Erstes Kapitel

[5] Lazaro erzählt sein Leben und wessen Sohn er sei.


Vor allen Dingen erfahre Eur Gnaden, daß ich Lazaro von Tormes heiße und der Sohn des Thomas Gonzalez und der Antonia Perez bin, beide von Tejares, einem Dorfe im Gebiete von Salamanca, gebürtig. Meine Geburt ereignete sich auf dem Flusse Tormes, weshalb ich den Zunamen erhielt, und es ging damit auf folgende Art zu: mein Vater, dem Gott gnädig sein möge, hatte das Geschäft über sich, eine Mühle zu versehen, die über diesen Fluß gebaut ist und in welcher er über fünfzehn Jahre Müller war. In einer Nacht, als sich meine Mutter, die eben mit mir schwanger ging, in der Mühle befand, überfielen sie die Geburtsschmerzen, und sie gebar mich da. Deshalb kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich auf dem Flusse geboren bin.

Als ich ein Kind von acht Jahren war, beschuldigte man meinen Vater gewisser Aderlässe, die er boshafterweise an den Säcken der Mahlkunden gemacht hätte. Er wurde deswegen eingezogen, bekannte alles, leugnete nichts und litt so Verfolgung um der Gerechtigkeit willen; deshalb hoffe ich zu Gott, daß er sich in der Herrlichkeit der Seligen befindet, da das Evangelium solche Unglückliche selig nennt.[5]

Zu dieser Zeit rüstete man eine Armee gegen die Mauren, zu der sich mein Vater, der damals wegen seines schon erwähnten Unsterns des Landes verwiesen war, als Mauleseltreiber eines Offiziers begab; und er endigte auch, als ein treuer Diener, mit seinem Herrn sein Leben.

Da sich nun meine Mutter, als Witwe, ohne Mann und Stütze sah, beschloß sie, bei guten Menschen Schutz zu suchen, um selbst unter ihre Zahl gerechnet zu werden. Sie zog in die Stadt, mietete ein kleines Haus und fing an, für mehre Studenten das Essen zu kochen, auch die Wäsche für einige Stallknechte des Kommenturherrn vom Magdalenenorden zu besorgen. Da sie deshalb oft in die Ställe kam, machte sie mit einem Mohren, der die Pferde wartete, vertraute Freundschaft. Dieser kam bisweilen abends in unser Haus, und ging erst des Morgens wieder weg; auch kam er manchmal am hellen Tage vor unsre Tür, unter dem Vorwande, Eier zu kaufen, und trat so ins Haus. Anfangs war er und sein Kommen mir zuwider, und ich fürchtete mich vor seiner Farbe und häßlichen Gestalt; da ich aber sah, daß sich mit seinen Besuchen unsre Mahlzeiten verbesserten, so gewann ich ihn bald lieb; denn immer brachte er Brot, Stücke Fleisch und im Winter Holz, damit wir uns wärmen konnten.

Indem sie solchergestalt ihren Umgang und ihre Vertraulichkeit fortsetzten, schenkte mir meine Mutter ein niedliches Mohrchen, das ich tänzelte und wärmen half. Ich erinnere mich noch, daß mein schwarzer Stiefvater eines Tages mit dem Jungen spielte, das Kind aber, da es meine Mutter und mich weiß, ihn hingegen nicht so erblickte, vor Furcht von ihm zur Mutter lief, mit dem Finger auf ihn wies und sagte: Mutter! Fratzengesicht! – Er lachte und sagte: Du Hurensohn! – Obgleich ich noch ein kleiner[6] Knabe war, so bemerkte ich doch die Worte meines Brüderchens und sagte bei mir selbst: Wie viele Menschen mag es doch auf der Welt geben, die vor andern fliehen, weil sie sich selbst nicht sehen!

Unser Schicksal wollte, daß der Umgang des Zayde (so hieß der Mohr) zu den Ohren seines Haushofmeisters kam, man stellte eine Untersuchung an und fand, daß er über die Hälfte des Hafers, den man ihm für die Pferde übergeben, gestohlen hatte, daß Kleie, Holz, Striegel, Stallschürzen und Pferdedecken verschwunden waren und daß er, wenn er nichts anderes gefunden, den Pferden die Eisen abgebrochen und dies alles meiner Mutter zugetragen hatte, um mein Brüderchen zu pflegen. Es ist ja kein Wunder, wenn ein Priester oder ein Klosterbruder, der eine die Armen, der andere sein Kloster für die ihm ergebenen Seelen oder zur Hilfe irgendeiner Person bestiehlt, geschweige dann, wenn einen armen Sklaven die Liebe dazu antreibt.

Dies alles, wie gesagt, bewies man ihm, und sogar noch mehr; denn man drang mit Drohungen in mich, und ich, als ein Kind, bekannte und entdeckte aus Furcht alles, was ich wußte, sogar auch, daß ich auf Befehl meiner Mutter verschiedene Hufeisen bei einem Schlosser verkauft hätte. Mein armer Stiefvater wurde gestäupt und mit siedendem Öle betropft und meiner Mutter bei Strafe der gewöhnlichen hundert Rutenstreiche von Rechts wegen auferlegt, hinfort weder die Wohnung des erwähnten Kommenturs zu betreten noch den armen Zayde in die ihrige aufzunehmen.

Um also nicht dem verlorenen Eimer auch das Seil nachzuwerfen, ergab sich die arme Frau in ihr Schicksal, und erfüllte den Rechtsspruch; und um alle Gefahr zu[7] vermeiden und aus dem Gerede böser Zungen zu kommen, ging sie in Dienste zu den damaligen Besitzern des Gasthofs zur Solana, wo sie tausend Unannehmlichkeiten zu ertragen hatte. Sie brachte mein Brüderchen so weit, daß es allein laufen konnte, und mich zog sie zu einem wackern Knaben auf, so daß ich den Gästen Wein und Licht, und wonach sie mich sonst schickten, holen konnte.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 5-8.
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