Vom Tode erstanden

Ein Abenteuer aus Californien von Emma Pollmer

Es war im Hafen von Sakramento, in welchem sich ein Bild von den lebhaftesten Farbentönen entwickelte. Die Menge, welche sich geschäftig über den Quai ergoß oder lungernd umhertrieb, schien nicht aus den Bewohnern eines besonderen Districtes oder gar einer einzelnen Stadt zu bestehen, sondern glich eher einem Carneval, der die Repräsentanten aller Zonen und Nationen für kurze Zeit vereinigt hat.

Hier stand eine Gruppe hagerer Yankee's in dem unvermeidlichen schwarzen Fracke, den hohen Cylinderhut weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, Hemdknöpfchen und Berloques eingehakt. Dazwischen drängte sich ein kleiner Schwarm Chinesen herum in ihren blauen Kattunjacken und weiten, weißen Hosen, die langen Zöpfe wohl gepflegt und geflochten. Südsee-Insulaner waren da, die scheu, verlegen und verwundert auf dem fremden Boden einhergingen und, wenn ihnen etwas nach ihren Begriffen gar zu Absonderliches in die Augen sprang, die Köpfe leise flüsternd zusammensteckten. Mexikaner stolzirten umher mit ihren an der Seite bis oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen Knöpfen besetzten Sammethosen und den kurzen, ebenso garnirten Jacken, den breitrandigen Wachstuchhut auf dem Kopfe. Californier mit ihren langen, in den prachtvollsten Farben gewebten Poncho's, die ihnen fast bis an die Knöchel herabreichten; schwarze Lady's und Gentlemens, nach tausend Wohlgerüchen duftend und in dem überzeugendsten Putze steckend, ernste Indsmen, die mit gravitätischem Schritte durch die Menge stiegen; gemüthliche Deutsche, Engländer mit Cotelettenbärten und riesigen Zwickern auf der Nase, bewegliche, kleine Franzosen, zankend, erzählend, rufend und auf das Lebhafteste gestikulirend, rothhaarige Irländer, nach Aquardiente (Schnaps) duftend; Chilanen in ihren kurzen Poncho's; Trapper, Squatter, Backwoodsmen in ihren ledernen Jagdhemden, die lange Büchse noch auf der Schulter, wie sie gerade über das Felsengebirge gekommen waren; Mestizen und Mulatten in allen Farbenstufen und Schattirungen, und dazwischen die aus den Minen oft mit schweren Beuteln von Gold zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten Costümen, die man sich nur zu denken vermag, in ihren Kleidern auf das Entsetzlichste abgerissen, mit geflickten Hosen, Röcken, Westen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, aus denen die nackten, strumpflosen Zehen hervorblickten, und Hüten, die Monate lang am Tage der Sonne und dem Regen getrotzt und dann des Nachts als Kopfkissen gedient hatten. Und in den kleinen Gruppen standen dabei die Eingeborenen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen Herren des Bodens und doch vielleicht die einzigen vollständig Besitzlosen in der ganzen Masse, die ihr Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten.

Und dieser bunten Völkermischung schlossen sich allerlei respectgebietende, glänzende Gestalten an: amerikanische und englische Seeleute mit breiten Schultern, riesigen Fäusten und herausforderndem Blicke, und eine Anzahl spanischer Marine-Offiziere, die in ihren blitzenden, goldgestickten Uniformen von San Franzisko herbeigekommen waren, um sich das geschäftige Treiben in der Nähe der Golddistricte einmal anzusehen.

Fast hätte man sagen können:

»Wer zählt die Völker, nennt die Namen!«

Und was hatte all die Ingredienzen der vielgestaltigen, anthropologischen Mixtur herbeigetrieben? Nichts Anderes als – das Gold.

Die Ansiedelung von Obercalifornien, welche im Jahre 1768 von Mexico aus geschah, hatte das Land unter die weltlich-geistliche Herrschaft der Missionäre gebracht. Die Jesuiten waren treffliche Oeconomen und errichteten an vielen geeigneten Orten Klöster und Missionen zur Ausübung ihrer Propaganda.

Als die Herrschaft der Priester durch die mexikanische Centralregierung im Jahre 1823 gestürzt wurde, weigerten sich die Missionäre zum großen Theile, diese Regierung anzuerkennen und verließen das Land. Die Wenigen, welche blieben, hatten ihren Einfluß verloren, fristeten ein kümmerliches Leben und verschwanden auch nach und nach.

Nicht weit von Sakramento liegt ein mehrere Stockwerke hohes, mächtiges Gebäude, welches einen großen, geräumigen Hof umschließt, dessen nach der Stadt zu gelegene Seite von der alterthümlich, aus ungebrannten Backsteinen aufgeführten Kirche begrenzt wird.

Das Gebäude war die Mission »Santa Barbara«, deren ganze, kasernenartige Räumlichkeiten in der letzten[606] Zeit nur von drei Personen bewohnt worden waren: einem alten Geistlichen, seiner noch älteren Haushälterin und einem Deutschen, welcher eigentlich Karl Werner hieß, von Denen, die mit ihm verkehrten, aber nach seinem Vornamen nicht anders als Sennor Carlos genannt wurde und das Factotum des Pfarrers war.

Da wurden die Goldfelder Californiens entdeckt und die Nachricht von den in den Bergen liegenden fabelhaften Schätzen rief eine Einwanderung hervor, welche zunächst aus dem benachbarten Mexiko und den Vereinigten Staaten ihre Schaaren herübersandte, bald aber mit den Kindern aller Welttheile das Land überschwemmte. Den zunächst herbeieilenden Abkömmlingen der alten spanischen Conquistatoren folgten Sandwich-Insulaner, dann Australier und Europäer, und selbst Chinesen und Kuli's schwärmten herüber, um ihren Theil von dem Golde zu holen und reiche Leute zu werden.

