6.

Im Keller

Mamsell Rosine saß in der Laube. Das war nun jedenfalls kein großes weltgeschichtliches Ereigniß, doch wer Mamsell Rosine gekannt und gewußt hätte, was für eine außerordentliche Wirthschaftslast auf ihren spitzen Schultern ruhte, und daß sie selbst in den schönsten Tagen den Garten fast nie betrat, dem hätte es doch wohl Wunder genommen, sie in der Dämmerstunde dieses unfreundlichen Novembertages in der Laube sitzen zu sehen.

Aber sie hatte gar wohl einen Grund, heut' hier zu sein, nur daß derselbe nicht im Wetter lag, sondern viel, viel tiefer, nämlich in ihrem pietätvollen, jungfräulichen Herzen. Heut' war ihr Geburtstag, und heut' war es auch grad' neununddreißig Jahre, daß er – ach er – nämlich ihr Erster und leider auch ihr Letzter – hier in dieser Laube vor ihr auf den Knieen – auf allen beiden Knieen gelegen und ausgerufen hatte:

»Röse – Röschen – Rosa – Rosina – ich liebe Dich – küsse mich, oder ich sterbe!«

Das war ihr weit hinein in die Seele gedrungen. Sterben, nein, sterben sollte, durfte er nicht; sie mußte ihn retten! Und so hatte sich denn ihr theures Bild zu ihm herabgeneigt, den Geliebten zärtlich zu umfangen, und dann – ach, ja ja, das war in dieser Laube gewesen, grad' in derselben hier, nur daß sie damals drüben in der andern Ecke gestanden hatte und dann später vollständig neu hierher gesetzt worden war – die halb verfaulten Bretter und Latten von der alten hatte man verbrannt.

War es also etwa ein Wunder zu nennen, daß Mamsell Rosine wie alljährlich, so auch am heutigen Datum die traute Stätte aufsuchte, die den ersten Kuß ihrer einzigen Liebe gehört hatte? – ihrer einzigen, weil er Schneider gewesen und ihr nur vierzehn Tage treu geblieben war. Sie aber hatte ihm ihre Treue bewahrt die ganze Zeit ihres Lebens hindurch, denn so oft die Versuchung an sie herangetreten war, Keiner hatte sie gewollt, Keiner hatte sie gemocht – und so haßte sie alle, alle, außer diesen Einzigen, der doch wenigstens zwei Wochen bei ihr ausgehalten hatte.

Die Liebe, verschmäht und gekränkt, war aus ihrem Herzen gewichen und die Rache dafür in dasselbe eingezogen. Sie hatte sich gerächt an dieser verhaßten Männerbrut – und wie oft! Wie Viele waren da unten in den Kellern eingeschlossen worden, die das Handgeld von Vater und Mutter – vom Liebchen hinweggelockt hatte, und die, wenn der Rausch verflogen war, alle Qualen der Reue zu kosten bekamen! An dieser Reue, an ihren Klagen und Thränen hatte sie sich erquickt und bei jedem neuen Opfer neue Freude empfunden.

Nur der heutige Tag hatte sie stets versöhnlich gestimmt. – Wenn das Herz das ganze Jahr hindurch nur Rache kocht, einen Tag muß es doch haben für die Liebe, und wenn kein Fisch mehr anbeißen will, so geht man in die Vergangenheit zurück zu dem Einzigen, welcher angebissen hatte.

Sie senkte das Gesicht tief auf den Strickstrumpf und bließ einen Seufzer nach dem andern in die Maschen, dabei ihres einsamen Lebens gedenkend und des trüben Schicksales, es nicht weiter bringen zu können als bis zur – Haushälterin.

Ach, Haushälterin! Sie war's gewesen, wie lange, wie lange, und war's geblieben – auch bei dem vorigen Besitzer des vor der Stadt gelegenen Hauses. Dann hatte Wolstraaten es gekauft und seine Bäckerei an den Nagel gehängt, aber obgleich er Wittwer war und sie nun wieder süße Hoffnung hegen durfte – sie war Haushälterin geblieben.

