[4] Siegwart, ein edelgesinnter Jüngling, war auf einem Oettingischen Dorf in Schwaben, an der Donau gebohren. Sein Vater, ein Mann von ächt deutsch-schwäbischem Charakter, war seit vier und zwanzig Jahren Amtmann auf dem Dorfe. Von seiner, ihm zu früh verstorbnen Frau hatte er zwo Töchter, und drey Söhne, wovon unser Siegwart der jüngste war; ein geselliger Knabe, der sich nie mehr fühlte, als wenn er andre Kinder lustig sah, ihnen Freude machen, und tausend kleine Gefälligkeiten erweisen konnte. Wenn der Winter ihn ins Zimmer einschloß, so war ihm nirgends wohl, die Gesellschaft seiner ältern Brüder, und zwoer muntrer Schwestern war ihm nicht groß genung; er rief alle Baurenkinder, die sein Haus vorbeygiengen, zu sich, und tummelte sich mit ihnen auf dem Saal herum. Dann schlich er sich wieder[5] in den Stall, besah die Pferde, ritt sie an die Tränke, warf sich mit Schneeballen, oder fuhr auf seinem kleinen Schlitten den steilsten Berg herab, und thats an Kühnheit, oft auch an Verwegenheit, den kühnsten Baurenknaben zuvor.
Sobald die Frühlingssonne schien, konnt' ihn gar nichts mehr zu Hause halten. Er trieb den Kreisel, warf den Ball, stellte mit den Baurenjungen Jagden an, theilte immer die Rollen aus, machte den einen zum Jäger und den andern zum Hirsch, und umzingelte den ganzen Wald mit jungen Jägern, wie ers bey der fürstlichen Jagd gesehen hatte. Dann spielte er wieder den Soldaten, warb alle Jungen des Dorfs an, und bestellte sie am Sonntag auf das Feld hinaus. Da gab er ihnen hölzerne, selbst geschnitzte Flinten; hölzerne Säbel; drey Kindertrommeln, die ihm und seinen Brüdern gehörten; papierne Fahnen, und ein altes Jägerhorn. Jeder Knabe mußte zugleich eine Schlehenbüchse, und zwanzig Kugeln dazu haben. Damals wüthete der Krieg der Oesterreicher mit den Preußen. Obgleich sein Fürst auf der österreichischen Seite war, so hielt ers doch mit den Preußen, weil er in den Zeitungen gelesen hatte, daß diese immer mehr den Sieg davon[6] trügen. Er theilte sein Heer in zwey Theile, und wählte immer die stärksten Knaben für die Preußen aus, deren Anführer er beständig war, und an deren Spitze er die Oesterreicher mehrentheils zurückschlug. Er machte selbst ein Kriegslied, das seine Krieger, nach ihrer Weise, absangen. Beym Nachsetzen musten die Knaben mit den Schlehenbüchsen schiessen; wer getroffen war, muste fallen, und am Ende der Schlacht wurden die Todten gezält; da denn immer die Preußen die wenigsten hatten.
Wenns wärmer wurde, badete er sich in der Donau, und schwamm unter allen Jungen am besten. Ein paarmal war er in Lebensgefahr, und wurde von den Fischern gerettet; dieß hielt ihn aber nicht ab, gleich den andern Tag sich wieder zu baden. Halbe Tage brachte er im Walde zu, wo er Vogelnester aufsuchte. Er hielt ein ordentliches Verzeichnis davon, und fand alle Tage neue. Kein Baum, auf dem er ein Nest sah, war für ihn zu hoch; er klomm wie ein Eichhörnchen hinauf und wagte sich auf die dünnsten Aeste. Demohngeachtet war er nicht grausam gegen die Vögel. Er nahm nie ein Nest ganz aus, sondern nahm nur den schönsten Vogel, den er zu Hause ätzte, und groß zog; die[7] andern ließ er ihren Eltern. Besonders holte er die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den hohlen Bäumen, weil er gehört hatte, daß man diese sprechen lehren könne, und gab sich mit deren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Mühe.
Aus dieser Anlage des jungen Siegwart schloß sein Vater, der kein unvernünftiger Mann war, daß sein Sohn wol am besten zum Jäger oder Soldaten taugen möchte. Er hatte auch schon bey sich den Plan gemacht, ihn in seinem 15ten Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu seinem Bruder, einem Forstmeister in der Gegend, zu thun, und ihn die Jägerey erlernen zu lassen; daher drang er auch nicht sehr in ihn, das Lateinische, und gelehrte Wissenschaften zu lernen. Er suchte nur seine Anlage zum rechtschaffnen deutschen Mann zu entwickeln, und durch gute moralische Grundsätze, die aus der Religion hergeleitet waren, mehr zu befestigen; denn, obgleich der alte Siegwart ein Katholik war, so hatte er sich doch die Erlaubnis erkauft, in der Bibel lesen zu dürfen, deren Geschichten und Lehrsätze er seinen Kindern frühzeitig einzuprägen suchte. Und dieß legte wirklich den Grund zu der frühen Rechtschaffenheit des jungen Siegwart, die sich nachher so oft[8] in seinem Leben äusserte, ihn bey allen seinen Widerwärtigkeiten unterstützte, und zulezt so ruhig ans Grab wandeln lehrte.
Siegwart wuste den Plan seines Vaters wohl, und freute sich darüber; Er war in seinem Sinne schon ein Jäger, und legte oft, wenn der Vater ausgeritten war, seinen Hirschfänger an, hieng die Flinte um, und spazierte so, mit schwerem Tritt, das Zimmer auf und ab; oder schlich sich wol, wenn der Vater nicht sobald zurückkommen konnte, in den Wald, und schoß einmal zu seinem innigen Vergnügen einen Hasen, den er aber, weil er ihn nicht mit nach Hause bringen durfte, einem armen Mann schenkte.
Allein ein Zufall vernichtete auf einmal seine Hofnungen, und änderte den ganzen Plan seines Vaters um.
Obwol Siegwart für das männliche und charakteristische des Deutschen geschaffen war, so liebte er doch auch das Sanfte, und die schöne stille Natur. Beydes! ist sehr oft beysammen, und bildet einen liebenswürdigen, für die Welt sehr brauchbaren Charakter; er ist mehrentheils ein Eigenthum des Dichters; und zu diesem hatte Siegwart alle Anlage, die, bey glücklicheren äusserlichen[9] Umständen noch mehr emporgeflammt seyn, und die Herzen seiner Mitbürger noch mehr erwärmt haben würde.
Oft schlich er sich im Frühling, mitten im Spiel, von seinen Kameraden weg, sammelte Blumen, und band sie in einen Strauß zusammen; beobachtete alle Auftritte und Veränderungen der Natur; gab auf jedes Würmchen acht; sah der Biene zu, wie sie in die Blumenkelche schlüpfte, und Honig oder Wachs an ihren Beinchen heraustrug; er horchte jedem Vogel, am meisten aber der Lerche, der Grasemücke und der Nachtigall: die letzte gefiel ihm am besten, ob er wol ihren Namen noch nicht gehört hatte. Oft lag er an der Quelle, die durch Tropfstein und Moos, und niederhängendes Gras am Berg herabmurmelte; da fühlte er ein ungewohntes Sehnen und eine nie empfundne Wehmuth in der Seele; mit glänzendem Auge gieng er weg, drückte jedem Baurenjungen, der ihm begegnete, die Hand stärker, und gab ihm von seinem Abendbrod. Oft gieng er an das Grab seiner Mutter, wo er Rosen und Jesmin und Todtennelken gepflanzt hatte, und weinte da. Kein Geräusch weckte ihn so leicht aus dem Schlaf; aber wenn vor Sonnen Aufgang an seinem Kammerfenster,[10] das in den Garten gieng, die Nachtigall auf einem Apfelbaume sang, da wachte er schnell auf, ward munter, sprang aus dem Bette, hörte ihr unbeweglich zu, und sah mit Entzücken die Sonne hinter den Bäumen aufgehn. Noch lieber hörte er die Nachtigall des Abends, wem die Blumen und die Apfelblüthen süsser dufteten, und alles stille war, und der Mond herabsah. Da hatte er Gefühle, die beym Jüngling, der ihm gleich ist, zu Liedern werden. Da dachte er oft an seinen Bruder, der vor 4 Jahren in seinem 6ten Jahr gestorben war, und machte einst ein Lied auf ihn; da vergaß er oft sich und die ganze Welt; da rief man ihn oft zum Abendessen, und er hörte nichts, bis ihn sein Bruder oder Vater fand, und zu Tische holte, wo er wehmüthig saß, und nichts sprach. Nach dem Abendessen lag er wieder unter seinem Kammerfenster, hörte bis 11 Uhr oder 12 Uhr der Nachtigall zu; wünschte nichts, als wie sie singen zu können, und träumte sich im Schlaf in paradiesische Gegenden zu seinem Bruder.
Einen Abend nahm ihn sein Vater zu einem Spaziergange nach einem Kapuzinerkloster mit, wo dieser einen alten guten Freund hatte.[11] Der Abend war einer der schönsten. Sie kamen aus einem kühlen Wald' heraus, wo die Grasemücken, Amseln, und Nachtigallen in Gesängen wetteiferten, und die Holztauben drein gurrten. Das Dunkel des Waldes, und der melancholische Gesang der Amsel hatten die Seele des jungen Siegwart zum Wehmütigen und Feyerlichen gestimmt, worein ihn das ernsthafte Gespräch seines Vaters über die Schönheit der Natur und die Liebe des Schöpfers noch mehr versenkte. Ihr Gespräch kam auf das Kloster. Du wirst, mein Sohn, viel ehrwürdige Leute drinnen antreffen; gute ehrliche Männer, die die Thorheiten und Betrügereyen der Welt kennen lernten, und sich bey Zeiten von ihr los machten, um im Frieden Gott zu dienen, ihr Herz zu bessern, und sich für die Ewigkeit vorzubereiten. So ist mein Freund, der alte Pater Anton, der deine ganze Hochachtung verdient; aber nicht alle Paters denken so; andre werden dir weniger gefallen. Ich sage dir dieses nur, damit du dich nicht daran stössest, und nicht lauter Engel drinnen suchst. – Es ist eine eigne Sache um das Mönchsleben. Eigentlich sollten nur Leute da seyn, die den Menschen sonst nicht mehr dienen können. Doch, das geht uns[12] nichts an! – Sieh, dort liegt das Kloster schon; bey den Tannenbäumen dort! –
Sie waren nun, ausserhalb dem Wald' auf eine Anhöhe gekommen, an deren Fuß das Kloster gebaut war. Rechterhand an einem Eichenwalde gieng die Sonne ganz golden unter. Sie spielte noch auf den umgebognen Spitzen der Saat, die vor ihnen, wie ein sanfter Strom dahin schwamm. Drüber hin waren Gespinnste von Spinneweben wie ein Teppich ausgebreitet, die im Stral der Sonne alle Regenbogenfarben trugen. Hoch in der Luft sangen noch die Lerchen, deren Flügel, wenn sie sich ein Bischen wendeten, wie Gold glänzten. Ein Arm der Donau, der ganz still zwischen Weiden hin floß, faßte das Bild des rothen Abendhimmels auf, und man konnte die ganze rotdämmernde Gegend drinnen sehen. Zur linken Seite ward der Himmel schon dunkler; unten am Tannenwalde war er grau, und oben gelbroth. Vor ihnen lag das Kloster in ruhiger Stille. Die, mit weissem Blech belegten Dachkuppeln glänzten noch ein wenig; hinter dem Gebäude erhuben sich zwanzig oder dreißig hohe schwarzgrüne Tannen; alles war jezt still, da die feyerliche harmonische Bethglocke erklang, und[13] die ganze Gegend um den jungen Siegwart her zu einem Tempel machte. Seine Seele war jezt weich wie Wachs; unwillkührliche Thränen, die das Mittel zwischen Wehmuth und Freude hielten, glänzten ihm im Auge. Er sprach nichts; mit halbfrohem und halbbangem Zittern kam er dem Kloster immer näher, und nun waren sie am Thor. Ein alter ehrwürdiger Kapuziner in schneeweissen Haaren empfieng sie mit der Freundlichkeit eines Engels, und führte sie, weil er den alten Siegwart kannte, in den Speisesaal. Hier saßen dreißig Väter, mehrentheils ehrwürdige Greise mit einer Glatze, und langen silberfarbnen Bärten. Sie standen alle auf, bewillkommten mit einem stillen heitern Lächeln den alten Siegwart, und umarmten ihn, einer nach dem andern, mit brüderlicher Liebe; Sie gaben auch dem jungen Siegwart die Hand, dem das Herz laut schlug. Die beyden Ankömmlinge musten sich mit zu Tische setzen, und das kleine mäßige Mahl mit geniessen. Stille heitre Zufriedenheit saß auf allen Stirnen; jeder begegnete dem andern mit Freundlichkeit und Liebe. Der junge Siegwart sah einen nach dem andern an, und verlohr sich in dem Gedanken von dem Glücke dieser Väter; er fieng jeden an zu[14] lieben, und freute sich, wenn er bald von diesem, bald von jenem angelächelt, oder angeredet wurde. Besonders nahm der ehrwürdige Vater Anton, neben dem er saß, seine ganze Seele ein, denn er sah wie ein Apostel aus, und begegnete seinem Vater mit der treuherzigsten Liebe.
Wie lange sind Sie nun, sagte dieser zu dem eisgrauen Pater Gregor, der die zwote Stelle an der Tafel einnahm, hier im Kloster? Vier u. fünfzig Jahre sinds, Gottlob! antwortete Gregor, daß ich von der Welt mich abgesondert habe, und hier im Kloster meinem Gott diene, und dem Tod entgegen sehe. In meinem zwanzigsten Jahre that ich Profeß, und seitdem weiß ich von der bösen Welt nichts mehr. Ich bin niemals krank gewesen, aber nun fühl ichs, daß mein ende nahe ist. Es sind mir so viele vorgegangen, von denen ich geglaubt habe, daß sie mich begraben würden: endlich muß die Reihe doch auch an mich kommen. Die nächste Leiche wird wol mir gelten, meine Brüder! und hier sah er alle, heiterlächelnd, an. Das wolle Gott nicht, sprachen die Paters einmüthig; nein, das wolle Gott nicht, daß wir dich so bald verlieren! Der alte Mann sah mit einem Blick gen Himmel, und wischte sich die Augen. Nun ward[15] ein lange Stille, welche keiner unterbrechen wollte, bis der Guardian vom Tische aufstand, dem die andern alle nachfolgten. Anton und noch ein andrer Pater baten den alten Siegwart, die Nacht im Kloster zu schlafen, weil der Mond, den er abwarten wollte, doch erst um halb 10 Uhr aufgienge. Wir haben zwar im Kloster keine weiche Betten, sagte er, aber unser Verwalter draussen soll Sie gut beherbergen. Wir müssen wieder einmal einen Abend mit einander gemessen, wer weiß, wie lange uns dieß auf der Welt vergönnt ist? Der alte Siegwart wars zufrieden.
Nach dem Abendgebeth gieng man in den Garten, wo die Levkoje und die Nachtviole mit der Apfelblüthe süsser düftete. Viele Gänge zwischen hohen Hecken durchkreuzten sich. In der Mitte des Gartens plätscherte das Wasser des Springbrunnens lieblich. Von hier konnte man alle Gänge übersehen, in die sich die Väter, je Paar und Paar, vertheilt hatten. Die sich gleich geschaffen waren, schlossen ihre Herzen vor einander auf, entdeckten sich ihre Gedanken, sahen zum gestirnten Himmel, sprachen vom Grabe, von der Trennung, vom Wiedersehen, und der Ewigkeit. Andere, die die Freundschaft in der Jugend schon vereinigt hatte,[16] sprachen von den Tagen ihrer Kindheit, von ihren Freuden oder Leiden, von den Freunden, welche sie verlassen hatten, ob sie wol noch lebten, oder sie im Himmel schon erwarteten?
Sie theilten sich ihre Besorgnisse wegen andrer mit, von denen sie wusten, daß sie ehedem der Welt und ihren Leidenschaften zu sehr nachgehangen, und nicht rechtschaffen gedacht und gehandelt hätten; und nun beteten sie gemeinschaftlich mit Worten, oder auch mit Blicken für ihr Wohl ihre Besserung.
In andern Gängen schlichen weniger edelgesinnte Männer, die der Neid gegen andre, oder das Misvergnügen über ihre Vorgesetzten vereinigt hatte, und die sich mit den Fehlern oder Schwachheiten ihrer Mitbrüder beschäftigten, und boshafte Kränkungen für sie aussannen – Weg von diesen Unedeln, deren es leider in dem Kloster, das ein Sitz. der Unschuld seyn sollte, nur zu viele gibt!
Aber last uns die bedauren, die einsam, ohne Gefährten in den dunkelsten und engsten Gängen wandelten, um ihre Seufzer dem Ohr ihrer Brüder zu entziehen; die zu lebhaften Seelen, die, aus Ueberdruß der Welt, in der nur Unglück sie verfolgte, sich in einer Stunde des Unwillens und[17] der aufgebrachten Leidenschaft entschlossen, ihr auf ewig zu entsagen, und ein Gelübde zu beschwören, welches sie nachher so oft bereut hatten. Sie glaubten, dem Elend zu entgehen, und fanden neues grössres Elend. Wie mancher beweinte jetzt noch die Stunde des Taumels und der Trunkenheit der Seele, worein ihn der Pomp eines Klosters, die feyerliche und himmlische Musik der Väter, die Ruhe und die Heiterkeit, die auf ihren Angesichtern zu wohnen schien, versetzt, und die den Entschluß, den fälsche, oder einfältige Freunde noch bestärkten, hervorgebracht hatte, nach der gemeinen Redensart, die Welt zu verlassen. Nun wüthete die Melancholie in ihrer Seele, die jene Väter in der Gegenwart von Fremden immer hinter der Mine der Heiterkeit und Ruhe zu verbergen wusten. Sie kannten nun kein ander Glück mehr als den Tod, um den sie mit stummen Thränen, und mit unterdrückten Seufzern zu Gott beteten.
In einem solchen Taumel, der sie ehedem ins Kloster getrieben hatte, schwamm jetzt unser junger Siegwart, der den langen Gang hinab mit seinem Vater und dem guten Pater Anton, dem kleinen dunkeln Tannenwäldchen zugieng, das den Klostergarten begränzte. Die beyden Freunde giengen[18] Hand in Hand, und vertieften sich in vertrauliche Gespräche, wozu sie die schweigende Frühlingsnacht einlud. Lauschend gieng der junge Siegwart neben her. Sie kamen nun ans Tannenwäldchen, dessen Wipfel in der Abendluft sanft säuselten; hinten, wo der Wald am dunkelsten war, setzten sie sich in die kühle Grotte, neben der ein kleiner Bach vorbeyrieselte.
Hier sitz ich nun, sagte Pater Anton, seit vierzig Jahren jeden schönen Frühlings- oder Sommerabend, und überdenke da mein Tagwerk und die Führungen des Himmels. Oft, mein guter Siegwart, denk ich auch an dich, und die Tage, die wir in der Welt zusammen lebten. Ach, wie ist mein Herz seitdem so ruhig geworden! Du weist, Lieber, was ich ausgestanden habe; wie das Unglück über mich her stürmte; wie die Menschen mich verfolgten; und wie viel ich mit mir selbst und meinen Leidenschaften zu kämpfen hatte! – Hier sprach er leiser, und mit mehr gebrochner Stimme. – Man hat lang zu streiten, bis man sich von allen Schlacken losreist, zumal wenn das Herz den Eindrücken der Sinnlichkeit offen, und heftig ist. Ich glaube, daß man fast nur in der Einsamkeit dazu gelangen, seine Seele reinigen,[19] vom Irrdischen abziehen, und in Gottes Liebe versenken kann; und da ist die Klosterregel gewiß das beste Mittel dazu. Ich sage nicht, daß alle Menschen das Gelübde ablegen sollen, aber wer es thun und halten kann, der thut wol, und sorgt für seine Ruhe.
Aber, fiel der alte Siegwart ein, auch für das Glück der Welt, für seine Brüder? denn das sind doch alle Menschen. Vergib mir diesen Einwurf, ich weiß wol, daß man ihn bey uns nicht laut machen darf, aber bey Dir darf ichs wol.
Du hast Recht, sagte Anton, ich hab oft drüber nachgedacht, und anfangs konnt ich mich nicht sogleich beruhigen; aber, ich denke, wenn man so lebt wie ich, und es so gut meynt, dann thut man seiner Pflicht genug. Sieh' ich will dir meinen jetzigen Lebenslauf erzählen. Ein Tag ist wie der andre. Des Morgens steh ich früh auf, im Sommer mit der Sonne, und im Winter um 6 Uhr; dann halt ich meine eigne Morgenandacht, lese mein Brevier, oder geh im Garten spatzieren; dann studir ich etwas, lese in der Vulgata, im heiligen Chrysostomus, oder sonst in einem guten und erbaulichen Buche, deren unsre Bibliothek genug hat. Dann sing ich meine Horas, oder lese[20] eine Messe. Wenn ich meditiren muß, so denk ich nach, wie ich erbaulich predigen will, wenn ich zu den Bauren komme. Beym Mittagsmal esse ich wenig; nach dem Essen geh ich in den Garten, und pflanze verschiedenes, oder lerne allerley Vortheile vom Gärtner, die ich dann den Bauren in den Dörfern herum wieder sage. Dann les' ich wieder etwas; nach der Vesper geh ich zu einem oder dem andern Bruder auf die Zelle, wo wir bis ans Abendessen von ernsthaften Dingen sprechen; und nach diesem geh ich immer, wenn das Wetter schön ist, im Garten spatzieren, oder auf den Gottesacker zu dem Grabe meines lieben Bruder Josephs, oder ich sitze hier in der Grotte, und denke so über mich selbst nach, und was ich den Tag über gethan habe.
Trift dich oft das Auswandern, sagte Siegwart, wenn ihr aufs Almosenholen oder Predigen und Meßlesen ausgeht? – Alle vierzehn Tage einmal, antwortete Anton, und da freu' ich mich immer recht darauf. Ob ich gleich den Bauren nicht vorschreibe, was sie geben sollen, oder ihnen viel abzuschwatzen suche, weil es mir weh thut, wenn die Leute, die oft weniger, als wir, haben, sich vom Nöthigen entblößen sollen, so bring ich doch[21] immer so viel oder mehr ins Kloster, als die andern Brüder; denn die Leute sagen, daß ich ihnen das alles wieder tausendfältig einbringe, weil ich sie, wie schon gesagt, Garten- und Ackerkünste lehre, ihre Kinder unterrichte, wenns im Gespräch auf was Geistliches kommt, und in der Kirche allemal nach der Messe erbaulich und verständlich predige. Da haben mich die Leute so lieb, und drücken mir die Hand, und wünschen mir soviel Gutes, daß ich vor Freuden schon im Himmel zu seyn glaube. – Hier rollten dem guten Alten die Thränen in den langen Bart, und er sprach viel lauter und geschwinder; auch dem alten und dem jungen Siegwart stunden Thränen in den Augen –
Ja, lieber Siegwart, fuhr der Greis fort, du möchtest es für Pralerey halten, wenn ich so von mir selber spreche, aber Gott weiß, das ist es nicht; ich freue mich nur so drüber, wenn ich etwas Gutes thue, und da muß ich zuweilen meine Freude ausbrechen lassen. Ach, ich habe noch Schwachheiten genug an mir, die mir diese Freude wieder ganze Wochen lang verbittern; und es giengen lange Jahre hin, eh ichs den Bauren so gut zu machen wuste.[22]
Ich weiß, Vater Anton, ich weiß, sagte Siegwart, daß es keine Pralerey ist; das war nie dein Fehler. Du hast den Ruhm in der ganzen Gegend, daß man dich am liebsten sieht; und die Bauren in meinem Dorfe lieben dich wie ihren Vater. Ja, wenn alle, so wie du, wären! – Xaver, (so hieß der junge Siegwart) wie sagte doch neulich unsre Nachbarinn vom Pater Anton? du hast mirs ja heute noch auf dem Herweg erzählt. – Der junge Siegwart wurde roth, und stotterte: der Pater Anton, fieng er an, und hielt wieder inne; der Pater Anton sey ein lebendiger Heiliger, sagte sie, den man jetzt schon anrufen sollte, und man müst ihn zum Pabst machen, wenns auf sie ankäme. Es sey alles noch so gut, was Er auf der Kanzel sage, weil mans so verstehen könne.
Hier drückte Anton dem Jünglinge die Hand; das ist zu viel Lob, sagte er, die Leute übertreibens. Ich thue nur, was ein jeder thun sollte. –
Inzwischen kamen ein paar Kapuziner bey der Grotte vorbey, und grüsten den Pater Anton, den sie an der Stimme kannten, freundlich.
Das sind ein paar heilige und rechtschaffne Leute, sagte er, indem sie weggiengen, die mir den Verlust meines lieben P. Joseph noch in etwas[23] ersetzen. Du wustest wol noch nichts von seinem Tode, lieber Siegwart? Du besuchst uns auch gar zu selten. Er sagte mir noch den Tag vor seinem Tode, daß ich dich vielmals grüssen sollte; in der Ewigkeit seh er dich einst wieder. Nun ists bald ein Vierteljahr; am Charfreytagabend starb er. Ach, du hättest ihn sehen sollen, wie er starb; mit welcher Ruhe, mit welcher Heiterkeit! Aber so ein Leben war auch eines solchen Todes werth. Ich habe viele Leute gekannt, seit ich hier im Kloster bin, aber einen Mann, der so rein und unschuldig lebte, und so viel Gutes stiftete, wie er, hab ich nie gesehen! Jedermann hielt ihn für seinen Vater, und ward in seiner Gegenwart frömmer. Du hast ihn selbst gekannt, Siegwart; und ich würd' auch gar zu wehmüthig, wenn ich viel von ihm erzählen wollte. Hier an meiner Seite saß er so oft, goß seine ganze Seele vor mir aus, und sprach mit einer Freudigkeit vom Himmel, als ob er schon einmal da gewesen wäre. Oft, wenn ich so allein in der Dämmerung hier sitze, dann kommt mirs vor, als ob ich ihn hörte, und dann fahr ich auf, und wag' es kaum, wieder wegzugehen. Grosser Gott, und er muste mir entrissen werden! Doch ich werd ihm bald nachfolgen.[24]
Wenn dirs recht ist, Siegwart, so gehen wir zu seinem Grabe; der Kirchhof liegt an der Seite dort.
Sie stunden auf, und giengen schweigend, beym Gesang der Nachtigall, aus Grab. – Hier ists, sagte Anton, ich hab ihm einen Rosenstrauch drauf gepflanzt; übers Jahr soll er Rosen tragen. Hier nebenan werd ich einst liegen.
Ja, lieber Freund, so müssen wir sterben, wenn wir glücklich sterben wollen; aber auch so leben! – Er kam erst auf den rechten Weg, als er ins Kloster gieng. Vorher hat er wenig an Gott gedacht. Er sagte hundertmal: dem Kloster hab ich alles zu verdanken. Ich denk immer, Siegwart, du schenktest Gott auch einen Sohn. Wie wärs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Kloster, und sagte der Welt ab, um hier in Fried und Ruhe Gott zu dienen?
Der junge Siegwart, dessen Seele voll von den Bildern dieses Abends, und der reizenden Beschreibung war, die Anton von dem Klosterleben gemacht hatte, wuste nicht, wie ihm zu Muthe war; sein Herz schlug, und er sagte willig. Ja, weil der Wunsch schon mehrmals diesen Abend in[25] ihm aufgestiegen war, in dieser ruhigen Einsamkeit, unter Leuten, die er alle für Engel hielt, zu leben.
Siehst du, Siegwart, er sagt ja; er will zu uns kommen. Kannst du ihm wol seinen Wunsch versagen?
Ich weiß nicht, sprach der alte Siegwart, ich dachte diesen Abend auch schon einigemal dran; aber mein Xaver taugt nicht für das Kloster; er ist zu munter und zu lebhaft, und hat selbst nie keine Lust dazu gehabt. Er sagt jetzt zwar Ja; aber das ist wol nur so ein Einfall. Wie ists Xaver, gefällt dirs wirklich hier? Hättest du wol Lust, einmal beym Pater Anton zu leben?
O ja, sagte der zu feurige, erhitzte Jüngling; Ich wüste vorher nicht, daß es so gut hier im Kloster wäre.
Nun, wir wollen drüber nachdenken, es ist noch Zeit, sprach der Vater; und sie giengen wieder vom Grab weg. Indessen gieng hinter ihnen der fast volle Mond auf, und beschien die hohen Tannenwipfel. Als sie in den langen Gang mit der hohen Hecke kamen, sah man oben nah am Kloster ein Paar Kapuziner wandeln, deren schneeweisses Haar im Mondschein glänzte. Die[26] Nachtigallen schlugen laut, und flogen nicht davon, wenn man dicht bey ihnen stand. Das Mondlicht, das nun den ganzen Garten erhellte, und die Schatten, die das Laub der Büsche machte, hüpften vor ihnen in mannigfaltigem Gemisch dahin; in der Mitte, wo das Wasser des Springbrunnens plätscherte, und tausend goldne Sternchen bildete, kamen nach und nach die Mönche aus den verschiednen Gängen zusammen, und stellten sich in einem Kreis um den alten und jungen Siegwart, und den Pater Anton her. Sie sahen im Mondschein noch so heilig und ehrwürdig aus. – Nun, wie gefällts ihm hier im Kloster, junger Herr Amtmann? sagte einer von den Mönchen zu dem jungen Siegwart. O recht gut, fiel ihm Anton ein; er will bald bey uns Profeß thun. Schön, schön! riefen alle Mönche. Es gibt doch noch immer Leute, welche Gott von Herzen dienen.
Bleib er bey dem Entschluß, lieber junger Herr! sprach ein alter Mönch, der neben unserm Siegwart stand, und es soll ihn nicht gereuen; wir wollen ihm alle Liebs und Gutes thun.
Es ist noch nicht so gewiß, sagte drauf der alte Siegwart; Pater Anton scherzt nur. Ey[27] warum, lieber Herr Amtmann? sagte P. Gregor. Hätten Sies nicht gerne, wenn Ihr Sohn ein frommer Mann würde? Sie müssen ihm zureden. Glauben Sie; ein frommer Mönch bringt Segen über seine ganze Familie.
Nun giengen sie alle mit dem brüderlichen Kuß auseinander, und jeder wünschte noch besonders dem jungen Siegwart gute Nacht. Die beyden Gäste wurden zum Verwalter vors Kloster hinausgeführt, wo sie schon ein zubereitetes Schlafzimmer fanden. Der alte Siegwart vermied vorsetzlich, mit seinem Sohn von dem, was diesen Abend vorgefallen war, zu reden. Er kannte sein lebhaftes, leicht zu erhitzendes Temperament, und dachte, die Bilder, die sich ihm diesen Abend eingeprägt hatten, würden wieder mit der Nacht verfliegen.
Allein der junge Siegwart, der in einem besondern Zimmer lag, konnte nicht schlafen; der Gedanke an das Kloster, an die stille Ruhe und glänzende Heiligkeit der Mönche beschäftigte ihn bis um Mitternacht. Er baute tausend Luftschlösser auf; seine dichterische Phantasie malte ihm die Tage vor, die er hier so glücklich zubringen könnte; sie malte ihm das Kloster als einen Himmel[28] auf Erden ab, und er glühte von dem Wunsche, bald ein Einwohner dieses Himmels zu werden.
Endlich schlief er ein; er sah im Traum Engel herabsteigen, und ihn zum Altar führen, wo er das Gelübde ablegen sollte. Seine Mutter, die schon gestorben war, winkte ihm an der Seite der Maria, ihnen zu folgen; er hörte eine himmlische Musik, und wachte von der zu heftigen Bewegung seiner Seele auf. Der Tag war schon angebrochen; die Sonne gieng auf. Er konnte nicht länger im Bette bleiben, und gieng ans Fenster, von da aus er das Kloster und einen Theil des Gartens übersehen konnte. Rings ums Kloster herum lagen Fruchtfelder, die, vom Thau benetzt, in frischer Farbe prangten. Ueberall schwebten Lerchen in der Luft, und sangen ihr göttliches Lied auf die neuerwachte Welt herab. Im Klostergarten sangen Rothkehlchen, Aemmerlinge, Nachtigallen und Amseln. Einen Pater sah er schon mit gefalteten Händen, die ein kleines Kreuz hielten, in den Gängen auf und nieder gehen. Dies erweckte seine Andacht, die nie feuriger gewesen war. Lieber Gott! laß mich auch zu so einem frommen Mann werden, seufzet' er, und schwieg wieder.[29]
Rechterhand lag der Gottesacker; und er konnte deutlich das Grab sehen, auf dem sie gestern Abend gestanden hatten. Hier fiel ihm der Pater Joseph ein, und Thränen schossen ihm ins Auge.
Indem trat sein Vater ins Zimmer; er fuhr zusammen, drehte sich um, und suchte seine Thränen zu verbergen.
Wie, mein Sohn, du bist schon auf? und so traurig? ich glaube gar, du hast geweint. Fehlt dir was, Xaver?
Ach nein, Papa, ich sah da auf den Kirchhof, wo wir gestern gewesen sind. Der Pater Joseph muß ein treflicher Mann gewesen seyn.
Ja, mein Sohn, das ist er gewesen, und es ist mir lieb, daß dir sein Andenken werth ist. Wie hast du denn diese Nacht geschlafen? Doch recht ruhig?
Nicht so ganz, Papa; Ich hatte allerley Gedanken durcheinander, und dann träumt' ich auch so wunderlich.
Nun, wovon denn?
Je, vom Kloster, und dergleichen.
Ja, das hab ich mir eingebildet, und deswegen kam ich auch herüber. Du warst gestern auf eine[30] ausnehmende Art bewegt; ich gab immer auf dich Achtung, aber ich wollte nichts davon sagen. Es schienen mancherley sonderbare Veränderungen in dir vorzugehen. Heute muß ich nun aufrichtig mit dir reden. Der Pater Anton lag mir schon lange an, daß ich dich ins Kloster thun sollte. Ich hatte wenig Lust, weil ich deine Munterkeit kannte, die sich nicht fürs Kloster schickt; und deswegen hab ich dich auch nie mitnehmen wollen. Nun ists einmal geschehen, weil du mir keine Ruhe liessest. Du sagtest gestern dem Pater Anton, daß du Lust zum Klosterleben hättest. Er fieng das auf, und sagte es gleich vor den andern Mönchen. Diese freuen sich nun immer, wenn sie neue Ankömmlinge bekommen können. Sie werden heute gleich wieder davon anfangen, und darum wollt ich erst mit dir davon reden. Du sagst, es habe dir vom Kloster geträumt; was war es denn?
Ich war in der Kirche, sagte Xaver, wo die Kapuziner alle um mich herum stunden. Ich sollte zum Altar hin gehen; und da war mirs, als ob Engel herabkämen, und als ob die selige Mama mit der Mutter Gottes käme, und mir winkte, daß ich hingehen sollte. Ich wachte dann wieder auf, und konnte nicht mehr einschlafen.[31]
Das ist sonderbar, sagte der alte Siegwart, und gieng auf und nieder. Es hatte ihm was ähnliches von seiner Frau geträumt, weil er sich an Pater Josephs Grabe allein mit dem Gedanken an sie beschäftigt hatte. – Xaver, ist es dir denn Ernst mit dem Kloster?
O ja, Papa; wenn Sie es wollen –
Ich will es nicht, mein Sohn; Aber ich will dir auch in deiner Wahl nicht vorgreifen; ich weiß, daß du jetzt dafür bist; aber du must alles wohl überlegen; wenn man hier einmal gewählt hat, dann ist die Neue zu spät. Ich wünschte schon zuweilen, daß einer meiner Söhne ein Geistlicher werden möchte; mit Karl und Wilhelm geht es nicht mehr an; die haben ihre Versorgung; aber wegen deiner war ich immer zweifelhaft. Mit dem Klosterleben ists so eine Sache; bald gefällt es mir, bald wieder nicht, und die wenigsten schicken sich dazu. Gestern Abend hat mich nun Pater Anton wieder ganz dafür eingenommen. Er ist ein guter frommer Mann, und mein vieljähriger Freund. Wenn du ihm gleich werden könntest, so würd ich Freude an dir erleben. Aber, Xaver, ich glaubte immer, für dich wäre eine so ganz einförmige Lebensart nicht. Du bist zwar oft gern allein;[32] aber zuweilen bist du wieder immer in Gesellschaft. Und dann must du dir das Kloster nicht so vorstellen, wie es dir gestern das erstemal vorgekommen ist! So lange einem etwas neu ist, da gefällt es immer. Vor den Leuten thun die Paters immer friedlich, und scheinen, wie die Engel zu leben; aber es mögen wol, wie ich manchesmal aus des Pater Antons Reden merkte, manche böse Leute unter ihnen seyn, die einem das Leben recht sauer machen können. Kurz, ich weiß nicht, ob ich dir dazu rathen soll? – Freylich, wenn ich an den Traum denke; denn ich muß dir nur sagen, daß mir eben das geträumt hat.
Eben das geträumt? rief Xaver. O Papa, das ist gewiß nicht umsonst geschehen! Es gefällt mir so gut hier, als mirs noch an keinem Ort gefallen hat. Ich wollte Sie wol bitten, daß Sie mich hier liessen! – Hier im Kloster bleiben kannst du jetzt noch auf alle Fälle nicht, erwiederte der Vater, denn die Kapuziner unterrichten keine jungen Leute, und dann wüstest du auch noch vorher auf Akademien. Aber dazu wollt' ich dir wol rathen, daß du einige Tage lang hier zurücke bliebest, um die Einrichtung der Lebensart genauer kennen[33] zu lernen. Du must auf alles genau Acht geben, ob die Paters dir gefallen? ob du dich an die beständigen Andachtsübungen; an den Gehorsam; an die strenge Klosterzucht; an die, mehrentheils geringe und schlechte Kost; an das einförmige, stille, von der übrigen Welt abgeschnittne Leben gewöhnen kannst? Ob du dich für stark genug hältst, den Vergnügungen der Welt zu entsagen, und, von ihr ungekannt, nur dir und Gott zu leben? Pater Anton soll dich von allem noch genauer unterrichten, auf ihn kannst du dich verlassen. In vier oder fünf Tagen komm' ich wieder, um deine Meynung zu erfahren; denn nun ists gerade Zeit, daß du dich zu einer Lebensart entschliessest, welche künftig dein ganzes Leben ausfüllen soll. Ich werde alt, wer weiß wie lange ich noch lebe; und ich wünschte dich so gern vor meinem Ende noch versorgt. Ich dachte, dich zu meinem Bruder dem Forstmeister zu thun, aber der ist nun vor sechs Wochen auch gestorben. Doch ich lasse dir die freye Wahl, und rede dir zu nichts zu, um nachher keine Vorwürfe zu haben. Willst du so, mein Sohn?
O ja, Papa; Sie sind auch gar zu gütig. Lassen sie mich nur hier! Ich hoffe, daß es mir[34] recht wohl gefallen soll; denn so schön hätt' ich mir das Klosterleben gar nicht vorgestellt.
Nun kam der Thorwart des Klosters, und fragte, ob sie in das Conversatorium kommen wollten? die Paters waren alle schon da versammelt, und hatten ihre Vigilien schon gesungen. Sie besprachen sich über den jungen Siegwart, den sie gern bey sich im Kloster gehabt hätten, und redeten dem Pater Anton zu, weil er doch soviel über den Herrn Amtmann vermöge, daß er ihm ja recht anliegen sollte, seinen Sohn der Kirche und dem Kloster zu schenken!
Indem trat der Vater mit dem Sohn herein. Sie eilten dem ersten mit offnem Arm entgegen, und empfiengen ihn, einer nach dem andern. Dem jungen Siegwart drükten sie treuherzig die Hand, und nannten ihn ihren jungen Bruder. Das gefiel dem Jüngling. –
Morgen sollt er hier seyn! sagte der Guardian. Wir haben Festtag, da wirds ihm gefallen!
Ja, ich bleibe hier, rief der enzükte junge Siegwart, der Papa hats schon gesagt.
Gemach, mein Sohn, sprach der Vater; du must erst von den Ehrwürdigen Herren die Erlaubnis dazu haben.[35]
O recht gerne, sagte Pater Gregor, der dabey stand, und wandte sich zu den übrigen: der junge Herr möchte etwas bey uns bleiben. Sie erlaubens doch?
Warum nicht? riefen alle. Herr Amtmann, sagte einer, Sie müssen Ihren Sohn ja der Kirche schenken! Er hat recht einen göttlichen Beruf dazu. Wir sahens ihm schon gestern an, und sprachen noch heute viel davon. Er wird ihnen Freude, und dem Orden Ehre machen. Wir glaubten schon, Ihren Karl zu kriegen; aber Xaver taugt noch mehr dazu. Lassen Sie ihn so lange bey uns, als Sie wollen; Er soll gewiß gut aufgehoben seyn.
Das bin ich überzeugt, sprach der alte Siegwart; wenn Sie so erlauben wollen, so lasse ich ihn etliche Tage hier; er bat mich heut darum. Es scheint, daß er recht viele Lust zum Kloster hat, und wenn es Gottes Wille wäre, so bin ichs auch recht wohl zufrieden. Ich sollte auch einmal ins Kloster, und vielleicht wär' mirs besser gegangen, als so. Doch ich bin jetzt auch zufrieden. Wollen Sie erlauben, so schick ich heute statt des Kostgelds etwas Wein und Korn. In ein paar Tagen hol ich meinen Sohn dann wieder ab.[36]
Sie müssen aber heut doch erst bey uns zu Mittage essen, sagte Gregor, und das Kloster ein bischen besehen.
Er und Anton giengen nun mit den beyden Siegwarts auf die Bibliothek, wo sie Bücher mit den schönsten Kupfern sahen. Dann besahen sie die herrlichen mit Perlen und Gold gestickten Meßgewande, deren Anblick das Auge des jungen Siegwarts fast verblendete; die goldnen, mit Steinen besetzten Kelche; Silberne und vergoldete Bildnisse von Aposteln und Heiligen. In der Kirche schimmerten die goldbedeckten Altäre im Stral der Morgensonne. An den Wänden hiengen herrliche Gemälde von Heiligen, und Kapuzinern, die als Märtyrer gestorben sind. Besonders rührte ein Gemälde den jungen Siegwart bis zu Thränen. Viele Kapuziner hiengen todtblaß, aber doch mit einer innern Heiterkeit, und einem halbgebrochnen, mühsam zum Himmel empor gehobnen Auge, an Kreuzen. Ueber ihnen schwebten, in halberleuchteten Gewölken, Engel mit Siegerkronen, und Palmzweigen in der Rechten. Auf einer andern Seite wurden welche durch das Schwert hingerichtet. Verschiedne, mit Blut befleckte Rümpfe lagen schon vor ihnen.[37] Auf einem derselben kniete ein alter silberhaarichter Kapuziner, der eben hingerichtet werden sollte, mit dem Kruzifix in der Hand. Auf dem Vordergrunde wurden andre an einem Thurm vorbey geführt, aus dessen festvergitterten Oefnungen abgehärmte Gesichter heraussahen, die sich eben einen solchen Tod mit Sehnsucht zu wünschen schienen; besonders rührte unsern Siegwart das Gesicht eines Jünglings, der ihn mit Thränen anzusehen schien.
Das waren alle unsre Brüder, sagte Anton, die als Missionarien nach tausendfachen Leiden der Märtyrerkrone sind theilhaftig geworden. Wir werden sie einst alle wieder bey Gott antreffen, wenn wir, wie sie, willig Armuth, und, wenns seyn soll, auch Verfolgung tragen.
Mit diesen Worten sah er den jungen Siegwart an, der den ganzen Ausdruck dieses Blickes fühlte.
Nun kamen sie im Hof an ein kleines steinernes Häuschen, das ans Kloster angebaut war. Gregor machte das Thürchen auf, und ein Haufen Krücken und Stäbe lag da über einander gethürmt.[38]
Das sind Zeugen von den Kuren, sagte Gregor, welche mit Gottes Hülfe durch unser Gebeth, und die Kraft unsers wunderthätigen Marienbildes, das Sie in der Kirche gesehen haben, hier im Kloster verrichtet worden sind. Krüppel und Lahme kamen an ihren Krücken, und auf Wagen zu uns. Gesund und frisch konnten sie in ihre Häuser zurückgehen, und liessen zum Andenken ihrer Heilung ihre Krücken und Stäbe hier. So thun wir Gutes, was wir können, an Leib und Seele.
Der junge Siegwart betrachtete diese Stützen der Elenden, die sie nun nicht mehr bedurften, mit einer heiligen Ehrfurcht; und noch mehr die Väter, denen er in seiner frommen Einsalt solche Wunderkräfte zutraute. Er glaubte nun, er müsse ein Mönch werden, und brannte vor Begierde, es schon jetzt zu seyn. Seine ganze Seele war von einem Taumel ergriffen, der ihn nichts hören, und nichts sehen ließ, als nur das Kloster. Die ganze andre Welt war ihm nun verhast, und öde. Er betrachtete sie als den Wohnplatz abgeschiedner, bedaurenswürdiger Seelen; und hätte in diesem Augenblicke den gehast, der ihn wieder aus seinem erträumten Himmel hätte heraus[39] reissen wollen. So schnell werden lebhafte Seelen, die jedem Eindruck offen sind, oft durch Schattenbilder zu Entschlüssen hingerissen, die einen Einfluß auf ihr ganzes künftiges Glück oder Unglück haben. Möchten doch nicht Leute, die diese schwache Seite einer feurigen Seele kennen, sie so oft misbrauchen!
Noch verweilten sie sich eine Zeitlang in den Zellen der beyden Mönche. Alles gefiel hier unserm jungen Siegwart; das kleine Krucifix, das hölzerne Bette, und besonders der Todtenkopf, den Pater Anton auf seinem kleinen Tische stehen hatte.
Nun wars bald Essenszeit. Man speiste heute, um der beyden Fremden willen, in dem Gartensaal. Die Paters begegneten dem jungen Siegwart mit besondrer Achtung, um ihn immer noch mehr fürs Kloster einzunehmen. Gegeneinander zeigten sie eine ausserordentliche brüderliche Freundlichkeit; einer erzälte nach dem andern etwas Angenehmes aus dem Kloster; sprach verächtlich von der Welt und ihren Freuden; rühmte das Glück der Einsamkeit, und pries den Tag als den glücklichsten seines Lebens, an welchem er das Gelübde abgelegt hatte.[40]
Der alte Siegwart muste versprechen, wenn es, wie nicht zu zweifeln wäre, seinem Sohn serner im Kloster gefiele, ihn in kein anderes, als in das ihrige zu thun. In der Stadt könne Xaver bey den Piaristen, wohin sie ihn empfehlen wollten, in 3 oder 4 Jahren die Anfangswissenschaften lernen, und dann könne er gleich auf die Universität gehen.
Nach Tische gieng man noch ein paar Stunden im Garten spazieren, oder setzte sich ins Gebüsch, wo eine Menge Amseln, Nachtigallen und andre Vögel fast ganz zahm herumhüpften, und sangen, weil ihnen die Paters nie nichts zu Leide thaten.
Gegen Abend gieng der alte Siegwart nach Hause, nachdem er seinen Sohn den Mönchen noch einmal empfohlen hatte. P. Anton, P. Gregor und sein Sohn begleiteten ihn bis ans Wäldchen; wo sie zärtlich von einander Abschied nahmen.
Traurige und freudige Gedanken wechselten nun in seiner Seele mit einander ab. Er wünschte sehr, daß sein Sohn ein Mönch werden möchte, denn er war noch vom Aberglauben nicht ganz frey, und glaubte, ein gutes Werk zu thun,[41] wenn er seinen Sohn Gott, das heist, nach den angenommnen irrigen Begriffen, dem Kloster schenkte; aber er konnte sich doch auch des, nur zu richtigen Gedankens nicht entschlagen, daß sein Sohn nicht fürs Kloster gebohren, und daß sein jetziger Entschluß nur eine Art von Betäubung sey, die eben so bald wieder vorüber gehen könne.
Doch wenn der Aberglaube mit der Vernunft ringt, so siegt dieser mehrentheils, weil er immer sehr furchtsam und ängstlich macht. Der gleiche Traum von seiner Frau, den Siegwart mit seinem Sohn gehabt hatte, und den er für ein göttliches Werk hielt; das schon lang anhaltende Zureden seines Freundes Anton; das Dringen der Mönche, dem er nicht ausweichen konnte, und die eigne Neigung seines Sohnes, dessen freyer Wahl er alles überließ, beruhigten ihn wieder von der andern Seite, und befestigten ihn in dem Entschlusse, seinen Sohn der Welt absagen zu lassen. Er wird einst unter Antons Anführung ein frommer Mann werden, und mehr kann ich ihm nicht wünschen.
Auch der Gedanke gab seinem Entschluß noch einiges Gewicht, daß er dann mehr für das Wohl seiner seiner beyden andern Söhne und für die Versorgung seiner beyden Töchter thun könne, weil er auf[42] diese Art nicht soviel an seinen Xaver zu verwenden brauche.
Als er nach Hause kam, und den beyden Söhnen, davon der älteste ihm an die Seite gesetzt war, sein Verfahren bekannt machte, billigten sie dasselbe auch aus eigennützigen Absichten sehr, ob sie gleich die Religion zum Deckmantel nahmen, und viel von Verdienstlichkeit und guten Werken sprachen. Nur Therese, die älteste Tochter, billigte den Entschluß nicht, und bedaurte insgeheim ihren armen Bruder, ohne daß sies merken lassen durfte.
Der junge Siegwart gieng indessen zwischen seinen beyden Mönchen langsam wieder nach dem Kloster zu. Diese wetteiferten, ihm angenehme Dinge vorzusagen, und seinen Entschluß zu loben.
Der Abend strich ihm in der Gesellschaft der Kapuziner, die sich beym Abendessen fast allein mit ihm beschäftigten, und ihm das Klosterleben von der reizendsten Seite abzuschildern suchten, sehr angenehm hin. Sein Herz ward immer mehr gefesselt; wo er hin sah, erblickte er Ruhe, Zufriedenheit, und brüderliche Liebe; Bilder, die bisher immer nur in seiner Einbildungskraft geschwebt hatten, und die nun wirklich und lebendig vor[43] ihm da standen. Nach dem Abendessen gieng man wieder in den Garten. Heute hatte sich eine Nachtigall ganz nahe zu der Grotte gemacht, und sang da ihr göttliches Lied. Siegwarts Seele war ganz voll. Er drückte einigemal dem P. Anton mit einer innigen Bewegung die Hand.
Er besuchte noch mit ihm und Pater Gregor einen kranken Pater, der mehr vor Alter als vor Krankheit langsam dahin zu sterben schien, und der Rose glich, die an einem stillen Abend, wenn kein Lüftchen sich bewegt, die Blätter nach und nach verliert. Der Kranke athmete still, und sprach wenig. Neben ihm lag sein Gebetbuch, und der Rosenkranz. Dazwischen stand ein Krucifix. Einige Blumen welkten in einem irdenen Gefäß. Ein paar Arzneygläser standen dabey. In der Ecke der Zelle hing eine düstre Lampe, die ihr Licht nur schwach umher verbreitete. Anton und der andre Pater, die dem Kranken wachen solten, sprachen leise. Jede lautere Bewegung ward vermieden, und tiefe feyerliche Stille herrschte rings umher, wie es bey dem Sterbebette der Mutter Siegwarts gewesen war. Ihr Andenken wachte auch hell in seiner Seele auf, und sie erschien ihm noch einmal im Traum; lebhafter als die Nacht zuvor.[44]
Anton, der seine tiefe Traurigkeit wahrnahm, führte ihn ganz langsam an die Thüre, öfnete sie leise, und lispelte ihm in die Ohren: der gute Pater wirds nicht lange mehr machen. Komm er morgen früh, wenn er Lust hat, wieder zu mir in die Zelle; vielleicht hat mein Freund bis dahin überwunden.
Siegwart gieng nun mit traurigen Gedanken schlafen; um fünf Uhr wachte er auf, und sein erster Gedanke war an den kranken Pater. Die Sonne gieng neblicht auf; der halbe Himmel war blutrot, und warf einen blassen Wiederschein an die weisse Wand des Schlafgemachs. Er zog sich schnell an, und gieng an die Zelle. Er klopfte zweymal an die Thüre, ohne daß ihm geantwortet wurde; doch hörte er laut reden.
Als er aufmachte, hielt P. Anton dem Sterbenden den Kopf in die Höhe und nickte ihm mit Thränen in den Augen zu. Der andre Pater las aus einem Buche vor. Der Kranke war mehr gelb, wie blaß; Seine Augen standen unbeweglich, und man sah nur das Weisse davon. Er sammelte seine letzten Kräfte, und betete laut nach. So flammt die sterbende Lampe noch einmal hell auf, und verlischt. Die letzten Worte, die er[45] mehr herausstieß, als sprach, waren: Hilf, Herr Jesu! Nun zuckte er ein paarmal, und lag todt da.
Gottlob! hat wieder einer überwunden, sagte Pater Anton, ließ den Kopf des Todten sinken, und drückte ihm die Augenlieder zu. Er ist bey seinem Heiland Jesu Christo, und bey allen Heiligen. Du guter Pater, Martin, warst ein frommer Mann; mein Ende sey wie deines! Der andre Pater gieng hin, es dem Guardian anzuzeigen; Anton legte eine Decke über den Leichnam, gieng aus Fenster, und schwieg eine Zeitlang still.
Siegwart gieng hierauf mit schwerem Herzen, und allein im Garten auf und nieder; stellte sich die Züge des Sterbenden wieder vor, drückte sie in seinem Herzen tief ein, und folgte seiner Seele in Gedanken in den Himmel nach, sah den Jubel der Gerechten, die die Siegerinn empfiengen, und ihr Palmenzweige streuten. Seine ganze Seele war emporgehoben, und er wuste lange nicht, daß ihm helle Zähren aus den Augen rollten. Alle seine Wünsche waren auch ein solcher Tod; und der einzige Weg dahin schien ihm das Kloster. Er warf sich auf eine Rasenbank, verhüllte sein Gesicht in beyde Hände, und lag in einer Art von[46] Betäubung da, als der Schall von allen Glocken den Anbruch des Fests verkündete.
Er gieng in den Versammlungssaal, wo die Väter traurig bey einander standen, und sich vom Verstorbnen unterhielten. Alle lobten ihn einmüthig, und schickten ihm ihren Segen nach. Sein Begräbnis ward auf übermorgen angesetzt, und nun giengen die Paters Paar und Paar in die Kirche, die mit Blumen bestreut, und mit Meyen ausgeschmückt war. Mehr, als hundert Wachslichter wurden angesteckt. Dicke Weihrauchswolken stiegen auf, und umgaben die Paters und den jungen Siegwart. Es ward ein feyerlicher voller Choral angestimmt, der wie ein Meer daherbrauste. Der langsame, andachtsvolle Gesang und der begeisternde Weihrauchsduft trugen unsers Siegwarts Seele zu den Wolken. Er hatte tausend, sich durchkreuzende Empfindungen, ohne Eine davon deutlich zu fühlen. Es war ihm, als ob er zwischen Himmel und Erde schwebte, und zuweilen einen Blick durch die Wolken an den Thron des Höchsten thäte. Das Gesicht der Geistlichen schien ihm zu glänzen, und verklärt zu seyn. Er warf einen Blick auf das Gemälde, wo die Kapuziner hingerichtet wurden. Sie schienen ihm[47] zu leben, und ihn anzublicken. Er hielt sich schon für ein Mitglied des Ordens, und blickte in die Welt, wie in ein Grab zurück, von dem sich sein Geist dem Himmel zugeschwungen hatte. Der Guardian hielt das Hochamt; die Gemeinde kniete nieder, und ein heiliges Te Deum trug die Seele des Jünglings in noch tieferes Erstaunen und Entzücken über. Nach vollendetem Gottesdienst gieng er mit dem P. Anton in die Zelle des Verstorbenen, der schon in einem schlechten Sarge lag, um welchen brennende Wachskerzen standen. Nach einer kurzen Unterredung von den Tugenden des Todten, die in Siegwarts Seele eine brennende Nacheiferung erweckte, ward zum Essen geläutet.
Während der ganzen Mahlzeit herrschte eine fast ununterbrochene feyerliche Stille. Die Augen waren niedergeschlagen; zuweilen sah ein Pater den andern an, und kehrte schnell, wenn er bemerkt wurde, den Blick, in welchem Thränen schwammen, wieder weg. Wider Willen stieß der eine und der andre einen lauten Seufzer aus, der die Losung zu einer neuen allgemeinen Bestürzung gab. Inzwischen redete doch jeder mit dem jungen Siegwart, den das allgemeine Bedauren[48] des Verstorbenen, und die Liebe gegen ihn, wovon dieses ein Zeuge war, im Innersten rührte. Er gewann die Väter, die so vieler Freundschaft fähig waren, nur um desto mehr lieb, und wünschte sich, nur auch recht bald dieser Freundschaft wehrt zu werden. Es ward ihm nun schon als einem, der zum Orden gehörte, begegnet, und diese Art von Vertraulichkeit nahm ihn völlig ein.
Den Nachmittag brachte er gröstentheils in P. Antons Zelle zu, wo noch ein andrer Mönch hin kam, der ihm lauter abentheuerliche Wundergeschichten von Leuten aus seinem Orden erzälte, und ihm besonders das Leben des heil. Franciscus von Aßißi empfahl, das er ihm selbst, zum Durchlesen zu leihen versprach. Gegen Abend giengen sie im Garten spatzieren, wo die Mönche zerstreut und niedergeschlagen umher giengen. Sie kamen durch verschiedne Gänge unvermerkt an den Gottesacker, wo schon ein Grab aufgeworfen wurde. Der Abend war zu traurigen Betrachtungen gemacht, trüb und neblicht. Die Sonne gieng verhüllt unter, und schickte erst, eh sie ganz am Horizont hinabsank, noch einige blutrote Stralen auf das schweigende Gefild des Todes. Nach dem Abendessen[49] gieng Siegwart auf sein Zimmer, hatte halbtraurige und halbfreudige Gedanken, legte sich zu Bette, und beschäftigte sich die halbe Nacht durch im Traum mit dem Verstorbenen, den er mit allen Zügen und Bewegungen auf dem Sterbebette liegen und verscheiden sah. Zuweilen wachte er auf, und da deucht' es ihm, als ob Engel ihm zulispelten: Folge dem Gerechten nach! Gleich am Morgen kam Pater Ignatz, mit dem Leben des H. Franciscus, und einigen andern Legenden, deren immer eine fabelhafter war, als die andre, zu dem jungen Siegwart, und empfahl sie ihm nochmals mit tausend übertriebnen Lobserhebungen zum Durchlesen. Dieser hatte kaum zu lesen angefangen, so war seine ganze, leicht zu erhitzende Einbildungskraft in einer andern Welt. Seine Seele wurde mit dem Wunderthäter vertraut, schwärmte mit ihm in der Welt herum, hatte mit ihm Erscheinungen, und wuste sich kaum in die neuen überirrdischen Empfindungen zu finden. Er wünschte sich, auch Vermögen zu haben, um es so, wie sein Heiliger, den Armen auszutheilen; er wünschte, schon den Orden zu haben, um, gleich seinem Vorbilde, nach Cairo gehen, und den Türken das Evangelium predigen zu können. Er hielt schon in Gedanken Predigten,[50] deren Feuer und Beredsamkeit, wie er glaubte, Menschen und Thiere, deren sich sein Patron auch angenommen hatte, zur Ueberzeugung hinreissen müste. Er hofte, auch einmal des Eindrucks der Stigmatum wehrt zu werden, weil er eben das thun zu können hofte, was Franz in seinem heiligen Eifer gethan hatte. Nichts beschäftiget das Herz mehr, als Chimären und Entwürfe, die man in die Zukunft baut. Man steigt von Einem aufgethürmten Schloß aufs andere, und sieht mit Verachtung auf die übrigen Menschenkinder herab, die im Staube kriechen, und den ordentlichen Weg gehen. Alle Hindernisse schwinden weg; man sieht nichts vor sich, was im Wege stehen könnte; oder schreitet mit Riesenschritten drüber weg, und sieht mit Wolgefallen auf die zurückgelegte steile Bahn herab. Einem Schwärmer ist in seinem Sinne alles möglich; und kein Herz ist mehr zur Schwärmerey geneigt, als ein solches, das, bey einer lebhaften Einbildungskraft ein zartes moralisches Gefühl hat, und es mit den Menschen, seinen Brüdern, gut meynt. So giengs unserm jungen Siegwart; er sah lauter Hülfsbedürftige vor sich, sah schon ihre Thränen rinnen, hörte schon den Dank[51] von Lippen erschallen, die er Gott und Jesum hatte anrufen lernen.
P. Anton überraschte ihn in dieser heiligen Begeisterung, und schlug ihm vor, ihn auf den Nachmittag in ein paar nahgelegne Dörfer zu begleiten, um Allmosen einzusammeln. Siegwart nahm den Vorschlag mit Freuden an, und gieng, nachdem er erst seine Bücher sorgfältig aufgehoben, und eins davon zu sich gesteckt hatte, mit dem P. Anton in den Speisesaal, erzählte da dem P. Ignatz seine Freude über die geliehnen Bücher, und unterhielt sich mit den andern Vätern während dem Essen von den Wundern des H. Franciscus. Alle lobten seine Liebe zu ihrem Stifter, und prophezeyten ihm ein glückliches und heiliges Leben. Man gab ihm einige Bilder vom H. Franz und andern Heiligen, die er den Bauerknaben und Mädchen austheilen könnte. Ein Bild vom H. Franciscus behielt er selbst, um es in seinem Zimmer anzukleben, und sich täglich an seinem Anschauen zu belustigen und zu erbauen.
Nun gieng er mit P. Anton auf ein, anderthalb Stunden weit vom Kloster entferntes Dorf. Sie konnten auf dem Wege wenig miteinander sprechen, weil die Leute, die im Feld und auf den Wiesen[52] arbeiteten, Hauffenweis herbeygesprungen kamen, und den Pater, den sie alle liebten, um den Seegen baten. Jeder blieb mit seiner Harke, oder was er sonst in der Hand hatte, stehen, oder sprang herbey, und grüßte den Ehrwürdigen Vater mit der grösten schwäbischen Treuherzigkeit. Andre baten ihn, in ihrem Hause einzukehren, und sprangen voraus, um mit allem Vorrath aufzuwarten, den sie hatten. Sie grüßten alle auch den jungen Siegwart, den sie kannten, weil er aus der Nachbarschaft war, und sahen sich vergnügt und einander zulächelnd an, daß ihm P. Anton so freundlich begegnete, wie ein Vater seinem Sohn. Dieser machte ihm die Freude, und ließ ihn die Gemälde von Heiligen unter die Bauerkinder austheilen, die ihn darum baten. Er fühlte das innerste Vergnügen drüber, wie die Kinder sich verneigten, das Geschenk ansahen, und dann mit froher Eile ihren Eltern zuflogen und sie sehen liessen, was der Ehrwürdige Pater, und der junge Herr ihnen schönes geschenkt habe.
Während daß die Dorfglocke zum Allmosengeben geläutet wurde, sprang eine Bäurinn mit zerrissnen Haaren und verweinten Augen aus der Hütte heraus, um dem Pater ihre Noch vorzutragen.[53] Ihr Mann hatte sie geschlagen, und nun sollte Anton der Friedensrichter werden. Er gieng mit ihr und dem jungen Siegwart in die Hütte, wo der Bauer noch ganz wild in der Stube stand, und sich das Blut aus dem Gesicht wischte, das ihm seine Frau, um sich zu vertheidigen, zerritzt hatte. Hinter dem Ofen stand ein kleiner Knabe weinend, und zitterte, weil er seinen Vater so in Wuth sah. Die Tochter, ein unschuldiges Mädchen von 16 Jahren, weinte auch in ihre Schürze, weil der Vater sie geschlagen hatte, als sie ihrer Mutter hatte zu Hülfe kommen wollen. Der Bauer ward vor Schrecken schneeweiß, als er den Pater mit der Mine des Friedens und der Ruhe hereintreten sah. Er nahm die Mütze ab, fieng an einen guten Abend zu stottern, um seine Verwirrung zu verbergen, und ward dadurch nur noch verwirrter.
Ey, Ey! was muß ich sehen? fieng Anton endlich an; Was ist das, Michel, daß ihr so zerstreut und blutrünstig ausseht? Es scheint, da hats Händel gegeben; das ist doch nicht schön, Michel, eure Frau so unchristlich zu schlagen, wie sie mir erzält hat. – Ja, sie hat mirs auch darnach gemacht, fiel der Bauer ein; wenn Sie wüsten,[54] Ihro Wohlehrwürd – So? Hast du nicht selbst angefangen, du? rief das Weib, und trat aus dem Winkel hervor.
Eins nach dem andern, lieben Kinder! sagte Anton, setzte sich auf eine Bank und winkte dem jungen Siegwart, es auch zu thun – Eins nach dem andern! Sonst kann ich nicht draus klug werden, wer Recht oder Unrecht hat? Ihr seyd noch zu hitzig, Michel! laßt euer Weib erzälen, wie der Handel angieng?
Die Frau. Ja, Ihr Wohlehrwürd, sehn Sie nur, da stund ich da draussen vor der Thür, und nahm meiner Kinder Wäsche vom Seil' herab; kommt da ein armer Söldner vom nächsten Lutherschen Dorf her, der schon drey Jahr mit der Schwindsucht zu thun hat, und keinen Menschen, der sich seiner annimmt, weil er arm ist, und ein Fremder, aus dem Salzburgerland, da von den Vertriebenen, wie Sie werden g'hört haben – Der kömmt, an zwey Stöcken, daß er kaum aus der Stelle kommen kann, sieht aus, wie der bittre Tod, der leibhafte Hunger gukt' ihm aus den Augen, und bittet mich um Gottes und um Jesus willen um ein Stücklein Brod, und einen halben Scherben saure Milch, weil er noch den[55] ganzen Tag nichts gessen hab, und so kraftlos sey. Es war ein Jammer anzusehen, wie er kläglich that, und zitterte. Ich, ohne lang mich zu bestimmen, lauf ins Haus, will ihm einen Scherben süsse Milch, und ein gut Stück Brod dazu holen; denn ich denk halt immer, was man den Armen gibt, das gibt man Gott, und unter den Lutheranern gibts doch auch Arme, und sind auch Menschen, wie unser eins. – Mein Mann kommt wie wüthig hergelaufen, sagt, was will der Ketzer draussen? Mach, daß er sich fort schiert! – Je, Mann, sagt ich, sey doch nicht so arg! Ich wollt ihm nur ein Stücklein Brod geben. Siehst nicht, wie er aussieht? – So! das wär schön, hub er an; willst noch gar den Ketzern geben, den verfluchten Hunden! Sapperment! Du bist mir ein rechtes Weib! Beym Teufel! Man sollt dich aus dem Haus schmeissen. Wirst wol gar noch Lutherisch werden wollen; hast doch immer so Geschmeiß gnug an dir. Komm mir nur, und gib ihm was! Theilst doch immer gnug unter die Halunken unsers Glaubens aus. Und da fieng er an zu fluchen, daß es schröcklich war.[56]
Ich ward denn auch hitzig, wie's so geht, Ihr Wohlehrwürd! und geb ihm brav heraus, und sag, daß ein Ketzer auch ein Mensch sey, und auch einen Gott hab, wie wir, und einen Seeligmacher, Jesus Christus; und lang nach dem Brodmesser, und will ein Stück Brod abschneiden; da kommt er auf mich zu, nimmt mich bey der Gurgel, schmeist mir's Messer aus der Hand, und schlägt mich ins Gesicht, und wo's hingeht. Er hätt mich schier erwürgt, wär mein Mädel nicht dazwischen kommen, und da fällt er über die her, schlägt sie braun und blau, daß ich nur gnug abzuwehren hatte. Und da sprang ich endlich aus dem Haus und traf zu allem Glück Ew. Wohlehrwürden an, sonst hätt er mich gewiß umgebracht. Es ist ein Elend, bey so einem Mann zu leben; und nun fieng sie an, bitterlich zu weinen.
P. Anton. Ist das wahr, Michel, ist der Handel so angegangen?
Michel. Ja, Ihr Wohlerwürd, nun will ich sehn wer recht hat! Hab ich nicht christlich gehandelt? Müssen Sie's nicht selber sagen?
P. Anton. Christlich, Michel? Ey, Ey! Das wär schlimm, wenn das christlich wäre! Wer[57] hat euch so was gelehet? Hört mir einmal ruhig zu, wenn ihr könnt! – Seht! daß die Ketzer Menschen sind, wie ihr, und unser eins, könnt ihr ja schon daraus sehen: wenn einer davon zum katholischen Glauben üvertrit, so wird er ja nicht verwandelt; er bleibt, was er vorher war; hat Augen, Ohren, Nasen, wie wir, ißt und trinkt, wie wir, und wird um kein Haar anders. Und daß man alle, die wie wir Menschen sind, und Fleisch und Blut, wie wir haben, lieben müsse, werdet ihr doch glauben; es steht hundertmal in der Bibel geschrieben. Warum sollten wirs auch nicht thun? Sind wir doch alle von Einem Vater, Adam. Und, nicht wahr? Leute, die Einerley Vater haben, heissen Brüder oder Schwestern, und die müssen doch einander lieben?
Michel. Das ist wahr, Herr! Aber –
P. Anton. Nun, ihr meynt wohl, die Ketzer könn unser Herr Gott nicht lieb haben; aber denkt nur einmal nach! Scheint die liebe Sonn etwa nur in katholische Dörfer, oder nicht auch in die lutherischen? Haben wir allein Wasser, und Brod? oder haben's eure lutherische Nachbarn nicht auch? Regnet's nur bey uns, wenns nöthig ist, oder auch bey den Lutheranern? Ihr dürft ja nur eure[58] Aecker und Wiesen ansehen, sie stossen oft an die luthrische. Bey ihnen gedeyht das Korn und das Gras so gut, wie bey uns, und wenn ein Wetterschaden kommt, so trift er eure Felder so gut, wie die ihrigen; das ist alles eins. Meynt ihr denn, Gott würde Menschen erhalten, wenn er sie nicht lieb hätte? Oder wollt ihr sie verhungern lassen, oder todtschlagen? Wollt ihrs besser machen, wie Er? In der Bibel steht kein Wort davon, daß man seinem Nebenmenschen, wenn er auch ein Ketzer ist, so hart und unmenschlich begegnen soll. Ich will euch gleich eine Geschichte erzälen; unser Seeligmacher hat sie selbst erzält, und ihr werdet draus sehen, daß ein Ketzer auch ein guter Mensch seyn kann, an dem Gott Wohlgefallen hat; und an wem er Wohlgefallen hat, den macht Er selig, wenn er auch ein Ketzer ist.
Die Geschichte lautet so: Ein Rechtgläubiger wollte eine Reise machen, und da fiel er unter Spitzbuben, die ihn halb todt schlugen, und so liegen liessen. Da reiste ein Priester vorbey, das war ein Rechtglaubiger, der sah ihn, und ließ ihn ohne alle Barmherzigkeit liegen. Drauf kam ein Levit, das war auch ein Rechtglaubiger, der ließ ihn auch in seinem Elend da liegen. Nun gebt[59] Acht! Was geschieht? Ein Ketzer, ein Samariter reist von ungefähr vorbey, sieht den halbtodten Menschen, der nicht seines Glaubens, und, seiner Meynung nach, ein Ketzer ist, liegen; sieht ihn mitleidig an, geht zu ihm hin, verbindet ihm seine Wunden, legt ein Pflaster drauf, und bringt ihn auf seinem Maulesel in ein Wirthshaus, wartet ihn da selber, und trägt dem Wirth auf, als er weiter reisen muß, er soll für den Kranken sorgen, und bezalt von seinem eignen Geld dem Wirth auf einige Tage voraus, daß ihm ja nichts abgehen soll. Ist das nicht schön? Und das hat ein Ketzer gethan, und den Ketzer lobt Christus, und sagt, daß mans ihm nachmachen soll.
Meynt ihr nicht, Michel, daß unter euren Nachbarn, die ihr so verketzert, auch solche gute Leute sind? Ich wenigstens wüste nicht, daß sie euch was zu leid thäten; vielmehr halten sie gute Nachbarschaft, und thun euch alles Guts; würden euch auch wol ein Krümchen Brod und etwas Milch geben, wenn ihr so, wie der arme Mann, weßwegen ihr eure Frau so geschlagen habt, vor ihre Thür kämet und betteltet. Pfuy, das ist nicht fein, so mit Menschen umzugehen![60]
Hier fieng Michel an zu weinen. Und wißt ihr denn nicht, daß es heist: Christus der Herr ist für alle gestorben? für die christkatholische, wie für die Ketzer. Ihr dürft deswegen nicht lutherisch werden; da behüt mich Gott davor, euch so was zu rathen. Es ist immer besser, den geraden Weg gegangen, als den krummen. Aber friedlich und nachbarlich sollt ihr leben; und ich wollt, wir hätten all Einen Glauben!
Und was seyd ihr denn für ein Mann, Michel? Da ists euch nicht genug mit den Ketzern so unmenschlich umzugehn; da muß noch eure arme Frau dran, die besser und christlicher denkt, als ihr. Da entsteht Unfried im Haus drüber; Eure Kinder schlagt ihr auch, und gebt ein böses Exempel. Aber ich weiß wol, wo der Schaden liegt; ihr seyd geitzig, hängt am Zeitlichen, und meynt, ihr müßt alles allein zusammen scharren, damit's sein einen grossen Hausen gebe. Das sind mir die rechten Christen! Ich habs vorhin wol gemerkt, ihr werft ihr vor, sie geb den Armen viel. Sie thut recht dran, und Gott wird ihrs einst im Himmel noch vergelten, wo ihr nicht hin kommt, wenn ihrs so macht. Ihr seyd ein schlechter,[61] unchristlicher Mann, der kein menschlich Herz im Leibe hat!
Hat ...del Thuts euch leid? Wacht euch das Gewissen auf? Weint ihr? Seht, Michel! Gott weih! ich meyns herzlich gut mit euch. Es ist mir nur um eure Seeligkeit zu thun.
Michel (weinend) Ja das weiß ich wohl, Ihr Wohlehrwürden, und es thut mir herzlich leid. Ich habs nicht so überlegt; bin eben ein hitziger Mann; und der vorige Herr Pfarr ...
P. Anton. Ich weiß wol, was ihr sagen wollt. Euer voriger Pfarr, Gott geb ihms ewige Leben! Ich hab oft mit ihm drüber gesprochen. Der wollt auch so über die Ketzer her. Aber euer jetziger, der wirds euch ganz anders sagen, fragt ihn nur!
Michel. Ach, Ihr Wohlerwürd, wenn ichs nur nicht gethan hätt! nun geht mirs erst recht nah.
P. Anton. Nun, nun. Es ist mir lieb, daß auch noch ein guter Funken in euch ist! Reu und Leid über seine Sünden ist der Anfang zur Besserung. Und dann wird euch Gott um Christi willen auch gnädig seyn, wenn ihrs nur von Herzen meynt. Da, geht hin, gebt eurer[62] Frau die Hand, und bittet sie um Verzeihung! (Indem stand P. Anton und Siegwart auf; die Frau trat näher und weinte. Siegwart, und das Mädchen schluchzten, und der kleine Knabe weinte auch mit.) Nun, in Gottes Namen gebt einander die Hände! – Michel, es ist euch doch Ernst?
Michel. Ja warlich, recht von Herzen Ernst, Ihr Wohlehrwürd. – Verzeih mir nur, liebes Weib, was ich dir hab zu leid gethan! Es soll gewiß nicht wieder geschehen. Verzeih mir du auch, Cathrine! Der liebe Gott mag mirs auch verzeihen, daß ich bisher so ein Mensch war, und mit den Luthrischen so umgiengt – Nicht wahr, liebes Weib, du vergibst mir, wenn mirs leid ist? Sollst künftig einen ganz andern Mann an mir haben. Ich will dir so fromm seyn, als ein Lamm. Kannst den Armen meinetwegen geben, so viel du willst ...
Die Frau konnte vor Weinen nicht sprechen, und fiel ihrem Mann schluchzend um den Hals. Es war ein Anblick, da sich Heilige und Engel drüber freuten. P. Anton sah beym Fenster hinaus, und wischte sich die Augen. Siegwart suchte seine Thränen mit dem Schnupftuch[63] zu verbergen. Dieser Auftritt machte auf sein ganzes Leben einen tiefen Eindruck in sein Herz. Es hatte ihm immer in der Seele weh gethan, wenn er den Lutheranern und den Juden ärger als dem Vieh begegnen sah. Er dachte immer, ob denn Gott so abscheuliche Menschen auf der Welt dulden könne, die man so verachten müsse? Und nun hatte er den P. Anton noch gedoppelt lieb, weil er so seine Meynung hatte, die er nie an Tag zu legen wagen durfte. Der Bauer war nun so liebreich und freundlich, wollte alles auftragen, was er hatte, um dem Pater nur recht seine herzliche Dankbarkeit zu bezeugen. Seiner Frau, und den Lutheranern begegnete er von dem Augenblick an, und sein ganzes Leben durch, mit wahrer ehelicher Zärtlichkeit, und ungeheuchelter christlicher Liebe. Wenn er hitzig werden wollte, fiel ihm dieser Tag, und das ungelehrte aber treuherzige, und eben darum tief eindringende Zureden des P. Anton ein, und da war wieder Fried und Menschenliebe in seiner Seele. Er schafte sich heimlich eine Bibel an, und las am Sonntag, oder an den langen Winterabenden darinn, und da fand er, daß Gott keiner Religionsparthey befohlen habe, die Ketzer zu hassen, oder zu verfolgen; vielmehr daß das[64] erste und wichtigste Gebot: Liebe gegen Gott und gegen Alle Menschen sey. Seine Frau sah sich, wie in einem neuen Leben; sie glaubte, das Paradies sey wieder aufgeschlossen worden, und schloß täglich mit Thränen in ihr Gebeth den rechtschaffenen Pater Anton ein, der sie seit diesem Tage allemal besuchte, wenn er in ihr Dorf kam.
Voritzt wollten sie ihn mit Gewalt noch länger bey sich behalten, und ihm Kuchen und Wein vorsetzen; aber er verbats, denn sein Herz war belohnt genug. Laßt mich jetzt weiter, lieben Leute, sagte er; ich muß noch zum Klosterbauren; Er hat mir schon ein paarmal sagen lassen, ich möchte doch ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf wäre; Er hätte mir gar was wichtiges zu sagen; ich weiß nicht, was es seyn mag? Ich wollte doch noch ins nächste Dorf; aber das wird für heute wol zu spät seyn. Nun, ein andermal! Lebt wohl, Michel, und haltet, was ihr mir versprochen habt! Und ihr, Anna, bleibt bey euren guten Gesinnungen! so wirds euch wohl gehn.
Er gieng, von den ausgesöhnten Eheleuten noch eine Strecke weit begleitet, mit Siegwart zu dem Klosterbauren.[65]
Als er von hintenzu durch den Garten nach dem Hause gieng, sah er in der Ecke des Gartens den Sohn vom Hause traurig da stehn, und am Zaun was ausbessern. Der junge Mensch nahm den Hut freundlich ab, und sah dem Pater lange schwermüthig nach. Dies bemerkte der junge Siegwart, und hatte Mitleid mit ihm. Sie traten ins Haus, und trafen den Bauren an, der eben aufs Feld hinaus gehen wollte. Hastig lehnte er die Harke an die Wand, nahm den Hut ab, und rief: O Herr Pater, seyn Sie mir tausendmal willkommen! Ich hab schon so gar lang auf Sie gewartet, wollt was wichtiges mit Ihnen reden. Sieh, das ist ja des Herrn Amtmanns Sohn; willkomm, junger Herr! Wo bringen Sie denn den her, Ihr Wohlehrwürd? Vom Kloster, sagte Anton, er ist bey uns, und will auch ein Geistlicher werden. Ey, Ey, sprach der Bauer, das ist schön! Ja, ja, der Herr Amtmann hat halt Mehr Kinder, da muß er schon sehen, wie ers unterbringt. Treten Sie doch in die Stub, Ihr Wohlehrwürd! Hier aussen siehts aus, wie in Kaiser Karls Rüstkammer. Ich will gleich wieder bey der Hand seyn; Gehen Sie nur zu![66]
Indem sprang er weg, ließ Wein und Bier und Wecken holen, und kam selbst mit einem Teller voll Fleisch ins Zimmer. Da, ihr Wohlehrwürd, es ist noch frisch; lassen Sie sichs brav belieben; und Er auch, junger Herr! Anton und Siegwart verbatens; Man setzte sich um den Tisch herum, und nun fieng Franz an:
Franz. Was ich Ihnen sagen wollt, Ihr Wohlehrwürd und worüber ich lang gern mit Ihnen gesprochen hätt, ist halt für mich eine traurige Sach, die mir schon viel Herzeleid gemacht hat. Da hab ich einen ungerathnen Sohn; es ist noch darzu mein einzig Kind; Sie werden ihn wol gesehen haben; Er steht da im Garten draussen; der will mir übern Kopf wachsen, will klüger seyn, als ich und seine Mutter, die ihm nur zu viel nachsieht, und hat sich schon seit Jahr und Tag, ohne daß wir das geringste davon wußten, an ein Mädel hier im Dorf gehängt, und das Mädel hat nichts, ist des Jörg Silbers Tochter, und ich hab ihm längst schon in Gedanken etwas besseres ausersehen. Wie ich nun vor 3 Wochen so von ungefähr dahinter komme, daß er das Mädel karessirt, und alle Nacht, wenn wir zu Bett sind, noch mit ihr im Mondschein herumspatziert, oder auf dem Kirchhof[67] mit ihr sitzt; da laß ich ihn am Morgen drauf in meine Kammer kommen, damit's die Dienstbothen nicht hören; die Mutter war auch dabey, und halt' ihm seinen Unfug recht ernstlich vor; sag ihm, was er für ein Kerl sey; er hab einst von mir den Hof zu gewarten, und schöne Feldgüter, so und so viel Jauchert Acker, Wiesen, Küh und Gäul, und ein schön Stück baares Geld und so fort an; und häng sich da, wider seiner Eltern Wissen und Willen an ein Mädel, das nichts hab, als sechs oder siebenhundert Gulden und ein glatt Gesicht; was es uns für Herzeleid mache, so was von ihm zu hören; wir hielten doch so viel auf ihn, scharrten alles für ihn zusammen, und was ich sonst so mehr sagte. Da sang ich denn an, wacker drauf zu schmälen, und das End vom Liede war, er soll sich ja nicht mehr gelüsten lassen, mit dem Mädel nur ein Wort zu sprechen, oder sie den Abend hinter's Haus zu bestellen; es werd nichts gutes draus; er werd mich und seine arme Mutter ins Grab bringen, wenn er so fort mach; aber vorher werden wir ihn von Haus und Hof jagen, ihn enterben, und ihm statt des Segens auf dem Todbett unsern Fluch geben. Sakerlot, Ehrwürdiger Herr! da fängt der Jung an zu greinen: sagt, er könn[68] das Mädel nicht lassen, woll mit ihr leben und sterben; es könn ihr kein Mensch im Dorf etwas böses nachsagen, sie hab immer brav gethan, und er hab ihr im Namen der heiligen Jungfrau, und aller Heiligen im Himmel am Osterabend zugeschworen, sie zum Weib zu nehmen, und den Tag drauf hab er auch das heilige Nachtmahl drauf genommen. Und nun sey sie sein, und müsse sein bleiben! – Ich wuste bey Gott nicht, was ich vor Zorn sagen sollte. Die Mutter wollte sich durch sein Greinen schon herum bringen lassen, ich stieß sie aber bey der Thür hinaus, und sagt ihm noch einmal, er wisse meine Meynung nun, und könne sich darnach richten. Wenn ich wieder was erfahre, woll ich ihn ins Loch stecken lassen, und da könn er sitzen bleiben, bis mein Schimmel schwarz werde. Er sagt', es sey schon recht, und gieng trotzig weg. Etlich Tage gieng er nun herum, wie vor den Kopf geschlagen, aß und trank und sprach nichts, gab kaum Antwort, wenn man ihn um etwas fragte, und Abends, sagten meine Leute, lieg er immer unterm Kammerfenster, kratz die Wand mit den Nägeln heraus, spreche was für sich oder pfeif, und dann wisch er sich wieder das Gesicht, als ob er weinte.[69]
Holla, dacht ich, das ist schon gut; die jungen Leutlein sind immer so, wenn ihnen etwas durch den Sinn fährt. Weh muß es ihm freylich thun, denn im Grunde hab ich nichts gegen das Mädchen, 's ist ein brav schön Ding, nur daß sie nicht reich ist. Kommt Zeit, kommt Rath! Nach und nach wirds schon besser, und das Greinen wird ihm schon entleiben. Wenn ich ihm nur erst von des Wirths Susanna sage, denn die hab ich – hier in der Stube g'redt – im Sinn. Ich war also ganz ruhig, that aber freundlich gegen ihn, denn ich sah, daß er mager wurde, weil er Nachts gar nicht schlief.
Ich denk, es ist alles gut; er ward wieder muntrer, that seine Arbeit, und guckte Abends nicht mehr aus der Kammer, bis vor acht Tagen der Teufel – verzeih mirs Gott! – wieder los geht. Ich lieg Abends schon im Bett – es war halb zehn Uhr – da fangen die Gäul an, im Stall zu schlagen; ich ruf meinem Sixt, weil der Knecht über Feld war; aber da war kein Sixt. Ich stund auf, gieng selber in den Stall, band den Schimmel an, der sich losgerissen hatte, und visitirte drauf in meines Sohns Bett; Sieh, da war der Vogel ausgeflogen. Ich frug mein Weib,[70] ob sie nichts von ihm wisse; sie sagte nein, bat mich aber ruhig zu seyn, er werd wol bald wieder kommen, und nur mit den andern Baurenkerls im Wirthshaus seyn. Das Ding war mir aber verdächtig, ich zieh also meine Jacke an, und geh nach dem Wirtshaus; da war schon kein Licht mehr. Halt, dacht ich, der wird dem Mädel wieder nachgeschlichen seyn; und, indem ich's so denke, seh ich von weitem bey des Schmieds Haus was weißes gehen; ich drauf zu; und da wars mein feiner Sohn mit der Dirn am Arm. Tausend Sapperment, wie mir da zu Muth wurde! Das Mädel lief davon, und Sixt kam auf mich zu, als ob nichts geschehen wäre. Hol dich dieser und jener! sagt ich; heist das auch dem Vater gehorchen, wie ichs haben will? Gelt, hast geglaubt, ich schlafe, und da stiehlst du dich hinterrüks vom Haus weg? du nichtsnutziger, ungerathner Sohn! Ich hab dirs so verboten, mit dem Mädel nichts mehr zu thun zu haben, und du thust mirs doch! Komm nur heim, da will ich dir was anders sagen! Er wollte sich noch verantworten, es sey ihm nicht möglich gewesen, seine Regina zu verlassen; er habs thun wollen, da sey ihm aber immer sein Eid wieder eingefallen; er hab Tag und Nacht keine Ruh gehabt;[71] das Mädel hätte sich zu Tod gegrämt, sey schon ganz abgezehrt, und hab ihm sagen lassen: Er soll ihr nur bald mit der Leiche gehn; sie habe schon die Todtenuhr schlagen, und die Sterbeglocken läuten hören. Und da sey er eben in Gottes Namen wieder hingegangen. – – Ins Teufels Namen, sagt ich, du verdammter Kerl! Komm nur! Morgen sollst's schon hören. Heut will ich meine Nachbarn nicht mehr aufwecken um so eines Bubens willen. Ich gieng, fluchte so vor mich hin, und der Kerl hinterdrein; er war mäuschenstill, nur zuweilen schluchzte er, als ob er die Seel' aus dem Leib heraus weinen wollte. Die ganze Nacht über konnt ich kein Auge zuthun. Mein Weib wollt ihm noch die Stange halten, und da sah ich wohl, daß sies mit ihm hielte; das brachte mir noch mehr Herzeleid. Gleich am Morgen ließ ich ihn herauskommen; stellt' ihm Himmel und Hölle vor; sagt' ihm, was da zuletzt herauskommen wolle? daß ichs schlechterdings nie zugeben werde. Wenn du sie nicht lassen willst, sagt' ich endlich, so kannst du dich packen, wo du hin willst. – Ja das will ich thun, gab er mir zur Antwort; denn, weiß Gott! ich kann das Mädel nicht sitzen lassen, Ihr mögt mit mir anfangen, was Ihr wollt; es ist im ganzen Dorf keine Dirne wie sie, so[72] arbeitsam und fromm und redlich, und das muß ihr auch ihr ärgster Feind nachsagen. Was habt Ihr denn gegen Sie? Daß sie nicht so viel hat, wie ich? Nun sie hat doch genug. Arm ist sie auch nicht; und dann hat sie ein redlich christlich Gemüth, und würde für mich leben und sterben. Das ist mehr, als Geld und Gut. Gesunde starke Händ haben wir auch, und sind das Arbeiten von Jugend auf gewohnt, und dann läst Gott keinen Vogel Hungers sterben, geschweige denn einen Menschen, der sich redlich durch die Welt bringt. Ich habs Euch gesagt, Vater, ich kann und darf sie nicht lassen, denn ich hab ihrs zugeschworen; und wenn ihrs nicht anders wollt, so werd ich Soldat, da kann ich sie heyrathen heut und morgen, und behalt ein gutes Gewissen, und krieg ein bravs Weib; nun bedenkt, was Ihr thun wollt?
Sehen Sie, Ihr Wohlehrwürd, so hat er gesagt, und dann gieng er weg. Ich stand da, wie vom Wetter getroffen; seine Reden vom Soldatenwerden giengen mir stark im Kopf herum. Es ist mein einziger Sohn, und er ist mir lieb, weil er sonst immer brav war, und mir nie nichts zu Leid gethan hat. Es soll jetzt wieder Krieg werden; wenn ihm eine Kugel vor den Kopf geschossen[73] würde! – Und Kourage hat er auch: Er hat seitdem schon ein paarmal mit den Werbern hier im Dorf gesprochen. Da bin ich nun voller Aengsten. Mein Weib liegt mir immer in den Ohren, sagt, ich sey ein harter Mann, und habs zu verantworten, wenn ich sie um ihren Sohn bring. Ich sagt' endlich, ich will mit dem Herrn Pater Anton sprechen, was Er davon hält? Ob er unsern Sixt nicht auf bessre Gedanken bringen kann? Ich hab zu Ihnen ein groß Zutrauen, Ihr Wohlehrwürd. Der neue Herr Pfarr ist erst angekommen, den kenn ich noch nicht so. Da wollt ich Sie denn bitten, was Sie darzu sagen? ob Sie meinem Sohn nicht zureden wollen?
P. Anton. Wenn ich die Wahrheit sagen soll, Franz, so seyd ihr mir ein wunderlicher eigensinniger Mann. Ihr habt einen einzigen Sohn, und ein groß Vermögen. Ihr sagt, daß ihr ihn lieb habt; wenn das ist, so muß euch auch sein Glück lieb seyn. Nun seht ihr wohl, daß der junge Mensch anders nicht vergnügt leben kann, als wenn er seine Regine zum Weib bekommt. Es muß ihm Ernst mit seiner Liebe seyn, weil ers so drauf ankommen läst, daß er lieber euer Haus meiden, und sein Vermögen verlieren will, als das Mädchen lassen.[74] Junge Leute kommen freylich oft so aneinander, sie wissen selbst nicht, wie? und wären dann froh, wenn sie sich bald wieder los werden könnten. So aber ists, wie mir deucht, bey eurem Sohn nicht, da ers schon über ein Jahr treibt, und noch immer am Mädchen hängt. Er ist ein braver Mensch, und sie auch, wie ihr selber sagt. Glaubt mir, Franz, in dergleichen Sachen läßt sich nicht viel spielen. Euer Sohn könnt sich das zu Gemüthe ziehen, und ich habe schon viel Schwermüthige gekannt, die's aus Liebe geworden sind; solchen Leuten ist dann schwerlich mehr zu helfen, auch wenn man ihnen hinterdrein das Mädchen geben wollte. Warum wollt ihrs denn nicht thun? Gesteht mirs nur, daß sich viel Eigensinn und Geiz mit einmischt! Beydes sind gar grobe Laster. Wer sein ganzes Glück auf Geld und Gut setzt, der vergißt zuletzt seine Seele drüber. Ihr habt ein schön Vermögen, mehr als ihr braucht, wenn ihr auch hundert Jahr alt werdet. Sie hat auch ihre 6 bis 700 Gulden. Wenn die Leutchen nun zusammen kommen und fleißig arbeiten, so kanns ihnen nicht wol fehlen. Sie werden zusammen leben wie die Engel, still und friedlich; werden euch ihr Lebelang ihr Glück verdanken, und euch Freude machen.[75] Was hilfts, wenn euer Sohn ein reicheres Weib nimmt, das er nicht lieb haben kann? Ich hab solche Ehen schon gesehen; da leben sie zusammen, wie die Hunde und die Katzen; wenn das eine dahinaus will, will das andre dort hinaus. Da gibts ewigen Unfried, Zank und Schläge und eines wird des andern Teufel. Wollt ihr euren Sohn glücklich sehen, und ihm eine solche Hölle zubereiten? Einigkeit ist das erste Glück der Ehe, und erhält ein Haus allein aufrecht. Ich will mit eurem Sohn reden, Franz, aber ich versprech euch nicht, daß ich viel ausrichten werde. Wenn ihr wollt, so laßt ihn hereinkommen! Aber, wenn mein Zureden nichts über ihn vermag, dann müßt ihr mir versprechen, daß ihr nachgeben wollt. Sonst mag ich mit der ganzen Sache nichts zu thun haben. Durch mein Zuthun soll kein Mensch auf Erden unglücklich werden, weder ihr, noch euer Sohn. Uberlegts wohl!
Franz. Ja ich will mich in Gottes Namen drein schicken, Herr! Ich sag immer, was der P. Anton will, das will ich auch. Er versteht die Sache besser, als unser eins. – Anne! (zu der Magd, die eben Bier und Wein brachte). Sag dem Sixt, er soll hereinkommen; der Herr Pater[76] woll was mit ihm sprechen! – Sie wissen einem das Herz im Leib so weich zu machen, Ihr Wohlehrwürd! Es ist mir schon ganz anders zu Muthe, und schier kommt mirs vor, als ob ich bisher Unrecht gehabt hätte. Ja, ja, wie Gott, und der Herr Pater will, pfleg ich so zu sagen. Da kommt er schon! – Sixt, der Wohlehrwürdige Herr will dich etwas fragen. Komm nur näher her! Darfst dich nicht fürchten.
P. Anton. Sixt, ich hab gehört, ihr habt ein Mädel hier im Dorfe?
Sixt. Ja, Herr!
P. Anton. Und wollt nicht von ihr ablassen?
Sixt. Ach ich kann nicht, Wohlehrwürdiger Herr! (und hier schossen ihm die Thränen in die Augen.)
P. Anton. Und warum denn nicht? Da's doch euer Vater nicht gut heißt?
Sixt. Ja, Herr Pater, das ist so eine eigne Sache; wenn man schon will, man kann nicht. Ich hab schon hundertmal drüber geweint, und allerley im Sinn gehabt; aber wenn ich wieder an sie denke, und an den Eid, den ich ihr gethan habe, und daß sie so brav und gottsfürchtig ist, und mich[77] so von Herzen lieb hat, daß sie drüber zu Grund gehen würde; dann ists, als ob ich mit hundert Haken wieder zu ihr hin gezogen würde, und sie in Zeit und Ewigkeit nicht lassen könnte. – Nein, bey Gott, ich kanns nicht! Bey allen Heiligen will ichs schwören, daß es kein Eigensinn ist! Ich thu sonst so willig, was mein Vater will; er muß es selber sagen. Aber wenn ich meine Regine nicht haben soll, das hieß mir Gift geben, da will ich mich lieber lebendig braten lassen. Jedermann muß mir's Zeugniß geben, daß nichts an ihr auszusetzen ist, und daß wir nie nichts Unrechtes miteinander vorgehabt haben. Sehen Sie nur, Herr Pater, es ist ein engelschönes Mädel, frisch und rasch, zu aller Arbeit aufgelegt; ihre Eltern sind auch brave Leut, die sie christlich und wohl erzogen haben. Sie versieht das ganze Hauswesen, seit die Mutter krank ist; den ganzen Tag sieht sie bey der Arbeit nicht auf, wenn auch ich zu ihr käme. Alle Menschen sind ihr gut; sie hätt schon zehen Bauren haben können, die noch reicher sind, als ich; aber sie will keinen, als mich; und da sollt ich ihr den Stuhl vor die Stube setzen? Nein, das will ich nicht, das kann ich nicht! Einem Kerl, der[78] ein Mädel angeführt hat, kann's nicht wohl gehen. (Hier wischte er sich die Augen.)
P. Anton. Nun, Franz, was sagt ihr dazu?
Franz. Nichts, als daß der Blitzkerl recht hat.
Sixt. Seht, Vater, es thut mir leid, daß ich euch die Zeit her so viel Kummer gemacht hab. Es war mir nirgends wohl. Der liebe Gott weiß, wie ich ganze Nächte durch geächzt habe. Ich hab mir tausendmal den Tod gewünscht. Aber es ist einmal nur umsonst; wider besser Wissen und Gewissen kann man nicht thun. Der Mutter hab ichs oft gesagt, die hatte auch keine ruhige Stunde; aber sie sah's doch ein, und hörte mir zu.
Franz. Nun, Sixt, gib mir die Hand, und verzeih mir! Es war nicht so bös gemeynt. Kannst das Mädel haben. Sey's in Gottes Namen! Stromauf kann man freylich in der Donau nicht schwimmen. Sapperment! ich wollt dir des Wirths Tochter geben; das wär auch was gewest. Aber, nicht wahr, Herr Pater, besser ist besser? Nun, nun, wenn ihr einander mit Gewalt haben wollt, so kriecht zusammen! Hätt[79] ichs doch nimmermehr gedacht, daß mich der Herr Pater so herum bringen würde. Heh, Weib! – Sie ist draussen in der Küche – komm herein! Sollst wan neues hören. – Frisch! eingeschenke, Herr Pater!.. Wie, Sixt? du stehst ja da, wie ein armer Sünder. Da! trink auch eins! Soll leben deine Regine! – Trink ers auch mit, junger Herr! – Das Aug steht ihm ja voll Wasser. Hab ich ihms nicht recht gemacht mit meinem Sohn da?
Siegwart. O ja, völlig recht, Nachbar Franz! Es freut mich, daß es so gegangen ist. Eure Gesundheit, Franz! und Eure auch, Sixt, und Eurer Regine ihre!
Sixt. O ich bedanke mich, junger Herr, tausendmal! Ach, ich weiß nicht, was ich sagen soll, Herr Pater! Das Herz ist mir so voll, ich möcht Ihnen nur zu Füssen fallen; weiß nicht, ob ich im Himmel oder auf Erden bin? Gott vergelts, was Sie an mir und meiner Regine gethan haben! Wir arme Leut könnens doch nicht. – Und Ihr, Vater! ach verzeiht mir, und seyd tausendmal bedankt! – – Ich kann nichts reden, muß nur weinen und mir Luft machen.
Franz. (Zu seinem Weib, das herein kommt) Heh Weib! Viktoria! laß dir eine neue Haube machen[80] auf die Hochzeit! Unser Sixt soll seine Regine haben; da, dem Herrn da hast du's zu verdanken; denn ich weiß doch, daß dirs lieb ist, alte Mutter; nicht wahr?
Die Bäurinn. Ja wohl. Gott sey ewig Lob und Dank, Franz, daß du dich besonnen hast! O Herr Pater, da haben Sie ein recht gutes Werk gethan. Mein armer Sohn wär zu Grund gegangen, und sein Mädel auch. Nun Sixt, wie ist dirs? Siehst ja so traurig aus, und greinst.
Sixt. Ach Mutter, last's nur seyn! Ich kann kein Wort sprechen; 's ist des Glücks gar zu viel auf einmal. Ich weiß wohl, der Herr da nimmts nicht übel; sieht mir wohl an, daß ich danken wollte, wenn ich könnte. Laßt mich nur hinaus! Es wird schon besser werden in der frischen Luft.
Sixt gieng hinaus, und Siegwart sah ihm noch durchs Fenster nach. Nun ward Franz bey seinem Gläschen Wein immer munterer, und tranks dem P. Anton, und dem jungen Siegwart fleißig zu. Es that ihm wohl, daß ihn Anton und sein Weib wegen seines geänderten Entschlusses lobten, und drüber vergaß er die Bedenklichkeiten wegen der Ungleichheit des Vermögens völlig. Ein Geistlicher[81] hat, vermittelst der Religion und des Ansehens, das ihm sein Stand in den Augen andrer Leute gibt, viel Gewalt über das Herz der Menschen und besonders des gemeinen Mannes; Möcht' es doch jeder zu so guten Absichten, wie P. Anton, und nicht, wie so viele thun, zu Befriedigung seiner Leidenschaften, seines Ehr- und Geldgeizes oder seiner Rachgier anwenden! Der edle Mann, mit dem schneeweißen Haar und der breiten Glatze saß jetzt da, gesegnet von den Eheleuten, die er wieder ausgesöhnt, gesegnet von einem jungen Paar, dessen Glück, das schon zu wanken anfieng, er aufs ganze Leben befestigt hatte, und von einer Mutter, der er ihren Sohn und die Ruhe ihres Mannes wieder gab. Siegwart sah ihn an wie einen unmittelbaren Abgesandten Gottes; helle Zähren stunden ihm im Auge, und er konnt es gar nicht von ihm wegwenden. Franz sprach schon davon, wann sein Sohn Hochzeit machen sollte, und setzte sie auf den künftigen Monat fest, da denn Anton versprechen mußte, auch dazu zu kommen. Er bekam reichliche Geschenke für sein Kloster, Vntrer, Flachs und Eyer, und nahm endlich mit dem jungen Siegwart Abschied, um das Allmosen bey dem Schulzen in Empfang zu nehmen, seine Abfahrt zu besorgen,[82] und dafür im Namen seiner Brüder zu danken. Sixt war nicht zu finden, als er von dem Hause weggieng.
Nach empfangnem Allmosen machte er sich mit Siegwart auf den Weg nach seinem Kloster. Sie waren schon eine Strecke weit vom Dorf weg, und giengen an einem einzelnen Dorngebüsch zwischen den Aeckern, als Sixt mit seinem Mädchen draus hervorsprang.
O Herr! riefen beyde zugleich, und waren wieder eine Zeitlang still. Da, das Ist mein Mädel, sagte Sixt, und will Ihnen danken. Tausend, tausend Gottes Lohn, rief sie weinend, und drückte dem Pater mit Heftigkeit die Hand.
Ja Ihr Wohlehrwürd, fuhr Sixt fort, das war eine Freude, als ich zu ihr kam, und sagte, daß wir nun einander haben sollten. Ich hätte, weiß nicht wie viel drum gegeben, daß Sies selbst mit angesehen hätten; Sie verdienten es. Sie hub ihre Hände auf, und dankte Gott laut für die Gnade, und als ich ihr sagte, daß wir alles dem P. Anton zu verdanken haben, wollte sie, wie sie gieng und stand, in mein Haus und Ihnen danken. Ich sagte aber, daß wir's vorm Dorf draussen besser könnten, wenn wir so allein wären. Nun haben wir da gewartet, bis Sie kamen, und wollen[83] nun, wenns Ihnen recht ist, Sie bis vor den Wald hinaus begleiten.
Es thut mir Leid, meine lieben Kinder, sagte Anton, daß ihr euch wollt Mühe machen. Mir habt ihr wenig zu verdanken; was ich gethan hab', hab' ich gern gethan. Wenn ich meinem Nächsten helfen kann, das geht mir über alles, und so muß es jeder brave Mann machen und thut es auch. Ich hoff', ihr werdets redlich miteinander meynen, und ein gutes christliches Ehepaar werden. Ihr müßt nun eurem Vater gut begegnen, Sixt, und ihm alles zu Lieb thun, da er's euch auch gethan hat. Und ihr, Regina, müßt euren neuen Schwiegereltern auch recht freundlich begegnen, und euch nicht einmal darum zu rächen suchen, daß der Vater euch seinen Sohn nicht gleich hat geben wollen. Er hats mehr um des Gelds als um euretwillen gethan; denn wider euch hat er nie nichts gehabt. Jeder Mensch hat seine Schwachheiten, und ihr müßt ihm die vergeben.
Ach ja herzlich gerne, sprach das Mädchen. Lieber Gott, wer wird sich deswegen rächen wollen? Wenn ich nur meinen Sixt habe, dann will ich mit der ganzen Welt in Fried und Einigkeit leben. Ich müßte ja immer fürchten, den lieben[84] Gott zu erzürnen, wenn ich jemand kränkte, und da könnt' er mir zur Strafe meinen Sixt nehmen. Nein, um seinetwillen sind mir alle Menschen lieb, und am meisten seine Eltern. Ich konnt ihnen nie recht böse seyn, wenn sie's auch schon böse mit mir meynten. Ich bin nie so fromm gewesen, als seit ich meinen Sixt habe, und wenn er nun erst mein Mann ist, und ich immer um ihn bin, da werd ich ja noch frömmer werden. O Herr Pater, Sie können nicht glauben, was Sie uns für einen Dienst geleistet haben; und ich, als ein einfältiges Bauermädchen kanns eben nicht so an Tag legen; aber doch ist mir's Herz voll, und Sie müssen mit dem guten Willen vorlieb nehmen. Ich wills dafür dem lieben Gott sagen, was ich denk, und Ihnen Gutes anwünsch!
So giengen sie noch eine gute Strecke Wegs mit dem Pater und dem jungen Siegwart fort, und äusserten ihre Gesinnungen, die zwischen Dankbarkeit und Zärtlichkeit getheilt waren. Man wird selten in der Stadt, wo die Menschen sich gewöhnlich aufgeklärter und besser dünken, als die Landleute, ein Paar finden, das sich mit der reinen unverfälschten Zärtlichkeit, mit der Treue und Festigkeit liebt, wie unser Pärchen. Aber Unschuld[85] und Reinigkeit des Herzens war das Band, das sie verknüpfte; und dieses ist das festeste, das noch jenseits des Grabes in der Ewigkeit fortdauert. Wohl dem Jüngling, dessen Seele sich allein durch dieses Band fesseln läßt! Er und seine Freundin werden einst mit Semida und Cidli, mit Petrarch und Laura, mit Klopstock und mit seiner Meta unter den Lebensbäumen wandeln, und sich ihre Liebe auf der Unterwelt erzählen.
Endlich nahmen Sixt und Regine von P. Anton und dem jungen Siegwart Abschied. Sie konnten kaum vor Thränen sprechen, und blieben noch, so lang sie ihnen nachsehen konnten, auf dem Hügel stehen; dann kehrten sie in der Dämmerung zurück, küßten sich tausendmal mit dem keuschen Kuß der Liebe, sahn zum Abendstern auf, und ihr Blick war Dank und Gebeth für den guten Pater Anton. Dieser gieng voll innern Friedens mit dem jungen Siegwart nach dem Kloster, dessen Seele voll war von nie empfundenen Gedanken an die Größe eines Menschen, der ein Wohlthäter seiner Brüder ist, und gleich der Sonne zur Ruhe gehen kann, die den Tag über das Herz den Menschen und die Welt mit ihrem Strahl erquickt hat.[86]
Der andre Morgen war der Begräbnißtag des verstorbnen Paters. Alle Väter versammelten sich um acht Uhr im Konventsaal. Auf ihren Gesichtern war eine allgemeine Traurigkeit verbreitet; Schmerz und Thränen sprachen aus den Augen; Siegwart war bey ihnen. Man gieng an die Zelle des Verstorbenen; zwölf Paters nahmen den Sarg auf. Die andern und Siegwart giengen Paar und Paar; jeder eine brennende Wachskerze in der Hand. Man gieng durch den langen Kreuzgang nach der Kirche zu. Das Schweigen und das Rauschen der hölzernen Schuhe war fürchterlich. In der Kirche setzte man am Hochaltar den Sarg nieder; und stellte Wachskerzen drum herum. Nach einer dumpfen feyerlichen Trauermusik, die die Seele durch dunkle, Menschenleere Wüsten bis ans Grab hin führte, und sie vor der Verwesung des Körpers zurückschauern machte, ward eine Seelmesse gelesen. Man hub den Sarg, nachdem er mit dem Weihwasser besprengt worden war, wieder auf, und trug ihn durch den langen Gang im Garten nach dem Gottesacker. Ein dicker Nebel hüllte alles ein. Die Wachskerzen warfen einen fürchterlichen Schein in die Nacht des Nebels. Der Sarg[87] ward am Grabe niedergesetzt; die Paters stellten sich in einem Kreise um das Grab herum, und beteten. Pater Gregor stand dicht daran, und sah mit starren Blicken in die Gruft. Weinen konnt' er nicht mehr; seine Säfte waren ausgetroknet. Der Sarg ward hinabgelassen; der dumpfe Schall, den die Erdschollen auf dem holen Deckel machten, weckte ihn aus seinem Schlummer, und ein tiefer Seufzer hub seine Brust zitternd empor. Er hub seinen Blick zum Himmel, und lächelte halbfreudig, als ob Engel mir ihm sprächen. Das Grab war nun ausgefüllt, und der Hügel wurde aufgeworfen. Ein Pater hielt eine kleine, aber rührende Rede von den Tugenden des Verstorbenen; einer nickte ihm nach dem andern Beyfall zu, und dankbare Thränen, die schönsten Zeugen eines frommen wohlthätigen Lebens, flossen auf den Hügel. Man gieng nun vom Grabe wieder in das Chor zurück, wo noch einmal eine Trauermusik gemacht wurde, die sich erst durchs Graun der Gräber langsam und melancholisch fortschlich, dann sich schnell und triumphirend wie ein Adler zu den Wolken aufschwang, und die Hofnung der Auferstehung ausdrückte.[88]
Nun gieng man, nach noch einmal gehaltner Seelmesse, auseinander, P. Anton auf seine Zelle, und Siegwart auf sein Zimmer. Seine ganze Seele war umwölkt und traurig; aber als er am Fenster stand, und sah, wie die Sonne mit dem Nebel rang, und endlich siegte, daß die Berge und nachher die Felder wieder aufgehellt da lagen; da wards auch in seiner Seele wieder heiter, und sein Herz erhub sich wieder. Eine freudige Empfindung verdrang die andre, und seine Phantasie durchirrte tausend Scenen aus der Zukunft. Er dachte sich in alle mögliche Verhältnisse, in die er einst als Mönch kommen könnte; alle waren lachend und heiter, wie das Feld vor ihm im Sonnenstral.
Er las hierauf noch im Leben des heiligen Franciscus, und erhitzte seine Einbildungskraft noch mehr, bis zum Essen geläutet wurde. Hier wurde viel vom Verstorbenen gesprochen. Jeder wußte eine Geschichte zu erzählen, die zu seinem Vortheil gereichte. Am meisten gefiel unserm Siegwart folgende, die der Guardian erzählte:
Unser seliger Bruder war doch, wie wir alle wissen, ein großer Freund von der Physik, Mathematik, und besonders von der Astronomie, worinn[89] ers weiter gebracht hatte, als mancher Professor auf der Universität. Er besaß noch von seinem Vater her, der eben diese Wissenschaften getrieben hatte, eine schöne Anzahl von den herrlichsten Instrumenten, Zirkeln, Quadranten, Sehröhren und Büchern mit Kupfern, die viel Gelds werth waren. Diese machten seine einzige Freude auf der Welt aus. Ganze Tage durch saß er bey den Büchern und rechnete; und Abends, wenn der Himmel hell war, sah er bis um Mitternacht, und oft noch länger durch sein Sehrohr nach den Sternen und dem Mond. Ich weiß noch, was er Anno. 44. für eine Freude hatte, als der grosse Komet am Himmel stand; wie er uns alles erklärte, und vorrechnete, wann der Wunderstern wieder kommen werde. Vor ungefähr zwanzig Jahren kriegte er von seiner Mutter, die im Frankenlande wohnte, Nachricht, daß sie nicht nur ihr ganzes ansehnliches Vermögen verlohren habe, sondern auch noch in eine ziemliche Schuldenlast gesteckt worden sey, weil ihr zweyter Sohn, ein liederlicher Mensch, alles durchgebracht, Schulden gemacht, und zulezt sich von den Kaiserlichen habe anwerben lassen. Unser Pater Martin gieng einige Tage lang ganz schwermüthig herum, vermied allen Umgang, und[90] bat sich endlich vom Prälaten die Erlaubnis aus, auf einige Tage nach Augspurg reisen zu dürfen. Hier gieng er ins Jesuiterkollegium, wies ein Verzeichnis von seinen Büchern und Instrumenten vor, bot es feil, und ward endlich mit den Jesuiten eins, ihnen die ganze Sammlung um 400 Gulden zu überlassen. Das Geld, bat er, möchten sie gleich, wenn sie die Sachen in Empfang genommen hätten, seiner Mutter nach Franken schicken. Als er den Handel schon getroffen hatte, bat er die Jesuiten inständig, ihm zu seinem Gebrauch, so lang er lebte, einen Tubus und nur ein paar Bücher, die er sehr werth hielt, zu überlassen; erst sollte alles schriftlich protokollirt, und ihnen das Rückständige zugeschickt werden, so bald er todt wäre. Aber das war nun zu spät, die Jesuiten waren harte Leute, und sagten, der ganze Handel sollte rückgängig werden, wenn sie nicht sogleich alles bekämen.
Nun in Gottes Namen, sagte er, ich muß mir alles gefallen lassen! In 4 Tagen sollen Sie alles bekommen, was auf diesem Zettel steht; wenn nur meine arme Mutter das Geld gleich erhält.
Er kam wieder ins Kloster zurück, sah munterer aus und packte alles ein, was er hatte. Ich[91] war bey ihm auf der Zelle; ein paar Bücher sah er noch einmal mit Thränen an, küßte sie, und sagte: Lebt wohl! Ihr habt mir viel Vergnügen gemacht; und nun schrieb er einen Brief an seine Mutter. Ich hab ihn eben vorhin unter seinen schriftlichen Sachen gefunden, und will ihn vorlesen. Er ward ihm, nach seiner Mutter Tod vor 5 Jahren, nebst andern Briefschaften wieder eingehändigt. Der Brief lautet so:
Herzlich geliebte Mutter!
Die Nachricht von dem schlechten Lebenswandel meines Bruders, und daß er nun Soldat geworden ist, hat mich recht schmerzlich betrübt. Ich kann nichts für ihn thun, als für seine Seele beten, daß sie noch dem Rachen des Verderbens entrissen werde, und sein Ende selig sey! Der selige Vater hat ihn oft gewarnt; aber der Junge wollte nicht folgen, und spottete hinter seinem Rücken. Euer Elend, Innigstgeliebte Mutter, geht mir sehr zu Herzen, und hat mir schon viel Thränen ausgepreßt. Hier, nehmt alles hin, was ich habe, und seyd mit dem Bischen Armut zufrieden! Der liebe Gott woll es reichlich vermehren! Ich hab meine überflüßigen Bücher und Instrumente verkauft, um[92] Euch auszuhelfen; wollt gern, es wäre mehr! Ihr habt freylich weit mehr an mir gethan, als ich Euch vergelten kann. Laßt mich wissen, wie's Euch geht! Vertraut auf den Gott der Wittwen und der Waisen, so wirds Euch nie an Trost fehlen! Mir gehts wohl hier. Ich bin bis in den Tod Euer dankbarer und getreuer Sohn
Martin.
Hier hab ich auch die Antwort seiner Mutter. Der Brief ist halb zerrissen, weil ihn Martin immer bey sich führte, und mit seinen Thränen tausendmal benetzte.
Einzig geliebter Sohn!
O du Trost und Stütze meines Alters! Du mein Einziges und Alles auf der Welt! Was soll ich dir sagen, und wie soll ich dir für alles danken? Diese mütterlichen Thränen, die auf meinen Brief herabfliessen, sind dir gewiß mehr werth als tausend Worte. Möcht ich dich doch an mein Herz drücken können, goldner, auserwählter Sohn! Meine Haare sind vor der Zeit vor Kummer grau geworden, und die Augen schwach vom vielen Weinen um den ungerathnen Philipp;[93] aber du, mein Sohn, du Trost von Gott, hast mich wieder aufgerichtet und jung gemacht, wie einen Adler. Laß dich ewig segnen, auserwählter Sohn! Noch mein letzter Seufzer auf dem Sterbebette soll dich segnen! Wie wird sich einmal dein Vater freuen, wenn ich ihm im Himmel sage, was für einen Sohn wir auf der Welt haben? Ich mag an den andern nicht denken, wenn ich an dich denke. Du hast mir mehr geschickt, als ich brauche, denn ich werds wohl nicht lange mehr machen, und hast dich vom Nöthigsten und alle dem entblößt, was dir lieb ist. O! wenn ich daran denke, möcht ich gleich vorgehen, und das Herz im Leibe will mir brechen. Ich kann nicht weiter schreiben, denn ich seh vor Thränen kaum den Brief mehr. Nur noch Einmal möcht ich dich an mein Herz drücken, unter dem du gelegen hast, Einziger, englischgesinnter Sohn, und dann sterben! Leb wohl, leb ewig wohl! bis ans Ende segnet dich
Deine getreue Mutter
Concordia Dahlern.
Die ganze Tischgesellschaft weinte, als der Brief vorgelesen war. Siegwart konnte sich kaum[94] enthalten, den Guardian zu bitten, daß er die beyden Briefe abschreiben dürfte! Aber er war doch zu furchtsam. Der Guardian fuhr fort:
Unser seliger, theuergeliebter Bruder ließ sich nicht ein Wort verlauten, wie weh ihm der Verlust seiner Bücher und seiner Instrumente thue, und doch merkt' ich es ihm hundertmal an. Er suchte unsre ganze Bibliothek durch, vermuthlich, ob er keine mathematische Bücher finde? Aber er fand wenig, oder gar keine. Wenn er Abends mit den bloßen Augen an den gestirnten Himmel aufsah, so entflog ihm oft ein Seufzer, daß er die himmlischen Reviere nicht mehr genauer untersuchen konnte. Ein paarmal beklagte er sich gegen mich über sein abnehmendes und schwaches Gesicht; hielt aber gleich wieder inne, um das Gespräch nicht auf den Verkauf seiner Instrumente zu bringen. Ein einzigsmal, als ich ihn deswegen loben wollte, sagte er halb böse: Ich that ja nur meine Schuldigkeit. – O, es war ein treflicher Mann, den wir nie genug bedauren können!
Siegwart, sagte P. Anton, wird uns vielleicht einmal seinen Verlust ersetzen, wenn er so fortfährt, wie er anfängt. – Ja das hoffen wir, sagten alle; der bescheidne Jüngling ward im[95] ganzen Gesichte blutroth, und wagte kaum mehr, die Augen aufzuschlagen.
Die Paters stunden bald hernach vom Essen auf, und vertheilten sich. P. Anton fragte Siegwart, ob er ihn etwas in den Garten begleiten wolle? Dieser nahms mit Freuden an. Er gieng ein paarmal stillschweigend und nachdenklich mit dem Pater auf und ab. Lieber Xaver? sagte Anton endlich; er ist ja auf einmal so still geworden? Ganz gewiß denkt er noch den Erzählungen vom seligen Bruder Martin nach; sie haben einen tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht, wie's in der Jugend so zu gehen pflegt, und das ist auch recht gut. Laß er's sich nur zur Nacheiferung dienen! Gewöhnlich empfindet der Jüngling das Schöne der Natur und jeder guten edeln Handlung tiefer, als der schon gesetzte, und kalt scheinende Mann. Aber bey den meisten Jünglingen bleibts auch beym Gefühl und geht selten zum Entschluß über. Der gesetzte Mann hingegen, der oft kalt scheint, weil sein Gefühl minder stark und gleichsam stumpf gemacht ist, handelt desto mehr für die Tugend. Er begnügt sich nicht am Anschauen der äußerlichen schönen Gestalt der Göttin, wie der Jüngling am Anschauen[96] seines Mädchens, sondern sucht sich mit ihr auf ewig zu vermählen, um ihre Seele zu besitzen. Doch weh dem Mann, der als Jüngling die äussere Schönheit der Tugend nicht auch tief gefühlt hat! Er wird selten, oder nie als Mann für sie handeln!
Ein Pater, der an ihnen vorbeygieng, grüßte sie mit Namen, und nannte unsern Siegwart, Bruder Xaver. Ja, mein lieber Siegwart, sagte Anton, nun ists bald Zeit, wegen des Klosters einen völligen Entschluß zu fassen, denn dein Vater – laß mich dich immer du nennen, ich liebe dich, wie meinen Sohn – dein Vater, denk ich, wird heut oder morgen kommen, und dich abholen wollen; da müssen wir ihm doch was gewisses sagen. Was meynst du? Hat dirs hier gefallen? Glaubtest du dein Leben als ein Kapuziner, das heißt als ein Mann, der gröstentheils von der menschlichen Gesellschaft abgesondert, dem Gelübd der Keuschheit, des Gehorsams, und der Armuth unterthan, von der Welt ungekannt, oder nur zu oft verkannt und verachtet lebt, glaubst du dein Leben als ein solcher hinbringen zu können, und doch innerlich vergnügt und glücklich zu seyn?[97]
O ja, ganz gewiß glaub ichs! antwortete Siegwart mit Heftigkeit. Ich müßte mir ein Gewissen draus machen, wenn ichs nicht würde; denn wo könnt ich sonst so viel Gutes thun, und mit so viel heiligen Leuten umgehen? Nein, ich will nichts anders werden, wenn mein Vater nichts dagegen hat! Wenn ichs nur schon recht bald wäre!
Nun, nun, so wünsch ich dir zu deinem Vorhaben recht von Herzen Glück: Dein innerlicher Trieb ist besser, als alles Zureden andrer Leute. Wenn du keine Lust dazu gehabt hättest, so würd ich dich nie gesucht haben zu überreden; aber da du selber eine so starke Neigung zum Klosterleben hast, so kann ich deinen Entschluß nicht anders, als loben. Du wirst ein rechtschaffener Mann werden, und dann ist man glücklich. Ich hab es schon gesehen, daß du gottesfürchtig bist, und deinen Nebenmenschen von Herzen liebst, bleib auf diesem Wege! Er ist der einzige zur Glückseligkeit, die so manche suchen und nicht finden.
Da hab ich dir diesen Morgen ein paar Anmerkungen aufgeschrieben, die ich dir, statt meines Segens, auf den Weg mitgeben will. Sie[98] enthalten Lebensregeln, die ich nun seit dreyßig Jahren schon befolgt, und bewährt befunden habe. Präge sie dir tief ein, und rufe sie täglich in dein Gedächtniß zurück! Wenn du sie gleich jetzt noch nicht ganz in ihrer Stärke fühlst, und vielleicht noch nicht völlig verstehst, so wirst du doch, wenn Zeit und Erfahrung kommt, sie fassen, und ihren Werth recht schätzen lernen. In der Ordnung konnt ich sie nicht niederschreiben, ich hatte zu wenig Zeit dazu, und mein Kopf wird nach und nach durchs Alter schwach. – Wer weiß, mein Sohn, ob wir uns in diesem Leben wiedersehen? Vielleicht triffst du, wenn du wieder hier ins Kloster kommst, mein Grab an. Denk dann an deinen alten redlichen Freund, wenn du hier allein im Garten gehst; ruf dir seine Lehren zurück, und befolg sie! Dadurch ehrt man das Andenken an seine Verstorbenen am besten. Werde nicht zu wehmüthig, mein Sohn! Im Himmel sehen wir uns wieder, und vielleicht noch einmal, wenn es Gottes Will ist, hier im Kloster. Der Gedanke an den Tod hat für mich viel süsses. Mach ihn dir zum Freund, und du hast nichts auf der Welt zu fürchten![99]
Laß uns hier auf diesem Rasen sitzen! Er ist schatticht, und das Gehen wird mir zu beschwerlich. Wenn dirs recht ist, so les' ich dir meine Anmerkungen vor. Er zog sie aus dem Gürtel, und las:
I. Mach dir den Gedanken von der göttlichen Allgegenwart recht lebhaft und stets gegenwärtig! Er bewahrt vor jeder schlechten Handlung und vor schändlichen Gedanken, die die Mutter einer bösen Handlung sind. Wer sich schämt, vor Menschen schlecht zu handeln, wird sich noch mehr vor dem heiligsten und reinsten Wesen schämen, das zugleich unsre Thaten richtet. Der Gedanke von der göttlichen Allgegenwart erhebt das Herz, und treibt es zu grossen Thaten an. Der gegenwärtige Gott wird dich belohnen, wenn auch Menschen deine That nicht sehen. Er wird dich beschützen, wenn dir Menschen schaden wollen; und dich stärken, wenn du sinken willst. Schon unsre Vorfahren, die doch Heiden waren, hatten diesen grossen, herrlichen Gedanken. Sie glaubten, ihre Gottheit, die sie Wodan nannten, fülle den Hain, den sie bewohnten und jeden Ort aus, wo sie lebten. Daher man ihnen jeder Ort ein Heiligthum, jeder Wald ein Tempel; daher übten sie[100] mehr Tugend aus, als die meisten andern Völker, und entheiligten sich weit weniger durch Brudermord, Diebstal, Ehebruch oder andre Schandthaten.
II. Mach dich am Ersten mit dir selbst bekannt, mein Sohn! Dies ist eine alte Regel, aber selten wird sie recht befolgt. Gib auf alle Bewegungen und Veränderungen deiner Seele acht! Forsch ihren Ursachen nach, ob sie edel sind, oder nicht? Ost macht man sich selber etwas weiß, daß man diese oder jene Handlung aus einer guten Absicht unternehme, und im Grunde hat man einen bösen Endzweck, der den Schaden unsers Nächsten, oder die Entunehrung unsrer selbst zur Folge hat. Oft gibt man einer Gesinnung oder Handlung, die nicht edel ist, den Namen einer edeln, und hintergeht sein eignes Herz durch diesen Kunstgriff. Gib auf dieses alles genau acht, und erlaub dir keine Nachsicht! Werd am ersten gegen dich selbst behutsam! denn der Mensch ist nur zu oft sein eigner ärgster Feind. Lern deine Kräfte kennen, und prüfe sie durch Anwendung! Du must wissen, was du dir selbst zuzutrauen hast; sonst versprichst du immer dir und andern, was du nicht erfüllen kannst. Lern deine Schwächen kennen![101] Wer sie nicht kennt, kann sich, wenn der Feind kommt, nicht vertheidigen. – Mach dich bey Zeiten mit deinem Feind bekannt, mit alle dem, was dich umgibt, und dich am meisten zur Ausschweifung hinreißt, damit du Waffen zu der Zeit des Friedens anlegest! Sonst ist alle Gegenwehr zu spät. Im Tumult der Leidenschaften wirst du die Vertheidigung vergessen. –
Wer sich selber kennt, der kennt auch andre Menschen. Die Grundtriebe der Seele sind sich, ihrer Anlage nach, fast immer gleich. Du wirst finden, daß Eigenliebe, die im Grunde gut, und der, jedem lebenden Geschöpf vom Schöpfer eingepflanzte Trieb der Selbsterhaltung ist, stets die Haupttriebfeder bleibt, die die Seele in Bewegung bringt. Verschiedne Charaktere bilden sich nur durch die Verschiedenheit der Aeusserungen dieses Grundtriebs. So entstehen Geldgier, Ehrgeiz, Hang zur Wollust, Edelmuth und Menschenliebe, je nachdem wir glauben, durch das eine mehr, als durch das andre, unsre Eigenliebe zu befriedigen.
Kentnis deiner selbst und deines eignen Herzens wird dich in Beurtheilung andrer Menschen billiger machen. Die besondre Lage, Verfassung, und Verbindung eines Herzens, worinn es[102] mit den Dingen ausser sich, und mit andern Menschen steht, bestimmen das Moralische, oder Gute und Böse an einer Handlung mehr, als der äusserliche Schein. Manche Handlung ist so schlimm nicht, als sie scheint, wenn man alle die Umstände wüste, unter denen sie vollzogen wurde. Geh in die Geschichte deines Herzens zurück! Frag dich unpartheyisch, ob du, unter ähnlichen Umständen, nicht auch zu einem Fehltritt geneigter wärest? Ob es dir nicht oft einen langen, und schweren innerlichen Kampf kostete, eine Neigung zu überwinden? und ob du ihr nicht oft unterlagest, ohne im Grunde bös zu seyn, oder deinen Grundsätzen ungetreu zu werden? Wenn du so dein Herz studierst, dann wirst du weniger hart und unbillig in Beurtheilung andrer seyn.
III. Willst du den Menschen recht viel Gutes thun, so gewöhne dich frühzeitig an eins strenge Ordnung, und eine weise Einrichtung deiner Geschäfte! Sie lehrt den gewissenhaftesten Gebrauch der Zeit. So kannst du jeden Morgen dein Tagwerk übersehen, und Abends strenge Rechnung halten, über das, was du gethan hast. (Unserm Siegwart fiel hier P. Anton, und der gestrige Tag ein; er sah ihm mit freudigerer Bewunderung ins[103] Gesicht) Die Zeit wird dir theurer werden, als Gold und Edelstein. Sie, gut angewendet, mein Geliebter, ist das Mittel, uns zum Engel, und Gott ähnlich zu machen.
IV. Wer von der Welt allein Belohnung oder Lob erwartet, wird wenig wirklich grosse Handlungen verrichten, wenigstens nicht in den Augen Gottes, der sie allein würdigen und schätzen kann. Die grösten Handlungen gehen in uns selbst vor, und treten nicht vors Angesicht der Menschen. Innere Bestreitung seiner Leidenschaften, seiner Lieblingsneigungen, des Hangs zur Bequemlichkeit, zum äusserlichen Ansehen, zum Geld, zur Wollust u.s.w. ist der herrlichste Sieg, der die glorreichsten und fortdaurendsten Palmen erringt, aber erst jenseits des Grabes. Doch fehlts diesem Sieg auch nicht in dieser Welt an seiner hohen himmlischen Belohnung. Das Gefühl, nach seiner Pflicht gehandelt, und die Menschen, seine Brüder, glücklich gemacht zu haben, ist nach einem Tage, der für uns mit Wohlthun untergieng, das süsseste und edelste. Ein Mann, der so viel Gutes thut, als er kann, darf kühn auf alle Könige und Sieger stolz herabsehn, die durch Ehrenpforten auf Triumphwagen einziehn![104]
Hier, mein Sohn, sagte Anton, und gab unserm Siegwart das beschriebene Blatt, hast du meine Lehren. Möcht' ich sie dir mit diesem Kuß einhauchen können, daß sie immer dir im Herzen wohnten, und zu seiner Zeit herrliche Frucht brächten! Ich bin mit Freuden alt geworden, weil ich sie befolgte. Mach mir, und deinem alten Vater Freude! Lebe fromm und christlich.
Weiter konnte er nicht reden, denn er war zu sehr bewegt. Sein Auge sah ein paarmal zum Himmel auf, und erflehte Glück herab für Siegwart. Laß uns noch ein paarmal auf und abgehn! sagt er, nach einer langen Pause; der Tag ist so schön, und ich fühle heut das Leben der Natur weit lebendiger, als sonst. Sieh doch dieses herrliche Tulpenbeet, wie die Farben durch einander spielen! Die Natur hat tausend Freude, für den, der sie sucht, und mit reinem Herzen in ihren Tempel eintritt. Diese gelbe Tulpe hier, mit den feuerroten Streifen, und dem blauen Kelch! Es ist nur eine gemeine Blume, die der Kenner wenig schätzt, und ist doch so schön. Pflück mir doch diese Aurikel hier! Ich rieche nichts lieber. – Was für ein Balsam aus der Blume fließt! Er stärkt alle Nerven. Alles ist zur Lust des Menschen da, alles sucht ihm zu gefallen.[105] Und der Mensch erkennts so wenig, geht dran vorbey, als obs von ungefähr da wäre. Wenn ich allein spatzieren gehe, dann ist mir kein Gedanke heiliger und süsser, als die Bewunderung und Anbetung des Gottes der Liebe. Die Gedankenlosigkeit setzt den Menschen weit zurück; er könnte weit früher Gott ähnlicher werden, und ihm näher kommen. Daher hab ich immer die Dichter sehr geliebt, weil sie alles Schöne so sehr empfinden, und ihre Leser drauf aufmerksam machen. In der Bibel ists eben so; Christus nimmt fast alle seine Gleichnisse von den Dingen her, die auf dem Feld um ihn herum waren. – Hier wurden alle Saiten der Seele Siegwarts getroffen, denn niemand war auf die Natur aufmerksamer, als er.
Sie kamen nun dem Kloster nah, und der alte Siegwart gieng auf sie zu. Sein Sohn eilte ihm entgegen, und drückte ihm die Hand; Anton umarmte ihn. Du hast einen lieben Sohn, Siegwart! sagte er; seine Gesellschaft hat mir diese Zeit über viel Vergnügen gemacht. Ich seh, du hast ihn gut erzogen; Gott vergelt es dir! Und mit dem Kloster, denk ich, hats nun auch seine Richtigkeit; Nicht wahr, Xaver?[106]
Der junge Siegwart. O ja, Papa; ich bitte Sie, Lassen Sie mich nun recht bald darein! Es ist gar ein herrliches Leben; Ich kanns Ihnen nicht genug beschreiben.
Der alte Siegwart. So gefällt dirs so wohl, Xaver? Nun, Nun! ich will dir nichts in den Weg legen. – Deine Brüder und Schwestern lassen dich grüssen; Sie glaubten schon, ich würde dich gar nicht mehr mitbringen. Therese war recht traurig drüber.
Der junge Siegwart. Aber sie ists doch zufrieden, Papa, daß ich geistlich werde? Den andern, weiß ich, ists schon recht; sie sagtens oft.
Der alte Siegwart. Das kommt auf mich, und dich an, Xaver! Sie haben in dergleichen Dingen nichts drein zu reden. Doch werden sie sichs auch gern gefallen lassen. Therese fürchtet nur, du könnest's im Kloster nicht gewohnt werden.
Der junge Siegwart. Ey, was weiß die? Ich will ihrs schon sagen, wie's so gut ist.
Indem kamen ein paar Paters, und luden die Gäste, auf Befehl des Guardian, ins Gartenzimmer. Alle fünfe giengen hin. Der alte Siegwart ward bewillkommt und ihm, wegen seines Sohns, Glük gewünscht. Es ward nun für ausgemacht[107] angenommen, daß Xaver nichts anders werden sollte, als ein Mönch. Der Guardian versprach, gleich Morgen an die Piaristen im nächsten Landstädtchen einen Brief zu schreiben, und dem jungen Menschen eine Stelle auszumachen. Ein andrer Pater sagte, daß er seinem Bruder, Pater Philipp, der ein Lehrer an der Piaristenschule sey, schreiben, und den jungen Siegwart seiner besondern Aufsicht empfehlen wolle. Die ganze Gesellschaft war nun sehr vergnügt; der Guardian ließ guten alten Nekkarwein auftragen, den das Kloster erst von einer Wittwe geschenkt bekommen hatte, und man trank fleißig herum. Unserm Siegwart wurde eine Gesundheit nach der andern aufs künftige Klosterleben zugetrunken; sie nannten ihn im Scherz Bruder Augustin, weil man im Kloster den Namen ablegt, den man in der Welt gehabt hat. Diese Vertraulichkeit und der Wein, den er nicht gewohnt war, so gut, und so viel zu trinken, machten ihn ganz munter und beredt.
Der Vater, der oben bey dem Guardian saß, und nun, wegen seines Sohnes, alles mit ihm ausgemacht hatte, daß dieser nemlich in sechs oder sieben Jahren ganz gewiß ins Kloster sollte aufgenommen werden, stand endlich um sechs Uhr auf,[108] und nahm von den Paters Abschied. Als der Sohn diese Zurüstungen sah, ward ihm das Herz auf einmal schwer, und das Auge trüb. Es war ihm, als ob er in eine Einöde zurückkehren sollte, so sehr hatte er sich schon ans Kloster gewöhnt. Eine Zeitlang stand er stumm und zitternd da; dann sprang er aber eilends weg, und kam nach einigen Augenblicken wieder, mit den Büchern unterm Arm, die ihm P. Ignatz geborgt hatte. Er gieng zu ihm hin, und sagte: Leider hab ich die Geschichte vom heiligen Franz nur halb, und die andern Bücher gar nicht durchlesen können; aber ich dank Ihnen doch reckt sehr. Nein, mein lieber Xaver, sagte Ignatz, so ists nicht gemeynt; Er soll die Bücher zum Andenken von mir behalten, oder sie mir erst wieder zurückgeben, wenn er hier Profeß thut. Mach er keine Umstände! Sie sind sein. Xaver sah seinen Vater an, als ob er fragte, was er thun sollte? Ja, wenn der Herr Pater nicht anders will, Xaver, sagte dieser, so must du's eben annehmen. Aber das Geschenk ist gar zu groß, Herr Pater! Ich weiß nicht, was ich Ihnen dagegen anbieten soll? Schicken Sie uns Ihren Sohn bald, wieder, sagte Ignatz, das ist alles, was ich wünsche. Der alte[109] Siegwart machte eine Verbeugung. Laß doch sehen, Xaver, was du denn für schöne Bücher hast? Ey, das ist ja herrlich, das Leben des heil. Franciscus; das ist mein Patron. Nun, nun, da kannst du brav drinn studiren, und viel schönes draus lernen. Und da, das Leben des heiligen Nepomuk, das ist der Flußpatron, weil er zu Prag in die Moldau ist gestürzt worden. Ich dank Ihnen vielmals, Herr Pater, in meinem und in Xavers Namen. Wenn Sie mich einmal besuchen, will ich sehen, wie ichs auf andre Art wett mache? Nun, Xaver, empfiehl dich der Liebe dieser Herren! Du siehst, daß Sie dir alle gut sind, mach, daß du dieser Ehre werth bleibst!
Xaver konnte nicht vor Thränen sprechen; Er küßte dem Guardian und den übrigen die Hand, und benetzte sie mit seinen Thränen. Als er an den P. Anton kam, sagte dieser: Laß nur, mein Sohn! ich will dich und deinen Vater noch eine Strecke weit begleiten. Am Klosterthor blieben die übrigen stehen, nachdem sie von den beyden Siegwarts auf deine freundschaftliche Art Abschied genommen hatten. Anton gieng mit ihnen. Xaver[110] sah sich wohl noch zwanzigmal nach dem Kloster um, und schickte ihm seine Thränen nach.
Der alte Siegwart erkundigte sich bey P. Anton nach verschiednen Dingen, die den Aufenthalt seines Sohns auf der Schule und dann auf der Universität, betrafen. Dieser entschuldigte sich damit, daß er schon zu lange von der Welt sey, und daß sich in dieser Zeit so vieles in der Lebensart, und in den Kosten auf der Universität verändert habe. Er gab aber doch dem Vater und dem Sohn viel weise Lehren und Erinnerungen. Ich wollte dir Prag zur Universität vorschlagen, sagte er, denn sie hat viele Vorzüge vor andern; Aber, da sie so weit entfernt ist, und man dort weit mehr braucht, als anderswo, so wollt ich dir unmaßgeblich Ingolstadt in Baiern vorschlagen, weil da auch gute Professores seyn sollen, wenigstens hat Herzog Ludwig viel drauf gewendet. Ja, ich denke auch so, sagte Siegwart; Ingolstadt liegt in der Nähe, und ich habe da auch noch von meiner seligen Frau her ein paar weitläuftige Verwandte, daß mein Sohn doch etwas Aussicht hat, und auch Unterstützung, wenn es nöthig wäre. Der Hofrath Fischer, den du auch noch kennen wirst, steht dort in gutem[111] Ansehen, und ich habe von ihm, vermög unsrer alten Bekanntschaft, viele Freundschaft zu erwarten.