San Franzisko war der Hauptsammelpunkt der Fremden, von wo aus sie weiter nach Norden oder in das Innere des Landes gingen. Sakramento war einer der hervorragendsten Nebenpunkte.

Natürlich führte nicht Jeder ein Zelt oder eine sonstige Wohnung mit sich. Die Zahl der Menschen wuchs von Tag zu Tag, und da die einsetzenden Regen ein Lagern im Freien nicht gestatteten, so wurde Alles, was zur Herberge dienen konnte, in Anspruch genommen.

Auch die alte Mission »Santa Barbara« erlitt ein solches Schicksal, welches mit ihrer ursprünglichen Bestimmung wenig Aehnlichkeit hat.

Ein Franzose aus dem Elsaß errichtete unten in einem der Flügel eine Brauerei, mauerte einen riesigen Kessel ein und fing an, ein Getränk zu kochen, welches er die Verwegenheit hatte, Bier zu nennen. In der vorderen Flanke, gerade neben der Kirche, setzte sich ein Amerikaner fest und errichtete eine Restauration, wobei er es für außerordentlich zweckmäßig fand, einen Theil des Kirchenschiffes in einen Tanzsalon umzuwandeln, in dem allwöchentlich einige »Reels, Hornpipers« oder Fandango's abgehalten werden konnten. Dadurch wurde ein unternehmender Irishman aufmerksam gemacht, an die andere Seite der Kirche eine Branntweinkneipe setzen zu lassen.

Von dem untern Theile des andern Seitenflügels nahm ein Engländer Besitz, der sich mit einem schlauen New-Hawshira-Mann vereinigte, Chinesen herbeizuschaffen, ein Geschäft, bei dem sich die beiden Gentlemen, wie sich bald zeigte, sehr gut standen. So ging es fort und nicht lange dauerte es, so war die alte Mission außer dem obersten Bodenraume des einen Flügels vollständig in Anspruch genommen.

Der alte Pfarrer konnte nichts dagegen thun. Anfangs hatte er, nicht im Stande, Gewalt anzuwenden, eine Anzahl Prozesse angestrengt, um die Lästigen aus dem frommen Hause abzuhalten, aber nur zu bald sollte er die traurigen Folgen kennen lernen, denn er fiel dadurch einer ganzen Schaar von Geiern in die Hände, die alle Zahlung von ihm wollten, ohne daß sie aber das Geringste für ihn ausgerichtet hätten.

Dadurch wurde ihm die heilige »Santa Barbara« verleidet, und eines schönen Morgens war er mit sammt seiner Haushälterin spurlos verschwunden. Es hatte auch Niemand Lust, nach ihnen zu forschen und so blieb von den ursprünglichen Bewohnern nur Sennor Carlos zurück, der mit seiner Frau und Anitta, seiner wunderhübschen Tochter, ein paar kleine Stuben des Erdgeschosses neben der Brauerei bewohnte.

Aber auch der Bodenraum sollte einen Besitzer finden. Von Buenos-Ayres war ein Mann nach Sakramento gekommen, der aus Cincinnati stammte und sich Doctor Haffley titulirte; ob er in Wirklichkeit Arzt sei, darnach wurde er von Niemand gefragt. Er wollte in Sakramento ein Hospital gründen, fand aber keinen geeigneten Platz dazu und kam nun zur Mission geritten, wo er die Dachräume, da er keinen Menschen fand, dem er sie abmiethen konnte, einfach mit Beschlag belegte. Er war ein praktischer Mann, der recht gut wußte, daß in diesem Lande das Recht des gegenwärtig Besitzenden nur sehr schwer anzutasten war.

Schon am nächsten Tage trafen eine Anzahl von Maulthieren mit wollenen Decken und Matratzen ein, hinter welchen eine Schaar von Mexikanern die nöthigen eisernen Bettstellen herbeitrugen. Noch vor Abend standen zwanzig Betten dort oben unter dem alten, defecten Ziegeldache auf dem offenen Boden, durch den der oft stürmische Wind nach allen Richtungen hin seinen Durchzug hatte und auf dem es zur Regenzeit eine ganz heillose, perennirende Ueberschwemmung gab. Das war nun das Hospital, welches seiner unglücklichen Patienten harrte.

Diese stellten sich auch nur zu bald ein.

So gesund das Klima in Californien an und für sich auch ist, in den Minen giebt es doch stets der Kranken mehr als genug. Die wilde, unregelmäßige Lebensart trägt ebenso viel wie die schwere, für Tausende ungewohnte Arbeit und die vielen Regengüsse dazu bei, viele, besonders hitzige Fieber zum Ausbruch zu bringen, die für den davon Betroffenen aus Mangel an Pflege und ärztlicher Behandlung nur zu oft einen schlimmen und tödtlichen Ausgang nehmen.

Da waren Diejenigen noch glücklich zu preisen, welche die Krankheit nicht allein und in der Wildniß traf, sondern welche Freunde fanden; um sie aus den Bergen und Schluchten wieder hinaus in den Bereich der Civilisation und ordentlichen Pflege zu bringen. Die Meisten freilich fanden bei den Minen nichts als sechs Fuß Erde und einen armen Ring von Steinen um das enge Grab. Viele starben unterwegs oder lebten gerade lange genug, um mit dem letzten, brechenden Blicke eine menschliche Niederlassung zu erfassen, und nur Wenigen gelang es, wieder hergestellt zu werden, um mit gekräftigtem Körper ihre Arbeit auf's Neue beginnen zu können.[607]

Eines aber büßte jeder Kranke sicher ein: das mitgebrachte Gold.

In damaliger Zeit wurde die Arznei geradezu mit Gold aufgewogen und ein tüchtiger Arzt hatte seine einträglichste Mine in den Krankheiten seiner Patienten. Und wie viele Quacksalber gab es, die dies zu benutzen verstanden und bei denen vielleicht gar mancher Kranke nur deshalb starb, weil er Gold besaß, welches er im Falle der Genesung wieder mitgenommen hätte! – – –

Die Anhöhe zur Mission herauf schritt ein kräftig gebauter Jüngling, dessen lichtem Haare, regelmäßigen Gesichtszügen und von der Gesundheit rothen Wangen man die germanische Abstammung sofort ansah, trotzdem er die bequeme mexikanische Kleidung trug.

An den Mezquitebüschen, welche die Mission umzogen, blieb er stehen und wandte sich nach Westen.

Der Abend nahte und die Sonne tauchte ihre funkelnden Gluthen in die strahlende Fluth; vor ihm lag die Stadt, von brillantenem Lichte übergossen, und die Fenster des alten Gemäuers warfen blitzende Reflexe in die Ferne hinaus.

Er ließ sich auf den weichen Rasen nieder und versank so tief in den Anblick, daß er die leichten Schritte nicht vernahm, die sich von seitwärts her ihm näherten.

Ein kleines, weißes Händchen legte sich auf seine Schulter und ein wunderliebliches Köpfchen bog sich zu ihm herab.

»Willkommen auf der Mission, Sennor! Warum seid Ihr so lange Zeit nicht hier bei uns gewesen?«

»Ich war in San Franzisko, Sennorita, wo ich allerlei Geschäfte hatte.«

»Und wo Ihr den Sennor Carlos mit sammt seiner armen, kleinen Anitta vollständig vergessen habt!«

»Vergessen? Per dies, nein und tausendmal nein! Anitta, wie könnte ich jemals Euer vergessen?«

Sie ließ sich ohne Ziererei an seiner Seite nieder.

»Habt Ihr wirklich an mich gedacht, Sennor Edouardo?«

»Bitte, Anitta, sprecht meinen Namen deutsch aus; ich höre ihn dann so gerne aus Eurem Munde! Und fragt nicht erst, ob ich an Euch denke! Wer hat sich meiner angenommen, als ich, durch böse Menschen um Hab und Gut gebracht, hier ankam, als Euer Vater? Und wer hat denn, als mich die Entbehrung und die erlittenen Strapazen auf das Krankenlager warfen, mich gepflegt wie einen Sohn oder einen Bruder? Ihr und Eure Mutter! Und wen habe ich hier im fremden Lande, zu dem ich gehen und mir Raths erholen kann, als Euch? Anitta, ich werde Euch nie vergessen!«

»Ist das wahr, Eduard?«

»Ja«, antwortete er einfach, indem er ihre Hand ergriff und ihr voll und offen in die Augen blickte.

»Auch dann nicht, wenn Ihr wieder in die Heimath kommt?«

»Auch dann nicht!«

»Aber wenn Ihr dann – dann Eine findet, die – die Ihr lieben könnt, dann wird Anitta doch vergessen sein!«

»Eine Andre? Ich werde Keine finden, sondern einsam durch das Leben gehen.«

»Warum bleibt Ihr da nicht lieber hier bei uns? Hier werdet Ihr nicht einsam sein!«

»Und doch!« antwortete er traurig.

»Warum?«[621]

»Weil meine Sonne hier untergeht wie die, welche dort in das Wasser sinkt.«

»Eure Sonne? Eduard, giebt es hier Jemand, die Eure Sonne sein könnte?«

»Ja.«

»Und wer ist das? Sagt es mir, sagt es mir heut', jetzt gleich!«

»Das kann ich nicht, Anitta; es hilft zu Nichts, denn sie wird für einen Andern leuchten.«

»Für einen Andern? Wer ist das? Oder darf ich auch das nicht wissen?«

»Es ist der Arzt da droben, der Doctor Haffley.«

»Der –?« frug sie gedehnt. »Wer möchte wohl die Sonne dieses dürren Master Chinarindo sein! Wenigstens meinetwegen könnte er im Dunkeln bleiben, so lange es ihm gefällt!«

»Anitta, ist das wahr?« rief der junge Mann.

»Warum möchtet Ihr meinen Worten keinen Glauben schenken?«

»Weil ich weiß, daß er Euch nachgeht auf Schritt und Tritt und bei Euren Eltern gern gesehen ist.«

»Daß er mir nachgeht, kann ich nicht leugnen, aber daß ich ihm ausweiche so viel nur möglich, ist ebenso sicher. Auch das ist wahr, daß ihm Vater nicht gram ist; er hat ihm viel von einem großen Vermögen vorgeschwatzt und will mit uns hinüber in die Heimath, nach Deutschland gehen, wenn er genug erworben hat.«

»Nach Deutschland? Will denn Euer Vater nicht hier im neuen Lande bleiben?«

»Nein. Seit die Mission zur Kaserne für Jedermann geworden ist, gefällt es ihm nicht mehr. Aber wir sind arm und Vater ist zu alt, um noch so viel zu erwerben, daß wir fortkönnten, und da – –«

»Und da – –?«

»Und da denkt er, daß ein wohlhabender Schwiegersohn ihm diesen Wunsch erfüllen könne.«

Eduard schwieg eine Weile. Dann frug er:

»Und Euer Vater würde Eure Hand dem Doctor geben?«

»Ja. Doch ich mag ihn nicht leiden, und die Mutter auch nicht.«

»So giebt es wohl überhaupt Keinen, den Ihr leiden mögt, Anitta?«

Sie hielt die Antwort zurück.

