Capitel 12.
Was ferner Freudiges und Betrübtes fürgefallen item wie Wittich Appelmann gen Damerow auf die Wulfsjagd reutet, und was er meinem Töchterlein angesonnen.

[73] Der Herr segnete meine Gemeind wunderlich in diesem Winter, maßen sie nicht nur in allen Dörfern eine gute Menge Fische fungen und versilberten, besondern auch die Coserowschen 4 Saalhunde1 schlugen, item der große Stormwind von 12ten Decembris eine ziemliche Menge Birnstein an den Strand trieb, so daß nunmehro auch viele Menschen Birnstein funden, doch nit sonderlich von Größe, und wieder anfingen sich Viehe, als Küh und Schaafe von der Liepen und andern Orten zu kaufen, wie ich mir selbsten denn auch wieder zwo Kühe zulegete. Item lief mein Brodkorn, so ich zur Hälfte auf meinen Acker, und zur anderen Hälfte auf den alten Paasschen seinen ausgestreuet noch ganz lieblich und holdselig auf, da uns der Herr bis dato einen offenen Winter geschenket; aber wie es bei eines Fingers Länge aufgeschossen, lag es an eim Morgen wieder umbgestürzet und geruiniret und abermals durch Teufels-Spöck, massen auch jetzo wie zuvorab nit die Spur eines Ochsen oder Pferdes im Acker zu sehen war. Der gerechte Gott aber wölle es richten, wie es denn jetzo auch schon geschehen ist. Amen.

Hierzwischen aber trug sich etwas Absonderliches zu. Denn als Herr Wittich meines Vernehmens eines Morgens aus dem Fenster schauet, daß das Töchterlein seines Fischers, ein Kind bei 16 Jahren, deme er fleißig nachgestellet, in den Busch gehet, sich trocken Holz zu brechen, macht er sich auch alsobald auf, warumb? will ich nit sagen und mag sich ein Jeglicher selbsten abnehmen. Als er[73] jedoch den Klosterdamm eine Weile aufgeschritten und bei der ersten Brücken kömmt, da wo der Ebreschenbaum stehet, siehet er zwo Wülfe, so auf ihn zulaufen, und da er kein Gewehr nit bei sich führet, als einen Stecken, klettert er sofort in einen Baum, worauf die Wülfe umb selbigen herumtraben, ihn anblinzen mit den Augen, das Maul löcken, und endlich sich mit den Vordertatzen gegen den Baum in die Höhe auffheben, und hineinbeißen, wobei er gewahr worden, daß der eine Wulf, so ein He und ein langer feister Feger gewesennur ein Auge gehabt. Hebet also an in seiner Angst zu schreien, und die große Langmuth des barmherzigen Gottes wollte ihn auch noch einmal erretten, doch ohne, daß er dadurch klug worden wäre. Denn das Dirnlein, so sich auf der Wiesen hinter einen Knirkbusch verkrochen, als sie den Junker kommen sieht, rennet forts auf das Schloß zurücke, worauf denn auch viel Volks alsobald herbeifähret, die Wülfe verjaget, und den Junker erlöset. Selbiger ließ dahero eine große Wulfsjagd des andern Tages in der Klosterheiden ansagen, und wer den einäugigen Feger ihm todt oder lebendig brächte, sölle eine Tonne Bier zum Besten haben. Doch haben sie ihn nit gefangen, obgleich sie in den Netzen sonsten bei vier Wülfen diesen Tag gehabt und geschlagen. Also ließ er auch weiters in meinem Kapsel die Wulfsjagd ansagen. Doch wie der Kerl kömmt, die Glocke auf dem Thorm zu rühren, hält er nit ein wenig inne, wie es bei Wulfsjagden der Brauch ist, sondern schläget sine mora2 immer tapfer zu an die Glocke, so daß männiglich glaubt es sei ein Feuer aufgegangen, und schreiend aus den Häusern herfürspringt. So läuft auch mein Töchterlein herbei (denn ich selbsten war zu einem Kranken nach Zempin gefahren, angesehen mir das Gehen schon etwas schwer fiele, und ichs nunmehro ja auch besser haben mochte,)[74] hat aber noch nit lange gestanden, und nach der Ursachen geforscht als der Amtshaubtmann selber auf seinem Schimmel mit drei Fuder Zeug hinter ihm herbei galoppiret und dem Volk befiehlet, sogleich zur Heiden aufzubrechen und auf den Wulf zu klappern. Hierauf will er schon mit seinem Jägersvolk, und etzlichen Männern, so er sich aus den Häufen gegriffen, weiter reuten, umb hinter der Damerow den Zeug zu stellen maßen die Insel dorten wunderlich schmal ist3 und der Wulf das Wasser scheuet; als er meines Töchterleins gewahr wird, sein Pferd wieder umbdrehet, sie unter das Kinn greifet, und freundlich examiniret, wer und woher sie sei? Als er solches erforschet, sagt er, daß sie schier so hübsch sei, als eine Engelin, und daß er gar nit gewußt, daß der Priester hieselbsten eine so schöne Dirne hab. Reutet darauf weiter, sich noch wohl an die zwei oder drei Malen nach ihr umbschauend, und gelangt auch im ersten Treiben schon zu dem einäugigten Wulf, so im Rohr an der Sehe gelegen, wie sie gleich an der Loosung verspüret. Denn der Wulf looset immer auf einen Stein, die Wölfin aber thät ihre Loosung mitten in den Weg und es ist platschicht, wogegen seins immer fast dicke ist. Das hat den Junker sehr ergetzet und haben die Zeugknechte ihn mit großen eisernen Zangen aus dem Garn herfürhohlen und halten müssen, worauf er ihn bei einer Stunden lang unter großem Gelächter langsam und jämmerlich zu Tode gemartert, was ein prognosticon ist, wie ers nachhero mit meinem armen Kinde gemacht, denn Wulf oder Lamm ist diesem Schalksknecht gleich. Ach du gerechter Gott! – Doch ich will nichts übereilen noch zuvorkommen.

Des andern Tages kömmt den alten Seden sein gluderäugigt Weib, so wie ein lahmer Hund mit dem Hindern drohete, und stellet meinem Töchterlein für: ob sie nit wölle[75] bei dem Amtshaubtmann in Dienst treten, lobet ihn als einen frommen und tugendsamen Mann, und wäre alles was die Welt von ihm afterrede, erstunken und erlogen, wie sie selbsten deren Zeugniß ablegen könne, angesehen sie länger denn zehn Jahre bei ihme in dem Dienst gestanden. Item lobet sie das Essen, so sie dorten hätte, und das schöne Biergeld, so große Herren, welche hier gar oft zur Herberge lägen, vor die Aufwartung spendeten, wie sie denn selbsten von Sr.f.G. dem Herzogen Ernst Ludwig mehr denn ein Mal einen Rosenobel überkommen. Auch hätt es hier sonsten oft viel junge hübsche Leut, so daß es ihr Glück sein könnte, massen sie ein schön Frauensbild wäre, und nur das Aussuchen hätte, wen sie heirathen wölle; daß sie aber in Coserow, wo Niemand nit käme, sich krumm und dumm sitzen könne, bevorab sie unter die Hauben geriethe etc. Darob erzürnete sie mein Töchterlein über die Macht und antwortete: ei du alte Hexe, wer hat dir gesaget, daß ich wölle in Dienst treten, umb unter die Hauben zu kommen. Packe dich, und komm mir nit ferner in das Haus, denn ich habe mit dir Nichtes zu schaffen, worauf sie denn auch alsobald wieder mummelnd ihrer Straßen zog.