Nach einigen Erinnerungen, die Anton dem jungen Siegwart noch, in Absicht auf die Wahl seiner Freunde auf Universitäten, gegeben hatte, nahm er von den Beyden Abschied. Es flossen gegenseitig viele Thränen, zumal da Anton fast in einem Ton der Weissagung von seinem frühen Tode sprach. Der letzte Kuß des Paters schwebte noch lang auf den Lippen des Jünglings; seine Thränen flossen in die Thräne des Ehrwürdigen Alten, und vereinten sich mit ihr, wie seine Seele mit des Paters Seele sich vereinigt hatte.
Vater und Sohn giengen eine Zeitlang schweigend durchs Gefild hin. Was hast du dann alle Gutes erfahren und gesehen im Kloster? fragte endlich der alte Siegwart. Und nun fieng der Sohn an, in einer Art von Begeisterung, alles zu erzählen, was im Kloster, und besonders auf dem Dorfe mit dem P. Anton den tiefsten Eindruck in sein Herz gemacht hatte. Der Vater hörte mit Vergnügen, oft mir Rührung zu, und rief ein paarmal aus: Ja, da malst du mir meinen Pater Anton wie lebendig vor die Augen! Das sieht ihm ähnlich, u.s.w. Wenn du seine Fußstapfen[112] betrittst, Xaver, denn will ich den Tag ewig segnen, an dem ich das erstemal mit dir hieher gieng.
Sie waren aus dem Wäldchen herausgegangen, als sie von fern Theresen und Wilhelm, ihren zweyten Bruder, ihnen entgegen kommen sahen. Xaver sah sie kaum, so sprang er voraus, bewillkommte sie, und drückte seiner Schwester, die er herzlich lieb hatte, die Hand, denn er war noch nie so lang von ihr entfernt gewesen. Therese war ein rasches, naives Landmädchen mit einem runden vollen Gesicht, das von der Farbe der Gesundheit glühte; mit grossen dunkelblauen Augen, die beydes, wenn sie heftig, oder zärtlich war, von der Stärke und Festigkeit ihrer Seele zeugten. Wenn sie lachte, bildeten sich ein paar Grübchen in den Wangen, und man sah die Göttinn der Anmuth vor sich. Ihre Haare waren dunkelbraun und lang; ihr Wuchs mittelmäßig groß. In ihren Reden war sie schnell und hastig; ihr Witz war immer neu und lebhaft. Munterkeit erwachte, wo sie hinkam, und sie lachte gern aus vollem Herzen. Doch verbannte sie zu rechter Zeit den Ernst nicht, und in den Stunden der Dämmerung, oder am Klavier[113] zerfloß ihre Seele oft in Wehmuth. Nichts liebte sie mehr, als Geschäftigkeit, und besonders ländliche Beschäftigungen. Sie wuste jede Arbeit, die die verschiednen Jahrszeiten auf dem Lande mit sich bringen. Im Früling säte sie im kleinen Würzgärtchen am Hause; steckte Bohnen und Erbsen; pflanzte Salat und Kohl, und ordnete die Aussaat des Flachses an. Im Sommer war sie in ihrem strohernen Sonnenhütchen, bey der Heuerndte mit; kochte für die Arbeitsleute; half den Flachs einthun, und zurechte machen; gieng mit aufs Kornfeld hinaus; hatte die Aussicht über die Schnitter; sprach mit ihnen freundlich, und der Arbeit kundig; aß des Abends Milch mit ihnen; und war von jedermann geliebt, ohne ihrer Würde etwas zu vergeben. – Im Herbst sorgte sie für die Bearbeitung des Flachses und fürs Ausdreschen des Getraides; gieng mit in den Baumgarten, und half die Aepfel und die Birn' einsammeln. Im Winter besorgte sie die Kleidung ihrer Brüder, spann, oder machte Linnen; und versah noch dabey das ganze Jahr durch die Küche und die Haushaltung. Bey aller ihrer Arbeit war sie immer munter; trillerte ein Liedchen, oder scherzte mit ihren Brüdern. Der ältere, Karl, war stolz und geizig,[114] der zweyte: Wilhelm, war phlegmatisch und träg. Mit beyden machte sie sich also nicht viel zu schaffen, begegnete ihnen aber freundlich, uns gab ihren Schwachheiten, so viel als möglich, nach.
Aber unser Xaver war ein Mann für sie. Als Kind hüpfte sie immer mit ihm herum, und half ihm bey seinen kriegerischen Zurüstungen; sie spielte die Soldatenfrau, oder die Marquetenderinn; und hielts, wie er, mit dem König von Preussen. Oft giengen auch die beyden allein, die Hände freundschaftlich in einander geschlossen, nach dem Garten, oder in den anliegenden Hain. Da setzte sie sich ins hohe Gras, sah mit frohem Staunen alle Schönheiten der Natur, deren Betrachtung ihr immer das liebste war; hörte, mit lautem Aufjauchzen, dem Gesang der Nachtigallen und Grasmücken zu; indeß daß der Bruder Schmetterlinge haschte, oder Blumen pflückte, und sie ihr mit Lachen in den Schoos warf. Sie wüste die Blumen künstlich zu binden, oder machte einen Kranz draus; setzte ihn auf; und gieng so, vergnügt, nach Haus. Als sie älter wurde, und sich schon ums Hauswesen bekümmerte, spielte sie doch noch oft mit ihm des Abends; warnte ihn, wenn er zu muthwillig gewesen, und der Papa über ihn[115] erzürnt war; und er folgte ihrer Warnung. Da sie ein paar Jahr' als Kostgängerinn in einem Nonnenkloster lebte, vermißte er sie sehr und schrieb ihr, sobald er schreiben konnte, einen Brief zu. Nach ihrer Zurückkunft aus dem Kloster wollte sie ihn das Klavierspielen lehren; Anfangs hatte er grosse Lust, und war eifrig drauf; aber bald ließ er wieder nach, denn das Notenlernen war ihm viel zu langweilig. Er hingegen mußte ihr Phädri Fabeln und Terenz Komödien übersetzen, weil sie in den Zwischenstunden und an den langen Winterabenden gar zu gern ein gutes Buch las, und doch keines, oder wenige, hatte. Nachher kriegte sie von einem Preußischen Officier, der, im Burgauischen als Kriegsgefangner lag, mehrere gute, deutsche Bücher zu lesen. Je mehr sich die Seele ihres Bruders entwickelte, desto mehr gewann sie ihn lieb, und ward ganz seine Vertraute. Vielleicht kams auch daher, weil ihre Gesichtszüge sehr viel Aehnlichkeit miteinander, und mit den Gesichtszügen ihrer Mutter hatten.
Aber desto weniger Aehnlichkeit in der Gesinnung, im ganzen Karakter, und auch in der Bildung hatte ihre Schwester Salome mit ihr, die drey Jahre jünger war, als sie. Dieses Mädchen[116] sah nicht gut aus, denn sie hatte Sommersprossen, eine etwas aufgeworfne Nase, und ziemlich hellrothe Haare; und doch war sie auf ihre Bildung, und ihren vortheilhaften Wuchs übermäßig stolz. Eitelkeit war ihre Göttinn, und sie sann Tag und Nacht darauf, ihr neuen Putz und Flitterstaat zu opfern: und doch prangte sie im Dorf vor niemand, als Sonntags in der Kirche vor den Bauren, die ihren überfeinen Geschmack nicht einmal bewundern konnten. Für diesen Undank, dessen sich auch ihre Schwester schuldig machte, weil sie's selten bemerkte, wenn Salome mit einer neuen Erfindung, die oft in Veränderung einer Schleife bestand, auftrat, rächte sie sich aber, und brachte den grösten Theil des Jahrs bey einer alten Baase in München zu, wo sie sich von Hofkammerdienern, Läufern, und dergleichen Leuten bewundern, und von Damen, Kammerjungfern und Putzmacherinnen betadeln ließ. Die ganze Familie des Amtmanns, und Therese am meisten waren mit dieser Rache sehr zufrieden; denn Salome konnte nichts, als sich, und ihre Kleider im Spiegel begaffen; sich frisieren; zwo französische Arien singen, die sie nicht verstand; aufs Land und das Landleben schimpfen; spötteln, wenn man von der Stadt sprach, und nicht alles drinn bewunderte;[117] und endlich über jedermann, besonders über ihre Schwester die Nase rümpfen, weil sie das Unglück hatte, besser auszusehn als sie, und den einfachen Natürlichen Geschmack in Putz und Sitten, dem hökerichten parfumierten Stadtgeschmack vorzuziehen. Therese kannte die Stadt; sie war, nach dem Kloster, noch ein halbes Jahr da gewesen, und sehnte sich mit voller Seele in ihr stilles, ruhiges Dorf zurück; wo, statt des ewigen Getümmels der Karossen und der Menschen, Ruhe; Statt des cäremoniösen Wesens, das aus lügenhaften Komplimenten zusammengesetzt ist, alte deutsche schwäbische Offenherzigkeit; Statt der sogenannten feinen Lebensart, unverfälschte Unschuld und Wahrheitsliebe; und statt des Prunks in Häusern und Gemächern, einfältige, ungekünstelte Natur ihren Thron aufgeschlagen hat. Gesellschaft brauchte sie nicht viel, weil sie immer beschäftigt war, und ihren Xaver um sich hatte. Zuweilen gieng sie mit des Postverwalters Tochter, einem stillen sittsamen Mädchen, um. Statt für Ihr Vergnügen in einem angenehmen Umgang mit Freundinnen zu sorgen, hielt sie es für eine grössere und höhere Pflicht, ihrem rechtschaffenen Vater, der, seit dem Tode seiner Frau, immer einsam gelebt hatte, Vergnügen,[118] und das stille Landleben angenehm und abwechselnd zu machen. Sie war mehr seine Freundinn, als seine Tochter: denn er zog sie bey allen wichtigen Veränderungen in der Haushaltung zu Rath, weil er wuste, daß er sich auf ihre Einsichten verlassen konnte. Sie ehrte und liebte ihn über alles; In trüben Stunden suchte sie ihn zu erheitern, und spielte ihm auf dem Klavier vor. Kurz, sie war die Freude und Stütze seines Alters.
Auch jetzt gieng sie ihm, an der Hand ihres lieben Xavers entgegen, und die Freude, ihren Vater und Bruder wieder zu sehen, funkelte ihr aus den Augen. Sie erzälte erst, was während seiner Abwesenheit zu Hause vorgefallen sey; und fragte dann ihren Bruder, wie es ihm im Kloster gefallen habe? Dieser konnte nun des Redens kaum ein Ende finden, wie es ihm da so wohl gegangen sey: was für Ehre er genossen, was für Leute er da kennen lernen, und was er sonst alle schönes gesehen und gehört habe. Endlich sagte er, es sey nun ganz richtig, daß er auch ins Kloster gehen, und deswegen in etlichen Tagen nach der Stadt in die Piaristenschule kommen werde.
Die Schwester erschrack anfangs, und that, als ob sies nicht glauben könnte; aber Xaver berief[119] sich auf das Zeugnis seines Vaters, und dieser bejahte es. Sie wagte es jetzt nicht, etwas dagegen einzuwenden, ob ihr gleich die Sache sehr misfiel; aber sie dachte doch, noch etwas auszurichten, wenn sie mit dem Vater und dem Bruder allein darüber spräche.
Was hältst denn du davon? sagte Xaver zu Wilhelm? Du schweigst ja ganz still dazu. Freust du dich nicht drüber? – Je, was weiß ich? sagte dieser; Mich deucht, du thust ganz recht, Xaver! Es soll ein ruhiges Leben im Kloster seyn; und da ists gut, daß dus wühlst.
Wilhelm sieht alles von der Seite der Ruhe an; sagte der Vater. Ich wollte, du hättest soviel Leben, wie Xaver! Ruhe kann man schon suchen, wenn man erst brav gearbeitet hat; aber du willst eins ohne das andere. Hast du heut die Rechnung eingetragen?
Wilhelm. Nein, Papa; ich habs wahrhaftig vergessen. Nu, ich denk, ich wills morgen thun.
Der Vater. Ey, was morgen? Ich hab dir aber gesagt, daß du's heute thun sollst! Mit euch, Leuten, kommt man weit! Du wirst noch einmal[120] zu spät in Himmel kommen! – Therese, was werden wir heut zu Nacht essen?
Therese. Ich habe Tauben zurichten lassen; Papa, und Salat; weil's jetzt warm ist.
Der Vater: Gut, meine Tochter, du weist, was ich gern esse. – Deinem Bruder Xaver must du jetzt Wäsche zurecht machen, weil er unter fremde Leute kommt. Er kann bald abgehen müssen; ich warte nur auf Briefe aus der Stadt. Karl ist doch zu Hause, Wilhelm?
Wilhelm. Ja, ich glaube wol, Papa, er wird schreiben. –
Sie kamen nun aus Amthaus. Als sie durch den Garten giengen, sah der Vater, daß Therese die Blumen, vor dem Weggehn, schon begossen, und frischen Salat in die Lücken nachgepflanzt hatte, und lobte ihren Fleiß. Die Blumen dufteten ihr süsser, weil sie die Freude sah, die ihr Vater drüber hatte. Ich denke, wir essen heut in der Laube, sagte der alte Siegwart; der Abend ist lau und angenehm, und wir können hier die Nachtigall aus dem Gebüsch besser hören. Xaver gieng auf sein Zimmer, packte seine Bücher aus, und grüßte seinen ältern Bruder Karl, der noch am Schreibtische saß, und ihm einen kalten unfreundlichen[121] guten Abend wünschte, ohne weiter nachzufragen, wie es ihm die Zeit über gegangen sey?
Bald drauf setzte man sich in der Laube zu Tische; Therese trug mit angenehmer Geschäftigkeit das Essen auf. Sie war wie eine arkadische Schäferinn gekleidet, im weissen Gewand der Unschuld mit rosenroten Schleifen. Ihre schönen braunen Haare waren losgegangen, und flogen in der Luft, wenn sie durch den Garten hüpfte. Sie muste sich neben ihren Vater setzen, und ihm allerley erzälen. Mit ihrer gewöhnlichen Anmut that sie's zwar, aber nicht mit der, ihr sonst eigenthümlichen Munterkeit; denn das künftige Schicksal ihres Bruders schwebte ihr, wie eine Wetterwolke am sonst heitern Himmel, vor Augen, und erschreckte sie. Er saß ihr gegenüber; wenn er sie nicht ansah, blickte sie ihn halbverstohlen und mitleidig an; Ein paarmal hatte sie Mühe, Ihre Thränen vor ihm und ihrem Vater zu verbergen. Karl hingegen, der in Gedanken schon berechnet hatte, wie viel er durch den Entschluß seines Bruders, ins Kloster zu gehen, bey der Erbschaft einst gewinnen werde, sprach unaufhörlich von der vernünftigen Wahl Xavers, und von dem Glück das ihn erwartete, gleich als ob er fürchtete, sein Entschluß[122] möcht ihn wieder gereuen. Wilhelm nagte seine Taube langsam ab, und schwieg, oder sagte zuweilen noch: ja; damit man ihn nicht gar für eingeschlummert halten möchte!
Nach dem Essen gieng man noch ein bischen im Garten zwischen den Aurikeln und Levkojenstöcken auf und ab; es ward von Dorfgeschichten und Einrichtungen des Hauswesens gesprochen; der Vater gieng früh zu Bette, weil er vom Spatziergang etwas ermüdet war; Xaver auch. Therese konnte lange nicht schlafen, und sann ihres Bruders Schicksal nach. Tausend traurige und schreckliche Bilder, die die Phantasie, die Stille der Nacht, und der blasse Mond, der seine Stralen an die weisse Wand der Kammer warf, noch vergrösserte, stiegen vor ihr auf Sie schlief endlich unter Thränen ein. Gleich am Morgen gieng sie auf das Zimmer ihres Vaters, und brachte ihm seine Suppe; denn er trank niemals Kaffee; sie machte sich allerley zu schaffen, räumte die Papiere auf; stopfte seine Pfeife; hustete, weil sie reden wollte, und nicht konnte. Wenn ein Wort schon auf ihrer Zunge schwebte, unterdrückte sie es wieder. Als er gegessen hatte, gieng sie hinaus, um ihrem vollen Herzen Lust[123] zu machen, und ihres Vaters Pfeife anzustecken. Sie kam wieder, stellte sich an die Kommode, schlug die Augen nieder, krabbelte mit den Fingern, oder spielte mit einer Feder. Sie gieng ans Fenster, machte es auf und wieder zu, und fieng endlich, mit weggewandtem Gesicht an: Papa, ists denn wirklich Ernst mit Xaver? Soll ich ihm Weißzeug auf die Reise zurecht machen?
Der Vater. Allerdings, Therese! du wirst dich freylich wundern, daß ich so schnell einen Entschluß fasse, den ich selber nie vermuthet hätte. Aber ich hab dir schon gesagt, wie es dem Knaben im Kloster so wohl gefiel, und wie die Paters mir zusetzten, daß ich ihn der Kirche nicht entziehen sollte; und gestern fand ich ihn vollends ganz und gar verändert; er sah und hörte nichts, als das Kloster; seine ganze Seele haftet dran, und es wär sein Unglück, wenn man ihn jetzt davon losreissen wollte. Er ist so veränderlich nicht, als er scheint; ich habs oft erfahren. Was er Einmal recht fest gefaßt hat, das läßt er so leicht nicht wieder fahren.
Therese. Das ist schon gut, Papa; aber jetzt ist er noch, wie betäubt. Wenn er wieder zu sich selber kommt, und sieht, wie weit er[124] schon vorwärts gegangen ist, ohne daß er mehr zurück kann, wie wird's ihm dann gehen?
Der Vater. Du machst mir aufs neue bang, meine Tochter; ich war vorher schon nicht ruhig. Aber, sag, wie ichs anders hätte machen können? Der Knabe kommt ins Kloster; alles ist ihm neu, gefällt ihm, blendet ihn. Anton fragt, ob ich keinen Sohn ins Kloster geben wolle? Xaver bricht los, sagt ja; die andern Paters erfahren's; nehmen mich beym Wort, und stellen mir die Sache als eine Gewissenssache vor. Nun wußt' ich weder aus noch ein, und suchte mir nur dadurch Verzögerung und einen Ausweg zu verschaffen, daß ich Xavern versprach, er könnte einige Tage im Kloster bleiben. Vielleicht, dacht ich, wird ihn die Einsamkeit bald wieder auf andere Gedanken bringen, und ihm die Freyheit desto angenehmer machen. Aber es gieng umgekehrt. Er will von nichts anders mehr wissen, als vom Klosterleben. Ich kanns nicht ändern, und ich denke doch, daß es so auch gut gehen werde, da sein Trieb so stark und beynahe übernatürlich ist. Es würde mir überdieß auch schwer fallen, ihn auf andre Art in der Welt unterzubringen, da ich doch für euch genug[125] zu sorgen habe. Es ist dein Nutzen auch, Therese, wenn er so versorgt wird, und ich kann dir einmal dafür mehr zum Brautschatz geben.
Therese. Ach, Papa, daran mag ich gar nicht denken! Lieber wollt ich alles fahren lassen, als meinen Bruder, und gerade diesen, unglücklich sehen.
Der Vater. Ich weiß, wie du denkst, Therese, und ich sags auch nicht deswegen; es ist nur so nebenher. Aber jetzt kann ichs warlich nicht mehr ändern. Ich habe den Paters mein Wort gegeben, und sie haben meinetwegen schon an die Piaristen geschrieben. Doch auch das sollte nichts verschlagen, und ich wollt es schon so machen, daß ich mich auf eine gute Art herauszöge; aber Xaver würde nicht damit zufrieden seyn, und ich will meine Kinder zu keiner Sache zwingen, am wenigsten zur Wahl einer Lebensart, von der ihr künftiges Glück oder Unglück abhängt; du kennst meine Art schon. Wenn du glaubst, daß es schlechterdings sein Unglück ist, wenn er Mönch wird, so magst du meinetwegen dein Heil bey ihm versuchen, und sehen, was du ausrichtest! Ich wollte gern, daß es dem Knaben so wohl gienge, als er seiner Folgsamkeit und[126] seines guten Herzens wegen verdient! Sprich mit ihm davon!
Therese. Wenn Sie's erlauben, Papa, so will ich mit ihm sprechen, und ihm meine Meynung frey heraus sagen. Denn hier hilft das Schweigen nichts, man möcht es nachher zu spät bereuen, und sich Vorwürfe drüber machen.
Der Vater. Gut, meine Tochter, ich überlaß es deiner Klugheit; nur must du ihm das Klosterleben auch nicht gar zu traurig abmalen! Es möchte eine schlimme Wirkung bey ihm haben, da er einmal ganz dafür eingenommen ist.
Therese gieng nun mit etwas leichterm Herzen weg, als sie hergekommen war. Sie suchte ihren Bruder diesen Morgen noch zu sprechen; aber Wilhelm, der bey ihm auf dem Zimmer saß und durch keinen Vorwand wegzubringen war, hinderte sie daran. Den Nachmittag kam ein alter Prediger vom nächsten Dorf, den Therese oft auf ihren Spaziergängen besuchte, und, seiner Ehrlichkeit wegen, sehr lieb hatte. Der alte Mann freute sich recht herzlich, wie er hörte, daß Xaver der Welt absagen wollte, und wünschte ihm aufrichtig Glück dazu. Therese muste versprechen, ihn mit ihrem Bruder, eh er weggienge,[127] noch einmal zu besuchen. Den folgenden Morgen traf sie Xavern allein auf seinem Zimmer, als er eben das Leben des heiligen Franciscus vor sich aufgeschlagen, und das Blatt von P. Anton daneben liegen hatte.
Ey, guten Morgen, Herr Pater! sprach sie lächelnd; Immer so fleißig? Und was studieren Sie dann, wenn ich fragen darf? ... Im Leben des heiligen Franciscus. War das auch ein Klosterherr? oder wol gar auch ein Kapuziner?
Xaver. Freylich, unser Ordensstifter, Therese! Ein gar herrlicher und heiliger Mann.
Therese. So? Ja, was weiß ich auf unserm Dorfe hier? Da erfährt man nichts dergleichen.
Xaver. Du solltest's aber wissen! Könntest viel von ihm lernen! So gibts wenig Leute!
Therese. Nu, Nu! ich werde doch ohn ihn selig werden können? Meynst du nicht?
Xaver. Geh! du sprichst auch gar zu leichtsinnig! Kannst dergleichen Dinge nicht begreifen.
Therese. Ja, das glaub ich gerne. Aber nur nicht gleich so böse, Bruder! Das hast du doch im Kloster nicht gelernt? Sey ein bischen freundlich, Xaver![128]
Xaver. Herzlich gerne, liebe Therese! Nimm mirs nicht übel, wenn ich dich hart anfuhr! Ich war da so vertieft im Lesen, und habs warlich nicht so bös gemeynt.
Therese. Gut, gut! Wer wird auch gleich alles übel nehmen? und zumal dir? Ach, du weist nicht, wie ich dich so lieb habe, Bruder! – Und du wolltest uns verlassen? Gelt das war dein Ernst nicht? Bleib nur in der Welt! Sie ist so gut, und die Menschen drinn sinds auch.
Xaver. Das kann wol seyn, Schwester! Aber mir ists Ernst; ich muß ins Kloster.
Therese. Und warum denn, lieber Xaver? Kennst du auch die Welt und das Kloster, das du drum eintauschen willst? Ich seh, daß es dir Ernst ist, und muß einmal offenherzig mit dir reden, wenn du nichts dagegen hast.
Xaver. Was dagegen? Sprich nur frey heraus! Du thust ja ganz fremd gegen mich.
Therese. Nun, so hör denn an! Was ich sage, sag ich blos um deines Besten willen, und weil ich dich so lieb habe. Sieh, ich kenn das Klosterleben auch; habs zwey Jahre lang versucht und da kann ich aus Erfahrung reden. Ansangs gefiel[129] mirs auch wol; ich glaubte schon im Himmel zu seyn, und wollte nichts mehr von der Welt wissen. Da war lauter Eintracht und Liebe. Man hörte nichts, als: liebe Schwester! Engelsschwester! und dergleichen. Man küßte sich des Morgens, wenn man ausstand, gieng mit Küssen auseinander. Ich einfältiges Mädchen dachte, das ist immer so; der Friede muß wol aus der Welt ins Kloster gezogen seyn und bedaurte, daß ich nicht schon länger mich drein begeben hätte. Aber nach etlichen Wochen, da ich nicht mehr neu im Kloster war, giengs ganz anders. Erst entstunden bey Tische kleine Neckereyen; eine Nonne zog die andre auf, man verantwortete sich; ward böse; die Aebtissin winkte; das half eine Zeitlang; aber, wenn sie weg war, giengs gleich wieder an, und oft entstand ein solcher Zank, daß die Schwestern weinend auseinander giengen. Du solltest's nicht glauben; aber es ist mehr Eifersucht und heimliche Feindschaft da, als anderswo. Mir begegnete man zwar sehr freundlich, und den andern Kostgängerinnen auch, aber das hat seine Ursachen; so wie man dir auch freundlich begegnet hat. Man muß eine bittre Arzeney überzuckern, wenn sie hinunter soll; wo würden neue Schwestern und Brüder herkommen,[130] wenn man sie gleich anfangs alles Harte fühlen ließ? Soviel weiß ich, mich sollen sie gewiß nicht ins Kloster kriegen, wenn man mirs auch noch so golden abmalte! – – Glaubst du denn die Ruhe, und innere Zufriedenheit der Seelen wohne da? Ja, so dacht ich auch! Aber ich sah wol, wie so manche Nonne Morgens aus der Zelle schlich, mit verweinten Augen, die die ganze Nacht keinen Schlaf gesehen hatten. Glaub mir, Bruder, es ist traurig, zwanzig oder dreißig Frauenzimmer zu sehen, die zum Theil noch jung sind; wie sie, mit halbverloschnen Augen, mit abgebleichten, eingefallnen Wangen, da stehen; ihren Psalm absingen; und dann einen Blick zum Himmel aufheben, der, im tiefsten Ausdruck des Schmerzes, keine andre Wohlthat, als den Tod herabzuflehen scheint; Glaub mir, das ist traurig, Bruder!
Und wenn man erst in die Zellen kommt, wo sie ihren Thränen freyen Lauf lassen können; wenn sie da den Schleyer aufheben, der noch halb das traurige Gesicht bedeckt hatte! Bruder, das ist gar nicht zu beschreiben, was man da fühlt! Die heilige, keusche Brust, die nur ihren Seelenbräutigam eingeschlossen haben sollte, wird so oft von unwillkührlichen Seufzern emporgehoben, die einem ganz[131] andern Gegenstand geweiht sind. Der Mensch bleibt Mensch, in der Zelle, wie in der Welt! Da gibts innre Kämpfe! Die armen unschuldigen Opfer verdammen sich und ihr Gefühl, fasten und kasteyen sich, und ringen oft mit der Verzweiflung. Glaub! ich übertreibe nichts; blos Erfahrung hat mich das gelehrt. Eine junge Baronessinn, ohngefähr in meinen Jahren, oder höchstens zwey und zwanzig Jahr alt, hat mich zur Vertrauten ihres Jammers gemacht. Wenn ich an den Abend denke, wie sie mir im Mondschein ihre Geschichte erzählt hat, das Herz blutet mir. Ein Junker aus ihrer Nachbarschaft liebte sie; sie ihn auch; Er versprach ihr die Heirath, und die Eltern von ihrer Seite warens ganz zufrieden. Weil er Officier bey den Baiern war, so mußt er mit seinem Regiment zu der Reichsarmee. Er nahm zärtlich von ihr Abschied, versprach, ihr zu schreiben, und schickte ihr auch in den ersten zwey Monaten fünf Briefe. Auf einmal blieben sie aus. Sie wartete drey, vier Wochen; war in steter Angst, weil sie nicht wußte, ob er lebendig oder todt sey? fiel in eine Krankheit; phantasirte, nannte nichts als ihren Bräutigam, und lag so vierzehn Tage lang. Als sie wieder zu sich selber kam, war ihre erste Frage: ist ein Brief[132] da? Man konnte nicht mit Ja antworten, weil sie gleich den Brief gefodert hätte, und wollte doch nicht nein sagen; sie merkte es, phantasirte wieder, schlug sich wütend vor die Brust, und der Arzt besorgte eine gänzliche Zerrüttung ihres Verstandes. Sie erzählte mir Gesichte, die sie in diesem Zustande gehabt hatte, daß mir Grauen ankam. Man sann auf eine List, ihr zu helfen. In einem derer Augenblicke, da sie bey sich selber war, erzälte der Arzt: Man habe Nachricht von dem Lieutenant, daß er in einem Scharmützel in den rechten Arm sey geschossen worden, nun sey er aber ziemlich wieder hergestellt, und hoffe, bald wieder schreiben zu können. Die Nachricht davon sey an seine Eltern gekommen, und er habe sie zugleich zärtlich grüssen lassen! Diese Erdichtung half mehr, als alle Arzeney. Der Rückfälle in die Phantasie wurden weniger, ihr Auge war nicht mehr so wild, und blickte ruhiger umher. Ihre Kräfte kamen wieder, und nach vierzehn Tagen war sie in so weit wieder hergestellt, daß ihr der Arzt anrieth, auszufahren. Zweymal wurde sie von ihren Eltern begleitet; das drittemal fuhr sie allein mit ihrem Kammermädchen ... Fahrt zum Baron Steinburg nach Wettenheim! rief sie zum Kutscher,[133] als sie auf dem Feld war. Das Kammermädchen erschrack, und misrieth ihrs; Es sey zu weit; könn' ihr schaden u.s.w. Nichts! Sie wollte von den Eltern ihres Theodors selbst erfahren, was er mache, und ob er wieder hergestellt sey? – Was macht Er? Lebt Er? ist er wohl? rief sie zu der Baronessinn, als sie aufs Schloß kam. – Wer denn, gnädiges Fräulein? was wollen Sie? – – Mein Theodor, ihr Sohn; Ist er wohl? – – Ihr Theodor, Fräulein? Wissen Sie denn nicht, daß er sich vor einem Vierteljahre schon in Schlesien verheirathet hat? – Verheirathet! Ihr Sohn? Mein Theodor? Und so flog sie wieder in den Wagen, wo sie ohnmächtig in die Arme ihres Kammermädchens sank. Der Kutscher fuhr fort, ohne etwas davon zu wissen. Erst vor dem Dorfe draußen hielt er, auf das Schreyn der Kammerjungfer. Durch vieles Reiben der Schläfe und den Geruch des Englischen Salzes ward das Fräulein wieder so weit gebracht, daß sie die Augen aufschlug. Mit starrem Blick, und Verzuckungen des Mundes saß sie da, ohne sonst sich zu bewegen. Als man über eine Flußbrücke fuhr, machte sie eine Bewegung, als ob sie den Schlag an der Kutsche öfnen,[134] und ins Wasser springen wollte; aber, als ihr Kammermädchen sie hielt, blieb sie wieder unbeweglich sitzen. Sie kam nach Hause, lief die Treppen hastig hinauf, und rief ihrer Mama, die oben stand, zu: Er ist verheirathet! – Drey Wochen flossen unter den kläglichsten Umständen für meine Freundinn hin. Sie sagte nichts, als: Theodor! und: verheirathet! – Nach einem Vierteljahre ward sie wieder besser, und verlangte ins Kloster. Die Eltern wagten's nicht, ihr zu widersprechen. Nach dem Probjahr legte sie das ewige Gelübde ab. Man durfte nicht mit ihr von Theodor sprechen; sie verfluchte ihn, wenn sie seinen Namen hörte, und weinte dann wieder ganze Nächte durch! Vor drey Jahren kam Theodor zurück; wollte seine Braut sprechen, der er immer treu geblieben war; hörte, sie sey im Kloster; rannte zitternd hin, kam ans Gitter, sprach sie, und fiel zugleich mit ihr in Ohnmacht. Man brachte ihn ins Wirthshaus, da erzälte ein unvorsichtiger Bedienter alles, und besonders, daß seine Mutter ausgesprengt habe: Er sey verheirathet. Nach einer schrecklichen Nacht, die er unter tausend Kämpfen zugebracht hatte, ritt er mit verhängtem Zügel nach dem Schlosse seines[135] Vaters; foderte, die Mutter zu sprechen, und durchstach sie mit dem Officiersdegen. Seitdem weiß man nichts von ihm, wo er hingekommen ist? Ein einzigsmal glaubte man ihn bey Nacht im Klostergarten gespürt zu haben. Es stund jemand unten an der Zelle meiner Freundinn, und sprang davon, als eine Nonne aus dem Fenster sah. Sie schmachtete noch ein Jahr ihr Leben hin, sah einem Todtengerippe ähnlicher, als einem Menschen, sprach selten, und allein mit mir, wenn ich bey ihr in der Zelle war. Ein einzigesmal hatte sie Kraft genug, mit mir von ihm zu sprechen, und mir die ganze Geschichte zu erzälen. Sie beschloß damit: »Geh nicht ins Kloster, Herzensfreundinn, was dir auch begegnet! Mitten in meinem Elend war ich in der Welt noch glücklicher, wo ich doch Freunde hatte!« Drey Wochen nach diesem starb sie. Ihr letztes Wort war: Jesus, stärk Ihn! – – Du bist gerührt, Xaver! Glaub mir, Bruder, solche unglückliche Seelen gibts im Kloster noch genug. Es ist ein Sammelplatz von Elend. Die meisten hat das Unglück hineingetrieben; und nun kommt die Reue noch hinzu. Ich wüste nicht Eine Nonne, wo ich war, die ihren Entschluß nicht bereut hätte, wenn[136] sies gleich nicht sagte. Verdruß, Schwärmerey, Eigennutz der Eltern und Verwandten, und Uebereilung sinds allein, die das Kloster füllen; diese haben ihre Gränzen, hören wieder auf; aber das Gelübde, Einmal ausgesprochen, ist ewig unauflöslich.
Xaver. Das ist schon recht, Therese, du sprichst hier von Nonnenklöstern, und da weiß ich nichts davon, hab mich auch niemals drum bekümmert, aber bey uns – – –
Therese. Nun? ists bey euch wol anders? Seyd ihr denn nicht auch Menschen, wie wir? Habt ihr nicht auch Fleisch und Blut? Bey Euch, denk ich, sollt's noch ärger seyn, da ihr die Freyheit mehr gewohnt seyd, stärkere Leidenschaften habt, und euch weniger schmiegen könnt, als wir. Wir müssen uns so vieles in der Welt gefallen lassen; sind an Unterwerfung und Gehorsam schon von Jugend auf gewöhnt; leben immer einsamer, als ihr, und sind oft ganze Wochen lang zwischen unsre vier Wände eingesperrt, da ihr indessen volle Freyheit habt, in der Welt anzufangen, was ihr wollt. Von uns sollte man weit eher denken, daß das Kloster für uns wäre, und doch ists nicht.[137]
Xaver. Gut, Schwester! Aber das must du doch auch sagen, daß zwischen Manns- und Nonnenklöstern ein gar himmelweiter Unterschied ist. Ihr seyd ewig eingesperrt, und wir können zu gesetzter Zeit ganze Tage lang herumgehen; können unter Menschen leben, wie vorher.
Therese. Ja, das ist schon etwas; aber viel hast du nicht damit gewonnen. Wenn Ein Unglück kleiner ist, als das andere, so bleibts deswegen immer noch ein Unglück, dem man ausweichen muß, wenn man kann. Die Hauptsache bleibt doch immer dieselbe; du must auch das Gelübde des Gehorsams, der Keuschheit und der Armut beschwören; must Dinge beschwören, gegen die sich deine ganze Natur empört. Für was gab denn Gott uns Freyheit, wenn wir sie nicht brauchen sollen? Warum schuf er zweyerley Geschlechter, wenn sie sich durch Mauren von einander absondern wollen? Und Geld und Gut sind doch auch Gaben Gottes; soll man sie verachten und wegschmeissen, und von andrer Menschen Arbeit leben? Ich glaube nicht, Xaver, daß das recht ist; und sich selber unglücklich machen, soll man auch nicht.[138]
Xaver. Du bist streng, Schwester, und von der Seite hab ichs noch nie angesehen. Ja, wenn man sich ins Kloster einsperrt, und keinem Menschen dienen will, als sich; dann, glaub ich, ist das Mönchsleben unverantwortlich; aber, sieh, so, wie ichs habe kennen lernen, ist es ganz was anders. Ich hab dir vorgestern vom P. Martin, und vom P. Gregor, und noch mehr vom P. Anton erzält, was das für Leute sind. Da must du doch gestehen, daß sie hundertmal mehr Gutes thun, als andre Weltmenschen.
Therese. So viel mehr Gutes eben nicht; und dann sind das ausserordentliche Leute, deren es wenig gibt, und die gewiß in der Welt eben so viel Gutes würden ausgerichtet haben. Sieh nur unsern Papa an, wie der um die Menschen sich verdient macht! Er hält das ganze Dorf in Ordnung, verschafft dem Fürsten seine Abgaben, ohne daß die Bauren drunter leiden. Jedermann im Dorf hat ihn lieb, und segnet ihn. Allen Armen, die es werth sind, thut er Gutes. Die selige Mama hat er, wie sich selbst geliebt, und ihr diese Welt zum Himmel gemacht. Uns hat er mit der grösten Sorgfalt fromm und christlich erzogen, daß wir gute Menschen werden, und der[139] Welt nützen können. Wir haben tausend Gutes von ihm gelernt, tausend Wohlthaten genossen, und geniessen sie noch täglich. Sag einmal, Bruder, ist das nicht ein Leben, das wohlthätig ist, und Gott wohlgefallen muß? (Xaver weinte) Und so sieh jeden rechtschaffnen Hausvater hier im Dorf an, ob der nicht auch thut, was er kann? Ob er nicht auch Segen in dieser und in jener Welt einerndten muß, ohne eben ins Kloster zu kriechen?
Xaver. Ich glaub aber, Schwester, daß ich mehr ins Kloster taug, als in die Welt. Daß ich da mehr Gutes ausrichten kann, als anderswo. Gott weiß, daß ich keine andre Absicht habe, als den Menschen so viel Guts zu thun, als in meinen Kräften ist. Darauf hab ich immer gesehen. Und da kenn' ich für mich, keinen Stand, in dem's besser angienge, als im Geistlichen. Was mein eignes Glück betrift, so find ichs gewiß nirgends eher, als im Kloster.
Therese. Und das ist eben, was ich fürchte, und weswegen ich mir deinethalb so vielen Kummer mache. Ich glaube, daß du für nichts weniger bist, als für's Kloster. So ein muntrer frischer Knabe, wie du bist; an dem alles lebt und Bewegung ist; der soll da in einer finstern[140] Zelle sitzen, wo der Mond und die Sonne nicht hinscheint; soll ewig Ave Maria, und Rosenkränze beten; Psalmen singen, und im Brevier lesen; soll mit alten mürrischen Leuten umgehen, die an der Welt, die für dich so viel schönes hat, keine Freude mehr finden; soll sich einem eigensinnigen Prälaten unterwerfen, und thun, was dem einfällt. Nein, Bruder, das kann unmöglich für dich seyn! Bedenk nur selber, wie dir zu Muthe ist, wenn du einmal bey schlimmem Wetter, oder wenn du krank bist, ein paar Tage lang zu Hause sitzen must! Gleich fehlt dir's überall, bist verdrüßlich und hast an nichts keine Freude mehr. Was will nun das sagen, gegen eine ewige Gefangenschaft, die erst mit dem Tod ein Ende nimmt? Ich bitte dich, Bruder, um der Mutter Gottes, und um aller Heiligen willen, überleg's wohl! Ich kann dir nichts einreden; aber rathen will ich dir, und muß ich dir. Du weist, was ich auf dich halte. Nach dem Papa hab ich keinen Menschen auf der Welt so lieb, wie dich. Und ich sollte dich unglücklich sehen, da ichs doch hätte verhindern können, – Sieh, wenn du geistlich werden willst, weil du glaubst so am meisten Gutes thun zu können, warum wirst du nicht ein Weltgeistlicher, wie der alte Pfarr,[141] der gestern bey uns war? Der thut gewiß so viel Gutes, als ein Mönch im Kloster. Wart, wir wollen heut gleich zu ihm gehen, und du sollst dich wundern, was das für ein Mann ist! Ein Weltgeistlicher kann doch immer noch des Lebens mehr geniessen, und glücklicher seyn. – Nicht wahr, Bruder, du thust mirs zu Gefallen, und besinnst dich?
Hier nahm sie ihn bey der Hand, sah ihn lächelnd, und mit Thränen in den Augen an. Xaver konnte sich nicht länger halten, fiel ihr um den Hals und schluchzte. Schwester, sprach er, ich weiß nicht, was ich sagen soll? Ja, besinnen will ich mich, das versprech ich dir; will nicht unbedachtsam handeln; Nein, bey Gott nicht! Ich will alles überlegen; will zurückgehen, wenn ich kann; kannst dich drauf verlassen. Laß mich nur allein, Schwester! daß ich weinen kann, und mich besinnen!
Sie gieng weg und warf noch einen Blick auf ihn, der mehr sprach, als hundert Worte. Xaver war in der äussersten Beklemmung. Nur noch ein paar Worte, und er hätte ganz gewankt. Die Reden seiner Schwester giengen ihm tief ins Herz, weil sie wahr waren, und er sie von Herzen liebte. Sie hatte Bedenklichkeiten in ihm rege gemacht, an die er vorher niemals gedacht hatte. Nunmehr[142] ließ er seinen Thränen freyen Lauf, lief im Zimmer auf und ab, und rang die Hände. Was soll ich thun? war sein einziger Gedanke. Noch unentschlossen warf er sich auf seinen Stuhl, und da fielen ihm die Anmerkungen des P. Anton in die Augen. Auf einmal war seine ganze Seele im Kloster; alles fiel ihm wieder ein, was ihn da so sehr gerührt hatte. Er sah den P. Anton vor sich. Was wird der alte Mann sagen, dachte er, wenn du so bald wieder wankelmütig würdest? Wie würd' er sich betrüben? Auf einmal wäre seine Freundschaft und Liebe hin! – Solche, und ähnliche Gedanken stiegen schnell und unvollendet in ihm auf. – – Nein, ich kann nicht anders! Muß ins Kloster! rief er laut, und sprang von seinem Stuhl auf. Seine Seele fühlte sich bey diesem Entschluß wieder ruhiger, die angenehmen Vorstellungen vom Klosterleben stellten sich ihm wieder dar, und machten ihn alles andre vergesssen. – – Das will ich thun, dachte er, und das kann ich auch; ich will meiner Schwester versprechen, alles wohl zu überlegen, und vor ein paar Jahren keinen gänzlichen Entschluß zu fassen. Find ich, daß sie in ihren Besorgnissen Recht hat, dann kann ich immer noch ein Weltgeistlicher werden.[143] Aber sonst ists aus, und nichts kann mich davon abbringen! –
Als er hierauf aus dem Fenster in den Garten, und seine Schwester drinnen sah, gieng er zu ihr hinunter, grüßte sie freundlich, und sagte ihr, daß er sich so weit entschlossen habe, nicht blos auf einen Mönch, sondern auch auf einen Weltgeistlichen zu studieren, und vorjetzt sich weiter für nichts zu bestimmen; mehr könne er nicht thun, so lieb er sie auch habe.
Sie war es zufrieden, dankte ihm für seine Liebe, und sagte, er müßte freylich am ersten seiner Einsicht und Ueberzeugung folgen; vorjetzt wollten sie von der Sache nicht mehr sprechen, weil es doch nichts helfe. Sie wolle nun sorgen, daß seine nötigsten Kleider in ein paar Tagen fertig würden, wenn er ungefähr bald abreisen müßte. Das übrige könne man ihm leicht nachschicken, da die Stadt ja nur sieben Stunden von ihnen entfernt liege.
Auf den Nachmittag, sagte sie, gehn wir doch zu meinem lieben Prediger? – – Recht gerne, Schwester, wir müssen doch die kurze Zeit, die wir noch beysammen sind, recht nutzen.[144]
Nun giengen sie zu Tische. Es wurde viel von Xavers künftigen Einrichtungen auf der Schule gesprochen, denn Therese hatte, noch vor dem Essen, ihrem Vater gesagt daß sie im Wesentlichen nichts bey ihrem Bruder ausgerichtet habe, und daß er sich den Entschluß, ein Geistlicher zu werden, nicht benehmen lasse. Nach dem Essen, sagte sie, wollen wir, wenn Sies erlauben, nach Windenheim zu dem Pfarrer gehen, dem wirs gestern versprochen haben, vielleicht kommt dem Bruder das Amt eines Weltgeistlichen eben so angenehm und reizend vor, als das Mönchsleben; es wäre für ihn doch immer besser, wenn er jenes dem andern vorzöge. – – Als man abgegessen hatte, besorgte Therese noch einige häusliche Geschäfte, und gieng um 3 Uhr mit ihrem Bruder nach Windenheim. Auf dem Wege dahin freuten sie sich der schönen Gegend, und der blühenden Jahrszeit; sie riefen tausend angenehme Auftritte aus den Jahren ihrer Kindheit zurück; versprachen sich, einander fleißig zuzuschreiben, und sich alle Heimlichkeiten ihres Herzens zu entdecken. Xaver mußte auch versprechen, übers Jahr in den Ferien, seinen Vater und sie zu besuchen.[145]
Sie kamen nun ans Pfarrhaus; der Prediger, der eben im Fenster lag, kam ihnen mit ungemeiner Freundlichkeit entgegen. Nun, meine Tochter, (so nannte er Theresen) das heiß ich recht Wort gehalten! Seyd mir tausendmal willkommen, lieben Kinder! Setzt Euch, wenn ihr müde seyd! Womit kann ich aufwarten? Sagt's nur frey heraus, ob ihr lieber Wein, oder Kaffee wollt? Alles steht Euch hier zu Diensten. Was beliebt euch?
Therese. Nichts als frische Milch, wenn wir bitten dürfen. Sie wissen, Herr Pfarrer, daß ich nicht um Essens und Trinkens willen zu Ihnen komme.
Pfarrer. Nun ja; Milch sollt ihr nachher auch bekommen, wenn wir ins Gärtchen gehen. Susanne! (zu der Haushälterinn) mach sie nur indessen eine Schaale Kaffee! – Und wie stehts denn zu Hause? der Papa ist doch gesund?
Xaver. Ja; Er läßt sich Ihnen empfehlen, Herr Pfarrer!
Pfarrer. Vielen Dank, junger Herr! Nun, in ein paar Tagen wirds wohl abgehen, in die Stadt? Ja, ja! Gott segne seinen Entschluß! Und laß den Papa Freud an ihm erleben![146]
Therese. Aber, Herr Pfarrer, ich hab heute noch mit ihm drüber gesprochen. Glauben Sie nicht auch, daß er besser thäte, wenn er ein Weltgeistlicher würde, und so etwan einmal als Pfarrer in unsre Nachbarschaft käme? Das Kloster, fürcht ich, taugt nicht für ihn, oder er nicht für's Kloster.
