Elegie auf einen Taubenschlag

[157] Im Oktober 1772.


Ah Verwüstung! überall umher,

Liegen sie in Todesschlaf versunken,

Meine Täubchen! keines atmet mehr,

Und der Marder hat ihr Blut getrunken.

Das geliebte Ringeltäubchen hier

Hatt' ich mit so vieler Müh' erzogen,

Und wenn ich ihm winkte, kam es mir

Freundlich auf die Schultern hergeflogen.[157]


Ach, entfiedert und entstellt vom Tod,

Liegt mein liebes silberweißes Täubchen,

An den Füßchen trug es hohes Rot,

Auf dem Kopf ein mondgeformtes Häubchen;

Ihm zur Seiten liegt das Männchen da

Mit dem glatten aschengrauen Köpfchen,

Alle Regenbogenfarben sah

Man im Sonnenstrahl an seinem Kröpfchen.


Ach, und Damons Täubchen! – Gestern kam

Es so freundlich zu mir hergeflogen,

Als die Eifersucht mit düsterm Gram

Meine Stirn' und Wangen überzogen! –

Grausam jagt' ich es hinweg, weil ich

Zornig war auf den, der es mir schenkte.

O vergieb mir, Täubchen, daß ich dich,

So wie meinen guten Schäfer kränkte!


Um Verzeihung flehen will ich ihn,

Alle meine Fehler ihm bekennen,

Seine Hand an meine Lippen ziehn,

Meinen lieben, trauten Freund ihn nennen!

Wenn er dann noch grausam bleibt, will ich

Ihm das liebe, tote Täubchen zeigen;

Weinen wird er, küssen wird er mich,

Und vor Bangigkeit und Wehmut schweigen.


Dort im Hain begraben wir dich dann,

Mitleidsthränen sollen dich benetzen,

Maßlieb, Tausendschön und Thymian

Wollen wir um deinen Hügel setzen.

Jeden stillen Sommertag, wenn wir

In der Dämmerung einander küssen,

Sollen, liebes, trautes Täubchen, dir

Heiße Thränen uns vom Auge fließen.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 157-158.
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