5.

Die Seelenverkäufer

[56] Es klingelte am Thore. Die Glocke wurde von einem schlank gewachsenen jungen Mann gezogen, welcher die Kleidung gewöhnlicher Landleute trug, zu der aber ein gewisses Etwas in seiner Haltung nicht recht passen wollte.

Niemand schien auf den Ton zu hören, trotzdem derselbe weit über den Hofraum hinschallte. Der Einlaß Begehrende handhabte den Klingelzug deshalb in etwas ungeduldigerer Weise, und bald ließen sich langsame, schlürfende Schritte vernehmen, welche sich dem Eingange näherten.

»Nunununuhhh!« machte eine tiefe Baßstimme hinter der Mauer. »Wo brennts denn hier in Beyersdorf? Soll ich etwa löschen helfen?«

»Macht keine dummen Witze und zieht lieber den Riegel weg, damit man eintreten kann!« raisonnirte der Außenstehende.

»Dumme Witze? Könnt Ihr sie vielleicht besser machen? Riegel wegziehen? Der ist blos bei Nacht vorgeschoben; das Schloß ist Schuld, daß Ihr draußen steht und ich hinne. Eintreten kann? Damit hat's noch gute Weile! Wer seid Ihr denn?«

»Das kann Euch egal sein. Macht nur auf!«

»Da kann es Euch auch egal sein, wenn ich nicht aufmache!«

Der Mann schlürfte langsam und gemächlich wieder über den Hofraum zurück.

»Will Er wohl dableiben und öffnen, Er Grobian!« rief der Andere, an dem Zuge reißend, daß der Drath zersprang.

»Höre Er da draußen, wenn Er keine Ruhe halten kann, so schicke ich Ihm die Knechte auf den Hals; mit denen mag Er sich herumklingeln, soviel Er will! Ist das eine Art, nicht Red' und Antwort stehen und dann an der Glocke zerren, daß man denkt, der jüngste Tag sei da. Hier hängt nun der Drath; das ist eine schöne Bescheerung!«

»Wenn Er aufgemacht hätte, so wäre das nicht passirt. Also vorwärts; ich habe keine Lust, mich lange mit Ihm herumzuärgern!«

»Das ist auch nicht nothwendig, und der Gedanke ist nicht so ganz albern von Ihm. Also, wer ist Er denn?«

»Ich habe Ihm schon gesagt, daß Ihm das egal sein kann!«

»Auch gut. Da mag Er also draußen stehen bleiben. Das Klingeln will ich Ihm jetzt nicht mehr verbieten!«

Wieder entfernten sich die Schritte. Das war dem Harrenden zu viel; er schnellte sich an der Mauer empor, ergriff die obere Kante derselben, zog sich mit einem kräftigen Schwunge hinauf und machte Anstalt, auf der andern Seite hinunter zu springen, als ein lauter Pfiff ertönte.

»Hektor, allons; da fällt es Einem ein, auf unsre Festung Sturm zu lausen. Zeige ihm doch 'mal Deine Zähne!«

Der große, zottige Wolfshund, welcher auf den Ruf herbeigesprungen war, nahm unter dem Obensitzenden Platz und fletschte grimmig knurrend das scharfe, elfenbeinweiße Gebiß.

»So! Wenn die Leute jetzt anfangen, über die Mauern herein zu spazieren, da brauchen wir das Thor gar nicht mehr zu verschließen!«

Bei diesen Worten steckte er den Schlüssel in das Schloß und zog dann die Thorflügel weit auseinander.

»Jetzt, Hektor, kannst Du heraus und herein. So ein Thier will auch 'mal sein Vergnügen haben!«

Mit breitem Lachen wandte er sich ab und schritt langsam der Scheune zu, aus welcher eine Anzahl von Knechten und Mägden den Mauerreiter unter schallendem Gelächter beobachteten. Da das Thor jetzt von dem schlauen Alten geöffnet worden war, so konnte der Fremde weder hüben noch drüben herunter, denn nach welcher Seite er sich auch wandte, immer stand der Hund unten, der mit einigen raschen Sätzen durch das Thor dem Gefangenen zuvorkam. Er erkannte das Mißliche seiner Lage und die Nothwendigkeit, sich auf's Bitten zu legen.

