Mein Stern

[42] Oft in meinem Abendwandel hefte

Ich auf einen schönen Stern den Blick,

Zwar sein Zeichen hat besondre Kräfte,

Doch bestimmt und zwingt er kein Geschick.


Nicht geheime Winke will er geben,

Er ist wahr und rein und ohne Trug,

Er beseliget und stärkt das Leben

Mit der tiefsten Sehnsucht stillem Zug.


Nicht versteht er Gottes dunkeln Willen,

Noch der Dinge letzten ew'gen Grund,

Wunden heilt er, Schmerzen kann er stillen

Wie das Wort aus eines Freundes Mund.


In die Bangnis, die Bedrängnis funkelt

Er mit seinem hellsten Strahle gern,

Und je mehr die Erde mählich dunkelt,

Desto näher, stärker brennt mein Stern.


Holder, einen Namen wirst du tragen,

Aber diesen wissen will ich nicht,

Keinen Weisen werd ich darum fragen,

Du mein tröstliches, mein treues Licht!

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 42-43.
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