Cäsar Borjas Ohnmacht

[192] Wer bin ich? Einer, welcher unterging,

Den Kranz im Haar, den Becher in der Faust,

Mit einem herkulanischen Gelag

Von einem ungeheuren Sturz bedeckt?

Ich weiß den Becher nur und meinen Sturz...


Im Belvedere... Gestern... Am Bankett...

Den Becher, ihn kredenzte schlürfend mir

Der Papst, der ewig heiter lächelnde,

Denn Cäsar Borja bin ich, Sohn des Papstes!


Die Ampel über meinem Lager kämpft

Mit eines neuen Tages fahlem Schein...

Ob's gestern oder ehegestern war,

Ich weiß es nicht, doch eines weiß ich wohl:

In jenem Becher gor der Borja Gift.

Er galt dem Gast, dem Bischof. Selbst gewürzt

Hat sich der Vater ew'gen Schlummers Trunk!

Ein Becher ward verwechselt. Warum nicht?

Verrat des Schenken? Zufall?... Es geschah.

Ich lebe. Meine Drachenkraft bezwang

Das Drachengift. Die Stunde ruft. Zur Tat!

Leer steht ein Thron und eine Krone rollt.

Verbraucht ist das Apostelmärchen. Weg

Damit! Der Vater war der letzte Papst!

Ein König folgt ihm nach und der bin ich.

Entscheidungsstunde, nicht erschreckst du mich,

Ich habe lange dich voraus bedacht:

Entlarve mir dein kühnes Angesicht!

Du heißest Heute: Kämmrer gib das Schwert!

Reif stehn die Ernten und die Sichel blitzt.[192]

Marsch, meine Banden! Richtet das Geschütz

Auf des Konklave Kammern! Suchst du mich,

Hauptmann? Im Borgo, sagst du, wird gekämpft?

Ich komme! Ich vertausendfache mich!

Ich steige mordend auf das Kapitol

Und mit Italiens Krone krön ich mir

Dies Haupt, das seine Frevel überragt!


Ich träume nur und komme nicht vom Platz.

Sturmlaufend, bleib ich eingewurzelt stehn.

Gelähmte Sehnen! Meuchlerisches Gift!

Auf einem Krankenlager krümm ich mich.

Kein Diener hier! Kein Arzt an meinem Pfühl!

Mietlinge! Meine Stunde schwebt vorbei,

Mit fliehndem Fuß berührt sie spottend mir

Die Faust, die ein erdichtet Schwert umkrampft.

Verweile, Schicksalsstunde!... Doch sie schwebt.

Ich fühle meiner Feinde heimlich Werk:

Sie schaufeln, sie minieren, während ich,

Geschleudert aus der Schranke, liege... Dort!

Die grüne Feuerkugel! Ein Signal

Von meinen Banden? Nein, ein Meteor

Zuckt flüchtig durch die schwüle Sommernacht.

Hier über Romas Kuppeln loht es auf:

Nahn fackelschwingend meine Banden sich?

Nein, es ist Borjas Glück, das flammt und brennt,

Und seine Zinnen stürzen! Wehe mir!

Dem Valentino netzt die Wimper sich...

Pfui! Ist das eines Weibes Augenlid?


Verzweiflung! Göttin! Stähle meinen Leib!

Ich winde mich von meinem Lager auf,

Ich schreite... qualvoll... doch ich schreite. Bei

Der nackten Hölle, Sehnen, strammet euch!...

Verdammnis!... Wieder lieg ich hingestreckt...

Und ein erdolchter Knabe fesselt mich

Mit Ringen an den Stein... Dort gafft ein Weib,

Die Haare triefend, mit geschwollnem Hals...

Blutlose Brut! Weg in des Tibers Grab!...

Aus allen Wänden quillt es schwarz hervor

Und dunkelt über mir... Unsagbar Graun...


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 192-193.
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