[31] Als ich des andern Tags mit gemeinem Geschrei, des ganzen Dorfs die elenden Leichname beerdiget (merke, da wo die Linde1 über die Mauer schattet, seind sie alle begraben) hörete ich mit vielen Seufzern, daß auch weder die Sehe noch das Achterwasser etwas hergeben gewöllt. Dies dauerte bei zehn Tagen, daß das arme Volk fast kein Fisches Auge nit kunnte fangen. Ging dahero auf das Feld, und sanne, wie der Zorn des gerechten Gottes über uns zu wenden wär, dieweil der harte Winter vor der Thür und kein Korn, kein Fisch, kein Apfel, kein Fleisch nicht sowohl im Dorfe als im ganzen Kapsel mehr zu finden. Denn Gewilde hatte es zwar genugsam in der Coserowschen und Uekeritzer Heiden, aber der alte Heidenreuter Zabel Nehring war im verschienen Jahr an der Pestilenz gestorben, und noch kein neuer daselbsten. Auch war im ganzen Kapsel keine einige Mousquete oder Kraut dazu aufzufinden, sintemalen der Feind alles geraubet und zubrochen. Wir mußten dahero alle Tage ansehen, wie Hirsche, Rehe, Haasen, Schweine et cet. uns fürbei sprangen, da wir sie doch lieber in unserm Magen gehabt, aber in unserer Unmacht sie nicht gewinnen kunnten. Und in Gruben wollten sie sich nicht fahen lassen. Doch hatte Claus Peer ein Rehe darin gefangen, und mir auch ein Stück davon verehret, was ihm Gott lohnen wölle. Item an zahmen Vieh war fast gar nichtes mehr in Kapsel fürhanden, auch kein Hund, weder eine Katze, welche das Volk in der großen Hungersnoth zum Theile gegessen, zum Theile aber vorlängst geschlagen[31] oder versäufet. Doch hatte der alte Bauer Paassch noch zwei Kühe item soll in Uekeritze noch ein alter Mann ein Ferkelken gehabt haben, das war Alles. Darumb lebete fast alles Volk von Brummel- und andern Waldbeeren, welche aber auch schon begunnten seltsam zu werden, wie man leichtlich gießen mag. Auch hatte sich dabei allbereits ein Knabe bei 14 Jahren verloffen, (den alten Labahn sein Junge) und nie nichtes wieder von sich hören lassen, so daß ich schier befahre, daß ihn die Wülfe gefressen.
Hieraus möge nun ein christlich Herze vor sich selbsten abnehmen, in was Gram und Trübsal ich meinen Stecken zur Hand genommen, angesehen mein Töchterlein für den leidigen Hunger wie ein Schatten verging, obschon ich selbsten als ein alter Körper, durch die Gnade des barmherzigen Gottes noch keinen sonderbaren Abgang meiner Kräft verspürete. In deme ich nun so ginge im fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf dem Wege gen Uekeritze so ich eingeschlagen, einen Bettlersmann, der saß mit seinem Ränzel auf einem Stein und verzehrete ein Stücklein seltene Gottesgabe, verstehe ein Stücklein Brod. Ach, da liefen mir armen Mann die Backen so voll Wassers, daß ich mich erst bücken und es zur Erde mußte laufen lassen, ehe ich fragen kunte: »wer bistu, und wo kommstu her, daß du Brod hast?« Worauf er antwortete: daß er ein armer Mann aus Bannemin sei, deme der Feind Allens genommen, und da er erfahren, daß der Lieper Winkel2 fast lange Frieden gehabt, hätt' er sich aufgemacht daselbsten zu schnurren. »Nunsage ich darauf: du armer Bettlersmann, so theile einem betrübten Diener Christi der ärmer ist denn du, nur eine kleine Schnede3 Brodt für sein armes Töchterlein ab, denn du[32] sollt wissen, ich bin ein Pfarrherr hier im Dorf und mein Kind will sterben für Hunger. Ich beschwere dich bei dem lebendigen Gott, daß du mich nit gehen lässest, ohne dich mein zu erbarmen, wie man sich dein erbarmet hat.« Aber der Bettlersmann wollte mir nichts abtheilen, sprechende: daß er selbsten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem bittern Hungerstode zuwanketen, massen die Noth in Bannemin noch viel größer sei, denn hier, wo wir doch Beere hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort ein Weibsbild (die er auch nennete, hab es aber für Schrecken nicht gleich beachtet) ihr eigen Kind geschlachtet, und für Hunger aufgezehret4? Könne mir dahero nicht helfen und möchte ich selbsten nach dem Lieper Winkel gehen.