»So rufe Er doch nur Seinen Köder zurück. Er soll ja erfahren, wer ich bin!«

Der Angeredete drehte sich um und kam wieder näher. Sein dickes, rothes Gesicht grinste förmlich von einem Ohre bis zum andern vor Plaisir.[56]

»Das ist ganz gescheidt von Ihm, denn ich hätte Ihn sonst meinetwegen bis zum Jörgentage da oben sitzen lassen. Also zum dritten Male: wer ist Er denn?«

»Ich bin ein guter Freund von Seiner Herrin, mit der ich Etwas zu besprechen habe,« antwortete der unglückliche Turner, indem er seinen besorgten Blick über die zwei Fensterreihen des Wohngebäudes gleiten ließ. Welche ungeheure Blamage, wenn sie ihn in seiner gegenwärtigen Situation bemerkte!

»Ein Freund von meiner Herrin? – von Fräulein von Naubitz? Das mache Er nur getrost einem Andern weis, aber mir nicht! Ein Freund von unserm gnädigen Fräulein hat nicht nöthig, über die Mauern zu springen und sich dabei die Hosen aufzuschlitzen!«

Erst auf diese Notabene hin bemerkte der junge Mann mit Schrecken, daß seine Beinkleider weniger glücklich nach oben gekommen waren, als ihr Besitzer. Mit einer raschen Bewegung zog er die Ränder des weitklassenden Risses über einander und capitulirte weiter:

»Weiß Er vielleicht, was incognito ist?«

»Natürlich weiß ich das. Wenn ich dort der Karoline ihren Wattrock anziehe und ihre Bänderhaube aufsetze, so bin ich incognito.«

»Richtig, und ich bin auch incognito. Versteht Er mich?«

»Ja. Er ist irgend ein vornehmer Herr und reist zu seiner Unterhaltung jetzt als Mauerläufer. Viel Prosit scheint Er aber nicht dabei zu haben!«

»Daran ist Niemand weiter Schuld, als Er. Rufe Er den Hund zurück, daß ich hinunter kann!«

»Nicht eher, als bis Er Seinen Namen nennt!«

»Den wird Er schon noch zur rechten Zeit erfahren, und dann wird Er wohl einsehen, was für ein Esel Er gewesen ist!« antwortete der rittlings auf dem Throne Sitzende. Die Achtung, welche er seinem Stande und Namen schuldig zu sein glaubte, verbot ihm, sich zu nennen.

»Ganz wie Er will! Wenn ich der Esel bin, so mag Er als Affe droben hocken bleiben, bis das gnädige Fräulein zurückkehrt. Dann wird sich's wohl finden, was für ein guter Freund Er von ihr ist!«

»Fräulein von Naubitz ist nicht da?«

»Verreist.«

»Wohin?«

»Nach Bitterfeld.«

»Wann kommt sie zurück?«

»Spät Abends oder gar erst morgen.«

»Erst gestern in der Nacht hier angekommen, und heut' schon wieder fort? Das muß ja etwas ganz Nothwendiges sein.«

»Woher weiß Er denn, daß sie gestern hier eingetroffen ist?«

»Weil ich gestern früh noch mit ihr in Dessau gesprochen habe.«

»So so, da scheint doch etwas Wahres d'ran zu sein, daß Ihr sie kennt. Aber warum sagt Ihr auch nicht, wer Ihr seid und was Ihr wollt? Hektor, kusch Dich! Da springt meinetwegen jetzt herunter. Die Karoline mag Euch den Riß zuflicken, und dann könnt Ihr warten, bis das Fräulein kommt.«

Der aus seiner Drangsal Erlöste wagte den nicht ganz leichten Sprung und antwortete dann, tief aufathmend:

»Das Warten ist eine langweilige Sache; ich werde ihr lieber entgegen gehen und sie also unterwegs oder in Bitterfeld treffen. Wo ist sie dort zu finden?«

»Ja, das weiß ich nicht! Ich glaube, es handelt sich um einen Prozeß, und da könnt Ihr einmal, wenn Ihr ihr nicht begegnet, bei ihrem Sachwalter nachfragen. Er heißt Uhlmann und wohnt beim Bäcker Wolstraaten. Sie kennt die Familie gut und ist schon früher mehrmals dortgeblieben, wenn's zur Heimfahrt zu spät wurde.«

Die Karoline wurde gerufen und folgte den beiden Männern in die Stube. Während hier ein Imbiß genommen wurde, heilte sie mit kräftigen Nadelstichen den Hosenriß zusammen, und dann nahm der Held der verunglückten Mauerattaque, in welchem wir längst den Lieutenant von Polenz wiedererkannt haben, Abschied, um sein Incognito weiter fortzusetzen.

Es war doch nicht mehr so früh am Tage, als er gemeint hatte, und da er den Weg noch nicht gegangen war, so mußte er ihn mit der Beschreibung, die er sich von demselben hatte geben lassen, so oft vergleichen, daß er nicht mit der erwünschten Schnelligkeit vorwärts kam. Dazu verursachte ihm das genossene Vesperbrod einen Durst, welcher sich mit jedem Schritte steigerte, und deshalb beschloß er, obgleich es schon zu dunkeln begann, in ein Wirthshaus einzutreten, welches er jetzt erblickte, einsam zwischen dichtem Gebüsche an der Straße liegend.

An einem der eichenen Tische, welche in der niedrigen Gaststube standen, saßen drei Männer, die sich durch den Neuangekommenen nicht im Geringsten stören ließen, sondern ihr Gespräch über Krieg und Frieden, Handel und Wandel ungenirt fortsetzten. Doch glitten ihre Blicke beobachtend über seine schlanke, biegsame Gestalt, und als er sich einen Krug Bier bestellte und der Wirth ihnen einen fragen den Blick zuwarf, neigte der Eine von ihnen bejahend und mit pfiffigem Augenblinzeln seinen Kopf.

Der Wirth holte den Trunk aus dem Keller, brachte denselben aber nicht direct in die Stube, sondern ging erst in die Küche, wo er ein Fläschchen aus dem Schranke nahm, um einige Tropfen daraus in das Bier zu gießen.

»Möchte doch nur wissen, was das für ein Teufelszeug ist! Wer's bekommt, der verliert den Verstand und die Besinnung so vollständig, daß man alles Mögliche mit ihm machen könnte. Na, mich geht's nichts an; ich bekomme mein Geld für jeden Vogel, den sie fangen, und damit holla!«

Er trug den Krug in das Zimmer und stellte ihn vor Polenz hin. Dieser, durstig wie er war, leerte ihn bis auf die Nagelprobe und ließ sich einen zweiten kommen. Das Getränk schien ihm Kühlung zu bringen, aber der Durst wollte nicht weichen und wurde vielmehr immer heftiger. Er trank und trank; das Blut pulsirte heiß ihm durch die Adern; es war, als müsse er aufspringen und hinauseilen in die feuchte Abendluft, aber ihm fehlte nicht nur die Kraft, sondern auch der Wille dazu.

Und dabei empfand er keineswegs eine Beklemmung seines Gemüthes, sondern es bemächtigte sich seiner eine Heiterkeit, welche ihn bewog, auf das Anerbieten der drei Männer, sich zu ihnen zu setzen, willig einzugehen.