Und dieses dumme, unerfahrene Ding, das Sofchen, um die war das Gereiße, und seit nun gar die Harlemer Erbschaft spukte, war's erst recht nicht mehr zum Aushalten! Wenn sie doch nur recht bald fort wäre aus dem Hause! Vielleicht hat der Dessauer Getreidehändler ein Einsehen und kommt bald zur Brautschau. Sobald ein Mädchen ein nur einigermaßen hübsches Lärvchen hat, bildet es sich gleich wer weiß was für Wunderdinge ein – grad' so wie die Fremde, die heut' wieder einmal bei Anwalts auf Besuch ist, und die immer an Einem vorüberrauscht, als wäre sie von Seide und Andere aus Papier. Und dort – ja ja, man darf nur den Teufel an die Wand malen, da kommt er sicher gleich – das ist sie; ich möchte nur wissen, was die im Garten hier zu suchen hat, jetzt im November! Mit der mag ich gar nicht zusammentreffen. Ich gehe!

Mamsell Rosine konnte nicht begreifen, was die jugendliche Spaziergängerin in den Garten trieb, und doch war es dieselbe Gewalt, von welcher sie selbst hergeführt worden war: die Liebe. Der Liebende, sei seine Liebe nun glücklich oder unglücklich, er sucht die Einsamkeit, er liebt die abendliche Stille, in welcher er denken, sinnen und träumen kann. Und was gab es für Maria von Naubitz nicht alles zu denken!

Der Geliebte hatte Urlaub genommen und war trotz der abschlägigen Antwort des Fürsten nach Dessau gekommen, war gegen seine ursprüngliche Absicht in den Dienst desselben gerathen – was sollte daraus werden! Der Sachwalter war verreist; seine Frau liebte es nicht, ihrem Besuch mit zudringlichen Aufmerksamkeiten beschwerlich zu fallen; so konnte sie, ohne die Gastfreundin zu beleidigen, sich in den Garten zurückziehen, um den Regungen ihres Innern Gehör zu schenken. Längst schon war es[71] dunkler Abend, und noch immer saß sie, das Köpfchen nachdenklich in die Hand gestützt, in der Laube, an welche sich die süßen Erinnerungen von Mamsell Rosine knüpften.

Diese befand sich jetzt in der Stube und gab sich ihrer Lieblingsbeschäftigung hin, ihrer intimen Feindin, dem Sofchen, das Leben sauer zu machen. Das Zanken, Kneifen und Sticheln wollte kein Ende nehmen, und es war zu verwundern, mit welcher Geduld und Selbstbeherrschung das hübsche und zugleich verständige Mädchen diese Raisonnements ertrug.

Da näherte sich das Rollen eines Wagens, welcher dann vor dem Hause halten blieb. Das kräftige Klatschen einer Peitsche forderte die Bewohner desselben zur Aufmerksamkeit auf.

»Na, wird's denn bald, Du alte Schlenderliefe,« rief Mamsell Rosine dem Mädchen zu, »oder soll ich etwa selbst hinaus gehen?«

Ohne ein Wort der Erwiederung verließ die Gescholtene das Zimmer.

»Wohnt hier der Bäcker Wolstraaten?« fragte eine tiefe Männerstimme vom Wagen herab.

»Ja!«

»Kann man hier die Pferde unterstellen?«

»Im Stalle nicht mehr; da stehen schon zwei. Aber dort in dem Schuppen ist noch Platz.«

»Schön. Da mögen die zwei aus dem Stalle in den Schuppen gebracht werden. Meine sind gewohnt, auf Flaumfedern zu schlafen!«

»Das wird das Fräulein von Naubitz nicht zugeben!«

»Von Naubitz? Was hat denn das Wettermädel hier zu suchen, he?«

»Sie ist beim Sachwalter, der hier im Hause wohnt.«

»Und da bleibt sie wohl auch heut'?«

»Ich glaube.«

»Das hätte ich wissen sollen. Da hätte der Polenz mitgemußt!«

Es war so finster, daß der Fürst die Aufmerksamkeit, welche sein Kutscher diesem Gespräch schenkte, nicht bemerken konnte.

»Na, gegen das Weibsvolk muß man galant sein; da mögen die Braunen also in die Boutique kommen. Aber höre Er, reibe Er sie erst tüchtig ab, lasse sie gehörig verschnaufen und wickle sie dann gut in Decken ein, damit sie mir nicht etwa verschlagen! Wer ist Sie denn, Sie kleines Geschöpf?«

»Ich heiße Sophie und bin das Mündel vom Wirthe.«

»So! Da ist also Sie die Wetterhexe, das Sofchen, wegen der die Leute in den Wasserbottichen herumkrabbeln müssen? Ich werde Sie mir einmal gehörig angucken!«

Damit sprang er aus dem Wagen und trat in das Haus.

