Im Wollteufel

Humoreske von Karl May

»Gut, es soll reihum ein Jeder erzählen, wie er zu seiner Frau gekommen ist, und da fängst Du an, Hillmannfritze!«

»Ich? Warum denn grad' ich?«

»Weil Du der Aelteste bist und auch der Erste hier am Tische.«

»So! Na, wenn Ihr denkt, daß es nicht langweilig wird, da sollt Ihr meinetwegen hören, wie ich mir meine Alte erobert habe. Bekommen sollte ich sie freilich nicht, aber meine ist sie doch noch geworden, und daran ist der Wollteufel schuld; denn wenn der nicht gewesen wäre, so lief ich heute noch auf Freiersfüßen, wenn ich sie mir nicht derweile abgelaufen hätte.«

»Der Wollteufel! Was ist denn das für ein Kerl?«

»Für ein Kerl? I nu ja – Ihr seid keine Seiden-, Zeug- und Wollenweber und habt also von dem Dinge auch keinen rechten Begriff. Ich muß es Euch schon erklären; aber Alles hat seine Zeit, und wenn ich's machen will, wie es sich gehört, so kann ich nicht mit dem Wollteufel anfangen, sondern erst muß mein Schwiegervater, Gott hab' ihn selig, der alte Multumfranke, d'rankommen.«

»Aha, da giebt's wieder einen Spaß! Der alte Frankenaugust war ein sonderbarer Kerl; sie hießen ihn auch den Gänserichfranke, weil – –«

»Du halte 'mal eeh! Wenn ich erzählen soll, da erzähle ich, und wenn Du d'ran bist, so erzählst Du, das ist so parlamentarischer Takt, und der Gänserich wird schon auch noch an die Reihe kommen!«

»Na, da fange an, alter Krakehlfritze!«

»Höre Du, ich will's blos für Spaß nehmen, das mit dem Krakehl, sonst wollte ich Dich befritzen, daß Du Dein Lebtag an meinen Wollteufel denken solltest. Also, da paßt auf:

Da unten am Markte, grad' neben der Apotheke, da wohnte der Zeug-, Leinen- und Wollenweber August Ehregott Franke mit seiner Frau, die eine geborene Wellner war und Johanna hieß, was aber abgekürzt im Deutschen wie Hanne ausgesprochen werden muß. Er war mager und lang wie eine Zaunlatte; sie war fett und klein, mit einer Tallje von drei Ellen Umfänglichkeit, und Beide hatten eine Tochter, die bei der heiligen Taufe den Namen Röschen erhalten hatte und deshalb in ihrem achtzehnten Jahre ein Mädchen war, das man gar nicht ansehen durfte, wenn man nicht aus lauter Liebe perflex werden wollte. Das hatte ich an mir selbst erlebt, und das ging nämlich folgendermaßen zu:

Ich stamme doch eigentlich vom Gebirge herunter, das wißt Ihr Alle, und da giebt es so viel arme Leute, daß sie sich, wenn unglücklicher Weise 'mal die lieben Kartoffeln nicht gerathen, vor lauter Hunger ein ander aufessen möchten. Von großem Verdienste ist da oben nicht die Rede, und so gehen denn Viele herunter ins Niederland, um sich Arbeit zu suchen, oder sie legen einen kleinen Handel an und hausiren mit Löffeln, Bürsten, Band, Spitzen und dergleichen im Lande herum. Mein Vater, der liebe Gott tröste ihn für die vielen Prügel, die ich geschmeckt habe, war ein armer Holzhacker, und meine Mutter klöppelte Spitzen; er verdiente in der Woche zwei Thaler sechs gute Groschen und sie alle Tage achtzehn Pfennige, das macht bei sechs Kindern, einem Großvater und zwei Großmüttern zusammen acht gute Groschen vier Pfennige und elf Mäuler für den Tag. Zu beißen gab's da wenig, zu kauen noch weniger und zu essen am allerwenigsten, und Ihr könnt es Euch da wohl vorstellen, daß der Magen fast noch mehr Verstand hat haben müssen, als der Geldbeutel. Da mußten wir Kinder denn hinaus unter die Leute oder in den Wald, um ein Stückchen Brod, ein Tuch voll Schwämme oder eine Hucke Holz zu holen, und als ich so halbwegs herangewachsen war, nahm mich der Bruder mit auf seine Beerfahrten.«

Wenn im Gebirge die Heidel- und Preißelbeeren reif werden, so buckeln Hunderte von großen und kleinen, alten und jungen Menschen im Walde herum, um die kleinen Früchte zu sammeln, die dann in Körben oder auf Karren und Wagen hinunter ins flache Land geschafft werden, wo sie nicht so häufig vorkommen. Der Bruder war schon einige Male mit seinem Hundewagen fort gewesen, und jetzt mußte ich auch mit.