Kaum aber waren etzliche Tage verschienen, und stehe ich mit dem Glaser in der Stuben so mir neue Fenster eingesetzet, als ich mein Töchterlein in der Kammer bei der Küchen schreien höre. Laufe also gleich hinein, und perhorrescire heftiglich, als ich den Ambtshaubtmann selbsten in der Eckeh sahe, wie er mein Kind umbhalset hält. Läßt sie aber alsogleich fahren und spricht: ei Ehre Abraham, was habt Ihr für eine kleine spröde Närrin zur Tochter. Will ihr nach meiner Weiß einen Kuß zum Willkommen geben, da wehret sie sich, und thut einen Schrei, als wäre ich ein junger Fant, der sie überschlichen, so ich doch wohl doppelt ihr Vater sein könnte. Als ich hierauf schwiege,[76] hüb er an fortzufahren, daß er sie habe zuversichtlich machen wollen, massen er sie, wie ich wüßte in seinen Dienst begehrete und was er sonst fürbrachte und ich vergessen hab. Nöthigte ihn darauf in die Stube, dieweil er immer meine von Gott gesetzte Obrigkeit ware, und fragte demüthiglich: was Se, Gestrengen von mir wöllen? worauf er freundlich zur Antwort gab: daß er wohl billig mir zürnen möchte, angesehen ich ihn vor der ganzen Gemeine abgekanzelt, solches aber nit thun, sondern die Klageschrift contra me (gegen mich) so er schon gen Stettin an Se. fürstliche Gnaden geschicket und mir leicht den Dienst kosten könnte, wiederkommen lassen wölle, so ich seinen Willen thät. Und als ich fragete: was Sr. Gestrengen Willen wär, auch mich von wegen der Predigt soviel entschuldiget, als ich konnte, gab er zur Antwort: daß er sehr benöthiget sei um eine treue Ausgebersche, so er dem andern Frauensvolk fürsetzen könnte, und da er in Erfahrung gezogen, daß mein Töchterlein eine treue und wackere Person sei, möcht ich sie ihme in den Dienst geben. Siehe, sprach er zu ihr und zwackete sie in die Backen, so will ich dich zu Ehren bringen obwohl du ein so junges Blut bist, und doch schreistu, als wöllt ich dir zu Unehren verhelfen. Fu schäme dich! (Mein Töchterlein weiß dieses noch alles verbotenus4, ich hätte es über allen Jammer, so ich nachgehends gehabt, wohl hundertmal vergessen). Aber sie ließ sich solches verdrießen, indem sie von der Bank aufsprange und kurz zur Antwort gab: ich danke Ihme für die Ehre, will aber nur meinem Papa wirthschaften helfen, das wird besser Ehre vor mich sein, worauf der Junker sich zu mir hinwendete, und was ich dazu sagte? Ich muß aber bekennen, daß ich in nit geringer Angst ware, inmassen ich an die Zukunft gedachte, und an das Ansehn, in welchem der Junker bei Sr. fürstl. Gnaden[77] stande. Gab also demüthig zur Antwort: daß ich mein Töchtcrlein nit zwingen könne, sie auch gerne umb mich behielte, angesehen meine liebe Hausfrau in der schweren Pestzeit bereits dieses Zeitliche gesegnet, und ich nicht mehr Kinder hätte, denn sie alleine. Se. Gestrengen müchten dannenhero nicht ungnädig werden, wenn ich sie nicht bei Sr. Gestrengen in den Dienst schicken könnte. Dieses verdroß ihn heftiglich, und nachdeme er noch eine Zeitlang umbsonst disputiret, valedicirte er endlich, doch nicht, ohne mir zu dräuen, daß er es mir schon gedenken wölle. Item hat mein Knecht gehöretso in dem Pferdestall gestanden, daß er umb die Ecken gehend für sich gesaget: ich will sie doch wohl kriegen!

