Abends in der Laube

[215] 1773.


Der Abend wallt, mit süßer Ruh,

Von Taugewölken nieder;

Die bunte Tulpe schließt sich zu,

Der Hain vergißt der Lieder.

Nur von beglückter Liebe singt

Noch meine Philomele,

Und ach! ein Sehnsuchtsseufzer dringt

Mir schmachtend aus der Seele.


O komm, Elise, laß mit ihr

Des Abends uns genießen!

Komm, von der warmen Lippe mir

Den Seufzer wegzuküssen![215]

Horch, ihre Silberstimme schallt

In hellern Doppelschlägen;

Und Nachtviolenbalsam wallt

Dir lieblicher entgegen.


O du, ihr Engel, leite sie,

Voll ahndender Gefühle,

Voll warmer, frommer Sympathie,

In diese Maienkühle!

Daß, wie der Mond aus Wolken hier,

Sie mir im Dunkel lache,

Und diese Rosenlaube mir

Zum Paradiese mache!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 215-216.
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