Für solche Rede entsatzte ich mich, wie leicht zu erachten, da in unserer Noth noch nichts daran vernommen, auch wenig oder gar kein Wanken ist, von einem Dorf in das andere, und an Jerusalem gedenkend5 und schier verzweifelnde, daß uns der Herr heimsuchete, wie weiland diese gottlose Stadt, wiewohl wir ihn nicht verrathen noch gekreuziget, vergaß ich fast meiner Noth, und setzte meinen Stecken an, umb fürbast zu gehen. Doch war ich kaum ein paar Ehlen geschritten, als mir der Bettlersmann nachrief, daß ich stehen söllte. Wanndte mich dahero wieder als er mir mit einer guten Schnede Brod, so er aus seinem Queersack gehohlet entgegentrat und sprach: Da! äwer bedet uck för mi, datt ick to Huuse kame, denn wenn se unnerweges rücken, datt uk Brod hebbe, schleht mi min egen Broder dod, köhnt gi glöwen.6 Solliches versprach mit Freuden, und kehrete flugs um, meinem Töchterlein[33] den heiligen Christ zu bringen, so ich in meiner Rocktaschen verborgen. Doch siehe, als ich gegen die Straßen komme, so vom Wege nach Loddin führet (vorhero hatt' ich es in meiner Betrübniß übersehen) trauete kaum meinen Augen, als ich alldorten mein Ackerstück bei sieben Scheffeln groß, begatet7 besäet und bestaudet antraff, so daß die liebe Roggensaat, schon bei eines Fingers Länge lustig aus der Erden geschossen war. Konnte nicht anders gläuben, als daß der leidige Satan mir ein Blendwerk fürgespielet; doch wie ich mir auch die Augen riebe, es war Roggen und bliebe Roggen. Und weilen den alten Paassch sein Stück so daneben stieß imgleichen besäet und die Hälmlein zu gleicher Höhe mit den meinigen geschossen waren, kunnte gar leicht bei mir abnehmen, daß der gute Kerl solliches gethan, anerwogen die andern Stücken allesammt wüste lagen. Verziehe ihm dahero gerne, daß er den Morgenseegen nit gewußt und dem Herrn dankend vor so viel Liebe bei meinen Kapselkindern und ihn brünstiglich anflehend: er wölle mir Kraft und Glauben gewehren, bei ihnen nunmehro auch unverdrossen auszuhalten, und alle Kümmernüß und Trübsal so er nach seinem grundgütigen Willen uns ferner auferlegen söllte, williglich zu tragen, lief ich mehr denn ich ginge in das Dorf zurücke und auf den alten Paassch seinen Hof, wo ich ihn antraf, daß er eben seine Kuh zuhauete, so er für grimmigem Hunger nunmehro auch geschlachtet. »Gott hilf dir!« sage ich »du frommer Kerl, daß du mir meinen Acker begatet hast, wie soll ich dir's lohnen?« Aber der alte Mann gab zur Antwort: Lat he dat man wesen und bede he man för uns8 und als ich solliches gerne zusagete und ihn fragete: wie er sein Korn für dem grimmigen Feind geborgen, verzählete er mir, daß er es in der Höhlen im Streckelberge heimlichen versteckt gehabt, nunmehro[34] aber auch all sein Fürrath aufgezehret sei. Inzwischen schnitt er ein groß schön Stück Fleisch dem Haubt aus der Lenden und sprach: da hett he uck wat, und wenn et All iß, kann he noch eiß kamen.9 Als ich nun mit vieler Danksagung gehen wölk, griff mich seine kleine Marie bei der Hand, ein Kindlein bei sieben Jahren, so im Streckelberge das Gratias gebetet und wollt mit zu meiner Tochter nach der Schulen. Da, wie vorbemeldet, mein custos in der Pestzeit auch dieses Zeitliche gesegnet, muß sie die Paar kleinen Kinder im Dorf informiren, welches aber seit lange unterblieben. Wollt es ihr dahero nicht wegern, obwohl ich gleich besorgete, daß mein Töchterlein das Brod mit ihr theilen würd, angesehen sie das Mägdlein sehr lieb hatte, da es ihre Päthe war. Und so geschahe denn auch. Denn als das Kind sahe, daß ich das Brod herfürlangete, schriee es gleich für Freuden auf und begunnte auf die Bank zu klettern. Daher bekam sie einen Theil von der Schnede, einen Theil unsere Magd und den dritten Theil steckte mein Töchterlein in den Mund, da ich Nichtes haben wollte, sondern sprach: ich verspüre keinen Hunger und wölle warten bis sie das Fleisch gesotten, welches ich nunmehro auf die Bank wurf. Da hätte man sehen sollen, welche Freude mein armes Kind empfund, zumalen ich ihr nun auch von dem Roggen verzählete. Sie fiel mir umb meinen Hals, weinete, schluchzete, hob alsdann das kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzete mit selbiger in der Stuben und recitirete nach ihrer Weiß dazu allerhand lateinische versus so sie auswendig wußte. Nun wollte sie uns auch ein recht schön Abendbrod zurichten, da in einer Fleischtonnen, so die Kaiserlichen zuschlagen, noch ein wenig Salz auf dem Boden geblieben. Ließ sie also ihr Wesen treiben, und kratzete etwas Ruß aus dem Schornstein, so ich mit Wasser vermengete, riß alsdann ein fast weißes[35] Blatt aus dem Virgilio und schriebe an den pastorem Liepensem, Ehre Abrahm Tiburtius: Daß er umb Gottes willen sich wölle unsere Noth zu Herzen gehen lassen, und seine Kapselleute vermahnen, daß sie uns für dem grimmigen Hungertod schützen und mildthätiglich an Speise und Trank abtheilen wöllten, was der grundgütige Gott ihnen gelassen, angesehen ein Bettlersmann mir verzählet, daß sie seit langer Zeit Friede für dem erschröcklichen Feind gehabt. – Wußte aber nit, womit ich den Brief verschließen söllte, als ich in der Kirchen noch ein wenig Wachs an einem hölzernen Altarleuchter funde, so die Kaiserlichen nicht werth geachtet, daß sie ihn aufhüben, und nur die messingschen mit sich geführet hatten. Mit solchem Brief mußten sich drei Kerls und der Fürsteher Hinrich Seden in ein Boot setzen und nach der Liepe aufmachen.
Eher noch stellte aber meiner alten Ilsen für so aus der Liepe bürtig war, ob sie nit lieber wöllte mit in ihre Heimath ziehen, maßen sie sähe, wie es stünd, ich ihr auch vors Erste keinen Witten an Lohn geben künnte. (Merke: sie hatte sich ein schön Sümmlein ersparet, angesehen sie länger denn 20 Jahre bei mir in Dienst gewest, aber das Kriegsvolk hatte ihr Allens abgenommen.) Aber ich kunnte sie nicht dazu bringen, sondern sie weinete bitterlich und bate, daß ich sie nur bei der guten Jungfer lassen söllte, so sie schon in der Wiegen gekennet. Wöllte gerne mit uns hungern, wenn es sein müßt, möchte sie nur nit verstoßen. Dahero ließ ich sie und fuhren die Andern allein ab.
Unterdeß war auch die Suppen gar worden. Doch als wir kaum das Gratias gebetet, und zulangen wollten, kamen alle Kindlein aus dem ganzen Dorfe bei sieben an der Zahl zur Thüre herein, und wollten Brod haben, welches sie[36] von meiner Tochter ihrer kleinen Päthe gehöret. Da brach selbiger nun wieder das Herze, und obgleich ich sie bate, sich hart zu machen, vertröstete sie mich doch mit der Lieper Bothschaft, und kellete einem jeden Kindlein sein Theil Suppen auf einen hölzernen Teller (denn diese hatte der Feind nicht geachtet) und stach ihm auch ein wenig Fleisch in die Händeken, sodaß unser Fürrath mit einmal aufgezehret ward. Blieben dahero des andern Morgens wieder nüchtern bis gegen Mittag, wo das ganze Dorfsich auf der Wiesen am Ufer versammblet hatte, als das Boot zurücke kam. Aber Gott erbarm's, wir hatten fast umbsonst gehoffet! – Nur sechs Brode und ein Hammel item ein Viert Backäpfel war allens was sie hatten. Denn Ehre Abraham Tiburtius schriebe mir, daß, nachdem das Geschrei von ihrem Reichthumb über die ganze Insel erschollen, soviel Bettlersleute bei ihnen umbgingen, daß sie ihnen unmüglich gerecht werden künnten, angesehen sie selbsten nicht wüßten, wie es noch mit ihnen in dieser schweren betrübten Zeit ablaufen würd. Indessen wöllte er sehen, ob er noch mehr auftreiben künnte. Ließ also den kleinen Fürrath mit vielem Seufzen in die Widemen tragen, und obgleich zwei Brode wie pastor lipensis schriebe, vor mich allein sollten, gabe ich sie doch mit in die Theilung, womit auch Alle sich zufrieden stellten, ausgenommen den alten Seden sein gluderäugigt Weib nit, so noch apart für ihren Mann seine Reise etwas haben wollte, was aber, wie leicht zu erachten, nit geschah, weshalben sie wieder, da sie abzoge, etzliche Worte zwüschen die Zähne mummelte, die aber Niemand nit verstand. Es war ein schier verrucht Weib, so sich durch Gottes Wort nicht beikommen ließ.
Nun kann aber männiglich von sich selbsten abnehmen daß solcher Fürrath nit lange aushielt. Da nun zugleich auch bei allen Kapselleuten ein brünstig Verlangen nach der geistlichen Speise sich verspüren ließ; ich selbsten und[37] die Fürsteher aber nur 8 Witten10 im ganzen Kapsel auftreiben kunnten, so nit auslangeten, umb Brod und Wein anzuschaffen, kam ich auf die Gedanken, abermals dem Herrn Ambthaubtmann unsere Noth zu vermelden. Mit wie schwerem Herzen ich solliches that, kann man leicht erachten. Aber Noth kennt kein Gebot. Riße dahero auch das Hinterblättlein aus dem Virgilio und bate, ümb der heiligen Dreieinigkeit willen, daß Seine Gestrengen sich meiner und des ganzen Kapsels gemeine Noth wöllte zu Herzen gehen lassen, und ein wenig Geld hergeben, zum Trost der betrübten Seelen das heilige Sacrament zu halten, auch wo müglich einen Kelch zu kaufen, so er auch nur von Zinne sein söllte, sintemalen der Feind die fürhandenen geraubet, und ich sonsten gezwungen wär das heilige Nachtmal in einem Topf zu consacriren. Item möcht er sich auch unserer leiblichen Noth erbarmen, und mir endiglichen mein, seit so viel Jahren hinterstelliges Mistkorn verabreichen. Wölke es nicht allein vor mich selbsten haben sondern es gern mit dem ganzen Kapsel theilen, bis der grundgütige Gott mehr bescheeren würd.
Hierzwischen fiel mir aber ein stattlicher Kläcks auf das Papier. Denn da die Fenster mit Brettern verspundet waren, ware das Zimmer tunkel und nur ein wenig Licht kam durch zwei kleine Scheiblein Glas, so ich aus der Kirchen gebrochen, und hineingesetzet. Solliches mochte wohl die Ursache sein, daß ich mich nit besser fürsah. Da ich aber kein neues Stücklein Papier mehr auftreiben kunnte, ließ ich es passiren, und befahle der Magd, so ich mit dem Brieflein gen Pudgla sandte, solliches bei Sr. Gestrengen, dem Herrn Ambtshaubtmann zu entschuldigen, welches sie auch zu thun versprach; angesehen ich selbsten kein Wörtlein mehr auf dem Papier beisetzen kunnte, dieweil[38] alles beschrieben war. Siegeln thät ich es, wie vorbemeldet.
Allein die arme Person kehrete zitternd für Angst und weinend zurücke, und sprach: Seine Gestrengen hätte sie mit dem Fuß aus der Schloßpforten gestoßen und gedräuet, sie in den Ganten11 setzen zu lassen, so sie wiederumb vor ihn käme. Ob der Pfaffe gläube, daß ihm das Geld so loose säß, wie mir die Tinte, hätte ja Wasser genug das Abendmahl zu halten. Denn hätte Gottes Sohn einmal das Wasser in Wein gewandelt, könnt er's auch öftermalen. Hätt' ich keinen Kelch sollt ich meine Schaaf aus einem Eimer tränken, wie er's auch thät, und was solcher Gotteslästerungen mehr waren, so er mir nachgehends auch selbsten schriebe, und wovor ich mich, wie leicht abzunehmen, auf das erschröcklichste entsatzte. Von dem Mistkorn verzählete sie, hätte er gar Nichtes gesagt. In solcher meiner großen Seelen- und Leibesnoth kam der liebe Sonntag heran, wo fast die ganze Gemeind zu Gottes Tisch gehen wollt, aber nicht kunnte. Ich sprach dannenhero über die Worte St. Augustins: crede et manducasti12 wobei ich fürstellete, daß die Schuld nit mein und treulichen erzählete, wie es meiner armen Magd in Pudgla ergangen, doch dabei noch Vieles verschwiege, und nur Gott bate, er wölle das Herz der Obrigkeit zu unserm Frommen erwecken. Kann auch in Wahrheit sein, daß ich härter gesprochen, denn ich gegläubet, was ich nit mehr weiß, sintemalen ich sprach: wie mir umb's Herze war. Zum Schluß mußte die ganze Gemeine auf ihre Knie fallen bei einer Stunde lang und den Herrn umb sein heilig Sacrament anrufen, item umb Linderung ihrer Leibesnoth, wie solliches zeithero auch alle Sonntage und sonsten in den täglichen Betstunden geschahe, so ich seit der[39] schweren