Zweites Kapitel

[8] Wie Lazaro sich anschickte, in Dienste zu gehen und einen Blinden zu führen.


Zu dieser Zeit kehrte in dem Gasthofe ein Blinder ein, dem ich tauglich schien, ihn zu führen. Er begehrte mich von meiner Mutter, und diese übergab mich ihm auch, indem sie ihm sagte, daß ich der Sohn eines rechtschaffenen Mannes sei, der in Verteidigung seines Glaubens in einer Schlacht gegen die Mauren geblieben, und daß sie auf Gott vertraue, ich würde nicht schlimmer werden als mein Vater. Sie bat ihn noch, daß er mich gut behandeln und sich meiner als einer Waise annehmen möchte. Er antwortete ihr, daß er so tun würde und daß er mich nicht zum Diener, sondern als seinen Sohn annähme.

So fing ich an zu dienen und meinen neuen alten Herrn zu führen. Wir blieben noch einige Tage in Salamanca, da aber der Gewinn nicht nach seinem Wunsche ausfiel, beschloß er weiter zu gehen. Als wir abreisen wollten, ging ich, um Abschied von meiner Mutter zu nehmen. Wir weinten beide, und sie gab mir ihren Segen und sagte: Mein Sohn, ich weiß wohl, daß ich dich nie wiedersehen werde; aber bestrebe dich, immer gut zu bleiben, und Gott wird[8] dich geleiten. Ich habe dich gut erzogen und dir einen guten Herrn verschafft: nun mußt du dir selbst forthelfen. – Und so ging ich zu meinem Herrn, der auf mich wartete.

Wir verließen Salamanca, und als wir zur Brücke kamen, an deren Anfang ein Tier von Stein steht, das so ziemlich die Gestalt eines Stieres hat, befahl mir der Blinde, zu diesem Tiere hinzugehen. Wie ich dabeistand, sagte er zu mir: Lazaro, lege einmal dein Ohr an diesen Stier, und du wirst ein großes Getöse in ihm hören. – Ich, in meiner Einfalt, ging hin, indem ich glaubte, daß dem also sei, und wie er merkte, daß ich den Kopf an den Stein hielt, streckte er schnell die Hand aus und gab mir einen so starken Stoß gegen den Satan von Stier, daß ich den Schmerz davon länger als drei Tage fühlte, und sagte zu mir: du Gimpel, merke dir, daß der Führer eines Blinden einen Punkt mehr wissen muß als der Teufel selbst. – Und nun lachte er sehr über den Streich. Es kam mir vor, als ob ich in diesem Augenblicke aus meiner Einfalt, in der ich als Kind bisher geschlummert hatte, aufwachte, und ich sagte bei mir selbst: Er hat ganz recht, daß ich, da ich nunmehr allein bin, die Augen öffnen, mir selbst raten und auf mein Fortkommen denken muß.

Wir traten nun unsern Weg an, und in wenig Tagen lehrte er mich Rothwälsch, und da er merkte, daß ich viel Verstand besäße, freute er sich sehr und sagte: Weder Gold noch Silber kann ich dir geben, aber ich werde dir viele Regeln geben, die zum Leben nötig sind. – Und so geschah es auch; denn nächst Gott gab er mir das Leben, und obgleich er blind war, so erleuchtete er mich dennoch und brachte mich auf den wahren Lebensweg. Es macht mir Freude, Eur Gnaden diese Kleinigkeiten zu erzählen, um zu zeigen, wie rühmlich es sei, sich aus einem[9] niedrigen Stande zu erheben, und wie schimpflich im Gegenteil, aus einem hohen Stande herabzusinken.

