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Grüß Gott, du liebes Tröpflein Thau!
So einen Schmuck giebt es wohl nimmer:
Von jedem Hälmchen auf der Au
Spitzt es wie Diamantenschimmer.
Entstammt der Erde, harrst du froh
Dem holden Morgenlicht entgegen,
Tränkst deinen Halm und wirst ihm so
Nicht nur zur Zierde, auch zum Segen.
Kommt dann aus gold-brokatnem Thor
Die Königin des Tags gestiegen,
So strebst du sehnsuchtsvoll empor,
Dich ihrem Strahle anzuschmiegen.
Du fühlst, du bist ihr unterthan,
Du kannst nicht ohne sie bestehen
Und wirst gezogen himmelan,
In ihrem Kusse aufzugehen.
Ein solches Tröpflein bin auch ich
Am Lebensmorgen einst gewesen,
Ein Tröpflein, das den andern glich,
Nicht auserwählt, nicht auserlesen.
Ich hing nicht hoch, ich wurde nicht
Von einer Rose stolz getragen;
Tief unten sah ich auf zum Licht
Und durfte kaum zu hoffen wagen.
Da stieg sie auf, so himmlisch klar,
So gnadenreich, voll Welterbarmen,
Und mich trieb es so wunderbar,
Mit ihr die Menschheit zu umarmen.
Es war, als ob ich beten müßt:
»O komm, und stille mein Verlangen!«
Da hat die Liebe mich geküßt,
Und ich bin in ihr aufgegangen.
Ausgewählte Ausgaben von
Himmelsgedanken
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