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Der Reiteroberst a.D., Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen stand am geöffneten Fenster, gehüllt in eine für das Auge fast undurchdringliche Tabakswolke, und zog aus dem Rohre einer langen, holländischen Thonpfeife immer neue Massen Rauches, den er mit jenem eigenthümlichen Knurren von sich blies, mit welchem er unbewußt jeder behaglichen Stimmung Ausdruck zu geben pflegte. Da öffnete sich – – –
»Halt!« rufen hier wohl diejenigen unserer freundlichen Leser, welche den Prinzen gekannt oder wenigstens von ihm gehört haben. »Das ist ja unser ›alter Knaster.‹ Wenn da der ›Confusionsheinrich‹ noch dazu kommt, und das ›Krakehllinchen‹ oder gar der ›Studentenkarl‹, so giebt es eine jener sonderlichen und possirlichen Geschichten, wie sie zu Dutzenden passirt sind, als der alte gute, grobe und originelle Herr noch lebte!«
Richtig! Und nun wird man wohl auch unsrer Versicherung Glauben schenken, daß die Geschichte, welche wir erzählen wollen, nicht ein Produkt der Phantasie ist, sondern sich in dem wirklichen Leben zugetragen hat, obgleich nothwendige Rücksichten eine Veränderung der vorkommenden Namen erforderlich machten.
Also, da öffnete sich geräuschvoll die Thür, und mit fliegendem Morgenrocke und wehenden Haubenbändern rauschte eine Frauengestalt von so bedeutendem Körperumfange herein, daß die Thüröffnung kaum breit genug war, sie hindurch zu lassen.
»Guten Morgen, gnädiger Herr!« grüßte sie, einen besorgten Blick auf das Rauchgebirge richtend.
»'Morgen!« brummte es als Antwort, und das kurze und laute Paffen der prinzlichen Lippen ließ deutlich erkennen, daß mit diesem einen Worte Alles gesagt sei, was überhaupt gesagt werden sollte.
»Wie haben Ew. Gnaden zu schlafen geruht?« frug sie mit etwas unsicherer Stimme.
»Hm!« brummte es wieder, und trotz dieser für Andere höchst mangelhaften und undeutlichen Erklärung hellte sich ihr rundes Gesicht zusehends auf; sie wußte jetzt, daß er sich in guter Laune befinde, denn beim Gegentheile hätte er sie mit ihrer Frage in der Weise abgewiesen, daß jede Lust zum Weitersprechen ihr sofort vergangen wäre.
»Es hat diese Nacht etwas geregnet; aber der Tag verspricht, ein schöner zu werden. Ach es ist doch keine Jahreszeit so schön wie der Herbst, so poetisch, so tragödisch, so abschiedsvoll; es wird Einem ordentlich wehmüthig süß ums Herz! Wollen der gnädige Herr nicht einen Morgenspaziergang unternehmen?«
Jetzt erfolgte keine Antwort; statt jedoch sich durch dieses Schweigen warnen zu lassen, fuhr sie fort:
»Der Mensch hat auch seinen Herbst. Dann wird das Laub gelb, die Haare fallen aus, und der Wind geht über die Stoppeln. Und wenn das arme Herz dabei – – –«
»Brrrrr!« unterbrach er sie plötzlich, indem er aus der Rauchwolke hervor- und auf sie zutrat. »Ich will Sie bestoppeln, daß Ihr armes Herz auch mit dem Winde geht! Wird Sie nun endlich einmal den Kaffee auf den Tisch setzen und darnach sich zum Kukuk scheeren, Sie alte Wimmerliese?«
Sofort stand das Service, welches sie hereingebracht hatte, an seinem Platze, und im nächsten Augenblicke war sie verschwunden. Der Prinz rauchte die Pfeife vollends leer, legte sie dann bei Seite und ließ sich nieder, um das Frühstück zu beginnen. Kaum aber hatte er den ersten Schluck Kaffee genommen, so zog er mit einer höchst überraschten Miene die Tasse vom Munde, prüfte ihren Inhalt mit dem Auge und kostete dann mit immer mehr sich zusammenziehenden Brauen die auf dem Brette stehende Milch. Als hätte er Rhabarber oder Aloë genossen, sprudelte er die wenigen Tropfen, welche seine Zunge berührt hatten, wieder von sich und rief mit dröhnender Stimme, zugleich die Glocke in Bewegung setzend:
»Heinz!«
Im Augenblicke öffnete sich der Eingang, und der Gerufene erschien. Er war Leibdiener und Mann für Alles bei dem Prinzen, hatte mit demselben die Befreiungskriege mitgemacht und dabei das rechte Bein verloren. Als einfaches Dorfkind geboren und erzogen, hatte er in seinen jetzigen Dienst keine der äußeren Eigenschaften mitgebracht, welche mit der Livree gewöhnlich in Verbindung zu stehen pflegen; dagegen besaß er einen inneren Werth, welcher ihn seinem Herrn lieb und unentbehrlich gemacht hatte, so daß er sich gegen denselben Dinge erlauben durfte, die ein Anderer ungestraft niemals hätte wagen können. Ein einziges Mal während seiner ganzen langen Domestikenzeit nur war es ihm in den Sinn gekommen, daß er als Diener eines so hohen Herrn doch eigentlich sich etwas mehr Exterieur aneignen müsse, und er hatte sich vorgenommen, sich weiter auszubilden und zunächst bei der Sprache anzufangen. Aber das war so unglücklich abgelaufen, daß er sofort auf alle Fortbildung verzichtet hatte. Er war nämlich in eine so[49] heillose, sprachliche Verwirrung hineingerathen, daß es ihm trotz aller Anstrengung niemals gelingen wollte, sich wieder heraus zu finden. Und dieser Umstand war der Grund, daß er von Jedermann nie anders als der »Confusionsheinrich« genannt wurde.
»Heinz!« rief der Prinz noch einmal, indem er sich erhob.
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Koste einmal!« befahl der Zornige, indem er auf die Milch deutete.
»Ja wie so denn, Dorchlaucht?«
»Kosten sollst Du, habe ich Dir befohlen!«
»Ach so! Also trotzdem werde ich es machen!«
Mit der Rechten das Gefäß ergreifend, schob er mit der Linken den struppigen, graumelirten Schnurrbart in die Höhe und goß sich einen guten Theil des Inhaltes in den weit geöffneten Mund. Dann kniff er die Augen zusammen, zog die Brauen in die Höhe und machte eine so furchtbar nachdenkliche Miene, als müsse er bei Todesstrafe binnen jetzt und fünf Minuten das Perpetuum mobile erfinden.
»Nun?« frug der Prinz.
»Ja, nun! Das ist Milch, Dorchlaucht!«
»Heinz, Du bist ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich nicht, obwohl ich nichts von dem Esel weiß und dessen ungeachtet auch ein Kerl bin, dem der Wind um die Nase gepfiffen hat. Das war dazumal Anno Vierzehn, als Sie mit mir in Frankreich standen und ich hatte mein Bein noch. Wir lagen bei einer jungen Wittwe in Quartier, die theils ganz verteufelt hübsch war, sondern auch ein Auge auf mich geworfen hatte. Eines Tages nun stehe ich an der Hausthür und putze insofern mein Lederzeug; da kommt plötzlich ein – – –«
»Heinz!« unterbrach ihn der Prinz.
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Koste noch einmal!«
Heinrich that es und legte sein Gesicht wieder in die vorige, nachdenkliche Miene.
»Nun?«
»Ja, nun! Es bleibt Milch, Dorchlaucht!«
»Heinz, Du bist ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich wirklich nicht, daher ich vierzig Jahre treu und ehrlich bei Ihnen gedient habe und Sie mir dem entgegen stets auch ein guter Herr gewesen sind. Aus demselben Grunde haben wir manches schlimme Abenteuer erlebt, daher wir einander in allen Gefahren beistanden, was ich Ihnen vorhin auch beweisen wollte, als wir bei der jungen Wittfrau im Quartiere lagen. Obwohl sie nämlich ganz verteufelt hübsch war, hatte sie außerdem ein Auge auf mich geworfen, und ich stand eines Tages an der Hausthür. Ich putzte nämlich mein Lederzeug, und da kam plötzlich ein – – –«
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Koste nun noch einmal!«
»Ja, Dorchlaucht, es ist ja nichts mehr drin!«
»So rufe die Jungfer!«
»Welche denn? Die Jungfer Adelinchen?«
»Heinz, Du bist wahrhaftig ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das leide – –«
»Sei ruhig! Haben wir etwa in unsrer armseligen Junggesellenwirthschaft eine andre Jungfer als unsre alte Wimmerliese? Sie soll sofort kommen! Kehrt! Marsch!«
Der alte Stelzfuß machte seine Tempo's grad so präzis, als befinde er sich auf dem Exerzierplatze, und marschierte in strammer Haltung zur Thür hinaus. Er wußte, wenn der Oberst »Kehrt! Marsch!« sagte, so war nicht weiter mit ihm zu verkehren. Einige Augenblicke später schob er die dicke Wirthschafterin zur Thür herein und streckte sich hinter ihr in eine Stellung, als habe er den gefährlichsten Deliquenten zu bewachen.
»Komme Sie näher!« herrschte ihr der Prinz entgegen.
Sie folgte dem Befehle. Es war ihr auf dem ersten Blicke anzusehen, daß sie sich irgend einer Schuld bewußt sei.
»Was hat Sie mir denn eigentlich für Zeug hier in den Topf gegossen?«
»Es war Milch, gnädigster Herr Oberst!« Durch die Erinnerung an seinen militärischen Grad gelang es zuweilen, den zornmüthigen Herrn zu besänftigen; jetzt aber erwies sich diese Tactik als vollständig erfolglos.
»Das weiß ich! Aber was für Milch?«
»Es war ausnahmsweise heut einmal welche von der Kuh.«
»Von der Kuh? Ist Sie gescheidt? Oder hat Sie etwa vergessen, daß ich mir Ihre Kuh ein für allemal verbeten habe, weil ich nichts als Ziegenmilch trinken darf. Warum hat Sie mir keine solche gebracht?«
»Die Ziege giebt nichts mehr, Herr Oberst!«
»Giebt nichts mehr? Warum denn, wenn ich fragen darf!«
»Weil – weil – weil –«
»Nun, weil –? Heraus damit! Giebt sie vielleicht jetzt plötzlich Himbeerlimonade anstatt der Milch?«
»Nein, Herr Oberst; aber die Ziege, die – die hat sich aufgehängt.«
Endlich war es heraus, was ihr so fürchterliche Angst gemacht hatte; aber die Folge war auch keine sonderlich angenehme, denn der Prinz trat erstaunt einen Schritt zurück und donnerte dann:
»Was? Aufgehängt hat sich meine Ziege? Meine kostbare Angoraziege, die ich mir extra aus dem zoologischen Garten verschrieben habe? Die hat doch nicht an Weltschmerz gelitten, wie das Jungfer Adelinchen, oder an einer unglücklichen Schuster- oder Schneiderliebe,[50] daß ihr das irdische Jammerthal zu eng geworden ist. Vorwärts mit dem Geständniß! Wie ist das zugegangen?«
»Sie ist diese Nacht wohl etwas unruhig gewesen, und dabei wird ihr der Strick jedenfalls um den Hals gekommen sein. Als ich heut am frühen Morgen in den Stall kam, um sie zu melken, war das liebe Thier bereits verschieden.«
»Das liebe Thier bereits verschieden!« rief der Prinz ingrimmig. »Thue Sie nur nicht gar noch sentimental! Bereits verschieden! Umgebracht ist sie worden, elendiglich an einen Strick gehängt und umgebracht. Von wem hat Sie denn eigentlich den Befehl erhalten, das fromme Thier anzubinden? Nun!«
Die Gefragte schwieg.
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Was sagst denn Du dazu?«
»Wofür denn? Zu der Ziege oder zu der Jungfer?«
»Zu allen Beiden!«
»Wir müssen eine andre haben!«
»Was denn? Eine Ziege oder eine Jungfer?«
»Auch alle Beide!«
»Du hast Recht! Wer mit dem Mondschein faselt und mit dem Zephyr säuselt, anstatt auf unsre Wirthschaft zu sehen, den können wir nicht mehr gebrauchen, Sie hat Ihren Abschied!«
»Herr Oberst – –!«
»Gehe Sie!«
»Herr Oberst, ich bitte inständigst, mir – –«
»Gehe Sie, habe ich gesagt!«
»Wer soll Ihnen denn den Kaffee kochen?«
»Wir selbst!«
»Und das Mittagsbrod und das Abendessen?«
»Wir selbst!«
»Die Kleider ausputzen?«
»Wir selbst!«
»Die Zimmer in Ordnung halten?«
»Wir selbst!«
»Die Wäsche ausbessern und waschen, mein gütiger Herr Oberst!«
»Die Wäsche? Hm! Die Wäsche! Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Was sagst Du dazu?«
»Zu der Wäsche. Das habe ich theils noch niemals gemacht, sondern Sie bringen es erst recht nicht zu Stande. Wir wollen sie behalten!«
»Aber die Ziege, Heinz? Ich muß doch meine Milch haben!«
»Dorchlaucht, dagegen ist geholfen. Ich weiß eine Kapitalziege in Neudorf bei dem Schulzen stehen. Der wird sie Ihnen gern ablassen, mithin er sie eigentlich nicht gern verkauft.«
»Gut, so will ich Gnade für Recht ergehen lassen.«
Die Wirthschafterin machte Miene, sich zu bedanken; aber der Prinz gebot ihr mit einer raschen Handbewegung Schweigen und fügte hinzu:
»Aber Strafe muß sein: Sie ist's gewesen, die mir meine Angoraziege umgebracht hat, und so soll Sie es auch selbst sein – verstehe Sie mich wohl, Sie selbst, in eigner Person, die mir eine andere herbeischafft!«
»Mein guter, gnädiger Herr! Seien Sie doch barmherzig! Ich kann doch nicht mit einer Ziege von Neudorf bis herüber laufen! Das ist ganz unmöglich! Ich würde ein Spott für die ganze Umgegend werden!«
»Das soll ja eben die Strafe sein. Bezahlen werde ich das Thier, aber holen wird Sie es!«
»Herr Oberst – –!«
»Nichts da! Abgemacht!«
»Darf ich mir nicht wenigstens die Zeit dazu wählen?«
»Das kann Sie machen, wie Sie will. Heut wird nicht wieder Kaffee getrunken; aber morgen früh will ich meine gewohnte Ziegenmilch haben. Sie kann also meinetwegen mitten in der Nacht auf den Handel gehen und mit der Ziege unterwegs Sonnete an die Sterne dichten. Nun aber ist's gut. Nehme Sie Ihr Zeug wieder mit fort. Kehrt! Marsch! – – Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Eine neue Pfeife!«
Die Mamsell war so rasch wie möglich verschwunden. Der Diener trat zu einem Kasten, welcher auf dem Tische stand, nahm eine der darin bereit liegenden und bereits gestopften Pfeifen, schlug mittelst Stahl und Stein Feuer, legte den brennenden Schwamm auf den Tabak und reichte nun das unentbehrliche Instrument dem Herrn hinüber. Dieser griff zu.
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Du und die Jungfer, Ihr liegt Euch immer in den Haaren.«
»Ja, Dorchlaucht. Aber sie trägt die Schuld, trotzdem ich nichts dafür kann. Nicht blos, daß ich ein alter Knabe bin, der von den Weibern gar nichts wissen will, sondern sie hätte es auch gern gesehen, daß ich sie heirathete, und – –«
»Heinz, da wärst Du ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, da haben Sie Recht, obgleich es mir gar nicht einfällt, das Krakehllinchen mir auf den Hals zu laden. Aber grad demohnefolge ist sie mir spinnefeind geworden und sucht mich zu ärgern, wohin es ihr nur immer möglich ist.«
»Heinz, Du mußt Verstand haben! Ich wünsche nicht, daß Du sie wieder ärgerst, besonders nicht wegen der Ziege. So ein Weibsvolk ist ganz sonderbar geschaffen und muß mit großer Nachsicht und Barmherzigkeit behandelt werden!«
»Gut, Dorchlaucht, wenn Sie es befehlen, so[51] werde ich sie nicht mit der Ziege ärgern, zuweilen es auch ohne diese geht, von wegen der Barmherzigkeit. Unsereiner hat seinen Verstand bekommen und muß froh sein, daß sie keinen haben!«
»Na also! Stecke Dir auch eine an! Der neue Tabak ist gut.«
»Danke, Dorchlaucht! Sie sind mein Oberst, wofern ich blos ein armer Krüppel bin, der – –«
»Papperlapapp! Nimm Dir eine Pfeife; ich befehle es Dir! Jetzt sind wir allein; in Gesellschaft ist es wieder anders!«
»Dann greife ich zu; es ist ja außerdem von wegen der Subordination! Und sogleich ich den Rheumatiskus in dem Beinstummel habe, so hilft Nichts so gut für Ihn, als wie eine Pfeife türkischer Tabak mit Rollenvarines.«
So war es schon seit langer, langer Zeit gewesen, und so war es auch noch heutigen Tages. In Gegenwart Fremder war der Prinz der strenge, kurzangebundene Reiteroberst, der nur zu befehlen hatte und Heinrich der einfache Soldat, welcher es verstand, Ordre zu pariren, obgleich dann zuweilen eine andre Ansicht als diejenige seines Herrn ihm durch alle Glieder zuckte; den Schloßbewohnern gegenüber trat ihr vertrauliches Verhältniß schon mehr zu Tage; sahen sie sich aber ungestört und unter vier Augen, so gab es keine Complimente, sondern die beiden alten Kriegsmänner rauchten einander in die Nasen, daß es eine Art hatte, sprachen mit nie erlöschender Begeisterung von ihrer ruhmreichen Vergangenheit und trafen Anordnungen über ihre gegenwärtigen Verhältnisse, bei denen der einfache aber praktische Heinrich über Manches entschied, worüber sich der Prinz eine sachgemäße Entscheidung nicht zutraute.
Dieser Letztere war ein alter, eigensinniger, kurz angebundener, dabei aber gemüthvoller Patron, voll der sonderbarsten Schrullen und Eigenheiten, welche, ebenso wie bei Heinrich, das einsame Junggesellenleben in ihm ausgebildet hatte. Insbesondere aber trug er einen Weiberhaß in sich, der sich gegen alle Sorten von Frauenzimmern richtete, die Fürstin ebenso wenig wie die Stallmagd verschonte und einen ganz besonders nahe liegenden Gegenstand in Jungfer Adelinchen, der Wirthschafterin fand, welche mit ihren mancherlei Herzensbedürfnissen die Angriffe der beiden Haudegen tagtäglich unbewußt herausforderte. »Wimmerliese« so nannte der Prinz sie am liebsten, Heinrich hatte ihren Namen dagegen in »Krakehllinchen« verwandelt, weil selten eine Stunde verging, die ihn nicht in einem offenen oder versteckten Kampfe mit der liebesbedürftigen Beherrscherin des Speiseministeriums gesehen hätte.
Noch eine Person gab es, welche ganz gewiß mit erwähnt wurde, wenn von den drei Genannten irgendwo die Rede war, und diese Person kam, während die beiden Männer rauchend und erzählend bei einander saßen, eben langsam den Schloßberg herauf gestiegen, um allem Anscheine nach einem der oben Wohnenden einen Morgenbesuch abzustatten.