Festzeit zu halten gewohnt gewest. Endelichen stimmte ich noch das feine Liedlein an: wenn wir in höchsten Nöthen sein, worauf nicht sobald geschlossen als mein neuer Fürsteher Claus Bulk von Uekeritze, so früher ein Reutersmann bei Sr. Gestrengen gewesen, und den er nunmehro zu einem Bauern eingesetzet, gen Pudgla rannte, und avertirte, was in der Kirchen fürgefallen. Solliches verdroß Sr. Gestrengen heftiglichen, so daß er den ganzen Kapsel, noch bei 150 Köpfen stark, die Kinder ungerechnet, zusammenrief, und ad protocollum diktirte, was sie von der Predigt behalten, maßen er Seiner fürstlichen Gnaden dem Herzogen von Pommern zu vermelden gesonnen, welch gotteslästerliche Lügen ich gegen ihn ausgespieen, wovor ja ein christlich Herz erschrecken müßt; item welch ein Geizhals ich wär, daß ich nur immer von ihm haben wöllt, und ihn in dieser harten und schweren Zeit, sozusagen tagtäglich mit meinen Sudelbrieffen anrennete, wo er selbsten vor sich nichts zu essen hätte. Das söllte dem Pfaffen den Hals brechen, da Se. fürstliche Gnaden alles thät, was er fürzustellen käme, und brauchte Niemand im Kapsel mir Nichtes mehr zu verabreichen sondern sie söllten mich nur lauffen lassen. Er wölle schon sorgen, daß sie einen ganz andern Priester wieder erlangeten, denn ich wär.
(Möchte den aber wohl sehen, der sich in sollich Unglück hineinzubegeben entschlossen gewesen wär.) Diese Botschaft wurde mir aber noch in selbiger Nacht hinterbracht, wovor ich fast heftig erschrack, angesehen ich wohl einsahe, daß ich nun nit einen gnädigen Herrn an Sr. Gestrengen bekommen, sondern Zeit meines erbärmlichen Lebens, wenn ich es anderst söllte fristen können, eine ungnädige Herrschaft haben würd. Doch tröstete mich bald ein Etwas, als Chim Krüger aus Ueckeritze, so mir solches hinterbrachte, ein Stücklein von seinem Ferkel[40] aus der Taschen zog, das er mir verehrete. Darüber kam auch der alte Paassch hinzu, welcher dasselbe sagte, und noch ein Stücklein von seiner alten Kuh herfürlangte, item mein anderer Fürsteher Hinrich Seden mit einer Schnete Brod, und einem Braxen13, so er in den Reusen gehabt, alle sagende: daß sie keinen bessern Priester wöllten, als ich, und möchte ich nur bitten, daß der barmherzige Gott mehr bescheeren wölle, wo es mir dann auch an Nichtes fehlen söllt, inzwischen aber söllte ich stille sein, und sie nit verrathen. Solliches gelobte ich Alles zu thun, und mein Töchterlein Maria hob alsobald die liebe Gottesgab von dem Tische und trug sie in die Kammer. Aber o Jammer, des andern Morgens als sie das Fleisch in den Grapen thun wollte, war Allens fort! Weiß nichtwer mir dieses neue Herzeleid bereitet doch meine fast, daß es Hinrich Seden sein böses Weib gethan, sintemalen er nicht schweigen kann, und ihr wie gläublich, wohl alles wiedererzählet. Auch hat Paasschen sein klein Töchterlein gesehen, daß sie zum andern Mittag Fleisch in dem Topf gehabt, item daß sie mit ihrem Mann gehaddert, und nach ihme mit dem Fischbrett geschmissen, auf welchem noch frische Fischschuppen gesessen; hätte aber sich gleich begriffen, als sie ihrer gewahr worden. (Pfui dich alte Hexe, es wird genug wahr sein!) Dahero blieb uns nichts übrig, als unsere arme Seele mit Gottes Wort zu speisen. Aber auch diese war so verzaget, daß sie nichts mehr annehmen wöllte, so wenig als der Magen. Denn mein arm Töchterlein insonderheit, ward von Tag zu Tag blasser, grauer und gelber, und spiee immer wieder die Speiß aus, da sie Allens ohne Salz und Brod genoß. Wunderte mich schon lange, daß das Brod aus der Liepe nit wollte all werden, sondern ich alle Mittag bisher ein Stücklein gehabt. Hatte auch öftermalen gefraget, wo hastu denn immerfort das liebe Brod her, am Ende hebest du Alles