Solches machte mich schier wieder ganz verzaget, als den Sonntag darauf sein Jäger kam, Namens Johannes Kurt, ein hübscher, großer Kerl und wohlgeputzet. Hatte einen Rehbock vor sich auf das Pferd gebunden, und sagte: daß Se. Gestrengen mir solchen verehret, in Hoffnung ich würd mich besinnen über unsern Handel, anerwogen er seit der Zeit umbsonst nach einer Ausgebersche überall herumbgegabelt. Se. Gestrengen wölle auch, so ich mich anders schickete, bei Sr. fürstlichen Gnaden ein Fürwort thun, daß mir aus dem fürstlichen aerario die Dotation des Herzogen Pilippi Julii verabreichet würde, etc. Dieser junge Kerl erhielt aber dieselbige Antwort, denn sein Herr selbsten und bate ihn er wölle den Rehbock nur wieder mitnehmen. Aber solliches wegerte er sich, und da ich ihm von ungefährlich vorhero gesaget, daß Wildprett vor mich das liebste Essen sei, versprach er: mich auch in Zukunft reichlich zu versorgen, weilen es gar viel Wild in der Heiden hätte, er öftermalen hier im Streckelberge pürschen ginge, und ich (wollte sagen mein Töchterlein) ihm absonderlich gefiele, zu malen ich nit seines Herren Willen thät, welcherim Vertrauen geoffenbaret, kein Mädchen[78] nit im Friede ließe, es also auch meine Jungfer nit lassen würde. Wiewohlen ich nun sein Wildprett recusirete, bracht er es doch und kam inner 3 Wochen wohl an die vier oder fünf Malen, und wurde immer freundlicher gegen mein Töchterlein. Schwätzete endlich auch viel von seinen guten Dienst, und daß er sich eine gute Hausfrau suche, wo wir denn alsobald merketen, aus welcher Ecken der Wind bliese. Ergo5 gab ihm mein Töchterlein zur Antwort, wenn er sich doch eine Hausfrauen suche, so wundere es ihr, daß er die Zeit verliere, umbsonst nach Coserow zu reuten, denn hier wisse sie keine Hausfrau vor ihn, welches ihn fast schwer verdroß, und er nit wieder kam.

Nun hätte männiglich gläuben sollen, der Braten wäre doch auch vor den Amtshaubtmann zu riechen gewest; nichts destoweniger aber kam er bald darauf wieder herbeigeritten, und freiete nun gerade raus vor seinen Jäger um mein Töchterlein. Versprach auch, er wölle ihm ein eigen Haus in der Heiden bauen, item ihm Kessel, Schüsseln, Betten etc. verabreichen, angesehen er den Kerl aus der heiligen Taufe gehoben, und er sich auch inner sieben Jahren wacker und gut in seinem Dienst gestellet. Hierauf gab ihm mein Töchterlein zur Antwort, daß Se. Gestrengen ja bereits gehöret, daß sie ihrem Papa nur wirthschaften wölle, sie auch noch viel zu jung wäre, umb schon vor eine Hausfrau zu gelten.

Solches verdroß ihn aber nit, wie es den Anschein hatte, sondern nachdem er noch eine Zeitlang viel umbsonst discuriret, ging er freundlich abe, wie ein Kätzlein, so sich auch stellet, als ließe sie von der Maus, und hinter die Ecken kreucht, so es doch nicht ihr Ernst ist, und sie alsbald wieder herfürspringt. Denn er sahe sonder Zweifel, daß er seine Sache sehr tumm angefangen, darumb ging er, sie[79] besser anzuheben, und Satanas ging mit ihm, wie weiland mit Judas Ischarioth.

1

Seehunde.

2

ohne zu pausieren.

3

Die Breite, welche immer mehr ab nimmt, beträgt jetzt kaum noch einen Büchsenschuß.

4

wörtlich.

5

Daher.

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 73-81.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Bernsteinhexe
Maria Schweidler, die Bernsteinhexe: Der interessanteste aller Hexenprozesse, nach einer defekten Handschrift ihres Vaters, des Pfarrers Abraham Schweidler in Coserow auf Usedom
Die Bernsteinhexe
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler: Der interessanteste aller bekannten Hexenprozesse - Nach einer defekten Handschrift ihres Vaters, des Pfarrers Abraham Schweidler in Koserow auf Usedom
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Maria Schweidler, Die Bernsteinhexe, Der Interessanteste Aller Bis Her Bekannten Hexenprozesse; Nach Einer Defekten Handschrift Ihres Vaters Des . In Coserow Auf Usedom (German Edition)

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon