vielleicht nicht lange dauern, bis wir uns wiedersehen!«

Er schritt, von ihnen begleitet, zur Thür hinaus. Der Fuhrknecht hatte unterdessen die Drehorgel abgeladen und in die Nähe des Einganges gestellt.

»Hier steht der Orgelmarschallkasten, Brehmer. Der Eigenthümer befindet sich hier im Kruge und hat zehn Thaler Leihgebühren zu bekommen. Ich habe ihm als Kaution zwanzig gegeben und er mag sie behalten, weil sein Unglücksbein in Prezelle liegen geblieben ist. Suche Er ihn auf und gebe Er ihm dabei diese Papiere zurück!«

Er stieg auf den Wagen und reichte den vier Leuten von oben herab noch einmal die Hand. Unter herzlichen Dankesworten traten sie zurück; die Pferde zogen an, und der Wagen rollte von dannen. Von tiefer Bewegung erfüllt, lauschten die Zurückbleibenden wortlos dem sich entfernenden Hufschlage, bis derselbe von der ringsum herrschenden nächtlichen Stille verschlungen wurde. – – –[89]

Quelle:
Fürst und Leiermann. Von Karl May. In: Großer Volks-Kalender des Lahrer Hinkenden Boten für das Jahr 1882. 1. Jg. S. 79–89. – Lahr (1881), S. 79-90.
Eine Episode aus dem Leben des »alten Dessauer«. Von Karl May. In: Großer Volks-Kalender des Lahrer Hinkenden Boten für das Jahr 1882. 1. Jg. S. 79–89. – Lahr: J.H. Geiger (Moritz Schauenburg 1881). Reprint in: Karl May: Unter den Werbern. Seltene Originaltexte. Band 2. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg: Karl-May-Gesellschaft (1986).
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon