Fünfter Auftritt.

[20] Enrico, und Silvia versteckt.


SILVIA. (Ich kann nichts verstehen!)

ENRICO. Rührend ist bey alle dem die Begebenheit des Gernando. Kaum ist er verheyrathet, so muß er sich mit seiner Geliebten dem Meere anvertrauen. Er sieht sie auf den stürmischen Fluthen erkranken; zu ihrer Erholung landet er auf dieser Insel; sie schläft, und er, von Barbaren entführt, und in unbekannte Länder geschleppt, lebt so viel Jahre in der Sklaverey und ohne alle Nachricht von seinem geliebten Gegenstande. ...

SILVIA. (Endlich hat er sich doch einmal umgedreht. Welch ein angenehmes Gesicht!)

ENRICO. Bey jedem andern spricht die Menschlichkeit für ihn; bey mir auch noch die Schuldigkeit. Ich verdank' ihm meine Freyheit, dieses erste Geschenk des Himmels. Jeder andrer würde hartherzig seyn; ich bin auch noch undankbar dazu, wenn ich ihm nicht beystehe. Ein hartes Herz verdient Verachtung; aber eine undankbare Seele ist allen Menschen ein Abscheu.

ENRICO. Wenn auf dem Wege der Ehre des Kämpfenden Fuß ermüdet, um neuen Lohn zuerhalten, ächzt und zittert er nicht. Er vergießt gern sein Blut und geht tausend Gefahren froh entgegen.


Quelle:
Haydn, Joseph: Die unbewohnte Insel. Berlin 1786, S. 20-23.
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