vor mich allein[41] auf, und nimmst weder vor dich ein Stücklcin, noch vor die Magd. Aber beide hoben dann immer ein Stücklein tannen Bork14 in die Höhe, so sie zurecht geschnitten und vor ihren Teller gelegt, und da es dunkel war in der Stuben, merkete ich die Schalkheit nit, sondern gläubete sie äßen auch Brod. Aber endiglichen zeigt es mir die Magd an, daß ich es nit länger leiden söllte, dieweil mein Töchterlein ihr selbsten nit hören wölle. Da kann nun männiglich abnehmen, wie mir um das Herze war, als ich mein arm Kind auf ihr Moosbett liegen und ringen sah mit dem grimmigen Hunger. Aber es sollte noch härter kommen, denn der Herr wollte mich ganz zerschlagen in seinem Zorn wie einen Topf. Siehe auf den Abend desselbigen Tages kommt der alte Paassch angelaufen klagende, daß all sein und mein Korn im Felde umbgehaket und elendiglich zerstöret sei, und müsse dies schier der leidige Satan gethan haben, angesehen nicht die Spur eines Ochsen weder eines Rosses zu sehen wär. Für solche Rede schriee mein arm Kind laut auf und fiel in Unmacht. Wollte ihr dahero zu Hülfe springen, aber ich erharrete nit ihr Lager, sondern fiel für gräulichen Jammer selbsten zur Erden. Als nun die Magd wie der alte Paassch ein laut Geschrei herfurstießen, kamen wir zwar wieder bei uns, aber ich konnte mich nit allein mehr von der Erden erheben, so hatte der Herr meine Gebein zermalmet. Bate daher, als sie mir beisprangen, so wöllten mich nur liegen lassen, und als sie solches zu thun sich wegerten, schriee ich, daß ich doch gleich wieder zur Erden müßt' ümb zu beten und möchten sie nur Alle bis auf mein Töchterlein aus der Stube gehn. Solliches thäten sie, aber das Beten wollte nit gehen. Ich geriethe in schweren Unglauben und Verzweiflung, und mürrete wieder den Herrn, daß er mich härter plagete denn Lazarum und Hiob. Denn dem Lazaro schriee ich Elender, hattest du doch die Brosamen und die[42] barmherzigen Hündlein gelassen, aber mir hast du nichts gelassen, und bin ich selber schlechter vor dir, denn ein Hund geachtet, und den Hiob hast du nicht gestrafet, ehe du gnädiglich ihm seine Kinder genommen, mir aber lässest du mein arm Töchterlein, daß ihre Qual meine eingene noch tausendfältiglich häufen muß. Siehe darumb kann ich dich nichts mehr bitten, denn daß du sie bald von dieser Erden nimmst, damit mein graues Haubt ihr freudig nachfahren könne in die Grube! Wehe ich ruchloser Vater, was hab' ich gethan? Ich hab Brod gessen und mein Kindlein hungern lassen! O Herr Jesu, der du sprichst: welcher ist unter euch Menschen, so ihn sein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete? Siehe ich bin dieser Mensch, siehe ich bin dieser ruchlose Vater, ich habe Brod gessen und meinem Töchterlein Holz geboten, strafe mich, ich will dir gerne stille halten! O mein gerechter Jesu, ich habe Brod gessen und meinem Töchterlein Holz geboten! – Als ich solliches nicht redete sondern laut herfürschrie, indem ich meine Hände range, fiel mir mein Töchterlein schluchzend umb den Hals, und strafete mich, daß ich gegen den Herrn murrete, da doch sie selbsten als ein schwach und gebrechlich Weib gleichwohl nicht an seiner Gnade verzweifelt sei; so daß ich bald mit Schaam und Reue wieder zu mir selbsten kam, und mich vor dem Herrn demüthigte für solche Sünden.
Hierzwischen war aber die Magd mit großem Geschrei in das Dorf gerannt, ob sie ein wenig für ihre arme Jungfer gewinnen möcht. Aber die Leute hatten ihr Mittag schon verzehret und die Meisten waren auf der Sehe, sich die liebe Nachtkost zu suchen; dahero sie nichts gewann, angesehen die alte Sedensche so allein noch einen Fürrath gehabt, ihr nichts hätte verabreichen wöllen, obschon sie selbige um die Wunden Jesu gebeten.