Er ergriff auch ihre andre Hand und bat mit eindringlichem Tone:

»Sagt es mir, Anitta, verschweigt es mir nicht; ich bitte Euch!«

»Es giebt Einen,« flüsterte sie.

»Wer ist es?«

Sie erröthete, aber er fühlte den leisen Gegendruck ihrer Hände.

»Bin ich es, Anitta?«

»Warum fragt Ihr so, Eduard?«

»Weil ich Euch lieb habe wie mein Leben, nein, noch lieber, noch tausendmal lieber als mein Leben, und ohne Euch nicht leben kann. Anitta, sag, bin ich es, den Du leiden kannst?«

»Ja,« hauchte sie, noch tiefer erglühend.

»Der liebe Gott segne Dich für dieses Wort! Willst Du mein Weib sein, und darf ich mit Vater und Mutter sprechen!«

»Ja.«

»Jetzt gleich?«

»Jetzt gleich!«

»So komm!«

Er erhob sich und sie folgte ihm. Sie gingen mit einander durch das Portal und schritten über den Hof weg der Thür zu, welche zur Wohnung Werners führte. Im Flur vernahmen sie eine harte, spitze Stimme, welche in der Wohnstube in eindringlichem Tone sprach.

»Der Doctor ist drin!« meinte Anitta.

»Komm, wir treten in die Küche und warten, bis er sich entfernt hat!«

Sie thaten es und vernahmen nun jedes Wort des zwischen Haffley und den Eltern geführten Gespräches.

»Damn it, Master Carlos, meint Ihr etwa, daß ich den Beutel nicht offen zu halten verstehe?« frug der Erstere. »Die Medizin ist mehr werth als das beste Plazement droben bei den Miners, und sobald ich genug habe, gehen wir fort von hier nach New-York oder Philadelphia und von da noch weiter, wohin Ihr wollt. Ist's Euch recht?«

»Hm, recht wär mir's schon, wenn ich nur auch wüßte, daß Ihr Wort haltet!«

»Teufel! Haltet Ihr mich für einen Lügner?«

»Nein. Ihr habt mir noch keine Veranlassung dazu gegeben. Aber das alte Californien ist in neuerer Zeit ganz dazu angethan, Einen mißtrauisch oder wenigstens vorsichtig zu machen.«

»So will ich Euch Sicherheit geben! Ich kann ohne Frau mein Geschäft nicht länger mehr fortsetzen, und Eure Tochter hat ein verteufelt einnehmendes Gesicht, so daß ich glaube, ich bin über alle Maßen verliebt in sie. Gebt sie mir zum Weibe, und ich versichere Euch, ich mache sie zu meinem Buchhalter und gebe ihr sogar die Kasse über. Ist Euch das nicht genug?«

»Hm, ja. Aber habt Ihr denn schon mit dem Mädchen gesprochen?«

»Nein, scheint mir auch nicht nöthig zu sein. Der Doctor Haffley ist schon der Mann, ein Mädchen zu bekommen, wenn er sie überhaupt haben will, und gegen Eueren Willen wird sie auf keinen Fall schwimmen können.«

»Das ist wohl wahr; aber ich denke, daß sie bei so einer wichtigen Sache ihren Willen ebenso gut haben muß wie ich den meinigen, und so gern ich ja sage, wenn sie dagegen ist, so unterbleibts. Also sprecht vorher mit ihr, Doctor und kommt dann wieder!«

»Soll gleich geschehen; habe nicht viel Zeit zu solchen Sachen übrig, habe einundzwanzig Patienten oben liegen, die mir viel zu schaffen machen. Wo ist sie?«

»Weiß nicht; vielleicht draußen vor dem Thore.«[622]

»Schön! Muß sie finden, werde nach ihr suchen!«

Er wandte sich nach der Thür, blieb aber überrascht stehen, denn vor ihm stand Anitta und Eduard, die in diesem Augenblicke aus der Küche getreten waren.

»Hier ist sie, die Ihr sucht, Master Doctor,« meinte der junge Mann, »und die Angelegenheit, die Ihr mit ihr besprechen wollt, wird nicht viel Zeit wegnehmen.«

»Wieso, wie meint Ihr das, Sennor Edouardo?« frug Haffley, welcher seinen Nebenbuhler wohl kannte, da er ihn fast täglich bei den Eltern Anitta's getroffen hatte.

»Ich meine, daß Ihr zu spät kommt, da ich soeben mit Anitta einig geworden bin. Sie hat keine Lust, Frau Doctorin zu werden, und will es lieber einmal mit mir versuchen!«

»Ist das wahr, Anitta?« frug Werner, vor Ueberraschung sich erhebend und die ausgeglimmte Cigarette aus der Hand werfend.