Da kommen wir denn eines schönen Tages hierher, haben fast noch die volle Wagenladung und machen ganz gute Geschäfte. Wir halten auf der oberen Marktseite beim reichen Layritz, der uns so zwanzig und etliche Kannen, die Kanne zu fünf Pfennigen, abkauft, und nach dem Handel ruft er uns in die Stube, wo es ein Bischen Uebriggebliebenes vom Mittagsessen giebt. Ich glaube, es war mein Leibessen, saure Flecke mit Möhren und Kartoffeln d'rin; wir legen uns also tüchtig hinein und merken gar nicht, was derweile mit unserm Wagen vorgeht. Da hat sich nämlich eine Anzahl von Jungens und Mädels eingefunden, denen unsre Heidelbeeren in die Augen stechen; wegen dem Hunde aber getrauen sie sich nicht heran, und nur das kleine Röschen wagt sich hin und steigt hintenauf, um sich eine Handvoll weg zu stibitzen. Da springt der Karo in die Höhe und will auf das arme Ding hineinfahren, der Wagen bekommt dadurch einen Ruck, setzt sich in Bewegung und rollt, weil der Markt abschüssig ist, erst langsam, dann schneller und immer schneller den Platz hinunter; der Hund wird mit fortgerissen und bellt und heult; das Mädchen ist vornüber in die Heidelbeeren gestürzt, schreit wie ein Zahnbrecher und krabbelt, um wieder in die Höhe zu kommen, mit Händen und Füßen in unsrer appetitlichen Waare herum, und dahinterher stürmen die Andern und vollführen einen Spektakel, daß die Leute mit den Köpfen durch die Fensterscheiben fahren. Jetzt geräth der Wagen an einen Stein, macht eine Schwenkung viertel rechts, wie es beim Militaire heißt, kippt um, und – pardautz, da liegt Alles[119] bunt durch einander: untend'runter die Heidelbeeren und obend'rauf der Hund, der Wagen, das Mädel und ein halbes Dutzend von dem andern Gezüchte, denen bei der Schwenkung die Deichsel zwischen die Beine gefahren ist. Na, so ein Jammerthal! Das heult, weint, schreit, wimmert, bellt, schlägt, stößt, kriecht und wibbelt und kribbelt Alles durcheinander; wir sind natürlich wie aus einer Pistole beim Layritz heraus- und hinter dem Chore hergefahren, stoßen mitten in den Haufen hinein und walken uns nach Leibeskräften mit den Buben herum; die erheben darüber ein Zetermordio, so daß die Alten herbeischießen und aus Leibeskräften wieder auf uns hineinschlagen, und mich faßt der alte Gänserichfranke beim Schopfe und steckt mir Eine, daß mir's himmelblau vor den Augen wird und ich in einen Turkel komme, der mich wie mit Pulvergewalt mitten durch den Haufen hindurch und an die dicke Frau Johanna geborene Wellner treibt. Diese hat ihren Liebling in Gefahr gesehen, ist mit herbeigesprungen und steht grad' im Begriffe, die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen, als ich mit ihr zusammenplatze; die Carambolage hebt ihr die Beine aus, sie klammert sich an mich, um nicht zu fallen, ich halte mich an ihr fest, um nicht nach den physikalischen Gesetzen wieder zurück zu fliegen, wir drehen uns im Dreizehnachteltakte einige Male rund herum und kugeln dann, immer Eins über das Andre, ein Stück den Marktplatz hinunter. Der ehrsame Zeug-, Lein- und Wollenweber August Ehregott Franke denkt, ich will mich an seiner Hausehre vergreifen, kommt uns nachgeflogen, reißt uns auseinander und gerbt mir das Leder in der Weise, daß ich es als Marokko hätte verkaufen können, wie die Gelehrten sagen, und um das Unglück nun ganz und gar vollständig zu machen, kommt der alte Polizeidiener Eberhardt dazu und arretirt uns mitsammt dem vollständigen Heidelbeergeschäft, wie es da auf dem Markte steht und liegt.

Ja, lacht nur! Mir war's nicht wie lachen zu Muthe. Wie es mit den Beeren aussah, das will ich Euch gar nicht beschreiben, denn das könnt Ihr Euch selber denken; das war ja ein vollständiger Brei, und die sich d'rin herumgewälzt hatten, die sahen aus, als hätte es Tinte geregnet; der Karo winselte und wimmerte zum Erbarmen, denn er hatte die Püffe und Tritte alle aus der ersten Constanz erhalten, wie die Gelehrten sagen; der Bruder saß auf dem umgestürzten Wagen und rieb sich den Körper auf allen zweiunddreißig Seiten, und mir summte und brummte es um die Ohren, als stäke ich in einer Baßgeige.

Und so, in diesem Zustande mußten wir ins Loch. Na, den Tag vergesse ich nicht und die Nacht noch viel weniger! Aber am andern Morgen, da wurde es besser. Wir wurden zum Stadtrichter geführt; dem erzählten wir Alles, wie es gewesen war, es wurden Zeugen geholt, und als das Lied zu Ende ging, da bekamen wir Schadenersatz und obend'rein auch noch ein Schmerzensgeld. So rasch waren wir unsre Heidelbeeren noch gar nicht losgeworden!

Das Beste aber kam für mich noch hinterher. Damals lebte nämlich noch der Magister Grabenmacher. Wie er zu diesem Titel gekommen ist, weiß ich freilich nicht; er war von Profession ein Schneider und später Schulmeister geworden. Als alter Junggeselle hatte er sich schon lange nach einem Jungen für seine Aufwartung umgesehen, aber immer nichts Gescheidtes bekommen können. Jetzt hörte er von unserm Unglück, und da er eine alte gute und mitleidige Seele war, so kam er zu uns und fragte mich, ob ich bei ihm bleiben möchte, er wolle etwas Tüchtiges und Gelehrtes aus mir machen, wenn ich fleißig und folgsam sei. Ich hatte wohl große Lust, doch konnte ich ohne die Eltern nicht ja sagen; da meinte er aber, das werde er schon brieflich abmachen, und so mußte ich gleich bei ihm bleiben und den Bruder sammt dem Karo allein gehen lassen.

Ich hab's zwar nie bereut, aber der Heidelbeerschiffbruch ist doch nicht ganz ohne unliebsame Folgen geblieben, denn der alte Multumfranke hat es lange, lange Zeit nicht verwinden können, daß er meinetwegen hat zahlen müssen, und der Frau Johanna ist es auch nicht leicht geworden, den Riesensprung zu vergessen, den ich auf sie gemacht habe. Dafür jedoch habe ich es recht gut bei meinem Magister gehabt; viel zu thun gab's nicht in seiner kleinen, ärmlichen Wirthschaft, und so konnte ich fast den ganzen Tag über den Büchern liegen, woher es auch kommt, daß ich noch heut' in allen Wissenschaften Bescheid weiß und eine Zelebertät bin in Sachen, von denen andre Leute nicht 'mal eine Ahnung haben. Ich sollte auf eine lateinische Schule gehen, ich weiß gar nicht mehr, auf welche, und so studirte und lernte ich Tag und Nacht, freilich lateinisch nicht, denn das verstand der Magister Grabenmacher selber nicht, dafür aber alles Andre, was es nur geben kann, und zuletzt war ich so weit, daß mir mein Herr nicht 'mal mehr Red' und Antwort stehen konnte.

Aber das sollte doch anders kommen, als ich gedacht hatte, denn eines schönen Tages legte sich der Magister hin und bekam einen solchen Apoperflex, was auf Deutsch Schlagfluß heißt, daß ich vor Schreck auch ganz perflex dabei stand, freilich ohne Apo, was der gefährlichste Theil von der Krankheit ist – er war mausetodt.