Sophie wollte ihm folgen, wurde aber noch vor der Thür von zwei starken Armen umschlungen und fühlte einen langen, herzhaften Kuß auf den Lippen. Die besondere Art und Weise dieser Liebkosung schien ihr sehr bekannt vorzukommen, denn, sich rasch von ihrem augenblicklichen Schrecke erholend, rief sie, ohne den Mann erst genau betrachtet zu haben:

»Fritz, Du? Ich denke, Du bist längst über alle Berge!«

»Ich dachte auch nicht, daß ich so rasch wiederkäme; aber die Umstände haben's nothwendig gemacht.«

»Wer ist denn das, mit dem Du gekommen bist?«

»Das – das ist der Getreidehändler Habermann aus Dessau mit seinem Knechte.«

»Der Getreidehändler! Der kommt wohl schon meinetwegen?«

»Freilich.«

»Und Du – wie kommst Du denn mit ihm zusammen?«

»Unterwegs. Aber gehe jetzt hinein; ich muß nun verschwinden. Sobald Du Zeit hast, kommst Du hinüber an den Hollunderbusch; ich werde auf Dich warten.«

Er schob sie durch die Thür, obgleich sie noch hundert Fragen auf der Zunge hatte. Als sie in die Stube trat, fand sie den Fremden in voller Verhandlung mit Mamsell Rosine.

»Und der Wolstraaten, wo steckt er denn?«

»Der ist nach Halle.«

»Nach Halle – heut? So so – hm, da hat der Teufelskerl doch Recht gehabt, der Nauh – ja so, hm, hm. Und Sie, wer ist Sie denn?«

»Ich heiße Mamsell Rosine Fransenhuberin und halte hier die Wirthschaft in Ordnung.«

»Das ist ja recht schön von Ihr! Also, Mamsell Rosine Fransenhuberin, ich habe einen verteufelten Durst; hat Sie vielleicht einen guten Schluck, der dagegen hilft? Auch für etwas zu essen kann Sie sorgen, denn ich werde hier bleiben, bis der Wolstraaten wiederkommt!«

Das gebieterische Wesen dieses Mannes imponirte ihr; sie machte den Versuch, einen Knix zu Stande zu bringen, und eilte dann zur Küche, wo sie mit Sophie zusammentraf, welche sich in der Stube gar nicht verweilt hatte.

»Schnell einen Krug Bier hinein! Das muß kein ganz gewöhnlicher Mann sein!«

»Ich bleibe da. Sie kann ihm das Bier auch hinzutragen!«

»Ich? Warum denn ich?«

»Weil ich nicht mag. Mit dem Habermann habe ich Nichts zu thun!«

»Der Habermann ist's? Woher weißt Du denn das?«

»Hab's draußen gehört.«

»So so – das ist ja ein recht reputirlicher Herr – zwar nicht mehr der Jüngste, aber er hat so eine Manier, so eine Art und Weise – war er nicht Wittwer?«

»Ja.«

»Wenn Du nicht anders willst, so kann ich ihm das Bier schon selbst hinaustragen!«

Mamsell Rosine hatte die Eigenthümlichkeit, daß ihr bei jeder unverheiratheten Mannsperson jene süßen Worte: »Röse – Röschen – Rosa – Rosine – ich liebe Dich – küsse mich, oder ich sterbe!« und die darauf folgenden seligen Augenblicke in den Sinn kamen, und wie herrlich, wie erhebend mußte es sein, wenn diese tiefe, kraftvolle Baßstimme da d'rinnen einmal versuchen wollte: »Röse – Röschen – –« aber sie hatte keine Zeit, diesen himmlischen Gedanken vollständig auszudenken, obgleich ihr beifiel, welch' einen Streich sie der Sophie, diesem dummen Dinge, spielen könne, wenn sie ihre Schwiegermutter würde. Sie füllte den Krug und eilte in die Stube, wo sie ihn mit dem gewinnendsten Lächeln vor den Gast hinsetzte.

