Die wilde Rose

Es glänzt der helle Thränenthau

In Deinem Kelch, dem todesmatten;

Du sehnst Dich nach des Himmels Blau

Hinaus aus düstrem Waldesschatten.

Es rauscht der Bach am Felsenspalt

Sein melancholisch Lied.

Hier ists so eng, hier ists so kalt,

Wo nie der Nebel flieht.


Du meine süße Himmelslust,

O traure nicht und laß das Weinen!

Dir soll ja stets an treuer Brust

Die Sonne meiner Liebe scheinen.

Drum schließe Deine Augen zu,

Worin die Thränen glühn.

Ja, meine wilde Rose, Du

Sollst nicht im Wald verblühn!


Karl May[71]


Quelle:
Die wilde Rose. Es glänzt der helle Thränenthau […] Karl May. In: Schacht und Hütte. 1. Jg. Nr. 9. S. 71. – Dresden (1875), S. 71-72.
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