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[316] (Im Mai 1788.)
Das Veilchen blüht so sittsam und hold;
Das Schlüsselblümchen düftet wie Gold.
Bewundernd steht der denkende Mann
Und betet still den Schaffenden an.
Drauf kömmt ein Schwarm von Knaben gerannt,
Flicht Kränze sich mit eilender Hand,
Freut kurz sich nur der blühenden Pracht,
Zerstreut umher die Blätter, und lacht. –
O Schlüsselblum' und Veilchen, wie ihr
Blühn Mädchen oft voll Unschuld und Zier;
Der beßre Mann steht schweigend und blickt
Zu dem auf, der so schön sie geschmückt.
Nun aber stellt mit flüchtigem Sinn
Ein Jüngling vor der Holden sich hin,
Erbuhlt durch Lob und schmeichelnden Scherz
Sich ihr nichts Arges ahndendes Herz.
O Mädchen schön im Jugendgewand,
Entzeuch dem glatten Schmeichler die Hand!
An Blumenketten zieht er ins Grab
Der Unschuld dich kaltlächelnd hinab.
Doch wenn, von deinen Reizen entzückt,
Ein Jüngling still ins Auge dir blickt
Dann reich ihm sanfterrötend die Hand,
Und denk: Er ist's, den Gott mir gesandt!