»So – ich danke Euch! Hättet Ihr denn wohl ein Bett, wenn man die Nacht hierbleiben müßte?«[72]

»Wir sind nicht auf Nachtgäste eingerichtet; aber ich würde Euch – ja« fuhr sie erröthend fort – »ich würde Euch – wenn Ihr – –«

»Na, heraus damit! Was würdet Ihr?«

»Ich würde Euch – – meine Kammer abtreten!« brachte sie endlich, züchtig und verschämt die Blicke senkend, heraus. Und in ihrem Innern jubelte es: »Erst sagte er ›Sie‹, jetzt spricht er schon ›Ihr‹; o, ich weiß, was das zu bedeuten hat!«

»Ihre Kammer?«

»Ja.«

»Und wohl auch Ihr Bett?«

»Wenn – wenn – na – ja, auch das Bett.«

»Und wo wollt Ihr denn schlafen, he?«

»Für mich wird sich schon ein andres Plätzchen finden. Ich thue es Euch gern zu Gefallen!«

»Zu Gefallen?« fragte er, während seine Augen sie ganz eigenthümlich anblitzten. »Höre Sie 'mal, Mamsell Rosine Fransenhuberin, Sie ist doch ein ganz heilloses Weibsen! Erstens sagt ein Frauenzimmer so Etwas gar nicht, wenn sie auch im Stillen ihr Lager für einen Gast herborgt, und zweitens kann es mir in meinem ganzen Leben nicht einfallen, mich auf so einer alten Schachtel ihre Schnarchmaschine zu legen. Es war übrigens auch nur so eine Frage für den Nothfall.«

Wenn eine Bombe in das Zimmer gefahren wäre, sie hätte kein größeres Unheil in dem Innern von Mamsell Rosine anrichten können, als diese Worte. Zuerst stand sie wie eine Bildsäule in absoluter Unbeweglichkeit da; es schien ihr die Luft vollständig ausgegangen zu sein. Dann aber stieß ihre vom Entsetzen zusammengepreßte Lunge einen keuchenden Pfiff hervor, ihre Arme fuhren topfhenkelartig in die Seiten, die Augen öffneten sich groß und drohend, ihr weit geöffneter Mund ließ anderthalb Paar lange, gelbe Turbirzähne erblicken, und nun brach die Sturmfluth los:

»Was? Was wäre ich? Eine alte Schachtel? Und mein Bett, mein Bette eine Schnarchmaschine? Weiß Er denn, Er unverschämter –«

Weiter freilich kam sie nicht; denn ihr Gegner fuhr mit donnernder Stimme dazwischen:

»Will Sie wohl ruhig sein!«

»Weiß Er denn, Er unversch – –«

»Ich frage ob Sie ruhig sein will!«

»Weiß Er denn, Er un– –«

»Rrrraus!«

»Er unversch– –«

»Rrrraus!«

»Er un– – «

»Rrrraus, sage ich!«

»Er – –«

Jetzt konnte sie beim besten Willen nicht weiter; denn er hatte den Bierkrug ergriffen und schleuderte ihr den Inhalt desselben mit solcher Vehemenz in das Gesicht, daß er ihr nicht nur in den geöffneten Mund, sondern auch in die Augen und in die Nase drang. So einen Mordanfall hatte man noch niemals auf sie versucht; alle ihre Nerven waren, als hätte sie der Schlag getroffen, vom Schrecke gelähmt und wie angeleimt lagen die schützenden Hände vor dem triefenden Gesichte, Da endlich ging ein convulsivisches Zittern durch ihren Körper; der in die Nase gedrungene Gerstensaft begann seine lebendig machende Thätigkeit: die Hände haben sich vom Gesichte, der Kopf bog sich hintenüber, der Mund fuhr krampfhaft auseinander, die Züge legten sich in jene wunderbar ergreifende und erwartungsvolle Visage, welche bei Nichtschnupfern die unausbleibliche Folge einer guten Prise ist, und nun entrang sich dem jungfräulichen Busen von Mamsell Rosine Fransenhuberin ein markerschütterndes und wahrhaft elephantenartiges:

»A–a–a–azzz–i–i–iiiihhh!«

»Wohl bekomme es Ihr, Sie alte Regimentskneipzange, Sie!« lachte höflich der Bierkrugschütze und schob, während sie immer wieder von Neuem zum Niesen ausholte, die alles Widerstreben Vergessende über die Stube hinüber und in die Küche hinaus. Sophie hatte Alles vernommen und konnte sich beim Anblicke der Mamsell des Lachens nicht enthalten.