Pfarrer. Meine Meynung wär's freylich auch, Jungfer Therese. Aber in dergleichen Dingen läßt sich nicht gut rathen. Die Klosterherren sind selten gute Freunde von uns, ob sie uns gleich das Geld für's Meßlesen hundertmal wegschnappen; und da könnt mirs nur übel ausgelegt werden, wenn ich ihm davon abriethe. Ich möchte gern das Bischen Jahre, das ich noch zu leben habe, im Frieden hinbringen, daß man nicht nach meinem Tode sagte, ich habe mich mit niemand vertragen können. Werd er nur ein frommer Mann, dann ists einerley, wie sein Kopf geschoren ist, halb oder ganz! Und er kann sich ja auf der Universität immer noch besinnen, welche Weihe er annehmen will? Es gibt im Kloster brave Leute, Jungfer, wie bey uns, und auch schlimme. Wenn er sich nur in die Regel schicken kann, das ist das Hauptwerk, und da muß er sich am meisten drüber prüfen! – – Da hab ich eben eine[147] traurige Nachricht gekriegt. Mein Bruder in Burgau ist gestorben, und hinterläßt sechs vater- und mutterlose Waisen. Ich habs zwar schon immer im Sinn gehabt, daß ich für sie sorgen will; und das Bischen Vermögen, was ich von meinem Einkommen zurückgelegt habe, fällt ihnen zu; aber was hilft Kindern Geld und Gut, wenns an der Erziehung fehlt? Man weis schon, wie's bey fremden Leuten geht. Nun, nun, Gott wird sich ihrer auch annehmen; er ist doch der rechte Vater. Nun ist niemand mehr von uns übrig; wir waren fünf Geschwister, und sind alle weggestorben, bis an mich, ob ich gleich immer der schwächlichste unter ihnen war. Aber hätt ich auch nicht so ordentlich und mäßig gelebt, ich wäre längst nicht mehr da. Kinder! ich sag immer: Ordnung, und Mäßigkeit ist die beste Arzeney! Laßt euch das zur Regel dienen, und ihr werdet mit Freuden alt. So hat man sich nichts vorzuwerfen, wenn der Tod kommt. Ich habs Gottlob! bey meinen Bauren auch so weit gebracht, daß man selten einen aus meinem Dorf betrunken sieht, und Sonn- und Feyertags beym Wirtshaus vorbeygehen kann, ohne das ärgerliche Gejuchz zu hören. – – Ist der Kaffee schon fertig, Susanne?[148] Nun, meine Kinder, laßts Euch belieben! Zu meiner Zeit war das freylich auch nicht; Aber, andern Leuten zu gefallen, muß man schon so etwas mit machen. Nur immer mäßig! sag ich, und zu seiner Zeit! Das hat mir immer am Klosterleben wohl gefallen, daß da alles so ordentlich hergeht. Wenn nur alle folgen wollten! – – Tabak rauchen thut er wol noch nicht, Xaver? Es ist auch nicht nötig; fang ers nur nicht an! Im Kloster muß ers doch wieder aufgeben. Ich wär nie dazugekommen, wenn man mirs nicht einmal des Zahnwehs wegen angerathen hätte; und da blieb ich eben so dabey, weil mir's taugte. Täglich eine Pfeife; mehr nicht! Heut rauch ich, um des Kaffees willen, zwey. – – Schenk sie ein, Susanne! Sie kanns besser machen, als ich. So? Sie trinkt viel Milch, Jungfer Therese? Das ist recht; ist auch viel gesünder. Was macht denn P. Anton im Kloster, junger Herr? Ist er wohl auf? Das ist ein braver Mann. Ich seh ihn gern in meinem Dorf, weil er die Bauren auch zur Mäßigkeit, und andern christlichen Tugenden anhält.
Xaver. Er befindet sich recht wohl, Herr Pfarrer, das ist gar ein heiliger Mann.[149]
Pfarrer. Weiß wohl. Bin mit ihm auf Schulen gewesen, und hab ihn immer gern gehabt. – – Nun, wenn ihr getrunken habt, so gehn wir, denk ich, in den Garten. Es ist gar zu schön, wenn alles so um einen her blüht! Man wird wieder mit den Bäumen jung. Sie muß doch meine Einrichtungen sehen, Jungfer Therese, die ich dieses Jahr in meinem Garten gemacht habe. Mich dünkt, es wird ihr gefallen; Sie versteht es.
Therese. Ja! Herr Pfarrer, wenns Ihnen gefällig ist, so gehen wir. In der frischen Luft ists jetzt am Besten, und in Ihrem Garten kann man immer etwas lernen.
Sie gab ihm mit der liebenswürdigsten Ungezwungenheit die Hand, und gieng über den Hof nach dem Garten hin; Xaver folgte nach. Hier, meine Tochter, sagte er, gleich beym Eingang ins Wurzgärtchen, seh sie, wie die Apricosen- und Pfirsichbäume geblüht haben! Die Frucht setzt schon an, und wenns der liebe Gott vor Frost oder Hagel bewahrt, so werden die Bäume tragen, daß sie brechen möchten. O sie hätt es sehen sollen, wie die Blüthe so gar herrlich war, daß man kaum das Auge davon wegwenden konnte! Mitten in[150] der Nacht konnt' ich noch an meinem Fenster die Apricosenblüthe durchschimmern sehen, und da überdacht ich, wie der liebe Gott so gut ist, daß ein Baum erst durch seine Schönheit das Auge, und dann noch durch seine Frucht den Gaumen weiden muß. Wenn dann der Abendwind durch die Blüthen säuselt, und den süssen Geruch mir zuweht; dann ist mirs oft, als fühlt ich Gottes Gegenwart leibhaftig, und müßt mich schnell vor ihm niederwerfen und anbeten! O es ist ein herrlich Ding um die Welt! Alles ist so schön, und jeder Monat hat seine eigne Schönheit, aber doch der May am meisten! – – Da seht mir nur Wundershalb den Kirschbaum an! Ists nicht, als obs Ein Strauß wäre, da man kaum das Laub dran sieht! Hier in den Einfassungen hab ich Blumen hingepflanzt, sieht sie; es ist ganz was neues. Vorher war alles Krautland; aber, dacht ich, man muß doch auch etwas Augenlust haben; und da hat mir des Barons Gärtner Tulpen- und Narcissenzwiebel, auch Aurikeln und gelben Lack geschenkt. Mit den Tausendschönchen hab ich da die Beeten eingefaßt, weil sie jeden Monat neu blühen. Da hab ich nun so meine Freude, nach dem Mittagsessen, oder Abends in der Kühle, daß[151] ich nach den Blumen sehe, sie wart' und sie begiesse. Jedes Stöckchen liegt dann meinem Herzen näher; jedes kenn ich, und seh täglich, wie's heran wächst, und zunimmt! Es ist sonderbar; aber nicht wahr? man hat alles so lieb was man selbst pflanzt, und heran zieht?
Therese. Ja wohl, Herr Pfarrer, mir gehts eben so; und wenn mir eine Blume welkt, oder vom Wurm verdorben wird, da bin ich so traurig, als ob ich, weis nicht was? verlohren hätte.
Pfarrer. Recht, Jungfer Therese! Da hab ich denn so meine Gedanken, was der liebe Gott für eine Freud und Glückseligkeit empfinden muß, unter dessen Augen und durch dessen Sorgfalt Menschen, Thier und Pflanzen so heranwachsen und gedeihen! Da ist mir denn so wohl, bey dem Gedanken, daß ich weinen muß. Lieben Kinder, man ist so selig, wenn man sich Gott in der Nähe denkt, und lernt sein Vaterherz immer mehr kennen. Warlich für den Gebrauch unsrer fünf Sinne können wir Ihm nie genug danken. Durch sie wird man am meisten mit ihm bekannt; mit dem Verstand geht's viel zu langsam. – – Seht ihr, wie der Salat schon so kopficht wird! Das ist Abends mein rechtes Labsal, wenn's so heiß ist,[152] und ich mich mit einem Gericht davon abkühlen kann.
Therese. Ey der Tausend! Ihre Erbsen sind ja schon so hoch; sie blühen bald.
Pfarrer. Ja, Jungferchen, das sind Zuckererbsen, aus des Barons Garten. Die hab ich auch selbst gepflanzt. Auf den Herbst kann ich ihr wol auch Körner davon geben, sie muß sie aber weit auseinander stecken, weil sie starkes Kraut geben. Und was sagt sie denn zu meinen Kartoffeln? Kommen die nicht schön heraus? Man dürfte wol mehr bey uns pflanzen, weil's ein kostbar Essen ist, und einem recht aushilft, wenn Gott einen Miswachs beym Getraide schickt. Ich hab auch meinen Leuten schon viel gegeben, und sie pflanzen's häufig. Die armen Leute könnten manches besser einrichten, wenn mans ihnen nur sagte, und sie mit Rath unterstützen wollte.
Xaver. Ja, so machts der Pater Anton, der lehrt die Bauren allerley Handgriffe beym Ackerbau.
Pfarrer. Brav! brav! Gott segn' ihn dafür! Ich sag immer, man muß für den Leib, wie für die Seele sorgen, wenn man ein rechtschaffner Pfarrer seyn will; denn was ist die Seel' ohne[153] den Leib? – Mit den Cichorien hier will ich eine Probe machen. Man rühmt so viel davon, daß sie einen herrlichen und gesunden Trank geben. Wenn das ist, so brauchen wir nicht so viel Geld ausser Lands zu schicken, zumal da der gewöhnliche Kaffee für uns gar nicht gesund ist. – Da seht einmal den herrlichen Apfelbaum! Sieht er nicht aus, wie das liebe Morgenroth? Mein Gott! Die Augen vergehen einem, wenn man ihn lange ansieht. Und wie süß er duftet! – – Da leben nun von Einem Baum tausend Würmchen, Käfer, und Bienen, die sich ihres Daseyns freuen, und im Duft herumtaumeln; und hintennach haben wir den vollen Segen davon einzuerndten. Hier im Baumgarten hab ich nun mein rechtes Leben; da gibts immer was zu thun; Raupen abzunehmen, nach der Wurzel und dem Stamm zu sehen, daß er nicht brandig wird; Zweige einzuimpfen, und im Herbste säg ich die verdorrten, oder überflüßigen Aeste ab, um den andern Luft zu machen. Da verschaff ich mir Bewegung, und erhalte mich gesund. So kann man sich das Landleben angenehm und unterhaltend machen, daß man sich nie nach der Stadt sehnt. Jungfer Therese weis das wohl.[154]
Therese. Ja, Herr Pfarrer, das ist wahr; in der Stadt möcht ich auch nicht leben. O Sie hätten gestern unsern Garten sehen sollen, wenn's noch Zeit gewesen wäre! Da blüht alles auch so voll. Der Apfelbaum an des Papa Zimmer ist besonders schön. Man glaubt, er sey überschneyt, so weiß ist er. Und der Zuckerbirnbaum; schöners kann man gar nicht sehen ... Ey, da kommt ja ein Baurenmädchen hergewackelt! Was das Kind für schöne blaue Augen hat; und so ein offenes Gesicht!
Pfarrer. Das ist meines Nachbars Mariekchen; da hab ich so meine Freude mit, und spiele manchesmal mit ihr. Ich kann mir nichts liebers denken, als so ein kleines unschuldiges Geschöpf, wenn's so eben zu sprechen anfängt. Alles ist so natürlich, und so unverdorben! – – Komm, Mariekchen! Küß das Händchen von der Jungfer, da! Darfst dir nicht fürchten; Sie hat die Kinder auch lieb. Komm! verneig dich schön! – So!
Und nun nahm der liebe Mann das Kind auf den Arm; küßte und herzte es, brach ihm Blumen aus dem Gras ab; nahm sein Händchen in den Mund; das andre war um seinen[155] Hals geschlungen. Hielts Theresen und Xavern hin, daß sie's küssen sollten; ließ es laufen, und aus Scherz halb fallen; dann schenkt' er ihm einen Kreuzer, als es gehen wollte, und führte es bis an die Thüre. Xaver und Therese lächelten einander zu, und freuten sich über die schöne Herablassung des ehrlichen Alten, und als er von der Gartenthüre wieder zurückkam, sagte
Therese. Es ist Jammerschade, Herr Pfarrer, daß sie nicht auch Kinder haben! Sie würden durch ihre Liebe lauter Engel aus ihnen machen.
Pfarrer. Das ist lang mein Kummer gewesen, Jungfer Thereschen! Aber, lieber Gott, wir dürfen ja keine Kinder haben. Uns armen Leuten hats die Kirche ja verboten. Es ist freylich hart; aber in die Ordnung muß man sich nun einmal schicken. Ich tröste mich mit meinen Untergebenen, daß ich die durch Lieb und Treue zu meinen Kindern mache. Wer weis, obs mein Glück gewesen wäre, wenn ich eigne Kinder hätte? Man ist oft auch sehr unglücklich mit. Ha, ha! da bringt meine Susanne Milch!
Wollen wir nun in die Laube gehen, und sie dort essen?[156]
Sie giengen mit einander hin. Therese rieb den Zucker und das Brod, und streute es über den Milchrahm her. Sie assen so vergnügt, wie eine Familie der Erzväter. Therese saß in ihrem Sonnenhütchen da, und würzte die Kost durch ihre Freundlichkeit und den heitern Scherz. Der alte Prediger war so munter, wie ein Jüngling. Xavers Seele war voll Ruhe und voll süsser Wehmuth. Niemand hatte die glückliche Gabe mehr, wie Therese, sich in einen jeden Charakter zu schmiegen, und seine Aufmerksamkeit zu erhalten, ohne eitel zu seyn, oder ihre Grundsätze zu verleugnen. Sie war frölich bey den Frölichen; heiter bey den Heitern; ernst und aufmerksam bey gesetztern oder ältern Leuten, und erhielt dadurch die Zuneigung aller. Es war ein angenehmes Schauspiel, mit welcher Kentnis und mit welchem ganzen herzlichen Antheil sie sich mit dem Prediger von lauter Dingen unterhielt, die Ihm wichtig waren, wie sie sich nach seinen Pfarrkindern, nach seinen Verwandten, nach seinem Zehenten, und besonders nach der Einrichtung seines Obst- und Wurzgartens erkundigte; mit welcher Lehrbegierde sie ihn hörte; wie angenehm sie ihm kleine Geschichten aus der Haushaltung[157] und der benachbarten Gegend erzälte! Der alte Mann unterhielt die beyden mit der treuherzigsten Laune; mischte allerley gute Lehren in seine Reden mit ein, und freute sich der Aufmerksamkeit, mit der ihm die beyden zuhörten.
Abends, als sie zurückgingen, begleitete er sie noch vors Dorf hinaus; drückte Theresen die Hand, und wünschte Xavern noch einmal von Herzen Glück zu seinem Vorhaben.
Die beyden Geschwister theilten sich ihre herzliche Freude, und ihr Wohlgefallen an dem Betragen des ehrlichen Landpredigers mit. Du siehst nun, Bruder, sagte Therese, wie man in allen Ständen, und besonders auch in diesem, Gutes thun kann! Was kann reizender seyn, als das Leben eines Mannes, dessen ganzes Dorf gleichsam eine einzige Familie ausmacht, weil er ihrer aller Vater wird. Der brave Pfarrer hat noch tausend gute Eigenschaften, die man nur nach und nach, und gleichsam beyläufig erfährt. Er gibt seinen Bauren guten Rath, wenn sie einen Proceß anfangen wollen. Er misräth es ihnen, und versöhnt sie miteinander. Wenn sie krank sind, kommen sie zu ihm, klagen ihm ihre Noth, und er schreibt ihnen Gesundheitsregeln[158] vor, oder theilt ihnen einfache und unschädliche Arzeneyen mit. Sieh, so ein Mann könntest du auch werden, wenn du wolltest.
Xaver. Das kann ich im Kloster auch, wie der Pater Anton. Aber ich versprech dir doch, Schwester, daß ich mich noch recht bedenken, und zu nichts entschliessen will, bis ich alles streng geprüft habe. Die Zeit ist noch lang bis dahin; wer weis, was noch alles dazwischen vorfällt?
Therese. Nun, wenn das ist, Xaver, so will ich mich beruhigen; und jetzt auch nicht weiter davon reden.
Sie war auch wirklich seit der Zeit seinethalben weit ruhiger, und hoffte gewiß, daß ihr Bruder sich noch anders bedenken, und vom Klosterleben abstehen werde. Jetzt kamen sie, beym schönsten Abendrot, das den halben Himmel färbte, bey ihrem Vater wieder an; assen in der Laube, und erzälten ihm, mit rührender Einfalt, was sie bey dem Prediger gesehen und gehört hätten; wie er so ruhig und vergnügt mit seinem Gott und der ganzen Welt lebe, und was er für schöne Einrichtungen in seinem Garten gemacht habe. Der Vater stimmte mit in das Lob des braven[159] Mannes ein, und sagte, daß seine liebe Therese auch viel Gutes von ihm gelernt habe. Sie lächelte, schlug die Augen nieder, und ward roth.
Den andern Morgen kam ein Bote aus der Stadt und brachte einen Brief vom obersten Professor an der Piaristenschule. Das Schreiben war, aus Achtung für die Kapuziner, die den jungen Siegwart empfohlen hatten, sehr gütig abgefaßt. Er könne gleich eintreten, und in ihre Schulen kommen; sie versprachen ihm treuen Unterricht, und väterliche Aufsicht. Der alte Siegwart würde finden, daß sie seine Stelle bey seinem Sohn so viel als möglich zu vertreten suchen würden, u.s.w. Sie liessen Xavern auch besonders grüssen, und ihn ihrer Liebe versichern. Besonders werde sich P. Philipp, der im Kloster einen Bruder habe, seiner treulich, und noch ganz besonders annehmen.
Der Vater antwortete, daß sein Sohn in zwey Tagen nach der Stadt kommen werde. Xaver freute sich auf die Veränderung, und brannte recht vor Lehrbegierde, um sich nur bald zu einem geistlichen Amt tüchtig zu machen. Therese war traurig, weinte in der Stille, und machte die nötigen Einrichtungen zur Abreise. Karl[160] freute sich heimlich in der Seele, daß er nun bald eines Bruders los werden sollte, auf den der Vater so viel hielt, den seine Schwester über alles liebte, und von dem er fürchtete, der Vater möchte, zu seinem Nachtheil, nur zu viel an ihn wenden. Wilhelm war alles gleichgültig, und er wuste nicht einmal, wann sein Bruder abgehen würde?
Der alte Siegwart sagte seinem Sohn, in drey oder viertehalb Jahren könn' er, wenn er's nicht am gehörigen Fleiß fehlen lasse, sich auf der Schule die nötigen Kentnisse erwerben, um auf die Universität zu gehen. Dort könn' er dann auch drey bis viertehalb Jahre bleiben; indessen sey er zwanzig Jahr alt, welches, wenn er noch Lust dazu bezeuge, gerade die Zeit sey, in der es einem Jüngling frey stehe in einen Orden zu treten. Er fügte noch viel gute Lehren, und dringende väterliche Ermahnungen hinzu, Gott getreu und rechtschaffen zu bleiben, sich vor Verführungen zu hüten, und seine Zeit und Geld wohl anzuwenden. Xaver versprachs mit Thränen, und mit einem tiefbewegten Herzen; er gieng auf sein Zimmer, brach in einen Strom von Thränen aus über seines Vaters Zärtlichkeit und gütige Gesinnungen;[161] gieng heftig auf und ab, und betete laut, daß ihn Gott in seinen guten Vorsätzen unterstützen, und den Lehren seines Vaters immer treu erhalten wolle!
Den andern Tag brachte er gröstentheils in der Gesellschaft seiner Schwester zu, die seine Sachen vollends in Ordnung brachte, weil der Koffer den Abend noch gepackt werden muste, um den andern Morgen mit Anbruch des Tages mit dem Wagen abzugehen. Ihre Unterhaltung war traurig, und oft schwiegen sie halbe Stunden lang, so viel sie sich auch noch zu sagen hatten. Sie schenkte ihm zum Andenken einen Geldbeutel, den sie selbst gestrickt hatte, damit er sich fein fleißig ihrer erinnern möchte. Das Versprechen, sich recht oft zuzuschreiben, wurde noch einmal feyerlich erneuert. Anfangs wollte er gar nicht zu Bette gehen, um nur seine Therese recht zu geniessen; aber der Vater widerrieth's, weil er Ruhe nötig habe. Der alte Siegwart hätte seinen Sohn gern begleitet, aber unaufschiebliche Geschäfte, und weil der andre Tag ein Gerichtstag war, hielten ihn zurück. Sie blieben bis um eilf Uhr auf. Xaver bat seine Schwester, morgen früh liegen zu bleiben. Aber sie that ganz böse, daß er ihr so etwas[162] zumuthen wollte. Wie könnt ich das verantworten, sagte sie, wenn ich nicht von meinem liebsten Bruder Abschied nähme? Wer weiß, setzte sie mit Thränen in den Augen hinzu, wann wir uns wiedersehen? Nein, Bruder das gienge mir mein Lebtag nach! Fodre so was nicht von mir!
Sie giengen zu Bette. Um vier Uhr, als der Himmel schon ganz roth war, und der Morgenstern noch allein da stand, wurde Xaver vom Bedienten geweckt. Er zog sich hurtig an, und war ungewöhnlich traurig. Therese kam in ihrem weissen Negligee, mit blassen Wangen und verweinten Augen zu ihm, sie fiel ihm um den Hals und küßte ihn; sprechen konnte sie nur wenig. Lieber Bruder, vergiß mich nicht! war alles, was sie sagte.
Der Vater ließ ihn noch allein aufs Zimmer kommen, sprach liebreich und beweglich mit ihm. Mache, daß ich Freud an dir erlebe! sagte er, und werd ein frommer Mann! Unsre Familie hat von jeher den Ruhm gehabt, daß wir's treu mit Gott und Menschen meynen. Verscherz du diesen Ruhm nicht! Er ist das beste Kleinod, das ich dir mitgeben kann; alles andre ist nur Tand und Puppenwerk. Hier hast du noch was zum Andenken.[163] Wends gut an! – Es war ein Beutel mit ungefähr zwölf Conventionsthalern, und ein paar Dukaten – Ich will für dich sorgen, so lange ich kann. Aber verlaß dich nicht zu sehr darauf! Wir Menschen sind sterblich, und wer weiß, wie lange ich noch lebe? – Hier brach Xavern ganz das Herz – Ja, mein Sohn, man muß sich auf alles gefaßt machen. Lerne du was rechts, damit du nicht zu sehr von Menschen und ihrer Gnad abhängen darfst! Gott segne dich, mein Sohn, und erhöre meine heissen Wünsche! – Hier konnt er sich nicht länger halten; er fiel seinem Sohn um den Hals, drückte ihn fest an sich, küßte ihn mit der größten Heftigkeit, und weinte. Seine heissen Thränen rollten über Xavers Wangen mit den seinigen. Dies war das zweytemal in seinem Leben, daß ihn Xaver weinen sah; das erstemal weinte er, als seine Frau starb. Xaver sah vor lauter Thränen nichts; er schluchzte laut, und sein Herz wollte fast zerspringen. Der Vater ermannte sich wieder, und machte dem traurigen Auftritt selbst ein Ende, indem er seinen Sohn ins Wohnzimmer führte, wo Therese und Karl waren. Wilhelm war nicht aus dem Schlaf zu bringen.[164]
Therese hatte Kaffee gemacht, und schenkte ihrem Bruder ein. Thränen, die ihr unaufhörlich aus den Augen stürzten, liessen sie nicht reden. Er war stumm, und wie betäubt. Karl wollte auch traurig seyn aber man sahs ihm wol an, daß es Zwang war. Der alte Siegwart stand bewegt am Fenster, und sah die Pferde an den Wagen spannen. Therese setzte sich zu ihrem Bruder, sah ihn schmachtend an, und neue Thränen schossen ihr ins Auge. Sie legte seine Hand in die ihrige, und drückte sie. Xaver sah sie an, dann den Vater, dann den Bruder; suchte seinen Schmerz zu unterdrücken, und auf einmal brach er wieder mit einem lauten Seufzer aus. Xaver, sagte endlich der Vater, wenn du fertig bist, die Pferde sind angespannt. Diese Worte waren ihm ein Donnerschlag; er stand auf, suchte seinen Hut und Stock, ohn ein Wort zu sprechen, hielt den Hut halb vors Gesicht, und stand so, mitten in der Stube. Therese, die's nicht länger aushalten konnte, gieng vors Zimmer hinaus, um da auf den Bruder zu warten. – Nun, mein Sohn, sagte der Vater, viel Umstände wollen wir nicht machen; das Herz ist dir doch so schwer. Du weist, was ich dir vorhin gesagt habe, behalt's[165] fein im Herzen! Leb wohl! Gott segne dich! Er umarmte ihn, und gieng dann weg, um seine Thränen zu verbergen. Von Karln war der Abschied ziemlich frostig und kurz. Als Xaver vor die Thüre trat, fiel ihm Therese um den Hals, und rief: Tausendmal tausendmal leb wohl, mein lieber, lieber Xaver! Unser Herr Gott erhalte dich gesund! Dieß war alles, was sie sagen konnte. Er gieng schweigend voran an den Kutschenschlag; sah noch einmal zu seinem Vater, der im Fenster lag, und ihm noch ein Lebwohl zurief. Theresen reichte er noch die Hand aus der Kutsche, und nun fuhr er weg.
Schon eine halbe Stunde war er auf dem freyen Felde, von der schönsten Dämmerung beglänzt, gefahren, ohne was davon zu fühlen. Endlich weckte ihn die Sonne, die ganz wolkenlos, und golden aufgieng, aus der Betäubung. Er stund auf, um noch einmal die Thurmspitze seines Dorfs zu sehen, und da fiel ihm Linkerhand das Kapuzinerkloster in die Augen, dessen blecherne Zinnen die Sonnenstralen zurückwarfen. Auch den dunkeln Tannenhain am Kloster sah er, und erinnerte sich nun aller Auftritte wieder, die er da gehabt hatte, besonders seines lieben P. Antons. Seine[166] Seele weidete sich nun aufs neu an dem Gedanken ans Klosterleben, das ihm wieder doppelt reizend vorkam; ein so thätiges und lebhaftes Gemüth, wie Xavers seines, schmückt jeden Gedanken mit den hellsten Farben; es verweilt am liebsten bey feyerlichen und Romanhaften Ideen, die die meiste Neuheit haben; und die Einsiedeley des Klosters führt gewiß viel romanhaftes mit sich. Er ward nun wieder heitrer, und bewunderte die schöne weite Ebne, die sich vor ihm ausbreitete. Aecker, Wiesen, Dörfer und Wälder wechselten auf die angenehmste Art mit einander ab. Die Sonne warf verschiedene Schattirungen darauf, und gab der Aussicht noch mehr Mannigfaltigkeit. Vor sich sah er in der tiefsten Ferne die ehrwürdigen Tyroler Schneegebirge liegen, die eine Art von Kette um die Gegend zogen. Ihre eine Seite war vom Sonnenstral beglänzt, und blendete, wenn das Auge lange dran verweilte; die andre lag im tiefen dunkelblauen Schatten. Seine Phantasie bildete sich aus den Bergen ganz verschiedene Gestalten von Riesen, Drachen, Schiffen und dergleichen, die sich, wenn er sie lange ansah, endlich zu bewegen schienen. So vergaß er nach und nach sein ganzes jetziges Verhältniß, Gegenwart und Zukunft. Er fuhr eine[167] Stunde lang so fort, bis ein Hirte, der die Kühe nach der Weide trieb, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der alte Mann, der nur halb mit Lumpen bedeckt war, sang mit frohem Herzen und klarer Stimme sein Morgenlied, daß Busch und Hain wiederklangen. Diese zufriedne Andacht rührte unsern Siegwart im Innersten; er winkte dem Hirten, gab ihm ein Sechskreutzerstück, und Thränen schossen ihm in die Augen, als der Alte ihm so herzlich dankte, und drauf sein Morgenlied wieder fort sang. Eine Viertelstunde drauf hörte er einen Gesang von ganz andrer Art, als er an zehen oder zwölf halb besoffenen Rekruten vorbeykam, die von vier kaiserlichen Werbern nach dem Werbplatz gebracht wurden, und die liederlichsten Zoten sangen. Die Kerls riefen ihm Schimpfwörter nach, und schrien dann wieder: Vivat Franciscus! Vivat Theresia! Nur Einer von den Rekruten rührte ihn, der traurig hintennach schlich. Er war gut gekleidet, hatte ein sittsames, feines Gesicht, das mit düstrer Schwermuth überzogen war. Allem Anschein nach war er von guten Eltern, und durchs Unglück genötigt worden, Dienste anzunehmen. Er zog vor Xavern freundlich den Hut ab, der ihm, so lange er konnte, nachsah.[168]
Nach einer Stunde hielt der Wagen in einem Dorfe, wo die Pferde gefüttert wurden. Xaver gieng in die Wirthsstube, wo der Wirth, ein dicker Mann, und Schulz im Dorfe, mit zween Bauren heftig stritt. Der Streit war über das Wildschiessen, und bey Gelegenheit einer Erzählung angegangen, daß den Tag vorher zween Wilddiebe von den fürstlichen Jägern wären aufgehoben worden. – Denen wird was schönes zubereitet werden, sagte der Wirth. Wenn's mir nachgienge, müßten all auf Hirsche geschmiedet werden; aber unser Fürst ist viel zu gnädig; der läßt ihnen höchstens noch den Daumen und den grossen Zehen lähmen.
Gerg. So, beym Teufel! Ihr seyd mir der rechte! Ja wohl, auf Hirsche schmieden! 's ist meiner Seel, schon zu viel, daß man den armen Leuten so was thut! Man sollt jeden schiessen lassen, was und wie er will! Unser Herr Gott hat das Wild erschaffen, und 's lauft für den Einen rum, wie für den andern. Nicht so, Vetter Michel? Was hältst du davon?
Michel. Ich weiß dir selbst nicht, was ich sagen soll? Wenn ich Fürst wäre, ließ ich freylich jeden schiessen; denn ich wüste nicht, warum ich[169] Gottes Gab allein haben sollte? Aber mit den Fürsten ists so eine Sach. Man darf's Maul nicht aufthun.
Gerg. Freylich, Michel! Aber Recht ist doch Recht! Vater Adam durfte schiessen, was er wollte, weils ihm Gott erlaubt hatte! Und da denk ich, wir sind seine Kinder, und wir dürfens auch. Denk dir einmal, wenn's dem Fürsten einfallen wollte, daß das Wasser auch für ihn allein geschaffen sey? Was dir da herauskommen würde? Gelt, d' Mäus dürfen wir wohl todtschlagen, weils der Fürst nicht brauchen kann! Man möcht ein Narr werden, wenn man sich so hudeln lassen muß!
Wirth. Gerg, brauch Respekt, sag ich! Oder 's geht nicht gut. Sapperment! weist du nicht, wen du vor dir hast? Bin ich nicht des Fürsten Schulz?
Gerg. Nu ja, Herr Wirth; man kann ja wol im Unwill ein Wort zu viel sagen; wer wirds auch gleich so genau nehmen? Seht, ihr habt da auch ein harts Wort geredt, daß man all auf Hirsche schmieden soll. Ich bin kein Wilddieb, hab nicht einmal eine Flint zu Haus; aber's thut einem eben weh, wenn man so sein schönes Korn aufm Acker stehen hat, und der liebe Gott hats vor Wetterschlag[170] behütet, und man denkt, man darfs nun schneiden und heimführen; wenn da so ein Rudel Hirsche kommt, und frißt alles weg, oder d'Schwein wühlen einem alles um. Meiner Seel'! 's Herz im Leib weint einem, wenn ein armer Mann auf den Acker kommt, und siehts, und schlägt d' Händ überm Kopf zusammen, und flucht auf die Leut, die 's Wild so hegen. Bey Gott! da möcht ich der Fürst nicht seyn, über den die Flüch, und die Zähren schreyen. Lieber wollt ich da kein Wildpret essen! Jagen könnt er doch, das würd ihm kein Mensch verwehren. Seht ihr, Schulz! So ists gemeynt!
Wirth. Ihr versteht das nicht, Gerg! Ihr könnt Nachts hinausgehn aufs Feld, könnt da wachen, und 's Wild abtreiben.
Gerg. Beym Blitz! Was das wieder g'sprochen heißt? Seyd ihr auch ein Baur, Herr? Man sieht wohl, daß ihr immer nur daheim sitzt, und am Bierkrug zapft! Da schafft mir einmal einen Tag über, in der Sonnenhitz, von Morgens vier an, bis Nachts achte; und dann geht mir aufs Feld hinaus, und wacht, um 's Wild abzutreiben! Weiß Gott, wir sind doch auch Menschen, und keine Hund! Wollt sehen, wo der Fürst blieb, wenn[171] wir nicht wären, und uns schier zu Schanden arbeiteten? Sackerlot, da sollen wir noch wachen! Das hieß recht, Schmerzenbrod gegessen; und doch will ich schwören, daß kein Baur es ein Vierteljahr treiben solle. Nein, da lob ich mir die Wilddieb, die 's Wild fein wegputzen, und dem armen Baur Ruh verschaffen! 's ist nicht recht, sag ich, daß man so mit ihnen umgeht, und wenn ich drum ins Loch müßt!
Michel. Gerg, nimm dich in Acht! du kommst z'viel in Eifer! – Da Herr Schulz, füllt's Gläsel noch einmal! Nehmt ihms nicht übel! Er meynt's nicht so bös.
Wirth. Ja, was nicht so bös? Er verstehts nicht, sag ich; weiß nichts von der Jagdgerechtigkeit. Das muß ich besser wissen, Schöps! Wer des Fürsten Wild schießt, ist ein Rebell, und den muß man strafen.
Gerg. Ist ein Rebell! Ist ein Narr! – Da seht einmal, Schulz, da kömmt ein kaiserlicher Werber, hat ein paar feiste Hasen aufm Buckel. Ist das auch ein Rebell? Sagt ihms doch!
Wirth. Pst, Pst! Still! Das ist ein anders. Mit den Herren ist nicht gut anbinden.[172] Laßt's nur seyn! – Blitz, was das für ein paar Hasen sind!
Indem traten die Werber mit den Rekruten, die Siegwart auf dem Weg angetroffen hatte, in die Stube. Der Wirth war ganz erschrocken, und fragte, was er einschenken sollte? Sie foderten Brandtewein und Bier. Der Rekrute, den Siegwart besonders bemerkte hatte, setzte sich allein in eine Ecke, und stützte den Kopf auf die Hand.
Was fehlt denn dem dort? sagte der Wirth leise zu einem von den Werbern. Ich weiß selbst nicht recht, antwortete dieser. Soviel weiß ich, es ist ein Student von Dillingen, und vermutlich hat er einen im Duell verwundet, oder gar umgebracht. Es ist ein braver, stiller Mensch, mit dem ich schon oft Mitleiden hatte. Er muß auch ein Mädel haben; denn er sieht oft seine Dose an, wo ein schönes rothbackichtes Ding drauf abgemalt ist, und da weint er, daß der Deckel ganz naß wird, oder drückt ihn, wenns niemand sieht, an den Mund, und küßt ihn. – Indem sah der junge Mensch auf, und blickte Siegwarten scharf an, der ihn mitleidig betrachtete. Er zog die Dose heraus, und bot Xavern eine Prise an. Das ist ja ein schönes Frauenzimmer, sagte dieser.[173] Ja wohl, antwortete der Rekrute; ein leibhafter Engel! Und nun sah er's wieder wehmütig an.
Heh! rief ein Werber, Herr Wirth! Was gibt er mir für die beyden Hasen? Habs eben geschossen. Sieht er, was sie Fett aufm Leib haben!
Wirth. Je nu, Herr Feldwaibel; ich dächte, funfzehn Kreuzer wären wol genug. 'S gibt jetzt der Hasen viel, und 's Geld ist rar –
Werber. Geh er! Ist der Herr ein Narr? Funfzehn Kreutzer, für zwey Haasen! Das ist, meiner Treu, der Balg werth. Da eß' ich sie lieber selber. Sieben Batzen soll er mir geben! Keinen Heller weniger! Ist das noch mehr, als zu billig.
Wirth. Nun, schau er, Herr Feldwaibel; Sechs Batzen will ich geben, und ein Schlückchen Kirschenwasser oben drein; Weils Er ist, und weil er so fleißig bey mir einspricht.
Werber. Meinetwegen! Hol er nur ein Gläschen! Aber vom Guten, hört ers?
Gerg. (Heimlich zu Michel, indem der Wirth abgeht.) Siehst den Teufelskerl? Da weiß er so schön zu predigen, und thut selber nicht darnach. Nun soll er mir noch ein Wort sagen, daß[174] ich raisonnirt hab! Ich verklag ihn, meiner Six, beym Amtmann. –
Siegwart betrachtete unterdeß den Rekruten, der einen Brief aus der Tasche zog, und ihn mit Bewegung las. Wenn ich ihm nur helfen könnte! Dachte er. Gern hätt er ihm von seinem Geld etwas mitgetheilt, und griff schon ein paarmal in die Taschen, aber er wagte es nicht, vor den übrigen, ihm was anzubieten, weil er fürchtete, ihn in Verlegenheit zu setzen.
Indeß kam Siegwarts Knecht, und sagte, die Pferde seyn gefüttert. Er nahm Abschied, und fuhr weiter. Eine halbe Stunde vor dem Dorfe gieng ein Weib mit drey Kindern an dem Wagen vorbey, und weinte. – Gelobt sey Jesus Christus! sagte sie. In Ewigkeit! antwortete Siegwart. – Ach, lieber junger Herr, theilen Sie doch einem armen Weib eine kleine Gabe mit, die Haus und Hof verlassen muß! Warum? sagte Siegwart. – O du lieber Gott, war ihre Antwort, weil mein Mann ein paar Hirsche todtgeschossen hat, die uns unser Korn wegfrassen. Nun werd ich ihn wol in meinem Leben nicht mehr sehen. Sie haben ihn schon in die Karre gebracht. Siegwart gab ihr einen ganzen Konventionsthaler.[175] Sie rief ihm nach; aber er befahl dem Kutscher zuzufahren.
Nun sah er schon von fern das Städtchen liegen, wo er hin sollte. Es lag auf dem erhöhten Donauufer anmutig da, und zu beyden Seiten standen Eichenwälder.
Seine Seele hub sich bey dem Anblick einer neuen Gegend um so mehr, weil sie eine Zeitlang seinen Wohnplatz ausmachen sollte. Eine unruhige Freude bemächtigte sich seiner; er zitterte, und sein Gesicht glühte. Anfangs wünschte er, nur recht bald da zu seyn, um seine neuen Lehrer zu sehen; aber, als er näher zu dem Städtchen kam, wünschte er sich wieder weiter weg. Nun lag's immer deutlicher vor ihm da; er sah die ganzen Thürme, mit den Kirchen dran, und konnte schon einzelne Häuser unterscheiden. Mit der Deutlichkeit wuchs seine Unruhe. Als er über die Donaubrücke fuhr, begegneten ihm ein paar Piaristen mit vier oder fünf Studenten; sein Herz schlug ungestümer; er nahm den Hut ab, und bückte sich sehr tief. Einer von den Lehrern dankte freundlich, als ob er ihn kennte. Möchte das doch P. Philipp seyn! Dachte Siegwart. Nun fuhr er durch die Vorstadt, und den Stadtberg hinauf ins Städtchen. Er stieg beym[176] Posthaus ab, und ließ sich gleich darauf in die Schule führen. Der Thorwart am Schloßhof meldete ihn an; er stand indessen zitternd in dem Hof. Man hieß ihn nach einem grossen Saal kommen, wo der oberste Professor und ein andrer ihn erwarteten.
Nun, ist er der junge Siegwart, der das Zutrauen zu uns hat, daß er Kostgänger bey uns werden will? sagte der erste. – Ja. – Sey er uns vielmals willkommen! Wir haben schon viel Gutes von ihm gehört, und hoffen, daß es ihm bey uns nicht mißfallen soll. – Siegwart neigte sich, und that sehr furchtsam. – Sey er nur gutes Muths, und ohne Furcht! Wir werden bald besser mit einander bekannt werden. Bruder Johann, wollen Sie ihn auf sein Zimmer bringen?
P. Johann nahm ihn bey der Hand, und führte ihn auf ein ziemlich geräumiges Zimmer, das eine freye Aussicht an die Donau, und das herum liegende Weidenufer, nebst der ganzen weiten Ebne hatte. Es war noch ein Kostgänger auf dem Zimmer, Namens Joseph Kreutzner, der ihn mit ausserordentlicher Höflichkeit bewillkommte.[177] So, hier können Sie beyeinander wohnen, sagte P. Johann. Ich hoffe, Sie werden sich gut vertragen, weil Sie von Einem Alter, und beyde von hübschen Eltern sind. Kreutzner, ich empfehl ihm den jungen Siegwart, daß er ihm gut begegnet! Denn es soll ein braver Mensch seyn, wie wir hören. – Kreutzner machte eine Verbeugung. – Er kann sich jetzt bequem machen, Monsieur Siegwart, und seine Sachen einrichten! In einer Stunde wird man ihn zum Essen rufen. Drauf gieng P. Johann weg.
Kreutzner sagte unserm Siegwart viel Schmeicheleyen vor, bot ihm seine Freundschaft an, und erzälte ihm, wie gut es hier auf der Schule sey, und was sie für Freuden miteinander haben wollten. Indem kam Siegwarts Bedienter, und brachte den Koffre; er schrieb noch in paar Zeilen an seinen Vater, voller Danksagungen, und ward sehr dabey bewegt, daß ihm Thränen auf den Brief flossen. Dann schrieb er noch an seine Schwester Therese, und theilte ihr die Freude mit, die er über die gute Aufnahme bey den Piaristen hatte.
Bald drauf kam ein Pater, und zwar eben derselbe, den Siegwart auf der Donaubrücke angetroffen[178] hatte. Wie groß war seine Freude, als er hörte, daß es P. Philipp, der Bruder des Kapuziners im Kloster sey, der ihn ihm noch besonders empfohlen hatte. Dieser P. Philipp war ein Mann zwischen vierzig und fünf und vierzig Jahren, mit einem heitern, offenen Gesicht, das, wenn er lächelte, ein Sinnbild der Liebe war. Er druckte Xavern, dessen freye Mine ihm beym ersten Anblick ganz gefiel, treuherzig die Hand, und versicherte ihn seiner Freundschaft und Gewogenheit, wenn er sich ihm anvertrauen wolle. Xaver mußte ihm verschiedenes vom Kloster, von seinem Bruder, und von seiner eigenen Familie erzählen, und ward, durch das liebreiche Wesen des Paters, bald offenherzig. Kreutzner sprach immer auch mit drein, und suchte Siegwarts Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. P. Philipp aber schien nicht viel auf ihn zu achten. Man klingelte hierauf zum Essen, wo acht Lehrer, und zwischen zwanzig und dreysig Schüler gegenwärtig waren. Xaver wurde noch als Gast behandelt, und saß zwischen dem Prior, und dem Pater Kellermeister.
Die Kost war mäßig, aber gut; die Unterhaltung ungezwungen, und munter. Die Lehrer[179] nahmen nicht den stolzen Ton an, wodurch man sich mehr von den Schülern entfernt, als ihre Liebe und ihr Zutrauen sich erwirbt; welches doch der einzige Weg zum Herzen ist. Jeder durfte frey sprechen, ohne daß dadurch die, den Lehrern schuldige Hochachtung beleidigt wurde. Nur einer von den Lehrern, P. Hyacinth, schien stolz und auffahrend zu seyn; er widersprach nicht nur den Schülern, sondern auch den Professoren, und that immer entscheidende Aussprüche.
Ein paarmal fragte er unsern Siegwart etwas in so rauhem Ton, daß dieser ganz erschrocken zurückfuhr, und verwirrt antwortete; aber P. Philipp übernahm die Antwort, und half ihm aus der Verlegenheit. Die meisten Schüler waren bescheiden und gesittet. Ein junger Edelmann von 18 Jahren, Namens Kronhelm, der am P. Philipp saß, zog Siegwarts Aufmerksamkeit besonders auf sich. Er hatte sanftte blaue Augen, hellblondes Haar, und etwas schwermüthiges in der Mine, das aber von der innern Seelenruhe, wie mit einem Schleyer, überdeckt war. Seine und Siegwarts Blicke begegneten sich ein paarmal, fuhren schnell zurück, wie der Blick eines Liebenden, und suchten sich unvermerkt[180] wieder auf. Beyde Jünglinge schienen sich in der Seele zu lesen; jeder glaubte, den andern lange schon zu kennen; und stillschweigend faßten sie, in der ersten Stunde, ein Zutrauen zu einander, das nachher so sehr befestigt wurde.
Nach dem Essen wurden in den verschiednen Klassen Stunden gehalten. Siegwart gieng mit Kreutznern in seine Klasse, wo, nach der Klostereinrichtung, der Syntax gelehrt wurde. Der Unterricht des Lehrers, der mit Ernst und Liebe vermischt war, nahm unsern Siegwart sehr ein. Die Piaristen haben überhaupt in der katholischen Kirche das gröste Verdienst um die Erziehung; weil sie sich fast mit nichts, als mit ihr, zu beschäftigen haben, und daher alle, dazu nötigen Kenntnisse sich erwerben können; da hingegen die Jesuiten tausend andre, oft sehr tadelnswehrte Zwecke zu erreichen suchen. Den Abend mußte Siegwart, wider seine Neigung, mit Kreutznern auf einem Spatziergang zubringen; denn er wäre lieber beym P. Philipp, oder bey dem jungen Kronhelm gewesen.
Kreutzner that über die Massen freundlich; lächelte beständig, wenn er sprach; drückte Siegwarten oft die Hand, und gewann dadurch den[181] unerfahrnen, noch zu leichtgläubigen Jüngling. Beym Essen erzälte Xaver, wo er gewesen sey? Was er gesehen, und wie die Gegend ihm gefallen habe? Die Piaristen schienen sehr mit ihm zufrieden zu seyn, und sprachen viel mit ihm. Als er nach Tisch mit Kreutznern auf sein Zimmer kam, zog dieser hinter dem Bücherschrank ein paar Pfeiffen hervor, und wollte Xavern überreden, auch mit zu rauchen. Er verbat es aber, theils, weil er das Rauchen nicht gewohnt war; theils, weil ers – mit Recht – auf der Schule für verboten hielt. Kreutzner wunderte sich drüber, und sagte, daß er mit seinem vorigen Stubenkammeraden alle Abende geraucht habe. Hierauf kriegte er ein Kartenspiel, das er unter eine losgegangne Diehle versteckt hatte; und Xaver mußte, ob er sich gleich anfangs weigerte, mitspielen. Er war zu gefällig, und widersprach nicht gerne. Man müsse doch was zu thun haben, sagte Kreutzner, und könne nicht stets studieren; die Professoren machten auch wol ein Spielchen; es sey blos zum Zeitvertreib; sie wollten daher nur eine Kleinigkeit einsetzen, u.s.w. Dem ungeachtet verlohr Xaver über einen halben Gulden; denn er spielte ehrlich, und Kreutzner betrog,[182] wo er konnte. Den andern Tag hatte Siegwart noch frey, und richtete seine Sachen ein. P. Philipp ließ ihn Abends auf sein Zimmer kommen, und sprach viel mit ihm. Sein freyes, muntres Wesen und seine Herablassung nahm ihn sehr ein. Er erzälte, mit der grösten Anmuth, allerley Anekdoten aus der Geschichte, die seine Lieblingswissenschaft war; mischte rührende Bemerkungen mit ein, die von seinem edeln Herzen zeugten, und wieß viele artige Landschaften vor, die er selbst mit Tusch gezeichnet hatte. Xaver gieng sehr vergnügt weg, nachdem er vorher, zu seiner größten Freude, hatte versprechen müssen, ihn öfters Abends zu besuchen, oder einen Spatziergang mit ihm zu machen. Er mußte wieder mit Kreutznern spielen, und verlohr diesmal einen Gulden.