Ich kehre nun zu meinem guten Blinden zurück, und indem ich seine Lebensweise erzähle, sollen Eur Gnaden erfahren, wie, seit Gott die Welt erschuf, niemand verschlagener und schlauer geboren wurde als er. In seinem Gewerbe war er ein wahrer Habicht. Hundert und mehr Gebete wußte er auswendig, die er mit einer tiefen, ruhigen und sehr schallenden Stimme betete, von der die Kirche, wo er sie sprach, widerhallte; dabei machte er ein sehr demütiges und andächtiges Gesicht, das er, so lange er betete, zu erhalten wußte, ohne mit dem Munde oder den Augen Gebärden zu machen, wie es andere zu tun pflegen. Außerdem hatte er noch tausenderlei Manieren und Mittel, Geld zu ziehen. Er wisse, sagte er, für vielerlei Fälle wirksame Gebete, für unfruchtbare Weiber, für Weiber, die sich in Kindesnöten befänden, für solche, die unglücklich verheiratet wären, um die Liebe ihrer Männer zu erwecken; auch sagte er den Schwangern vorher, ob sie einen Sohn oder eine Tochter gebären würden. In der Arzneikunde, versicherte er, habe Galenus nicht die Hälfte von dem gewußt, was er verstände; er kenne Mittel wider Zahnschmerzen, wider Ohnmachten und Mutterweh. Kurz, es durfte niemand über irgendeinen Schmerz klagen, daß er nicht sogleich gesagt hätte: tut das und das! kocht das Kraut! nehmt die und die Wurzel! – Darum lief ihm auch alle Welt nach, vorzüglich die Weiber, die alles glaubten, was er ihnen sagte. Von diesen zog er nun mittels der erwähnten Künste vielen Nutzen und gewann in einem Monate mehr als hundert andere Blinde in einem Jahre.

Gleichwohl muß Eur Gnaden wissen, daß, bei all seinem Erwerb und Besitztum, ich nie einen filzigeren und[10] geizigeren Menschen gesehen habe. Er war es so sehr, daß er mich beinahe vor Hunger umkommen ließ, indem er mich nicht einmal mit den nötigsten Bedürfnissen versorgte. Es ist reine Wahrheit, daß ich hundertmal Hungers gestorben sein würde, wenn ich mir durch meine List und mein Geschick nicht bisweilen zu raten gewußt hätte; denn bei aller seiner Schlauheit und Feinheit überlistete ich ihn doch, dergestalt, daß immer, oder doch größtenteils, das Größte und Beste für mich abfiel, indem ich ihm Teufelsstreiche spielte, die freilich nicht alle zu meinem Vorteil ausfielen, von denen ich aber einige erzählen will.

Er trug das Brot und alle seine übrigen Sachen in einem linnenen Quersacke, dessen Öffnung mit einem eisernen Ring und einem Vorlegschloß und Schlüssel verschlossen wurde. Wenn er etwas hineinsteckte oder herausnahm, tat er es mit so vieler Vorsicht und Behutsamkeit, daß kein Mensch auf der Welt imstande gewesen wäre, ihm auch nur eine Brotkrume zu entwenden. Ich nahm die elenden Brocken, die er mir gab und die ich mit weniger als zwei Bissen abfertigte; wenn er dann das Schloß abgeschlossen hatte und, in der Meinung, daß ich auf etwas anderes dächte, ganz unbesorgt war, zapfte ich durch eine Naht, die ich an einer Seite des Sackes auftrennte und danach wieder zunähte, den geizigen Bettelsack an, indem ich nach Belieben Brot, aber die besten Stücke, Schinkenschnittchen und Würste herausholte, und dann nahm ich eine gelegene Zeit wahr, nicht den Fehler, sondern den verteufelten Mangel, in welchen mich der böse Blinde setzte, wieder gutzumachen.

Alles, was ich unterschlagen und stehlen konnte, trug ich in halben Blanken bei mir, und wenn man ihm zu beten[11] befahl und Blanken gab, welches er in seiner Blindheit nicht sehen konnte, so hatte sie der, der sie gab, kaum hingereicht, als ich sie in den Mund warf, und eine halbe schnell in Bereitschaft hielt; so geschwind er nun auch die Hand ausstreckte, so war sie doch schon durch meine Auswechselung auf die Hälfte ihres wahren Wertes herabgesetzt. Der verwünschte Blinde beklagte sich bei mir darüber, denn durchs Gefühl erkannte und merkte er augenblicks, daß es keine ganze Blanke war, und sagte: Was Teufel ist denn das, daß man mir, seit du bei mir bist, nur halbe Blanken gibt, da man mir sonst eine ganze Blanke und oft sogar einen Maravedi gab? Du mußt ganz gewiß an diesem Unglück schuld sein!

Er von seiner Seite kürzte seine Gebete ebenfalls ab und sprach nicht die Hälfte derselben; denn er hatte mir befohlen, daß ich ihn am Mantel zupfen sollte, wenn der, der ihn beten ließ, wegginge. Ich tat es, und er fing dann von neuem mit lauter Stimme zu rufen an: Wer begehrt, daß ich dieses oder jenes Gebet bete? – so wie es der Blinden Brauch ist.