Bald war eine launige Unterhaltung im Gange; die Rede kam auf das Soldatenwesen, auf die Schlachten und Gefechte der letzten Feldzüge, auf die Vorzüge der verschiedenen Armeen und endlich auch auf die Anwerbung.[57] Der Eine von ihnen war kürzlich erst den sächsischen Werbern mit sammt dem Draufgeld durchgebrannt und erzählte unter Scherz und Lachen, wie es dabei zugegangen sei. Polenz fand Gefallen an den muntern Burschen und gab nach besten Kräften seinen Theil zum Gespräche, obgleich ihm die Zunge immer schwerer wurde und seine Sinne sich zu umnebeln begannen.

»Also so war's,« fuhr der Erzähler fort, sich an Polenz wendend: »Ich saß so, wie Ihr hier sitzt, und hier, hier, hier und hier saßen die vier Kerls, welche mich haben wollten. Mir war's blos um das Handgeld zu thun, denn mein Beutel hatte das Bauchgrimmen, und so that ich, als ob ich nichts merkte. Hab' sie auch schön geleimt, die Hallunken; da liegt er noch, der churfürstlich sächsische Soldatenhut, den ich mir zum Andenken mitnahm, als ich ihnen durchging. Habe ich's etwa nicht klug gemacht?«

»Doch, doch!« nickte Polenz.

»Gut! Nun denkt Euch einmal, Ihr wärt an meiner Stelle! Mit dem Zutrinken ging's natürlich los, und der Wein wurde nicht geschont. Prosit, Kamerad!«

»Prosit!« antwortete Polenz, das Glas leerend. Wenn ihn jetzt Jemand nach seinem Namen gefragt hätte, so wäre er kaum im Stande gewesen, sich auf ihn zu besinnen.

»Der Soldatenrock soll leben, Kamerad. Prosit!«

»Prosit!« klang es von Neuem, und wieder war das Glas leer.

»Da hält er mir drei goldne Füchse hin, so ungefähr, wie ich sie jetzt Euch hinhalte, und dabei fragt er mich: ›Willst Du's immer so lustig haben, wie heut'? Greif' zu!‹ Was hättet Ihr an meiner Stelle gethan, wenn es bei Euch im Beutel so ausgesehen hätte wie bei mir?«

»Greif' zu!« antwortete Polenz, das Geld einsteckend, ohne zu wissen, was er that. Er kannte alle Kunstkniffe dieser Leute, aber er war seiner nicht im Geringsten mehr mächtig und wäre am liebsten unter den Tisch gefallen, um sich gründlich auszuschlafen.

»So ist's recht! Darauf hat er den Hut genommen, ihn mir auf den Kopf gesetzt, so wie ich es jetzt mit Euch thue, und gesagt: ›Basta, abgemacht, jetzt bist Du des Churfürsten Soldat und hast von nun an Ordre zu pariren. Komm' mit in Deine Kammer und träume, was Dein Herz begehrt. Morgen wird's von selber anders. Hahahaha!‹«

Die drei Männer erhoben sich und trugen den vollständig Besinnungslosen hinaus. Als sie zurückkehrten, meinte der Wirth:

»Habe Euch heut' die Arbeit leicht gemacht; er hat in jedem Krug sein Deputat bekommen.«

»Kerl bist Du verrückt? Das kann ihn ja um den Verstand bringen! Einmal ist's schon leidlich; zweimal ist's genug. Aber gewöhnlicher Leute Kind ist der nicht, das hat man ihm angesehen. Wenn er nur nicht etwa eine Frau Liebste hat und was noch Kleines d'rum und d'ran zu hängen pflegt, sonst heult er uns die Ohren voll und – na, mit heut' ist so wie so ja Alles vorüber!«

Der Sprecher suchte ein schmutziges Spiel Karten hervor, und bald saßen die drei Kumpane beim Spiele, welches erst eine Störung erlitt, als draußen Pferdegetrappel und das Rollen eines Wagens hörbar wurde.

Der Wirth zündete eine Laterne an, um nachzusehen, was es gäbe. Die Zurückbleibenden horchten gespannt auf.