»Komme Sie doch einmal herein zu mir!« befahl der Fürst.

Sie folgte ihm.

»So! Hierher muß Sie treten, daß ich Sie bei der Lampe deutlich sehen kann. Hm, hm, der Korporal scheint keinen so ganz schlechten Geschmack zu haben! Höre Sie' mal Sie mag wohl den Namen Habermann gar nicht gern leiden?«

Sie vermochte vor Verlegenheit nicht zu antworten.

»Na, ich meine es ja ebenso gut mit Ihr wie der Nauheimer, und Sie wird schon noch einsehen, daß ich auf Ihr Glück bedacht bin! Jetzt sorge Sie aber zunächst für ein Abendbrod, und dann wollen wir einmal weiter mit einander reden!«

Da trat der Kutscher ein und machte Anstalt, an einem der Tische Platz zu nehmen.

»Höre Er, aus dem Hersetzen wird jetzt nichts. Er wird bei der Sache Sein Theil jedenfalls auch mit zu thun bekommen, und da ist es ganz besonders nothwendig, daß Er die gehörige Ortskenntniß besitzt. Gehe Er also einmal recognosciren, damit Er sich später zurechtfinden kann, wenn's nothwendig ist.«

Der Angeredete entfernte sich, obgleich er ganz aus eigenem Antriebe die Umgebung des Hauses schon abgesucht hatte. Nur allein im Garten war er noch nicht gewesen, und daher richtete er jetzt seine Schritte nach demselben. Ganz sicher hatte das Haus gewisse Schlupfwinkel und wohl auch verborgene Gelegenheiten zum Ein- und Auspassiren, die bei dem heutigen Rekrutentransporte jedenfalls benutzt wurden. Leicht konnte man mit einer der eingeweihten Personen zusammentreffen und Verdacht erregen, und so schlich der Kutscher geräuschlos und mit einer Umsicht weiter, die ihm nicht das Geringste entgehen ließ, ihn selbst aber gegen jede Entdeckung schützte.

So kam er auch an die Laube. Ohne in dieselbe einzutreten, lauschte er mit angestrengten Sinnen, ob dieselbe leer oder besetzt sei. Leise Athemzüge ließen sich vernehmen – es war Jemand d'rin. Wer war es? Er mußte Gewißheit haben, und machte schon Anstalt, sich niederzulegen, um näher zu kriechen, als ein leichtes Räuspern ertönte, das Rauschen eines weiblichen Gewandes sich vernehmen ließ und eine dunkle Gestalt hervortrat.

Sie blieb einige Augenblicke vor dem Eingange stehen und wollte sodann sich nach dem Hause wenden, als sie dicht neben sich den leisen Ruf vernahm:

»Marie!«[73]

Ueberrascht, fast erschrocken zog sie den Fuß zurück.

»Ist wer da?« fragte sie mit halblauter Stimme.

»Wahrhaftig, Du bist's, und ich habe mich nicht geirrt!« ertönte es mit gewaltsam unterdrückter Freude; zwei Arme legten sich um sie und zogen sie an eine breite Männerbrust.

»Curt! Welche Ueberraschung! Wie kommst Du, den ich in Halle glaubte, hierher?«

»Das sollst Du erfahren. Komm, setze Dich!«

Er trat mit ihr in die Laube, zog sie auf seinen Schoß, und bald waren sie in lebhafter, wenn auch fast unhörbarer Unterhaltung begriffen. – –

Während dessen setzte Sophie das Essen auf den Tisch und schlüpfte dann, den Gast befriedigt und beschäftigt wissend, auf ein kurzes Weilchen hinüber zu dem Hollunderbusch. –

Der Fürst ließ sich das Mahl wohlschmecken und war mit demselben grad' fertig geworden, als der Kutscher wieder eintrat.