Wenn wir aßen, pflegte er einen Krug Wein neben sich zu stellen. Ich hob ihn schnell auf, gab ihm ein paar heimliche Küsse und setzte ihn dann wieder an seinen Platz. Dies dauerte aber nicht lange; denn indem er trank, bemerkte er bald den Abgang, und um seinen Wein besser zu bewahren, ließ er nachmals den Krug nicht mehr von sich und hielt ihn beständig am Henkel. Aber so gut zieht kein Magnet an sich als ich mit dem langen Strohhalme, den ich mir zu diesem Behuf zurechtgemacht; ich steckte ihn in den Hals des Kruges und sagte so dem Weine, indem ich ihn aussog, gute Nacht. Da aber der Schurke so schlau war, so hörte er mich, wie ich glaube[12] und änderte von nun an sein Verfahren. Er stellte nämlich den Krug zwischen die Beine, deckte ihn mit der Hand zu und trank nun in voller Sicherheit. Mein Leben hätte ich hingegeben für den Wein, so hatte ich mich an ihn gewöhnt; da ich also sah, daß jenes Mittel mit dem Strohhalme mir nichts mehr half noch frommte, beschloß ich, in den Boden des Kruges ein kleines Loch zu bohren und das Brünnlein ganz säuberlich mit einem feinen Stückchen Wachs zu verstopfen. Um die Essenszeit stellte ich mich, als fröre ich, und kroch dem argen Blinden zwischen die Beine, um mich an unserem ärmlichen Feuer zu wärmen: und nachdem bei der Hitze desselben das bißchen Wachs geschmolzen war, fing das Brünnlein an, mir in den Mund zu rinnen, den ich dergestalt zu richten wußte, daß auch nicht ein Tröpfchen verloren ging. Wenn nun der arme Tropf trinken wollte, so fand er nichts. Er erstaunte, fluchte und wünschte Krug und Wein zum Teufel, da er nicht begreifen konnte, wie das zugegangen.

Nun, Vetter, sagte ich zu ihm, werdet Ihr doch nicht mehr behaupten, daß ich ihn trinke, da Ihr ihn nicht aus den Händen laßt!

Er betastete den Krug so lange von allen Seiten, bis er die Quelle fand und hinter den Streich kam; er stellte sich aber, als ob er es nicht bemerkt hätte. Gleich den folgenden Tag wollte ich wieder nach meiner Gewohnheit meinen Krug tröpfeln lassen, ohne daß ich nur im geringsten das Unglück ahnte, das mir bereitet war, oder daran dachte, daß der verwünschte Blinde mich belauerte. Ich setzte mich, wie ich pflegte, nieder, das Gesicht nach dem Himmel gekehrt und die Augen halb geschlossen, um die liebliche Flüssigkeit besser zu genießen, und tat jene süßen Züge: da bemerkte der verzweifelte Blinde, daß[13] es jetzt Zeit sei, Rache an mir zu nehmen. Er hob deshalb den süßen und bittern Krug mit beiden Händen und mit aller Macht in die Höhe und ließ ihn auf meinen Mund fallen, indem er, wie gesagt, all seine Kräfte dabei anwendete, dergestalt, daß der arme Lazaro, der sich dessen am wenigsten versah, sondern wie oftmals ganz sorglos und in vollen Freuden war, wahrhaftig glaubte, der Himmel und alles, was in ihm ist, wäre auf ihn herabgefallen. Der kleine Schlag war von der Art, daß er mich betäubte und mir alle Besinnung nahm und daß die Scherben des Kruges in mein Gesicht eindrangen, es an vielen Orten zerfetzten und mir die Zähne einschlugen, die mir noch bis auf den heutigen Tag fehlen.

Von dieser Stunde an faßte ich einen Haß gegen den vermaledeiten Blinden, und obgleich er sich um mich bemühte, mich liebkoste und mich heilte, so bemerkte ich doch, daß er sich über die grausame Züchtigung innig freute. Er wusch die Wunden, die er mir mit den Scherben des Kruges geschlagen hatte, mit Wein, und sagte lachend: Was bedünkt dich, Lazaro? dasselbe, was dich krank machte, heilt dich nun und macht dich wieder gesund! – Und so brachte er noch mehr ähnliche Scherze an, die nach meinem Geschmack gar nicht lustig waren.

Als ich von meinen bösen Wunden und Beulen halb genesen war und erwog, daß der blutdürstige Blinde mir durch wenige ähnliche Streiche den Garaus machen würde, beschloß ich, ihn lieber zu verlassen. Ich führte dies aber nicht sogleich aus, um es mehr zu meinem Vorteil und ohne meinen Schaden zu tun. Obgleich ich mir es vornahm, meinen Haß zu beruhigen und ihm den Streich mit dem Kruge zu verzeihen, so hinderte mich doch die üble Behandlung, die der arglistige Blinde mir seitdem erzeigte,[14] daran; denn er schlug mich immer ohne Ursache, gab mir Kopfstöße und raufte mich an den Haaren.

Wenn ihn jemand fragte, warum er mich so schlecht behandele, so erzählte er sogleich die Geschichte mit dem Kruge, indem er sagte: Glaubt ihr denn, daß dieser Bube so unschuldig ist? So hört denn, ob der Teufel selbst einen boshafteren Streich hätte aussinnen können! – Die ihn so reden hörten, bekreuzigten sich und sagten: Sehe einer, wer hätte in einem so kleinen Knaben so viel Bosheit erwartet! – Dann lachten sie über meine List und sagten weiter: Schlagt ihn nur, schlagt ihn! Gott wird es Euch lohnen! – Dies tat er denn auch, ohne Aufhören, getreulich. Ich führte ihn dagegen immer auf die schlechtesten Wege, in der Absicht, ihm Schaden und Leid zuzufügen. Wenn es wo Steine gab, so mußte er darüber; war irgendwo Kot anzutreffen, so mußte er hindurch, wo er am tiefsten war; und obgleich ich selbst dabei nicht trocknen Fußes wegkam, so freute ich mich doch darüber und hätte gern selbst ein Aug verloren, wenn ich den, der keins mehr hatte, um zwei hätte bringen können. Dafür sondierte er immer mit dem Knopfe seines Stockes meinen Hinterkopf, der beständig voller Beulen und von seinen Händen kahl gerupft war; und ungeachtet ich schwur, daß ich es nicht aus Bosheit täte, sondern weil ich keinen bessern Weg fände, so nützte es mir doch zu nichts, und er glaubte mir nicht: so scharf war das Gefühl und die Spürkraft dieses Schurken.

Damit Eur Gnaden erfahren, wie weit sich der Scharfsinn des durchtriebenen Blinden erstreckte, will ich nur einen Fall von vielen andern, die mir mit ihm widerfuhren, erzählen, bei welchem er, wie mir scheint, seine große Schlauheit hinlänglich zu erkennen gab. Als wir aus[15] Salamanca wanderten, war es sein Plan, in das Gebiet von Toledo zu gehen, weil, sagte er, daselbst die Leute reicher, wenn auch nicht mildtätiger wären. Er hielt sich nämlich an das Sprichwort: Der Hartherzige gibt mehr als der Nackte. Wir durchzogen auf dieser Wanderung die besten Dörfer, und wo er gute Aufnahme und guten Verdienst fand, hielten wir uns auf; sonst zogen wir schon den dritten Tag weiter.

Als wir nun, es war gerade zur Zeit der Weinlese, in ein Dorf kamen, welches man Almorox nennte, trug es sich zu, daß ein Winzer ihm eine Weintraube als Almosen schenkte; und weil die Trauben in den Körben gewöhnlich sehr schlecht zugerichtet werden, besonders zu dieser Zeit, wo sie überreif sind, so beerte sich auch diese in seiner Hand ab. Hätte er sie in den Sack tun wollen, so wäre sie gar zu Most geworden und hätte alles, was ihr nahe gelegen, verdorben. Er entschloß sich deshalb, einen Schmaus davon zu geben, teils, weil er sie nicht fortbringen konnte, teils auch, um mich zu entschädigen; denn denselben Tag hatte er mir viele Stöße und Schläge gegeben. Wir setzten uns an einen Zaun nieder, und er sagte: Lazarillo, jetzt will ich einmal recht freigebig gegen dich sein, und das soll darin bestehen, daß wir diese Traube miteinander verzehren, und du ebensoviel davon erhalten sollst als ich. Die Teilung wollen wir auf folgende Art vornehmen: Du langst das eine Mal zu und ich das andere, doch unter der Bedingung, daß du mir versprichst, jedesmal nicht mehr als eine Beere zu nehmen; ich werde dasselbe tun, bis wir damit fertig sind, und auf diese Weise kann kein Betrug stattfinden. – Nach dieser Übereinkunft machten wir uns an die Arbeit; aber schon beim zweiten Griffe besann sich der Spitzbube anders und fing an, immer zwei Beeren[16] auf einmal zu nehmen, weil er glaubte, daß ich dasselbe tun würde. Da ich sah, daß er die Verabredung brach, so begnügte ich mich nicht damit, gleichen Schritt mit ihm zu halten, sondern ich ging noch weiter und aß zwei und zwei, und drei und drei, und soviel ich nur konnte, auf einmal.