»Hierher leuchten,« tönte eine barsche Stimme, »damit man weiß, wohin man tritt! Giebt's bei Ihm zum Beispiel 'was zu essen und zu trinken?«

»Jawohl, Herr Lieutenant!«

»Und Futter für die Pferde?«

»Jawohl, Herr Hauptmann!«

»Und Tabak? meine Pfeife ist mir zum Beispiel ausgegangen.«

»Jawohl, Herr Major!«

»So führt mich hinein in die Budike!«

»Jawohl, Herr Oberst!«

Der Wirth sah, daß er einen Officier vor sich hatte, doch konnte er in der Dunkelheit sich über den Rang desselben nicht klar werden. Je näher er ihm aber mit der Laterne kam, desto höher wuchs sein Respect vor der mächtigen Gestalt, die vor ihm stand; mit kriechender Höflichkeit öffnete er die Stubenthür, und als er nun beim hellen Schein der Lampe den Gast genauer in das Auge fassen konnte, sprang er schnell zu einem Stuhle, wischte ihn eilig ab und rief, denselben präsentirend:

»Wollt Ihr nicht Platz nehmen, Herr General?«

Habermann – denn dieser war es – warf sich mit seiner hochmüthigsten Miene in den Sessel, richtete den herabgesunkenen Bart wieder in die Höhe, streckte die langen Beine gravitätisch von sich und ließ sein Auge so funkelnd wie möglich in dem Raume umherschweifen.

Von den Gästen waren zwei verschwunden, und der dritte lehnte schnarchend in der Ecke hinter dem Ofen.

»Wecke Er 'mal dort den Menschen auf. Ich bin zum Beispiel nicht gewohnt, mich anschnarchen zu lassen! So! Und nun bringe Er zunächst einen Krug Bier. Den für meinen Leibhusaren setzt Er dort an die Ecke bei der Thür!«

Während dessen schlüpfte einer von den zwei Verschwundenen auf die Straße und trat zum Kutscher.

»Schöne Pferde das!«

»Hm, ja! Mit dem Schimmel ginge es wohl, aber es geht nicht, denn dem Fuchs liegt es schon lange in den Gliedern.«

»Und ein proprer Wagen. Sapperlot, da muß man wie ein Prinz d'rinsitzen!«

»Hm ja! Vielleicht gar wie ein Fürst.«

»Da habt Ihr ja ein Wappen d'ran! Laßt mich's doch 'mal sehen!«

Hans leuchtete gutmüthig hin.

»Donnerwetter, das ist ja – – Unsereiner,« setzte er, sich rasch unterbrechend, hinzu, »kennt sich mit solchen vornehmen Bildern nicht aus. Wer ist denn eigentlich der Herr, der da drinnen sitzt?«

»Das ist – das ist – ja, das darf ich nicht sagen. Es ginge wohl, denn ich weiß ganz genau, wer es ist, aber es geht nicht, weil ich's sonst verrathe!«

»Aber wer Ihr seid, das dürft Ihr wohl sagen?«

»Warum nicht? Ich werde doch wohl von mir selber reden dürfen!«

»Nun?«

»Ja nun! Ich bin der Stalloberhusar vom alten Dessauer!«

»Und wer der da d'rin ist, das wollt Ihr mir nicht sagen?«

»Bewahre. Ich werde doch meinen eignen Herrn nicht etwa verrathen!«[58]

»Wo soll denn die Reise so spät noch hingehen?«

»Nach Trippstrille,« antwortete Hans ärgerlich über das viele Fragen. »Packe Er sich fort, sonst komme ich vor Weihnachten nicht zu meinem Biere!«

Nachdem er mit Hülfe des Wirthes die Pferde versorgt hatte, trat er in die Stube. Habermann saß ganz allein darin und kaute an dem Abendbrode, welches er sich hatte geben lassen. Verwundert guckte der Knecht auf die Ecke, auf welcher seine Portion stand.