»Hat Er 'was Verdächtiges gespürt?«

»Nein.«

»So esse Er! Ich werde mir den Ort jetzt auch einmal besehen!«

Er erhob sich und schritt hinaus. Um die Ecke des Hauses biegend, sah er die zurückkehrende Sophie auf sich zukommen. Da er sie in der Dunkelheit nicht sofort erkannte, so hielt er sie beim Arme:

»Halt, was trippelt denn da im Grase herum?«

»Ich bin's – –«

»Ach, das kleine Jungferchen! Kann mir's denken, was Sie hier herum zu suchen hat, nicht wahr?«

»Durchlaucht!«

»Durchlaucht? Aha, so hat also der Schwerennöther, der Nauheimer, das ganze Geheimniß ausgeplaudert! Na, den werde ich bei der Parabel nehmen!«

»O nein, Durchlaucht, verzeiht ihm! Er hat's ja gut gemeint, und ich will Euch dafür auch in Allem gern behülflich sein.«

»So, will Sie das? Na, da stehe Sie mir erst 'mal aufrichtig Rede und Antwort! Ist's wahr, daß da unten in den Kellern – –?«

»Ja.«

»Darf Sie in die Keller?«

»Nein; ich soll ja gar Nichts davon wissen.«

»Und heut' soll es fortgehen?«

»Ja.«

»Woher weiß Sie das?«

»Ich hörte den Vormund mit der Mamsell davon sprechen.«

»Ach so! Da ist die alte verliebte Kachel auch mit bei der Sippe?«

»Die führt eigentlich das ganze Geschäft. Der Vormund entfernt sich allemal, wenn ein Transport kommt oder geht.«

»Weshalb?«

»Aus Klugheit, damit er sich herausreden kann, wenn einmal Etwas passirt.«

»Sind die Keller groß?«

»Groß und klein. Es sind mehrere, wie man sie eben braucht.«

»Sie ist trotz des Verbotes doch wohl schon unten gewesen?«

»Zuweilen –« klang die zögernde Antwort.

»Ja, Euch Weibsbilder kennt man schon! Könnte Sie mich nicht vielleicht 'mal 'runterführen?«

»Das wird schwer halten. Die Mamsell hat die Schlüssel.«

»Kann Sie die nicht auf einen Augenblick fortstibitzen?«

»Ich will's versuchen, Durchlaucht! Aber wenn Ihr weiter Nichts wollt, als Euch blos die Leute ansehen, die da unten sind, so brauche ich gar keinen Schlüssel.«

»Ja, vor der Hand will ich doch auch nichts Anderes.«

»Da steigen wir in den Bierkeller; der steht auf, und da habe ich ein Loch entdeckt, durch welches man die Gesellschaft ganz gut belauschen kann.«

»So führe Sie mich hinunter.«

»Soll ich nicht den Korporal holen? Es ist besser, man ist bei solchen Dingen vorsichtig.«

»Nicht nothwendig. Der mag auf seinem Posten bleiben, um zu sehen, was außer dem Hause passirt. Komme Sie nur!«

Sie schritten mit einander um die zweite Ecke des Hauses und kamen in den Hofraum. Sophie schob den Riegel von einer schmalen Thür, hinter welcher eine Stufenreihe abwärts führte.

»Wartet einen Augenblick, Durchlaucht; ich will Licht machen.«

Sie griff in eine kleine Nische, zog Stahl, Stein und Zunder hervor, und bald brannte das Licht der Laterne, welche hier placirt war, damit man beim Holen des Bieres eine Lampe nicht über den ganzen Hof zu tragen habe. Nachdem sie noch einmal nachgesehen hatte, daß die Thür vollständig herangezogen sei, stieg sie, ihm voran, die Stufen hinab. – –

»Heda, ist denn Alles ausgerissen?« rief der Kutscher, vom Essen aufblickend, und klopfte mit dem leeren Kruge auf den Tisch.

Die Küchenthür öffnete sich und ließ die spitze Nase der Mamsell Rosine erscheinen.

»Was hat Er denn zu spectakeln? Bei Ihm heißt's wohl auch: Wie der Herr, so der Diener!«

»Nein, sondern: Wie die Liebe, so die Hiebe! Kommt Sie manierlich, so bin ich reputirlich, kommt Sie aber mit Grobheiten, so kann Sie 'was erleben. Hier, noch einen Krug!«

Der Gebrannte scheut das Feuer, darum hütete sich Rosine auch, ihrem Zorne freien Lauf zu lassen. Ihren Ingrimm verbeißend, nahm sie den Krug, um ihn aus der in der Küche befindlichen Blechkanne zu füllen; aber dieselbe enthielt nicht mehr die nöthige Menge des braunen Getränkes. Durch den Umstand, wegen dieser groben Menschen auch noch in den Keller steigen zu müssen, wurde ihr Aerger um ein Bedeutendes erhöht; sie eilte über den Hof, fand die Kellerthür nur angelehnt, und wohl das Feuerzeug, nicht aber die Laterne an ihrem Platze.

Sie stutzte. Es mußte Jemand im Keller sein und zwar in einer geheimen Absicht. Leise schlich sie die Stufen hinab und bemerkte, unten angekommen, im Hintergrunde einen schmalen Lichtstreifen. Er fiel aus einem der Nebenräume, welche durch eine starke, eisenbeschlagene Thür vom Bierkeller getrennt wurde. Mit lautlosen, katzenartigen Schritten näherte sie sich der Thür und erkannte nun deutlich den Fremden, welcher auf einem herbeigerollten leeren Fasse stand und durch ein in der Mauer[74] angebrachtes Luftloch in das nebenan liegende Gewölbe blickte, aus welchem sich verschiedene Stimmen vernehmen ließen. Sophie stand mit der Laterne in seiner Nähe.

Es flimmerte vor den Augen der Lauscherin. Das war ja Verrath, und diese Heuchlerin stak mit dem unverschämten Grobsacke unter einer Decke! Welch' ein Glück, daß sie zur rechten Zeit gekommen war! Hier mußte rasch gehandelt und das spionirende Paar unschädlich gemacht werden. Aber die Genugthuung mußte sie dabei haben, den Beiden wissen zu lassen, von wem ihnen der Streich gespielt werde. Sie trat deshalb unter den Eingang.

»Was hat Er denn hier in meinem Keller zu suchen, Er alter neugieriger Cyperkater Er? Ich werde Euch Zweien das Horchen einstreichen, daß Ihr wer weiß wie lange an die ›alte Schachtel‹ denken sollt!«

Ehe er noch vom Fasse steigen oder die erschrockene Sophie herbeieilen konnte, hatte sie die Thür zugeschlagen und schob die Riegel vor.

»Will Sie wohl gleich aufmachen, Sie verwünschte Wetterhexe Sie?« donnerte der Fürst und trat mit kräftigem Fußstoße gegen die Thür. Aber es war weder eine Antwort zu hören, noch gab die Thür den vereinten Anstrengungen der beiden Eingeriegelten nach. Sie waren gefangen.

Allerdings tobte der alte »Knasterbart« wie ein angeschossener Eber in dem engen Raume herum. Er, der Sieger in so vielen Schlachten, der – na – er sollte sich von so einer – na – übertölpeln und in solch' schandbaren Prison nehmen lassen! Und was wird die Welt dazu sagen, wenn es heißt, daß er, der Fürst – Tod und Teufel, nein – lieber wollte er die Mauer mit seinem Kopfe einrennen und – horch, was ist denn das da drüben für ein schallendes Gelächter?

Er stieg auf das Faß und lugte durch die Oeffnung. Drüben hatte man einen Kreis geschlossen, inmitten dessen Einer stand, welcher mit lauter Stimme erzählte. Eben schien er mit dem Berichte fertig zu sein, denn es erhob sich ein rauschender Beifallssturm, aus welchem am vernehmlichsten der Ruf zu unterscheiden war:

»Hurrah, der alte Dessauer gefangen – Bier her, Wein her, das muß angefeuchtet werden!«

Zitternd vor Grimm sprang er von seinem hölzernen Sockel.

»Da sollen doch gleich fünfunddreißig Tausend Bomben und Granaten d'reinschlagen – diese Hundsfötter wissen wahrhaftig, wer ich bin. Na, laßt mich nur hinüber kommen – ich werde Euch den ›alten Dessauer‹ um die Ohren schlagen, daß Ihr den Himmel für einen Osterfladen halten sollt!«

»Jetzt bringen sie ihn!« schallte es gedämpft durch die Wand.

»Bringen – wen denn?« knurrte er zornig, wieder auf das Faß steigend und die Nase in das Mauerperspectiv steckend. Kaum aber hatte er einen Blick hinübergeworfen, so fuhr er zurück, daß er fast die Balance verloren hätte.

»Sternen-Pech-und-Hagelwetter, das wird ja mit jeder Minute bunter – das ist ja der Habermann, der Schwerenöther! Da ist der Kerl gar nicht nach Halle gefahren, und ich kann jetzt bis zum jüngsten Tage auf meine Dragoner warten? Und dazu hat er meinen Rock an und blamirt ihn jetzt und in alle Ewigkeit, Amen. Na, komme ich nur hinüber, ich werde ihm eine Salbe einreiben, nach der es ihn am ganzen Leibe jucken soll!«

»Aber ich bin ja gar nicht der Fürst, für den Ihr mich zum Beispiel haltet!« wurde drüben eine ärgerliche Stimme laut.

»Nicht? Wer seid Ihr denn, wenn man fragen darf?«

»Ich bin der Getreidehändler Habermann aus Dessau und –«

»Schon gut, Durchlaucht, wir kennen das! Ihr sollt das beste Plätzchen, was wir hier haben, als Gewahrsam bekommen und auch einen guten Schluck zu trinken. Das Uebrige mag nachher der Hauptmann bestimmen, sobald er eingetroffen ist!«

»Aber ich sage Euch zum Beispiel – –«

»Wissen Alles, wissen Alles! Der Getreidehändler Habermann hat sicher weder einen Jagdwagen noch ein fürstlich Wappen daran, und Eure Uniform –«

»Ich habe ja mit dem Fürsten umwechseln müssen!«

»Allen Respect vor Euch, Durchlaucht, aber Ihr werdet uns auf diese Weise nur zum Lachen zwingen. Tretet hier herein!«

»Und Er,« ertönte eine andre Stimme, »kann sich einstweilen dort in jene Ecke setzen.«

»Wohin? Soll ich mich etwa immer nur von einer Ecke auf die andre drücken – erst beim Bataillonsmarschall und nun auch hier? Das ginge wohl, wenn ich mir's gefallen ließe, aber es geht nicht, weil ich es nicht zu leiden brauche. Ich bin Oberstallbereiter und setze mich hin, wo mir's beliebt. Gebt mir 'was zu trinken!«

»Heut' ist die ganze Welt von Sinnen,« murmelte der Fürst; »doch der Mensch von einem Pferdeknecht da, der ist ganz und gar verrückt geworden. Aber da bringen sie wahrhaftig noch Einen geschleppt, und da kommt auch die gute Mamsell Schachtelmeierin oder Kachelhuberin oder wie sie heißt, dahinter hergestiegen. Die wird wohl melden wollen, daß sie hier zwei Vögel eingesperrt hat. Na, komme ich nur hinüber, ich werde ihr in die Schmachtlocken sausen, daß sie aus dem Nießen gar nicht wieder herauskommen soll!«

»So!« klang es drüben. »Stecken sie denn fest?«

»Ja, ich habe sie eingeriegelt.«

»Dann macht's uns keinen Schaden; wir marschiren ja heut' ab. Thut nachher mit ihnen, was Ihr wollt!«

»Das ist gut!« bemerkte der Fürst. »Sie fragen gar nicht, wer ich bin, sonst hätten sie mich wahrhaftig mit dem Habermann zusammengeführt. Aber wer ist denn das, den sie dahin gelehnt haben? Heiliger Baldrian, entweder sehe ich verkehrt, oder es ist der Polenz! Wie kommt denn der von Halle her nach Bitterfeld – und in dieses Loch? Der Tausendelementer macht doch nichts als dumme Streiche, und einen immer schlimmer als den andern. Betrunken ist er zum Erbarmen, und – Schwerebrett, einen sächsischen Dreispitz hat er auf dem Kopfe. Ich glaube gar, den haben sie um den Verstand gebracht und angeworben! Na, komme ich nur hinüber, mein guter Polenz, ich werde Ihn in die Wäsche nehmen, daß Ihm die Lust zum Heirathen vergehen soll. Hm, so ein Hallunke und die Marie – die Naubitz! – –«[75]

Quelle:
Unter den Werbern. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauer von Karl May. In: Deutsches Familienblatt. 2. Bd. Dresden (1876). Heft 5, S. 71-76.
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