»Ja, Vater. Oder ist es Dir nicht recht so?«

»Recht? O, recht würde es mir schon sein, denn ich habe den Jungen selber lieb; aber was thut Ihr mit der bloßen Liebe in einem Lande, wo Weg und Steg mit blanken Dollars bepflastert sind? Sennor Edouardo ist noch jung; er kann es noch zu Etwas bringen, wenn er sich nicht vorzeitig an ein Mädchen hängt. Der Doctor aber weiß schon längst, was er hat; das ist der Unterschied, Anitta; er will mit nach Deutschland gehen und – –«

»Eduard geht auch mit,« unterbrach ihn das Mädchen; »er will – –«

»Kann er denn? Es gehört mehr dazu als der gute Wille.«

»Sennor Carlos,« meinte Eduard jetzt, »es ist jetzt nicht der Augenblick, uns in der richtigen Weise auszusprechen. Aber sagt mir einmal aufrichtig: Würdet Ihr mir Anitta geben, wenn ich weniger arm wäre als jetzt?«

»Ja.«

»Und wie viel müßte ich haben?«

»Hm, das ist schwer zu sagen! Je mehr, desto besser; wenigstens aber müßte es zulangen, um die Heimath erreichen und dort ein Gütchen oder so Etwas kaufen zu können.«

»Und werdet Ihr mir Zeit geben, so viel zu erwerben?«

»Zeit? Wie lange meint Ihr denn?«

»Sechs Monate!«

»Hm, das ist nicht übermäßig lang. Was sagt Ihr dazu, Doctor?«

»Damn it, das klingt grad wie ein trockenes, regelrechtes Geschäft; erlaubt, daß ich mit beitrete!«

»Das sollt Ihr!«

»So will ich Euch einen Vorschlag machen, Master Carlos!«

»Welchen?«

»Ihr wollt doch wohl hinauf nach den Minen, Master Edouardo?« frug er höhnisch, sich zu dem jungen Manne wendend.

»So ist es.«

»Well, Sir; wir geben Euch sechs Monate Zeit. Kommt Ihr bis dahin mit dreitausend Dollars zurück, so ist Miß Anitta Euer und ich sage kein Wort dagegen. Kommt Ihr aber nicht, oder mit weniger, so ist die Miß mein. Seid Ihr einverstanden, Master Car los?«

»Vollständig, vorausgesetzt, daß Eure Verhältnisse so sind, wie Ihr sie mir beschrieben habt!«

»Sie sind so! Also wir sind einig. Good bye; ich muß zu meinen Fieberkranken.«


Wieder stieg ein junger Mann die Anhöhe nach der Mission herauf und wandte sich am Mezquitegebüsch nach der hinter ihm liegenden Landschaft um. Es war nicht Eduard, obgleich die ausbedungenen sechs Monate bis auf einige Tage vergangen waren, sondern ein Anderer.

Nachdem er sein Auge an dem sich ihm bietenden Panorama gesättigt hatte, ging er durch das Portal, über den Hof und traf unter dem Eingange des Seitenflügels mit Anitta zusammen. Die ungewöhnliche Schönheit des Mädchens machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er unwillkürlich stehen blieb. Sich aber schnell fassend, frug er:

»Könnt Ihr mir vielleicht sagen, Sennorita, ob hier der Doctor Haffley zu finden ist?«

»Er wohnt hier. Steigt hinauf bis unter das Dach, dann seid Ihr in seinem Hospital, wo Ihr ihn sicher treffen werdet!«

Er folgte der Weisung.

»Alle Wetter, war das ein Mädchen,« murmelte er leise vor sich hin. »Hätte ich die Bertha nicht daheim in Monsdorf, so – hm, verteufelte Treppen sind das; sie können Einem ja fast den Hals kosten!«

Er stieg höher und immer höher empor, bis er auf den Bodenraum gelangte, wo er zwei Reihen Betten erblickte, zwischen denen sich die Gestalt des Doctors bewegte. Der Raum war ein an und für sich nicht sehr heller, und da es draußen bereits zu dunkeln begann; so ließen sich die Gegenstände nicht genau unterscheiden.

Haffley bemerkte den Fremden und trat herbei.

»Was wollt Ihr, Sennor?« frug er.

Der Gefragte horchte bei dem Klange dieser Stimme auf.

»Ihr seid Master Haffley, der Doctor, Sir?«

»Ja.«

»Ich bin Pharmacout, habe mein Glück in Californien aus der Erde graben wollen, aber Nichts gefunden, und bin dann zum Vermittlungsbureau gegangen, um mir ein Placement zu suchen. Dort wurde mir gesagt, daß Ihr einen Krankenwärter braucht, und so bin ich zu Euch heraufgestiegen, um zu sehen, ob die Stelle noch offen ist.«

»Sie ist noch unbesetzt. In welchem Orte und welcher Offizin habt Ihr gearbeitet?«[623]

»Hm,« antwortete der Fremde bedächtig, indem er rasch über die ersten Namen hinwegging, auf den letzten aber eine hörbar absichtliche Betonung legte. »In New-York, Pittsburg, Cincinnati und zuletzt in Norfolk, Nordkarolina, bei Master Cleveland.«

»In Norfolk bei Master Clev – – –«

Er trat rasch näher, um das Gesicht des Fremden besser sehen zu können und fuhr dann erschrocken zurück:

»Bei allen Teufeln, der verdammte Deutsch – – wollte sagen, Master Gromann, der mit mir zu gleicher Zeit dort – – aber kommt doch einmal mit herunter in meine Wohnung, Sir! Es freut mich wirklich unendlich, daß ich das Vergnügen habe, so unerwartet einen Collegen zu finden, der mit mir an einem und demselben Platze war!«

Er konnte das sehr zweideutige Lächeln in den Zügen des Anderen nicht sehen und stieg eine Treppe tiefer, wo er ein kleines Zimmer betrat und Licht machte. Der kleine Raum bildete augenscheinlich Wohn- und Schlafzimmer mit Alles in Allem.

»So, setzt Euch nieder, oder, um das Vergangene festzuhalten, setz' Dich nieder! Wie ist es in Norfolk gegangen, nachdem ich fort war? Ich hatte einen kleinen Zwist mit dem Prinzipal, weshalb ich im Aerger ohne Kündigung und Abschied fortging. Ich hoffe, es geht dem alten Master Cleveland gut!«

»Gut? Es hat überhaupt bei ihm aufgehört, zu gehen. Als Du fort warst, hatte sich unbegreiflicher Weise auch die Kasse sammt sämmtlichen Werthpapieren, die in besonderer Verwahrung lagen, entfernt. Der Mann war dadurch ruinirt und hat sich nicht darüber wegsetzen können. Er ist todt.«

»Ist's möglich? was Du sagst? Hm, der Alte hat niemals so recht fest gestanden und Niemand in seine Verhältnisse blicken lassen. Ich glaube daher sehr, daß die Entfernung der Kasse nur ein kleines Arrangement von ihm selbst gewesen ist. Daß ich hier als Arzt etablirt bin, darf Dich nicht wundern. Es fragt hier kein Mensch nach dem Diplom,[638] und die Sache ernährt ihren Mann. Also Du kommst nach der Stelle?«

»Ja; aber sag mir, Walker, wie Du zu den Mitteln kamst, ein solches Etablissement zu gründen, und warum Du nicht Deinen richtigen Namen beibehältst!«

»Hm, die Mittel habe ich mir droben in den Minen geholt, und der Name wurde umgeändert, weil Haffley gelehrter klingt als Walker. Aber um wieder auf die Stelle zu kommen, so sollst Du sie haben, vorausgesetzt, daß Du mir keine Veranlassung zur Klage giebst. Arbeitest Du Dich gut ein, so ist es sogar möglich, daß ich Dich mir assistire und vielleicht gar Dir die Compagnie antrage.«

»Hast Du Wohnung für mich?«

»Es wird sich wohl Rath schaffen lassen. Also, schlägst Du ein?«

»Natürlich; topp!«

»Topp!«

»Sollst Dich nicht über mich zu beklagen haben. Bin auch genugsam herumgeworfen worden, so daß mir nicht viel daran liegt, an die Vergangenheit zu denken.«

Gromann wurde angestellt und nach und nach in die verschiedenen Geheimnisse der Hospitalverwaltung eingeweiht. Der Doctor war gezwungen gewesen, ihn zu angagiren, beruhigte sich aber bei der Beobachtung, daß sein Assistent selbst solche Vorkommnisse ganz an ihrem Platze fand, die der Oeffentlichkeit vorsichtig entzogen werden mußten.

Haffley hatte jetzt mehr Muse, und benutzte dieselbe zu häufigen Besuchen bei Sennor Carlos, in dessen Vertrauen er sich mit schlauer Berechnung einzuarbeiten wußte. Anitta war nicht das, was der berechnende Yankee eine Parthie nennt, aber ihre Schönheit hatte es dem sonst gefühllosen Mediziner angethan, und er wußte sich zu Allem fähig, was ihn in den Besitz des Mädchens zu bringen vermochte.

Endlich waren die sechs Monate vergangen, ohne daß Eduard sich sehen ließ. Daß weder eine briefliche Nachricht noch sonst ein Lebenszeichen von ihm gekommen war, hatte Anitta wenig beunruhigt; sie wußte, daß die Postverbindung mit den Minen eine äußerst unvollkommene war und fast in Privathänden ruhte, so daß man auf den richtigen Empfang eines Briefes nie rechnen konnte. Es kam sogar häufig vor, daß Leute, welche die Besorgung von Briefen und Geldsendungen übernommen hatten, entweder unterwegs überfallen, beraubt und todtgeschlagen wurden oder auch selber mit den ihnen anvertrauten Geldern ein Schiff suchten und durchgingen.

Heut aber war der letzte Abend, und Eduard kam noch immer nicht. Das Mädchen wurde von einer fürchterlichen Unruhe hin- und hergetrieben. Auch dem Doctor ging es so. Bis jetzt noch hatte er alle Chancen für sich, aber sein Nebenbuhler konnte jeden Augenblick noch kommen, und das – das mußte verhütet werden. Er übergab die Patienten dem Assistenten und verließ die Mission.

Die Kranken konnten mit der Anstellung Gromann's sehr zufrieden sein, der den Hülfslosen als ein rettender Engel erschienen war. Dem Doctor gegenüber sich vollständig gehorsam und willenslos zeigend, handelte er hinter dem Rücken desselben ganz nach eigenem Ermessen und hatte die Ueberzeugung, daß ihm mancher Patient, der von Haffley dem Tode geweiht war, das Leben und – Eigenthum zu verdanken haben werde.

Er hatte die Stelle nur angenommen, weil er augenblicklich erwerbslos war, und um den mit der Kasse durchgebrannten Apothekergehülfen vollständig zu entlarven.

Er war heut noch nicht gar lange Zeit allein, so hörte er Schritte die Treppe herauf kommen. Es war der Doctor.

»Gromann,« meinte er, diesen zu sich heranwinkend, »ist das Bett hier im Verschlage bereit? Es kommt ein neuer Kranker, vielleicht sogar schon Todter.«

»Woher?«

»Ich fand ihn, als ich zur Stadt ging, unten am Wege liegen. Es muß ein Miner sein, der die Krankheit mit aus den Bergen gebracht hat und sich herauf zu uns schleppen wollte. Die Kräfte haben ihn verlassen, und so ist er niedergesunken und liegen geblieben.«

»Das Bett ist in gutem Zustande.«

»So leuchte einmal hinab! Ich traf zum Glück ein paar mexikanische Herumlungerer, welche den Mann getragen bringen.«

Die Leute waren trotz der Dunkelheit schon bis an die Thür gelangt, brachten ihre Last jetzt herein und legten sie in das bezeichnete Bett.

»Gieb ihnen ihren Lohn,« gebot Haffley und trat an das Lager, um die neue »Nummer« zu untersuchen. »Todt,« lautete sein Urtheil. »Laß ihn ruhig liegen; morgen Abend wird er eingescharrt. Er ist arm und fremd; es wird Niemand nach ihm fragen.«

Er verließ den Boden, um hinab zu Sennor Carlos zu gehen.

Gromann kannte die Bedeutung der beiden Worte »arm und fremd«, trat aber trotzdem hinzu und zog die Decke vom Gesichte des Todten herab. Fast hätte er vor Schreck laut aufgeschrieen.

»Eduard – Eduard Horn aus Monsdorf! Herr mein Heiland, wie kommt dieser nach Californien und in diesen Zustand? Eduard – halt – – welcher Gedanke! – Anitta wartet auf einen Sennor Edouardo – mein Gott, wäre es möglich? Sie hat mir Alles erzählt; ich – – –«

Er sprach nicht weiter, sondern stürzte sich förmlich auf den so bleich Daliegenden, um seinen Zustand einer genauen Prüfung zu unterwerfen. Es dauerte lange, ehe er mit sich einig war.

»Ein Schlag über den Kopf hat ihn betäubt; dann wurde ihm ein Tuch mit Chloroform auf das Gesicht gelegt und endlich eine Gabe Blausäure oder Strychnin eingeflößt. Es ist kein Zweifel, daß hier eine absichtliche Mordthat vorliegt, er hat das Gift nicht verschluckt. Noch ist vielleicht Hülfe möglich. Aber wer ist der Thäter gewesen? Ich werde die Apotheke untersuchen!«[639]

Gromann eilte zu dem Schranke, welcher die Medicamente enthielt. Das Strychnin fehlte.

»Ah – Master Haffley, das ist Dein letztes Werk gewesen; darauf kannst Du Dich verlassen! Nun aber rasch zum Gegengifte!«

Der wackere junge Mann that, was in seinen Kräften stand, und hatte, allerdings nach einer ziemlich langen Zeit, auch die Genugthuung, zu bemerken, daß dem Bewußtlosen die Besinnung wiederkehrte.

»Anitta!« rief er matt.

»Du wirst sie sehen, Eduard. Kennst Du mich?«

Der Gefragte schlug mit Mühe die Augen auf; sein Blick belebte sich mehr und mehr.

»Gromann – ist – es – möglich!«

»Ja, ich bin's, Eduard. Wie fühlst Du Dich?«

»Müde.«

»So trink hier, immer trink; das wird Dir neue Kräfte geben.«

Horn trank und fühlte wirklich Kraft und Leben durch seine Adern rinnen.

»Wo bin ich?«

»Im Lazareth auf der Mission ›Santa Barbara‹.«

»Bei Doctor Haffley!«

Dieser Name brachte ihn vollständig zum Bewußtsein dessen, was geschehen war. Er fuhr empor.

»Wo ist der Schurke?«

»Wer?«

»Der Doctor.«

»Ich glaube, unten bei Sennor Carlos und Anitta.«

»So muß ich hinab, jetzt gleich, auf der Stelle!«

»Bleib liegen, Eduard, und erzähle, wenn es Dich nicht zu sehr anstrengt! Doch halt, ich höre Schritte auf der Treppe. Haffley ist's. Stelle Dich todt!«

Er schlug die Decke wieder über ihn und trat dem Kommenden mit unbefangener Miene entgegen.

»Ist Etwas vorgefallen?«

»Nein.«

»Hast Du Dir den dort angesehen?«

»Ja.«

»Nun?«

»Er ist todt, Hülfe nicht mehr möglich. Konntest ihn liegen lassen da unten. Nun haben wir Nichts davon als Mühe und Plackerei!«

»Wahr ist's. Man läßt dem Herzen immer noch zu viel Willen. Punkt Zwölf habe ich Verlobung. Bist auch eingeladen. Wirst Du Dich sehen lassen?«

»Verlobung? Ach so, Punkt Zwölf ist die Frist abgelaufen, ich komme!«

»Schön!«

Er ging, ohne einen Blick nach dem Bette zu werfen. Gromann kehrte zu Horn zurück.

»Wo ist mein Geld?« frug dieser.

»Dein Geld? ich weiß von Nichts!«

Er ließ sich erwartungsvoll am Rande des Lagers nieder, und nun begann ein leise geführtes Gespräch, welches erst kurz vor Mitternacht endete.

Um diese Zeit saß der Doctor mit Sennor Carlos unten am Tische und sprach mit ihm der Flasche eifrig zu. Die beiden Männer freuten sich über die Luftschlösser, welche Haffley so geschickt aufzubauen wußte, während Anitta mit der Mutter sich in die Ecke zurückgezogen hatte und ihren Trübsinn kaum zu beherrschen wußte.

Da klopfte es trotz der späten Stunde noch an die Stubenthür.

»Das wird Gromann sein,« meinte der Doctor Haffley. »Herein!«

Der Eingang öffnete sich, aber statt des Erwarteten traten mehrere Männer ein, welche polizeiliche Uniformen trugen.

»Good evening, Mesch'schurs und Mylady's. Ist der ehrenwerthe Master Haffley hier zu finden?« frug der Vorderste von ihnen.

»Ich bin es,« antwortete der Doctor, mit leichenhafter Blässe im Gesichte sich erhebend.

»So! Wollt Ihr mir vielleicht sagen, seit welcher Zeit Ihr diesen hübschen Namen führt?«

»Wie meint Ihr das, Sir?«

»Hm, ich möchte Euch gern wieder zu Euern richtigen Namen verhelfen, der Euch abhanden gekommen ist damals in Norfolk bei Master Cleveland. Hieß er nicht Walker, Sir?«

»Ich glaube, Ihr befindet Euch in einem Irrthume, wenn – – –«

»Stopp, Master Walker! Die Polizei hat schon längst ein liebevolles Auge für Euer Thun und Treiben hier gehabt, und nur gewartet, bis einmal der richtige Augenblick kommt. Der ist nun da, und von einem Irrthume wollen wir da nicht sprechen.«

Er trat zur Thür, welche er aufstieß.

»Wollt Ihr jetzt hereinkommen, Master Gromann? Ihr seid ja eingeladen und braucht Euch also gar nicht zu geniren.«[654]

Haffley trat einen Schritt zurück und griff nach einem auf dem Tische liegenden Messer.

»Laßt den Kneif da, wo er ist, mein Junge, sonst greifen wir auch nach unserm Eisen! Hollah, Kinder, legt ihm einmal die Spangen um die Hände und seht, was in seinen Taschen zu finden ist!«

Er wurde trotz seiner Gegenwehr leicht überwältigt und gefesselt. Man fand einige Schlüssel bei ihm und ein kleines Flaçon, welches der Beamte Gromann entgegenreichte.

»Da, seht Euch einmal das Ding an, ob es den Trank enthält, von dem Ihr sprecht!«

»Es ist Strychnin, Sir; die Sache stimmt!«

»Schön! Das Zeug muß für solche Zwecke ganz gut sein, Master Haffley oder Walker, aber Ihr habt es vielleicht nicht in der gehörigen Weise in Anwendung gebracht, wie ich Euch gleich einmal zeigen werde.«

Er schritt wieder zur Thür.

»Master Horn, tretet herein; der Doctor sehnt sich nach Eurer Umarmung!«

Der Gerufene erschien, noch immer bleich und matt, unter dem Eingange. Die Wirkung war eine doppelte. Der Arzt stieß einen Schrei aus und sank wie leblos in den Sessel zurück; Anitta aber fuhr mit einem hellen Freudenrufe aus ihrer Ecke hervor, auf ihn zu und schlug ihm unter lautem Schluchzen die Arme um den Nacken.

»Eduard – Eduard – da bist Du – endlich!«

»Ja, da ist er,« lächelte der Polizist, »und wir wollen Euch jetzt vor der Hand nicht stören, ihm zu erzählen, was er wissen muß. Den Master Walker aber nehmt einmal mit hinauf in seine Wohnung. Ich muß mich dort ein Wenig umsehen!«

Der Doctor wurde mehr hinaufgetragen als geführt. Er hatte keinerlei Vorsichtsmaßregeln getroffen und wußte, daß er nun verloren sei. Man fand außer den unzweideutigen Beweisen, daß er der entflohene Gehülfe sei, noch die Zeugen von einer Menge anderer Verbrechen, besonders einen bedeutenden Vorrath von Goldstaub, den er jedenfalls den Fieberkranken abgenommen hatte, welche aus den Minen zu ihm kamen, um sich heilen zu lassen, in Folge des bei sich geführten Goldes aber den Tod gefunden hatten.

Bei diesen Vorräthen lag auch der Beutel und die Brieftasche, welche er gestern Abend Eduard abgenommen hatte. Dieser war in den Minen über alle Erwartung glücklich gewesen und hatte mehr als die ausbedungene Summe mitgebracht.

Er erholte sich bald von der Wirkung des Schlages und Giftes und wurde der glückliche Bräutigam seiner Anitta. Einige Wochen nach der Hochzeit ging er mit den Schwiegereltern um Cap Horn herum nach Rio und von da in die Heimath. Gromann, dem er sein Leben zu verdanken hatte, mußte mit und folgte ihm gern.

Der ehrenwerthe Doctor Haffley aber hing schon wenige Tage nach seiner Arretur an einem guten californischen Stricke. In jenen Landen ist das Verfahren ein sehr praktisches und kurzes.

Die Mission »Santa Barbara« steht noch heut, und wer nach Sakramento kommt und hinaufsteigt, um in der Restauration des Amerikaners ein Glas Gerstenspüligt zu trinken, welches der elsasser Franzose unter dem stolzen Namen Bier zusammenkocht, der kann sich gar viel erzählen lassen von dem eingegangenen Lazareth des aufgeknüpften Apothekergehülfen aus Norfolk, Staat Nordkarolina.[655]

Quelle:
Vom Tode erstanden. Ein Abenteuer aus Californien von Emma Pollmer. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878). Nr. 41, S. 654-656.
Ein Abenteuer aus Californien von Emma Pollmer. In: Frohe Stunden. Unterhaltungsblätter für Jedermann. Sammlung der neuesten und besten Romane und Novellen unserer beliebtesten Schriftsteller der Gegenwart. 2. Jg. Nr. 38–41. S. 606–607, 621–623, 638–639 u. 654–655. – Dresden, Leipzig: Bruno Radelli (1878). Reprint in: Erstdrucke Karl Mays in Faksimile-Ausgaben. Serie VI: Beiträge in der Zeitschrifft »Frohe Stunden« (1877/78). Hamburg: Karl-May-Gesellschaft 1971.
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