»Wo ist denn mein Bier?«

»Dort.«

»Hier das?«

»Ja.«

»Grad' wie die Leichenfrau! die muß sich auch an die Ecke bei der Thür setzen. Das ginge wohl, denn ich habe Hunger, aber es geht nicht, denn ich bin keine Leichenfrau, sondern fürstlicher Kammermeister!«

»Maul gehalten – hingesetzt – eingehauen!« donnerte ihn da Habermann an. »Wart', ich werde Dir zeigen, daß ich den Offizier spielen kann! Kammermeister! Da bist Du zum Beispiel gar nichts gegen mich!«

»Na ja,« antwortete Hans kleinlaut und vollständig eingeschüchtert. »Der Fürst konnte auch meinen Rock anziehen und Ihr dem Kutscher seinen; da wär's grad' umgedreht gewesen: ich wäre Regimentsmarschall und Ihr wärt Stalllakai, und da könnte ich Euch auch in die Wicken donnern!«

»Will Er nun wohl dort zum Beispiel anbeißen oder soll ich Ihm raisonniren helfen, Er Schwerenöther!«

»Ich esse ja schon!« ertönte die Antwort zwischen den kauenden Zähnen hervor; »es geht so leidlich, denn ich habe Hunger!« –

Drüben auf der andern Seite des Flures saßen in einer kleinen moderigen Hauskammer die Drei, welche sich aus dem Staube gemacht hatten, und steckten, leise flüsternd, die Köpfe zusammen. Im hintern Winkel des Raumes lag Polenz auf der Erde und merkte nicht das Mindeste von dem, was um ihn vorging.

»Ja, das wäre ein Fang, wie er uns im ganzen Leben nicht wieder vorkommt!«

»Und was der uns einbringen würde, wenn's der alte Dessauer wirklich ist!«

»Freilich ist er's; darüber giebt's ja gar keinen Zweifel!«

»Aber es ist viel gewagt bei der Sache. Wir könnten uns vielleicht auch eine schlimme Suppe einbrocken.«

»In wiefern?«

»Denkt, was das in aller Welt für einen Scandal machen würde; es entstände ein wahrer Aufruhr unter den Diplomaten, und auf wen ginge es hinein? Zunächst auf den Kurfürsten, und dann immer weiter hinunter, bis es uns an den Kragen käme.«

»Bilde Dir nicht solche dumme Sachen ein, alter Hasenfuß. Hast Du denn von den Gerüchten noch gar nichts gehört, die so in der Luft herumschweben? Wenn Du an eine Winterruhe glaubst, jetzt, Anfangs November, so bist Du auf dem Holzwege. Die Schlappe, welche die Oesterreicher bei Sorr erlitten haben, können sie unmöglich ein halbes Jahr lang auf sich ruhen lassen; die werden nach Revanche brennen, und wenn man Augen und Ohren offen hält, so hört und sieht man Manches, was nach neuen Märschen riecht. Warum ist der Prinz von Lothringen von Wien abgereist, warum befindet sich unser Marschall Rudowsky immerfort auf Inspectionen unterwegs, und warum endlich werden plötzlich alle Werbestationen eingezogen, trotzdem wir uns grad' jetzt mitten in den besten Geschäften befinden, he?«

»Ja warum?«

»Weil's heut' und morgen losgehen kann, oder übermorgen! Der Dessauer steht mit zwölf Tausend Mann an der sächsischen Grenze, und er ist so ein Hitzkopf, daß er beim geringsten Zeichen sofort hinübermarschirt und losschlägt. Da wäre es doch wohl ein ächter Geniestreich, wenn man den alten Krippenbeißer mitten unter seinen Leuten und in Feindesland zusammenwickelte und nach Nummer Sicher transportirte, so daß er keinen Schaden bringen kann. Donner und Doria, das gäbe Geld und Avancement und vielleicht noch manches Andere!«