Nachdem die Traube verzehrt war, saß er, ihren Kamm in der Hand, ein Weilchen stille und sagte, indem er den Kopf schüttelte: Lazaro, du hast mich betrogen! ich wollte zu Gott schwören, daß du die Beeren zu drei und drei gegessen hast.

So aß ich sie nicht, sagte ich; aber warum argwöhnt Ihr dies?

Der durchtriebene Blinde antwortete: Weißt du, woraus ich sehe, daß du sie zu drei und drei gegessen hast? Weil ich zwei und zwei gegessen habe und du dazu schwiegst. – Ich lachte heimlich darüber, und, obgleich noch ein Knabe, merkte ich doch die scharfsinnige Bemerkung des Blinden.

Aber um nicht weitschweifig zu werden, unterlasse ich es, von einer Menge lustiger und bemerkenswerter Fälle, die mir mit diesem meinem ersten Herrn zustießen, Erwähnung zu tun, und will nur noch den Abschiedsstreich erzählen und damit beschließen.

Wir befanden uns in Escalona, der Residenz des dasigen Herzogs, in einem Wirtshause, und er gab mir ein Stück Wurst, das ich ihm braten sollte. Als ich die Wurst schon mit Fett begossen und er die davon betropften Brotschnittchen verzehrt hatte, nahm er einen Maravedi aus dem Beutel und schickte mich in die Schenke, Wein dafür zu holen. Der Teufel führte mir aber eine gute Gelegenheit vor die Augen, und die macht, wie man sagt, Diebe; sie bestand darin, daß neben dem Feuer eine kleine, längliche,[17] verdorbene Rübe lag, die man, weil sie nicht mehr für den Kochtopf taugte, dahin geworfen haben mochte. Da eben niemand zugegen war als er und ich, und ich mich bei sehr lüsternem Appetit fand, der durch den lieblichen Geruch der Wurst, das einzige, was ich davon zu kosten erwarten konnte, geweckt worden war, entschlug ich mich aller Furcht, nicht bedenkend, was daraus für mich erfolgen könnte. Um meine Lüsternheit zu befriedigen, zog ich, während der Blinde das Geld aus dem Beutel holte, die Wurst vom Bratspieß und steckte die ebenerwähnte Rübe mit der größten Geschwindigkeit daran. Nachdem mir mein Herr das Geld zum Wein gegeben hatte, faßte er den Bratenwender und fing an, ihn über dem Feuer zu drehen, indem er das braten wollte, was wegen seiner Unbrauchbarkeit dem Kochen entgangen war.

Ich ging nach dem Weine und zögerte nicht, die Wurst abzufertigen. Als ich zurückkam, fand ich den alten blinden Sünder, wie er eben die Rübe, die er noch nicht erkannt, weil er sie nicht mit der Hand berührt hatte, zwischen zwei Brotschnittchen hielt. Wie er aber die Brotschnitte nahm und hineinbiß, in der Meinung, er würde auch einen Teil der Wurst bekommen, überlief ihn ein kalter Schauer über die kalte Rübe. Er geriet in Zorn und sagte: Was heißt das, Lazarillo?

O wehe mir! schrie ich; Ihr geht darauf aus, mir etwas aufzubürden! Komm' ich denn nicht soeben erst mit dem Weine zurück? Es wird wohl jemand dagewesen sein, der dies getan hat, um sich einen Spaß zu machen.

Nein, nein! sagte er; ich habe den Bratenwender nicht aus der Hand gelassen; es ist nicht möglich!