Es war ein Jüngling, auf dessen Oberlippe sich noch die ersten feinen Härchen kräuselten, doch sprach in Haltung, Blick und Bewegung bei ihm sich eine Sicherheit aus, welche sonst nur älteren und erfahreneren Personen eigen zu sein pflegt. Die farbige Mütze keck auf dem Kopfe und die lange, mit räthselhaften Emblemen versehene Pfeife in dem Munde, bot er mit seiner jugendlich kräftigen und gewandten Gestalt eine gar anmuthende Erscheinung dar. Wer ihn kannte, der hatte ihn lieb; sogar der grimmbärtige Schloßherr mochte ihn gern leiden; der »Confusionsheinrich« war für die Ferienzeit sein treuester Special, und die Jungfer ließ sich von ihm ganze Dutzende von Gedichten verehren, in denen sich Thränen und Gähnen, glauben und schrauben, fließen und nießen, erhören und empören gar hold und innig zusammenreimten. Die Bewohner des Städtchens sagten daher immer: »der Studentenkarl hat das ganze Schloß im Sacke, und wenn der hustet, so schreien sie Alle Prosit von dem alten Knaster an bis herunter zu dem Gartenwächter.«
Da drunten in dem kleinen, einstöckigen Häuschen bei den letzten Scheunen am Flusse wohnten seine Eltern. Der Vater war ein blutarmer Zeug- und Leinenweber, der nebst sich, seiner Frau und einer alten Mutter noch sechs Kinder zu ernähren hatte und daher von dem frühesten Morgen bis in die späteste Nacht an den Webstuhl gebunden war, den er nicht anders als seine »Giftmühle« nannte, da er nur zuwohl fühlte, daß er die übermäßige Anstrengung mit einem guten Theile seines Lebens bezahlen müsse. Sein Aeltester, der Karl, war schon als Knabe ein ungewöhnlich offener Kopf gewesen und hatte das Glück gehabt, die Aufmerksamkeit des »alten Knasters« auf sich zu ziehen. Dieser nahm sich nach einer strengen Prüfung seiner an, sorgte für den nöthigen Unterricht, ließ ihn das Gymnasium besuchen und schickte ihn schließlich zur Universität, wobei er ihm die kurze Weisung ertheilte, alles Mögliche, aber nur keine Advokatenkniffe zu studiren.
Der junge Mann belohnte die ihm gewordenen Wohlthaten mit dem regsten Fleiße, war stets nur mit den besten Zeugnissen nach Hause gekommen und versprach, einst seinem Gönner alle Ehre zu machen. Wenn es sich dieser auch nicht unnöthiger Weise merken ließ, so hatte er ihn doch fast mit Vaterliebe in sein altes, einsames Herz geschlossen und sorgte für ihn selbst da, wo Niemand Etwas bemerkte. Da er selbst ein abgesagter Feind aller Kopfhängerei war, so sah er mit allerdings stets verborgen gehaltenem Vergnügen, daß sein Schützling sich vor vielen Andern durch Geistesgewandtheit und einen fröhlichen Muth auszeichnete, mit deren Hilfe er den schweren Anforderungen des späteren Lebens sich gewachsen zeigen konnte und die ihm während seiner Schülerjahre manchen[52] lustigen Streich dictirten, der, ohne Jemand in wirklichen Schaden zu bringen, die Lacher für sich hatte und sogar den »alten Knaster« bewog, sich knurrend, brummend und schmunzelnd mit den Händen in den Bart zu fahren.
Jetzt waren eben wieder Ferien, und da Karl sich aus diesem Grunde zu Hause befand, so stand er gegenwärtig im Begriffe, seine gewohnte Frühvisite auf dem Schlosse abzustatten. Er schlenderte gemächlich durch das Thor und schritt über den Schloßhof weg nach dem alterthümlichen Portale zu, durch welches man zu der breiten Treppe gelangte, die in die oberen Räume führte.
Fast wäre ihm hier ein Unglück widerfahren, denn Jungfer Adelinchen kam mit einer Schnelligkeit, welche man bei ihrem gewaltigen Embonpoint noch niemals an ihr bemerkt hatte, die Stufen fast herabgekugelt, stieß mit ihm zusammen und riß ihn in Folge des Beharrungsgesetzes, dem ihr schwerer Körper jetzt unbedingt Folge leisten mußte, wieder mit sich zurück und eine ganze Strecke in den offenen Hof hinaus.
»Herr Karl – Herr Schmidt – Herr – ach, Herr Jemine, mir ist vor Aufregung die Lunge übergeschnappt und die Luftröhre und alles Andre dazu. Ach, Herr Schmidt, warten Sie nur, bis ich das Bischen Athem wiederhabe, denn ich muß Ihnen Etwas erzählen, was mir soeben passirt ist, widerfahren ist, arrivirt ist, jetzt eben, mir, mir, der Wirthschafterin, etwas so Fürchterliches, so Schreckliches, so – – –«
»Aber bitte meine liebe Mademoiselle,« unterbrach er den Fluß ihrer Rede, welcher sich trotz alles Luftmangels sonst in das Unendliche ergossen hätte, »lassen Sie mich doch zunächst und vor allen Dingen meine Pfeife suchen, die Sie mir mit einer so gewaltigen Prime aus dem Munde geschlagen haben, daß mir alle zweiunddreißig Zähne wackeln!«
»Ich bedaure, ich bedaure sehr, mein lieber Herr Karl! Ich weiß, was eine Pfeife zu bedeuten hat, zumal bei einem Dichter wie Sie; aber die Primadonna geschah wirklich nicht mit meinem Willen! Dort liegt sie; ich werde – nein, nein, nein, erlauben Sie!«
Er ließ es ruhig geschehen, daß sie selbst zurückkehrte und die liebe Lange wiederbrachte. Der Tabak war herausgefallen, der Kopf und Stiefel aber noch ganz. Er langte den Beutel hervor und begann zu stopfen.
»Nun bitte, Mademoiselle Adeline, erzählen Sie mir doch, was für Schrecklichkeiten Ihnen zugestoßen sind.«
»Ach nein, hier nicht! Kommen Sie!«
Sie faßte ihn beim Arme, zog ihn zum Stalle und öffnete die Thür desselben.
»Sehen Sie: dort liegt sie!«
»Dort liegt sie? Wer denn? Alle Wetter, die heilige Angora! Weib, was hast Du gethan, daß diese kostbare asiatische Reliquie den Weg aller Ziegen hat gehen müssen!«
»Gethan? Gar nichts hab ich gethan! Sie selbst hat sich erhängt!«
»Erhängt? Mit einem Stricke aus diesem Dasein hinausgewürgt? Unglückselige, gab es denn keinen andern Tod für die Milchquelle eines fürstlichen Kaffeetrinkers!«
»Nein, keinen andern! Sie hat sich den Hanf selbst um den Hals gedreht.«
»Ein Selbstmord! Und jedenfalls in dunkler Mitternacht! Es mehrt sich der Stoff zu einem finstern Trauerspiel. Wie mag da Zeus gedonnert haben!«
»Zeus? Ach nein, der ist gar nicht hier gewesen; aber der Alte, ach, der Alte! Ich gab ihm Kuhmilch, weil ich keine andere hatte, und –«
»So einen Gedanken konnte nur die reine Verzweiflung eingeben! Lieber schwarz als von der Kuh – ich kenne unsern Helden! Und dann?«
»Dann schickte er den Heinz, den boshaften Menschen; der mußte mich zu ihm schleppen, und ich sollte gar meine Entlassung bekommen. Aber sie besannen sich anders und – – –«
»Nun, und?«
»Ja, und! Ich schäme mich zu Tode, es zu sagen.«
»Zu Tode? Nein, es ist an Einer genug! Erhalten Sie sich uns noch länger, Mademoiselle Adeline, und sprechen Sie also nicht weiter über diesen herzbrechenden Gegenstand!«
»Und doch muß ich weiter davon sprechen, da ich mir Ihren guten Rath erbitten möchte.«
»Den sollen Sie haben, obgleich ich noch nie bei dem Ableben einer Ziege als handelnde Person betheiligt gewesen bin. Also?!«
»Ich soll in eigener Person – – –«
»In eigener Person – –?«
»Nach Neudorf gehen und – – –«
»Neudorf gehen und – –?«
»Beim Schulzen dort eine andre – – –«
»Schulzen dort eine andre – –? Nun, was denn?«
»Eine andre Ziege holen!«
»Eine andre Ziege holen? In Neudorf, beim Schulzen? Sie selbst – in eigener Person? Also zur Strafe jedenfalls, daß Sie die Angora angehängt haben! Hahahaha! O, ich kenne den Alten, und das sieht ihm so ähnlich, daß ich meine, dabei gestanden zu haben, als er dieses fürchterliche Urtheil sprach! Mamsell Adeline soll höchst eigenhändig in Neudorf eine andre Ziege holen! Hahahaha!«
Er lachte, daß ihm die Pfeife ausging. Es war gar nicht anders möglich: er mußte an das Feingefühl der Wirthschafterin denken, welches hierbei auf eine so fürchterliche Weise beleidigt wurde, und malte sich dabei[53] in Gedanken das Bild aus, welches ihre Gestalt, mit der Ziege am Stricke hinter sich her, geben mußte.
»O bitte, lachen Sie nicht, mein bester Herr Schmidt, sondern geben Sie mir einen guten Rath, wie es mir möglich ist, dieser unbarmherzigen Strafe zu entgehen!«
»Einen Rath? Der wird nun allerdings hier schwer zu geben sein, denn was der Prinz einmal befohlen haben, das muß auch pünktlich und wortgetreu ausgeführt werden. Seine Durchlaucht verstehen bei solchen Gelegenheiten niemals Spaß!«
»Und doch ist vielleicht noch Hülfe möglich! Der gnädige Herr haben gesagt, daß ich gehen könne, wenn es mir beliebt, und da dachte ich – – –«
»Nun? Da dachten Sie – –?«
»Wenn ich bis zum Abende warte, so würde ich von Niemandem gesehen werden.«
»Das ist möglich zu machen!«
»Aber ebenso würde es auch Niemand bemerken, wenn eine andre Person für mich ginge.«
»Auch das ist zuzugeben!«
»Wenn nun Sie die Güte haben wollten, mein lieber Herr Schmidt, mein bester Herr Karl – –!«
»Welche Güte?«
»Ich meine, wenn Sie sich einen Spaziergang nach Neudorf machen und bei dieser Gelegenheit die Ziege mitbringen wollten! Ich würde Ihnen ewig dankbar sein!«
Er trat im komischen Schreck einige Schritte zurück.
»Weiche von mir, Versucher! Ich, der Dichter, der Virtuos in Jamben und Trochäen soll bei abendlichem Mondenschein mit einer neumelken Ziege laufen? Das ist eine Lästerung, wie sie größer und raffinirter gar nicht erfunden werden kann!«
»O, ich wollte Sie ja gar nicht beleidigen, aber ich dachte, weil es dunkel ist – – –«
»Nein, nein, es geht nicht, selbst wenn ich diese Entheiligung meines olympischen Berufes aus Freundschaft zu Ihnen auf mich nehmen wollte, denn der Schulze zu Neudorf würde doch später Alles verrathen. Hier giebt es keine Rettung, wenn es mir nicht gelingt, den Prinzen zu einem Widerrufe seines Urtheils zu bewegen.«
»Widerruf?« Dieses Wort klang wie himmlische Musik in ihre Ohren. »Herr Schmidt, wenn Sie es dahin bringen könnten, so würde Ihnen meine Dankbarkeit geweiht sein für mein ganzes Leben. Wir Frauen haben das innige Verlangen in uns, durch unsre liebevolle Hingebung die Dornenpfade dieses Lebens mit Blumen – –«
»Schon gut meine Verehrteste! Ich weiß ganz genau, was Sie sagen wollen und habe ein inniges Verständniß für dieses himmlische Bestreben. Ich werde sofort gehen, um mein Glück zu versuchen!«
Er wandte sich kurz um und schritt von Neuem dem Portale zu.
»Hm,« brummte er leise vor sich hin, »diese dumme Ziegengeschichte wird mir ganz sicher einen Strich durch meine Rechnung machen, denn der Alte wird sich natürlich ihr zu Folge in einer wahren Brennnessellaune befinden. Aber was nothwendig ist, das muß auch gewagt werden. Ich werde wohl bei Heinrich erfahren, was für ein Wetter in der Region des Tabakes herrscht.«
Als er die Treppe hinter sich hatte, bog er in einen der vielen Corridore ein, welche das Schloßgebäude nach allen Richtungen durchkreuzten und öffnete endlich eine Thür.
»Brrr! Er sitzt also nebenan beim Prinzen und versucht es zum hunderttausendsten Male, seine angefangene Geschichte von Anno Vierzehn doch nun einmal zu Ende zu bringen. Ein alter, seelensguter Kerl! Ich werde wohl hierbleiben und warten müssen, bis sie drüben fertig sind!«
Er warf sich auf das alte, ausgesessene Kanapee, welches fast eine ganze Seite des kleinen, anspruchslosen Raumes einnahm, und warf einen flüchtigen Blick auf die Gegenstände, welche sich in dem Letzteren befanden.
»Fast wie im Armenhause; und beim Alten ist es nicht viel besser! Es sind doch eigene Käuze! Der Eine besitzt Million über Million und befindet sich nur in dem schlechtesten Zimmer des Schlosses wohl; der Andre hat sich fast vierzig Jahre lang von seinem Gehalte nicht einen Pfennig auszahlen lassen und spart so ein Tausend nach dem Andern. Und doch ist es nicht Neid, nicht Habsucht oder Geiz, sondern die Gleichgültigkeit gegen das Flitterwerk des künstlich hinaufgeschraubten Lebens.«
Er hätte seine Betrachtungen wohl noch weiter fortgesetzt, wenn er nicht gestört worden wäre. Heinrich trat ein. Als er den Anwesenden erblickte, streckte er ihm freundschaftlich, indem er auf ihn zu humpelte, die Hand entgegen und rief:
»Schmeckt die Pfeife schon? Trotzdem haben Sie heut wohl schon früh bei Zeiten ausgeschlafen?«
»Danke, Heinrich! Der Prinz ist doch zu sprechen?«
»Es ist zwar Niemand bei Ihm, doch denke ich, daß ich Sie beinahe anmelden kann. Ich gehe auch wieder hinüber und wollte blos ein Messer holen, obwohl wir Rollentabak schneiden.«
»Was giebt es heut für Wetter?«
»Es hat gedonnert und geblitzt und zumal beim Krakehllinchen eingeschlagen. Zudem hat sich das Gewitter nun wieder gelegt. Warum? Es fehlt wohl wieder einmal da, wo es überdies immer gefehlt hat?«
Er machte die Bewegung des Geldzählens, da er aus langjähriger Erfahrung wußte, daß es mit der Baarschaft des Studenten haperte, wenn dieser nach dem Wetter fragte, ehe er bei dem Oberst Zutritt nahm.[54]
»Möglich!« nickte Schmidt verständnißvoll.
»So! Das ist eine schlimme Sache, und ich will dessenungeachtet sehen, daß wir helfen können, denn ich weiß auch, wie es thut, wenn man kein Geld hat und dagegen alle zwei Paar Stiefeln zerrissen sind. Das war nämlich dazumal in Frankreich. Der Oberst lag mit mir in Quartier bei einer jungen Wittfrau, die unterdessen ganz verteufelt hübsch war und aus diesem Grunde ein Auge auf mich geworfen hatte, denn es war Anno Vierzehn, wiewohl ich damals mein Bein noch hatte. Darum stehe ich auch eines Tages an der Hausthür und putze mein Lederzeug; da kommt plötzlich – – –«
Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Glocke ertönte und zu gleicher Zeit erschallte in dem nebenan liegenden Raume der Ruf:
»Heinz!«
Der Diener sprang eilfertig hinaus, öffnete die Thür zu dem Wohnzimmer seines Herrn und frug:
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Wieviel Zeit brauchst Du denn heut, um ein Messer zu holen?«
»Ein Messer?« Die gewaltsame Unterbrechung seines Anno Vierzehn hatte ihn so aus der Fassung gebracht, daß er sich nicht gleich auf das Messer besinnen konnte. »Wobei denn, Dorchlaucht?«
»Heinz, Du bist ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich nicht! Obgleich ich ein Esel wäre, so dürfte ich wohl nicht mit Ihnen rauchen und endlich nämlich auch noch Rollentabak schnei – –« bei diesem letzten Worte besann er sich plötzlich, was es mit dem Messer für eine Bewandtniß gehabt hatte, und nun sah er sich in eine solche Beschämung und Verlegenheit gesetzt, daß er mit offen bleibendem Munde und ausgespreizten Fingern dastand und gar nicht wußte, ob er gehen oder bleiben solle.
»Kommt denn nun das Messer endlich?« donnerte da der ungeduldig werdende Gebieter.
So schnell es ihm der Stelzfuß gestattete, flog Heinz zur Thür hinaus, und in seine Stube, wo er das verlangte Instrument aus dem Kasten langte. Schmidt konnte ein leises Lachen über den possirlichen Vorgang nicht unterdrücken.
»Melde mich gleich mit an, sonst machst Du mir ihn wieder mißlaunig!«
Der Diener hatte keine Zeit zu einer Antwort. Zurückgekehrt, sah er den Prinzen am Fenster stehen, wo ein ärgerlicher Vorgang seine Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen schien.
»Mit wem hast Du denn da draußen zu spindisiren?«
»Zu spindisiren, Dorchlaucht? Dafür kann ich nicht, obgleich es unser Student ist, welcher folglich gern zu Ihnen will.«
»Schmidt ist draußen?« frug er und ließ auf diese Frage ein so lautes »Rrrrein« erschallen, daß der Genannte eintrat, ohne erst zu warten, bis Heinz ihm öffnete. »Komme Er 'mal her zu mir! So! Nun schaue Er einmal in den Hof hinab! So! Was sieht Er?«
Der Student merkte sofort, daß er an einem unglücklichen Augenblicke gekommen sei.
»Die beiden Knechte?«
»Und was tragen sie?«
»Die Angoraziege, welche heut Nacht – –«
»Erwürgt worden ist,« fiel er ihm in die Rede, »elendiglich erwürgt! Sie kostete mich ein Heidengeld; aber das schadete Nichts, denn sie war es auch werth. Nun ist sie zum Kukuk, nun ist sie ›Franzos kaput,‹ wie die Kossacken Anno Vierzehn sagten, und ich muß mit so einer alten Neudorfer Liese fürlieb nehmen, die wer weiß was für ein traurig Seifenwasser giebt.«
»Der Schulze soll eine gute Milchziege haben, Durchlaucht,« bemerkte Schmidt, um vorsichtige Fühlung zu nehmen.
»Das sagte schon der Heinz. Das Weibsbild muß mir selbst hinaus, um das Thier zu holen. Es wird ihr zwar spanisch genug vorkommen, aber was ich gesagt habe, das habe ich gesagt, und wenn sie mir noch so einen dummen Streich macht, so jage ich sie gar noch aus dem Hause! Da schleppen sie nun das prächtige Thier hinaus, um es elendiglich zu verscharren!«
»Wäre es nicht wenigstens gerathen, Durchlaucht, das Fell abzuziehen und – – –«
»Das Fell abziehen?« donnerte der alte Isegrimm. »Ist er denn gradezu des Teufels oder verrückt geworden, daß Er mir zumuthet, dem armen Viehzeug auch noch das Leder abschinden zu lassen? Wenn er mir mit solchen Dingen kommt, so packe Er sich nur immer wieder fort', Ich dächte wohl, daß Er genug hätte lernen können, um zu wissen, daß ich kein Kaviller bin!«
Der junge Mann erschrak. Er hatte eine Besänftigung des zornigen Herrn bezweckt und damit grad das Gegentheil erreicht. Und was das Schlimmste war: Worte wie die letzten, hatte derselbe noch nie zu ihm gesprochen. Deßhalb trat er leise vom Fenster zurück und beschloß, zu schweigen.
»Nun? Habe ich etwa nicht Recht?« fuhr der Oberst fort, und als keine Antwort erfolgte, frug er in gesteigertem Zorne: »Antworte Er! Was hat Er denn eigentlich hier bei mir zu suchen, wenn Er nicht reden will, he! Was will Er denn?«
Ja, das war nun freilich schlimm! Gesprochen mußte nun werden, aber das Richtige treffen, das war schwierig. Da nahm sich Heinrich des jungen Mannes an, freilich in einer Weise, die das Feuer nicht verminderte, sondern vielmehr Oel in dasselbe goß.
»Was er will, Dorchlaucht? Darum dürfen Sie keinen Zweifel haben, obwohl das Leben theuer ist[55] und so ein junger Mann theils auch gar manches braucht, was wir Alten längst vergessen haben.«
»Geld? Also Geld will Er schon wieder? Habe ich Ihm nicht erst vor acht Tagen Reisegeld geschickt, daß Er nach Hause kommen konnte? Mache Er sogleich, daß er hinauskommt, Er verschwenderischer Thunichtgut, sonst will ich Ihm die Wege weisen!«
Eine heiße tiefe Röthe hatte sich von der Stirn bis über den Nacken des Jünglings ergossen. Seine Gestalt richtete sich höher empor, und seine Augen funkelten vor innerer Erregung.
»Durchlaucht, ich gehe!« sprach er kurz und fest. »Keine einzige von den unzähligen Wohlthaten, welche Sie mir erwiesen, kann ich Ihnen vergelten, und darum wird mein Dank Ihnen für immer gewidmet sein; aber das Geld, den elenden Mammon, welchen Sie für mich ausgaben, ohne daß ich es von Ihnen fordern konnte, den werde ich Ihnen bei Heller und Pfennig zurückerstatten, darauf verlassen Sie sich! Was endlich den Thunichtgut betrifft und das aus der Thür werfen, so weiß ich eine gute Klinge zu führen, und ich denke, daß ich nicht vergebens um Genugthuung zu bitten brauche. Adieu!«
Er war fort, und die beiden Zurückgebliebenen blickten einander ganz verdutzt in die Augen.
»Heinz!« meinte endlich der Oberst, indem er die ausgegangene Pfeife fortlegte und nach einer neuen griff.
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Hast Du es auch gehört?«
»Weshalb denn?«
»Daß ich mich mit ihm schlagen soll?«
»Ja, Dorchlaucht. Der Kerl ist ein Esel!«
»Nein, Heinz, Du bist einer!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das – – –«
»Schweig! Der Junge hat ganz recht. Er hat mich nicht gezwungen, daß ich mich seiner angenommen habe, und es ist eine Schande, wenn ein Offizier und so weiter sich so wenig beherrschen kann, daß er einer elenden Ziege wegen so einen braven Buben kränkt und beleidigt. Uebrigens ist es geradezu eine Zumuthung für ihn, sich jeden einzelnen Groschen von mir erbitten zu müssen. Das muß anders werden! Lauf, Heinz, lauf, und hole ihn zurück!«
»Gleich, gleich, Dorchlaucht, obwohl ich schon zur Thür hinaus springe!«
Kein Auftrag war dem alten Stelzfuß jemals lieber gekommen, als der, welchen er jetzt ausführen sollte. Er stampfte so laut und eilfertig den Corridor vor, daß es klang, als setze sich ein ganzes Detachement Kavallerie in Bewegung. Bei dieser Anstrengung gelang es ihm auch, den Studenten noch unten im Hofe einzuholen.
»Schmidt! Herr Schmidt! Karl! Goldjunge! Bruderherz, heda!« Und als der Gerufene endlich hörte und stehen blieb, sauste er auf ihn zu: »Halt! Battaillon Front! Sie sollen sofort mit mir zum Herrn zurück, wofür er außerdem mich Ihnen selbst nachgeschickt hat!«
»Ich habe mit dem Herrn Obersten Nichts mehr zu sprechen!«
»Nein, das ist nicht nur wahr, sondern er hat auch desto mehr mit Ihnen zu sprechen. Kehrt! Marsch!«
In diesem kritischen Augenblicke bediente er sich des Kommandos seines Herrn, welchem er selbst so oft schon Folge geleistet hatte, und da er dasselbe aus aller Kraft mit den Händen unterstützte, so blieb es auch nicht ganz ohne Wirkung.
»So laß doch wenigstens los, Heinz! Wenn mich keine neue Beleidigung erwartet, so will ich mich entschließen, noch einmal mit hinauf zu gehen!«
»Beleidigung? Wo denken Sie hin! Er ist plötzlich so gut geworden, daß ich ihn vielmehr dagegen und aus diesem Grunde gar nicht wieder erkannt habe. Also vorwärts!«
Oben angekommen, stellte Schmidt seine Pfeife wieder in die Stube Heinrichs und trat aufs Neue bei dem Prinzen ein.
»Wo hat Er Seine Pfeife gelassen?«
»Sie steht drüben bei Heinz.«
»Warum bringt Er sie nicht mit?«
»Ich habe sie nie ohne den Befehl Ew. Durchlaucht mit hereingebracht.«
»Heiz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Hole sie herüber!«
Im nächsten Augenblicke befand sie sich in der Hand ihres Besitzers.
»Da stopfe Er sich einmal von diesem neuen Knaster! Komm Heinz, der muß so fein wie möglich geschnitten werden!«
Während Karl der Aufforderung des Obersten Folge leistete und seine Pfeife in Stand setzte, beschäftigten sich die beiden Andern einträchtiglich mit der Zerkleinerung einer mächtigen Rolle amerikanischen Wickeltabakes. Lange ward kein Wort dabei gesprochen, und es war Nichts zu vernehmen, als das Knirschen der Messer und das fleißige Paffen der sechs rauchenden Lippen. Trotz des geöffneten Fensters füllte sich das Zimmer mit einer wahren Unmasse dicken Rauches an, so daß ein Nichtraucher es wohl schwerlich lange darin ausgehalten hätte; aber das war ja grad die Atmosphäre, welche der »alte Knaster« so ungemein liebte, und je dichter sie wurde, desto mehr ließ sich auch nach und nach jenes behagliche Knurren hören, welches wir schon am Anfange unsrer Geschichte erwähnt haben.
»Heinz!« klang es endlich.
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Weißt Du, daß die Botenhanne den Fuß gebrochen hat?«
»Ja, Dorchlaucht.«[56]
»Wie geht es mit ihr?«
»Schlecht, Dorchlaucht, trotzdem sie vier kleine Kinder hat, wogegen der Vater im vorigen Frühjahr gestorben ist. Es ist ein Elend! Kein gescheidtes Bett und kaum ein Stückchen trockenes Brod. – – Dorchlaucht!«
»Was?«
»Soll ich ihr darüber ein paar Thaler hintragen?«
»Ist nicht nothwendig! Es hat schon vorgestern Jemand für sie gesorgt.«
Es war gut, das der Rauch so undurchdringlich war, sonst hätte die Röthe auf dem Gesichte Karls verrathen, wer dieser Jemand sei.
»Heinz!« ertönte es nach einer Weile wieder.
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Weißt Du, daß der Schneider Müller wegen Schulgeldern gepfändet werden sollte?«
»Nein, zumal das ein braver Kerl ist, der Tag und Nacht arbeitet, bis es ihm nicht gut aus der Hand geht und er auch niemals genug verdienen kann. – – Dorchlaucht!«
»Was?«
»Soll ich ihm ein paar Thaler hintragen?«
»Nein! es hat schon Einer das Schulgeld für ihn bezahlt.«
Wieder war es gut, daß der Tabaksqualm dem drohenden Verrathe steuerte.
»Heinz!« rief es jetzt zum dritten Male.
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Ich kenne einen Studenten, dem ist plötzlich der Vater gestorben, und nun fehlen ihm die nöthigen Mittel, die Universität weiter zu besuchen. Er hat Etwas gelernt, führt gute Conduiten, und es wäre jammerschade, wenn er die Carrière aufgeben sollte!«
»Das ist schlimm, Dorchlaucht, indem es kein Unglück giebt, wenn man Bauernknecht gewesen ist und nachher fürstlicher Leibjäger wird, sondern auch das ist viel trauriger, wenn man auf der Schule studirt hat und nachher ein Hans Staarmatz werden soll. – – Dorchlaucht!«
»Was?«
»Wollen wir dem Menschen helfen, hingegen wir ja auch nicht wissen, wie es uns noch einmal gehen kann?«
»Nein! Das ist nicht nöthig, da ein anderer Student ihn zu sich genommen hat und nicht nur Kost und Logis sondern auch sein Taschengeld mit ihm theilt.«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das ist ein tüchtiger Junge, den ich darauf wohl einmal kennen lernen möchte! Hat er Geld?«
»Nein. Seine Eltern sind selbst ganz arm, so daß er sie schon jetzt mit unterstützen muß. Zwar bekommt er von irgend Jemandem ein Weniges, aber das will nicht weit reichen, und da giebt er Privatstunden und schreibt Kollegienhefte für Andre, um sich Etwas zu verdienen.«
»Indem ich den Menschen nicht kenne, möchte ich zuweilen seinen Namen wissen. Wie heißt der Kerl, Dorchlaucht?«
»Heinz?«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Du bist ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich nicht, wo hingegen ich noch bei keinem andern Herrn gedient habe als bei Ihnen, so will ich doch einmal sehen, wer mich darüber einen Esel nennen kann!«
»Und doch bist Du einer!«
»In sofern denn?«
»Sonst müßtest Du ja lange wissen, von wem ich spreche!«
Jetzt erst ging dem alten, treuen Degenknopf ein Licht auf.
»Sapperlot, Dorchlaucht, dazumal bin ich auch gewiß und wahrhaftig einer, wogegen ich neben ihm sitze und mir doch nicht denken kann, wer es ist! Und das ist Alles wahr, von der Botenhanne, dem Schneider und sowohl auch von dem Studenten? Da ist es ja gar kein Wunder, wenn unsre Groschens auf die Neige gehen, indem folglich auch noch Dinge vorgehen werden, die wir noch gar nicht erfahren haben! – – Dorchlaucht!«
»Was?«
»Damals bin ich stets ein sparsamer Patron gewesen und heut noch weiß ich hin und wieder auszukommen, folglich habe ich noch niemals etwas von meiner Gage von Ihnen erbeten, indem ich mir nun jetzt erlaube, sie mir einmal auszahlen zu lassen!«
»Einen Theil oder ganz?«
»Ganz, Dorchlaucht!«
»Ganz? Wozu denn, Heinz?«
»Ich will nicht haben, daß er von wegen seinem guten Herzen noch ohnedies Hunger leiden soll!«
»Aber weißt Du denn, wieviel es ist?«
»Nein, weßhalb ich ja auch niemals ein großer Rechner gewesen bin.«
»Das müssen ja nun an die elf oder zwölf Tausend Thaler sein!«
»Elf –!! Zwölf –!!! Tausend –!!! Thaler –!!!! Dorchlaucht, dagegen müssen Sie sich stark verrechnet haben, indem ich heut Abend selbst erst einmal zählen will, obwohl ich Zeit dazu habe, wenn Sie schlafen gegangen sind!«
»Gut! Wenn Du Dein Geld haben willst, so kannst Du es Dir jederzeit auszahlen lassen; aber zu dieser Sache brauchst Du keinen Pfennig, denn da bin ich auch noch da!«
»Herr Oberst,« begann jetzt Schmidt, welcher bisher wie auf Kohlen gesessen hatte; »ich bitte mich auch fernerhin im Besitze meiner bisherigen kleinen Geheimnisse zu belassen!«
»Geheimnisse? Papperlapapp! Wenn nur nicht auch Er noch von Geheimnissen reden wollte! Glaube[57] Er ja nicht, daß mir Etwas an Ihm verborgen bleiben würde, wenn ich es überhaupt wissen und erfahren will. Ich kenne alle seine Streiche, die Ihm Sein gutes Herz gespielt hat, und ich kenne auch all die Stücklein, die Er vornimmt, um Andre an der Nase herum zu führen. Er ist ja ein dreimal umgewandter Kerl, vor dem man sich ordentlich in Acht nehmen muß, daß Er Einen nicht einmal beim Narren packt und vor der ganzen Menschheit schauderhaft blamirt!«
»Durchlaucht, wer mich gehen läßt, den lasse ich stets ungeschoren; wer aber mit mir anbindet, der darf sich immerhin in Acht nehmen!«
»So! Ich habe vorhin doch auch mit Ihm angebunden; da kann ich mich nun wohl immer vorsehen?«
»Was glauben der Herr Oberst! Ich werde es doch nimmermehr wagen, den Stab, mit welchem ich Andere messe, auch an Sie zu legen.«
»Pah, das ist eine faule Ausrede! Ein flotter Bursche kennt keine Ausnahmen, und der eigentliche Grund wird wohl ein noch ganz andrer sein: Er weiß, daß Er mit seinen Streichen bei mir an den Unrechten käme, denn wenn Er es einmal unternehmen sollte, mir einen Hasen anhängen zu wollen, so würde er denselben bald auf Seinem eigenen Buckel fühlen. Ich bin auch nicht ganz von gestern, habe mein menta ebenso gut declinirt wie Er und bin dann nach der Universität gestiegen, um mich so einige Semester mit Hinz und Kunz herum zu pauken. Dann kamen freilich die Kriegsjahre dazwischen, und ich habe das Cerevis über den Zaun geworfen, um den Reiterhelm dafür einzutauschen. Wie es nachher gegangen ist, das weiß Niemand besser, als mein alter Heinz, dem es das Bein gekostet hat; aber soviel ist sicher: gelernt, erfahren und mitgemacht haben wir genug und mehr, als daß es einem lustigen Bruder Studio gelingen sollte, uns schüchtern zu machen!«
Er hatte sich in eine wahrhaft rosenrothe Laune hineingequalmt, und da war dem alten Burschen schon einer seiner frappanten Einfälle zuzutrauen, zumal er sichtbar das Bestreben hegte, seine Härte von vorhin wieder gut zu machen.
»Ja, Dorchlaucht,« meinte Heinz, der sich von der Rede seines tapfern Obersten so gehoben fühlte, daß ihm das alte, wackere Herz, Generalmarsch schlug; »uns soll nicht etwa Keiner kommen, um uns für den Narren zu halten, wodurch wir ihn schön heimleuchten würden. Keiner nicht, und der Schmidt da erst recht niemals!«
Die Sache begann, dem unternehmungslustigen Studenten Spaß zu machen, doch hegte er eine zu große Hochachtung vor dem Prinzen, als daß er seine Gedanken anders als durch ein kurzes »Hm!« hätte ausdrücken mögen.
»Hm?« frug der Oberst. »Er will wohl gar an meinen Worten zweifeln? Da gebe ich Ihm doch gleich auf der Stelle die Erlaubniß, Sein Heil einmal an mir zu versuchen. Ich hätte grade einmal Lust, Ihm zu beweisen, daß wir ›Damaligen,‹ an die jetzt kein Mensch mehr denkt, auch unsre Meriten hatten und mit dem Juxe umzugehen verstanden. Also frisch ins Zeug! Er darf sich einmal einen Spaß mit uns machen, und je größer dieser ist, desto besser für Ihn; aber ich sage Ihm vorher, daß Er sich nicht zu viel vornehmen mag, denn ich werde Seinen Hieb so zu pariren wissen, daß er Ihm in das eigene Gesicht fahren soll!«
»Entschuldigung, Durchlaucht! Obgleich ich auf diesem Gebiete wohl allen nicht übermäßigen Ansprüchen gewachsen bin und das stets auch auszuführen weiß, was ich mir einmal vorgenommen habe, darf ich mich doch unmöglich unterstehen, auf Ihren interessanten Vorschlag einzugehen, da dies sich nur schwerlich mit der Ehrerbietung, welche ich Ihnen zolle, in Einklang bringen ließ!«
»Was? Er spricht vom Unterstehen, wo es sich um meinen Willen handelt? Nein, Er soll sich gar nichts unterstehen, Er soll nur meinen Willen respectiren! Und nun werde ich Ihm grad befehlen – hört Ers? – befehlen, mir einen Streich zu spielen! Ich sehe mich als alter Burschenschafter bei meiner Ehre angegriffen, und Er soll mir daher den Beweis führen, daß Ihr Jungen es weiter gebracht habt als wir Alten. Ich könnte Ihm so manches lustige Stücklein erzählen, über welches mir noch heut das Herz im Leibe lacht, und ich bin bei solchen Dingen niemals hinter der Fronte geblieben. Darum soll er mir jetzt einmal zeigen, was Er kann! Hat er mich verstanden?«
»Gewiß, Durchlaucht; aber lupus in fabula man soll sich Nichts wünschen, was man später gern ungeschehen machen möchte!«
»Bleibe er mir mit Seinen fremden Brocken so weit weg als es Ihm nur möglich ist. Er wird sich doch nicht etwa einbilden, daß ich mich vor Ihm fürchte? Bringe Er in Gottes Namen nur immer Seinen lupus herbeigeschleppt, wir werden ihm schon nach den Zähnen greifen! Und damit Er sieht, daß es mein vollständiger Ernst ist, so will ich Ihm Eins sagen: Er hat mir also während Seiner gegenwärtigen Ferienzeit einen recht tüchtigen Streich zu führen; gelingt Ihm dies, so verdoppele ich Ihm von jetzt an die Zuschüsse, welche Er bisher von mir erhalten hat; bleibt Er aber mit Seiner Weisheit sitzen, so bekommt Er keinen rothen Heller mehr aus meiner Kasse. Pasta, abgemacht!«
»Und wenn ich mich nun aus dem angegebenen Grunde weigere, auf das Ansinnen des Herrn Obersten einzugehen?«
»So ist das Larifari, und wir sind geschiedene Leute. Für Seine Ehrerbietung kaufe ich mir keine Pfeife voll des miserabelsten Schiebebockknasters, ein lustiger Streich aber erfreut das Herz und macht die alten Knochen jung. Und denkt Er vielleicht, daß ich[58] Ihm irgend Etwas übel nehmen könnte, so ist Er ja durch meinen Befehl sicher gestellt und ich weiß, daß Er bei Alledem die nöthige Rücksicht und Schicklichkeit nicht aus dem Auge setzen wird. Also schlage Er ein! Topp?«
»Topp, Durchlaucht! Sie haben es befohlen, und ich werde gern gehorsam sein.«
»Das will ich Ihm auch gerathen haben! Und damit Er sieht, daß ich ihm freundlich und gewogen bin, so mag Er sich vom Rentmeister unten zwanzig Thaler geben lassen; Er muß doch während der Zeit zu leben, zu trinken und zu rauchen haben! Den Zettel kann Er selbst schreiben; ich werde meinen Kratzfuß drunter machen. Dort steht die Tinte!« – –
So war denn wieder einmal einer jener »Affen« losgelassen, wie sie zuweilen auf Veranstaltung des »alten Knasters« aus dem Schlosse hinaus ins Freie sprangen und der Umwohnerschaft für lange Zeit willkommenen Stoff zur Unterhaltung gaben. Schmidt fertigte mit zufriedenem Lächeln die Anweisung aus; der Oberst unterschrieb sie, und Heinz machte dazu ein so fröhliches Gesicht, als habe er selbst dabei das große Loos gewonnen. Er hätte eine Uneinigkeit zwischen seinem Herrn und dem jungen Freunde auf seine alten Tage um Alles in der Welt nicht erleben mögen.
»Ist Ihm nun Seine verletzte Ambition wieder hergestellt?« frug der Oberst, als Karl sich nach längerer Zeit zum Gehen anschickte.
»Danke, Durchlaucht; ich kann zufrieden sein!«
»Nun, so halte Er die Ohren steif, daß Er recht bald etwas Ordentliches zu Wege bringt. Ich bin neugierig, mit was für einen unschuldigen Pudel Er sich herumplagen wird!«
Auf dem Corridore kam ihm Jungfer Adelinchen entgegen. Sie hatte schon längere Zeit auf ihn gewartet, um ihr Urtheil zu hören. Nach den letzen gemüthlichen Augenblicken kamen ihm die Klagen der zu einer so sonderbaren Strafe Verurtheilten nichts weniger als willkommen; aber er fühlte sich bald mit dem Zusammentreffen vollständig ausgesöhnt, denn bei dem Anblicke der Wirthschafterin schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf, der seine Lachmuskeln auf der Stelle so sehr und anhaltend in Bewegung setzte, daß Fräulein Adeline ganz erstaunt stehen blieb und ihn endlich mit beleidigtem Tone frug:
»Aber, Herr Schmidt, ich glaube gar, Sie lachen über mich! Was kommt Ihnen denn an mir so außerordentlich spaßhaft vor? Mein Herz ist voll Betrübniß über das Schicksal, welches ich hier zu tragen habe, und ich hatte bei Ihnen wenigstens so viel Sympathie und Mitgefühl erwartet, daß – –«
»Bitte, bitte, meine wertheste Mademoiselle, entschuldigen Sie meine Heiterkeit, welcher Sie leider einen ganz falschen Grund geben,« fiel er ihr in die Rede. »Ich verstehe die Gefühle Ihrer zarten Seele vollständig, und Sie wissen ja selbst, daß schon die einfachste Höflichkeit mir verbieten würde, eine so achtbare Dame in dieser betrübenden Weise zu beleidigen.«
»O bitte, nein, dann haben ja nur Sie zu entschuldigen, daß ich Sie so falsch verstehen konnte! Ist bei dem gnädigen Herrn das Gespräch auf mich gekommen?«
»Ja, aber leider müssen Sie alle Hoffnung auf eine Zurücknahme des grausamen Urtheiles ein für allemal sinken lassen. Er ist unerbittlich geblieben. Entweder holen Sie heut Abend die Ziege von Neudorf, oder Sie werden morgen früh ohne Gnade und Barmherzigkeit entlassen.«
»Herr Jemine! Und ich hatte meine ganze Hoffnung auf Ihre gütige Vermittelung gesetzt! Giebt es denn keinen Ausweg aus diesem Absyathe?«
»Nein, keinen, der unentdeckt bleiben könnte. Der Herr Oberst würde es ganz gewiß erfahren, wenn Jemand an Ihrer Stelle handeln wollte.«
»So muß es also doch noch sein! Ach mein lieber Herr Karl, ›Wer nie in kummervollen Nächten auf seinem Bette weinend saß!‹ das ist ein wahres Wort. Ihr Dichter habt doch immer Recht. Was mir die Unglücksziege heut schon für Kummer und Schmerzen bereitet hat, das kann kein Mensch glauben, nicht einmal Sie, und Sie sind doch der Einzige, welcher weiß, daß ich hier ›unter Seelen die einzige fühlende Larve‹ bin, wie unser ewiger Schiller sagt. Ich will nur gehen und meinen Gram tief in die Küche vergraben!«
Sie kehrte in ihr Ministerium zurück, und Schmidt ging zum Rentmeister, um sich die angewiesene Summe auszahlen zu lassen.
»So, da fühle ich endlich wieder den Nerv des Lebens in der Tasche,« meinte er, als er mit glücklichem Gesichte den Schloßberg wieder hinabstieg. »Der Alte ist und bleibt bei Alledem doch ein Prachtkerl, und es thut mir wirklich leid, daß ich ihn in diese tolle Geschichte verwickeln muß; aber er trägt die Schuld ja selbst, und wenn er seinen Befehl später bereut, so mag er das immer nur mit sich allein abmachen!«
Das Städtchen umgehend, gelangte er ohne weitere Begegnung an das kleine Häuschen, in welchem seine Eltern zur Miethe wohnten. Der Vater saß in dem Webstuhle, dessen Maschinerie er so eifrig mit Händen und Füßen bearbeitete, daß man in dem ärmlichen Stübchen kaum sein eignes Wort zu verstehen vermochte. Bei dem Eintritte des Sohnes ließ er eine Pause eintreten.
»Nun?« frug er mit erwartungsvollem Ausdrucke in den von Arbeit und Sorge frühzeitig gealterten Zügen.
»Alles gut!« erwiederte Karl, indem er in die Tasche griff. »Hier ist Geld, um den Zins zu entrichten und auch ein Weniges zu Brod und anderen Dingen.«
In dem Angesichte des Vaters wurde es hell, und auch die Mutter und Geschwister gaben ihre Freude[59] über die willkommene Hülfe zu erkennen.
»Hab Dank,« meinte der Erstere. »Wenn wir Dich nicht hätten, so würde es zuweilen wohl etwas mißlich mit uns aussehen. Es war mir Angst, daß der Alte vielleicht seine sparsame Stunde haben könne, und doch hätten wir ihm nicht bös darüber sein dürfen, da er erst so vor Kurzem in die Tasche gegriffen hat.«
»Ist die Noth am größten, so ist die Hülfe immer am nächsten,« meinte der Sohn, welcher wohl Grund hatte, den Seinigen Alles zu verschweigen, was auf dem Schlosse vorgegangen war. »Nun kannst Du gehen, um den Wirth zufrieden zu stellen, und dann giebt es noch einen Weg, den Du mir zu Liebe thun könntest.«
»Welchen?«
»Nach Neudorf. Du sollst Dir die Ziege einmal ansehen, welche dort bei dem Schulzen steht.«
»Warum?«
»Darnach darfst Du mich heut nicht fragen; es ist ein Geheimniß, welches der Prinz jetzt noch Niemandem wissen lassen will; in einigen Tagen aber wirst Du es schon erfahren.«
»Und warum soll ich mir die Ziege ansehen?«
»Weil ich bis heut Abend unbedingt einen Bock haben muß, der dieselbe Farbe und Größe hat wie sie.«
»Für wen?«
»Auch das wirst Du später erfahren.«
»Meinetwegen; ich kann warten. Was die Ziege betrifft, so kenne ich sie ganz genau; sie ist dreijährig, schwarz, mittelgroß und hat früher in der Polzdorfer Schmiede gestanden; ein Bock, der ihr ähnelt, wird sich leicht finden lassen.«
»Gut, hier hast Du Geld. Nach dem Mittagsessen magst Du Dir den Spaß machen und den Leinweber einmal mit dem Viehhändler vertauschen. Aber wie gesagt, die Sache muß in aller Stille abgemacht werden; es darf Niemand ahnen, daß ein Bock bei uns steht, und deshalb bringst Du ihn nicht eher, als bis es vollständig dunkel geworden ist.« –
So war es also ausgemacht, und so wurde es auch pünktlich besorgt. Als am Abende Jungfer Adelinchen ihre Wanderung nach Neudorf antrat und bei Schmidts, an deren Wohnung der Weg vorüber führte, erst einmal einkehrte, um ihrem bedrängten Herzen Luft zu machen, stak ein wunderschöner schwarzer, dreijähriger und mittelgroßer Ziegenbock in dem kleinen Schuppen, der sich an die Hinterseite des Hauses lehnte. Es war zu befürchten gewesen, daß er aus Verwunderung über den unverhofften Wohnungswechsel, den er erlitten hatte, in ein Selbstgespräch ausbrechen würde, welches seine Anwesenheit verrathen konnte, und so hatte man ihm die appetitlichsten Kräuter und das zarteste und saftigste Laubwerk servirt, um seinen Sprachwerkzeugen eine weniger gefährliche Beschäftigung zu geben.
»Was wird meine Schwester sagen, wenn ich ihr erzähle, daß ich in dieser Dunkelheit noch nach Neudorf auf den Ziegenhandel muß!« meinte die zornige Wirthschafterin, nachdem sie sich über die Gefühle ihres beleidigten Herzens gehörig ausgesprochen hatte. »Und heut ist noch dazu der Tag des heiligen Bartholomäus, wo es im Busche und auf den Kreuzwegen nicht recht geheuer ist! Du meine Güte, jetzt sollte mir gar noch etwas Ueberirdisches zustoßen; da wäre das Unglück voll und ich könnte meine arme Seele nur gleich in Frieden fahren lassen! Mir ist der Samiel nur einmal im Theater erschienen, wo er doch mit dem Publikum eigentlich gar nichts zu schaffen hat, aber ich habe doch einen Schreck davon getragen, der mir über ein Vierteljahr lang nicht aus den Gliedern gekommen ist. Wenn mich der, der Gott steh mir bei unterwegs anfiele, ich wäre auf der Stelle des Todes und die Ziege mit, denn so ein armes Thier ist auch nicht ohne Herz und Gemüthe geschaffen.«
»Was Ihre Frau Schwester betrifft,« antwortete der Student, »so braucht die ja von der Geschichte gar nichts zu erfahren; es ist besser, wenn man eine so unliebsame Sache ganz nur für sich behält. Und der Samiel, nun ja, der soll allerdings heut ganz bedeutend sein Wesen treiben, aber nicht mit den Menschen, sondern nur mit dem Gethier, welches nicht under Dach und Fach gehalten wird. Vor drei Jahren zu Bartholomäi hat der Ottendorfer Fleischer ein Kalb gekauft, und als er im Dunkeln nach Hause gekommen ist, hat er statt des Kalbes eine große sechsbeinige Katze hinter sich auf dem Wagen gehabt, die ihm in das Gesicht gesprungen ist, als er sie hat abladen wollen. Der Mann ist lange Zeit krank gewesen und geht nie wieder am Bartholomäustage zu Dorfe.«
»Herr Jemine! Das ist ja fürchterlich! Wenn ich nun statt meiner Ziege einen achtbeinigen Drachen mit nach Hause brächte? Wir wären ja auf dem Schlosse alle mit einander verloren!«
»Das wäre allerdings ein Unglück für die ganze Umgegend, denn so ein Lindwurm ist fast gar nicht umzubringen, nicht einmal mit Rattengift. Aber wenn Sie es richtig machen, kann Ihnen so Etwas ja gar nicht passiren.«
»Nicht? O bitte, mein lieber Herr Karl, sagen Sie mir doch, wie man es machen muß!«
»Man muß aller dreihundertdreiunddreißig Schritte einmal Halt machen und dreimal um das Thier, welches man zu transportiren hat, herumgehen; dann kann Einem gar nichts Ueberirdisches zustoßen.«
»Auch nichts Unterirdisches?«
»Nein; ich weiß das ganz genau, denn so steht es im siebenten Buche Mosis geschrieben.«
»Ja, Sie sind ein gescheidter junger Herr, der gar Vieles studirt hat, wovon andre Leute keine Ahnung haben. Darf man denn unterwegs auch einmal einkehren? Wenn ich bei meinem kurzen Athem den fürchterlichen[60] Neudorfer Berg hinaufsteige, so kann ich ganz gewiß nicht eher weiter, als bis ich mich ein Viertelstündchen verschnauft habe. Es ist ein wahres Glück, daß mein Schwager auf den Gedanken gekommen ist, oben eine Schänke hinzubauen; da kann man sich doch ausruhen, bevor es weiter geht!«
»O ja, einkehren können Sie; wenigstens habe ich nirgends gelesen, daß es Schaden brächte. Aber verzählen dürfen Sie sich nicht, sonst stehe ich für Nichts!«
Jungfer Adelinchen war im höchsten Grade abergläubisch; das wußte Jeder, der sie kannte, und so war es gar nicht zu verwundern, daß sie an der Wahrheit Dessen, was ihr der Bruder Lustig sagte, nicht den mindesten Zweifel hegte. Es gab für sie wohl kaum eine schwierigere Aufgabe, als die abendliche Wanderung nach Neudorf; aber sich am hellen, lichten Tage mit der Ziege sehen zu lassen, das wäre ihrem jungfräuligen Zartgefühle gradezu unmöglich gewesen. Es hielt sie wie bei den Haaren zurück; aber der »alte Knaster,« der Tyrann, verstand keinen Spaß, und so mußte sie trotz alles innern Wiederstrebens doch endlich sich verabschieden und den sauern und gefahrvollen Gang antreten.
Grad auf der Hälfte des Weges führte die Straße einen steilen Berg hinan, auf welchem sich zur Erleichterung des Vorspanns ein Einkehrhaus befand, mit dessen Besitzer, wie wir gesehen haben, die Wirthschafterin nahe verwandt war. Hier erholte sie sich eine kurze Weile von der Anstrengung, welche ihr das Ersteigen der Anhöhe verursacht hatte. Wiederholt schon war ihr der Gedanke gekommen, den Schwager nach Neudorf zu schicken und bei der Schwester seine Rückkehr zu erwarten, und obwohl sie recht gut wußte, daß er keine große Sympathie für sie hege, erzählte sie das Geschehene und trug ihm dann ihre Bitte vor. Leider aber hatte dieselbe nicht den mindesten Erfolg. Der Wirth war ein Schalk und außerdem ein guter Freund vom Studentenkarl, welcher heut am Nachmittage bei ihm vorgesprochen war und lange mit ihm geflüstert und gelacht hatte. So war also auch ihre letzte Hoffnung auf Hilfe geschwunden, und es blieb ihr nichts übrig, als weiter zu gehen.
Trotz ihrer außerordentlichen Furchtsamkeit und des heiligen Bartholomäustages kam sie glücklich in Neudorf an. Natürlich erstaunte man bei dem Schulzen nicht wenig über den seltsamen Besuch und den noch seltsameren Zweck desselben, und statt des erwarteten Mitleides wurde ihre lamentable Erzählung mit einem schallenden Gelächter belohnt, in welches sogar sämmtliche Dienstboten und Kinder mit einstimmten.
»Die Ziege ist mir nicht feil,« meinte der Schulze, indem er sich die Lachthränen aus den Augen wischte; »der Prinz aber soll sie haben, und zwar umsonst. Ich hoffe, daß er das Geschenk nicht zurückweisen wird. Kommen Sie, Fräulein, und sehen Sie sich das Thier einmal an, ob es Ihnen gefällt!«
Sie folgte ihm in den Stall, wo eine Magd grad beschäftigt war, die Ziege zu melken. Bei allen ihren persönlichen Eigenthümlichkeiten war Jungfer Adelinchen als eine sehr tüchtige Wirthschafterin bekannt, und so sah sie auch jetzt gleich auf dem ersten Blicke, daß das Geschenk des wohlhabenden Bauers ein sehr annehmbares sei.
»Die Ziege ist gut,« meinte sie, nachdem sie wie der gewandteste Fleischer die zukünftige Milchspenderin des »alten Knasters« in Griff und Tax genommen hatte. »Ich werde sie mitnehmen und dem Herrn sagen, daß er sie von Euch zum Geschenk erhalten soll. Erklärt er sich nicht damit einverstanden, so können Sie den Preis ja noch immer bestimmen. Sie haben doch wohl Jemanden, der sie mir bis an die ersten Häuser von Wildauen führen könnte? Er soll ein gutes Trinkgeld haben.«
Es war der letzte Versuch, den sie machte, sich den schweren Abend zu erleichtern, aber auch er mißglückte vollständig, denn der Schulze schüttelte mit einem höchst zweideutigen Lächeln den Kopf und antwortete:
»Ja, Leute habe ich wohl genug, aber ich darf Ihnen Niemanden mitgeben. Sie haben ja vorhin ausdrücklich erzählt, daß der Herr befohlen hat, Sie in eigener Person sollen die Ziege holen, und da ich den Obersten kenne, so weiß ich was für ein Donnerwetter über mich ergehen würde, wenn ich gegen seinen Willen handelte. Das Thier ist sehr fromm und geduldig und wird Ihnen wenig Beschwerden machen. Trinken Sie eine Tasse Kaffee mit uns; vielleicht kommt der Mond bald heraus, und dann ist es ja ein wahrer Spaziergang von hier nach Wildauen!«
Es wurde eine Tasse Kaffee getrunken, und noch eine, und wieder eine; aber der Mond wollte nicht erscheinen, und so mußte sie schon ohne ihn den »wahren Spaziergang« unternehmen. Erst wollte die Ziege nicht so recht vorwärts, aber als die letzten Häuser des Dorfes hinter ihnen lagen, schien sie verständigere Gedanken zu fassen und trollte recht wacker neben ihrer neuen Herrin her, welche nun begann, die zurückgelegten Schritte sorgfältig zu zählen. Es war ein wunderschöner, wenn auch dunkler Abend; aber in dem Herzen der Jungfer herrschten düstre Schauer, und ohne Unterbrechung lief ihr die Angst kalt den Rücken hinauf und kalt wieder hinab. Tausenderlei Gefahren schwebten für sie in der Luft, und bei jedem Geräusch glaubte sie eine derselben über sich herein brechen zu sehen. Die Ziege war kaum zu erkennen dazu klangen ihre Tritte so eigenthümlich knackend auf dem harten Boden, und ihre Umrisse schienen sich von Augenblick zu Augenblick zu vergrößern. Wie nun, wenn sie sich plötzlich in ein Krokodil, einen Riesenmolch oder in sonst ein Ungeheuer verwandelte? Hier gab es nur eine Rettung: so oft dreihundertdreiunddreißig Schritte zurückgelegt waren, mußte sie stehen[61] bleiben, und Adeline ging dreimal um sie herum. Dieses magische Zaubermittel wurde mit der größten Genauigkeit angewendet, bis man auf dem Berge vor dem Wirthshause stand, wo die Wirthschafterin endlich wieder frei Athem zu holen wagte. Sie band die Ziege vor der Thür an und trat in die Stube.
»Na, da bist Du ja,« meinte die Schwester. »Hast Du die Ziege?«
»Ja, ich habe sie. Wenn ich sie doch nur auch glücklich vollends heim brächte! Willst Du sie Dir einmal ansehen?«
Die beiden Frauen gingen mit der Laterne hinaus; der Wirth sah ihnen vergnügt lächelnd nach.
»Ein sonderbarer Gedanke von dem Schmidt!« brummte er vor sich hin. »Ich möchte nur den ›alten Knaster‹ sehen, wenn er hinter die famose Entdeckung kommt!«
Nachdem die Schwestern die Schönheiten des Thieres des Langen und Breiten belobt hatten, kehrten sie in die Stube zurück, und kaum war dies geschehen, so löste sich eine Gestalt drüben von dem Rande des Gebüsches und schritt dem Hause zu. Es war der Student, welcher den Bock am Stricke bei sich führte. Er hing ihn an dieselbe Stelle an, wo die Ziege festgebunden war, und machte sich dann schleunigst mit der Letzteren von dannen.
Einige Zeit später erschienen die beiden Frauen wieder unter der Thür, um Abschied von einander zu nehmen. Dieses Mal hatte der Wirth es so einzurichten verstanden, daß die Laterne zurückgeblieben war.
»Gute Nacht, Adeline. Komm wohl nach Hause!«
»Gute Nacht. Ich wollte, ich hätte die Ziege schon im Stalle!«
Sie löste den Knoten und führte, jetzt wieder genau die Schritte zählend, ihre Bartholomäuseroberung den Berg hinab. Der Bock merkte, daß es wieder heimwärts gehe, und hielt in Folge dessen so brav Schritt, daß Adeline nicht den mindesten Unterschied zwischen jetzt und vorher verspürte. Auch als sie ihn hielt, um den dreifachen Kreis um ihn zu beschreiben, traf sie auf keinen Widerstand, denn der Bock war über den sonderbaren Reigen so erstaunt, daß er gar nicht auf den Gedanken einer Störung kommen konnte.
So ging es, zwar immer unter Angst und Bangen, aber doch ohne Unfall und Hinderniß dem Städtchen zu, welches umgangen wurde, weil die Jungfer jede Begegnung vermeiden wollte. Auf dem Schlosse angekommen, führte sie das Thier sogleich in den Stall, wo sie es festband und noch im Dunkeln für Trank und Futter sorgte. Gemolken war die Ziege ja schon, und die Strapazirung des Körpers und der Seele hatte Adeline so ermüdet, daß sie so ungesäumt wie möglich in ihr Ministerium zu kommen trachtete, wo sie sich nach Bedürfniß pflegen und erholen konnte. –
Es war am andern Morgen. Wieder stand der Reiteroberst a.D., Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen am geöffneten Fenster, gehüllt in eine für das Auge fast undurchdringliche Tabakswolke, und wieder öffnete sich geräuschvoll die Thür, und mit fliegendem Morgenrocke und wehenden Haubenbändern rauschte Jungfer Adelinchen herein, das Kaffeebrett in den Händen.
»Guten Morgen, gnädiger Herr!« grüßte sie und richtete dabei einen weit besorgteren Blick noch als gestern auf das Riesenwolkengebirge.
Keine Antwort ertönte.
»Wie haben Ew. Gnaden zu schlafen geruht?« wagte sie zu fragen, trotzdem das Schweigen des Obersten deutlich zu erkennen gab, daß er sich in keiner launigen Stimmung befinde. Die Folge ließ auch gar nicht auf sich warten:
»Rede Sie doch, wie Ihr der Schnabel gewachsen ist! Oder glaubt Sie etwa gar, daß ich zu den Affen zähle, die sich mit albernen Redensarten anblasen lassen? ›Zu schlafen geruht!‹ Wenn ich schlafe, da ruhe ich, und wenn ich ruhe, da schlafe ich auch! Unsinniges Zeug! Geruhe Sie nur, sich so schnell wie möglich zur Thür hinaus zu machen, sonst soll Sie erfahren, wie ich geschlafen habe!«
Das sah sie allerdings schon jetzt so deutlich, daß er es ihr gar nicht erst noch zu sagen brauchte. Noch ehe er hinter den Rauchmassen hervorgetreten war, hatte sie das Brett auf den Tisch gestellt und verschwand dann so schnell, wie es ihr von ihrer außerordentlichen Korpulenz möglich gemacht wurde.
Statt sofort den Kaffee zu nehmen, griff der Prinz heut zuerst zur Milch, um dieselbe zu kosten. Kaum aber hatten einige Tropfen davon die Zunge berührt, so klang es mit schallender Stimme:
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?« frug es unter der geöffneten Thür, wo der stets bereite Diener erschien.