Nun kam das Gericht und sah seine Sachen durch; da lag in dem Tischkasten ein Zettel, auf dem er mich zu seinem Universalerben gemacht hatte; der gute Mann mußte also doch etwas von dem Tode geahnt haben. Er wurde auf Erbschaftskosten begraben, und als ich von der Leiche nach Hause kam, war mir von dem Universum nichts übrig geblieben als die Bücher, die kein Mensch hat erstehen wollen, ein Pack alter Schreibereien, ein Vierteldutzend Pfeifenköpfe, ein Fidelbogen, ein Schaufelstiel und zwei Töpfe, einer ohne Henkel und der andre ohne Boden.

Was nun? Ins Gebirge hinauf und Hunger leiden, dazu hatte ich keine Lust, mit der lateinischen Schule war's aus – ich mußte also zu einem Handwerke greifen und sprach darüber mit meinem Vormunde. Wegen der Erbschaft war mir nämlich, weil ich die Eltern nicht da hatte, so eine Art Vormund gesetzt worden, und wißt Ihr, wer's war? der Zeug-, Lein- und Wollenweber August Ehregott Multumfranke. Wie es kam, das weiß ich nicht, aber wo es im Orte eine Vormundschaft gab, da wurde niemand Anderes dazu genommen als er, und er machte sich zuletzt eine Ehre daraus, Allerweltsvormund zu sein. So hatte er denn auch bei mir ja gesagt, trotzdem er mich nicht gut verschnupfen konnte, und so war er also auch gewissermaßen verpflichtet, mir mit Rath und That beizustehen. Nach langem Bitteln und Betteln brachte ich ihn endlich so weit, daß er mich als Lehrjungen zu sich nahm, und das war mir von Allem grad' das Allerliebste.

Weshalb? I nu ja, natürlich von wegen dem Röschen. Ihr müßt nämlich wissen, daß wir beide seit den[120] Heidelbeeren sehr gute Freunde gewesen sind und immer zusammengesteckt haben, wenns nur halbwege möglich zu machen war. Dem guten Mädchen hat es herzlich leid gethan, daß es mir damals so schlecht gegangen ist, und es ist ihr der Gedanke in den kleinen Lockenkopf gefahren, mich durch ihre Freundschaft für die Prügel zu entschädigen. Mir ist das herzlich lieb gewesen, und wenn ich nicht über den Büchern gesessen bin, so haben wir uns bei gutem Wetter ganz gewiß im Freien herumgetummelt, und bei schlechter Witterung sind wir in den Hof geschlichen und haben uns in den Wollteufel gesteckt.

Na, seht Ihr's denn, daß der Wollteufel auch noch ganz richtig d'rankommt? So eine biographinische Geschichte will ihre gehörige Ordnung haben, wenn sie belletristig werden soll, wie die Gelehrten sagen. Eine ordentliche Geschichte zu erzählen, das ist nicht so leicht, als wie man's denkt; aber davon habt Ihr keine Ahnung, und mit dem Wollteufel war's nämlich so:

Die Wolle wird in langen, dicken und großmächtigen Säcken gekauft, und wenn man so einem Kerl den Leib aufschneidet, da ists kaum zu glauben, was außer der Wolle noch für Schmutz und anderes unnützes Zeug drinnen steckt. Dieser Unrath muß natürlich aus der Wolle herausgemacht werden, und daderzu ist eben der Wollteufel dagewesen. Das war ein langer, schmaler, vierbeiniger Kasten, hinten ein Loch mit einer Klappe und vorn ein Loch mit einer Klappe, in der Mitte aber eine Walze, in der ein Dutzend anderthalbelliger Arme staken und die mit einem großen Schwungrade in Verbindung stand. Hinten wurde die Wolle hineingethan und die Klappe wieder zugemacht, und wenn man nachher das Rad in Schwung setzte, so schlugen die Arme in die Wolle hinein und peitschten sie in dem Kasten herum, daß es eine Art hatte; dabei pfiff und heulte und summte und brummte das alte Ding, grad' als wenn im Puppentheater der Beelzebub den Doctor Faust holt, und deshalb hatte es den Namen Wollteufel. Der Schmutz fiel unten durch ein Gitter, und durch die vordere Oeffnung, die anderthalb Ellen ins Gevierte hatte, wurde dann die gereinigte Wolle herausgenommen.

Diese Oeffnung war mehr als groß genug zum Hineinsteigen für uns, und es saß sich so schön lauschig da d'rin, wenn draußen der Regen niederprasselte oder die Wolken ein Graupelwetter herunterschüttelten. Neben einander hatten wir keinen Platz, sondern ich blieb vorn sitzen, und sie mußte unter der Walze hindurchkriechen und sich hintersetzen. Erst ließen wir gewöhnlich die Klappe auf und lachten einander an, nachher aber machten wir zu und erzählten einander Gespenstergeschichten, und die paßten ganz gewiß dahinein in den finstern, gruseligen Wollteufel.

Der stand natürlich nicht unter freiem Himmel, sondern in einem besonderen Lattenhäuschen, und mit diesem hatte es auch so seine eigenthümliche Bewandtniß.

Dem Multumfranke sein Haus hatte nämlich nur einen winzig kleinen Hof, und der stieß an den Garten des Agenten Rosenbaum. Dem seine Frau war Hebamme, und weil sie ein hübsches Geld verdiente, so hatte er seine eigentliche Profession, die Seilerei, an den Nagel gehängt und machte den Heirathsvermittler, spielte den Winkeladvocaten und trieb überhaupt allerlei Geschäfte, wie sie eben die Gelegenheit mit sich bringt. Er war ein guter Freund von Franke, lag fast alle Abende mit ihm zusammen und hatte ihm von seinem Garten den für das Wollteufelhäuschen nothwendigen Platz abgetreten. Darüber war eine Schrift abgefertigt worden, und die lag bei Frankens in der Nürnberger Bilderbibel, die mit einigen andern Büchern über der Thür auf dem Brette stand. Sie war unterschrieben worden von zwei Zeugen, nämlich dem Klempnermeister Himmelreich und dem Tuchscheerer Krauße, welcher Kirchenvater war und den Klingelbeutel trug, und hatte außerdem noch zwei großmächtige Siegels in den beiden untern Ecken, nämlich dem Franke und dem Rosenbaum seines.