Solliches verzählete sie noch, als wir es in der Kammer poltern höreten, und alsobald ihr guter alter Ehekerl, der[43] dorten heimlich in das Fenster gestiegen war, einen Topf mit einer kräftigen Suppen uns brachte, so er seinem Weibe von dem Feuer gehoben, die nur einen Gang in den Garten gethan. Er wisse wohl, daß sein Weib ihm dieses baß vergelten würde, aber das söllt ihn nicht verdrießen, und möchte die Jungfer nur trinken, es wäre gesalzen und Allens. Er wölle nur gleich wieder durchs Fenster eilen und sehen, daß er vor seinem Weibe ins Haus käme, damit sie es nicht merken thät, wo er gewesen. Aber mein Töchterlein wollte den Topf nit nehmen, was ihn sehr verdroß, so daß er ihn fluchend zur Erden setzte und wieder in die Kammer lief. Nicht lange, so trat auch sein gluderäugigt Weib zur Vorderthüren herein, und als sie den Topf auf der Erden noch dampfen sahe, schriee sie: »du Deef15 du verfluchtes deefsches Aas« und wollte meiner Magd in die Mütze fahren. Ich bedräuete sie also, und verzählete, was fürgefallen; wöllte sie es nit gläuben so möcht sie in die Kammer gehen und durchs Fenster schauen, wo sie ihren Kerl vielleicht noch laufen säh. Sollichtes that sie, und höreten wir sie auch alsogleich ihrem Kerl nachschreien: Teuf di sall de Düwel de Arm utrieten, kumm mie man wedder int Huus16 worauf sie wieder hereintrat, und mummelnd den Topf von der Erden hob. Ich bat sie umb Gottes willen, sie wölle meinem Töchterlein ein wenig abtheilen, aber sie höhnete mich und sprach: ji koehet ehr jo wat vör prädigen, aß ji mie dahn hebt17 und schritt mit dem Topf zur Thüren. Zwar bat mich mein Töchterlein ich söllte sie lassen, aber ich konnt nicht umbhin, daß ich ihr nachschrie: um Gottes willen nur einen guten Trunk, sonst giebt mein armes Kind den Geist auf; willtu, daß Gott sich dein am jüngsten Tage erbarme, so erbarme dich[44] heute mein! Aber sie höhnete uns abermals und rief: he kann sich jo Speck kaken18, und schritt aus der Thüren. Sandte ihr also die Magd nach mit der Sanduhr, so vor mir auf dem Tische stund, daß sie ihr selbige bieten möcht' vor einem guten Trunk aus ihrem Topf. Aber die Magd kam mit der Sanduhren wieder und sagte: sie hätt es nicht gewollt. Ach wie schriee und seufzete ich nun abermals, als mein arm sterbend Kind den Kopf mit einem lauten Seufzer wieder in das Moos steckete! – Doch der barmherzige Gott war gnädiger, als ich es mit meinem Unglauben verdient. Denn, da das hartherzige Weibsbilde dem alten Paassch ihrem Nachbarn ein wenig Suppen mitgetheilt, bracht' er sie sogleich vor mein Töchterlein, da er von der Magd wußte, wie es umb sie stünde, und achte ich, daß diese Suppen, nebst Gott, ihr allein das Leben erhalten, dieweil sie gleich wieder das Haupt aufreckte, als sie selbige genossen, und nach einer Stunden schon wieder im Hause umbhergehen konnte. Gott lohn's dem ehrlichen Kerl! Hatte dahero noch heute große Freud in meiner Noth; doch als ich am Abend beim Kaminfeuer niedersaß, und an meine Verhängnüß gedachte, brach wieder der Schmerz herfür, und beschloß nun mehro mein Haus und meine Pfarre selbst zu verlaufen, und als ein Bettlersmann mit meiner Tochter durch die weite Welt zu ziehen. Ursache kann man genugsam denken. Denn da nunmehro alle Hoffnung mir weggestochen war, massen mein ganzes Feld geruiniret, und der Amtshaubtmann mein ergrimmter Feind worden war, ich auch binnen fünf Jahren keine Hochzeit, item binnen einem Jahr nur zwo Taufen gehabt, sahe meinen und meines Kindes Tod für Augen, dieweil gar nit abzusehen, daß es vors Erste besser söllte werden. Hiezu trat die große Furcht in der Gemein. Denn obwohl sie durch Gottes wunderliche Gnade schon anfingen manchen guten Zug beides in der Sehe wie im[45] Achterwasser zu thun, auch mancher in den andern Dörfern sich schon Salz, Brod, Grütze etc. von den Anklammschen und Lassanschen Pöltern und Quatznern19 vor seine Fische hatten geben lassen, brachten sie mir doch Nichtes, weil sie sich scheueten, daß es möcht gen Pudgla verlauten, und sie einen ungnädigen Herrn haben. Winkete dannenhero mein Töchterlein neben mich, und stellte ihr für, was mir im Gedanken lage. Der grundgütige Gott könne mir ja immer eine andere Gemeinde wieder bescheeren, so ich sollte solcher Gnade würdig vor ihm befunden werden, angesehen die grimmige Pest- und Kriegeszeit manchen Diener seines Worts abgerufen, ich auch nicht, wie ein Miethling von seiner Heerde flöhe, besondern bis dato Noth und Tod mit ihr getheilet. Ob sie aber wohl des Tages ein oder zwo Meilen würde gehen künnen? dann wöllten wir uns gen Hamburg durchbitten zu meiner seligen Frauen ihrem Stiefbruder, Martin Behring so dorten ein fürnehmer Kaufmann ist.
Solliches kam ihr anfänglich seltsam für, inmassen sie wenig aus unserm Kapsel gekommen auch ihre selige Mutter und Brüderlein auf unserm Kirchhof lagen. »Wer dann ihr Grab aufmachen und mit Blumen bepflanzen söllte? item, da der Herre ihr ein glatt Gesicht gegeben, was ich thun wöllte, wenn sie in dieser wilden grimmigen Zeit auf der Landstraßen von dem umbherstreichenden Kriegsvolk und andern Lotterbuben angefallen würd, da ich ein alter schwacher Mann sei und sie nit schützen könnte, item womit wir uns für dem Froste schützen wöllten, da der Winter hereinbräch, und der Feind unsere Kleider geraubet, so daß wir ja kaum unsere Blöße decken künnten?« – Dieses Alles hatte ich mir noch nicht fürgestellet, mußte[46] ihr also recht geben, und wurde nach vielem Disputiren beschlossen, daß wir zur Nacht die Sache wöllten dem Herrn überlassen, und was er am andern Morgen uns würde in das Herze geben, wöllten wir thun. Doch sahen wir wohl, daß wir auf keinerlei Weiß würden die alte Magd länger behalten können. Rief sie also aus der Küchen herbei, und stellete ihr für: daß sie morgen frühe zu guter Zeit sich nach der Liepen aufmachen möchte, dieweil es dorten noch zu essen hätte, und sie hier verhungern würd, angesehen wir selber vielleicht schon morgen den Kapsel und das Land verlaufen würden. Dankete ihr auch für ihre bewiesene Liebe und Treue, und bate sie endlich unter lautem Schluchzen meiner armen Tochter, sie wölle lieber nur sogleich heimblich hinweggehen, und uns beiden nicht das Herze durch ihren Abschied noch schwerer machen, angesehen der alte Paassch die Nacht auf dem Achterwasser wöllte fischen ziehen, wie er mir gesaget, und sie gewis gerne in Grüßow an das Land setzete, wo sie ja auch ihre Freundschaft hätte, und sich noch heute satt essen könnte. Aber sie kunnte vor vielem Weinen kein Wörtlein herfürbringen; doch da sie sahe, daß es mein Ernst war, ging sie aus der Stuben. Nit lange darauf hörten wir auch die Hausthüre zuklinken, worauf mein Töchterlein wimmerte: sie geht schon und flugs an das Fenster rannte, ihr nachzuschauen »Ja, schrie sie«, als sie durch die Scheiblein geblicket, »sie geht schon!« und rang die Hände und wollte sich nit trösten lassen. Endiglichen gab sie sich doch, als ich auf die Magd Hagar kam so Abraham auch verstoßen, und deren gleichwohl der Herr sich in der Wüsten erbarmet und darauf befahlen wir uns dem Herrn, und streckten uns auf unser Mooslager.
1 | Ist jetzt nicht mehr vorhanden. |
2 | Ein abgelegener Theil der Insel Usedom. |
3 | Plattdeutsch, für Schnitte. |
4 | Dieses entsetzliche Ereigniß führt auch Micraelius in seiner pommerschen Geschichte an. |
5 | wo nach Josephus dasselbe geschah. |
6 | Da! aber betet auch für mich, daß ich zu Hause komme, denn wenn man unterweges riechet, daß ich Brod habe, schlägt mich mein eigener Bruder todt, könnt Ihr glauben. |
7 | zur Saat vorbereitet, d.i. gepflügt und geeggt. |
8 | Laß Er daß nur ruhen und bete er nur für uns. |
9 | Da hat Er auch was, und wenn es verzehret ist, kann er noch einmal kommen. |
10 | etwa 16 Pfennige. |
11 | Schandpfahl. |
12 | glaube und du hast gegessen. |
13 | Braxen, Blei, ein zum Karpfengeschlecht gehöriger Fisch. |
14 | Rinde. |
15 | Dieb. |
16 | Warte, dir soll der Teufel die Arme ausreißen, komm mir nur wieder ins Haus. |
17 | ihr könnt ihr ja etwas vorpredigen, als ihr mir gethan habt. |
18 | kochen. |
19 | befahren bis zu dieser Stunde in kleinen Fahrzeugen (Polten und Quatzen) alltäglich das Achterwasser und kaufen dem Bauern die gefangenen Fische ab. |
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro