Drittes Kapitel

[23] Wie Lazaro bei einem Pfarrer in Dienste ging und was ihm bei demselben zustieß.


Da ich mich hier noch nicht sicher glaubte, ging ich den folgenden Morgen nach einem Dorfe namens Maqueda, wo mich meine Sünden einen Geistlichen antreffen ließen, der mich, als ich ihn um ein Almosen ansprach, fragte, ob ich bei der Messe zu dienen verstände? Ich antwortete ihm Ja, wie es auch die reine Wahrheit war; denn obgleich mich der blinde Sünder übel behandelt hatte, so hatte er mich doch tausend nützliche Dinge gelehrt, unter die auch dies gehörte. Kurz, der Pfarrer nahm mich in seine Dienste. Ich kam aber aus dem Regen in die Traufe; denn der Blinde, obgleich er der Geiz selbst war, wie ich erzählt habe, war im Vergleich mit diesem ein Alexander magnus. Ich will weiter nichts sagen, als daß sich alle Filzigkeit der ganzen Erde in ihm vereinigte; ob sie ihm aber angeboren war, oder ob er sie mit dem Priesterrocke angezogen hatte, weiß ich nicht.

Er hatte eine alte große Kiste, die verschlossen war und deren Schlüssel er beständig an einem Riemchen seines[23] Rockes bei sich trug. Wenn nun das Opferbrot aus der Kirche kam, so tat er es sogleich mit eigner Hand hinein und schloß den Kasten wieder sorgfältig zu. Im ganzen Hause war nicht das geringste Eßbare zu finden, da man doch in andern Häusern in den Schornsteinen aufgehängten Speck sieht, auf dem Tisch oder in einem Schranke vielleicht einen Käse oder irgendein Körbchen voll Brosamen, die von der Mahlzeit übriggeblieben sind; und wenn ich mich desselben auch nicht hätte bedienen dürfen, so bin ich doch überzeugt, daß ich mich schon beim bloßen Anblick getröstet hätte. Eine einzige Schnur Zwiebeln war vorhanden, die sich auf dem Hausboden in einer Kammer unter Verschluß befand und von denen ich als viertägige Portion eine erhielt. Bat ich in Gegenwart eines Fremden um den Schlüssel, damit ich mir sie holen könnte, so zog er ihn aus seinem Brustlatze hervor, band ihn mit aller Gemächlichkeit ab, gab ihn mir und sagte: Nimm, und bring mir ihn gleich zurück. Du tust doch nichts als an Leckerbißchen denken! – gleich als ob unter ihm alle Konfitüren von Valencia verschlossen gewesen wären, da ich doch einen Eid darauf schwören kann, daß sich, wie ich schon gesagt, in der erwähnten Kammer nichts befand als die Zwiebeln, die an einem Nagel hingen und über die er so genau Rechnung führte, daß mir es teuer zu stehen gekommen sein würde, wenn ich es für meine Sünden hätte wagen wollen, meine Taxe zu überschreiten.

Kurz, ich hätte vor Hunger sterben mögen. Je weniger er aber Mitleid mit mir trug, desto mehr übte er gegen sich selbst. Für fünf Blanken Fleisch war sein gewöhnliches Mittags- und Abendbrot. Wahr ist es, von der Fleischbrühe gab er mir einen Teil, vom Fleische aber nicht so[24] viel, als ich im Auge habe, wohl aber ein Stückchen Brot, wobei ich noch Gott gedankt hätte, wenn ich nur halb satt geworden wäre.

Es ist in diesem Lande gebräuchlich, Sonnabends Hammelköpfe zu essen, und er schickte mich immer nach einem, der drei Maravedis kostete. Ich kochte ihn, und er aß davon die Augen, die Zunge, das Gehirn und das Fleisch vom Hinterschädel und den Kinnbacken und gab mir dann alle abgenagten Knochen mit der Schüssel, indem er sagte: Nimm, iß und jubele! denn dein ist die ganze Welt. Du führst ein besseres Leben als selbst der Papst! – Gott mag dir immer ein solches geben! sagte ich leise bei mir.

Nach Verlauf dreier Wochen, die ich bei ihm zugebracht hatte, war ich aus bloßem Hunger so schwach geworden, daß ich mich nicht mehr auf den Beinen erhalten konnte. Ich sah offenbar, daß ich auf dem Weg zum Grabe sei, wenn Gott und meine List mir nicht Hilfe schafften. Es war mir aber unmöglich, mich meiner Geschicklichkeit zu bedienen, weil nichts da war, woran ich sie hätte versuchen können; und wenn auch etwas da gewesen wäre, so hätte ich doch diesen meinen Herrn nicht blind machen können, wie das bei dem der Fall war, welchem Gott gnädig sein möge, wenn er anders an jenem Kopfstoße gestorben ist; denn obgleich auch dieser sehr schlau war, so konnte er mich doch nicht sehen, weil ihm dieser kostbare Sinn fehlte: ein schärferes Gesicht als der jetzige aber hatte, besitzt niemand auf der Welt.

Wenn wir am Opfertische standen, so fiel keine Blanke in die Opferschale, die er nicht genau bemerkt hätte, da er immer ein Auge auf die Leute und das andere auf meine Hände gerichtet hielt. Seine Augen tanzten ihm beständig[25] im Kopfe herum, als ob sie von Quecksilber wären. Alle Blanken, die einkamen, zählte er, und nach Beendigung der Opferung nahm er mir sogleich das Opferbecken ab und setzte es auf den Altar. Solchergestalt war es mir nicht möglich, während der ganzen Zeit, wo ich bei ihm lebte, oder vielmehr starb, ihm auch nur eine einzige Blanke zu entwenden.

Niemals ließ er mich Wein aus der Schenke holen, und das wenige, was vom Opfer übrigblieb, verschloß er in die Kiste und wußte es so gut einzuteilen, daß er die ganze Woche damit ausreichte. Um seinen schmutzigen Geiz zu verbergen, sagte er zu mir: Sieh, lieber Knabe, ein Priester muß sehr enthaltsam im Essen und Trinken sein, und deshalb überschreite ich nie das Maß, wie es wohl andere tun mögen. – Aber der Schurke log auf das schändlichste; denn bei Gelagen der Brüderschaften und bei Leichenschmäusen, wo wir beteten, aß er, da es auf fremde Kosten ging, wie ein Wolf und trank mehr als ein Hochzeitbitter. Da ich eben von Leichenschmäusen rede, so mag mir Gott verzeihen, daß ich damals ein Feind der menschlichen Natur wurde, der ich sonst nie war. Es geschah deshalb, weil wir bei jenen sehr gut aßen und ich recht gesättigt wurde. Ich wünschte und bat sogar Gott, daß er nur jeden Tag einen Menschen sterben lassen möchte. Wenn wir den Kranken die Sakramente reichten, vorzüglich die letzte Ölung, und der Pfarrer allen Anwesenden zu beten befahl, so war ich gewiß nicht der letzte beim Gebete. Willig und von ganzem Herzen flehte ich zum Herrn, nicht daß er nach seinem Willen mit ihm verfahre, wie man gewöhnlich zu beten pflegt, sondern daß er ihn aus dieser Welt nehmen möge. Genas einmal einer, so wünschte ich ihn (Gott verzeihe mir es!)[26] tausendmal zum Teufel; dem aber, der starb, wünschte ich tausend Segen nach.

Während der ganzen Zeit, die ich mich hier befand, was ungefähr sechs Monate sein mögen, starben nicht mehr als zwanzig Personen, und diese, glaube ich, brachte ich ums Leben, oder, um mich richtiger auszudrücken, sie starben auf meine Bitte; denn da Gott der Herr meinen fürchterlichen und immerwährenden Tod sah, so glaube ich, daß es ihm gefiel, sie sterben zu lassen, um mir dadurch das Leben zu erhalten. Für das aber, was ich dennoch damals litt, fand ich kein Mittel; denn wenn ich an dem Tage, wo wir jemanden zu Grabe trugen, lebte, so fühlte ich an den Tagen, wo es keinen Toten gab, nur um so heftiger den alltäglichen Hunger wieder bei mir einkehren, weil ich an bessere Mahlzeiten gewöhnt war. Ich sah auch gar keine Rettung mehr für mich als den Tod, den ich oft ebensosehr für mich wie für andere wünschte; aber ich sah ihn nicht, obgleich ich ihn beständig in mir trug.

Oft nahm ich mir vor, von diesem meinem filzigen Herrn wegzulaufen, ich unterließ es aber aus zwei Ursachen: erstens, weil ich mich auf meine Füße nicht verlassen konnte, indem ich meine Schwäche fürchtete, die mir der bloße Hunger zugezogen hatte, und zweitens, weil ich überlegte und mir sagte: zwei Herren habe ich nun gehabt: der erste brachte mich durch Hunger auf den Weg des Todes, ich verließ ihn und fand den andern, der mich auf dieselbe Art schon bis ans Grab gebracht hat; wenn ich mich nun auch von diesem trenne und einen andern, wohl noch schlimmern, finde, was wird dann anders aus mir werden, als daß ich vollends sterbe? – Deshalb wagte ich es nicht, mein Vorhaben auszuführen; denn[27] ich glaubte sicherlich, ich würde bei jedem Schritt mehr Elend finden und immer tiefer sinken. Nichts wäre dann vom Lazaro laut geworden, und die Welt hätte nichts von ihm erfahren.

Wie ich mich nun in solchem Herzeleid befand, vor welchem Gott der Herr jeden frommen Christen bewahren möge, ohne zu wissen, wie ich mir raten sollte, indem ich sah, daß es immer schlimmer und schlimmer wurde, kam eines Tages, als eben mein filziger, unseliger und verruchter Herr aus dem Dorfe gegangen war, zufällig ein Kesselflicker an meine Tür, den ich für einen mir von Gottes Hand in dieser Kleidung gesandten Engel hielt. Er fragte mich, ob ich nichts auszubessern hätte. – An mir würdest du wohl auszubessern finden, sagte ich leise, so daß er es nicht hören konnte, und du würdest nicht wenig tun, wenn du mich wieder herstelltest. Da es aber nicht Zeit war, sie mit witzigen Einfallen zu verlieren, so sagte ich zu ihm, erleuchtet durch den heiligen Geist: Meister, ich habe den Schlüssel zu dieser Kiste verloren, und ich fürchte, daß mein Herr mich deshalb ausprügelt. Seht doch ums Himmels willen zu, ob sich unter denen, die Ihr da bei Euch habt, nicht einer befindet, welcher schließt; ich will ihn Euch bezahlen.

Der englische Kesselflicker fing an, einen nach dem andern von einem großen Bunde, das er bei sich trug, zu versuchen, ich aber stand ihm mit meinem schwachen Gebete bei, und ehe ich es nur vermutete, sah ich in der Gestalt der Brote, die in der geöffneten Kiste lagen, wie man zu sagen pflegt, das Antlitz Gottes. Ich sagte nun zu ihm: Geld habe ich nicht, um Euch den Schlüssel zu bezahlen, aber nehmt Euch hier die Bezahlung. – Er nahm eins der Brote, das er für das beste hielt, gab mir den Schlüssel,[28] ging sehr zufrieden weg und ließ mich noch zufriedener zurück. Ich rührte jetzt aber nichts weiter an, damit man den Abgang nicht gewahr würde, und weil ich mich nun Herr solcher Reichtümer sah, so dünkte mich, der Hunger würde es nicht mehr wagen, mich auzufallen.

Mein unglücklicher Herr kam zurück, und Gott wollte es, daß er den Abgang des Opferbrotes, welches der Engel mit sich genommen hatte, nicht bemerkte. Den andern Tag, als er kaum aus dem Hause gegangen war, öffnete ich mein Brotparadies, nahm ein Brot zwischen Hände und Zähne und machte es in Zeit von zwei Credos unsichtbar, vergaß aber dabei die offengelassene Kiste nicht. Dann fing ich vor lauter Freude an, das ganze Haus zu kehren, indem ich glaubte, durch dieses Mittel mein trauriges Leben von nun an verbessert zu haben.

So brachte ich diesen und den folgenden Tag sehr vergnügt hin; aber mein Geschick wollte nicht, daß mir dieses Vergnügen lange dauere; denn schon den dritten Tag überfiel mich das dreitägige Fieber, als ich den, der mich durch Hunger tötete, zur ungewöhnlichen Zeit an der Kiste stehen sah, wie er eben die Brote hin und her legte, sie überzählte und abermals zählte. Ich ließ mir nichts merken und sprach in heimlichen Seufzern und Gebeten: O heiliger Johann, laß ihn doch erblinden!

Nachdem er sich lange Zeit dabei aufgehalten hatte, indem er die Rechnung nach Tagen und nach Fingern machte, sagte er: Wenn diese Kiste nicht an einem so sichern Ort stände, so würde ich sagen, daß man mir Brote herausgenommen habe. Aber von heute an, bloß um allem Argwohn die Tür zu verschließen, werde ich genau Rechnung darüber führen. Es bleiben neun und ein Stückchen. – Neun Übel möge Gott über dich schicken! sagte[29] ich bei mir selbst. Es schien mir, als ob er mir mit diesen Worten das Herz wie mit dem Pfeile eines Jägers durchbohrte, und mein Magen, der sich wieder auf die sonstige Diät eingeschränkt sah, fing wieder an vor Hunger zu bellen.

Er ging nun aus, und ich, um mich zu trösten, öffnete die Kiste, und da ich das Brot sah, begann ich es anzubeten (denn zu nehmen wagte ich es nicht), und ich zählte nach, ob sich der Schurke vielleicht verzählt habe, fand aber seine Rechnung richtiger, als ich wünschte. Alles, was ich tun konnte, war, ihnen tausend Küsse zu geben und dann so zart als möglich ein kleines Schnittchen von dem Stücke, an demselben Orte, wo es angeschnitten war, abzuschneiden. Hiemit brachte ich diesen Tag hin, freilich nicht so vergnügt wie den vorigen. Da aber mein Hunger wuchs, vornehmlich weil ich den Magen in den zwei bis drei vorerwähnten Tagen an mehr Brot gewöhnt hatte, glaubte ich eines elenden Todes sterben zu müssen; daher ich, wenn ich mich allein sah, nichts weiter tat, als die Kiste auf und zu zu schließen und meine Augen an diesem Antlitz Gottes, wie es die Kinder nennen, zu weiden. Aber der Gott, der den Betrübten zu Hilfe eilt, gab mir, als er mich in solcher Not sah, ein kleines Mittel ein. Diese Kiste, überlegte ich und sagte ich zu mir selbst, ist alt, groß und an mehren Orten zerbrochen, und obgleich die Löcher klein sind, so könnte er doch leicht glauben, daß Mäuse hineinkröchen und das Brot benagten; denn ein ganzes Brot zu nehmen, ist gar nicht ratsam, weil der den Mangel sogleich bemerken würde, welcher mich in solchem leben läßt. Dies möchte wohl so hingehen. Und nun fing ich an, von dem Brot auf ein nicht sehr kostbares Tischtuch, das in der Kiste lag, Brosamen abzubröckeln, und indem ich nur[30] einige vornahm, die andern aber unangerührt ließ, kratzte ich von drei bis vier Broten ein wenig ab und aß es, wie man Zuckerkörner ißt. Damit tröstete ich mich einigermaßen.

Als aber mein Herr zu Tische kam und die Kiste öffnete, sah er den Schaden und glaubte ohne Zweifel, die Mäuse hätten ihn angerichtet, da es so natürlich nachgemacht war, als wenn es von ihnen herrührte. Er besichtigte die Kiste von vorn und von hinten, und da er einige Löcher fand, durch die sie, wie er vermutete, hineingekommen waren, rief er mich und sagte: Lazaro, sieh, sieh, welche Verfolgung sich in dieser Nacht wider unser Brot erhoben hat! – Ich stellte mich sehr verwundert und fragte ihn, was das wohl wäre. – Was wird es denn sein, erwiderte er, Mäuse sind es, die nichts verschonen. – Wir setzten uns nun zum Essen, und Gott wollte, daß ich auch noch bei diesem Vorteil daraus ziehen sollte; denn es fiel mir mehr Brot zu als die Kleinigkeit, die er mir gewöhnlich zu geben pflegte. Er putzte nämlich mit einem Messer alles das ab, was er für benagt hielt, indem er sagte: Iß es nur! die Maus ist ein reinliches Tier.

Und so wurde an diesem Tage meine gewöhnliche Portion noch durch die Arbeit meiner Hände, oder eigentlich meiner Nägel, vermehrt. Wir hörten nun auf zu essen, obgleich ich niemals anfing. Bald darauf überfiel mich eine neue Bestürzung, als ich sah, daß er emsig herumlief, Nägel aus den Wänden zog und Brettchen zusammensuchte, mit denen er alle Löcher der alten Kiste vernagelte und verstopfte. Mein Herr und Gott! sagte ich jetzt, welchem Elend, welchen Zufällen und Drangsalen sind wir arme Sterblichen doch ausgesetzt, und wie kurze Zeit dauern die Freuden unsers mühevollen Lebens! Ich war[31] auf dem Punkte, zu glauben, ich würde durch dieses elende, armselige Mittel mein Elend mildern und verbessern, und ich war schon darüber recht vergnügt und glücklich; aber mein Mißgeschick hat es anders beschlossen! Es weckt diesen meinen verruchten Herrn auf und vermehrt nur noch die Tätigkeit, die er für sich schon besitzt (obgleich solche Elende größtenteils keinen Mangel daran leiden), und indem er die Löcher der Kiste verschließt, so verschließt er mir auch die Tür des Trostes und öffnet die meiner Drangsale!

So beklagte ich mich, während mein emsiger Zimmermann mit vielen Nägeln und Brettchen sein Werk beendigte, wobei er sagte: Nun, ihr verfluchten Herren Mäuse, müßt ihr wohl euer Vorhaben aufgeben; denn in diesem Hause wird wenig mehr für euch zu holen sein!

Sobald er ausgegangen war, besah ich sein Werk und fand, daß er in dem elenden alten Kasten nicht das kleinste Loch gelassen hatte, wodurch auch nur eine Mücke hätte hineinkommen können. Ich öffnete ihn mit meinem unnützen Schlüssel, ohne Hoffnung, Vorteil daraus ziehen zu können, sah die zwei oder drei angeschnittenen Brote, die mein Herr für benagt hielt, und nahm ein klein wenig von ihnen, indem ich sie, wie ein geschickter Fechtmeister, kaum berührte. Da aber die Notwendigkeit eine gute Lehrmeisterin ist, so sann ich, weil ich wieder großen Hunger verspürte, Tag und Nacht auf eine Art, mein Leben zu er halten, und ich glaube, daß der Hunger mir Licht gab, diese schwarzen Mittel zu finden, da er, wie man sagt, den Verstand schärft, so wie Völlerei gerade das Gegenteil bewirkt. So geschah es wenigstens für gewiß an mir.

In einer Nacht, wo mich dieser Gedanke wach erhielt und ich eben überlegte, wie ich der Kiste am[32] besten beikommen könne, um Nutzen aus ihr zu ziehen, merkte ich, daß mein Herr schlief, was man aus seinem Schnarchen und lauten Atmen, das er im Schlafe hören ließ, leicht abnehmen konnte. Ich stand leise auf, und da ich am Tage schon reiflich überlegt, was ich zu tun hätte, und mir ein altes Messer, das sich hie und da herumtrieb, an einen Ort hingelegt hatte, wo ich es leicht finden konnte, ging ich zur traurigen Kiste und fiel sie da, wo sie nach meinem Bedünken am wenigsten Widerstand würde leisten können, mit dem Messer an, dessen ich mich wie eines Bohrers bediente. Die hochbetagte Kiste, die ich wegen ihres Alters ohne Kraft und Mut und sehr mürbe und wurmstichig fand, ergab sich mir sogleich und erlaubte es, daß ich, zu meiner Rettung, ein ziemliches Loch in ihre Seite machen durfte. Nachdem dies geschehen, öffnete ich die verwundete Kiste ganz leise und verfuhr mit dem schon angeschnittenen Brote, das ich tappend fand, nach meiner schon erwähnten Gewohnheit. Dadurch einigermaßen getröstet, schlich ich, nachdem ich wieder gehörig zugeschlossen, nach meinem Stroh zurück, auf welchem ich nun ein wenig ruhte und schlief. Dies war mir bisher nur sehr selten gelungen, welches ich der Nüchternheit zuschrieb; und so mußte es auch sein, denn in Wahrheit, diesmal würden nicht einmal die Sorgen des Königs von Frankreich imstande gewesen sein, mich aus dem Schlafe zu wecken.

Den folgenden Tag ward mein Herr und Gebieter den Schaden gewahr, sowohl den am Brote als auch den durch das Loch angerichteten, und fing an, die Mäuse zum Teufel zu wünschen. – Was soll man dazu sagen, sprach er; noch niemals habe ich Mäuse in diesem Hause gemerkt als jetzt. – Ohne Zweifel mochte er auch die Wahrheit sagen; denn[33] wenn es im ganzen Königreiche ein Haus mit einem Privilegium gegen sie gegeben hätte, so wäre es dieses ganz gewiß gewesen, indem sich die Mäuse da nicht aufzuhalten pflegen, wo es nichts zu beißen gibt. Er fing nun von neuem an, Nägel und Brettchen an den Wänden und im Hause herum zu suchen, mit denen er die Löcher verstopfte.

Als aber die Nacht und ihre Ruhe gekommen war, war ich mit meinem Werkzeug sogleich wieder auf den Füßen, und so viel er am Tage verstopft hatte, riß ich des Nachts wieder auf. Ja, wir betrieben es mit so viel Eifer und Eile, daß man recht passend davon sagen konnte: wo eine Tür gesperrt wird, da öffnet sich eine andere! Kurz, es schien, als ob wir beide es übernommen hätten, das Gewebe der Penelope auszuführen; denn was er am Tage webte, trennte ich des Nachts wieder auf. In wenigen Tagen richteten wir die arme Vorratskiste so zu, daß der, welcher recht eigentlich von ihr hätte sprechen wollen, sie eher einen alten Küraß aus der Vorzeit als eine Kiste hätte nennen müssen: so war sie mit Nägeln und Zwecken beschlagen.

Da mein Herr sah, daß ihm sein Mittel zu nichts nützte, sagte er: Diese Kiste ist so zugerichtet und ist aus so altem und mürbem Holze, daß sie nicht einmal mehr einem Mäuschen Widerstand leisten kann, und wenn wir es noch eine Weile so mit ihr treiben, so wird sie uns bald gar nichts mehr nützen. Das Schlimmste ist, daß ich ihrer, so wenig sie auch wert ist, wenn sie fehlt, doch so sehr bedürfen werde und daß sie mir einen Kostenaufwand von drei bis vier Realen verursachen wird. Das beste Mittel, welches ich noch zu finden weiß, da das jetzige nichts mehr hilft, ist, sie von innen gegen diese verfluchten Mäuse zu waffnen.

Er bemühte sich sogleich, eine Mausefalle geborgt zu erhalten, und ließ diese, nachdem er sie mit Käserindchen,[34] die er sich von den Nachbarsleuten ausbat, aufgestellt, beständig in der Kiste stehen. Dies war für mich eine neue Hilfe; denn obgleich ich nicht viel Würze nötig hatte, um Appetit zu bekommen, so freute ich mich doch über die Käserindchen, die ich aus der Mausefalle herausnahm, ohne jedoch deshalb das Brotbenagen zu unterlassen. Wie er nun das Brot wieder benagt und den Käse verzehrt fand, ohne daß die Maus, die ihn gefressen hatte, gefangen war, so wünschte er sie zu allen Teufeln und fragte die Nachbarn, wie es nur möglich wäre, daß die Maus den Käse aus der Falle herausholen und auffressen könne, ohne sich zu fangen, da er doch die Falle immer zusammengeschlagen fände?

Die Nachbarn meinten einstimmig, daß es durchaus keine Maus sein könne, die diesen Schaden anrichte; denn sie würde sich wenigstens einmal gefangen haben. Ein Nachbar sagte ihm aber: Ich erinnere mich, daß sich sonst in Euerm Hause eine Otter aufzuhalten pflegte, und diese muß es ohne Zweifel sein; es ist ja augenscheinlich, daß sie, da sie langgedehnt ist, die Lockspeise herausholen kann und daß sie sich, obgleich die Falle über ihr zusammenschlägt, dennoch wieder herauswindet, da sie ja nicht ganz hineinkriecht. – Was er sagte, schien allen einleuchtend und versetzte meinen Herrn in keine kleine Unruhe. Von nun an schlief er nicht mehr so sorglich, daß er nicht bei jedem Holzwurm, der sich des Nachts regte, glaubte, es sei die Otter, die ihm die Kiste zernage. Schnell war er auf den Beinen und gab mit einem Knittel, den er von der Zeit an, wo man ihm das gesagt, beständig neben seinem Kopfkissen liegen hatte, der armen Kiste fürchterliche Schläge, indem er glaubte die Otter dadurch zu schrecken. Durch den Lärm, den er machte, weckte er alle Nachbarn auf und ließ mich[35] nicht schlafen. Er kam auch oft zu meinem Stroh und warf es sogleich mit mir um und um, indem er glaubte, daß sie sich ins Stroh oder in meinen Überrock verkrochen habe; denn man hatte ihm gesagt, es geschähe oft, daß diese Tiere, die des Nachts die Wärme suchten, in die Wiegen der Kinder kröchen und diese bissen und in große Gefahr brächten.

Gewöhnlich stellte ich mich, als ob ich schliefe, und des Morgens sagte er immer zu mir: Junge, hast du diese Nacht nichts gehört? Ich bin nach der Otter gegangen, und ich fürchte, sie kriecht in dein Bett, denn diese Tiere sind sehr frostig und suchen die Wärme.

Gott gebe nur, daß sie mich nicht beißt! sagte ich; ich habe davor große Furcht.

Solchergestalt war er so munter und wachsam, daß es Wahrhaftig die Otter, oder der Otter, um mich richtiger auszudrücken, nicht wagte, des Nachts zu nagen noch nach der Kiste zu gehen; aber am Tage, während er in der Kirche oder im Dorfe war, machte ich meine Sprünge. Er sah diesen Schaden, ohne ein Mittel da gegen zu wissen, und begnügte sich deshalb, wie gesagt, damit, des Nachts gleich einem Poltergeist umzugehen.

Bei seiner großen Aufmerksamkeit fürchtete ich, er möchte am Ende den Schlüssel finden, den ich unter meinem Stroh versteckt hielt, und es schien mir deshalb am sichersten zu sein, ihn des Nachts in den Mund zu nehmen; denn so lange ich mit dem Blinden lebte, hatte ich meinen Mund so als Beutel gebraucht, daß ich oft zwölf bis fünfzehn Maravedis in halben Blanken in ihm verbarg, ohne dadurch am Essen gehindert zu werden. Sonst wäre ich auch nicht Herr einer Blanke gewesen, ohne daß der verwünschte Blinde sie gefunden hätte, da[36] er keine Naht und keinen Flicklappen an mir undurchsucht ließ.

So steckte ich, wie gesagt, jede Nacht den Schlüssel in den Mund und schlief ohne Furcht, daß mein Herr Hexenmeister ihn finden würde. Wenn aber das Unglück einmal kommen soll, so ist alle Vorsicht vergebens! Mein Verhängnis oder vielmehr meine Sünden fügten es, daß in einer Nacht, während ich schlief, der Schlüssel in meinem Munde, den ich offen halten mochte, in eine solche Lage kam, daß die Luft und der Atem, den ich schlafend von mir gab, in das Loch des hohlen Schlüssels drang und nach dem Willen meines Unsterns so laut pfiff, daß mein erschrockener Herr es hörte und glaubte, es sei zweifelsfrei das Pfeifen der Otter, dem es auch sehr gleichen mochte. Er stand leise auf, mit seinem Knittel in der Hand, und indem er im Finstern tappend dem Pfeifen nachging, kam er in aller Stille, damit es die Otter nicht hören sollte, zu mir hin. Als er nun ganz nahe war, vermutete er, daß sie in das Stroh, worauf ich lag, meiner Wärme nachgegangen sei; er hob deshalb, in der Meinung, sie sei gerade darunter, den Knittel auf, und indem er hoffte, sie durch einen tüchtigen Schlag zu töten, gab er mir aus Leibeskräften einen so ungeheuren Schlag über den Kopf, daß ich besinnungslos und mit zerschlagenem Kopfe dalag.

Als er aus dem lauten Winseln, das ich wohl wegen des unbarmherzigen Schlages ausstoßen mochte, merkte, daß er mich getroffen habe, kam er, wie er mir nachher erzählte, zu mir hin und rief mich mit lauter Stimme, um mich zu ermuntern; da er mich aber mit den Händen berührte und das viele Blut fühlte, das ich vergoß, und den Schaden gewahr wurde, den er mir zugefügt, lief er eiligst nach einem Lichte. Als er damit zurückkam, fand er mich[37] stöhnend, noch immer mit meinem Schlüssel, den ich nicht hatte fahren lassen, im Munde, die eine Hälfte herausstehend, gerade in derselben Lage, die er gehabt haben mochte, als ich darauf pfiff.

Der Schlangentöter, verwundert, was dies für ein Schlüssel sein könne, betrachtete ihn, nachdem er ihn mir ganz aus dem Munde gezogen hatte, und merkte nun, was er zu bedeuten habe, da er in der Form des Bartes von dem seinigen gar nicht verschieden war. Er probierte ihn auf der Stelle und fand dadurch die Gewißheit meines Verbrechens bestätigt. Darauf mag der grausame Jäger wohl gesagt haben: Nun habe ich doch die Maus und die Otter endlich erwischt, die gegen mich Krieg führten und mein Vermögen aufzehrten. – Was in den drei folgenden Tagen mit mir vorging, weiß ich nicht zu sagen; denn ich brachte sie in einem Walfischbauche zu, und das, was ich eben erzählt habe, hörte ich, als ich wieder zur Besinnung gekommen war, von meinem Herrn, der es allen denen, die zu ihm kamen, ausführlich erzählte.

Nach Verlauf dreier Tage kam ich wieder zu mir selbst und fand mich auf meinem Stroh liegend, den Kopf mit Pflastern belegt und voller Öle und Salben. – Was ist denn das? fragte ich ganz verwundert. – Der grausame Pfarrer gab mir zur Antwort: Bei meiner Treu! es sind die Mäuse und Schlangen, die mich zugrunde richteten und die ich nun erjagt habe. – Ich besah mich und fand mich so übel zugerichtet, daß ich sogleich mein Unglück ahndete.

Jetzt trat ein altes Weib herein, das durch Zauberei Krankheiten heilte, und mit ihm noch einige Nachbarn. Sie fingen an, mir die Lappen vom Kopfe zu wickeln und die Wunden zu verbinden, und da sie fanden, daß ich[38] wieder bei Besinnung war, freuten sie sich sehr und sagten: Da er nun wieder zu sich gekommen ist, so hat es mit Gottes Hilfe nichts mehr zu bedeuten! – Und nun fingen sie von neuem an, mein Unglück zu erzählen und es zu belachen, und ich armer Sünder beweinte es. Dennoch gaben sie mir, da ich vor Hunger ganz erschöpft war, etwas zu essen, und kaum konnten sie mich ersättigen. So erholte ich mich nach und nach innerhalb vierzehn Tagen und befand mich außer Gefahr, obschon nicht ohne Hunger, und halb genesen.

Gleich den Tag darauf, als ich aufgestanden war, nahm mich mein Herr bei der Hand, führte mich vor die Tür, und als wir auf der Straße waren, sagte er zu mir: Lazaro, von heute an gehörst du dir selbst an, nicht mir! Suche dir einen andern Herrn, und geh mit Gott; denn mich verlangt nicht danach, einen so fleißigen Diener in meiner Gesellschaft zu haben! Es ist gar nicht anders möglich, du mußt bei einem Blinden in Diensten gewesen sein! – Er kreuzigte sich vor mir, gleich als wäre ich vom Teufel besessen, kehrte ins Haus zurück und verschloß seine Tür.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 23-39.
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