Den folgenden Tag wurde er von den vier obersten Professoren, unter denen P. Philipp auch war, examinirt. Sie waren mit seiner Herzhaftigkeit, und seinen treffenden Antworten, die von seinem gesunden Verstande zeugten, sehr zufrieden, und beschlossen einmüthig, ihn in die dritte Klasse zu setzen, wo der Syntax, oder die gründliche Erlernung des Lateinischen hauptsächlich[183] getrieben wird. Siegwart, dem es weder an den gehörigen Grundsätzen, noch an Eifer und Verstand fehlte, schickte sich sehr bald in die Ordnung, und erhielt den Beyfall seiner Lehrer völlig; denn sie waren vernünftig und sahen, daß es ihm ernstlich angelegen sey, ihnen durch Folgsamkeit zu gefallen, und sich selbst durch gründliche Einsichten zu vervollkommen. Er faste das mechanische der Lateinischen Sprache bald; aber doch war ihm mehr am Kern, als an der blossen Schaale gelegen. Er sah bey den Stellen, die aus Römischen Geschichtschreibern, besonders aus dem Nepos genommen waren, und in der Schule erklärt, und übersetzt wurden, immer auf den Innhalt. Auf der Stube las er die erklärten Stücke wieder durch, und verweilte sich oft Stundenlang bey edeln Handlungen, die der Menschheit, und ihren Urhebern Ehre machen. Besonders waren Cimon, Epaminondas, Conon, Leonidas, Aristides, Phocion, Timoleon und andre Edle seine Leute. Er liebte, und bewunderte die grossen Seelen, die sich und ihren eignen Vortheil dem allgemeinen Besten aufopferten. Bey ihrer heissen Vaterlandsliebe glühte seine Seele, und stärkte sich zu ähnlichen Gesinnungen und[184] Thaten. Bey ihrer stillen Tugend, bey ihrer menschlichen Zärtlichkeit flossen seine Thränen; aber alle, die nur Helden, oder Menschenwürger, und Unterdrücker eines freygebohrnen Volkes waren, haßte und verabscheute er. So die Schriftsteller zu lesen, und sich durch die Geschichte menschlicher zu bilden, hatte ihn P. Philipp gelehrt, dem kein Zug im Charakter eines Menschen entgieng, der das Herz erhöhen und veredeln konnte. Die Religion ward ihm von P. Johann auch vernünftiger und einwürkender beygebracht, als gewöhnlich. Da der brave Mann, bey seinen vielen Unglücksfällen, und bey seinem schwachen Körper aus der Erfahrung gelernt hatte, wie wenig Streitigkeiten, und künstliche Bestimmungen und Einschränkungen von Dingen, die uns unerklärlich sind, und oft seyn sollen, zur Beruhigung des Herzens und zum Trost im Elend beytragen, so flößte er seinen Schülern nur den Geist und Saft der Religion ein, das heißt: die Lehren Jesu und seiner Apostel, die alle, sowol für unser eigen Herz, als auch für andre Menschen wohlthätig sind, und deren Kentnis und Ausübung uns allein in der letzten Stunde trösten kann. Er suchte seine Schüler durch die Religion[185] mehr zu weisen und tugendhaften Menschen, als zu grossen Gelehrten zu bilden. Auch in der Geographie und Meßkunst sah sich unser Siegwart um, und saß oft die halbe Nacht durch bey den Büchern, so, daß er sich in kurzer Zeit nicht gemeine Kenntnisse erwarb. Nur in P. Hyacinths Stunden gieng er ungern, weil dieser mürrische Mann, mit der polternden Stimme, nur aufs Phrasesmachen drang, und immer mit aufgehobnem Stock vor den Schülern stand.
Da es uns bey Siegwart mehr um die Geschichte seines Herzens, als seines Verstandes, und seiner gelehrten Kenntnisse zu thun ist, so werden wir von dem letztern wenig, und nur da reden, wo es würklichen Einfluß auf seine künftigen Schicksale, oder auf seinen Charakter hatte. Also kehren wir in den Anfang seines Aufenthaltes bey den Piaristen zurück.
Nach dem Examen wurden ihm die Gesetze, sowohl der Schule überhaupt, als auch besonders seiner Klasse vorgelesen, und er mußte dem P. Johann mit einem Handgelübd versprechen, sie getreulich zu beobachten. Unter andern war durch ein Gesetz verboten, auf dem Schulgebäude, und auch ausserhalb demselben Taback zu rauchen,[186] oder um Geld zu spielen. Er erschrack, als er dieses lesen hörte, weil ihm sogleich der gestrige Tag einfiel. Den Abend drauf wollte Kreutzner wieder spielen. Er schlugs ihm rund ab, und schützte das Verbot vor, das ihm erst heute, in seiner Gegenwart, vorgelesen worden sey. Kreutzner lachte, gab ihm Einfalt schuld, und sagte: Wer sich darnach richten wollte, müßte ein Mucker werden; es sey nie darauf gehalten worden; man verbiet es nur zum Schein, u.s.w. Dies alles half bey Siegwart nichts; er hielt ein Gelübbe, das eine Art von Eyd ist, für zu heilig, und fing an, von Kreutznern schlimmer zu denken. Als es dieser merkte, suchte er wieder einzulenken, und hintergieng Xavern durch eine angenommene Gewissenhaftigkeit und Scheinheiligkeit aufs neue. Er warf die Karten beym nächsten Spatziergang in die Donau, betete alle Abend und Morgen laut, sprach viel von Religion, und gewann dadurch Siegwarts ganze Seele wieder, so, daß man diesen fast allein in seiner Gesellschaft sah. Selbst den P. Philipp besuchte er weniger.
Eines Tages kam Kreutzner traurig heim, und stellte sich, als ob er oft verstohlen weinte; aber doch so, daß es Siegwart sehen mußte.[187] Dieser fragte endlich, was ihm fehle? Ach, antwortete er, da hab ich eine Familie gefunden die mit der kümmerlichsten Armuth ringt. Es sind sechs unerwachsne Kinder, und eine halbkranke Wittwe. Denen hätt' ich nun so gern geholfen, und leyder! hab ich jetzt nichts; denn mein Geld von Hause kommt erst über vierzehn Tage. Siegwart, dessen Seele leicht gerührt, und mitleidig war, gab ihm ein paar Gulden, und bat ihn, sie der leidenden Familie zu bringen. Kreutzner dankte ihm mit heuchlerischen Thränen, lobte sein menschliches Herz, und verschleuderte das Geld an Leckereyen. So ward der edelmüthige Jüngling durch die Mine der Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit hintergangen; eine Schlinge, welche guten Seelen so oft von Bösewichtern gelegt wird. Seine Seele bekam dadurch immer mehr Zuneigung zu Kreutznern, und machte ihn zu ihrem Vertrauten. Er erzälte ihm alles von seiner Familie, ließ ihn seine Briefe lesen, und Kreutzner schrieb an seine Schwester einen Brief voller Schmeicheleyen. Sie antwortete ihm kalt, und schrieb ihrem Bruder folgendes:[188]
Liebster Bruder!
Ließ diesen Brief allein, und laß ihn niemand sehen! Du wirst mir glauben, daß dein Wohlbefinden mich im innersten erfreut. Auch ist mirs lieb, daß du gute Freunde gefunden hast. Nach dem, was du mir vom Herrn Kreutzner schreibst, muß er freylich wohl ein guter Mensch seyn; aber verzeyh mir, Bruder, wann ich sage: sein Brief gefällt mir gar nicht. Er sagt mir so viel vor, daß ich schön und artig sey; und da möchte ich wol fragen, wo ers her weiß? Du hast ihm so was gewiß nicht gesagt. Also kanns ihm wol nicht Ernst seyn, was er schreibt, oder er spottet gar über mich. Das ist aber nicht artig, ein einfältiges Landmädchen, das man gar nicht kennt, zu vexiren, und ihr Grillen in den Kopf zu setzen. Mich soll er aber durch seine Schmeicheleyen nicht blenden. Ich weiß wohl, worauf ich mir was gut zu thun habe, und das kennt er nicht. Verzeyh mir, Bruder, daß ich härter schreibe, als du's wünschen möchtest; aber du weist, daß ich nie kein Blatt vor's Maul genommen habe. Was du mir vom P. Philipp und dem jungen Herrn von Kronhelm berichtest, hat mir weit besser gefallen. Der junge Mensch muß eine gute[189] liebe Seele seyn, aber es scheint, du habest nicht viel Umgang mit ihm. Wie kömmt das? Papa ist, Gottlob! recht wohl, und läßt dich grüssen. Die Brüder auch. Salome will bald wieder aus München kommen; da wird mein Elend wieder angehen. Ich sag aber: Ein froher Muth macht alles gut. Unsre Kornfelder sind dieß Jahr sehr gesegnet; auch unser Garten. Ich habe viel zu thun, und bin seitdem erst zweymal bey unserm Pfarrer in Windenheim gewesen. Er hat mich wieder in seinem Garten herum geführt, und läßt dich herzlich grüssen. Ich muß abbrechen, weil ich wieder an die Arbeit muß. Leb wohl, Herzensbruder, und schreib bald deiner getreuen Schwester
Th. Siegwart.
Xaver ward anfangs etwas stutzig, als er diesen Brief las, aber, dachte er: das Mädchen sieht die Sache von der unrechten Seite an; und vergaß ihre Erinnerungen bald wieder. Kreutzner schlich sich durch allerley Kunstgriffe immer mehr in sein Vertrauen ein; that immer demüthig und fromm; wich, als Xaver, wegen einer Unpäßlichkeit, ein paar Tage auf dem Zimmmer[190] bleiben mußte, nicht von seiner Seite, that herzlich betrübt; und befestigte sich dadurch noch mehr in der Liebe des Jünglings. Er entlehnte, unter allerley Vorwand, alle Augenblicke Geld von Siegwart; versprach immer, es ihm wieder heimzugeben, und gewanns ihm dann durch Wetten, oder durch Spiele, die er aber anders nannte, ab, oder verkaufte an ihn schlechte Bücher theuer, so daß Siegwart sich in kurzer Zeit fast seines ganzen Vorraths los sah.
P. Philipp hielt nicht viel von Kreutznern, und sah, daß er Xavern ganz von ihm abzöge. Er sagte also einmal auf einem Spatziergange, wo Kronhelm auch dabey war: Mein lieber Siegwart, er läßt sich ja bey mir wenig mehr sehen, und bey Kronhelm auch nicht, den ich ihm doch so sehr empfohlen habe. – Ja, sagte Siegwart, Herr Professor! ich bin eben viel beym Kreutzner. Gut, antwortete P. Philipp, Kreutzner ist ein Mensch, dem ich zwar nichts offenbahr Böses nachsagen kann; aber er hat so was in der Mine, und in seinem ganzen Betragen, das mir nicht gefällt. Ich weiß nicht; der Mensch lächelt immer so freundlich, wenn man mit ihm spricht; und sieht man ihm ins Aug, so schlägt ers nieder, als ob er[191] kein gut Gewissen hätte. Dabey ist er so überhöflich, und die gar zu höflichen Leute kann ich für den Tod nicht ausstehn. Sie haben immer so ihre Ursachen und Nebenabsichten dabey, warum sie's sind. Da, wers gut meynt, geht gerad heraus, und sagt ohne Umschweife, was er denkt. Man braucht deswegen noch nicht grob zu seyn! Es gibt so eine Mittelart; man weiß selbst nicht, wie mans nennen soll; aver fühlen kanns ein jeder. Nicht wahr, Kronhelm, er denkt von Kreutznern eben so? – Ja, wenn ichs frey heraus sagen darf, Herr Professor, antwortere Kronhelm, so gefällt er mir auch nicht. Er hat so was heimtükisches und schleichendes und freut sich nie recht, wenn wir miteinander lustig sind; oder es sieht immer aus, als ob er sich auf Andrer Kosten freute. Neulich giengen wir einmal spatzieren, da kam ein Bettelbub und bettelte. Wir konnten ihm nichts geben, weil wir nichts bey uns hatten; Kreutzner aber äffte den armen Knaben immer; ließ ihn wol eine Viertelstunde hinter drein laufen, sagte immer: Wart, bey jenem Baum dort sollst du was kriegen, und zuletzt schlug er ihm die Mütze aus der Hand, daß sie in den Koth fiel, und der Bube weinte. Das gefiel mir gar nicht, und ich sagt ihms auch; aber er lachte drüber.[192]
Das sieht ihm so recht ähnlich, sagte P. Philipp. Ich warn' ihn aus guter Meynung, Siegwart, laß er sich mit dem Jungen nicht zu tief ein! Er möcht's zu spät bereuen. Ich weiß wohl, daß Ers nicht böse meynt, wann er mit ihm umgeht; aber man kann durch den Schein gar leicht betrogen werden.
Xaver dachte drüber nach, und ward in seinem Umgang mit Kreutznern behutsamer und kälter; dafür besuchte er desto mehr den Pater Philipp und den jungen Kronhelm, in dessen Umgang seine Seele mehr Nahrung fand. Er lernte bey dem Pater das Zeichnen, wozu er ziemlich Anlage und Lust hatte. Noch weiter aber brachte er es in der Musik. Kronhelm spielte die Violine sehr gut, und mußte Xavern jeden Abend in der Dämmerung zärtliche Arien oder klagende Adagios vorspielen. Dadurch bekam er selbst Lust zur Violine, und lernte in kurzer Zeit bey einem jungen Pater sehr viel; so daß er nun dem jungen Kronhelm schon akkompagniren konnte. Der junge Pater merkte auch bey ihm viel Anlage zum Singen; er hatte eine geläufige biegsam Stimme, und einen hellen Tenor; und in einem Vierteljahre ward er kein gemeiner[193] Sänger; wozu ihm sein zärtliches Gefühl und sein empfindungsvolles Herz, das jedem Ton den rechten und einzigwahren Ausdruck gab, viel half.
Kreutzner, der in Siegwarts Zuneigung zu ihm eine so plötzliche und starke Abnahme bemerkte, sann nun auf neue Kunstgriffe, ihn wieder an sich zu ziehen. Er war schlau, und sah wohl, daß ihn P. Philipp und Kronhelm ihm abgeneigt machten; er suchte ihm also zuförderst ein Mistrauen gegen diese einzuflössen. – Hast du heut bey Tisch auf Pater Philipp und Kronhelm Acht gegeben? fieng er einmal an. Nein, warum? antworte Siegwart.
Kreutzner. Du hast also nicht gesehen, wie sie zu einander lachten, und das Maul verzogen, als du vom Pfarrer in Windenheim erzältest?
Siegwart. Nicht das mindeste.
Kreutzner. Nun, so muß ich dirs eben sagen, wenn du's ihnen nicht wieder ausplaudern willst; denn ich hab dich viel zu lieb. Sie machen sich über dich lustig; ich habs schon hundertmal bemerkt; so bald du den Mund aufthust, stossen sie sich an, und lauren dir auf jedes Wort, ob du's recht sagest? Und sobald du dich versprichst,[194] schmunzeln sie sich zu, und winken mit den Augen.
Siegwart. Geh! Da hast du falsch gesehn! Wie könnten sie so was thun?
Kreutzner. Aber doch nicht falsch gehört hab ich, als ich vorgestern an des Paters Thüre vorbey gieng. Da war dir ein lautes Gelächter in der Stube. Ich dachte, du must doch hören, was da drinnen vorgeht, und lausch' an der Thüre. Da giengs über dich her, daß ich glaubt', ich müßt hineingehen, und sie drum zur Rede stellen. Der Kronhelm kratzte was jämmerliches auf der Violin her, und sagte, so machts Siegwart; und dann schlugen beyde ein lautes Gelächter auf. – Und wie singt er denn? sagte P. Philipp. Kronhelm krächzte was, daß die Ohren einem gällten, und da ward noch unbändiger gelacht. (Siegwart, der einen edeln Ehrgeiz hatte, wurde hier roth und aufgebracht. Kreutzner, der das merkte, fuhr fort:) Glaub mir, Xaver! Sie meynens gar nicht ehrlich mit dir; ich weiß, daß sie's schon mehrern eben so gemacht haben. Der Pater schmeichelt sich bey den Söhnen ein, um von den Aeltern brav Geschenke zu bekommen. Denn wo hätt er sonst die vielen Bücher her? Wer nichts giebt,[195] dem ist er aufsätzig; wie ers mir macht. Und der Kronhelm hat dich nur gern bey sich, damit du ihm bey seinem elenden Gefiedel helfen sollst. Es ist gar nichts an ihm; du darfst mir glauben. Frag nur nach, was sein Vater für ein Kerl ist? Jedermann im ganzen Land kennt ihn; wo soll dann das Gute herkommen? Von ihm hats der Sohn nicht gelernt, aber wol liederliche Streiche. Nicht wahr, um 8 Uhr must du immer von ihm? Da heißts, er will noch studiren. Ja wohl, recht studirt! Bey den Mädels! – Da schleicht er sich noch Abends aus dem Kloster, und der Pater Philipp hilft ihm. Sieh ihn nur an! wie er immer so blaßgelb aussieht! Das kommt vom liederlichen Leben; von nichts anders. Sie können keinen Menschen aus der Schule leiden, und von mir werden sie dir auch nichts Gutes gesagt haben, denn sie machens einem, wie dem andern. Ich wollte dich schon lang warnen, weil ichs so herzlich gut mit dir meyne; aber du bist mir immer ausgewichen. Nun muß ich mir einmal Luft machen; ich hab lang genug geschwiegen, und heimlich Mitleiden mit dir gehabt. Du kannst nun thun, was du willst. Ich möcht aber, daß es jeder so treu mit dir meynte, wie ich! Frag nur all im[196] Kloster, ob ich je einem was zu Leid gethan habe? Und dir bin ich immer vorzüglich gut gewesen.
Siegwart war sehr aufgebracht, und wollte gleich zu Kronhelm; aber Kreutzner misrieth ihms, und sagte, ob er ihn verrathen wollte? Das sey nun der Dank u.s.w. P. Philipp war in der That ein muntrer Mann, und lachte gern; er that oft mit Kronhelm ziemlich vertraut, und da kam Kreutzners Aussage unserm Xaver desto glaubwürdiger vor. Auch das hatte er schon gehört, daß Kronhelms Vater ein sehr schlechter Mann sey, und der Sohn sah immer etwas blaß aus; also war auch das, was Kreutzner von ihm sagte, nicht ganz unwahrscheinlich. Siegwarts beleidigter Ehrgeiz, und die schmeichlerischen Freundschaftsversicherungen des schlauen Kreutzners, die er gar mit Thränen begleitete, kamen noch dazu; also nahm sein Zutrauen zu P. Philipp und zu Kronhelm ziemlich ab. Den andern Tag, als er zum Pater wollte, bat ihn dieser, ihn dießmal allein zu lassen, weil Kronhelm bey ihm sey, mit dem er etwas Geheimes zu reden habe. Dieß brachte ihn noch mehr auf, und machte ihn noch mistrauischer. Kreutzner blies den kleinen Funken der Eifersucht noch mehr an, und als P. Philipp eine Küste[197] mit Büchern geschickt bekam, rief er ihm, und sagte: sieh, das sind wieder Geschenke eines armen Vaters, um Gnade für den Sohn zu erbetteln. Kreutzner hatte eben Geld von Haus bekommen und da zalte er Siegwarten einen Theil seiner Schuld wieder ab; also fiel auch der Verdacht von Eigennutz auf Kreutzners Seite weg.
Dieß alles, und noch zwanzig andre Nebenumstände zusammen genommen, machte Siegwarts Herz gegen P. Philipp und Kronhelm ziemlich lau; er besuchte sie seltener, und that immer sehr zurückhaltend. Die beyden, die das merkten, entzogen ihm auch in etwas ihr Vertrauen, und so waren sie in kurzer Zeit fast wie getrennt. Sie bedauerten den leichtgläubigen und unvorsichtigen Jüngling in der Stille, und wünschten nur, daß sein Irrthum nicht von langer Dauer seyn, und sich ihm nicht zu seinem Schaden aufklären möge! Aufdringen mochten sie sich ihm nicht.
Der Umgang mit Kreutznern machte nach und nach unsern Siegwart in manchen Stücken leichtsinniger, eh ers selber an sich wahrnahm. Sie machten sich oft mit einander über ihre Lehrer und Mitschüler lustig, und liessen das Studieren ziemlich liegen. Sie ersannen tausend Ausreden bey[198] ihrem Vorgesetzten, um nur recht oft ausgehen zu können. Dann giengen sie nach einem Gasthof vor der Stadt, wo noch andre junge Leute waren; spielten da Kegel, und betranken sich ein paarmal. Kreutzner wollte Xavern so gar einmal überreden, sich mit ihm bey Nacht aus dem Kloster zu schleichen; aber so weit war er doch noch nicht verdorben, daß er in einen solchen Vorschlag mit eingewilligt hätte. Als einmal beyde Geldmangel hatten, verkauften sie drey oder vier von ihren besten Büchern. Kronhelm, der dieß alles mitleidig mit ansah, schrieb einmal, ohne seinen Namen zu nennen, mit verstellten Zügen einen Brief an Siegwart, worinn er ihn sehr rührend vor Kreutznern warnte. Aber dieß half nichts. Siegwart ließ den Brief Kreutznern selber lesen; sie spotteten darüber, und verbrannten ihn. Kronhelm gewann auch weiter nichts damit, als daß ihn Kreutzner nur noch mehr haßte, weil er ihn sogleich für den Urheber des Briefs hielt.
Eines Abends kam Kreutzner nach Hause, und sagte: Xaver, diese Nacht muß ich hinaus! Ich habe einen Bekannten in der Stadt, der ist krank, und ich hab ihm versprochen, diese Nacht bey ihm zu wachen. Einen Liebesdienst, wie diesen,[199] kann ich keinem abschlagen. Du darfst unbesorgt seyn, daß es auskommen möchte; ich hab schon mit dem Thorwart gesprochen, daß er mich um ein paar Maas Bier morgen früh in aller Stille wieder hereinläßt. Xaver wagte nicht, etwas dawider einzuwenden, weil der Bösewicht einen Liebesdienst zum Vorwand nahm. Kreutzner schlich sich indessen hinaus, brachte die Nacht bey liederlichen Leuten zu, und kam Morgens wieder. Dieses trieb er noch bey acht Tagen so, weil er immer sagte, sein Freund liege noch krank; bis es endlich ein paar Paters merkten, und dem Prior anzeigten. Man suchte die Nacht darauf Kreutzners Kammer durch, und fand unsern Siegwart allein da, der sogleich alles gestand, und sich deswegen, daß ers nicht, seiner Schuldigkeit gemäß, angezeigt habe, damit entschuldigte, daß sein Stubenkamerad sich in einer guten Absicht aus dem Kloster weggestohlen habe. Er brachte die ganze Nacht schlaflos und voller Angst zu, was ihm den folgenden Tag begegnen werde?
Kreutznern paßte man indeß am Morgen auf, und brachte ihn, bey seiner Ankunft, gleich aufs Carcer. Anfangs legte er sich aufs Lügen, als er verhört wurde, und wollte die Schuld halb auf[200] Siegwart schieben; aber bey einer genauern Untersuchung, und als man ihm mit einer noch engern Gefangenschaft drohte, gestand er ein, wo er gewesen sey, und was er da gemacht habe? Seine Vergehen waren so, daß er, nach den Schulgesetzen, verstossen werden mußte. Die Strafe ward ihm auch angekündigt, und ein paar Famuli wurden so gleich hingeschickt, seine Sachen auf dem Zimmer einzupacken und wegzubringen. Indessen legte sich der Heuchler aufs Bitten, und suchte alle mögliche Kunstgriffe hervor, seine Lehrer zum Mitleiden zu bewegen. Er warf sich vor ihnen auf die Knie nieder, weinte bitterlich, und sagte, er könne nicht eher aufstehen, als bis er wieder angenommen werde. Auf ihren Ausspruch komme es an, ob er sein Leben durch glücklich, oder elend seyn solle? Er sehe nichts vor sich, wenn man ihn verstosse, als ein Leben voller Jammer, denn er müsse nothwendig Soldat werden. Seine Aeltern seyen arm, und können sich seiner auf keine Art annehmen. Dabey sey sein Vater so streng, daß er ihm nicht unter die Augen treten dürfe. Er würde die Thüre vor ihm zuschliessen, und ihn seinem Unglück überlassen. – Ob man einen armen reuigen Menschen ganz ins Elend stürzen wolle? Sein Vergehen[201] sey ihm in der Seele leid; er wisse es auf keine Art zu entschuldigen, aber ob denn Gott nicht einen Sünder, welcher Busse thue, wieder annehme? Ob sie nicht die Güte Gottes nachahmen wollen u.s.w.? Er verspreche künftig den genauesten Gehorsam, und man werde sehen, wie er seinen groben Fehler durch ein tugendhaftes Leben wieder gut zu machen suchen werde? Fangen Sie alles mit mir an! sagte er, ich will alles mit Geduld und Gelassenheit ertragen! Nur verflossen Sie mich nicht! und entreissen Sie mich der Verzweiflung und dem Untergang!
Die Paters sahen einander an; Thränen stunden ihnen in den Augen, und das Mitleid siegte. – Nun so steh er auf, in Gottes Namen! sagte der Prior. Dießmal wollen wir noch Nachsicht brauchen; aber wenn man nur noch Einmal das Geringste von ihm hört, dann hat alle Barmherzigkeit ein Ende. Wir wollen unsre Untergebene nicht durch ein schäbiges Schaaf anstecken lassen. Er soll wieder angenommen werden; in einer halben Stunde soll er hören, was wir ihm für eine Busse auflegen, denn ganz ungestraft kann ein solches Verbrechen nicht hingehn. Steh er auf, und bedank er sich hier bey den Herren![202]
Kreutzner stund auf, gieng von Einem Pater zu dem andern, küßte jedem die Hand, und dankte aufs feurigste, als eben die beyden Famuli herein traten, und zehn bis zwölf Bücher in Franzband unter dem Arm trugen. Das haben wir in Kreutzners Bette gefunden, sagten sie; die Bücher lagen unter dem Kissen, ganz im Stroh versteckt, und diese Oberhemden auch; vermuthlich sind sie dem jungen Siegwart, denn es ist ein S drein genäht. – Kreutzner ward auf einmal todtblaß. Die Bücher sehen ja aus, wie meine, sagte P. Philipp und schlug die Titel auf; ja wahrhaftig: Die Auszüge aus der allgemeinen Weltgeschichte; der Thuanus, und P. Daniels Geschichte von Frankreich. Wie ist er zu diesen Büchern gekommen, Monsieur Kreutzner? Dieser stand, wie versteinert da, und sprach kein Wort.
Nun, nun, wir sehen, was das für ein Wolf in Schafskleidern ist, sagte der Prior. Nicht wahr, feiner Geselle, das hast du gestohlen? Hurtig, Famulus, bringt ihn ins Carcer, bis wir das Weitere mit dem Bösewicht verfügen! Das ist ein Glück, daß wir da noch darhinter gekommen sind! Hätten wir gar einen Hausdieb im Kloster! Ohne Umstände! Fort mit ihm![203]
Der Bösewicht ward fortgebracht, und nun beratschlagte man sich über seine Strafe. Der einmüthige Entschluß war, ihn so lang gefangen zu halten, bis sein Vater Nachricht von ihm hätte, der ihn dann vermutlich ins Zuchthaus, oder unter die Soldaten stecken würde. Nun besprach man sich auch über Siegwart. Weil ihm alle gut waren, und besonders P. Philipp nachdrücklich für ihn sprach, so beschlossen sie, ihm, als einem Neueingetretenen aufs gelindeste zu begegnen, und ihn blos zu warnen, künftig vorsichtiger zu seyn. Man lud ihn nicht einmal vor den Schulkonvent, sondern P. Johann übernahm es, mit ihm auf seinem Zimmer zu sprechen; welches er auch sogleich, und mir der grösten Liebe that. Siegwart ward dadurch mehr gerührt, als wenn man ihn gestraft hätte, und er bat mit tausend Thränen um Vergebung. Ueber Kreutzners Bosheit konnte er sich nicht genug wundern; denn sein Herz war zu gut als daß er glauben konnte, ein Mensch sey im Stande, es so weit zu treiben. Man brachte ihm seine Oberhemden wieder, die er, da er in dergleichen Dingen etwas sorglos war, noch gar nicht vermißt hatte. Bey Tische wagte er es nicht, die Augen aufzuschlagen, und noch weniger den P. Philipp[204] oder Kronhelm anzublicken, die mit innigem Mitleid ihn betrachteten, und in seiner Reue seine ganze Seele lasen. Den Abend brachte er allein auf seinem Zimmer in der tiefsten Wehmuth zu; sein Herz machte ihm tausend Vorwürfe, daß er den edeln Pater und seinen lieben Kronhelm durch sein Betragen so beleidigt, und ihrer Freundschaft den Umgang mit einem Bösewicht vorgezogen hatte. Sein Vergehen vergrösserte sich in seinen Augen, und so großmütig er sich auch die beyden dachte, so konnte er doch nicht glauben, daß sie ihm verzeihen, und ihn wieder ihrer Freundschaft würdigen würden. Er gieng trostlos in seinem Zimmer auf und ab, blickte aus dem Fenster und übersah mit kalter Gleichgültigkeit die schöne Donaugegend, die jetzt keine Reize für ihn hatte; dann nahm er seine Violine, phantasirte wild und schwermütig; warf die Geige wieder weg; kurz, sein ganzes Daseyn wurde ihm zur Last. Indem klopfte jemand an die Thür, und Kronhelm trat herein. Siegwart erschrack, fuhr zusammen, stund auf, wollte reden, und konnte nicht.
Xaver, sagte Kronhelm, komm ich dir ungelegen? Sags nur! ich will nachher wieder kommen. Hast du was zu thun?[205]
Siegwart. Nein – – ich – – hab nichts zu thun. – – Setz dich nur! – Ich wußte nicht, daß du kommen würdest. – Es ist hier so unaufgeräumt. – Nimms nicht übel!
Kronhelm. Xaver, du machst ja so viel Umstände! Thu doch nicht so fremd! Wir sind ja gute Freunde, Nicht?
Siegwart. Ja – – wenn du willst –
Kronhelm. Wenn ich will? Lieber Siegwart! Sieh mich an! Guter Junge; ich weiß, wie dir ist. Laß uns vergessen, was vergangen ist! Komm, küß mich einmal! Gott weiß, ich bin dir herzlich gut. Komm, Xaver! (Sie umarmten sich.) Du lieber guter Xaver! – Wir haben uns schon so lang nicht gesprochen. Bist doch recht vergnügt? Nicht wahr, kannst mich doch noch leiden?
Siegwart. Weiß Gott, ich kanns nicht aushalten, Kronhelm – Geh! Ich bins nicht werth; laß mich weinen! – – Wie hätt ich das denken können, daß du zu mir kommen würdest? Und so freundlich? Weiß Gott, du bist ein Engel! Bist kein Mensch! Alle Heilige müssen dich geschickt haben! – Mich noch ansehen! Mich! – O, ich möchte dich zerdrücken, Junge! – Geh! Ich kann[206] dir nicht ins Aug sehen. Du bist gar zu freundlich. – Jesus, Maria! Was ich für ein Mensch gewesen bin!
Kronhelm. Ich bitte dich, Siegwart, sey doch ruhig! Was hab ich denn gethan? Mußt ich denn das nicht? Du weist gar nicht, was ich auf dich halte! Wenn ich dirs nur zeigen könnte! Sieh! du bist eine Zeitlang mit Kreutznern gegangen, das ist nun vorbey. Wir sind wieder Freunde. Ich, und P. Philipp warens immer, und du wirst sehen, daß wirs immer bleiben.
Siegwart. Pater Philipp auch? Großer Gott? Was das Leute sind! – Ists wahr, Kronhelm? bey Gott! Lüg mich nicht an! Ist er mir noch gut, P. Philipp? Kann er mich noch leiden? Hat er mich nicht längst vergessen? Mir sein Herz verschlossen? Sag!
Kronhelm. So wahr ich selig werden will! Er ist dir noch so gut, wie ehmals.
Siegwart. Nun, so will ich gern sterben! Mags nun gehen wie's will! Hör', Kronhelm, das hätt ich nimmermehr geglaubt. Aber ihr seyd Heilige; thut mehr, als alle Menschen. Nun, Gott wird sich meiner nun auch erbarmen, da ihrs[207] thut. Hab Dank, Lieber! Warlich ich kann dirs schwören! Mein Herz ist noch nicht ganz verdorben. Bös hab ichs nicht gemeynt. Aber ich war doch ein Scheusal. Wenn ihr mir nur verzeiht! Dann ist alles gut.
Kronhelm sank nun wieder an sein Herz, und weinte. Kein Schauspiel ist auf Erden schöner, als die Aussöhnung zweyer Freunde. Der ganze Himmel freut sich über einen Sünder, der Busse thut; so freut er sich, wenn zwo Seelen, die einander werth sind, und sich eine Zeitlang misverstanden haben, sich wieder mit einander aussöhnen. Sie lieben sich nun stärker, wie zwey Liebende nach einer kurzen Trennung. – Siegwart wurde nun wieder vertrauter, und offenherziger; er wagte es nun wieder, seinen Kronhelm frey anzusehen. Wenn er ihn lang ansah, ward sein Herz auf einmal weich, und ein unwiderstehlicher Trieb zog ihn in die Arme seines Freundes. Er schwur ihm ewige Treu, und versprach, ihm künftig die kleinsten Bewegungen seines Herzens zu entdecken. Sie sassen bey einander, bis die Dämmerung anbrach; dann spielten sie ein Duett, alle Töne schmolzen in einander, wie ihre Seelen, und wurden Eins.[208]
Siegwart warf sich, als sein Freund weggegangen war, auf sein Knie, und dankte Gott für dieses himmlische Geschenk. Den andern Tag kam auch P. Philipp zu ihm auf sein Zimmer; sein Herz ward aufs neue zerrissen, aber durch den Balsam der Freundschaft ward es wieder geheilt. Nun war er unaufhörlich bey den beyden Edeln, nährte seine Seele mit der Weisheit des Paters, und der himmlischen Gesinnung seines jüngern Freundes. Sie genossen alle Freuden der Natur und des Lebens miteinander, und fühlten alle Wonne doppelt. Siegwart bekam immer mehr einen festen und männlichen Karakter; bereicherte seine Kentniß durch die Hülfe des Paters, dessen Umgang so lehrreich war, weil er aus der Geschichte der Menschheit wahre Lebensregeln abgezogen hatte, die er stets am rechten Ort anzuwenden wuste. Dabey lieh er auch Xavern viele gute Bücher, die er ihn auf die rechte Art lesen lehrte. Kronhelm war im Umgang, besonders mit mehrern, mehr still, als gesprächig; aber was er sprach, war empfunden und gedacht. Sein Gefühl fürs Schöne und Gute war das tiefste und feinste. Er blieb sich, in allen Lagen immer gleich; und wen er einmal liebte,[209] von dem war sein Herz nicht mehr abzuziehen; sein Freund müßte denn lasterhaft geworden seyn. Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn er war in der Wahl seiner Freunde vorsichtig und langsam. Er machte keine Freundschaftsversicherungen, und bot seine Dienste niemals an; aber, sobald sein Freund sie nötig hatte, half er ihm, ohne was davon zu sagen.
Vierzehn Tage nach seiner Gefangenschaft wurde Kreutzner seinem Vater überliefert, und, auf dessen Verfügung, unter ein Kayserliches Regiment in Ungarn gesteckt. Er hatte gewünscht, unsern Siegwart noch einmal zu sprechen; dieser verbat sichs aber, weil er ihn zu sehr verachtete; doch schickte er ihm noch aus Mitleiden etwas Geld zu, weil er vom Famulus gehört hatte, daß er halb krank, und von allem Nöthigen entblößt sey.
Bald drauf schrieb Siegwart seiner Schwester Therese, die er während seines genauern Umgangs mit Kreutzner fast vergessen hatte. Er bat sie, wegen seines längern Schweigens, sehr beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig die Ursache davon, und berichtete ihr Kreutzners Schicksal. Von P. Philipp und Kronhelms Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr[210] noch eine Adresse ausserhalb dem Kloster, wo die Briefe an ihn abgegeben werden sollten. Kronhelm hatte ihm diese Gelegenheit gezeigt; denn alle Briefe, die vom Kloster aus geschrieben, oder dahin adressirt sind, müssen erst vom Prior gelesen werden, und dieß war unserm Siegwart und Kronhelm sehr verdrüßlich. Therese schickte ihm nach etlichen Tagen diesen Brief;
Theurester Bruder!
Tausendmal hab ich schon dem Himmel gedankt, daß du nun des Kreutzners gänzlich los bist. Ich weiß nicht, ich konnte den Menschen gar nie ausstehn, ob ich gleich nur wenig von ihm wußte. Aber dein Pater Philipp, und dein Kronhelm sind gar liebe Leute, denen ich recht herzlich gut bin. Sags ihnen nur! Sie dürfens wissen! War das nicht brav gehandelt, daß der Herr von Kronhelm, um den du's eben nicht verdient hattest, gleich von freyen Stücken zu dir kam, und dir seine Freundschaft wieder anboth? Ich mußte weinen, als ichs las, und ward ihm noch einmal so gut. Ach, es muß ein herrlicher Mensch seyn, und der Pater auch. Nimm dich nur in Acht, ich bitt dich lieber Bruder, daß du[211] ihre Freundschaft nicht aufs neue verscherzest, und dich mit einem andern zu weit einlässtest! denn die Beyden meynens gewiß recht ehrlich mit dir. Denk, wie unglücklich du durch Kreutznern hättest werden können! Papa wird dir auch drüber schreiben. Unsre Salome ist seit vier Wochen wieder hier. Ich mag nicht gerne klagen, sonst könnt ich dir gar viel anführen, wie sie mir immer so zuwider ist. Sie sagt, daß sie vom künftigen Herbst an ganz in München bleiben will. Ich habe nichts dawider, denn mit mir und dem Landleben scheint sie sich einmal nicht vertragen zu können; ob ich ihr gleich gewiß nichts wissentlich zu leide thu. Karl will des Amtmanns in Dollingen Tochter heyrathen; ich weiß nicht, ob du sie kennst? Sie hat uns einmal, schon vor drey Jahren, besucht. Ich kenne sie nicht genug, um dir meine Meynung über sie sagen zu können. Das weiß ich, daß sie reich und geitzig ist; mich sah sie nicht viel an, als sie neulich hier war; es scheint, ich bin ihr zu munter; denn sie sieht immer sehr verdrüßlich aus, und thut so altklug. Karl daurt mich, wenn er sie kriegt; freylich sieht er auch aufs Geld; aber ich dächte, nach meiner einfältigen Meynung, das wäre[212] zur häuslichen Glückseligkeit noch nicht genug. Wenn ich ein Mann wär, und eine Frau haben wollte, so müßte sie mir fein freundlich seyn, und nicht bey jedem Heller, den man ausgibt, so ein saures Gesicht machen; doch das geht mich ja nichts an. Papa würd ihms auch mißrathen, wenn er sich nur einreden liesse. – Weist du schon, daß in Burgau Preußische Officiers liegen, die von der Reichsarmee gefangen worden sind? Es haben uns schon mehrere verschiednemal besucht; aber einer, der mir ausnehmend gefällt, besucht uns besonders oft, und das ist der Hauptmann, Herr von Northern. Ich sag dir, Bruder, das ist ein herrlicher Mann, gar nicht so, wie man uns die Ketzer sonst beschrieben hat. Er soll reformirt seyn, ich glaub aus dem Hessischen; aber das thut nichts; er ist doch ein braver Mann! Er hat ein paar schwarze Augen, wie Perlen, und ein Gesicht, das von der Sonne ganz verbrannt ist, mit ein paar Narben, eine auf der Stirn, und die andre unten am Kinn; und doch sieht er freundlich aus, und hat gar nichts so rauhes an sich, wie man sonst von den Soldaten sagt. Er spricht ganz fremd, und das steht ihm recht gut. Ich hör ihm gar zu gern[213] zu, wenn er vom Krieg erzält, und von seinem König. Um den Krieg muß es eine schröckliche Sache seyn, weit fürchterlicher, als wirs uns vorstellten da wir als Kinder mit einander Krieg spielten. Er kann von Wunder nicht genug erzälen, was die armen Bauren ausstehn, wo der Krieg ist; und wie's aus dem Wahlplatz und in den Lazarethen aussieht! Die Thränen stehen ihm oft selbst dabey in den Augen. Wenn ich König oder Kayser wäre, so würd ich viel auf den Frieden halten. Vom König in Preussen erzält er uns viel Gutes; mehr, als man hier zu Land sagen darf. Am liebsten hör ich ihm zu, wenn er uns von seiner Braut erzält, die weit von hier weg seyn soll. Er muß sie recht lieb haben, denn er ist immer so bewegt, wenn er von ihr spricht. Sie soll ausehn, wie ich; aber ich glaub, er sagt nur so; denn er weiß, daß ichs gerne höre. Von Büchern ist er ein grosser Liebhaber. Als er neulich hörte, daß ich gern was schönes lese, brachte er mir gleich darauf drey Bücher mit. Eins heißt: Gellerts Fabeln, es ließt sich gut darinn, weil alles so leicht und faßlich ist, und weils der Mann, ders geschrieben hat, recht gut mit einem meynt. Das[214] andre Buch ist schon höher geschrieben, und heißt Rabeners Satyren; es sollen mehr Bände seyn; in dem, den ich habe, stehen lauter Briefe, die recht lustig zu lesen sind; oft steckt viel dahinter, und die meisten sind so recht natürlich. Das dritte Buch soll weit schwerer zu verstehen seyn, aber dafür soll auch desto mehr drinnen stehn; der Herr Hauptmann rühmts gar ungemein, und nennts ein Buch aller Bücher, das ihn besonders im Krieg recht erbaut habe. Es heißt der Messias, und ist in ganz besondern Versen geschrieben. Ich hab den Mann wieder vergessen, ders geschrieben hat, und noch fortsetzt; er hat einen sonderbaren Namen. Weil das Buch schwer ist, und so schön seyn soll, will ich lieber bis gegen den Winter warten, da ich mehr Zeit zum Lesen und zum Nachdenken habe, denn ich lese gern was ernsthaftes, aber da muß mich dann auch nichts zerstreuen. Der Herr Hauptmann ist gar gut, und sagt, ich könne die Bücher behalten, so lang ich wolle. Er ließt mir oft etwas vor, und ließt recht angenehm, daß mirs immer besser gefällt, als wenn ichs für mich in der Stille lese. Salome kann ihn nicht gut ausstehn; ich glaub, weil er mehr mit mir macht,[215] als mit ihr. Aber da kann ich ja nichts dafür. Sie sagt, ich hänge mich an den Ketzer, und sey in ihn verliebt. Das ist ja lächerlich, da er eine Braut hat. Oder soll ich nicht mit ihm sprechen, weil er ein Ketzer ist? Er ist doch so artig, und hat ein recht gutes Gemüth, so gut als ein Katholik. – Ich hab dir dießmal recht viel geschrieben Bruder; das macht, weil ich dich so lieb habe, und dir gern alle Kleinigkeiten erzähle, die mich angehn. Der Herr Hauptmann weiß es auch, daß ich dich so lieb habe, und läßt dich vielmals grüssen. Er sagt, du solltest nur kein Mönch werden. Leb recht wohl, herzliebster Bruder, und gib mir bald Nachricht, wie's dir geht? Empfiehl mich dem Herrn P. Philipp, und dem Herrn von Kronhelm aufs beste! Ich verbleibe lebenslang
Deine getreuste Schwester
Therese.
Siegwart gieng gleich mit diesem Brief auf Kronhelms Zimmer, und las ihn ihm vor. Kronhelm war über die schöne Einfalt des Mädchens ganz entzückt, und nun mußte ihm Siegwart den ganzen Abend durch von ihr erzählen.[216] Er thats mit so vieler Wärme, und herzlicher, ungekünstelter, brüderlicher Liebe, daß Kronhelms ganze Seele von ihr eingenommen wurde, und an allen Kleinigkeiten Antheil nahm, die sie betrafen. Er trug ihm seine vielfache Empfehlung an sie, und die Versicherung der aufrichtigsten Hochachtung auf. Xaver, sagte er, ich bedaure dich, daß du einst durch keine Frau glücklich werden sollst; ich halte die häusliche Glückseligkeit für die gröste, ob ich gleich in meines Vaters Hause, leyder! nie keine Spur davon angetroffen habe. Du sprachst vorhin von deiner lieben Schwester mit so vieler Wärme; du bemerkst alle Vorzüge des weiblichen Geschlechts so genau, weist sie so zu schätzen, und fühlst sie so tief, daß ich bange für dich bin, wenn du einmal ein Mädchen antreffen solltest, welches deiner Schwester ähnlich ist. Glaub mir, Siegwart, mir einem fühlenden Herzen in der Welt zu leben, und nicht fühlen zu dürfen, muß der gröste Schmerz seyn, der unsichtbar am Leben nagt. Dein Herz ist jedem Eindruck so offen, hängt sich gleich so fest an alles Gute an: und die Liebe, Siegwart, muß was Gutes seyn. Warum fühlte sie denn jeder Mensch, auch die Besten auf der Welt? Nimm[217] dich in Acht, mein Lieber! oder wähl lieber einen Stand gar nicht, der dem Herzen so vielen Zwang anlegt! Denk einmal, wenn du liebtest, und nicht lieben dürftest! Wenn du sahest, daß ein Mädchen dich allein glücklich machen könnte, und du müßtest, aus ihrer Gegenwart weg, in deine ewige Gefangenschaft und Einsamkeit zurückkehren!
Siegwart. Geh, Kronhelm, du siehst jetzt die Sache von der traurigen Seite an, und vergissest drüber ihre angenehme. Ich hab im Kloster höhere Pflichten zu erfüllen, die mich von der Welt schon abziehen werden. Vor der Liebe ist mir gar nicht bang; ich bekümmere mich zwar wol um meine Schwester, aber nicht um andre Mädchen. Ich halte auch das häußliche Leben für eine große Glückseligkeit, und habe sie in meinem Hause recht gesehn, so lang meine selige Mutter lebte; aber deswegen gibts der Glückseligkeiten noch mehr, und jeder Mensch sucht sie auf seinem eignen Weg. – Du sahst vorhin so wehmütig aus, als du von deinem Vater sprachest, hat er denn deine Mutter nicht geliebt?
Kronhelm. Ach, Siegwart, da bringst du mich auf eine traurige Sache, von der ich ungern rede; aber dir kann ich nichts verhehlen;[218] ich weiß, daß du's bey dir behältst. Sieh, mein Valer ist ein Mann – es thut mir weh, daß ichs sagen muß – wie ich nicht seyn möchte. Er hat sich in München und im Krieg eine Lebensart angewöhnt, bey der die häusliche Glückseligkeit nicht gut bestehen kann. Meine selige Mutter mußte ihn in ihrem siebzehenten Jahr heyrathen. Sie war ein Fräulein aus der Pfalz, wo sie mein Vater, als er mit den Reichstruppen am Rhein stand, kennen lernte. Er hatte sie nur Einmal bey ihrem Vater auf dem Land gesehen, und sich gleich in sie verliebt. Bruder, sagte er zu meinem Großvater, der auch gern bey der Weinflasche saß, ich muß deine Tochter haben! – Gut, du sollst sie haben; willst sie Heut, oder Morgen? antwortete dieser. Und nun war alles richtig. Meine Mutter hatte wenig Vermögen; sie wars überdrüssig, unter dem beständigen Gelärm in ihres Vaters Haus zu leben; denn alle Tage gabs Gesellschaft; sie hofte, meinen Vater, der sehr verliebt in sie war, bald auf den rechten Weg bringen zu können, und gieng mit ihm auf seine Güter nach Baiern. Anfangs gieng alles recht gut. Mein Vater lebte still und eingezogen, war gern um seine Frau,[219] und legte, ihr zu Lieb, fast alle seine vorige Gewohnheiten ab; besonders das Fluchen und das Trinken. Nach ein paar Jahren, als der Krieg vorbey war, kamen zwey oder drey Edelleute, die im Krieg seine Kammeraden gewesen waren, in unsre Nachbarschaft; besuchten meinen Vater fleissig; und er fieng seinen vorigen Lebenswandel wieder an. Man spielte, trank, fluchte, gieng auf die Jagd, kam um Mitternacht mit 3 oder 4 Junkern nach Haus, und unser Schloß sah einer Dorfschenke ähnlicher als einem Edelhof. Meine Mutter, die eine trefliche und fromme Frau war, trug ihr Leiden lang in der Stille. Ich weiß es noch aus meiner Kindheit, wie sie oft auf unsrer Kammer weinte, da indeß die Edelleute beym Weinkrug lärmten. Endlich nahm mein Vater auch eine Person ins Haus, die er noch bey sich hat, die vorher etliche Jahr im Feld mit herum gezogen war, und sich mit den gemeinsten Kerls abgegeben hatte. Dieser übergab er die ganze Herrschaft, und sie wuste sich derselben nur zu viel zu bedienen. Sie war mit bey Tische, und brachte mit meinem Vater und der übrigen Gesellschaft solche Zoten und Zweydeutigkeiten vor, daß meine Mutter alle Augenblicke[220] weggehen mußte, wenn sie nicht roth werden wollte. Kunigunde, so heist die Person, that meiner Mutter alles mögliche Herzeleid an; stichelte auf sie; gab ihr grobe Reden; und sagte oft, daß sie nur aus Gnaden auf dem Schloß sey. Mir und meinem Bruder, und meinen zwey Schwestern begegnete sie aufs grausamste, schimpfte auf uns, schlug uns nach Gefallen, und lehrte meine Schwestern die leichtsinnigsten Zoten und Lieder. Meine Mutter, die sonst Stärke der Seele genug hatte, konnte das nicht länger ansehen; sie für sich hätte gern gelitten; aber wir dauerten sie zu sehr, sie hielt also bey meinem Vater an, ob sie mit uns auf ein entferntes Gut ziehen dürfte, das ihm zugehört? Er willigte mit Freuden ein, denn das war längst seine und Kunigundens Absicht gewesen, die ihm derwegen immer in den Ohren gelegen hatte. – Wir reißten also mit unsrer Mutter nach Wißdorf, wo wir unter ihrer Aufsicht die treflichste Erziehung genossen, die ich ihr noch tausendmal im Grab verdanken muß. Sie hatte das zarteste Gefühl des Herzens, das bey jedem fremden Elend mit litt, und an jeder Freude ihrer Nebenmenschen Antheil nahm. Sie war eine Wohlthäterinn der ganzen Gegend; verarmte[221] Bauren, bedrängte Witwen, unglückliche Eltern kamen zu ihr, und giengen mit Trost und Rath wieder von ihr weg. Ihr Verstand war scharf und fein, daß sie gleich bey jeder Sache auf den Grund kam; gleich die besten Mittel wählte, oder angab, und sich in jedermann zu schicken wuste. Ihre Lebhaftigkeit war ausserordentlich; an allem, was sie sah und hörte, nahm sie Antheil; unsre Spiele machte sie Stundenlang mit, und wuste sie uns immer neu und unterhaltend zu machen, denn niemand war erfinderischer, als sie. Ihr Herz beschäftigte sich unablässig mit der Religion, und doch bezogen sich alle ihre Handlungen, auch ihre Andachtsübungen, beständig auf das Wohl der Menschen, und besonders ihrer Kinder. Sie wuste uns die wichtigsten Wahrheiten und die heiligsten Gesinnungen spielend, und gleichsam nur von ungefähr beyzubringen. Keine feyerliche Gelegenheit, wenn das Herz zu den Eindrücken der Religion am geschicktesten ist, ließ sie ungenützt vorbey gehen. Wenn wir von der Schönheit der Natur recht entzückt waren, zeigte sie uns unvermerkt den Urheber derselben, und flößte uns Ehrfurcht und Liebe gegen Ihn ein. Oft kniete[222] sie mit uns in ihrer Kammer, betete mit Thränen um das Wohl, und die Erleuchtung unsers Vaters; um unser zeitliches Glück, um die Erhaltung unserer Unschuld, und daß sie uns einmal alle wieder bey sich im Himmel versammelt sehen möchte! Dieses Krucifix hier auf dem Tisch ist mir ewig heilig. Sie hatte es in ihrer Kammer, kniete oft davor mit heisser Innbrunst, und benetzte es mit ihren Thränen. Nie hab ich von unsrer heiligen Religion mit solcher Einfalt, mir solcher Würde, und mit solcher innigen Empfindung sprechen hören. So äusserst zart von Gefühl, und so ängstlich sie auch von Natur war, so streng auch ihre Grundsätze von Religion und Tugend waren, so verleitete sie dieses doch nie zur Lieblosigkeit in Beurtheilung anderer. Sie war streng, aber gegen sich am strengsten. Wenn sie sich zuweilen auch wegen andrer, und besonders wegen ihrer Kinder, zu vielen, auch wol ungegründeten Kummer machte, so war doch die Quelle davon so rein, so edel, daß ihr gewiß jedes dieser Leiden ewig wird vergolten werden. Die Religion gab ihrem Herzen die gröste Festigkeit; sie würde, wenn ich jemals von ihr wanken könnte, mit der Muter der sieben Brüder gesagt haben: Sohn,[223] erbarm dich mein, und stirb! Ihr Geschmack war so sicher, daß ihr nicht das geringste Gute oder Böse an einer Handlung entwischte. Sie folgte immer der Natur; Ihre Kleidung zeugte von der grösten Einfalt; sie gieng nie prächtig; aber immer reinlich und zierlich. Von uns war sie die vertrauteste Freundinn, vor der wir keine Heimlichkeiten hatten. Sie sorgte vor die Bildung unsers Herzens, und gab uns einen treuen Leiter unsers kindischen Verstandes, den rechtschaffnen Friedmann, der uns alles wurde; dem wir, nächst ihr, alles zu verdanken haben. Er kam als ein Mensch von zwanzig Jahren zu uns, und blieb bey uns bis in sein dreissigstes. Die Treue, die er an uns bewieß, kann man von keinem Vater grösser erwarten. Alle seine Zeit, und alle seine Kräfte waren uns gewidmet. Er hatte viele und ausgebreitete Kenntnisse, die er uns mit unermüdeter Geduld und lauter Liebe einzuflössen suchte. Sein Herz war das sanfteste und beste. Sein Gesicht drückte die ganze stille Ruhe seiner Seele aus. Er war immer ernst, und doch beständig heiter. Alle seine Reden lehrten Weisheit, ohne daß man eine Absicht an ihm merkte, sie zu lehren. Die Religion, für die er, auch im äusserlichen die gröste Ehrerbietung hatte,[224] lenkte alle seine Handlungen; und Geschmack und Weltkentnis machten alles, was er that, und sprach, angenehm. Meine Mutter hatte ihn zu ihrem vertrautesten Freund gemacht, und zog ihn bey allem, was sie mit uns vornahm, erst zu Rath. In ihrer letzten Krankheit vor drey Jahren mußte er beständig um sie seyn, sie unterhalten, und ihr aus geistlichen Büchern vorlesen. Ihre letzte Mine lächelte ihm Dank zu, und erinnerte ihn ans Wiedersehn im Himmel. Von ihrem Tode kann ich dir nur wenig sagen, Siegwart, denn das Andenken daran ist mir viel zu traurig. Sie lag lange krank, und litt viel, aber immer mit Geduld und himmlischer Gelassenheit. Den Tag vor ihrem Tode ließ sie uns noch alle zu sich kommen. Wir knieten um ihr Bett herum, und glaubten zu vergehen. Sie faßte sich, wie ein Mann; betete mit nie empfundner Innbrunst; und gab uns ihren Segen. Ich kann dir nicht sagen, Freund, was das für ein Auftritt war, und welchen tiefen Eindruck er, auf mein ganzes Leben, in mein Herz gemacht hat. Bey ihrem Tode waren wir nicht gegenwärtig; sie starb früh; Friedmann war allein bey ihr, und wollte uns nicht rufen, um uns den[225] ersten unerträglichsten Schmerz zu ersparen. Ich kam drauf zu meinem Onkel, dem geheimen Rath von Kronhelm in München, wo ichs auch recht gut hatte, bis ich vor zwey Jahren hieher kam. Mein Bruder kam an Hof wo er noch ist; meine ältre Schwester kam auch zu meinem Onkel nach München, wo sie sich nun recht glücklich an einen braven Mann verheyrathet hat; und meine jüngste Schwester mußte zu meinem Vater, wo sie noch ist. Das gute Mädchen daurt mich; denn sie ist zwar gut erzogen, aber jetzt soll sie, durch die freye Lebensart bey meinem Vater, schon ziemlich verwildert seyn. Friedmann bekam bald darauf, durch Vorschub meines Onkels, eine gute und einträgliche Bedienung.
Sieh, Xaver, das ist die Geschichte meiner, nun beglückten Mutter, deren Andenken mir ewig unvergeßlich und theuer seyn wird. Was ich dir von meinem Vater gesagt habe, must du ja verschweigen! Ich hab's noch keinem Menschen, ausser dir, anvertraut.
Siegwart. Sey unbekümmert drüber, lieber Kronhelm! Ich danke dir recht sehr für die Erzälung. Sie hat mich unaussprechlich gerührt. Ich habe tausendmal dabey an meine selige Mutter gedacht, die soviel ähnliches mit deiner Mutter[226] hatte; nur ihr vieles Leiden ausgenommen; denn – Gott sey dank! – Ich hab den herrlichsten und rechtschaffensten Vater, der meine Mutter wie sich selber liebte. – Was ist denn nun deine Bestimmung, Kronhelm? Must du nun wieder zu deinem Vater zurück, wenn du ausstudirt hast?
Kronhelm. Ich kann noch nichts gewisses sagen, Xaver. Mein Onkel will mich auch an den Hof haben. Ich leb aber lieber auf dem Lande, und muß auch einmal, als der älteste Sohn, die Landgüter, die zwar freylich etwas verschuldet sind, antreten. In anderthalb Jahren geh ich nach Ingolstadt auf die Universität.
Indem kam P. Philipp auf das Zimmer, um bey dem angenehmen Wetter die beyden Freunde zu einem Spatziergang an die Donau mitzunehmen. Sie brachten den Abend unter heitern freundschaftlichen Gesprächen zu, und freuten sich der schönen Witterung, die jedes Gras und jeden Vogel neu belebte. An einem etwas erhöhten Theil des Ufers, das mit Tannen und Eichen bepflanzt war, fanden sie die Gegend so schön, daß sich P. Philipp mit den beyden Jünglingen niedersetzte, sein Reißzeug herauskriegte, und die Landschaft zu[227] zeichnen anfing. Vor ihnen floß die grüne Donau ruhig; nur hie und da, wo grosse Kiesel lagen, warf sie Wellen. Am jenseitigen Ufer, welches sandig, und nur hin und wieder mit Weiden bewachsen war, standen Kühe halb im Wasser, und tranken. Diesseits des Ufers, welches eine grüne Wiese bedeckte, sassen einige Knaben, die sich eben zum Baden auszogen. Siegwart und Kronhelm setzten sich eine Strecke weit vom P. Philipp unter einen Tannenbaum, um ihn im Zeichnen nicht zu stören. Erst bewunderten sie die mannigfaltige Gegend, und lasen dann zusammen eine Ekloge im Virgil, den Kronhelm zu sich gesteckt hatte. Plötzlich entstand unten an der Donau ein Geschrey; denn einer von den Knaben, welche badeten, wollte eben untersinken. Unsre beyden Jünglinge liessen den Virgil, den sie gemeinschaftlich hielten, fallen, daß er vor ihnen den Berg hinunter holperte, und sprangen in vollem Trab den Berg hinab. Weil das Ufer steil und sandig war, daß der Sand unter den Füssen wegwich, so stürzte Kronhelm über und über, bis er unten lag. Siegwart aber sah und hörte nichts, als den Knaben in der Donau, und sprang, so wie er war, hinein, um ihn zu retten. Kronhelm raffte[228] sich indessen wieder auf, und wollt ihm eben nachspringen, als der Pater auch den Berg herab kam, und ihn zurückhielt, weil er sich das Gesicht ganz blutrünstig gefallen hatte. Siegwart brachte nun den Knaben wieder aus dem Wasser, der vor Schrecken und Todesangst zitterte. Ein andrer Knabe, der beym Schreyen seines Kammeraden ganz nackt weggesprungen war, kam mit dessen seiner Mutter, welche todtenblaß aussah, herbeygelaufen. Wo ist er? wo ist er? rief sie, ohne jemand am Ufer zu bemerken, und rannte wild ans Wasser hin. Philipp eilte, sie zurückzuhalten, und sagte, daß ihr Sohn gerettet sey. – So? So? rief sie, sah stier um sich, und flog endlich, als sie ihren Knaben sitzen sah, auf ihn zu, umschlang ihn, als ob sie ihn zerdrücken wollte; rief: Gott sey ewig Lob und Dank, daß ich dich wieder habe! und brach in einen Strom von Thränen aus. – Und welcher Heilige hat dich denn errettet, Joseph? – Ich weiß nicht, Mutter, war des Knaben Antwort. – Hier, dem jungen Herren da, hat sies zu verdanken, sagte Pater Philipp, und wieß auf unsern Siegwart. – Ihm? Ihm? Nun, so dank Ihm Gott! Belohn Ihn, segn Ihn tausendfältig! Du lieber Gott! hat Ers gethan? Sieht er? 's ist mir[229] so Ernst zum Danken; aber ich kann nicht. – Du lieber Herzensknab! wenn ich dich verlohren hätte! – Aber das verfluchte Baden, daß du mir das künftig lässest! – Sieh, da seh ich erst, daß du ganz nackt bist. – Die Herrn müssen dirs nicht übel nehmen; ich habs nicht gewußt. – Lieber Gott, wenn du da ertrunken wärest! O junger Herr, er hat mirs Leben erhalten; weiß Gott, er hats! Der Jung geht mir über alles. – Nicht wahr, Herzens Joseph? Aber daß du mir nur nicht wieder badest. – Sieht er, junger Herr, wenn ich künftig einmal Freud an ihm erlebe, so verdank ichs Ihm; und täglich will ich vier Rosenkränze für ihn beten; aber sonst hab ich nichts; ich bin ein armes Weib. – Nun fieng sie an zu weinen. –
Als Philipp mit seinen jungen Freunden endlich weggieng, küßte sie Siegwarten noch die Hand; dieser drückte ihr, zum Andenken, wie er sagte, einen Gulden in die Hand; Philipp und Kronhelm thatens auch. Nun war sie gar ausser sich, und wollte vor ihnen auf die Knie niederfallen; noch hundertmal rief sie ihnen nach: Tausend Gotteslohn! und ihr Knabe mußte ihnen noch einmal[230] nachspringen, da sie schon weit weg waren, und jedem noch die Hand küssen.
Das ist eine traurige Bemerkung, sagte Philipp, die ich schon recht oft gemacht habe, daß der Anblick des Geldes über das Baurenvolk alles vermag! Sie wissen nicht mehr, wo sie sind? wenn sie ein paar Gulden sehen, und halten keine andre Wohlthat für so groß. Entweder setzen sie all ihr Vertrauen drauf, oder die Landsherren lassen ihnen so wenig, daß sie's für die gröste Seltenheit, und eben darum für das gröste Gut halten.
Siegwart. Ich fürchte fast das letztere. – Aber, Kronhelm, da seh ich erst, daß du im Gesicht ganz blutig bist. Es ist dir doch kein Unglück begegnet?
Kronhelm. Nein, ich fiel nur den Berg herab, als ich dem Knaben zu Hülf kommen wollte. Es hat gar nichts zu bedeuten.
Siegwart. So? wolltest du auch in die Donau springen? Ich glaub, du kannst nicht einmal schwimmen.
Kronhelm. Doch! Ich habs im Lech gelernt; der fließt ja an unserm Schloß vorbey. – Du bist noch ganz naß, Siegwart. Wenn dirs nur nicht schadet, daß du dich verkältet hast?[231]
Siegwart. Ey, was! das hat nichts zu sagen! Ueber der Freud hab ich alles wieder vergessen. Ich kanns wohl sagen: Es ist mir herzlich lieb, daß ich den Knaben noch errettet habe. Er klammerte sich so fest an mich an, und machte sich so schwer, daß ich fast mit ihm hinunter sank. Nun bin ich aber auch recht müd.
P. Philipp. Das glaub ich, lieber Siegwart; ich bins schon vom Schrecken. Dafür soll ihm aber auch die Ruhe heut recht süß schmecken. So ein Tag geht über alles! Zuvor wollen wir noch ein gutes Glas Rheinwein mit einander trinken; ich hab gestern welchen geschenkt gekriegt. Und morgen, lieber Siegwart, mach ich meine Landschaft vollends fertig, und zeichne seine, und des braven Kronhelms That drauf. Ihm kopier ich das Stück auch, lieber Herr von Kronhelm. Ihr müßts dann beyde, zum ewigen Andenken, in eurem Zimmer aufhängen.
Nun kamen sie ins Kloster zurück, und brachten den Abend recht vergnügt bey einem Glas Wein zu. Siegwart fühlte so ein inniges Vergnügen über seine That, ohne dran zu denken, wie ein Schutzgeist, der einen Entschluß, den er seinem Freund im Schlaf eingeflüstert hat, zur That[232] werden sieht. Siegwart und Kronhelm beredeten sich, bey ihrem Prior anzuhalten, ob sie nicht auf Ein Zimmer zusammen ziehen dürften? Der Prior gab es ohne Anstand zu; und Kronhelm zog auf Siegwarts Zimmer, das, wegen seiner herrlichen Aussicht, so vorzüglich war. Die beyden Freunde fühlten so viele Uebereinstimmung ihrer Seelen; ihre kleinsten Empfindungen schmolzen so ineinander, daß sie beynahe unzertrennlich wurden; und in jedem Augenblick eine Leere fühlten, den sie nicht miteinander zubringen konnten. Kronhelm, der in den eigentlichen Wissenschaften schon weiter war, theilte unvermerkt im Umgang alle seine Kentnisse seinem Freunde mit, und P. Philipp erweiterte sie durch seinen Umgang immer mehr. Er liebte sie, wie seine Kinder. Beyde malte er ab, und hieng sie über seinem Schreibpult auf. Die beyden Bildnisse sahn einander an, und lächelten sich mit dem unbeschreiblichsten Gefühl der Freundschaft zu. Wers nicht wuste, sah es, daß die Beyden Freunde waren. – Zweymal in der Woche gab der junge Pater, der Musikdirektor war, ein Koncert, und unsre beyden Jünglinge nahmen so sehr im Violinspielen zu, daß sie Meister wurden. Sie spielten[233] sich in ihren Privatübungen so zusammen, daß, wenn sie spielten, die Töne ihrer Violinen zwey Bäche schienen, die erst nebeneinander herrieseln, und dann in eins zusammenfließen. Auch im Singen nahm Siegwart täglich zu.
Gegen den Herbst bekam Kronhelm folgenden Brief von seinem Vater:
Mein Sohn.
Ich sag dir, Jung, du must zu mir kommen, und mich auch besuchen thun. Sapperment, hab dich ja sint vielen Jahren nit gsehn. D'Jagt ist braf, und Hirsch und Reh gibts ihr gnug, auch Haasen die schwere Meng. Komm nur und sollt deine Lust hahn. Muß doch auch mal sehn, wie d' aussehen thust, bist wol ein Kopf grösser worden? Narr, 's sind dir Junker im Land, die's mit'm fürstlichen Jäger aufnimmen thäten. Wirst doch schiessen können, sonst bist 'n Hundsfutt, und 'n alte Hur, sag ich. Kanst auch 'n Kammraden mitnemmen, oder 'n Paar, wenn d' willt. Z'fressen gibts gnug. Auch z' sauffen. Hol mich der Teufel! ich bin dein getreuer Vater, und must kommen, sag ich, auf d' Fakkants. Schreib mirs erst, wie viel Gäul du brauchen thust, daß[234] ichs schick durch den Jackerl, und wenn du kommen willt? Hasts ghört? Bin, wie schon gesagt dein ehrlicher Vater
Veit Kronehelm.
Kronhelm gieng nicht gern, aber er muste doch. Er trugs unserm Siegwart an, ob er ihn begleiten wolle? Ich weiß wol, sagte er, daß du da wenig Freude haben wirst, und mehr Verdruß; aber, Bruder, du erzeigtest mir einen ausserordentlichen Gefallen. Die Zeit würde mir draussen so lang werden, wenn ich mit keinem Menschen umgehn könnte; und ohne dich kann ich fast gar nicht mehr seyn. Willst dus thun, Xaverchen? Ich thu dir auch wieder einen Gefallen. Nicht wahr? Du gehst mit? Siegwart antwortete: Freylich, Kronhelm! wo du hin willst, und wenns in die Hölle wäre! Daß du auch noch so was fragen kannst? Meynst denn, ich möcht ohne dich hier seyn?
Kronhelm schrieb also seinem Vater, er würde zu Anfang des Augusts, wenn das Schuljahr geendigt wäre, mit noch einem Freunde zu ihm kommen, und die Ferien da zubringen. – Jetzt war er sehr beschäftigt, die Rolle auswendig[235] zu lernen, die er bey der bevorstehenden Schulkomödie zu spielen hatte. Xavern wurde noch keine Rolle aufgetragen, weil er noch nicht lang auf der Schule war; aber im Orchester spielte er mit, und akkompagniete bey dem Singspiel eine obligate Arie, auf der Violine, mit solch allgemeinem Beyfall daß das ganze Parterre zusammen klatschte, und den Sänger, der nicht schlecht war, drüber vergaß.
Zwey Tage drauf, nach der Schulkomödie, schickte Junker Veit seinen Reitknecht mit drey Pferden nach der Stadt, um seinen Sohn und Siegwart abzuholen. Sie nahmen ihre Violinen mit, um sich allenfalls die Zeit zu vertreiben, und steckten den Virgil, nebst noch ein paar Büchern zu sich. Der Reitknecht Jakob, oder Jakerl, war ein lustiger Kerl, den Junker Veit im Nothfall statt eines Kammeraden brauchte, denn er verstund die Jägerey aus dem Grunde, und hatte auch jetzt einen Windhund, einen Hühnerhund, einen Dax und eine Flinte bey sich. Das Schloß des Junkers lag sechs Stunden weit vom Städtchen, und hieß Steinfeld. Der Weg dahin gieng mehrentheils durch Ebenen und Tannenwälder. Jakob sah die ganze Gegend als ein[236] Jäger an, und wenn ein dicker Wald kam, bedaurte er immer, daß der gnädge Herr diesen Forst nicht habe. Der Donner! rief er einmal aus, als ein Volk Rebhüner aufflog, was ich für ein Esel bin! Man sollt mich gleich erschiessen, daß ich mein Hühnergarn nicht mit genommen habe! Hätte da mein Tyras sie so schön stellen können! Was würde sich mein Herr g'freut haben, wenn ich ihm was fremdes mitbracht hätt! Aber so gehts; man vergist immer 's best! – Sie ritten nun durch einen Eichenwald, und plötzlich geschah hinter ihnen ein Schuß; als sich Siegwart und Kronhelm umsahn, hatte Jakerl losgedruckt, und rannte nun mit seinem Pferd und dem Windspiel ins Gebüsch hinein. Die beyden sahn einander an, und wusten nicht, was sie sagen sollten? Nachdem sie eine Weile auf den Reitknecht gewartet hatten, so hörten sie im Gebüsch drinnen ein grosses Geschrey, und ritten drauf zu. Jakob war vom Pferd abgestiegen, hatte sein Weidmesser ausgezogen, und wollte den Hirsch, den er geschossen hatte, aufbrechen. Der Jäger eines andern Edelmanns, dem der Forst gehörte, war auf den Schuß hinzugekommen, und wollte nun dem Reitknecht das Gewehr abnehmen.[237] Darüber entstand ein grosser Zank, denn Jakob wollte sich durchaus nicht ergeben. Was gibts, Jakob? sagte Kronhelm. – Ey was wirds geben, Junker? Der Hundskerl da will mir den Hirsch wegnehmen, der mir von Gotts und Rechtswegen ghört, weil ich ihn gschossen hab, und 's Gwehr dazu! Ja komm mir nur, Zigeuner! Meynst, ich sey ein Wilderer (Wilddieb) weil du mir so kommst? Da frag nur meinen Junker, ob ich nicht eines ehrlichen Edelmanns Kutscher sey, und ein Jäger dazu, so gut, als du?
Jäger. Zum Teufel! was schiert mich das? Das ist meines Herrn Forst. Kehr du vor deiner Thür, und ich vor der meinen! 's Gwehr her, sag ich, und den Hirsch auch! oder 's geht nicht gut! Nicht wahr, Junker, er ist ein Spitzbub, und verdient den Galgen?
Kronhelm. Ein bischen langsam, guter Freund! Der Bediente ist mein, und ich bin des Junker Kronhelms Sohn. (Hier nahm der Jäger schnell den Hut ab.) Sieht er, es ist nicht recht, daß mein Jakob das gethan hat, und ich hab ihm's auch nicht geheissen. Aber Er muß es nun auch gut seyn lassen'. Der Hirsch ist sein,[238] und da hat er noch ein Trinkgeld für den Aerger. – Jakerl daß ihr mir den Augenblick das Weidmesser einsteckt, und aufs Pferd steigt! Was sind das für Possen! (Jakob stieg aufs Pferd, und sah den Jäger von der Seite drohend an.) Wer ist denn sein Herr, guter Freund? Ist er hier zu Lande?
Jäger. Ja, gnädger Herr! Es ist der Junker Felsberg, ein Herr, wie die gute Stund, der nie in eines andern Herrn Gau gejagt hat.
Kronhelm. Nun, schon gut! Den Junker Felsberg kennt mein Vater wohl; Sie sind die besten Freunde. Mach er seinem Herrn mein Kompliment, und sag er, ich lasse wegen der Narrheit meines Kerls um Vergebung bitten; Mir seys leid! Bey Gelegenheit wirds mein Vater schon noch selber thun. Adjeu!
Siegwart, Kronhelm und sein Jakerl ritten nun wieder aus dem Gebüsch in den Fahrweg. Jakerl sprach erst kein Wort, und schien böse zu seyn. Endlich fieng er an: Aber, junger Herr; nehmen Sie mir nun nicht übel! Das war doch nicht recht, daß ich da den schönen Hirsch mußte fahren lassen! Hatte, meiner Seel! Vierzehn Enden. Ich möchte mir d' Zung durchbeissen, wenn[239] ich dran denk! 's ist schon recht, daß man d' Wilderer wegschießt, und ich hab schon manchem auch eins versetzt, daß er 's Aufstehen drüber vergaß; aber daß man mir 's Jagen verbieten will, da ich doch einem Edelmann dien', der seines gleichen im Land sucht, das ist nicht recht, sag ich; und das thut mir weh. – Ihr seyd nicht klug, Jakerl, sagte Kronhelm. Seyd ihr denn hier in meines Vaters Waldungen, daß ihr schalten und walten könnt, wie ihr wollt? Denkt einmal, wenn der Jäger in unsern Forst gekommen wär, ob ihr ihn da hättet schiessen lassen, wie er wollte? – Jakob schiens nun zu begreifen; brummte aber immer noch etwas in den Bart hinein.
Sie kamen drauf durch ein Dorf, wo eine Baurenhochzeit war. Unsre Jünglinge stiegen beym Wirtshaus ab, um den Tanz mit anzusehen. Anfangs thaten die Bauren ganz furchtsam, und wollten nicht mehr forttanzen; aber Kronhelm winkte seinem Reitknecht, daß er ihnen zu verstehen geben sollte, sie möchten sich in ihrer Lust nicht stören lassen; die Herren sehens gerne, wenn sie recht munter wären. Nun überliessen sich die jungen Leute ganz der Freude wieder. Siegwart und Kronhelm fanden ein[240] gar inniges Vergnügen an den ächt schwäbischen Tänzen; wie die Bauren in den Wendungen eine so natürliche Anmuth hatten, und die ungezwungensten Abänderungen machten, die kein, noch so geübter, Tanzmeister lehren kann. Sie ergötzten sich an den mannigfachen Künsten; der Eine tanzte auf den Knien, der andre auf Einem Bein, der dritte hob sein Mädchen in die Höhe; ein Paar hielt sich mit den Händen fest, und ein Bauer schlupfte unten durch, oder wiegte sich darauf. Während dem Tanzen sprachen die Tänzer und die Tänzerinnen miteinander, oder die Bauren sangen nach dem Ton der Geigen und Schalmeyen. Wenn der Tanz vorbey war, so gab jeder Bauer seiner Dirne einen lauten herzlichen Handschlag. Dann liebäugelten sie miteinander, tranken sich das Bier und den Brandwein zu, und liessen die Musikanten Tusch machen. Siegwart bemerkte, daß die Bauren eben so wohl, wie die Städter, ihre witzigen Köpfe, ihre Stutzer, und Koquetten hätten, und daß der Unterschied blos in der Art liege, diese Eigenschaften zu äussern. Kronhelm trank mit Siegwart die Gesundheit des jungen Brautpaars, welches sich ausserordentlich[241] drüber freute, und diese Höflichkeit mit vielem Gepräng erwiederte. Unsre beyden Jünglinge hätten sich noch länger an Beobachtung dieser ländlichen Lustbarkeit ergötzt, wenn nicht der Schulmeister gekommen wäre, sie zu unterhalten. Dieser war kaum auf die Muthmassung gefallen, daß dieß wol Studenten seyn möchten, so kam er, weil er sich auch für einen, nicht geringen Gelehrten hielt, mit vielen steifen Büklingen, um seine Herren Kollegen zu bewillkommen; und fieng von der Philosophey, von der Grammatika und Rhetorika ein so abgeschmaktes, weitläuftiges und ungereimtes Geschwätz an, daß Siegwart dem Kronhelm heimlich winkte, aufzubrechen. Der Schulmeister begleitete sie noch die Treppe hinab bis an die Thür, und nahm mit vielen Scharrfüssen und ungemeiner Freundlichkeit von ihnen Abschied. Drauf sah er seine Bauren, die hinter ihm drein geschlichen waren, mit lächelnder Selbstzufriedenheit an, winkte mit den Augen, und drückte sie halb zu; das sind Herren, sagte er, die haben was rechts studirt! Man kann sie auf die Probe stellen, wie man will, sie sind überall zu Haus! In omnibus aliquis, in totum nihil! Ja, Leute! das ist eine Lust, mit Gelehrten umzugehen![242] Aber bey euch vergißt man alles wieder! Doch wer kann wider die duram necessitam? Seht ihr, das ist lateinisch. – Nun gieng er langsam wieder die Treppe hinauf; die Bauren wichen alle aus, und sahen ihn ehrerbietig an. Droben auf der Stube wollte jeder wissen, was die jungen Herren mit ihm gesprochen haben? – Ihr verstehts nicht, sagte er; das ist nur umsonst! Es betraf die Gelehrsamkeit, eruditium, wie mans nennt. Jeder Bauer trank nun seine Gesundheit; Er bedankte sich mit vielem gelehrtem Anstand, und nicht geringer Gravität.
Kronhelm und Siegwart ritten unterdessen weiter, und lachten herzlich über die gelehrte Einfalt des Schulmeisters. Jakob ritt ganz langsam hinter ihnen her, und schlief; denn er hatte sich den Brandwein im Wirtshaus ziemlich schmecken lassen. Nach zwey Stunden kamen sie in Steinfeld an; Sie waren etlich funfzig Schritte weit vom Schloß entfernt, als ihnen eine Menge Jagdhunde von verschiedner Art mit so schrecklichem Gebell entgegen sprang, daß Jakob drüber aufwachte, und ein lautes Joh ho! anstimmte. – Das ist ja eine ungeheure Menge Hunde, sagte Siegwart. – Kleinigkeit! antwortete Kronhelm,[243] wenn du erst in den Hof, und in die Ställe kommst, dann must du sehen.
Im Hof war alles still und ruhig, als sie hinein ritten, und kein Mensch ließ sich sehen. Kronhelm und Siegwart stiegen ab; endlich kam Sibylla, Kronhelms jüngste Schwester aus dem Schloß heraus geflogen, drückte ihren Bruder fest an sich, und sagte: Bist du's Bruder? Hab dich in der That kaum mehr gekannt! Xavern sah sie frey an, und verneigte sich vor ihm, gab ihrem Bruder die Hand, und führte die beyden in das Schloß hinauf. – Aber du must gleich wieder fort, Bruder, sagte sie, und der Herr da auch. Ihr könnt nur eine Suppe essen. – Wohin denn? fragte Kronhelm ganz betroffen. – In den Steiner Forst zum Papa. Der Jäger hat gestern ein Schwein da gespürt, und diesen Morgen ritt er gleich hinaus. Er hats aber hinterlassen, daß Ihr ja gleich nachkommen und die Lust mit ansehen sollt. Da sind zwey Flinten und zwey Jägertaschen. Siehst du, die mit Silber ist für dich, und die andre für den Herrn da – ich weiß nicht, wie er heißt? – Siegwart, sagte Kronhelm – Nun ja für den Herrn Siegwart. Jezt nur schnell die Suppe[244] gegessen, und dann gleich wieder weiter! Wein und kaltes Essen ist schon draussen; wenn ihr nur was Warms im Leib habt! – Sie hüpfte und sprang in der Stube herum, trillerte und drückte dann ihrem Bruder wieder mit aller Kraft die Hand. Siegwart gefiel ihr wohl; nur sagte sie, er sey so still, und müsse muntrer weren. Als die Suppe gegessen war, ließ sie ihrem Bruder und Xavern keine Ruh; sie musten die Waldtaschen und die Flinten umhängen, und gleich wieder fort. Sie sprang selbst die Treppe voran hinab, und führte die Pferd' aus dem Stall heraus. Als ihr Bruder aufgestiegen war, gab sie seinem Pferd einen Hieb mit der Gerte, daß es hinten ausschlug, und brach darüber in ein lautes Gelächter aus.
Kronhelm und Siegwart ritten mit dem Reitknecht nach dem Forst zu. Das ist ein wildes Mädel, weine Schwester, sagte Kronhelm; du must ihrs nur nicht übel nehmen, Siegwart; sie war sonst nicht so, als sie noch bey meiner Mutter war; sie hat im Grund ein recht gutes Gemüth; aber ich dachte wol, daß sie bey meinem Vater so werden würde, denn sie war immer unter uns das wildeste.[245]
Nach einer halben Stunde kamen sie an den Forst, wo das Jagen war. Der Junker Veit (so nannte ihn die ganze Gegend) stand an einer Eiche mit gespanntem Hahnen. Sobald er seinen Sohn und Siegwart in der Ferne sah, winkte er ihnen zu, von den Pferden abzusteigen. Sie thatens, und kamen näher. Er wieß ihnen, ohn ein Wort zu sagen, nur mit Winken, ihre Posten an, wo sie anstehen sollten. Sein Sohn stand am nächsten bey ihm, aber er sprach nicht ein Wort mit ihm, sah ihn auch nicht an, sondern laurte nur auf das Schwein, das herausgetrieben werden sollte. Endlich kams auf Siegwarts Seite heraus; dieser schoß es, daß es auf der Stelle fiel. Junker Veit flog wie ein Pfeil herbey, gab ihm den Fang, und nun sprang er auf Siegwarten zu, umarmte ihn, daß er hätte schreyen mögen, und rief: Herrlicher Junge! 's ist, meiner Seel! ein Hauptschwein – Du wirst ein grosser Kerl werden! Sieh nur, wie du's auf den Pelz geschossen hast! Grad am rechten Fleck! – Du kannst Oberjägermeister werden, wenn du willst – Bist ein Teufelsjunge; laß dich recht aufs Maul küssen! – Nun, Waidmanns Heil, Friedrich! (so hieß der junge Kronhelm) hast[246] mir einen herrlichen Knaben da mit gebracht. Gott geb! daß du auch so bist! Wie gehts, wie stehts? Bist recht groß worden. Nun, nun, ein Jäger darf wol stark seyn, wenn er will 'n guten Fang geben. – Komm, wir wollen erst d' Sau wegbringen lassen, und dann zur Mamsell Kunigunde, sie ist auf der Wiese dort beym Essen; kannst ihr deinen Diener machen – Sapperment, was das 'ne Sau ist, und der Blitzkerl hat sie gschossen! 's ärgert mich halb, daß er mir sie weggenommen hat! Nu, nu, wem's Glück eben will. – Friedrich, du siehst mir so kalmäuserisch aus. – Frisch! Auf der Jagd muß man munter seyn! Mir ist nie so wohl, als im Forst. Komm, sollst ein Glas Wein trinken, daß du lustig wirst; und du auch, junger Eisenfresser!
Hier nahm er Siegwarten beym Arm, und schlenderte mit ihm und seinem Sohn nach der Wiese, wo Kunigunde war. Halt, sagte er, unterwegs, riß sich von Siegwart los, und schoß einen Fuchs, der eben von der Seite durchs Gebüsch schlich. – Sieh, den hab ich schön troffen; beym Einen Aug 'nein, und beym andern wieder 'raus; aber 's ist doch nichts gegen dein Hauptschwein. – Nun kam er zu seiner Maitresse,[247] (wir Deutsche nennen's Hure) – Da, Jungfer Kunigund, da sieht sie einen Kerl vor sich, der hundert Baiersche Junker übersieht; Der hat die Sau g'schossen, auf die wir ausgangen sind; und das da ist mein Jung – Bück dich brav, Friedrich! Sie ist mein Alles und Alles. – So, nun geb sie brav Wein her, denn ich bin so durstig, wie 'n Brunsthirsch! – Nu, angstossen, junger Herr! Es leb d' Jagd und der Krieg! Ich bin auch Soldat gwest, muß er wissen, hab drey Jahr am Rhein gstanden; aber da war blutwenig z' machen, die Teufelsfranzosen hatten alles schon wegg'schossen. – Heh! wo ist denn der Michel und der Steffen? Die Kerls sollen mir 's Jägerlied blasen: (Er sang)
Das Jagen ist mein' gröste Lust
Ziehs allem andern für!
Man ist so frisch
Rennt durchs Gebüsch,
Und springt, als wie ein Thier!
Ey, wie wärs, Jungfer Gundel, wenn sie mit dem Xaver da tanzte! Mach sie keine Umständ! der Jung ists wehrt! – Nun muste Siegwart[248] den wildesten deutschen Tanz auf der Wiese mit ihr machen. Nach ihm tanzte Junker Veit. Fritz kann noch warten, sagte er. Der Jung muß erst zeigen, ob er mein Sohn ist, und auch schiessen kann? Sie ritten nun, weil es Abend wurde, mit einander nach Haus; Kunigunde muste auch mit reiten. Unterwegs fiels dem Junker ein, sie wollten beym Junker Seilberg vorbey reiten. 'S ist nur drey viertel Stund Umweg, sagte Veit; der ehrliche Kerl muß doch auch von meiner Freud wissen, daß ich die Sau kriegt hab. Nun gab er seinem Roß die Sporn, und die andern mußten nach, sie mochten wollen, oder nicht. Man hörte gleich, eh man noch an Seilbergs Schloß kam, ein schröckliches Geschrey; denn es war Gesellschaft da. Veit gieng mit seiner Gesellschaft unangemeldet in den Saal, erzälte mit grossem Geschrey, daß Siegwart ein Schwein geschossen habe und stellte ihn mit vielem Triumph unter diesem Karakter den vier da versammelten Junkern vor. Man setzte sich gleich um den Tisch herum, und muste tapfer trinken. Die anwesenden Edelleute waren: Seilberg, ein Mann von 65 Jahren, der, wegen des Podagra nicht von der Stelle kommen konnte,[249] und die Füsse mit Kissen eingebunden hatte; sein Tochtermann, Baron von Striebel ein ehemaliger Husarenlieutenant, der auch jezt noch die Uniform und einen schwarzgewixten Schnurrbart trug, ein Mann von vier und dreissig Jahren, war der zweyte. Der dritte, Junker Jobst, war ein Junggesell von 59 Jahren; ein armer Schlucker, der nicht einmal eine eigne Wohnung hatte, und sich wechselsweise bald beym Einem, bald beym andern Junker, oder auch im Nothfall bey einem Bauren aufhielt, der sein Lehnsvasall war, und ihm jährlich 40 oder 50 Gulden an Frucht auszalen mußte. Er ließ sich von den Edelleuten zu allem brauchen. Er ritt von einem Schloß zum andern, wenn ein Schmauß angesagt werden sollte; er brachte den Edelleuten ihre Pferde nach der Stadt, wo ein Roßmarkt war, und verkaufte sie da, oder handelte neue ein; er nahm die Koppelhunde mit auf die Jagd, oder trug das Hühnergarn; und ließ sich einen ganzen Abend für den Narren halten, wenn er nur mit essen und mit trinken durfte. Aber Adeliche musten's seyn, die ihn für den Narren hielten; von Bürgerlichen hätt er keinen Heller angenommen. Die vierte Person war ein junger Edelmann[250] von drey und zwanzig Jahren, aus dem Baierschen, der sich aber am Münchnerhof als Kammerjunker aufhielt, Namens Silberling. Er war zart gebaut, und sehr galant; hatte ein schönes grünes Kleid mit einer goldbordirten Weste an, und drüber eine golddurchwürkte Hirschfängerkuppel. Sein Haar war mit einem Perlenfarbnen Bande zierlich aufgebunden, und seine Locken nachläßig schön zurückgebogen. Er würde sich nicht in die Gesellschaft dieser rohen Landjunker gemischt haben, wenn er nicht eine geheime Absicht auf das Fräulein von Stellmann gehabe hätte, die eine Enkelinn vom alten Seilberg war, und sich seit dem Tod ihrer Mutter bey ihm aufhielt. Sie gieng aus und ein, um die Gäste zu bedienen.
Nun sag mir einmal, Fritz, fieng Junker Veit an, was ist denn dein Xaver? Wie heißt sein Vater, und was ist er? Es muß ein treflicher Kerl seyn, da sein Bub schon so ein guter Jäger ist!
Siegwart. Ich heisse Siegwart; mein Vater ist Amtmann zu Dahlenburg im Oettingischen.
Jobst. Nicht von Adel?[251]
Siegwart. Nein.
Veit. Nicht von Adel? Nun, so hol mich dieser und jener! Du bist also nichts, gar nichts? Ein Amtmanns Sohn! Element! Wer hätt das glauben sollen? – Aber, ich weiß schon, wie's gangen ist; deine Mutter hat mit'm Edelmann zugehalten. Nicht wahr, Jung, ich weiß's? – Darfst nicht roth werden! Narr, hast dich nicht drob zu schämen. Lieber ein Bankert von 'm Edelmann, als ein lausichter Amtmannssohn. Komm! ich bin dir doch gut, weil du so schiessen kannst.
Junker Jobst stund auf, und fragte Striebeln heimlich, aber doch so, daß mans halb verstehen konnte, ob man wol den Siegwart in der Gesellschaft mit lassen könne, da er nicht von Adel sey? Striebel sagte; weil ihn Junker Veit mitgebracht habe, so könn mans nicht gut ändern. Ueberhaupt dachte Striebel noch vernünftiger, denn er hatte in Heidelberg, wo er ein halbes Jahr lang an einer Wunde krank gelegen hatte, etlich vernünftige protestantische und katholische Professoren kennen gelernt, die seinen Verstand durch ihren Umgang, und die Bücher, die sie ihm geliehen, ziemlich aufgeklärt hatten.[252]
Herr von Silberling schlich sich weg, um bey seinem Fräulein seine Aufwartung zu machen, und das Gespräch kam wieder auf die Jagd und auf andre gleichgültigere Dinge. Nachher kam das Fräulein selbst in die Gesellschaft, weil sie mit dem süssen Silberling nicht gern allein war. Sie hatte viel Anmuth in der Mine, und eine ziemlich gute Erziehung. Ihre braunen Augen waren lebhaft, und doch sittsam. Auf den schlüpfrigen Scherz der Junker gab sie wenig Acht, und unterhielt sich mehr mit Kronhelm und mit Siegwart. Auf den erstern war sie besonders aufmerksam, und fand viel Wohlgefallen an ihm. Sie sah ihn oft lang an, und konnte zuletzt ihre Augen fast nicht mehr von ihm wegwenden. Silberling, der dieses merkte, wurde ganz unruhig und eifersüchtig drüber. Regina, (so hieß die Fräulein Stellmann) gefiel auch unserm Kronhelm, aber doch nicht so, daß sein Herz dabey beschäftigt wurde. Junker Veit und Seilberg sahens gerne, daß ihre Kinder mit einander sprachen, denn beyde hatten halb und halb die Absicht, einst ein Pärchen aus ihnen zu machen; wenigstens von Silberling hielt Seilberg wenig, weil er mit ihm von nichts, als vom Hof sprechen[253] konnte. Als Regina Siegwarts Namen hörte, ward sie aufmerksam drauf, und sagte: sie habe vor fünf Jahren in einem Kloster in München eine Freundinn gehabt, die Therese Siegwart heisse, ob sie wol vielleicht mit ihm verwandt sey? O Ja, sie ist meine Schwester, sagte Siegwart. Regina hatte eine grosse Freude drüber, und bemerkte, daß ihr Siegwarts Gesicht gleich so bekannt vorgekommen sey; nun sehe sie daß er viel Aehnlichkeit mit seiner Schwester habe. Das ist gar ein liebes Mädchen, Herr von Kronhelm, fuhr sie fort; Sie sollten sie nur sehen! Ich weiß, das sie Ihnen wohl gefallen würde. Wir waren Ein Herz und Eine Seele. Sie hat ein himmlisches Gemüth; ist immer froh und munter, und doch dabey so gesetzt. Wenn Sie sie wieder sehen, Herr Siegwart, oder an Sie schreiben, so machen Sie ihr ja meine herzliche Empfehlung! Sie wird sich meiner noch wohl erinnern. Siegwart versprach, es gewiß zu thun.