»Koste einmal!«
»Schon heut auch wieder? Gut, das kann ich trotzdem machen!«
Er schob den herabhängenden Schnurrbart in die Höhe, legte den Kopf nach hinten und goß sich so viel von der Milch in den weitgeöffneten Mund, als ihm bei dem zweifelhaften Zustande seiner Geschmacksnerven zum Kosten nothwendig erschien. Dann machte er die Augen zu und legte die Stirne in so zahlreiche Andachtsfalten, daß es schien, als wolle er die Ohren über dem Kopfe zusammenschlagen.
»Nun?«
»Ja nun! Das ist Milch, Dorchlaucht!«
»Das weiß ich! Aber was für welche?«
»Was für welche? Hm, Dorchlaucht, wie kann denn ich das wissen, demnach ich noch nie selbst gemolken worden bin!«
»Heinz, Du bist ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich nicht, insofern[62] ich mir den Esel schon so oft habe gefallen lassen müssen. Denn wiewohl ich auch auf Ehre und Reputation halte, kann es mir doch niemals lieb sein, wenn ich – – –«
»Heinz!« unterbrach ihn der Oberst.
»Was denn Dorchlaucht?«
»Bringe auf der Stelle die Jungfer herbei!«
»Da ist es wohl wieder Milch von der Kuh, Dorchlaucht, überdem sich die Neudorfer Ziege vielleicht gar gleich in der ersten Nacht auch aufgehängt hat? Ich stand gestern Abend am Fenster, als die Beiden mit einander durch das Thor getrieben kamen, folglich ist die Milch – –«
»Die Jungfer soll kommen. Kehrt! Marsch!«
Nach diesem Commando war jedes weitere Säumen gefährlich; Heinrich stampfte daher so schnell wie möglich hinaus und brachte nur wenige Augenblicke später die Wirthschafterin hereingeschoben. Ihr sonst hoch geröthetes Gesicht war heut blaß, und die Angst stand ihr deutlich auf der Stirn geschrieben.
»Was hat Sie mir heut für Milch gebracht?« klang es ihr drohend entgegen.
»Mein guter, gnädiger Herr Oberst, ich kann nicht dafür! Der heilige Bartholomäus ist – –«
»Was zum Kukuk hat denn der heilige Bartholomäus mit meinem Kaffee zu schaffen? Ich glaube Sie hat den Verstand verloren! Was für Milch Sie mir heut gebracht hat, will ich wissen!«
»Sie ist wieder von der Kuh, denn ich muß –«
»Von der Kuh?! Bomben und Granaten, ich soll wohl Ihre alte Kuh in Ewigkeit nicht wieder los werden? Ich denke, Sie hat eine Ziege gebracht!«
»Das ist auch geschehen, Herr Oberst!«
»Nun, warum hat Sie die nicht gemolken?«
»Es geht nicht!«
»Es geht nicht? Warum denn nicht?«
»Weil es unmöglich ist.«
»Es geht nicht – es ist unmöglich, das ist ja ganz dasselbe! Warum geht es nicht, warum ist es unmöglich, das will ich wissen!«
»Weil – weil – –«
»Nun, weil? Will Sie wohl endlich einmal mit der Sprache heraus?«
»Weil – weil es keine Ziege ist!«
»Was? Keine Ziege? Vorhin sagt Sie, daß Sie die Ziege geholt habe, und jetzt behauptet Sie, es sei keine Ziege. Himmelelement, Eins von uns Beiden muß den Verstand verloren haben, aber ich habe den meinigen noch! Warum ist es keine Ziege?«
»Weil – weil – –?«
»Herrrrrraus damit! weil – –?«
»Weil es ein Bock ist!«
»Ein Bock? Wa – wa – wa – waaas! Einen Bock hat Sie gekauft? Einen Ziegenbock? Und –! von –! diesem –! Ziegenbocke –! soll –! ich –! Kaffee –! trinken –?!! Weiß Sie alte Ofengabel denn wirklich eine Ziege noch immer nicht von einem Bocke zu unterscheiden? So Etwas ist noch nie dagewesen! So Etwas war bisher ganz unmöglich! So Etwas kann mich aus der Haut treiben! Bringt mir das Weibsbild einen Ziegenbock ins Haus!«
»Gnädiger Herr! Durchlaucht! Herr Oberst, ich bin wahrhaftig nicht Schuld daran, daß es ein Bock ist!«
»Sie nicht? Wer denn? Habe ich Ihr nicht befohlen, daß Sie in eigner Person nach Neudorf gehen und die Ziege kaufen soll?«
»Ja, und das habe ich auch gethan! Ich bin selbst nach Neudorf gegangen und habe mir die Ziege, die grad gemolken wurde, genau angesehen; der Schulze hat kein Geld dafür genommen, sondern dem Herrn Obersten ein Geschenk damit machen wollen. Meine Schwester draußen auf dem Berge hat die Ziege auch angesehen und – und – heut ist es ein Bock geworden!«
»Ein Bock geworden? Das will Sie doch nicht etwa mir weiß machen! Entweder hat Sie einen Bock gekauft, oder es ist Ihr ein Streich gespielt und die Ziege hier im Stalle umgetauscht worden.«
»Nein, gnädiger Herr, es ist dieselbe Ziege, ganz dieselbe Ziege; ich weiß es ganz genau und kann es mit tausend Eiden beschwören; aber gestern war der heilige Bartholomäus los und da ist aus der Ziege ein Bock geworden.«
»Der heilige Bartholomäus war los? Höre Sie, ich glaube, ich werde nun auch bald los sein! So Etwas ist doch seit Methusalems Esel noch nicht dagewesen! Hat das Frauenzimmer einen Bock für eine Ziege angesehen und schiebt, da sie sich vor Dummheit nicht zu lassen weiß, dem armen Heiligen die Schuld in die Schuhe! Das ist nicht nur dumm, das ist sogar schlecht und lästerlich, und ich werde Sie ganz exemplarisch dafür bestrafen! Sie wird den Bock so lange melken müssen, bis er Ziegenmilch giebt, hört Sie!«
»Herr Oberst, ich bitte um Gnade! Der Bartholomäustag ist gewiß und wahrhaftig ganz allein daran schuld. Vor drei Jahren hat der Ottendorfer Fleischer an diesem bösen Tage ein Kalb gekauft und als er es nach Hause gebracht hat, ist es eine zwölfbeinige Seeschlange gewesen. Ich weiß das ganz genau, denn der Fleischer hat es mir selbst erzählt. Er hat wohl an die vierzig Wochen darüber krank gelegen, und weil er vor Schreck mit den Händen nach hinten gefahren ist, hat er heut noch ganz deutlich die Seeschlange auf dem Rücken. Es ist ein Feuermaal wohl über eine Elle groß. Und mit meiner Ziege ist es ebenso. Die hat neben mir hergetrappst wie ein Elephant und ist mit jedem Schritte größer geworden, bis ich gar nicht mehr über sie hinwegsehen konnte. Und heut, ja heut ist es ein Bock!«
»Und da hat Sie nun wohl auch diesen Bock auf[63] dem Rücken, zehn Ellen groß?!« rief der Prinz, indem er mit großen Schritten in dem Zimmer auf und niederlief. Er war mit sich selbst im Unklaren, ob er vor Wuth zuschlagen, vor Mitleid weinen oder vor Humor laut lachen solle. In diesem Zweifel nahm er seine Zuflucht zu seinem gewöhnlichen Orakel:
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Was sagst denn Du zu der Bartholomäusziege?«
»Ich, Dorchlaucht? Obgleich ich in meinem Leben schon Manches erfahren habe, was Niemand hat begreifen können, so glaube ich auch schon ohne den heiligen Bartholomäus, daß es zuweilen Geister giebt, die trotzdem auch gar wohl in eine Ziege fahren können, denn es steht ja außerdem schon im alten Evangeliumbuche, daß der Beelsebub in die Schweine gefahren ist. Damals habe ich schon als Junge einen Schneider gekannt, der den Pillenschnitter machte, und der Pappelmüller hatte gar den Drachen.«
Der ehrliche Heinz stammte aus der guten, alten Zeit, welche gern jede unverstandene Naturerscheinung auf übernatürliche Wesen oder Kräfte zurückführte. Auch er hatte den in der Kindheit eingesogenen Aberglauben mit in die späteren Lebensjahre herübergenommen und ließ sich die vermeintlichen Heiligthümer der Jugend nicht gern antasten. Aber diese unerwartete Vertheidigung der Wirthschafterin ließ dem Prinzen sowohl das Lachen als auch das Weinen vergessen. Sich scharf auf dem Absatze herumdrehend, blieb er vor dem Diener stehen und rief:
»Was? Auch Du glaubst an die Faselei? Da habe ich es also mit lauter Narren zu thun!«
»Dorchlaucht, was sowohl die Narren betrifft, so ist das nicht wahr, als auch die Geschichte mit der Ziege ihre Richtigkeit haben kann. Ich könnte Manches erzählen, was ich selbst erlebt habe, indem es Niemand glauben würde. Das war damals; Sie standen mit mir in Frankreich, und wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier, die ganz verteufelt hübsch war, trotzdem wir Anno Vierzehn schrieben. Außerdem hatte sie das eine Auge auf mich geworfen und ich stehe eines Tages unter der Hausthür und putze grad mein Lederzeug, da kommt plötzlich ein –«
»Heinz, Du bist ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich nicht! Denn damit will ich blos sagen, daß der Bock wirklich eine Ziege gewesen sein kann; jedoch wenn wir ihn zurückschicken, so wird er in seinem alten Stalle gewiß wieder eine Ziege werden, wiewohl die Verzauberung nachher ihr Ende erreicht hat. Sie wissen, Dorchlaucht, daß ich der Jungfer gar nicht helfe, darum, was Recht ist, das muß auch Recht bleiben!«
»Gut, so heirathet einander! Dann könnt Ihr zum heiligen Bartholomäustage meinetwegen aus Rebhühnern Brüllaffen machen. Ich aber kann keine Leute gebrauchen, welche an dergleichen Albernheiten glauben. Macht, daß Ihr hinauskommt!«
»Dorchlaucht!«
»Gnädiger Herr Oberst!«
»Hinaus, sage ich!«
»Dorchlaucht, so gehe ich nicht, obwohl ich gar nicht ohne Sie leben möchte! Denn wenn Sie mich fortjagten, so würde ich mir theils eine Kugel durch den Kopf schießen, theils das Krakehllinchen heirathen, wie Sie sagen, was endlich Eins so schlimm ist wie das Andere. Also bitte ich – – –«
»Hinaus! Ich sage es zum letzten Male!«
»Dorchlaucht, da will ich es in Zukunft lieber leiden, daß ich ein Esel bin, worauf ich stets – –«
»Kehrt! Marsch!«
Diesen beiden Worten war nicht zu wiederstehen. Mit einem militärisch kräftigen Rucke drehte sich Heinrich nach der Thür und faßte die Wirthschafterin bei der Taille.
»Kehrt! Marsch! Hat Sie's gehört? Was steht Sie denn noch da wie Lots Hauskreuz und reißt den Mund sperrangelweit auseinander! Will Sie wohl gleich verschwinden, sonst werde ich nachhelfen!«
Er drängte sie zur Thür hinaus, die er hinter sich zuschob, und trat in sein Stübchen. Adeline eilte der Küche zu, um mit ihrem Aerger sich dort von der ungläubigen Menschheit zurück zu ziehen, begegnete aber dem Studenten, welcher, die lange Pfeife im Munde, gemächlich die Treppe herauf gestiegen kam.
»Herr Schmidt, ach, Herr Schmidt, was mir gestern und heut alles Schauderhaftes passirt ist, das halten Sie gar nicht für möglich!«
»Schauderhaftes? Fast könnten Sie mich gruselig machen! Was in aller Welt hat es denn gegeben? Sie haben heut ja eine wahre Gespensterfarbe!«
»Ja, es ist auch ganz und gar gespenstisch zugegangen. Denken Sie sich nur, ich muß mich gestern Abend mit der Dreihundertdreiunddreißig einmal verzählt haben, denn der heilige Bartholomäus hat mir meine Ziege in einen Bock verwandelt. Nun habe ich keine Milch gehabt und soll fortgejagt werden.«
»Was Sie mir da sagen! Haben Sie denn dem Prinzen die Sache auseinander gesetzt?«
»O ja, das versteht sich ja ganz von selbst; aber er glaubt einmal nicht an etwas Unmenschliches, und der Heinz wird auch entlassen. Ach, mein bester Herr Karl, kennen Sie das schöne Gedicht:
›Der Himmel hat eine Thräne geweint;
Die hat sich ins Meer zu verlieren gemeint;
Die Muschel kam und schloß sie ein:
Du sollst nun meine Perle sein!‹
Sehen Sie, diese Muschel bin ich, denn ich muß meine Thränen auch hinunterschlucken und in meinem Herzen verschließen. Ihr Dichter habt doch immer Recht. Wo werde ich nun wieder einen Prinzen herbekommen, für den ich waschen, kochen und braten kann!«
»Beruhigen Sie sich, meine beste Freundin; es[64] kann sich ja Alles noch zum Besten wenden! Ich werde mit dem gnädigen Herrn einmal über die Sache sprechen, und ich denke, daß es mir gelingen wird, seinen Zorn zu beschwichtigen.«
»O, wenn Sie das thun wollten, mein lieber junger Freund! Sie erweisen Heinz damit ja einen ebenso großen Gefallen wie mir.«
»Warum soll denn dieser den Abschied bekommen?«
»Weil er ausnahmsweise mir einmal Recht gegeben hat. Auch er ist überzeugt, daß der heilige Bartholomäus die Schuld an dem Bocke trägt, und ich könnte ihm dafür recht herzlich gut sein, wenn er nicht hinzugefügt hätte, mich heirathen sei ebenso schlimm wie eine Kugel vor den Kopf.«
»Das hat der alte Stelzfuß nicht so bös gemeint. Aber bitte, erzählen Sie mir doch Ihr gestriges Abenteuer ein weniger ausführlicher, als es bisher geschehen ist!«
Sie zog ihn in ihr Ministerium und gab ihm einen so eingehenden Bericht, daß wohl über eine Stunde vergangen war, ehe er die Küche verlassen konnte, um sich zu Heinz zu begeben.
Dieser saß in seinem alten Großvaterstuhl, hielt die ausgegangene Pfeife in der Hand und zog ein Gesicht, als habe er einen gußeisernen Kanonenofen vollständig ungekaut hinuntergeschluckt; doch hellten sich bei dem Anblicke des willkommenen Freundes seine finstern Züge sofort um einige Wärmegrade auf.
»Sie kommen grad recht,« begann er die Unterhaltung, »um zu sehen, worauf ich zum Hause hinausgeworfen werde, und zwar demnach, weil gestern der heilige Bartholomäustag gewesen ist, wo die Ziegen über alle Maßen dabei in Böcke verwandelt werden.«
Schmidt wurde verhindert, eine Antwort zu geben, denn die Klingel des Prinzen erscholl, und zu gleicher Zeit rief es durch die sich öffnende Thür des Nebengemaches.
»Heinz!«
Der Diener ließ die Pfeife auf den Fußboden fallen und stand im nächsten Momente draußen. Der Ruf des Prinzen war ihm mehr werth, als das kostbarste Geschenk, welches ihm Jemand hätte machen können.
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Schmidt soll kommen!«
»Sobald auf der Stelle, Dorchlaucht!«
Er faßte den jungen Mann und stieß ihn in größter Eilfertigkeit zur Thür hinein.
»Hiermit kommt er schon, Dorchlaucht!«
»Wo treibt Er sich denn eigentlich herum?« begrüßte der Oberst den Eintretenden. »Er ist nun vor länger als einer Stunde unten durch das Thor gegangen und läßt sich noch immer nicht bei mir sehen!«
»Verzeihung, Durchlaucht! Ich hatte soviel Trost zu spenden, daß ich unmöglich eher kommen konnte.«
»Trost? Das lasse Er nur bleiben, denn wer auf Seinen Trost angewiesen ist, der ist sicher halb verrathen und dreiviertel verkauft! Wo hat Er denn Seine Pfeife?«
»Ich habe sie bei Heinz abgestellt.«
»So, bei dem schmeckt es Ihm wohl bedeutend besser als bei mir, he?«
»Nein; aber ich darf doch unmöglich wagen, ohne besonderen Befehl – – –«
»Schon gut! Recht hat Er, das ist wahr; aber gehe Er hinüber und hole Er sich seine Lange; wir wollen einige Köpfe voll verknallen!«
»Befehlen der Herr Oberst, daß ich für Sie stopfe, oder – – –?«
»Hm! Er ist ein Tausendsapperloter. Glaubt Er denn, daß ich nicht merke, wo Er hinzielt? Fängt da der Kerl noch in seinen alten Tagen von dem heiligen Bartholomäus, dem Pillenschnitter, dem Drachen und was weiß ich Alles an zu faseln! Na, er mag mit herüber kommen, denn es versteht doch weiter Niemand meine Holländischen so recht nach meinem Gusto zu behandeln!«
So war denn vor der Hand Waffenstillstand geschlossen; die drei Männer saßen grad wie gestern rauchend und erzählend beisammen, und als der Prinz die beiden Andern endlich verabschiedete, wandte er sich an Heinz mit der Entscheidung:
»Heinz, Du bist ein Esel; aber Du sollst trotzdem noch einmal bei mir bleiben dürfen; doch fange mir ja nie wieder von Deinen vertrakten Teufelsgeschichten an, sonst ist es mit uns Matthäus am Letzten!«
»Dorchlaucht, neben diesen Sachen wissen Sie doch, daß Sie sich stets auf mich verlassen können, und dementgegen freut es mich von ganzem Herzen, warum wir wieder Eins sind!«
»Gut! Aber denke ja nicht etwa, daß Du ohne Strafe wegkommst! Du hast gesagt, wenn der Bock wieder in seinen alten Stall gebracht werde, so müsse der Zauber aufhören und es werde wieder eine Ziege aus ihm werden. Gut, das sollst Du mir beweisen! Und so wirst Du denn heut Abend mit der Jungfer den Bock wieder nach Neudorf schaffen – verstehst Du wohl? Du selbst mit der Jungfer – und mir die Ziege bringen, in welche er sich umgewandelt hat.«
»Dorchlaucht, das dürfen Sie ungefähr nicht von mir verlangen, dabei ich mit meinem hölzernen Beine im ganzen Leben nicht nach Neudorf komme. Inzwischen ist es mir ganz und gar nicht gegeben, mit dem Krakehllinchen des Nachts allein draußen herumzulaufen, und auf diesen Fall mag also die Jungfer ihren Ziegenbock allein nach Hause schaffen!«
»Daraus wird Nichts! Du hast die Wahl: entweder schaffst Du den Bock mit fort, oder Du bist entlassen. Der Schmidt kann heut Abend an Deiner Stelle bei mir bleiben, damit ich mich nicht langweile. Ich[65] will Euch schon Euren Bartholomäus aus dem Kopfe treiben und Euch zur Einsicht bringen, daß Bock, Bock und Ziege, Ziege ist. Morgen will ich meine gewohnte Ziegenmilch haben; dabei bleibt es. Kehrt! Marsch!« –
»Was sagen Sie dagegen?« frug Heinz draußen vor der Thür den Studenten. »Darum ist es eine sehr schlechte Angewohnheit von ihm, auf den geringsten Fehler eine Strafe zu setzen, wiewohl er das noch vom Militär her hat. Aber gehen Sie jetzt, somit er Sie nicht wieder fragen kann, wo Sie sich herumtreiben.«
Schmidt folgte diesem Rathe. Es war ihm zwar nicht angenehm, daß er auf den Abend dem Prinzen Gesellschaft leisten sollte; aber er wußte, daß er sich wegen des Umtausches sehr wohl auf den Wirth verlassen könne, und so begab er sich denn noch im Laufe des Vormittags nach der Bergschänke, um ihn von dem Nöthigen zu unterrichten. –
Der Abend war kaum hereingebrochen, so fanden sich Heinz und die Jungfer im Stalle zusammen.