Wenn nun auch die Beiden recht dicke Freunde waren, so konnten doch wir, nämlich das Röschen und ich, weder den alten Rosenbaum noch seinen Jungen recht leiden; der Alte hatte in seinem Gesichte so Etwas, was mir gar nicht behagte, und mit seinem Sohne war ich erst recht spinnefeind, denn der war ein rechter Störenfried und Spaßverderber, that Jedermann gern einen Schur und hatte es ganz besonders darauf abgesehen, uns im Lattenhäuschen zu überfallen und den Wollteufelfrieden zu brechen, wie die Juristen sagen. Da kam es denn oft zu einem tüchtigen Zusammenstoß, und das Ende vom Liebe war allemal, daß ich ihn gehörig durchwalkte, obgleich er einige Jahre älter war als ich. Das kam wohl daher, daß er ein kleiner, dürftiger Kerl war und ich ein kräftiger Bursche, und wenn ich so eine Schlacht gewonnen hatte, war ich stolz wie ein König auf meinen Sieg, denn das Röschen sagte dann allemal:

»Fritz, Du wirst über Alle Herr; ich werde 'mal Deine Frau werden!«

So vergingen die Jahre; das Röschen wuchs und wurde immer schöner; ich wuchs und wurde immer größer, und der Rosenbaum wuchs und wurde immer schlimmer. Wo nur irgend ein unguter Streich ausgeführt worden war, da hieß es gewiß allemal: »Das ist der Rosenbaum gewesen,« und das ging so immer weiter, bis er endlich gar vor's Gericht gekommen ist, wo sie ihn aber nicht besser gemacht haben.

Das gab natürlich ein gewaltiges Aufsehen in Orte; seine Mutter hat sich fast gar nicht trösten können, und sein Vater ist zu Frankens gekommen und hat gesagt, das sei nur so ein kleiner Jugendfehler, und der Leichtfuß müsse sich eine Frau nehmen, die ihn gehörig kurz halte. Der Franke hat freilich den Kopf dazu geschüttelt, er aber hat sich nicht aus dem Concept bringen lassen und endlich gar auf das Röschen angespielt. Da ist er freilich schön angekommen, denn ihr Vater hat ihm die Leviten so gelesen, daß ihm gleich die Butter vom Brode gefallen ist und er sich, ganz ruhig davongeschlichen hat.

Von da an aber ist Feindschaft gewesen zwischen Frankens und Rosenbaums; Keines hat das Andere mehr angesehen, und nur der Taugenichts ist dem Röschen auf Schritt und Tritt nachgelaufen und hat ihr nirgends Ruhe gelassen. Das hübsche Kind hat ihm gar sehr in die Augen gestochen, und er ist sogar des Abends über den Zaun gesprungen, um einmal mit ihr zusammenzutreffen. Aber da sind Zwei gewesen, die ihm die Suppe versalzen haben, nämlich ich und der Gänserich.

Na, seht Ihr's, daß der auch noch an die Reihe kommt? Alles hat seine Zeit, sogar der Gänserich, obgleich man von einer Zeit bei ihm eigentlich gar nicht hat reden können, denn kein Mensch hat so recht gewußt, wie alt das Thier gewesen ist. Federn hat's bei ihm gar nicht mehr gegeben,[121] sondern nur noch Stummel und Borsten, und wenn man den alten »Gak« angegriffen hat, was aber nur Wenige wagen durften, so war's grad', als wäre ihm der dürre Balg mit Blei ausgegossen. Zum Schlachten und Braten taugte er schon seit Menschengedenken nicht mehr, dafür aber war er wachsamer als der beste Kettenhund, und wenn sich des Nachts irgendwo Etwas regte, da hättet Ihr nur den Spectakel hören sollen. Seine Gänserichstimme hatte er schon lange nicht mehr, dafür aber konnte er heulen wie ein Brüllaffe, und wenn er einmal den Schnabel aufgesperrt hatte, so klappte er ihn ganz gewiß nicht eher wieder zu, als bis Eins von uns kam und ihm zurief: »Gak, halt's Maul!« Dann war's aber auch gleich wie mit einem Schlage alle, denn folgsam war er, das muß ich ihm noch heut zu seiner Ehre nachsagen. Spazieren ist er mit uns gegangen, durch die ganze Stadt und noch viel weiter, und der alte Franke ist des Sonntags fast gar nicht anders ausgegangen als mit ihm. Deshalb hat er auch der Gänserichfranke geheißen. Der alte wachsame Methufalem hatte seine Wohnung im Schweinestalle, und Frankens zogen blos deshalb keine Schinken und Schlackwürste, um den Urahnen nicht aus seinem Palaste zu vertreiben. Der Stall stand Tag und Nacht offen, damit Gak nach Belieben heraus und hineinspazieren konnte, und nun brauche ich Euch wohl gar nicht erst zu sagen, warum dem Rosenbaum sein Zaunsprung so schlecht bekommen ist. Ich habe ihm den Rücken bearbeitet und der Gänserich die Beine, und welche Arbeit am dauerhaftesten gewesen ist, das hat bis heutigen Tages noch kein Mensch erfahren.

Aber die Sache hat auch ihre Schattenseite gehabt. Dem alten Multum ist es nämlich aufgefallen, daß ich für seine Tochter so gar lebhaft ins Feld gezogen bin; darauf hin hat er uns beobachtet und ist gar bald dahinter gekommen, daß wir uns zuweilen beim Kopf genommen haben. Wie ein Wetter ist er dazwischengefahren, hat das Mädchen in die Kammer gesperrt und mir meinen Wochenlohn ausgezahlt.

»Wie kann Er nur glauben,« hat er gesagt, »daß ich so einem Heidelbeerjungen meine Tochter zur Frau gebe. Packe Er sich auf der Stelle, daß Er fortkommt!«

Und die Meisterin hat die Arme in die Seiten gestemmt und gemeint:

»Weiß Er noch, wie Er mich damals auf dem Markte herumgekollert hat? Und jetzt will Er gar thun, als wolle Er meinem Franke sein Schwiegersohn werden? Daraus wird nichts!«

Na, ich mochte mich mit den beiden Leuten nicht herumzanken, retourbirte mich zur Thür hinaus, wie die Gelehrten sagen, und ging in die Herberge. Ich hatte noch nicht einmal einen halben Tag dagesessen, so bekam ich einen neuen Meister, und die Sache war abgemacht. Aber nicht etwa mit dem Röschen, i bewahre, denn mit der stak ich alle Abende im Lattenhäuschen beisammen, vor dem Gänserich brauchte ich ja keine Angst zu haben, und vor dem Mädchen erst recht nicht.

Da komme ich denn eines schönen Abends auch zu ihr, und ihr erstes Wort ist:

»Weißt Du's schon?«

»Was denn?«

»Daß der Vater den Wollteufel wegseßen soll.«

»Warum denn?«

»Der Rosenbaum will sein Gartenstückchen wiederhaben.«

»Das hat ihm doch Dein Vater bezahlt!«

»Er spricht, es wäre nicht wahr.«

»Die Quittung liegt doch in der Bibel!«

»Ja, das ist's ja eben, die ist weg.«

»I bewahre; wo soll sie denn hin sein? Sucht nur erst 'mal richtig!«

»Wir haben die ganze Bibel Blatt für Blatt durchgesehen.«

»Das ist wunderbar. Wer soll das Papier denn herausgenommen haben?«

»Weißt Du, der Vater denkt, Du bist's gewesen. Er meint, weil Du mich nicht bekommen sollst und der Rosenbaum auch nicht, so steckt Ihr unter einer Decke und wollt ihm nun einen Streich spielen. Er ist ganz fuchswild; denn wenn er den Platz verliert, so muß er das ganze Multumgeschäft bleiben lassen, weil er den Wollteufel nirgends wo anders aufstellen kann.«

»So so! Also für einen Spitzbuben hält er mich? Da muß doch gleich der helle, lichte Popanz d'rinnesitzen! Und Du?«

»Ich weiß, daß Du's nicht gewesen bist, Fritz; der Rosenbaum hat's gethan, und kein Andrer; aber ich möchte nur wissen, wie er in unsere Stube gekommen ist!«

»Wenn's wirklich Jemand genommen hat, so ist er's gewesen, und auf mir lasse ich das nicht sitzen. Ich werde jetzt hineingehen und Deinem Vater – –«

»Fritz, bist Du denn nicht recht gescheidt!« fiel sie mir in die Rede und hielt mich zurück. »Der Vater hat's ja nur so nebenhin gemeint, und wenn Du Dich mit ihm zankst, so geht mir's nicht gut; er darf ja gar nicht wissen, daß ich mit Dir rede!«

Das sah ich ein und suchte meinen Aerger zu unterdrücken.

»Gut, da will ich Dir zu Liebe ruhig sein; es wird sich schon noch zeigen, ob ich ein ehrlicher Kerl bin oder nicht. Aber den Rosenbaums, den werde ich auf die Finger sehen, und wehe ihnen, wenn ich das Corpus delicati bei ihnen sehe, wie die Gelehrten sagen!«

Nun habe ich aufgepaßt fast Tag und Nacht, um den Spitzbuben zu erwischen, aber vergebens. Rosenbaums sind zum Advocaten gegangen und haben geklagt, und nun ist bei dem Gerichte ein Hin- und Herziehen losgegangen, welches in alle Ewigkeit nicht zu Ende gehen wollte, denn damals gab's noch keine Stahlfedern, und die Herren Juristen konnten am Nachmittage kaum fertig werden, die Gänsekiele zu schneiden, die sie am Vormittage zerkaut hatten. Die beiden Zeugen, nämlich der Klempner Himmelreich und der Tuchscheerer Krauße, waren mittlerweile gestorben, und so haben für den Franke also die Actien nicht grade mit dem Besten gestanden.

Da krame ich eines Abends nach der Arbeit in den alten Papieren herum, die ich mit der großen Universalerbschaft bekommen hatte, und was finde ich? – einen Entwurf, und wovon? – von der Schrift, die dem Franke abhanden gekommen ist. Das Papier war zwar voll Klexe, Oel- und Fettflecken, aber ich steckte es doch sofort zu mir und sprang voller Freude zu meinem früheren Vormund und Lehrmeister.

Der machte natürlich große Augen, als ich in die Stube trat, und frug mich barsch:[122]

»Was fällt Ihm denn ein, he – was hat Er hier zu suchen? Weiß Er nicht, daß ich Ihm mein Haus verboten habe?«

»Laßt doch das Raisonniren, Meister, und wartet erst 'mal ab, was ich will! Wer hat denn eigentlich den Aufsatz gemacht wegen des Lattenhäuschens?«

»Warum?«

»Das werdet Ihr gleich sehen; antwortet nur erst!«

»Der Magister Grabenmacher; damals lebte er noch, und der Rosenbaum konnte grad' nicht schreiben, weil er sich in die Hand geschnitten hatte.«

»Da, guckt Euch 'mal das Papier hier an!«

»Weshalb?«

»Weil es das Concepticus ist von der Schrift, und da könnt Ihr den Prozeß am Ende doch noch gewinnen.«

»Warte Er 'mal rasch ein Bischen!« rief er da und suchte sich die Nasenklemme aus dem Tischkasten hervor. Dann putzte er den Lampendocht und fing an zu buchstabiren:

»D–i–e Die – – b–e–i bei–d–en – den – – beiden – – Die beiden – – Un– Un – – t–e–r–ter – – Unter – – z–e–i–ch–zeich – – Unter zeich– –ne–ne– – Unterzeichne– –t–en–ten– – Unterzeichneten – – Die beiden Unterzeichneten – – – –«

So ging es fort fast anderthalbe Stunde lang; wir Andern saßen dabei und waren mäuschenstill, um ihn nicht irre zu machen. Als er endlich fertig war, legte er das Papier behutsam auf den Tisch, nahm die Quetsche von der Nase, schob den Docht wieder zurück und gab mir die Hand:

»Hillmann, Er ist eine gute, ehrliche Haut, und ich habe Ihn unrechter Weise im Verdachte gehabt. Da hat Er meine Hand; ich will's Ihm abbitten! Wir wollen gute Freunde sein, und ich werde Ihm gern allen möglichen Gefallen thun, aber – von dem Mädel muß Er wegbleiben; daraus wird Nichts! Will Er mir das Papier dalassen?«

»Meinetwegen!«

»Gut; ich danke Ihm! Uebermorgen kommt das Gericht aus Lichtenthal gefahren, um sich den Platz einmal zu besehen; sie nennen das eine Commillion oder Confession, ich weiß das Wort nicht so genau, und da werde ich das Concepticus abgeben. Jetzt kann Er gehen. Gute Nacht!«

Ich ging. Der alte Kerl war zwar nicht so manierlich gewesen, wie ich's erwartet hatte, aber was konnte ich denn machen? Ich mußte mich eben in Geduld fügen und bessere Zeiten abwarten. Und wißt Ihr's – die kamen rascher, als ich's selber dachte. Nämlich das ging so zu:

Am andern Abende, spät, als die Alten schon zu Bette waren, sitze ich mit dem Röschen d'rin in der Stube auf dem Kanapee. Es regnete draußen, was nur vom Himmel herunter wollte, und da hatte sie es einmal gewagt, mich mit hinein zu nehmen. Wir hatten uns wie gewöhnlich viel zu sagen und zu erzählen, und so verging die Zeit. Die Lampe durften wir natürlich nicht brennen, laut zu reden fiel uns auch nicht ein, und so konnten wir vom Hofe aus nicht gut bemerkt werden.

Da plötzlich hören wir ein Geräusch, als wenn die Hinterthür leise aufgemacht wird; dann kommt's ganz sachte, sachte an die Stubenthür geschlichen und horcht. Wir Zweie halten den Athem an und lauschen. Jetzt steckts einen Drücker an, dreht ihn ein paar Mal herum und klinkt dann auf. – Damals gab's nämlich noch die alten Schlösser mit Schraubenklinken; Schlüssel brauchte man gar nicht, weil man die Klinke abdrehen oder anschrauben konnte, um zu verschließen oder wieder aufzumachen, und weil der einzige Schlosser in der Stadt nur eine Sorte von Schrauben zu machen verstand, so konnte man mit Jedermanns Klinke in Jedermanns Stube gehen. – Einige Augenblicke ließ sich Nichts hören, dann aber flüsterte es:

»Hast Du die Bibel?«

»Ja.«

»Gut; so wollen wir Licht machen. Er hat den Wisch ganz gewiß wieder dahinein gelegt!«

Das waren die beiden Rosenbaums! Sie wußten also schon, daß der Franke das Concepticus von mir bekommen hatte, und wollten es sich jetzt holen. Entweder hatte der alte Multum selber gegen Jemand geplaudert, oder war der neue Geselle zum Verräther geworden, ich weiß es nicht, aber in diesem Augenblicke kommt mich so ein dummer Nieserich an, und zwar was für einer – die Bibel fällt in die Stube, die Spitzbuben reißen aus, und ich –? na, ich bin schnell gefaßt und schieße hinter ihnen her, durch den Flur, zur Hinterthür hinaus und in den Hof. Da bleibe ich stehen. Ueber den Zaun hinweg konnten sie noch nicht sein, so schnell war das nicht möglich – aber wo denn? Als ich noch so horche und speculiere, geht's auf einmal im Schweinestalle los:

»Gak – gak – gakgak – gakgakgakgakgaaaaak!«

Sofort schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: morgen kommt die gerichtliche Commersion, und da muß der Kerl im Stalle stecken bleiben, bis der Herr Amtmann mit seinen Leuten da ist. Aber dem Franke darf ich Nichts davon wissen lassen, sonst könnte er mir den ganzen Spaß verderben, und vielleicht – – na, rasch bin ich also am Stalle, riegle die Thür zu und rufe leise:

»Halt's Maul, Gak!«

Sofort ist das Thier ruhig und mag nun sehen, wie's mit seiner Einquartierung zu Fache kommt. Ich aber suche mir den Andern, denn Zweie konnten nicht beim Gänserich stecken, weil blos für Einen Platz d'rin war. Zuerst gehe ich in das Lattenhäuschen; aber da ist Niemand, und schon will ich wieder fort, als ich einen Hieb in's Gesicht bekomme, daß mir das helle Feuer aus den Augen springt. Der Andre hat sich nämlich im Häuschen nicht sicher gewußt und ist in den Wollteufel gekrochen; aber da hat ihm die nöthige Topographie gefehlt, wie die Gelehrten sagen, und er ist mit den Beinen so an die Walze gestoßen, daß es mir die Kurbel in die Physiologie geschleudert hat. Ich aber fühle vor lauter Freude gar keinen Schmerz, mache die Klappe fest zu und suche nun das Mädchen auf, um ihr den Fang zu erzählen.

»Da muß ich gleich den Vater wecken!« sagt sie.

»Du, den läßt Du ruhig schlafen, sonst kriege ich Dich im ganzen Leben nicht zur Frau!«

»Kriegst Du mich denn, wenn ich ihn nicht hole?«

»Wollen sehen! Komm herein; wir wollen die Bibel wieder an ihren Platz legen, und dann will ich Dir sagen was wir machen.« – – –[123]

Am andern Morgen ist der Zeug-, Leinen- und Wollenweber August Ehregott Multumfranke beizeitener aufgestanden als gewöhnlich, weil ihm die Commersion im Kopfe herumgegangen ist.

»Was war denn das heute Nacht für ein Spectakel mit dem Gänserich?« hat er gefragt.

»Es wird Jemand auf der Gasse vorbeigegangen sein!«

»Röse, riegle ihn gleich 'mal fest ein, daß er nachher nicht etwa gar dem Gerichte in die Beine fährt!«

Das hat dem Mädchen gepaßt. Freilich war er schon die ganze Nacht eingeschlossen gewesen, aber das sagte sie nicht. –

Punkt Neune sehe ich den Meister über den Markt zum Stadtrichter gehen, wo der Termin abgehalten werden soll. Alles ist da, sogar der Amtmann, der sonst immer zwölf Stunden zu späte kommt, und nur die Rosenbaums fehlen. Da wird der Polizeidiener Eberhardt zu ihnen geschickt, aber er kommt allein zurück und meldet, daß der Agent schon seit gestern Abend nicht zu Hause gewesen sei. Der Termin muß also verschoben werden, aber die Besichtigung kann stattfinden, und nun steige ich so nach und nach aus meinem Webstuhle und fahre langsam in die Stiefeln.

So ein Gerichtstag machte dazumal in unserm kleinen Neste Furole, wie die Gelehrten sagen, und vor Frankens Hausthür standen die Menschen so dicke beisammen, daß keine Stecknadel zur Erde fallen konnte. Ich drängte mich durch, und als ich in den Flur trat, hörte ich die beiden Franke's draußen im Hofe lamentiren.

»Ja,« sagte eben der Amtmann, »dieser Entwurf beweist höchstens, daß eine Schrift, wie die betreffende, hat angefertigt werden sollen, ob sie aber wirklich an- und auch ausgefertigt worden ist, das bleibt zu beweisen. Wenn Ihr nicht schwören wollt, so ist der Prozeß für Euch verloren.«

»Schwören!« rief die Meisterin und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen.

»Schwören!« sagte der Meister, »nein, diese Sünde nehme ich nicht auf mich; denn es steht in der Bibel: ›Du sollst allerdinge nicht schwören!‹ Lieber mag das Lattenwerk verloren gehen und meinetwegen auch der Hof, das Geschäft, das ganze Haus obend' rein!«

Er war nämlich ein sehr frommer Mann und hatte vor dem Schwören einen ganz entsetzlichen Abscheu. – Da trat ich zu den Leuten.

»Meister, was gebt Ihr mir, wenn ich's mache, daß Ihr den Prozeß in einer Viertelstunde gewonnen habt?«

Sie guckten mich Alle an, als ob ich gradewegs aus den Wolken herabgepurzelt wäre.

»Was fällt Ihm ein – will Er mich vielleicht gar zum Narren machen?« fragte Franke, und der Amtmann that's noch besser:

»Wer hier nicht bestellt ist, der hat Nichts zu reden. Packe Er sich!«

»Oho, Herr Amtmann, das werde ich bleiben lassen. Ihr habt nun ein Jahr lang in der Sache herumgesitzt und nichts Richtiges herausklauben können, und nun ich es in einer Viertelstunde ausmachen kann, werde ich mich nicht fortweisen lassen. ›Nullum regulum sinum exceptum!‹ wie die Gelehrten sagen, und ich bleibe da, wenn ich auch nicht bestellt worden bin!«

So eine Wissenschaft hat der Mann bei mir gar nicht vermuthet, und die Ehrfurcht ist ihm gleich in alle Glieder geschlagen, weil es ihm noch nie arrevirt ist, daß ihn Einer in der Weise abgedonnert hat. Ich drehe ihm also auch stolz den Rücken hin und frage den Meister zum zweiten Male:

»Also was gebt Ihr mir?«

»Geben? Wenn Er's ausmacht? Kann Er's denn? Was will Er denn haben?«

»Freilich kann ich's, sonst würde ich es Euch doch nicht sagen! Also paßt auf Meister: Wenn ich das Röschen zur Frau bekomme, so habt Ihr in einer Viertelstunde den Prozeß gewonnen.«

»Der Kerl ist ganz heillos verrückt!« ruft der Amtmann aus Rache darüber, daß ich Hebräisch mit ihm geredet habe und er hat nicht antworten können. Ich will ihm auch gleich wieder eine Nuß zu beißen geben, aber da kommt das Mädel dazwischen, fällt ihrem Vater um den Hals und ruft einmal über das andre:

»Sag Ja, Vater, er kann's!«

Das erbarmt auch die dicke Frau Johanna, geborene Wellner, und weil sie von vorn keinen Platz mehr hat packt, sie den Multum von hinten, und nun geht ein Schlabbermaul immer über das andre, bis er endlich mit den Händen an die Ohren fährt und verzweifelt ausruft:

»Na, denn meinetwegen mag er sie haben; aber den Prozeß muß ich gewinnen!«

»Gut,« sage ich; »da kommt 'mal mit herein!«

Das Röschen hat schon längst einen Korb mit der allerschmutzigsten Wolle parad gesetzt; den nehme ich und trete in das Lattenhäuschen – die Andern mir alle nach. Dort mache ich vorsichtig die hintere Klappe vom Wollteufel auf, schiebe die Wolle hinein und schließe wieder zu. Ich habe in meinem Leben so manches dumme Gesicht gesehen, aber so dumm wie damals, war mir's noch nicht vorgekommen und habe auch nach der Zeit keines wieder aufgabeln können. Die Kerls wußten gar nicht, was sie aus mir machen sollten, guckten einander an, guckten mich an, guckten den Wollteufel an und wurden von Augenblick zu Augenblick immer consternalischer, und als nun gar der Wollteufel zu heulen und zu sausen anfing, da fuhren sie sammt und sonders zur Thür hinaus; denn Ihr könnt Euch denken, daß ich mich nicht garstig ins Zeug legt[135] und an dem alten Kasten drehte, als hätte ich die ganze Himmelskugel in Gang zu erhalten.

Dem da d'rin ist's jedenfalls auch nicht ganz selig zu Muthe gewesen, denn kaum habe ich angefangen, so höre ich ihn zetern und lamentiren, daß es einen Stein erbarmen konnte, aber die Andern haben gedacht, es ist der Wollteufel. Da mache ich die Klappe ein Wenig auf und rufe hinein:

»Wo ist die Schrift?!«

Keine Antwort; ich drehe also weiter. Nach einer Weile frage ich wieder – keine Antwort, immer weiter drehe ich! Da endlich, als ich das zehnte oder zwölfte Mal frage, klingt's:

»Laß mich 'raus, nachher will ich's sagen!«

Na, die Augen hättet Ihr sehen sollen, die jetzt gemacht wurden, als auf einmal der Wollteufel zu reden anfängt; ich aber drehe ruhig weiter. Da sieht denn der da d'rinne ein, daß keine Rettung ist, und als ich wieder frage, antwortet er:

»In meinem Vater seinem Filzhut, unter'm Schweißleder.«

»Gut Komm 'raus!« rufe ich, mache die vordere Luke und drehe, daß die Wollsetzen wie ein Schneegestöber im ganzen Hofe herumfliegen.

Da kommt er gekrochen – aber wie! Du meine Güte, war der Kerl zugerichtet! Von der Nacht im Wollteufel war er zusammengeschrumpelt wie ein Stück dreißigjähriges Kuhfleisch, wenn's in's Wasser kommt; die Ellbogen hingen bis an die Knie herunter, und der Rücken lag in einer richtigen Kometenbahn. Vom Regen war er durch und durch naß geworden, denn die beiden Spitzbuben hatten erst lange draußen herumspionirt, und nun hing ihm die Wolle auf dem Leibe, als wäre sie dort angewachsen.

»Alle gute Geister!« schrie der Amtmann, »was ist denn das für ein Geschöpf?«

Ich aber habe ihm gar keine lange Erklärung gegeben, sondern blos über den Hof hinüber gerufen:

»Gak, komm 'raus – leid's nicht!«

Da erhebt sich d'rin im Stalle ein Krawall, daß dem ganzen Gerichtspersonale die Haare über den Schimborasso hinüberfahren. »Hülfe, Feurio, Mordio!« schreit der Rosenbaum, und dazu trompetet der Gänserich wie ein afrikanischer Elephant, wiehert wie ein Pferd, brüllt wie ein Tiger, und als der alte Eberhardt die Thür aufmacht, da kugelt sich der Agent auf allen Vieren heraus und kann gar nicht in die Höhe kommen, weil der Erzvater Gak immer über ihm ist. Na so ein Gestrample und Gewälze! Da sieht der Vogel plötzlich den jungen Rosenbaum, der wie das lebendige Elend an der Schuppenthüre lehnt, und wer weiß, für was für ein Stück Vieh er ihn wegen der Wolle gehalten hat, kurz und gut, jetzt stürzt er sich auf ihn, fährt von ihm wieder hinüber zu seinem Vater, stößt in dieser Weise gakend, wiehernd und brüllend immer von Einem zum Andern; der alte Eberhardt will den Beiden zu Hülfe kommen, da fährt der Vogel auf ihn hinein, daß er die Arme drei Stockwerk hoch in die Höhe wirft und Hut, Stock und Acten fallen läßt; der Amtmann will rasch nach den Papieren greifen, aber im Augenblicke hat ihn der wüthende Gänserich bei den Haaren; die andern Herren springen herbei, aber das war dem Vogel nun doch zu viel, so toll war man ihm noch nicht gekommen, und so entfaltete er seine ganze Gloarie, wie die Franzosen sagen, flog in die Höhe, sprang von Einem zum Andern, hieb, biß und kratzte wie ein Teufel und ließ sie gar nicht zu Athem und Besinnung kommen, so daß sie, immer übereinander stolpernd und stürzend, sich durch die Hinterthür und den Flur auf den Marktplatz drängten, der Amtmann, der Assessor, der Registrator, der Stadtrichter, der alte Eberhardt, die zwei Rosenbäume und der Gänserich tapfer hinter ihnen her. Alle Fenster werden aufgerissen, aus allen Thüren strömen die Menschen herbei, aber immer fort geht die wilde Jagd über den Platz hinweg und drüben beim Stadtrichter hinein; nur die Rosenbaums haben sich wo andershin verduftet. Der Gänserich aber hat die Schlacht gewonnen, kehrt um, spannt die kahlen Flügel auseinander und kommt mit einem wahren Bärentrotte stolz und triumphirend zurückgaloppirt, dreht sich an der Thür noch einmal um, brüllt ein dampfpfeifenartiges und herzzerreißendes: »Gak – gak – gakgackgackgackga–aa–ak!« und ist dann im Innern des Kriegsschauplatzes verschwunden.

Ich habe mir gar keine Zeit genommen, das Alles so richtig zu beobachten, denn kaum ist das wüthende Heer zur Thür hinausgewesen, so bin ich über den Zaun gesprungen und durch den Garten in Rosenbaums Haus gegangen. Dort habe ich mir ein Paar Hausleute als Zeugen mit in die Wohnung des Agenten genommen und auch gleich den Hut gefunden und die Schrift darin.

»Was es nun gegeben hat, das könnt Ihr Euch denken. An der Gänserichschlacht ist der Eberhardt schuld gewesen, weil der den Stall aufgemacht hat; der hat eine Nase gekriegt, drei Gassen lang. Die Rosenbaums haben nicht leugnen können und sind eingesponnen worden. Wo's besser ist, dort, oder beim Wollteufel und Gänserich, das haben sie uns später nicht gesagt. Das Röschen und ich, wir sind ein Paar geworden; Gak hat den Spaß noch fünf Jahre überlebt und am Jahrestage allemal eine Exrtradelicatesse bekommen; in welchem Alter er verstorben ist, das ist in keiner Chronik zu finden; vielleicht lebt er, wie Ahaspharus, als ›ewiger Gänserich‹ fort. Und der Wollteufel? Dem ist's eigenthümlich gegangen: Als ich das Geschäft übernahm, wollte der Multum nicht mehr gehen, ich schaffte also Jaquardmaschinen an und habe aus dem alten Kasten meinen Jungens und Mädels ein Wiegepferd machen lassen, zwei Ellen lang, anderthalbe hoch – – – je älter der Teufel wird, desto besser ist er zu etwas Lustigem zu gebrauchen!«[136]

Quelle:
Im Wollteufel. Humoreske von Karl May. In: Feierstunden am häuslichen Heerde. 1. Jg. Heft 9, S. 135-137.
Humoreske von Karl May. In: Feierstunden am häuslichen Heerde. Belletristisches Unterhaltungs-Blatt für alle Stände. 1. Jg. Heft 8–9. S. 119–123 u. 135–136. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1876). Reprint in: Erstdrucke Karl Mays in Faksimile-Ausgaben. Serie V: Beiträge in der Zeitschrift »Feierstunden am häuslichen Heerde«. Hamburg: Karl-May-Gesellschaft 1972.
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