Brautgeleit

[14] Ich sehe dich, den Kranz im Haar,

Die zur Vermählung schreitet,

Von einer jungen Genienschar

Umjubelt und begleitet.


Ein kleines Heer, ein feines Heer,

Sind alles deine Schwestern.

Du bist sie und bist sie nicht mehr

Und warest sie noch gestern.


Wer gibt Geleit mit Lustgetön

Dem stillen Hochzeitspaare?

Das sind, bekränzt mit Rosen schön,

All deine raschen Jahre.


Voran ein Kindlein weint und lacht,

Vom Mutterarm getragen,

Das zweite setzt die Füßchen sacht

Und schreitet noch mit Zagen.


Es folgen Stufen mannigfalt

Des jungen Menschenbildes,

Mit einem scheuen Kinde wallt

Ein Mägdlein schon, ein wildes.


Dann ist ein frisches minniges

Lenzangesicht zu schauen,

Und dann ein blasses inniges

Antlitz mit ernsten Brauen.


Nun eines noch, versunken ganz

In still verklärten Zügen,

Erfüllung in des Blickes Glanz

Und seliges Genügen.


Jetzt trittst du durch das Kirchentor,

Dich ewig zu verbinden,

Die Mädchen bleiben all davor,

Vergehen und verschwinden.


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 14-15.
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