»Leuchte Sie doch einmal ordentlich her,« meinte der Erstere, dessen Stimme man es anhörte, daß er nur dem Zwange folge; »ich will mir den Leviathan erst einmal richtig ansehen, darum ich weiß, woran ich bin. – Ja, das ist ein Ziegenbock; wer das nicht sieht, der ist dümmer als eine alte Jungfer, und das will doch viel sagen!«
»Höre Er, soll das etwa auf mich gehen? Dann werde ich mir solche Grobheiten ganz nachdrücklich verbitten!«
»O nein, denn Sie ist auch ohne Ihre alte Jungferei niemals so recht klug zwischen den Ohren gewesen. Ich kann Ihr das sehr gut beweisen, versteht Sie mich wohl? Und nun passe Sie auf, was ich Ihr sage! Von hier bis Neudorf führt sie den Bock, und ich gehe dahinter her, um ganz genau Achtung zu geben, ob er umgewandelt wird, und von Neudorf bis hierher führe ich die Ziege, und Sie geht dahinter her. Aber nehme Sie Verstand an, und laufe Sie nicht wie ein Scheerenschleifer; mein Holzstummel ist keine Locomotive!«
»Darüber braucht Er gar keine Sorge zu haben; mein Asthma versteht auch keinen Spaß!«
»Gut, da wären wir also einig, und es kann losgehen, aber nicht etwa durch die Stadt, sondern fein hinten herum, sonst stehen wir übermorgen im Wochenblatte und werden darunter ausgelacht nach Noten. Hier ist der Strick. Vorwärts, marsch!«
Heut fühlte Adeline bei Weitem nicht die Angst, mit welcher sie gestern denselben Weg angetreten hatte. Sie war ja nicht allein und kannte Heinrich als einen Mann, der zwar steif und fest an Geister und Gespenster glaubte, aber ganz gewiß muthig Stand halten würde, wenn sich etwas ungewöhnliches zutragen sollte. Sie hegte vor ihm ganz denselben Respect, den er gegen seinen Herrn an den Tag legte, und da sie wußte, daß er zu einer Plauderei mit ihr niemals aufgelegt sei, so schritt sie schweigsam voran und sorgte dabei mit allem Fleiße dafür, daß er sich nicht über ihre Schnelligkeit zu beklagen habe.
So ging es still und langsam den Berg hinan, wo sie bald an das Wirthshaus gelangten. Hier blieb die Jungfer stehen.
»Ich kann jetzt partout nicht weiter,« seufzte sie, tief Athem holend, »und muß mich unbedingt da drin ein Wenig verschnaufen, ehe ich wieder gehen kann. Will Er wohl so gut sein und den Bock halten, bis ich herauskomme?«
»Was fällt Ihr denn eigentlich ein? Glaubt Sie etwa, daß ich Ihr Ziegenjunge bin, den Sie mit Ihrem Hepphepp hinstellen kann wo es Ihr beliebt? Indem hat Sie ja von Wildauen bis Neudorf für diese Kreatur zu sorgen, wogegen mir mein Bein so viel zu schaffen macht, daß ich mich ebenso ein Bischen niedersetzen muß wie Sie! Hänge Sie Ihren Kameraden hier an die Querstange; es wird ihm während der paar Minuten, welche wir in der Stube sind, Niemand das Fell über die Hörner ziehen!«
Gesagt, gethan! Der Bock wurde angebunden, und die Beiden traten in das Haus. Noch aber hatte sich die Thür nicht lange hinter ihnen geschlossen, so kam der Wirth mit der Ziege um die Ecke geschlichen, um die Verwechselung zu besorgen. Die Wirthschafterin stattete der Schwester und dem Schwager einen langen Bericht über ihr gestriges Abenteuer ab und hätte wohl gar kein Ende ihrer Klagen gefunden, wenn Heinrich nicht darüber die Geduld ausgegangen wäre.
»Na, höre Sie endlich einmal auf, zu lamentiren, wiewohl die Sache dadurch gar nicht anders wird und wir dafür noch einen weiten Weg haben. Heut wird es schon anders werden, sondern ich lasse mich von keinem Bartholomäus an der Nase herumführen. Vorwärts, daß wir sobald nach Neudorf kommen, indem wir vielleicht nachher noch auf eine Minute hier wieder zusprechen!«
Sie gingen. Adeline nahm die Ziege an sich, und Heinz bildete wie vorher die Nachhut.
»Na, sieht Sie, daß er das Fell noch hat? Zudem scheint es mir überhaupt, als ob gestern die Sache gar nicht mit unrechten Dingen zugegangen sei. Ein Geist kann wohl eine Ziege in ein Kameel oder in einen Haifisch verwandeln, einen Bock aber wird er demnach niemals aus ihr fertig bringen. Sie hat eine Ziege angesehen und gehandelt und daher beim Fortgehen sich vergriffen und einen Bock erwischt!«
»Das mache Er mir nicht weiß,« ertönte im beleidigten Tone die Antwort. »Es ist gar kein Bock im Stalle gewesen!«
»So? Na, wir werden das ja nachher sehen, ob gleich der Heinz der Geschichte ganz gewiß noch auf die Spur kommen wird!«
»Ja, Er ist immer klüger als andre Leute!«[66]
»Das ist wahr; aber Sie kommt mithin immer noch über mich!«
Sie schwieg, und er war ganz damit einverstanden. Trotz ihres Körperumfanges und seines Stelzfußes kam man jetzt bergab schneller vorwärts; die Lichter des Dorfes blickten ihnen entgegen, und bald standen sie vor dem Schulzengute, an dessen Thore sie um Einlaß klopften. Ein Knecht kam, um zu öffnen.
»Gebt einmal die Ziege heraus,« redete Heinz ihn an, »zudem Ihr hier der Jungfer gestern einen Bock aufgehängt habt!«
»Einen Bock?« war die erstaunte Antwort. »Bei uns hat es im ganzen Leben keinen Ziegenbock gegeben. Da muß ein Irrthum vorliegen!«
»Nein, darauf giebt es nicht den mindesten Zweifel. Wo ist der Schulze?«
»Drin in der Stube.«
»Er soll herauskommen und hierbei eine Laterne bringen!«
Der Knecht entfernte sich. Sein Bericht brachte nicht blos den Schulzen, sondern sämmtliche Hausbewohner auf die Beine, die bald alle mit einander um die Ziege standen.
»Einen Bock hätten wir dem Fräulein gegeben?« frug der Gutsherr. »Das könnte ich nicht begreifen. Zeigt einmal her!«
Er beleuchtete das Thier mit der Laterne, und kaum war der erste Lichtschein auf dasselbe gefallen, so erhob sich ein so dröhnendes Gelächter, daß selbst die Ziege sich hingerissen fühlte und ein verwundertes Meckern hören ließ.
»Ein Bock soll das sein? Was? Wenn das keine Ziege ist, so fresse ich sie auf der Stelle mit Haut und Haar! Wo habt Ihr Leute denn nur Eure Augen gehabt?«
Das war nun allerdings ein ganz und gar unbegreiflicher Fall, und die beiden prinzlichen Dienstboten gukten einander so verdutzt in das Gesicht, daß das Lachen mit neuer Stärke begann und gar nicht enden wollte. Das brachte Heinz wieder zu sich selbst.
»Wollt Ihr wohl sobald auf der Stelle Ruhe geben, Ihr unverständiges Volk Ihr! Ich sage Euch, daß es zudem ganz gewiß ein Bock gewesen ist; wir haben ihn Alle gesehen, und das Krakehllinchen hat ihn geführt, worauf ich hinterher gegangen bin, dafern ich die Verzauberung gleich bemerken könnte. Da ist der heilige Bartholomäus Schuld, von woher Ihr aber nichts versteht und begreift. Packt Euch in Eure Stube und lacht über Eure eigne Unwissenheit. Gute Nacht!«
»Gute Nacht!« rief es unter einem förmlich wiehernden Gelächter aus allen Kehlen, denn die eigenthümliche und geheimnißreiche Strafrede Heinrichs hatte die Lustigkeit nur vergrößert, anstatt sie zu vermindern. Der Letztere aber stampfte, die Ziege am Stricke hinter sich herzerrend, mit wüthenden Geberde, zum Thore hinaus und blieb erst stehen, als er die jammernde und athemlose Stimme der Wirthschafterin vernahm.
»Herr Jemine, Herr Jemine, so laufe Er doch nicht, als ob Er den Verstand verloren hätte! Wer soll denn bei einer solchen Hetze Schritt mit Ihm halten!«
»Das ist wohl auch ein Wunder wenn man wilde wird?! Komme Sie einmal her; ich will Sie Etwas fragen!«
»Da bin ich! Nun?«
»Hat Sie gestern wirklich diese Ziege hier mit fortgenommen?«
»Ja; ich will gleich sterben, wenn es nicht wahr ist!«
»Und Sie hat ganz dieselbe Ziege sowohl dann nach Wildauen gebracht und in den Stall gesteckt?«
»Ganz dieselbe!«
»So ist es kein anderer Mensch als der heilige Bartholomäus gewesen, ganz gewiß und wahrhaftig kein anderer! Heut aber hat der nichts mehr zu befehlen, denn es regiert der heilige Ludwig, was ein sehr guter Patron sein soll, zumal ich extra darüber im Kalender nachgeschlagen habe. Wir brauchen uns also keine Sorge zu machen und werden dafür die Ziege glücklich nach Hause bringen.«
»Das wäre zu wünschen!« erwiederte die noch immer zweifelnde Wirthschafterin. »Ich werde doch ganz genau Acht geben, ob vielleicht wieder Etwas mit ihr vorgeht; und aller dreihundertdreiunddreißig Schritte machen wir Halt und gehen dreimal um das Thier herum.«
»Aller – –?! Was fällt Ihr denn da ein? Was hat die Dreihundertdreiunddreißig mit der Ziege zu schaffen?«
»Das ist ein Gegenzauber, daß sie nicht wieder verhext wird. Er hilft ganz gewiß, wenn man sich nicht verzählt, denn ich habe es im siebenten Buche Mosis gelesen.«
»Sie? Schwatze Sie doch keine solchen Dummheiten, indessen Sie nicht einmal ein Recept zur Kartoffelsuppe aus Ihrem Kochbuche herausstudiren kann, zufolge das siebente Buch Mosis gar noch in chinesischer Sprache geschrieben ist, worin nicht einmal ich ein Wörtchen verstehe, was weniger so ein altes Blinsenkasserol wie Sie. Sie weiß doch, daß mich Nichts so sehr in Wuth bringen kann, als wenn Sie, nämlich Sie, mir Etwas weiß anstreichen will. Macht Ihr das Zählen und Herumtanzen Vergnügen, so will ich selbst mich Ihr zur Verfügung stellen. Um mich kann Sie also meinetwegen aller drei Schritte dreihundertdreiunddreißig Mal herumlaufen, worüber ich Ihr mein Wort gebe, daß ich mich dadurch nicht verzaubern lasse; meine Ziege aber lasse Sie sodann mit diesen Narrenspossen in Ruh!«[67]
Auf eine so energische Weise zurückgewiesen, hielt Adeline es für das Beste, zu schweigen, und so setzten sich denn die drei Leidensgefährten wieder nach Wildauen zu in Bewegung. Beim Bergwirthshause angekommen, blieb Heinz stehen.
»Geht Sie noch einmal mit herein? Mir ist der Aerger dazumal so in das Bein geschlagen, daß es mir ganz schwach drin wird.«
»Ich gehe mit; ich koche förmlich vor Asthma!«
»Na, indessen komme Sie rasch, sonst wird ein schöner Pflaumenmuß fertig werden!«
Die Ziege wurde natürlich angebunden, und sodann erhielten die Wirthsleute eine ausführliche Beschreibung des letzten Neudorfer Erlebnisses. Der Wirth mußte sich alle Mühe geben, ernsthaft zu bleiben; die Wirthin aber schüttelte ein Mal über das andere den Kopf, schlug vor Erstaunen die Hände zusammen und ging schließlich mit dem Lichte hinaus, um das unbegreifliche Thier nochmals und zwar genauer in Augenschein zu nehmen.
»Es ist dieselbe Ziege, die ich gestern gesehen habe,« entschied sie. »Wie ein Bock d'raus werden kann, das ist mir vollständig unbegreiflich!«
»Ich habe Dir ja gesagt,« erwiederte ihre Schwester, »daß am Bartholomäustage alles Gethier, welches sich nicht unter Dach und Fach befindet, in Gefahr kommt, verwandelt zu werden.«
»Ach, gehe mir mit Deinem Aberglauben, der –«
»Aberglauben? Du weißt ja gar nicht, was Glauben und was Aberglauben ist! Wenn Du so wie ich den Samiel auf dem Theater gesehen hättest, so würdest Du ganz anders reden!«
»Jawohl!« stimmte Heinz bei. »Den Samiel habe ich nicht gesehen, trotzdem ist das auch gar nicht nothwendig, weil ich an seiner Stelle noch ganz andere Dinge erfahren und erlebt habe. Wem der Wind so um die Nase gepfiffen ist, wie mir, der kann darauf auch ein Wörtchen mitreden, indem mir einmal Etwas passirt ist, worin ich ganz genau beweisen kann, daß es Manches giebt, was sich nicht begreifen läßt. Das war nämlich damals Anno Vierzehn, als der Oberst mit mir in Frankreich stand, und wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier. Sie war nämlich ganz verteufelt hübsch und hatte daher ein solches Auge auf mich geworfen, daß ich eines Tages mich unter die Thür stellte, um mein Lederzeug zu putzen. Da kommt plötzlich ein – – –«
»Es wird wohl bald zu regnen anfangen,« unterbrach ihn der Wirth, welcher auf einige Augenblicke hinausgegangen war. »Der Himmel ist trübe und schwer, und die Luft wird nebelig.«
»Sapperlot, Jungfer, trotzdem müssen wir machen, daß wir so schnell wie möglich nach Hause kommen. Sogleich ich einmal naß werde, ist der Rheumatismus da, obwohl ich ihn dann unter vierzehn Tagen gar nicht wieder los werde. Vorwärts, marsch!«
Es war nicht so gefährlich mit dem Regenwetter; aber der Wirth mochte seine Gründe haben, den Bock sobald wie möglich los zu werden. Heinz löste ihn ungeschaut von der Stange und humpelte in möglichster Eile voran, um so trocken wie möglich nach Hause zu kommen. Adeline that fast über die Gebühr, Schritt mit ihm zu halten, und so erreichten sie das Schloß in weit kürzerer Zeit, als es sonst der Fall gewesen wäre. Ohne sich auf dem Hofe zu verweilen, ging es nach dem Stalle, wo Heinz das Thier an dem ihm bestimmten Platze festband.
»Da haben wir die alte Liese also doch noch glücklich hergebracht,« meinte er, »und wer mir nun außerdem sagt, daß es ein Bock ist, der soll darüber sehen, mit wem er es zu thun bekommt!«
»Ja, es ist beim Ludwig eine ganz andre Sache als beim Bartholomäus. Da ist Futter. Ich bin todtmüde und werde machen, daß ich zu meiner Ruhe komme!«
»Thue Sie das, obgleich es mir nicht so wohl wird, da der Alte noch Licht hat und mit dem Schmidt gewiß noch bei der Pfeife sitzt. Insofern muß ich mir also auch noch eine anstecken. Aber verschlafe Sie es ja nicht, womit Sie weiß, es ist von wegen der Milch!« – – –
Wie gewöhnlich nach vollbrachter Nachtruhe, stand am andern Morgen der Oberst wieder am geöffneten Fenster, so eingehend mit seiner holländischen Thonpfeife beschäftigt, daß es ihm fast unmöglich war, durch die Rauchgardine die vor ihm sich ausdehnende Landschaft zu erkennen. Da öffnete sich die Thür, aber nicht geräuschvoll wie gewöhnlich, und hereinrauschte nicht wie sonst mit fliegendem Morgenrocke und wehenden Haubenbändern Jungfer Adelinchen, sondern sie trat so verzagt und zögernd in das Zimmer, als gehe sie einer Verurtheilung zu lebenslänglichem Gefängnisse entgegen.
»Guten Morgen, gnädiger Herr Oberst!« grüßte sie kleinlaut.
Dieser Ton war so selten bei ihr, daß der Prinz sich überrascht und schnell nach ihr umdrehte; unglücklicher Weise aber schlug bei dieser plötzlichen Bewegung die Pfeife an eine Pfeilerecke und fiel klirrend zu Boden. Das war ein Ereigniß, welches wie kein anderes geeignet war, den leidenschaftlichen Raucher aus dem Gleichgewichte zu bringen.
»Alle Bomben und Granaten, da liegt sie, in lauter Stücke zerbrochen! Und so lange ich lebe, hat mir noch keine so gut geschmeckt, wie diese! Ich hatte sie mir gestern Abend selbst gestopft, und nun – – na, was steht Sie denn da wie angenagelt, he? Weiß Sie nicht, was Sie zu thun hat? Will Sie wohl gleich den Kaffee fortstellen und hier die Scherben auflesen und hinausschaffen!«
Unter solchen Verhältnissen war nun allerdings[68] kein Wort zu verlieren. Sie suchte die Trümmer des verunglückten Instrumentes zusammen und verschwand so schnell wie möglich aus dem Zimmer, obgleich sie wußte, daß sie dasselbe schon nach wenigen Augenblicken wieder betreten müsse.
Da ihm der eine Genuß verdorben worden war, so entschloß der Prinz sich zu dem zweiten. Er hatte schon zwei Tage lang auf den gewohnten Morgenkaffee verzichten müssen; heut stand das aber nicht zu befürchten, denn Heinz hatte ihm noch gestern Abend gemeldet, daß die Ziege glücklich eingetroffen sei. Er trat zum Tische, um nach der Tasse zu greifen, drehte sich aber sofort mit enttäuschter Miene nach der Thür:
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?« frug der Gerufene, indem er hereintrat.
»Koste einmal die Milch!«
»Hm! Eigentlich schon wieder? Dieses Mal ist sie ohnedies von der Ziege!«
Er näherte sich dem Kaffeegeschirr und streckte den Arm aus, um dem erhaltenen Befehle nachzukommen; dann aber machte er ein Gesicht, als stehe er grad da, wo die Welt mit Brettern verschlagen ist und blickte dabei den Obersten so rathlos an, daß dieser auf einen kurzen Moment seinen Zorn vergaß und sich eines Lächelns nicht erwehren konnte.
»Nun?«
»Ja, nun, Dorchlaucht. Es ist ja keine da!«
»Das ist es ja eben. Zweimal Kuhmilch und nun gar keine! Die Jungfer soll kommen!«
»Keineswegs und ohne Verzug, Dorchlaucht. Ich springe schon!«
Wie der Wind war er hinaus, und kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, so öffnete er sie wieder und dirigirte die Wirthschafterin mit solchem Nachdrucke herein, daß sie trotz ihrer Schwere einen Salto mortale schoß, welcher sie bis unmittelbar vor ihren Herrn brachte.
»Wo ist die Milch?« frug dieser mit unheildrohender Miene.
»Mein bester, gnädigster Herr Oberst, ich habe keine mitbringen können.«
»Warum nicht?«
»Kuhmilch haben Sie verboten, und Ziegenmilch ist keine da.«
»Keine da? Warum nicht? frage ich noch einmal!«
»Ich kann die Neudorfer Ziege nicht melken?«
»Was? Nicht melken? Aus welchem Grunde?«
»Weil sie schon wieder ein Bock ist!«
»Schon wieder ein Bock? Entweder ist Sie verrückt oder die Ziege oder ich, oder wir haben alle zusammen den Verstand verloren! Der Heinz sagte mir doch, daß Ihr wirklich die Ziege gebracht hättet!«
»Ja, Dorchlaucht, das habe ich gesagt, und das sage ich auch jetzt noch, wiewohl es in Wirklichkeit gewiß und wahrhaftig auch gar kein Bock gewesen ist. Und erst vor einigen Augenblicken habe ich die Thür aufgemacht und hinter in den Stall gesehen; da hat sie gestanden wie sie leibt und lebt, die Ziege von gestern, und wenn das ein Ziegenbock ist, so habe ich überdies den rothen Staar bekommen und sehe eine Truthenne für ein Kutschpferd an!«
»Nun, was sagt Sie dazu? Sie ist reineweg übergeschnappt; anders ist es gar nicht möglich! Schon vorgestern ist es die richtige Ziege gewesen, aber Ihre Mondscheinduselei und die Reimseufzer haben Ihr den Kopf so vollständig verdreht, daß Sie die Ziege auch verkehrt genommen und bei dem Barte gemolken hat anstatt an der Stelle, wo ein verständiges Menschenkind hingreift. Da ist es natürlich gar kein Wunder, wenn sich keine Milch sehen läßt, und nun soll das arme, geplagte Thier auf einmal ein verzaubertes Maskulinum sein. Und weil so eine Dummheit über alle menschlichen Begriffe geht, so wird der heilige Bartholomäus an den Haaren herbei gezerrt und soll Ihr Sündenregister auf seine unschuldigen Achseln nehmen. Aber damit komme Sie mir ja nicht! Ich habe noch meine fünf Sinne glücklich beisammen und werde Ihr zeigen, was es heißt, mich dupiren zu wollen. Das kommt aber daher, wenn man die lieben Sternlein andeclamirt und nach ein Paar alten abgesetzten Männerstiefeln schmachtet. Ich will jetzt auf der Stelle meine Ziegenmilch haben, oder ich lasse Sie noch heut ins Irrenhaus schaffen, wo die Zwangsjacke Ihr die Ziegenbocksgeschichten schon aus dem Kopfe bringen wird!«
»Mein guter, lieber, gnädiger Herr Oberst, da werde ich, so wahr ich hier stehe, ganz unschuldig zwangsgejackt, denn es ist ein Ziegenbock und bleibt ein Ziegenbock, ich mag ihn ansehen und anfühlen wo und wie ich nur will! Wenn Sie, wie ich, den Samiel im Theater gesehen hätten, so – – –«
»Halte Sie den Mund mit Ihrem dummen Samiel! Ich habe noch ganz andre Kerle gesehen, als der ist, und bin ihnen mit dem Säbel auf den Leib gerückt, daß die Fetzen rechts und links nur so heruntergeflogen sind. Der sollte nur einmal kommen und sich an meine Ziege wagen, ich wollte ihm nach Hause leuchten, daß ihm kein Doctor und kein Chirurgus helfen könnte! Der Heinz sagt ja auch, daß es eine Ziege sei!«
»Nein, gnädiger Herr, es ist zehnmal und hundertmal und tausendmal nichts Andres als ein Bock!«
»Dorchlaucht, indem ich weiß, was ich gesehen habe, so will ich trotzdem, wenn das ein Bock ist, acht Wochen lang Tag und Nacht Spießruthen laufen und dazu noch pfeifen ›Der Papst lebt herrlich in der Welt, weil mir mein Buckel nicht gefällt!‹ Was ich sehe, das sehe ich, dagegen was ich weiß, das weiß ich, und wenn ich von Neudorf eine Ziege nach Wildauen bringe, darum kann es nun und nimmermehr ein Bock sein!«[69]
»Und doch ist es einer. Ich will mich getrost in die Zwangsjacke stecken lassen, wenn ich Unrecht habe!«
»Das soll Ihr nicht abgeschlagen werden. Also, herauf mit dem Bocke!«
»Herr Oberst, bitte, bemühen Sie sich gnädigst mit hinunter in den Stall. Ich kann Ihnen doch das Thier unmöglich in das Zimmer bringen!«
»So? Glaubt Sie etwa, daß ich Ihrer Ziege nachlaufe? Herauf will ich sie haben!«
»Aber es ist doch – – –«
»Herrrrauf, sage ich!«
»Gnädigster – – –«
»Herrrrrrrrrauf! Kehrt! Marsch!«
Er trat mit zornrothem Angesichte und drohend erhobenem Arme auf sie zu, Grund mehr als genug für sie, schleunigst Gehorsam zu leisten.
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Eine frische Pfeife!«
»In dieser Hinsicht natürlich sofort, Dorchlaucht!«
Er griff in den Kasten und schlug Feuer, denn sein Herr rauchte keine Pfeife, welche anders als mittelst Stahl, Feuerstein und Schwamm in Brand gesteckt worden war. Wortlos qualmend stieg der Oberst nun mit Riesenschritten im Zimmer auf und nieder, zuweilen nur ein tiefes, zorniges Brummen ausstoßend, und machte dieser Bewegung erst dann ein Ende, als sich draußen nähernde Schritte und das kurze Getrappel von Thierhufen vernehmen ließen. Heinz stieß die Thür auf. Vor derselben stand der Bock, alle vier Beine vorwärts stemmend, um sich nach Kräften der beabsichtigten Ocularinspection zu widersetzen, und hinter ihm hatte die Wirthschafterin Posto gefaßt, die sich alle erdenkliche Mühe gab, das obstinate Thier in das Zimmer zu schieben.
»Nun, Dorchlaucht, habe ich nichts desto weniger Recht gehabt oder nicht? Das ist vor allen Dingen ganz dieselbe Ziege, welche ich von Neudorf geholt und ebenso vorhin erst noch einmal genau angesehen habe!«
»Herein mit ihr!« befahl der Oberst, denn in diesem Augenblicke war nur das Brustbild sammt den beiden Vorderbeinen des Thieres zu erkennen. Heinz erfaßte das letztere bei den Hörnern, und bei so vereinten Kräften gelang es endlich, das widerstrebende Corpus delecti an Ort und Stelle zu bringen.
»Nun, gnädiger Herr, wer hat Recht?« frug die Jungfer, halb triumphirend, halb ängstlich.
Der Prinz hatte die Sachlage auf den ersten Blick erkannt.
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Du bist ein Esel!«
»Sapperlot, Dorchlaucht, das leide ich nicht, zumal – –«
»Ruhe bitte ich mir aus! Ja, ein Esel bist Du, und zwar ein so gewaltiger, das Du mich ordentlich dauern kannst! Guke Dir nur Deine Ziege einmal ordentlich an!«
Der Diener bückte sich ein Wenig und richtete sich gleich darauf mit einer vollständig consternirten Miene wieder empor. Der Mund stand im weit offen, und mit der größten Rathlosigkeit starrte er einmal seinen Herrn, einmal die Jungfer und dann wieder den unbegreiflichen Ziegenbock an.
»Nun?«
»Ja, nun! Das ist ein Bock, Dorchlaucht!«
»Allerdings, das ist ein Bock, und Du, Du bist der fürchterlichste Dummhut, der mir in meinem Leben vorgekommen ist. Du wirst nun Deine acht Wochen Spießruthen richtig ablaufen müssen!«
»Dorchlaucht, indessen wäre es doch viel gescheidter, wenn das der Ziegenbock thun müßte, inwiefern ja nur er allein an dem ganzen Unheil Schuld ist. Das Viehzeug hat den Teufel, den leibhaftigen, lebendigen Teufel, damit es doch nun und nimmermehr einem rechtschaffenen und ehrlichen Menschen einfällt, sich aus einer Ziege in einen Bock zu verwandeln. Denn das ist dieselbe Ziege, die ich geholt habe, und an dem Bocke bin ich so gewiß unschuldig, als die Jungfer an der Ziege!«
»Halte mir nur den Mund mit Deinem Teufel, denn der könnte aus Euch drei Kreaturen ebenso wenig klug werden wie ich selber. Da stehe ich nun und möchte vor Aerger über die räthselhafte Geschichte platzen, und Ihr steht dabei, wißt weder Gix noch Gax und könnt Euch das Ding nicht erklären, trotzdem Ihr doch dabei gewesen seid!«
»Nicht erklären, Dorchlaucht? O, darüber könnte ich schon fertig werden. Der Schulze hat den Drachen, zumal derselbe in die Ziege gefahren ist und nun Jeden vexirt, der sie von Neudorf wegschaffen will –«
»Habe ich Dir nicht gesagt, daß es aus mit uns ist, wenn Du mir mit Deinem Drachen kommst?«
»So will ich hiermit gar nichts weiter sagen, Dorchlaucht, denn ich weiß, wem ich zu gehorchen habe, weil Sie davon schon seit Anno Vierzehn überzeugt sein können. Sie standen damals mit mir in Frankreich, und wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier, wiewohl dieselbe ganz verteufelt hübsch war. Sie hatte nicht nur ein Auge auf mich geworfen, sondern ich stehe auch eines Tages unter der Thür und putze zuweilen mein Lederzeug; da kommt plötzlich ein – – –«
»Nur immer herein!« unterbrach hier der Prinz die unglückselige Erzählung. Die Thür war nicht geschlossen worden, und so hatte er Schmidt bemerken können, welcher kam, um den ein für alle Mal befohlenen Morgenbesuch abzustatten. Er blieb wie erstaunt unter dem Eingange stehen und bildete in Haltung und Miene ein so deutliches Fragezeichen, daß[70] der Oberst erklärend fortfuhr:
»Da ist die heillose Ziege wieder ein Bock! Kann Er das begreifen?«
»Nein,« antwortete er nach einer Pause, während welcher er mit einer sichtbaren Bestürzung zu ringen schien. »Das geht mir aber doch nun über alle Begriffe!«
»Mir auch! Es kann doch bei einem Menschen, der seine gesunden Augen noch im Kopfe hat, unmöglich eine solche Verwechslung vorkommen; der Schulze schickt mir keinen Bock, daß weiß ich ganz genau; Zauberei ist Larifari – alle Bomben und Granaten, was denn nun weiter?!«
»Ja, da fragen mich Durchlaucht wahrhaftig zu viel! Einen Haken hat die Geschichte, das ist sicher, aber wo er liegt, das möchte ich wissen!«
»Na, Er ist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen! Kann Er sich denn gar Nichts denken?«
»Hm, dazu müßte man über jede Einzelheit ganz genau unterrichtet sein!«
»Nun gut, so setze Er sich; die Beiden mögen ihre Litanei einmal so ausführlich wie möglich herdeclamiren!«
Das geschah, obgleich durch die Art und Weise, in welcher sowohl Heinz als auch Adeline ihre Erzählung vortrugen, die ohnehin geringe Geduld des Obersten auf eine harte Probe gestellt wurde. Nach beendetem Berichte schüttelte Schmidt den Kopf.
»Ich könnte mir nur Eins denken, und auch das kann doch unmöglich das Richtige sein, da es doch wohl Niemand wagen darf, trotz gewisser Eigenheiten, die allerdings selbst in Neudorf bekannt sind, die Dienerschaft Ew. Durchlaucht zum Gegenstande – – –«
»Halt! Sapperlot, das wollte ich einmal sehen! Der Heinz ist ein ehrlicher Kerl, obgleich er gar nicht weiß, was für unsinniges Kauderwelsch er zu Tage fördert, und die Jungfer, nun, die hat zwar ihre Mucken, aber wo will ich denn eine Bessere hernehmen, da – – na, ich will Sie nicht beleidigen, und Sie braucht sich auf mein ›Zwar‹ auch nicht gar zu viel einzubilden! – Aber das, woran er denkt, scheint mir nicht ganz unmöglich zu sein, denn wenn sich so ein Volk einen Spaß machen will, so fragt es viel darnach, ob ich dadurch auch beleidigt werde. Trotz des Aergers, den man dabei hat, muß man sich die Sache mit Ruhe überlegen, und da sehe ich gar wohl ein, daß die beiden armen Sünder hier ebenso unschuldig sind wie der Ziegenbock selbst. Höchstens sind sie etwas dumm gewesen, aber das ist man ja genugsam gewohnt, und so sollen sie denn ungeschooren bleiben, bis die Sache vollständig untersucht worden ist!«
»Darf ich vielleicht einmal nach Neudorf gehen, Herr Oberst, um dem eigentlichen Schuldigen auf die Spur zu kommen?«
»Dazu ist Er der richtige Mann noch immer nicht. Verstehe Er mich wohl, das soll Ihn nicht etwa beleidigen, aber es ist doch etwas ganz Anderes, wenn ich selbst komme und mit einem kräftigen Donnerwetter unter die Gesellschaft fahre. Ihm werden sie die Wahrheit nicht gleich an die Nase hängen, doch wenn mir Einer eine Flause machen wollte, dem würde ich den Stock um die Ohren geigen, daß ihm für hundert Thaler Noten vor den Augen flimmern sollten!«
»Dann befehlen Sie vielleicht wenigstens meine Begleitung?«
»Nichts wird befohlen, denn Er soll mir bei der Sache ganz aus dem Spiele bleiben, da Er mit derselben ja gar nichts zu thun gehabt hat. Ich müßte am Ende gar gewärtig sein, Er verwickelte mich selbst mit hinein – Er hat unser Uebereinkommen doch wohl noch nicht vergessen, und Ihm ist in solchen Dingen nicht viel zuzutrauen – Nein, ich werde selbst die Untersuchung in die Hand nehmen, und dann wird Blitz und Schlag zusammenfallen, darauf kann Er sich verlassen!«
»Mein bester, gnädiger Herr,« wagte die Jungfer einzuwenden, »in überirdischen Sachen – –«
»Schweige Sie, und scheere Sie sich mit Ihrem Ziegenbocke hinunter in den Stall! Am Tage kann ich mich mit dem Geschöpfe nicht gut sehen lassen; aber heut Abend wird er auf den Landauer geladen, und ich fahre ihn mit Heinz nach Neudorf, Pasta! Abgemacht! – – –«
Ehe Schmidt nach einiger Zeit das Schloß verließ, trat er in die Wagenremise, um den sogenannten »Landauer« einmal genau in Augenschein zu nehmen. Es war ein leichter, auf Federn gehender Flechtwagen, dessen hintere Korbseite emporgezogen und weg genommen werden konnte, eine Einrichtung, welche dem jungen Manne ein Lächeln der Befriedigung entlockte, denn das Gelingen seines Vorhabens war natürlich zum großen Theile von dem Baue des Wagens abhängig, da nicht zu erwarten stand, daß der Oberst in der Bergschänke einkehren werde.
Eine gute Strecke von derselben stand am Abende der Wirth am Rande des Gebüsches, die Ziege bewachend, welche ruhig neben ihm im Grase lag. Da nahten sich von unten her eilige Schritte; ein Mann blieb nahe dem Orte stehen und klatschte leise in die Hände.
»Hier bin ich, Karl! Kommen sie schon?«
»Ja; ich habe eine wahre Parforcetour machen müssen, um ihnen zuvor zu kommen, und bin grad durch die Stadt gelaufen, während sie dieselbe umfahren haben. Sie haben beide auf dem Vordersitze Platz genommen, und der Oberst fährt selber. Der Bock ist an den Beinen gebunden worden und liegt auf dem Boden des Wagens. Es ist mir gelungen, unbemerkt ganz ähnliche Stricke von der Wand zu nehmen. Rasch, wir müssen sie auch binden!«
Nach Art dieser Thiere ließ die Ziege außer einem fast unhörbaren, leise meckernden Laute bei der mit ihr vorgenommenen[71] Prozedur keinen verrätherischen Ton hören und blieb dann unbeweglich am Boden liegen. Kurze Zeit darauf war das Nahen des Wagens zu vernehmen, und zu gleicher Zeit bemerkten die beiden Lauscher, daß die darauf Befindlichen in ein lautes und eifriges Gespräch vertieft seien.
»Es wird schon gehen,« flüsterte Schmidt, »wenn wir die nöthige Vorsicht anwenden. Finster genug ist es, und sollte es ja nicht ganz geräuschlos abgehen, so dürfen wir nicht davonlaufen, sondern müssen hinter dem Wagen versteckt, immer mit demselben fortgehen.«
»Brrr!« machte jetzt der Oberst. »Greif einmal hinter, Heinz! Ist der verzauberte Bock noch da, oder hat ihn der Wimmerliese ihr Samiel schon wegstibitzt?«
»Er ist noch da, Dorchlaucht, und dadurch können wir also ruhig weiterfahren.«
»Gut. Den betreffenden Hexenmeister werden wir ganz gewiß heut Abend noch bei der Parabel bekommen, und dann will ich ihn besamielen, daß er denken soll, die Welt geht unter!«
Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung. Oben auf dem Berge angelangt, frug Heinz:
»Dorchlaucht, wollen wir hier ungefähr die Pferde ein Wenig verschnaufen lassen, damit sie ganz außer Athem gekommen sind?«
»Nicht nothwendig; Haben wir den Bock noch, Heinz?«
»Ja, Dorchlaucht; darum liegt er auch grad noch so wie vorhin!«
»Das versteht sich ganz von selbst; ich lasse Dich nur hingreifen, um Deiner eignen Ueberzeugung willen.«
Diese Untersuchung über die Anwesenheit des Ziegenbockes wurde noch öfters wiederholt, bis der Wagen schließlich vor dem Schulzenhofe hielt. Ein lautes Klatschen mit der Peitsche rief den Knecht herbei; dieser öffnete die kleine Mauerthür und frug:
»Wer ist da?«
»Mach das Thor auf,« antwortete Heinz, »in Folge dessen der Herr Oberst in den Hof fahren will!«
Der dienstbare Geist zog sich zurück; die breiten Thorflügel wurden geöffnet, und bald waren die sämmtlichen Bewohner des Gutes um das Geschirr des Prinzen versammelt.
»Sagt einmal, Schulze,« begann dieser das Verhör, »wozu ich vorgestern Abend meine Wirthschafterin zu Euch geschickt habe?«
»Sie sollte eine Ziege holen, Durchlaucht.«
»Gut, sehr gut! Wer hat Euch denn aber geheißen, ihr einen Bock aufzubinden?«
»Einen Bock? Herr Oberst, Sie setzen mich in Erstaunen! Schon gestern kam das Fräulein mit Begleitung wieder und behauptete, meine Ziege sei ein Bock geworden, und als ich das Thier beleuchtete, war es, wie es ja auch gar nicht anders sein kann, doch die Ziege. Und heut – –«
»Ja, heut komme ich selbst, um Euch zu sagen, daß es dennoch ein Bock gewesen ist und daß ich jetzt auf der Stelle einmal untersuchen will, wer es von Euch wagen darf, mit meinen Leuten seine Narrethei zu treiben.« Er stieg ab und fuhr dann fort: »Den Bock bringe ich natürlich wieder mit. Nehmt ihn herunter, und dann wollen wir ein Wörtchen weiter mit einander sprechen!«
»Gnädiger Herr Oberst, erlauben Sie mir die ganz gehorsamste Bemerkung – –«
»Ruhig ist Er jetzt, und Seine Bemerkungen behält er bei sich, bis ich sie von Ihm verlange. Also herunter mit dem Bocke!«
»Ich wollte nur sagen, daß – – –«
»Herrrrrrunter, sage ich, oder – –!«
Bei diesem Tone war es nicht gerathen, einen ferneren Einwand zu wagen, vielmehr stieg der Schulze gleich selbst auf das Hintertheil des Wagens, hob das Thier empor und gab es in die Hände des Knechtes, der es auf den Boden niederließ.
»Nun, wollt Ihr auch jetzt noch behaupten, daß es eine Ziege sei?« donnerte der Oberst, indem er zur Laterne griff und den Schein derselben auf den streitigen Gegenstand fallen ließ.
Alles drängte sich herbei, um an der Entscheidung dieser Frage mit Theil zu nehmen; aber alle zu Boden gerichteten Augen hoben sich auch sofort wieder empor zum Prinzen, der davon allerdings nichts bemerkte, da seine ganze Aufmerksamkeit durch den total verblüfften Ausdruck in Anspruch genommen wurde, mit welchem Heinz ihn anstarrte.
»Nun Heinz, was giebt es denn?«
»Dorchlaucht, entweder der heilige Bartholomäus sowohl als auch der Drache oder der Samiel haben ohnehin unterwegs – –«
»Will Er ungehorsamer Mensch wohl endlich einmal Subordination leisten und seine Teufeleien aus dem Spiele lassen! Was hat Er mich denn anzustarren, als ob es Ihm den Weizen verhagelt hätte?«
Das war dem guten Heinz noch nie passirt, daß ihn der Oberst »Er« genannt hatte, aber grad dieses Zeichen des heftigsten Grimmes gab ihm die Besinnung zurück, welche ihm allerdings vorhin fast abhanden gekommen wäre.
»Dorchlaucht, es ist bereits eine Ziege!«
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Du bist ein Esel!«
»Sapperlot – –« fast hätte er sein gewöhnliches »das leide ich nicht« gebracht, aber noch zur rechten Zeit fiel es ihm ein, daß dies in Gegenwart Fremder nicht gerathen sei, und so verbesserte er sich: »Sapperlot, Dorchlaucht, indem ich noch niemals ein Esel gewesen bin, ist es sowohl doch eine Ziege!«
Das war dem Obersten denn doch fast zuviel, und[72] mit nur mühsam verhaltenem Ingrimme trat er näher, um das kaum Glaubliche selbst zu sehen.