Ich fuhr fort zu beteuern und zu schwören, daß ich an diesem Betruge und Tausche unschuldig sei; aber das[18] half mir wenig, denn der Schlauheit des verwünschten Blinden verbarg sich nichts. Er erhob sich, packte mich beim Kopfe und fing an, mich nach Art eines guten Windhundes zu beriechen und nach meinem Atem zu wittern. Und um sich desto gewisser von der Wahrheit zu überzeugen, faßte er mich, von dem erlittenen Herzeleid getrieben, mit beiden Händen, riß mir den Mund über die Maßen auf und steckte mir auf eine unverschämte Weise seine sehr lange und spitzige Nase hinein, die sich jetzt noch vor Zorn um eine Spanne verlängert hatte, so daß er mir mit ihrer Spitze bis ans Zäpfchen reichte. Dies, die große Furcht, in der ich schwebte, die Kürze der Zeit, während welcher die unglückliche Wurst noch nicht in dem Magen hatte Platz nehmen können, und am meisten der Schauder vor der ungeheuern Nase, die mich beinahe erstickte: alles dies zusammen war Ursache, daß mein Streich und meine Naschhaftigkeit an den Tag kam und daß meinem Herrn das Seinige zurückgegeben wurde. Denn ehe noch der verruchte Blinde seinen Elefantenrüssel aus meinem Munde zurückgezogen hatte, kam mein Magen so in Aufruhr, daß er das gestohlene Gut gegen ihn schleuderte, dergestalt daß die Nase und die leidige, schlechtgekaute Wurst zu gleicher Zeit aus meinem Munde flogen.

Großer Gott! wer doch damals begraben gewesen wäre; denn tot war ich schon. Der Zorn des heillosen Blinden war so groß, daß er mich, glaube ich, nicht am Leben gelassen haben würde, wären nicht auf den Lärm Leute herzugelaufen. Man riß mich, das Gesicht zerkratzt und den Nacken und die Kehle zerschunden, aus seinen Händen, in denen die wenigen Haare, die ich noch hatte, zurückblieben. Er hätte dies aber weit mehr verdient, denn durch seine Schuld erlitt ich solche Trübsal.[19]

Der boshafte Blinde erzählte nun allen denen, die dazukamen, meine Unglücksfälle und gab ihnen wiederholt Nachricht von meinen Streichen, von dem mit dem Kruge, dem mit der Traube und dem gegenwärtigen. Das allgemeine Gelächter war so groß, daß alle auf der Straße Vorbeigehenden hereinkamen, um die Lust zu sehen. Er erzählte meine Taten mit so viel Anmut und Laune, daß ich, so übel zugerichtet ich auch war und so heftig ich auch weinte, doch glaubte ein Unrecht zu tun, wenn ich sie nicht selbst mit belachte.

Während dies vorfiel, wurde ich auf einmal auf die Feigheit und Kleinmütigkeit aufmerksam, die ich gezeigt hatte, weshalb ich mir selbst fluchte: sie bestand darin, daß ich ihn nicht um seine Nase gebracht hatte, da sich mir doch eine so gute Gelegenheit dazu darbot; denn die Hälfte des Weges war schon gemacht, und ich hätte nur die Zähne zu schließen gebraucht, so wäre sie in der Falle steckengeblieben: und da sie diesem verruchten Menschen angehörte, so würde sie vielleicht mein Magen besser behalten haben als die Wurst, und ich hätte auch dann, wenn sie nirgends zu finden gewesen wäre, die Beschuldigung ableugnen können. Wollte Gott, ich hätte es getan, es hätte nun daraus erfolgen mögen, was gewollt hätte.

Die Wirtin und die übrigen Anwesenden stifteten endlich zwischen uns Frieden und wuschen mir das Gesicht und den Hals mit dem Weine, den ich zum Trinken geholt hatte, worüber der Blinde wieder seine Späße machte, indem er sagte: In der Tat, der Bursche verbraucht mir zum Kopfwaschen in einem Jahr mehr Wein, als ich in zweien trinke! Wahrhaftig, Lazaro, du hast dem Wein mehr zu verdanken als deinem Vater; denn dieser erzeugte dich nur einmal, aber der Wein hat dir schon tausendmal das Leben gegeben.[20]

Und nun erzählte er, wie oft er mir den Kopf zerschlagen und das Gesicht zerkratzt und wie ich dann durch Wein gleich wieder hergestellt worden sei. – Ich versichere dir, fuhr er fort, wenn ein Mensch auf der Welt durch Wein sein Glück macht, so bist du es! – Darüber lachten dann die, welche mich damit wuschen, ich aber fluchte heimlich.

Die Prophezeiung des Blinden war auch nicht lügenhaft, und ich erinnerte mich in der Folge dieses Menschen noch oft, der zweifelsfrei einen prophetischen Geist haben mußte. Ich bereute auch die dummen Streiche, die ich ihm gespielt hatte, obgleich ich sie teuer genug hatte bezahlen müssen. Das, was er mir an jenem Tage vorhersagte, ging pünktlich in Erfüllung, wie Eur Gnaden in der Folge hören werden.

Dies und die argen Spötteleien, die der Blinde über mich machte, bestimmten mich immer mehr und mehr, ihn zu verlassen, und vorzüglich der letzte Spaß befestigte meinen Entschluß, den ich schon längst ausgedacht und den ich auszuführen willens war. Es begab sich so: den folgenden Tag durchzogen wir die Stadt, um Almosen zu sammeln. Es hatte die Nacht zuvor stark geregnet und regnete auch noch den ganzen Tag; deshalb stellte sich mein guter Blinder unter einen bedeckten Gang, den es in dieser Stadt gab, in welchem er seine Gebete hersagte und wo wir nicht naß wurden. Da es endlich anfing Nacht zu werden und der Regen noch immer nicht nachließ, sagte der Blinde zu mir: Lazaro, das Wetter dauert noch immer fort, und je später es wird, je schlimmer wird es, wir wollen beizeiten in die Herberge zurückgehen.

Um dahin zu kommen, mußten wir über einen Bach, der vom Regen sehr angeschwollen war. Vetter, sagte ich, der[21] Bach ist sehr breit; wenn Ihr es haben wollt, will ich einen Ort suchen, wo wir besser darüber können, ohne uns naß zu machen; denn dort wird er viel schmäler, und wir werden trockenen Fußes hinüberspringen können.

Mein Rat dünkte ihn gut, und er sagte: Du bist ein gescheiter Bursche, und ich habe dich auch deshalb recht lieb; bringe mich nur an den Ort, wo der Bach schmäler wird; denn in dieser Winterszeit ist Nässe nichts nütze, und am wenigsten nasse Füße.

Da ich sah, daß er meinem Vorhaben entgegenkam, führte ich ihn hervor unter dem Säulengange, stellte ihn einem steinernen Pfeiler, der, wie mehre andere auf demselben Platz, zur Unterstützung der Balkone diente, gerade gegenüber und sagte zu ihm: Vetter, das ist der schmälste Platz, der am ganzen Bache zu finden ist. – Weil es stark regnete, der blinde Schurke schon ganz durchnäßt war und wir ins Trockene zu kommen eilten, oder vielmehr, weil Gott ihm seinen Scharfsinn verdunkelte, damit ich mich an ihm rächen könnte, glaubte er mir und sagte: Stell mich nur zurecht und spring du über den Bach.

Ich stellte ihn gerade gegen die Säule, tat einen Sprung und trat hinter den Pfeiler wie einer, der den Stoß eines Stieres erwartet. Nun springt, so weit Ihr könnt, sagte ich zu ihm, damit Ihr über das Wasser kommt. – Kaum hatte ich das ausgesprochen, als der arme Blinde gleich einem Bocke ansetzte und mit aller Kraft hinübersprang, nachdem er vorher einen Schritt zurückgetreten war, um mit diesem Anlauf einen größern Sprung zu tun. Er rannte mit dem Kopfe so wider die Säule, daß es einen Klang gab, als wenn man mit einem großen Kürbis dagegen geworfen hätte, und fiel sogleich halbtot und mit zerschlagenem Kopfe rücklings nieder.[22]

Wie, sagte ich, die Wurst habt Ihr doch riechen können, warum denn nicht auch den Pfeiler? So riecht doch nur! – Und so ließ ich ihn in den Händen mehrer Leute, die ihm zu Hilfe herbeikamen, und nahm in einem beständigen Trabe meinen Weg durch das Stadttor, kam auch noch, ehe es Nacht wurde, nach Torrijos. Ich weiß nicht, was Gott aus ihm gemacht hat, und habe mir auch gar keine Mühe gegeben, es zu erfahren.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 8-23.
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