»Wie Du die Sache anschaust, haben wir allerdings nur Belohnung zu erwarten, und es leuchtet mir auch ein, daß Du vollständig Recht hast. Aber wie wollen wir ihn denn so kriegen, daß wir sicher mit ihm durchkommen?«

»Das ist allerdings das Schwierige. Betrunken machen können wir so Einen nicht, und selbst wenn wir ihn schon fest hätten, so will ein Fürst und Feldmarschall doch anders behandelt sein, als so ein Grünschnabel, wie sie uns zu Dutzenden in's Garn laufen.«

»Ich denke, wenn wir ihn nur erst in Bitterfeld hätten, so wäre das Weitere nicht schwer. Bei solcher Bedeckung, wie sie heut' Nacht zu uns stößt, ist Nichts mehr zu befürchten.«

»Das ist richtig, aber wie ihn nach Bitterfeld bringen?«

»Hat er Waffen bei sich?«

»Habe nichts gesehen.«

»Auch im Wagen nicht?«

»Nein, habe Alles durchsucht.«

»Der Kutscher scheint ein noch sonderbarerer Kauz zu sein wie sein Alter. Vor dem brauchen wir uns keine Angst zu machen! Der spricht: ›Es ginge wohl, aber es geht nicht!‹ und dabei knicken wir ihn zusammen und schnallen ihn über das Schmutzleder.«

»Wenn sie keine Waffen haben, so ist die Sache ja doch nicht schwer! Mit dem Kutscher wird gar kein Kram gemacht und der Alte muß uns sein Ehrenwort geben, daß er sich ruhig fügen will.«

»Aber wenn er es nun nicht giebt?«

»Nicht giebt? Ein Pistolenlauf ist eine kitzliche Sache. Versuchen können wir es wenigstens.«

»Aber der da? Den können wir doch nicht im Stiche lassen!«

»Das wird sich schon machen; der wird einfach hinten aufgebunden. Zuerst müssen wir den Kutscher nehmen, um in den Besitz des Wagens zu kommen. Das ist Eure Sache; den Fürsten nehme ich auf mich allein.«

»Und der Wirth? Wird der's zugeben?«

»Der muß ruhig sein, denn wenn wir reden, so wird er strangulirt.« –

Während in der dunklen Kammer über das Schicksal des Feldmarschalles des heiligen römischen Reiches deutscher Nation und des Königreiches Preußen solche außergewöhnliche Bestimmungen getroffen wurden, schob Seine Durchlaucht Habermann den leer gewordenen Teller von sich, schnalzte mit der Zunge und meinte:[59]

»Das war nicht schlecht gegessen in diesem alten Neste. Wie steht es zum Beispiel mit den Pferden, Wirth?«

»Die sind wieder frisch und munter.«

»Da bringe Er noch ein Bier, und dann mag's weitergehen!«

Hans erhob sich, während der Wirth nach dem Keller schritt.

»'S ist nicht so prächtig mit dem Essen! Im Käse waren Maden, und das Brod – –«

»Maden? Willst Du mir etwa noch hintennach den Appetit verderben, Kerl? Wo sollen denn zum Beispiel jetzt im November die Maden herkommen!«

»Na, die treiben sich doch wohl das ganze Jahr im Käse 'rum! Ich kann keine essen. Es ginge wohl, wenn man die Augen dabei zumachen wollte, aber es geht nicht, weil ich sehen muß, was ich esse.«

»Mach', daß Du 'raus kommst zu den Pferden, sonst will ich Dich bemaden!«

»Herr Brigadewebel, ich lasse mich nicht, ›Du‹ schimpfen, so lange ich Kammerhusarenjäger bin!«

»Packe Er sich fort, sonst werfe ich Ihm zum Beispiel dort den Bierkrug an den Kopf!«

»Gut, so 'ne Rede lasse ich mir eher gefallen; das ›Er‹ und ›Ihm‹ macht sich doch gleich reputirlicher!«

Mit dieser Belobigung trollte er sich von dannen.

Nachdem er das Riemenzeug der Pferde einer kurzen Controle unterworfen hatte, nahm er auf dem Bocke Platz und gewahrte also nicht, daß auf dem am Hintertheile des Wagens angebrachten Bediententritte ein Mann saß, welcher durch Stricke in seiner sitzenden Lage festgehalten wurde. Ebenso wenig hörte er die leise geflüsterten Worte:

»Gut, der macht's uns leicht! Da können wir den Alten ruhig einsteigen lassen, dann aber heißt's rasch d'rauf – ich den Fürsten, Du den Kutscher, und Du greifst da zu, wo es zuerst nothwendig wird. Aufgepaßt, jetzt kommt er!«

»So, da leuchte Er nur wieder; das ist ja eine Finsterniß, daß man zum Beispiel die Hand nicht vor den Augen sehen kann – na, da löscht Ihn noch dazu der Luftzug Seine alte Funzel aus – nun ist's rabenschwarz! 'S ist gut; Er braucht nicht erst wieder anzubrennen. Finde mich schon zurecht. So. Jetzt vorwärs, Hans!«

»Hü –« wollte dieser den Pferden zurufen, aber die Laute blieben ihm vor heller Verwunderung im Halse stecken, denn in diesem Augenblicke saß neben ihm ein Mann, der ihm die Zügel und die Peitsche aus der Hand nahm und darauf loskutschirte, als ob das Fuhrwerk ihm gehöre. Das war dem Hans noch nicht passirt, so lange er lebte, und deshalb wußte er auch gar nicht, wie er sich zu verhalten habe. Das Ereigniß ging ihm so über alle Begriffe, daß er schluckte und schluckte und doch kein Wort hervorbrachte, trotzdem ihm das Erstaunen den Mund sperrangelweit aufgerissen hatte.

Und dazu kam, daß auch hinter ihm etwas Ungewöhnliches vorging, denn grad' als ihm sein »Hü« stecken geblieben war, hatte auch Habermann gerufen »Donnerwet – –« und das Wort nicht ganz herausgebracht. Wäre es Tag gewesen, so hätte der gute Hans sehen können, daß sein Herr mit noch viel weiter geöffnetem Munde ebenso vergeblich nach Worten schnappte wie er selbst. Da ertönte eine halblaute, befehlende Stimme:

»Kein Wort, Durchlaucht, außer wenn ich frage! Es soll Euch nichts geschehen; aber wenn Ihr Lärm macht, so haben wir scharf geladen!«

Hans drehte sich nach dem Sprecher um und sah trotz der Dunkelheit drei Männer im Wagen sitzen statt einem, und in den Händen von zweien blitzten Pistolenläufe. Das gab ihm die verlorene Sprache wieder.

»Lärm machen? Bewahre, wir sind ja die zwei ruhigsten Leute in der ganzen Umgegend!«

Dieses angstvolle Geständniß löste auch die Zunge des Getreidehänders, der zwar weniger Furcht besaß, aber den Waffen gegenüber sich doch eingeschüchtert fühlte.

»Alle Wetter, was wollt Ihr Strolche hier in meinem Wagen?« rief er mit halber Stimme. »Hans, willst Du wohl gleich anhalten!«

»Ja, das ginge wohl, wenn ich allein wäre, aber es geht nicht, weil bei mir auch Einer sitzt!«

»So wirf ihn zum Beispiel hinunter auf die Straße!«

»Oder er mich! Fangt nur Ihr erst mit Euren Beiden an! Ich als Leibstalljäger muß warten, bis der Herr Divisionscorporal – –«

Die Fahrt ging jetzt über steinigtes Terrain, und die ferneren Worte des Sprechers wurden von dem lauten Rollen des Wagens verschlungen.[60]

Quelle:
Unter den Werbern. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauer von Karl May. In: Deutsches Familienblatt. 2. Bd. Dresden (1876). Heft 4, S. 56-61.
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