»Alle Bomben und Granaten, Heinz, das Beest ist wahrhaftig eine Ziege! In meinem eigenen Zimmer war es ein Bock; beim Aufladen war es ein Bock, ich weiß das ganz genau, denn ich habe mich selbst davon überzeugt, und jetzt ist es eine Ziege. Heinz, was sagst Du dazu?«
»Ich, Dorchlaucht? Darum sage ich nun gar nichts mehr, kein Wort mehr!«
»Jetzt sollte der Schmidt da sein!«
»Ja, Dorchlaucht, der sollte in dieser Beziehung hier stehen, indem es ihn vor Grausen eiskalt überlaufen würde, grad wie mich damals Anno Vierzehn, als Sie mit mir in Frankreich standen. Wir lagen nämlich bei einer jungen Wittfrau in Quartier, die ungefähr ganz verteufelt hübsch war und sogar ein Auge auf mich geworfen hatte, zumal ich eines Tages an der Thür stehe, um mein Lederzeug zu putzen. Da kommt plötzlich ein – – –«
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Was ist jetzt zu thun? Deine Geschichte kannst Du später erzählen!«
»Jetzt? Dorchlaucht, wir lassen die Ziege endlich hier liegen und fahren dann zu förderst ganz ohne sie nach Hause!«
»Nein, ich muß wissen, woran ich bin! Schulze, Ihr seid ein braver Mann; ich habe Euch Unrecht gethan! Hebt mir das Thier wieder auf den Wagen; vielleicht erzähle ich es Euch später einmal, was für eine Bewandtniß es mit ihm hat. So, und nun schnallt mir den Hintersitz an. Heinz, Du fährst, und ich lasse bis nach Hause das infame Viehzeug nicht aus dem Auge. Gute Nacht, Schulze, über den Preis sprechen wir später!«
Der Wagen machte, umlenkend im Hofe einen Bogen und ging dann zum Thore hinaus. Mit Erstaunen hatten die Zurückbleibenden dem Vorgange zugeschaut, und noch lange bildete derselbe den Gegenstand ihrer abendlichen Unterhaltung.
Unterdessen waren Schmidt und der Wirth mit dem glücklich umgetauschten Bocke den Berg hüben hinauf und drüben wieder hinabgestiegen und warteten nun auf die Zurückkunft des Obersten.
»Das ging prächtig,« meinte der Erstere. »Beim zweiten Male wird es uns wohl etwas schwerer werden, wenn sie die Ziege überhaupt wieder mitbringen. Wie ich aber den Prinzen kenne, so läßt er sie nicht zurück, sondern wird Alles anwenden, um den Thäter zu erwischen; ich vermuthe sogar, daß er Heinz die Zügel giebt und sich hintersetzt, um ja seiner Sache ganz gewiß zu sein.«
»Dann ist es unmöglich die Thiere umzutauschen!«
»Und doch! Nur muß ich es dann allein besorgen, da Du den Prinzen in eine Unterhaltung zu ziehen hast. Wir müssen uns also trennen. Erwarte ihn unten in der Nähe des Dorfes; ich will den Bock wieder etwas zurückschaffen!«
»Warum?«
»Ich kann doch nicht unbemerkt die Korbwand emporschieben und auch zu gleicher Zeit mich mit den beiden Thieren befassen. Hier ungefähr in dieser Gegend muß die Ziege heraus, und ein Stück weiter oben bringe ich den Bock hinein. Für das Uebrige hast Du zu sorgen. Und liegt die Ziege vielleicht gar so, daß ich sie nicht unbemerkt bekommen kann, so mußt Du Alles anwenden, um den Obersten zur Einkehr bei Dir zu bewegen.«
»Gut. Ich denke, wir haben nicht viel Zeit zu verlieren; darum will ich machen, daß ich ins Thal komme!« –
Einige Zeit, nachdem der Oberst das Dorf im Rücken hatte, sah er seitwärts von sich eine dunkle Gestalt vor dem Wagen herschreiten, deren Umrisse in der Finsterniß nur höchst undeutlich zu erkennen waren.
»Halt!« rief er den Unbekannten an. »Wer geht hier?«
»Wer hat darnach zu fragen?« entgegnete es.
»Ich bin der Oberst von Wildauen. Wer seid Ihr?«
»Ach, Durchlaucht, Sie sind es? Wünsche einen ganz ergebenen guten Abend. Ich bin der Wirth von der Schänke da oben, komme von Neudorf und will nach Hause. Dicke Finsterniß heut Abend, gnädiger Herr! Bin da unten gegen einen Steinhaufen gerannt und habe mir dabei das Knie so aufgeschlagen, daß ich bei jedem Schritte laut aufschreien möchte. Kann kaum weiter gehen!«
»So!« erwiederte der zwar strenge, aber herzlich gutmüthige Herr. »Da nehme Er sich nur in Acht, denn die allergeringste Beschädigung am Knie oder Schienbein kann leicht lebensgefährliche Folgen nach sich ziehen oder das Knie in die größte Gefahr bringen. Er ist ein braver Mann und sollte mich dauern, wenn Er sich Schaden gethan hätte. Steige Er auf und setze Er sich hier neben mich. Die Braunen sind kräftig und können Ihn schon noch mit den Berg hinaufbringen!«
»Sie sind so gütig, Durchlaucht; aber ich möchte Ihnen doch nicht gern beschwerlich fallen!«
»Mache Er keine Faxen, und komme Er nur immer herauf! Wenn Er einmal Prinz ist, und ich bin Wirthshaus, so nimmt Er mich auch mit!«
»Ja, Durchlaucht, das werde ich auch gewißlich und gern thun, obgleich es eben so wenig mit dem Prinzen als wie mit dem Wirthshause Gefahr hat.«
Er stieg auf. Sein Zweck war erreicht, und es galt nun nur, eine so laute Unterhaltung wie möglich zu führen und die Aufmerksamkeit des Prinzen von der Ziege abzuwenden. Dies gelang ihm vorzüglich, denn während der Oberst nicht das Mindeste bemerkte, gewahrte[73] der schlaue Verbündete Schmidts doch ganz genau, wie dieser den Umtausch prompt und geschickt bewerkstelligte und dann mit der glücklich eroberten Ziege auf der Straße zurückblieb. Auf dem Berge angekommen, frug der Wirth:
»Wollen Durchlaucht nicht die Gnade haben, einen Augenblick bei mir abzusteigen? Es hat einen guten Schluck Bier bei mir und außerdem noch so Manches, was sehr für Hungrige und Durstleidende geeignet ist.«
»Danke! Werde später einmal bei Ihm zusprechen; heut Abend aber will ich froh sein, wenn ich in meinen vier Pfählen bin. Man sieht ja die eigne Hand nicht vor dem Auge. Schlafe Er wohl!«
»Wünsche eine gute Nacht, Durchlaucht, und sage meinen Dank für die Equipage!«
»Schwätze Er nicht, und mache Er, daß Er in Seine Bude kommt! Vorwärts, Heinz!«
Der Weg führte jetzt wieder bergab. Heinz drehte die Bremse zu und ließ die Pferde langsam gehen.
»Dorchlaucht!«
»Was?«
»Haben wir auch ferner die Ziege noch?«
»Das versteht sich! Hier liegt sie ganz so, wie sie der Schulze hergelegt hat. Ich habe die ganze Zeit die Füße nicht von ihr heruntergebracht und bin vollständig überzeugt, daß der Bock für diesmal eine absolute Unmöglichkeit ist. Drehe immer wieder auf, Heinz! Die Pferde sind gut; das Geschirr ist dauerhaft, und so können wir uns schon etwas besser sputen. Ich habe eine ordentliche Sehnsucht, der Wimmerliese zu zeigen, daß wir die Ziege bringen.«
»Ja, Dorchlaucht, wenn ich die sehe, nämlich das Krakehllinchen, so habe ich gegenwärtig zuweilen noch eine ganz andre Sehnsucht, indem mir dieselbe in den Fingern juckt.«
Bald erkannte man an den vorn auftauchenden Lichtern, daß man sich der Stadt nähere. Man umfuhr dieselbe in einem Bogen und langte endlich glücklich und wohlbehalten im Schloßhofe an.
Die herzueilende Dienerschaft half dem Prinzen aus dem Wagen und bemächtigte sich dann der Pferde; Heinz aber lief schleunigst nach der Küche, um die Wirthschafterin zu citiren. Sie setzte die Laterne in Stand und folgte ihm nach unten, wo ein Knecht eben den Bock vom Wagen hob und von seinen Fesseln befreite.
»Hier hat Sie Ihre Ziege, Sie alte Samielshaube,« meinte der Oberst; »und nun unterstehe Sie sich ja nicht, mir morgen wieder weiß zu machen, daß es ein Bock ist!«
»Gnädiger Herr, da will ich lieber nicht warten bis morgen, sondern es jetzt schon sagen. Es ist ja ganz derselbe Bock, den der Herr Oberst mitgenommen haben!«
»Was will Sie da behaupten?« donnerte er sie an. »Ein Bock soll es sein? Derselbe Bock, den ich mitgenommen habe? Da soll Ihr doch gleich ein armdickes Graubelwetter auf den Hals fahren! Glaubt Sie etwa, daß ich betrunken sei?«
»Wollen sich der gnädige Herr nicht vielleicht überzeugen?«
»Her mit der Laterne!«
Er riß ihr die Leuchte aus der Hand und trat dem Thiere näher.
»Alle guten Geister! Das –! ist –! wahr –! haftig –! der –! ver –! wünschte! Ziegenbock –!!! Heinz, Heieeeeeeinz!!!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Siehst Du's, daß er es ist?«
»Ja, Dorchlaucht, ganz von selber!«
»Hole die Axt oder die Radehacke und gieb dem Racker Eins vor den Kopf! Das ist ja der reine Beelsebub!«
»Dorchlaucht, das geht unmöglicher Weise gar nicht an!«
»Warum nicht?«
»Der ist verhext, indem ich das gleich gesagt habe, oder ist es unterdessen der Bohomoth, der den Hiob aufgefressen hat. Wenn der mich mit der Radehacke sieht, so ist es um mich geschehen, wiewohl dann mein letztes Brod gebacken ist!«
»Dann werde ich ihn selbst todtschlagen!«
»Gnädiger Herr,« legte sich hier die Wirthschafterin aufs Wort, »thun Sie das nicht! Ach wenn Sie so wie ich den Samiel auf dem Theater gesehen hätten, so – – –«
»Ruhe hier!« gebot er. »Wenn Sie mir noch einmal mit Ihrem Samiel auf dem Theater kommt, so sehe ich, wo ich den Kerl aufgable, und dann muß Sie ihn zur Strafe heirathen! Dann hat alle Noth mit Ihr sammt der Mondscheinduselei und dem Sterneguken ein Ende! Denkt Sie vielleicht, ich glaube wirklich, daß der Ziegenbock verhext ist? Nein, es war nur in der Ueberraschung, daß ich von dem Beelsebub redete; ich dächte doch, das hätte Sie sich denken können! Die Geschichte geht sicher ganz natürlich zu, wenn wir sie uns jetzt auch nicht gleich erklären können. Schafft das Viehzeuch in den Stall und gebt ihm sein gehöriges Futter. Ich werde schon sorgen, daß wir den ordentlichen Hergang noch erfahren! Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht!«
»Komm! Wir müssen auf diese unbegreifliche Geschichte noch eine Pfeife rauchen!«
»Jawohl, Dorchlaucht! Indem mir niemals Etwas über eine gute Pfeife Tabak geht, so ist sie mir trotz dem immer noch tausendmal lieber, als ein verzauberter Ziegenbock, bei dem man unverzüglich den Kaffee immer nur schwarz zu trinken bekommt!« – –
Und wieder steht der Reiteroberst a.D., Prinz[74] Otto Victor von Schönberg-Wildauen am geöffneten Fenster; aber was bei ihm noch nie vorgekommen ist, die Morgenluft füllt hell und rein das Zimmer, denn die gestopften Pfeifen liegen zum ersten Male unberührt im Kasten. Und – wer es nicht wüßte, würde es nun und nimmer glauben – daran ist eine tief unter aller Offizierswürde stehende Kreatur, ein armseliger, nichtswürdiger Ziegenbock Schuld. Der Oberst hat die ganze Nacht kein Auge zugethan; schon die gestrige Abendpfeife ist nur leicht angeraucht und dann bei Seite gelegt worden, und jetzt steht der gestrenge Herr am Fenster und simulirt und grübelt über eine natürliche Erklärung des Wunders, daß, wie es bis zur Evidenz erwiesen ist, ein wiederkauendes und mit einem Kinnbarte versehenes Individuum jetzt ein Bock und eine Stunde später ganz genau eine Ziege sein könne.
Da öffnet sich die Thür, und herein rauscht nicht mit fliegendem Morgenrocke und wehenden Haubenbändern, Jungfer Adelinchen, sondern herein tritt ernst und verständig, wie es sich für einen jungen Studiosus der verschiedensten Gelehrsamkeiten geziemt, Karl Schmidt, die Spitze der qualmenden Pfeife im Munde, das Rohr in der Linken, in der Rechten aber die heiligen Attribute des Wirthschaftsministeriums, nämlich das Kaffeebrett mit allen möglichen Dazugehörigkeiten.
»Guten Morgen, Durchlaucht!«
Bei dem Klange dieser Stimme fährt der Oberst rasch herum, dieses Mal aber ohne seine Holländische zu zerbrechen.
»Sapperlot, Schmidt, was will denn Er schon so früh auf dem Schlosse?«
»Etwas sehr Nothwendiges, nämlich dem Herrn Obersten den Kaffee serviren.«
»Er? Wie kommt denn Er dazu?«
»Wenn die Andern kein Geschick mehr dazu haben, so muß ich es 'mal versuchen. Wünsche guten Appetit, Durchlaucht!«
»Schon gut! Habe ihm eine ganz verteufelt sonderbare Geschichte zu erzählen, nämlich wieder von dem Ziegenbock, der mich noch ganz aus Rand und Band bringen wird, wenn nicht bald Einer kommt, der mir die Sache erklären kann. Gestern fahre ich also, als es Abend geworden ist – – Was ist denn das? Da hat Er mir ja Milch mitgebracht? Und das ist auch keine solche blaue Schürze, wie sie von dem undankbaren Kuhvolke kommt! Bomben und Granaten, das ist ja Ziegenmilch, die reine, dicke Ziegenmilch, noch besser als von meiner seligen Angoraziege, eine Milch wie Kokosnuß und Mandelkern! Wo hat Er Teufelskerl diese Milch her?«
»Von Ihrer neuen Ziege, Durchlaucht.«
»Von – meiner – neuen – Ziege –? Milkt etwa der Bock, den ich unten stehen habe?«
»Das weiß ich nicht, aber die Neudorfer Ziege ist ein Prachtexemplar; ich glaube der Herr Oberst werden sehr mit ihr zufrieden sein!«
»Die Neudorfer Ziege? Höre Er, mache Er nicht etwa Seinen dummen Witz mit mir: Was weiß Er von der Neudorfer Ziege?«
»Daß sie unten im Stalle neben dem Bocke steht, mit welchem Durchlaucht gestern spazieren gefahren sind.«
»Im Stalle? ist das gewiß?«
»Natürlich!«
»Heinz! Heieeeeinz!!!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Rufe schnell einmal die Jungfer!«
»Da ist sie! Die lungert schon seit einer ganzen Weile insofern auf dem Corridor herum, zumal ich sie gleich bei der Hand habe!«
»Komme Sie einmal her! Ist Sie heut schon im Stalle gewesen?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»Was für Thiere, waren drin?«
»Nur der Ziegenbock.«
»So! weiß Sie das genau?«
»Ja.«
»Wer hat hier den Kaffee gekocht?«
»Ich.«
»Warum hat Sie ihn nicht selbst gebracht?«
»Herr Schmidt bat mich, ihn hertragen zu dürfen, und sagte mir zugleich, ich solle mich bereit halten, da ich bald gerufen würde.«
»Wo hat Sie diese Milch her?«
»Ich habe keine Milch dazu gegeben.«
»So, da ist es also doch wohl so, wie Er sagt, Kehrt! Marsch! Alle hinab in den Ziegenstall!«
Nun geht es in corpore hinunter in den Stall, voran Schmidt, dann das Krakehllinchen, hinter ihr der Stelzfuß und endlich der Oberst. Unten angekommen, bleiben die drei Letzten erstaunt an der Thüre stehen, denn hinten unter der Futterraufe hängen zwei Vierfüßler, die einander so ähnlich sehen, wie ein Hefenklos dem andern, nur daß der Eine eine Ziege und der Andere ein Bock ist.
»Gnädiger Herr,« ruft die Jungfer, »hier ist ja meine Ziege!«
»Dorchlaucht,« ruft Heinz, »der heilige Bartholomäus hat sie sammt und sonders wiedergeschickt!«
»Sapperlot,« ruft der »alte Knaster«, »jetzt endlich geht mir ein Licht auf! Komme Er einmal her, Er Schwerenöther! Sage Er mir einmal aufrichtig: Ist Er der Samiel gewesen, der mir die Ziege verhext und uns alle Drei zwischen Wildauen und Neudorf hin- und hergejagt hat?«
»Ja, Herr Oberst!«
»Alle Bomben und Granaten, da ist Er ja ein Erzhallunke, den ich ganz gehörig bei dem Schopfe nehmen muß!«
»Verzeihung, Durchlaucht, Sie haben mir förmlich befohlen, Ihnen einen tüchtigen Streich zu spielen, und selbst hinzugefügt: ›Je größer derselbe ist, desto[75] besser ist es für Ihn.‹ Ich darf also um meinen Schopf wohl keine Sorge tragen!«
»So! Habe ich das wirklich gesagt?«
»Heinz ist Zeuge!«
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Ist es wahr, was Der da sagt?«
»Ja, Dorchlaucht; sobald ich es mir gemerkt habe, ist es somit Wort für Wort Ihre eigne Rede.«
»Da darf ich Ihm also nicht einmal bös sein! Aber konnte Er es denn nicht vielleicht ein Wenig glimpflicher machen?«
»Es war einmal so darauf zugeschnitten, und überdies habe ich ja den Herrn Obersten nicht nach Neudorf geschickt, sondern mich selbst für diesen Weg angeboten.«
»Da hat Er Recht, und ich bin an Allem selber Schuld! Aber wie hat Er denn eigentlich die Sache angefangen, Er Sapperloter Er, denn leicht ist es Ihm nicht geworden? Darum soll Er auch den versprochenen Zuschuß erhalten. Komme Er herauf; Er soll mir Alles ausführlich erzählen! Und mein Pfeifenkasten wird nun auch wieder zu Ehren kommen. Also, vorwärts, marsch, hinauf!«
Die Beiden entfernten sich. Heinz war zu den Thieren getreten, um sie eingehend mit einander zu vergleichen. Jetzt näherte er sich der Jungfer.
»Nun?« frug er mit einem halben Blicke über die Achsel.
»Nun?« antwortete sie ihm ebenso.
»Wie steht es denn mit Ihrem Samiel?«
»Hm!«
»Und mit Ihrem heiligen Bartholomäus?«
»Hm!«
»Und mit dem siebenten Buche Mosis?«
»Hm!«
»Diesmal hat Sie sich schön blamirt, Sie alte Gespensterline Sie!«
»Und Er wohl nicht? Er hat ja von allen möglichen Drachen und Lindwürmern gefaselt!«
»Ich? So! Das kann ich auch, indem ich mich vor solchem Ungeziefer nicht zu fürchten brauche. Und zumal Sie das etwa nicht glauben will, so habe ich es selbst bewiesen, worauf kein Anderer sich hineingewagt hätte, dazumal Anno Vierzehn, als der Oberst bei mir in Frankreich stand. Wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier, die erstlich ganz verteufelt hübsch war, wenngleich sie zweitens auch ein Auge auf mich geworfen hatte. Und so stehe ich denn dessen ohngeachtet eines Tages an der Hausthür und putze mein Lederzeug, da kommt plötzlich ein – – –«
Es war so still um ihn geworden, daß er sich unterbrach und einen Blick im Stalle umherwarf. Die Jungfer hatte seine berühmte Erzählung nicht beachtet und war verschwunden.
»Sapperlot, Heinz, jetzt warst Du gleichwohl der größte Esel, den es geben kann! Was versteht denn die Ziege von Anno Vierzehn, obgleich der Bock sich auch nicht viel darum bekümmern wird? Darum will ich vorher hinaufgehen und mir Eine anstecken, worin ich dann mit anhören kann, wie es der Schmidt angefangen hat, das Krakehllinchen so prachtvoll an der Nase herum zu führen!« –[76]
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Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica
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