Die Edelleute wurden indeß immer lauter, denn sie tranken immer mehr Wein. Seilberg und Junker Veit stiessen ihre Gläser alle Augenblicke an. Jobst unterhielt Kunigunden; denn[254] ob sie wol nicht von Adel war, so bekam sie doch in seinen Augen dadurch einen Wehrt, daß sie die Beyschläferinn eines Edelmanns war. Baron Striebel und Silberling hatten einen Streit, ob der Pfälzische oder Baierische Hof vorzüglicher sey? Silberling behauptete, daß, nach dem Kaiserlichen, kein Hof in der Welt dem Baierischen gleich komme. – Silberling hat Recht, schrie Junker Veit drein, denn am Münchner Hof sind zu meiner Zeit allein 500 Jagdhund ernährt worden; jetzt werdens ihrer hoffentlich noch mehr seyn. Silberling machte zur Danksagung einen tiefen Bükling gegen Veit. Als das Gespräch wieder auf die Jagd kam, und allgemeiner wurde, zeigte Siegwart so viele Kenntniß und Einsicht, daß die Hasenjäger alle drob erstaunten. Junker Veit sprang auf, und sagte: Meiner Seel, dir fehlt aus der ganzen Welt nichts, als der Adel; du bist ein goldner Junge! Aus'm meinen wird nichts, das seh ich schon! Sitzt er nicht da, wie ein Stück Holz? und spricht kein Wort, wenn's auf d' Hauptsach kommt. Du hättest sollen mein Junge werden; wir hätten z'sammen taugt. 'S ist ein Trost im Alter, wenn man so ein Kind hat. – Wenn mein Fritz einmal[255] mein Gut kriegt, so werden ihm d' Säu 's Haus umwühlen, und d' Hirsch in d' Kammer lauffen. Wie ein Kind doch so schnell aus der Art schlagen kann! 's ist ein rechtes Elend!
Als Junker Jobst sah, wieviel Veit auf Siegwart hielt, so ward er ganz gnädig gegen ihn, denn er trank bey Veit so manches herrliches Glas Wein, daß er ohne seine Gunst nicht leben konnte. Regina ward ganz traurig, als sie sah, wie sehr der junge Kronhelm von seinem Vater mishandelt wurde; denn sie nahm an ihm schon vielen Antheil, und ward nur noch mehr für ihn eingenommen, als sie seine Geduld und Gelassenheit sah. Silberling war scharfsichtig genug, dieses wahrzunehmen, und machte eine gar traurige Figur. Er bot allen seinen Witz, und seine ganze Artigkeit auf, Reginens Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen; aber vergeblich! Ihr Aug, und ihre ganze Seele hieng an Kronhelm.
Endlich sagte Kunigunde zum Junker Veit: es werde nun wol Zeit seyn, endlich aufzubrechen; und es war auch würklich schon um Eilf Uhr. Die Gesellschaft taumelte auf, und Veit mit seinen Leuten nahm Abschied, die andern blieben alle bey[256] Seilberg. Regine leuchtete die Treppen hinunter, nahm von Kronhelm besonders freundlich Abschied, und hielt noch das Licht vor die Thür hinaus, um ihn länger reiten zu sehen.
Es war ein Glück für den Junker Veit, daß sein Pferd müde war, und der Mond helle schien, sonst wär er zwanzigmal gestürzt; er war brav betrunken, wackelte auf seinem Pferd hin und her, und schlief endlich ein.
Um halb zwölf Uhr kamen sie in Steinfeld an, und giengen, weil alle recht müde waren, bald zu Bette. Siegwart und der junge Kronhelm schliefen bey einander auf einem Zimmer. Sie besprachen sich noch eine Zeitlang miteinander, und Kronhelm suchte besonders die Tollheiten seines Vaters zu entschuldigen; Siegwart aber sagte, daß er das nicht nöthig habe; er kenne mehr solche Edelleute, und wisse sich recht gut in ihren Ton zu schicken. Bald darauf schliefen beyde vor Müdigkeit ein. – Den andern Morgen um sechs Uhr ward an ihrer Kammerthür ein gräßliches Gepolter gemacht. Junker Veit war draussen, und rief: Holla hoh! Auf, ihr faulen Jungens! Wollt ihr denn den schönen Tag[257] verschlafen? D' Hirsch sind doch schon wieder all im Bette. Wir müssen heut nur auf d' Hühnerjagd. Hurtig, aus der Ruh, daß wir aufbrechen können! – Die beyden Jünglinge zogen sich schnell an, und kamen zu Junker Veit, der schon angezogen und gestiefelt war. Jedem ward ein Glas Brandwein gegeben, denn Veit sagte, dieß sey des Waidmanns wahres Leben. Drauf stopfte er seine Pfeife. Nun, wie? 'raus mit der Pfeife! sagte er zu Siegwart und zu Kronhelm. Als er hörte, daß sie gar nicht rauchten, ward er ganz böse. Seyd ihr auch Kerls? Wollt auf d' Jagd gehn, und nicht rauchen? Ich hab, meiner Seel! noch keinen rechtschaffenen Waidmann kannt, der nicht den ganzen gschlagnen Tag seine Pfeife im Mund g'habt hätt; das sind Narrheiten, die man in der Stadt lernt! Was brauchts da viel Umständ? Sibylle, hol du von meiner Kammer die zwey Pfeifen, die gleich bey der Thür hangen; es sind Meerschaumköpfe. – Ihr müßt rauchen, und wenn alles grün und gelb um euch her wird! 'S ist nur um ein paarmal zu thun, so seyd ihrs gleich gewohnt. – Sibylle brachte die Pfeifen, – Seht ihr, das sind Meerschäum, die ich von Wien kriegt hab; die[258] kann man kecklich auf den Boden fallen lassen; 's bricht keiner. – Da, stopft! der Tabak ist gut. 'S ist drey König und Varinas unter 'nander g'mischt. So, nun wollen wir weiter. Adies Mädel! Koch fein was Guts! Wir wollen dir schon frisch Wildpret mit bringen. – Sie zogen nun mit ein paar Jägern und drey Hühnerhunden übers Stoppelfeld hin, und fiengen viele Wachteln und Rebhühner; wenn ein Volk aufstand, so schossen sie drunter, und Siegwart und Kronhelm trafen viele. Darüber ward Veit auf Einmal mit seinem Sohn wieder ausgesöhnt, nannte ihn seinen Augapfel, seinen Herzenstrost, und sagte, nun seh er erst, daß die Kronhelms doch nicht aussterben; alle seine Vorfahren, schon sein Ur- Ur- Ur- Großvater sey ein treflicher Schütz gewesen; er hab noch ein altes Konterfait von ihm, das er gleich zu Hause zeigen wolle; da steh ein schöner Windhund bey ihm, und die Kron in seinem Wappen stehe nicht umsonst zwischen einem achtzehnendigen Hirschgeweihe. Das Tabakrauchen gieng in der freyen Luft auch gut von Statten, so daß Junker Veit ausserordentlich vergnügt war, und versprach, wenn auf den Nachmittag, wie es den[259] Anschein habe, Regenwetter einfalle, so woll er sich einen derben Rausch trinken. Kronhelm schoß auch einem fetten Rammler, und nun war Junker Veit ganz ausser sich, warf die Flinte von sich, sprang dreymal in die Höhe, und umarmte und drückte seinen Sohn. – Um Essenszeit giengen sie nach Hause. Auf dem Wege zeigte Veit sein verwildertes Gemüth ganz, und begieng eine grausame That. Eine arme Bauerfrau aus seinem Dorfe gieng mit ihren zwey Kindern, einem Knaben von vier, und einem Mädchen von sechs Jahren aufs Feld hinaus, um zu kräutern. Einer von den Hunden sprang an die Kinder hin, die erbärmlich zu schreyen anfiengen. Die arme Frau schlug zurück, um die Hunde abzuhalten. Veit, der das sah, hetzte nun die andern Hunde auch an sie und ihre Kinder, und es entstand ein gräßliches Geschrey. Siegwart, dem das einen Stich durchs Herz gab, und Kronhelm, sprangen hinzu, den Hunden abzuwehren. Die Frau sah sich kaum in Sicherheit, so verwandelte sich ihre gekränkte, mütterliche Zärtlichkeit in Wuth; sie fieng an zu schimpfen, und schrie: Ist das auch eine Art, mit den Leuten so umzugehen? Pfuy! Ich wollt mich schämen, Kinder[260] anpacken zu lassen! Habs mein Lebtag g'hört. Wenn man d' Kinder schlagen will, so hat man gleich eine Ruth. Das sind mir die rechten Juncker! Ihr gönnt einem doch kaum's Schwarz vor'm Nagel, und nun wollt ihr noch die unschuldigen Kinder martern; aber wart, in der Höll da wird man dich auch kriegen! Da werden d' Teufel auch brav an dich hetzen! – Indem legte Veit seine Flinte an, um auf die arme Frau zu schiessen; aber sein Jäger fiel ihm noch von hinten zu in den Arm, und der Schuß gieng in die Luft. Er ward ganz rasend, und fieng an zu schäumen: Blitz und Donner! Laßt mich los, daß ich sie zertrete, den Hund! Kronhelm und Siegwart sprangen auch herbey, und hielten ihn fest. Das ist schlecht gehandelt, Papa! sagte Kronhelm – Was? du Racker? rief er; willst du mir aus'm Gesicht gehn? Siegwart biß sich auf die Lippen, und dachte bey sich: der Kerl sollte Fürst seyn! das wär eine Lust für den Teufel! Als Veit endlich sah, daß er nicht los kommen konnte, stellte er sich geruhiger, und bat, daß man ihn gehen lassen möchte! Kaum wars geschehen, und kaum sah er, daß die Frau mit ihren Kindern sich geflüchtet hatte, so rief er: Tyras, Melack! Faß[261] an, faß an! Frisch! – Die Hunde hielten die Frau wieder fest, und die Kinder hiengen sich an ihre Knie. – Sie soll mir 3 Wochen in Thurm, sagte er, oder ich will kein ehrlicher Karl mehr seyn! Beym T** sie hat mich ja ausgemacht, wie einen Hundsführer! – Alles Bitten Kronhelms und Siegwarts war vergeblich. Die Frau ward von den beyden Jägern weg, in den Thurm geschleppt. Ihre Kinder, die mit hinein wollten, wurden heraus gestossen, und sassen vor der Thür und heulten. Siegwart und Kronhelm brachten durch vieles Bitten, und die rührendsten Vorstellungen nicht mehr zuwege, als daß Veit endlich eine Woche nachließ, und die Frau zu vierzehntägiger Thurmstrafe bey Wasser und Brod verdammete. Endlich entschloß sich Siegwart, nach langem Kampf bey sich selbst, sich an die Hure des Junkers zu wenden, und bey ihr für die arme Frau zu bitten. Diese that erst lange spröde, denn es schmeichelte ihr, daß ein hübscher junger Mensch sie bat. Unserm Siegwart that es in der Seele weh, sich so tief erniedrigen zu müssen; Aber der Gedanke, der unterdrückten Unschuld beyzustehen, überwand bey ihm alle andre Vorstellungen. Endlich gab Kunigunde nach, und brachte es bey dem[262] Junker so weit, daß die Gefängnißstrafe der Bäurinn in eine Geldstrafe von drey Gulden verwandelt wurde, mit dem Anhang, sie soll so lang sitzen, bis sie das Geld baar auszahle.
Junker Veit war beym Mittagsessen ganz mismüthig, und sprach wenig. Es gieng ihm nah, daß sich Siegwart und sein Sohn ihm widersetzt hatten; besonders daß der letztere ihm vorgeworfen hatte, er handle schlecht. Er konnte es auch nicht vergessen, und fieng alle Augenblicke wieder an, davon zu reden. Kunigunde, die nun auf Siegwarts und Kronhelms Seite war, und alles über ihn vermochte, besänftigte ihn endlich wieder; und, als ihm nach und nach der Wein zu Kopf stieg, ward er wieder ganz munter und aufgeräumt.
Was willt du denn einmal werden? sagte er zu Siegwart; doch ein Förster bey einem braven Edelmann? nicht? – Nein, antwortete Siegwart; ich will ein Geistlicher werden, ein Kapuziner.
Veit: Ein Kapuziner? Ein Pfaff? Du wirst doch klug seyn, Xaver? Gelt, es ist dir nicht Ernst?[263]
Siegwart. Ja, wahrhaftig, gnädiger Herr; Es ist mein ganzer Ernst. Ihr Herr Sohn kanns bezeugen.
Veit. Nun, so bist du ein Narr, und mein Sohn auch! Sapperment! Ich kann die Pfaffen für den Tod nicht ausstehen, und nun willst du auch einer werden. Den Einfall hat dir meiner Seel! der bös' Feind eingegeben, anders kann ichs nicht begreifen. Sag, was willt du denn in so einer lausigen Kult machen?
Siegwart. Ein ehrlicher Mann werden, und Gott und der Kirch, und meinem Nebenmenschen dienen.
Veit. Geh mir zum Henker! Das sind mir die rechten, die Braunkütiler, die Mucker! Ich schwör dir, Junge, 's ist kein Pfaff nichts nutz. Einer ist immer ein ärgrer Schelm, als der andre. Sie haben mich auch 'nmal gehabt; da in Augspurg drüben, die Jesuiten, die verfluchten Schleicher! Da sollt ich ein Gelehrter werden, so 'n Stubenhocker! Aber, ghorsamer Diener! Ich nahm bald den Reißaus, und ließ ihnen's Nachsehen. Beym Element, wenn man d' Pfaffen machen ließ, sie zögen uns noch d' Haut über d' Ohren runter! Aber ich habs brav kriegt im letzten Krieg![264] Da, wenn wir in ein Kloster kamen; wie der Blitz, war alles rein weg! – Und, in den Nonnenklöstern? – O, da denk ich, wird man noch eine Zeitlang an uns denken. Uh, wenn ich so eine Nonne kriegt! 's Maul wässert mir noch. – Aber, Jung, ich bitt dich um alles in der Welt willen, wie bist du auf den rasenden Einfall kommen? Hast so herrliche Gaben, und willt sie all in ein' abgeschabte Kutt 'nein stecken – Sapperment! Ein Jäger ist doch ein andres Ding! Nicht wahr, Fritz? Du hältsts auch mit mir? Red ihm's doch aus!
Kronhelm. Ich glaube wohl, Papa, daß er was bessers werden könnte; aber ein Geistlicher kann doch auch ein ehrlicher Mann bleiben, wenn ers vorher ist.
Veit. 'S ist erlogen, sag ich! habs schon vorhin g'sagt, keiner ist nichts nutz! Da schimpfen sie dir auf den alten Nimrod, blos weil er ein stattlicher Jäger war. Und auf uns poltern sie auch von der Kanzel runter. Ich denk oft, ich könns nicht aushalten, und müß 'naus schiessen. Die Teufelskerl thun mir jährlich um mehr, als hundert Gulden Schaden. Da, wenn ein Wilderer 's Hochwild aus'm Forst wegschießt,[265] da kaufen sie's ihm ab; – daß du die Kränk! – Ja, Siegwart, du bist sonst ein ehrlicher Kerl; aber zwey Hauptmängel hab ich an dir auszusetzen; daß du nicht adelich bist, und ein Pfaff werden willt. Weiß warlich nicht, welches schlimmer ist?
Indem ließ sich Herr von Silberling anmelden, der, aus ausserordentlicher Entschlossenheit dießmal bey regnichtem Wetter einen Ausritt gewagt hatte. Eigentlich wollte er erforschen, wie Kronhelm vom Fräulein von Stellmann denke? Denn er war sehr furchtsam, und wäre nicht gern mit ihm in Verhältnisse gekommen, von denen seine Furchtsamkeit Verdrüßlichkeiten für ihn voraus sah. – Laß ihn 'rauf kommen, sagte Veit zum Bedienten, der ihn anmeldete, was macht er denn viel Umstände? Kronhelm und Sibylle giengen ihm entgegen. – Ihr Diener, Ihr Diener! rief Veit, als er kam. Woher beym schlimmen Wetter? Setzen Sie sich nieder! Sibylle, hol noch mehr Wein herauf!
Silberling. Ich danke gehorsamst! – Wenn ich mir nur ein Glas Limonad ausbitten dürfte! – Ich bin so echauffirt vom Reiten. Das verdammte Pferd gieng da vor dem Dorf[266] draussen mit mir durch. Ich rief ihm immer zu, und gab ihm die Sporn, aber die Bestie wollte doch nicht halten.
Veit. (mit grossem Lachen) Das glaub ich, Herr! Wenn man d' Sporn gibt, lauft ein Pferd, so weit es sieht. Ich seh wol, 's Reiten ist eben Ihre Sache nicht. Auf Parforcejagden müssen Sie auch nicht viel mit gewesen seyn. Da hilft 's Spornen etwas, aber nicht, wenn ein Gaul halten soll. Ha ha ha! Aber da sagten Sie vorhin was von Limonad; was ist das? Das kennt man hier zu Land nicht. Da, wenn man warm ist, nimmt man einen Schluck Kirschenwasser. Wollen Sie davon? Ich hab ächtes Lindauer. Sibylle, hol doch die Bouteille!
Silberling. Ich bleib gehorsamst verbunden; das möchte mir zu stark seyn.
Veit. Ey, was? Possen! 's kommt mir auf ein Glas nicht an. Da, trinken Sie nur brav! Prosit! – Der Teufel! Sie machen ja ein Maul, als ob Sie Gift tränken! 's ist gut? Nicht wahr?
Silberling. – O ja ... Nur ein Bischen zu stark ... prr ...[267]
Veit. Wollen Sie noch eins? Oder wollen Sie ein Bissel warten? Nun, nun; hernach wieder, trinken Sie indeß ein Glas Wein! Es ist ächter alter Seewein. – Wie haben Sie denn auf den gestrigen Abend geschlafen? Ich kam heim, ich weiß nicht wie? Und was macht der alte Seilberg? Hat er noch immer sein verdammtes Zipperlein? Der gute Kerl steht viel aus; aber er hats in der Jugend auch darnach gemacht. D' Jugendsünden kommen. S' geht mir auch nicht besser. Da heißts: Geduld ist das beste Kraut, und ein Gläsel Tockayer. – Sagen Sie mir doch, weil Sie erst von München herkommen, wie siehts jetzt da am Hof aus? Stehts um 's Jagdwesen noch recht gut? Zu meiner Zeit wars gar herrlich.
Silberling. Verzeihen Sie! um das Jagdwesen hab ich mich so genau nicht bekümmert. Aber doch weiß ich, daß es gut ist, und wir haben einen sehr verständigen Oberjägermeister. Sonst ist aber unser Hof einer der brillantesten. Wir haben göttliche Sänger, und ein Orchester, das in allen vier Welttheilen seines gleichen sucht. Unser gnädigster Churfürst ist selbst Maitre auf der Gambe und spielt bezaubernd.[268]
Veit. Ey, was Musik? Da schier' ich mich einen Teufel drum! Ich kann keine Musik leiden; das Gefiedel und Gewinsel und Gekratz möcht einen rappelköpfisch machen! Ja, wenns noch 's Histhorn ist, und mein Liedel drauf: Das Jagen ist mein größte Lust, das läßt sich noch hören! Aber sonst sag ich Ihnen, als ein guter Freund, alle andre Musik ist pur lautres Nichts.
Silberling. Sie mögen Recht haben! Aber der Gout ist eben sehr verschieden. Mir macht ein Koncert, und besonders eine Oper ein gar göttliches Plaisir. Doch, vergeben Sie! Ich wollte nicht die Impertinence begehen, Ihnen zu widersprechen. – Sie beliebten gestern schon, und auch heute wieder von München zu sprechen. Darf ich mir die Freyheit nehmen Sie zu fragen, wenn Sie da gewesen sind? Und was für Virtuosen sich damals am Hof aufgehalten haben?
Veit. Da gewesen bin ich; Anno acht und dreyssig; aber von den Virtuosen weiß ich keinen Pfifferling; da hatt ich mehr zu thun, als mich darum zu bekümmern. Sehn Sie, ich war beym Oberjägermeister im Hause; das war auch[269] ein Kronhelm, und mein naher Vetter. Ich war auch Officier, und zwar kein so gepuderter Hundsfott, wie die jetzigen sind. Da konnt ich nun alle meine Zeit, die ich vom Dienst frey hatte, im Gehäge zubringen. Das war ein Leben! Da hab ich was rechts gelernt. Jetzt ists alles nichts mehr; 's Wild nimmt ab, und d' Forst werden immer mehr ausgehauen. Z'lezt weiß ich nicht mehr, wo man jagen will? Aber damals waren d' Wälder voll gespickt. Hund und Jäger gabs gnug, und das lauter g'lernte Jäger, und Parforcepferd auch! Nein, solche Tage krieg ich nicht mehr. Der Churfürst war selber ein ausgemachter Waidmann, bey dem man sich durch 'n Schuß, oder durch 'n Fang kommendiren konnte. Wär ich da blieben, jetzt wär ich Obersjägermeister, und da wär alles noch im alten Stand. Aber die lumpichten Franzosen waren Schuld dran, da mußt ich mit meiner Compagnie an den Rhein hinunter. Wir waren Tag und Nacht geschoren, und d' Jagd gieng drüber in die Rappuse. D' Pfalz wär überhaupt nicht mein Land; in den Weinbergen hats nichts, als Füchse, und am Hof in Mannheim, wo wir einmal im Winterquartier lagen, gilt auch die leidige[270] Musik, so wie jetzt in München. Dafür schoß ich brav Soldaten todt, wenn's Feuer angieng. Im Grund ists einerley, und man könnts auch eine Jagd nennen, wenn's Wildpret, das man jagt, nur nicht wieder schösse. Sie haben mich auch brav kriegt, und ich mußte tüchtig schweissen. Sehn Sie, da hab ich 'ne Kugel durch den Arm kriegt, und 'n Streifschuß in d' Waden. Es that, meiner Seel! verteufelt weh, und ich konnt zwey Monat lang nicht auf dem Fuß stehn. Aber ich drehte mich hübsch um, und schoß den Kerl auf d' Herzgrub, daß er umsank, wie ein Bock. Zwey Monat lang hatt ichs gut, bey meinem Schwährvater seliger, das war ein guter Kamerad, aber als ich seine Tochter auftrieb, und zum Weib nahm, da wars aus; ich gieng mit ihr heim, und seitdem hab ich hier schon was ehrliches geschossen.
Silberling. So haben ja Ew. Gnaden recht sonderbare Avanturen gehabt; in der That!
Veit. Das glaub ich, man könnt ein ganz Buch von mir schreiben, wenn mans so recht wüßte. Viel hab ich aber auch wieder vergessen. – Potz Element! wir vergessen ja das Trinken ganz drüber. Frisch eingeschenkt, und ang'stossen! Es[271] leb die Jagd und der Krieg! Das ist so meine G'sundheit Der Seilberg, der kann Ihnen auch noch viel von mir erzählen, wenn Sies wissen wollen.
Silberling. Ja, er hat mir auch schon viel Rühmliches von Ew. Gnaden gesagt. Das ist gar ein unterhaltender und amüsanter Mann, mit dem sichs gut conversirt. Und seine Enkelinn ist une jolie femme. Sie trug mir an Ew. Gnaden und Dero Herrn Sohn Ihr gehorsames Kompliment auf. (Zum jungen Kronhelm) Mon cher, Sie werden doch auch wol an den Hof gehen? Ich bin versichert, daß Sie da Ihr fortune gewiß machen werden.
Kronhelm. Verzeihen Sie! Ich studire, um mir einmal den Aufenthalt auf dem Land angenehm und unterhaltend zu machen.
Silberling. Eh bien! Die Gelehrsamkeit hat auch viele douceurs bey sich.
Veit. Sie mag haben, was sie will! Ich geb doch keinen Heller drum. Das ewige Stubenhocken! Da kommt mein Lebtag nichts bey heraus. Ich bin auch ein rechter Kerl, und habs doch übers Lesen nicht 'naus bracht. Aber der Jung will klüger seyn, und sein Onkel, der geheime Rath in München auch.[272]
Silberling. Was ist das für ein Mann, wenns erlaubt ist, Sie zu unterbrechen?
Veit. 'S ist der geheime Rath von Kronhelm, mein leiblicher Bruder.
Silberling. O, dem hab ich die Ehre, sehr speciell bekannt zu seyn.
Veit. Nun ja! 'S kann wohl seyn! Er ist sonst ein guter Kerl; aber, wenn er mit den Büchern kommt, da mag ich ihn nicht anhören. Ich sag immer: Ein Edelmann muß nicht studieren, sonst wird er 'ne alte Hure. – Aber, was ists? 'S läßt sich nun nicht ändern. Mein Fritz soll ihn einmal erben, und da muß ich seine Grillen schon so gelten lassen. – Sibylla, du bist ja so still! G'fällt dir denn der Herr? Sieh, so gehen sie in München.
Silberling. O verzeihen Sie, gnädges Fräulein! Das ist nur so mein Reithabit. Ich muß mich sehr entschuldigen, daß ich so im Negligee vor Ihnen erscheine!
Sibylla. O, es steht Ihnen recht gut. – Ich möcht wol auch einmal München sehen; es muß da recht lustig seyn. Aufs Flühjahr besuch ich meine Schwester. Kennen Sie sie auch?[273] Sie heist Baronessin von Eller; ihr Mann ist, glaub ich, am Hof.
Silberling. O ja, ich habe die Gnade, Sie sehr wohl zu kennen. Es ist eine magnifique Dame. Sie gibt wöchentlich Einmal Concert, und zweymal Assemblee. Sie werden Ihr recht willkommen seyn, gnädiges Fräulein, und in München sehr brilliren.
Sibylle sprach noch viel mit ihm, und setzte ihn durch ihre Lebhaftigkeit, und ihr offenes Wesen oft in die gröste Verlegenheit. Er glaubte aber doch, eine Eroberung bey ihr gemacht zu haben, weil sie sich so viel mit ihm abgab; und ritt ganz vergnügt weg. –
Kronhelm gieng noch denselben Abend heimlich nach dem Haus der armen Bauersfrau, die im Thurm lag; und gab ihrem Mann die drey Gulden, damit er seine Frau lösen könnte; aber er verboth ihm scharf, niemand ein Wort davon zu sagen, auch nicht einmal ihr, damit nur sein Vater nichts davon erfahren möchte. So gab er vor; aber im Grunde war die Ursache seines Verbots edler; er wollte unbekannt und im Stillen Gutes thun, weil er überzeugt war, wie wenig fremdes Lob nötig ist, wenn man durch Wohlthun[274] glücklich werden will. Anfangs erschrack der Mann, als er den Junker herein treten sah, denn er fürchtete neue Mißhandlungen. Seine Kinder waren auch voll Angst, und erhuben ein Geschrey, weil ihnen gleich die Hunde wieder einfielen, bey denen sie den Junker diesen Morgen gesehen hatten. Aber als der Mann die Freundlichkeit des jungen Kronhelms sah, ward er ganz zuthätig, und wollt ihn eben um die Freylassung seiner Frau bitten, als ihm Kronhelm das Lösegeld in die Hand drückte. Er wuste nicht, was er sagen sollte, stotterte einige Worte ohne Zusammenhang her, drückte Kronhelms Hand, und küste sie. Ach Herr, das ist gar zu viel! Ich weiß nicht, ob ichs annehmen darf? wenn ichs nur vergelten könnte! Aber Gott vergelts, und die heilige Jungfrau! Sie haben mir auf einmal aus der Noth g'holfen. Ich saß eben da, und dachte, wo ich so viel Geld aufbringen sollte? Und meine Frau ist doch in der Haushaltung nötig. Gott vergelts tausendmal! – Du lieber Gott, was das ein Herr ist! Ja, ja, das leibhafte Ebenbild seiner Mutter. Sie ist oft auch bey mir gewesen, Junker, und hat mir in der Stille ausgeholfen; denn d' Nahrung ist jetzt eben gar knapp,[275] und d' Abgaben schwer. – Komm, Mariandel, küß dem Herrn d' Hand! Das ist gar ein braver Herr; Komm Peter! Darfst dir nicht angst seyn lassen! Der Herr thut dir nichts. – Mariane kam ganz schüchtern auf den Zehen hergeschlichen, gab Kronhelm die Hand, und wischte, mit der Schürze in der andern, sich die Augen. Kronhelm gab ihr einen Dreybätzner, und dem Jungen auch. Dieß wollte der Mann gar nicht annehmen. Ich hab schon gnug, sagte er, wenn nur mein Weib los ist. Von der Hand ins Maul können wir uns schon verdienen. Nehmen's Sie's nur wieder, Junker. 'S ist, weiß Gott! zu viel. – Kronhelm gieng hinaus, und wischte sich die Augen.
Als er nach Hause kam, war sein Vater schon zu Bette, weil er einige Anfälle vom Podagra hatte. Siegwart saß in Sibyllens und Kunigundens Gesellschaft, und erzälte ihnen allerley vom Kloster und von Theresen. Sibylle, die viele, aber aufbrausende Empfindung hatte, fiel ihm alle Augenblicke in die Rede, klatschte in die Hände, sprang auf, und rief: Das ist vortreflich, das ist herrlich! So ein drey Wochen möcht ich auch im Kloster seyn! u.s.w.[276]
Ich keine acht Tage, sagte Kunigund, die von noch aufgeräumterem Gemüth war.
Abends auf dem Schlafzimmer fieng Siegwart an: Hör, Kronhelm, die Geschichte mit der Bauerfrau gieng mir den ganzen Tag nach. Du wirsts wol an mir gemerkt haben, denn ich sprach deßwegen in der Gesellschaft fast kein Wort. Wir müssen der armen Frau warhaftig helfen. Sieh, da hab ich schon drey Gulden in ein Papierchen eingewickelt; wenn wirs ihr nur auf eine gute Art könnten zukommen lassen! Weist du nicht, wie wirs machen?
Kronhelm. Du bist ein herrlicher Knabe, Siegwart; hast ein trefliches Gemüth! Sey nur unbesorgt! Ich habs diesen Abend schon gehört; der Mann, dessen Frau im Thurm liegt, ist ein reicher Söldner, der die 3 Gulden leicht geben kann; und Morgen wird er sie meinem Vater gleich zuschicken; diesen Abend wars nur zu spät. – Nicht wahr, mein Vater ist ein harter Mann? So hab ich ihn aber auch noch nie gesehen. Es wird immer ärger, und die leichtsinnige Gesellschaft macht sein Gefühl immer stumpfer.
Siegwart. Sag: die Jagd auch! Wer Tag und Nacht aufs arme Wild laurt und beständig[277] nichts als Blut und Morden sieht, wie kann der ein fühlendes Herz, und mit Menschen Mitleiden haben? der Gerechte erbarmet sich auch seines Viehes, heists in der Bibel, und das ist buchstäblich wahr. Die Jagd sollte nichts seyn, als daß man das überflüssige Wild, das dem Bauren Schaden thut, wegschießt; oder, was man zur Nahrung braucht! Aber, wenn man die armen Thiere vollends martert, und zu Tode jagt, wie's am Hof bey Parforcejagden geschieht, da möcht einem das Herz im Leibe bluten. Da können sich dann die Unterthanen viel versprechen, wenn der Landsherr sich im Blute badet. Da kommen die abscheulichen Plackereyen und die Kriege her, die dein Vater selber eine Art von Jagd nennt. – Nimm mir nicht übel, Kronhelm! Ich dachte diesen Morgen, ich müste deinem Vater den Hirschfänger durch den Leib stossen, so aufgebracht war ich!
Kronhelm. Du hast recht. Siegwart; Und – Gott verzeyh mirs! – mir war auch nicht viel anders zu Muth. Aber laß uns von dergleichen Vorstellungen abstehen! Sie machen mich gar zu traurig. Wie wärs, wenn wir uns durch unsre Violinen in eine andre Empfindung hinüberspielten?[278] Weist du? Das herrliche Adagio von Schwindl.
Und nun spielten sie so schmelzend, so bebend und so wimmernd, daß ihre Seelen weich, wie Wachs wurden. Sie legten ihre Violinen nieder, sahn einander an mit Thränen in den Augen, sagten nichts, als: Vortreflich! Gute Nacht, Bruder! und legten sich zu Bette. Aber beyde konnten noch lange nicht schlafen, und fühlten, daß die Seele des Gesangs sie noch umschwebe!
Um sechs Uhr standen sie auf, und weil sie noch niemand im Hause hörten, so lasen sie im Virgil. Nach einer guten Stunde kam Junker Veit an den Krücken herein gehinkt, weil er das Podagra hatte. Siegwart legte das Buch, aufgeschlagen, neben sich auf den Tisch. Was Teufels! rief Veit, da habt ihr ja gar ein Buch! Sapperment! Was soll das heissen? – Fort zum Henker und seiner Großmutter! und indem schmiß er den Virgil auf den Misthaufen vor dem Fenster. – Verzeyhen Sie, sagte Siegwart, das Buch handelt von Forsten und vom Waidwerk. – Das ist was anders, antwortete Veit. Ja, wenn das ist, so hab ich allen Respekt davor. Steffen mags wieder herauf holen! – Da, Steffen, hebt das[279] Buch dort auf; auf dem Miste! und bringt mirs! Ich hab ehmals auch so ein Buch gehabt, 's heist der Döbel. 'S steht manches gutes drinn; aber 's meiste hab ich schon gewust. Man muß im Forst lernen, wenn man will ein rechter Waldmann werden. – Das verfluchte Zipperlein hat mich so zu Schanden geritten! Ich kann heut nicht naus, und 's ist doch so ein herrlicher Tag. Aber dafür wollen wir doch, die Zeit nicht ganz ungenutzt vorbey streichen lassen. Kommt nur! Ich will euch viel rares zeigen! – Erst führte er sie in seine Gewehrkammer. – Seht mir einmal! was das für ein Vorrath ist! Nicht wahr? Der darf sich sehen lassen? Ich nehms mit jedem Churfürsten auf, ob ers besser hat? – Da seht! Das ist das Kontersait, von dem ich gestern g'sagt hab. Ist das nicht ein ehrliches Gesicht? Mit dem Schnurrbart, und dem krausen Backenbart! – Und da, das Windspiel! 's ist meiner Seel! zum Küssen! Ich wollt viel drum geben, wenn ichs so im Leben hätte! – Ja, seht euch nur recht um! So was extraschönes kriegt ihr nicht so bald wieder zu sehen. Aber das Zeug, wie's so da ist, ist mich auch über tausend Thaler gekommen. – Wundert euch nur nicht! 'S ist warlich[280] wahr; ich will drauf sterben! – Nun habt ihrs gnug beschaut? So wollen wir halt allmählich weiter.
Drauf schleppte er sich, mit vieler Müh, an seinen Krücken, die Stiege hinunter, und zeigte ihnen in der Hausthüre die vielen Hirschgeweihe, die oben, in der Reihe herum, wie er die Hirsche geschossen hatte, fest gemacht waren. Mit vieler Umständlichkeit und tausend Betheurungsflüchen erzälte er ihnen die Geschichte jedes Hirsches, wo und wann er ihn geschossen habe? u.s.w.
Von da giengs zu den Hunden, deren eine ungeheure Menge war. – Sa, sa sa! Hurah! Dax, Dax! rief er, und alle Hunde liefen mit grossem Gebell herbey; sprangen an ihm hinauf; hiengen sich an ihn an; und umzingelten ihn so, daß er aussah, wie der Engländer Wildmann, dem sich, auf seinen Wink, ein Schwarm von Bienen ins Gesicht setzt. Nun ließ er sich von seinem Jäger zwo grosse Multen voll derbe Stücken Brod bringen; gab einem Hund nach dem andern ein Stück, und erzälte dabey sein Alter, seine Race, seinen Namen, seine Tugenden und Thaten. Dies währte über eine Stunde, und im Pferdestall giengs eben so. – Indem kam der Junker[281] Jobst auf einem alten Klepper hergesprengt; stieg, ohn ein Wort zu reden ab, führte seine Mähre in den Stall, und sagte nun: Auf den Nachmittag werde Junker Seilberg, Fräulein Regine, Baron Striebel, und der kleine Herr von Silberling mit seinem Haarbeutel zum Besuch kommen. Brav, brav! rief Junker Veit; die kommen mir eben recht bey meinem Zipperlein! Den Einen hats verlassen, und den andern nimmts beym Schopf. – Kommen Sie zu Wagen? Freylich, sagte Jobst, Silberling kommt ja im Haarbeutel. Aber, Herr Bruder, nun schaff mir was zu trinken! Denn ich bin verteufelt durstig. Veit bestellte gleich im Stall eine Bouteille, die Jobst ohne viele Umstände austrank. – Bis zum Essen wurde von Geschichten aus der Gegend, und Jagdangelegenheiten gesprochen, die zum Anführen zu unwichtig sind. Bey Tisch wurden die Rebhühner aufgetragen, die Kronhelm und Siegwart geschossen hatten, denn das Schwein muste erst in der Stadt gebrannt werden. Die Rebhühner gaben Junkern Veit zu manchem Spaß und zu vielen Gesundheiten Anlaß, so daß er heute vor der Zeit stark berauscht wurde, wozu der Verdruß über sein Podagra auch viel beytrug.[282] Junker Jobst blieb ihm nichts schuldig. Er fieng an, zu singen, und mit Sibyllen schön zu thun; die ihn aber garstig ablaufen ließ, und ihm derbe Grobheiten sagte; doch die schüttelte er ab, weil sie von einem adelichen Frauenzimmer herkamen. Endlich kam die übrige Gesellschaft auch; Kronhelm sprang hinab, sie zu bewillkommen, und hob die Personen aus dem Wagen; der alte Seilberg mußte von zwey Bedienten die Treppen hinauf geführt werden. Silberling stand auf der Seite, um Reginen seinen Arm zu bieten. Er trat mit einer Verbeugung näher, als ihr eben Kronhelm, der es nicht wahrgenommen hatte, die Hand gab. Ganz betroffen sprang Silberling zurück, und ward feuerroth; Kronhelm ward es auch, und sagte: Verzeihen Sie. Es ist recht gut so, lispelte Regine, und sah unserm Kronhelm freundlichlächelnd ins Gesicht. Die beyden Alten erzälten sich nun von ihrem Podagra, schimpften drauf; und kamen auf ihre Jugendstücke zu sprechen, die so erbaulich waren, daß Kronhelm und Siegwart auf einen Wink Reginens sich mit ihr entfernten, und in den verwilderten Schloßgarten giengen. Ihre Abwesenheit ward von niemand bemerkt,[283] als von Sibyllen und von Silberling, dem der Angstschweiß ausbrach. Er rückte auf seinem Stuhl hin und her, und wäre so gern weggegangen, wenn er nur nicht die Anmerkungen und Spöttereyen der Edelleute gefürchtet hätte. Sibylle durfte nicht weggehen, weil sie aufwarten muste; denn Kunigunde nahm immer in Gesellschaft die Mine der gnädigen Frau an, und bewegte sich nicht von ihrer Stelle. Dabey war ihr der saftige Scherz der Edelleute viel zu angenehm; sie konnte hier alle ihre Gaben auskramen, und das ihrige treulich hinzuthun. Regine gab im Garten Kronhelm selbst ihre Hand, und sagte: Lassen Sie uns hier, statt des ewigen Gelerms, der stillen und ruhigen Natur geniessen! Ich bin des Aufenthalts bey meinem Großpapa so satt, daß ichs Ihnen nicht genug sagen kann. Und nun ist noch der abgeschmackte Silberling da. Ich kann ihn nicht anders nennen, so gern ich auch von andern sonst gelind urtheile. Den ganzen Tag hüpft er um mich her, und ich bin keinen Augenblick vor ihm sicher.
Siegwart. Erlauben Sie, ist er schon lang bey Ihnen, gnädiges Fräulein?
Regina. Bald vierzehn Tage; und wie lang's noch währen wird? weiß der Himmel.[284]
Kronhelm. Darf ich mich erkühnen, Sie zu fragen, wenns nicht zu verwegen ist, hat er Absichten auf Sie?
Regina. Ich weiß nicht, Herr von Kronhelm! Aber soviel kann ich sagen, daß ich keine auf ihn habe. Wenn er mir auch weniger mißfiele, so würd ich doch Bedenken tragen, in die Stadt zu gehen. Ich bin sie so überdrüssig geworden, und das Land, mit aller seiner Ruhe, zieht mein Herz so sehr an sich, daß ich nur da recht lebe. Tausendmal, Herr Siegwart, hab ich mit Ihrer lieben Schwester drüber gesprochen, und mich ganz in Träumereyen vertieft.
Siegwart. Ja, sie ist auch ganz Ihrer Meynung, gnädges Fräulein, und zieht das Land allem andern vor.
Regina. Denken Sie sich einmal, Herr von Kronhelm – denn ich weiß, Sie lieben auch das Land – was das schön ist? Zwey Seelen, die einander über alles lieben, und nun hier, der Welt unbekannt, in stiller Ruhe leben! Die ganze Gegend, mit allen ihren Reizen blüht für sie. Ungestört betrachten sie alle Schönheiten und Veränderungen der Natur. Kein Stadtgerücht, keine Verläumdung naht sich ihnen. Was müssen[285] sie auf einsamen Spatziergängen fühlen, wenn alle Vögel sich beeifern, Entzücken in ihr reines Herz zu singen; wenn ihr ländliches Mahl aus lauter Früchten besteht, die sie selbst gepflanzt haben; wenn die Abendsonn' in ihre Sommerlaube glänzt, und die Blumen um sie her düften? Wenn dann das himmelvolleste Gefühl der Zärtlichkeit aus ihnen weint; was denken Sie von einem solchen Paar, Herr von Kronhelm?
Kronhelm. Daß es recht glücklich seyn muß, gnädiges Fräulein!
Regina. Recht glücklich? Weiter nichts? Warum so kalt, Herr von Kronhelm? Sind Sie immer so?
Kronhelm. Immer so, gnädiges Fräulein! Kalt zwar nicht. – Doch, wenn Sies so zu nennen belieben –?
Regina. Nun, was ist es denn? – Sagen Sie mir einmal: möchten Sie nicht der Eine Theil des glücklichen Paars seyn?
Kronhelm. O ja, gnädges Fräulein.
Regina. O ja, O ja! Und immer kälter! Ihr Gesicht muß ziemlich trügen. Es verspricht so viel Empfindung; so viel schwärmerisches! Und ich liebe das Schwärmerische so.[286]
Kronhelm. So thut mirs Leid, daß mein Gesicht trügt! Denn ich möchte Ihnen nicht mißfallen.
Regina. Mißfallen! Wer spricht auch gleich davon? Aber, Kronhelm! Sie sollten mehr wünschen, als mir nur nicht zu mißfallen! – Verzeihen Sie, ich hab schon zuviel geredt; Ich bin eben ein Landmädchen; und die verstehen freylich so das Feine nicht.
Kronhelm. Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein!
Regina. Nicht? nun so kann ich nicht dafür. – So bedauren Sie mich!
Und nun gieng sie weg, und weinte. Siegwart stand ganz betroffen da, und sah Kronhelm an. Er wuste sich in sein Betragen schlechterdings nicht zu finden. Das Fräulein bückte sich; brach ein paar Tausendschönchen ab; hielt sie fest zusammen, sah sie staar an, und zerriß sie dann plötzlich. Kronhelm gieng allein einen Gang hinauf, Siegwart stand da, und wuste nicht, ob er gehen, oder bleiben sollte? Endlich kam Regine wieder zu ihm, sprach mit ihm von seiner Schwester; und vom Kloster, daß es da so traurig sey; überhaupt, sagte sie, sind wir Mädchen die elendesten Geschöpf[287] auf Gottes Erdboden! Alles neckt an uns; alles nimmt man uns übel, was den Männern hundertmal erlaubt ist! Siegwart wuste nichts zu antworten. Kronhelm kam wieder. Sind sie böse, Herr von Kronhelm? sagte Regine. Verzeihen Sie! Ich war vorhin viel zu heftig; das ist so mein Temperamentsfehler. Meine Mutter war auch so.
Kronhelm. Sie sind ungerecht gegen sich, Fräulein! Warum sollt ich Ihnen böse seyn?
Regina. Je nun! Lassen Sies gut seyn! Wir haben uns mißverstanden. – Sagen Sie mir doch, werden Sie noch lang hier bleiben? Werden Sie mich noch einmal besuchen?
Kronhelm. Ueber ein paar Tage bleiben wir nicht mehr hier, die Ferien gehn bald zu Ende. Ich weiß also nicht, ob ich das Vergnügen haben werde, Sie noch einmal zu sehen?
Regina. Also auch das nicht? Nun, es ist gut! Es gehört noch zum Vorigen. – Wenns Ihnen gefällig ist, so gehn wir wieder zur Gesellschaft. Mein Großpapa wird ohnedies heut nicht gar lange bleiben können, da ihn das Podagra erst seit gestern früh verlassen hat.[288]
Sie kamen wieder in die Gesellschaft, wo Jobst und Kunigunde sich über Silberling sehr lustig machten. Baron Striebel nahm oft seine Parthie, aber immer konnt er es doch nicht, weil Silberling oft gar zu einfältige Antworten gab. Junker Veit war ganz unaufgeräumt, und beklagte sich sehr über sein Zipperlein. Die Gesellschaft gieng bald auseinander, und Junker Veit legte sich frühzeitig zu Bette. Siegwart und der junge Kronhelm giengen auf ihr Zimmer. Kronhelm sah es seinem Freund an, daß er etwas auf dem Herzen habe. Endlich fieng dieser an: Hör, Kronhelm, dein heutiges Betragen gegen das Fräulein Stellmann kommt mir ganz sonderbar vor; ich kann die Kälte, die du annahmst, nicht begreifen; zumal da das Fräulein gegen dich nichts weniger, als gleichgültig zu seyn scheint.
Kronhelm. Wie? Wenn ich aber gerade deswegen mein Betragen so eingerichtet hätte?
Siegwart. Das ist mir noch unbegreiflicher und räthselhafter. Das Fräulein, deucht mir, ist ein vortrefliches Frauenzimmer, das deine Hochachtung und Liebe wol verdiente.[289]
Kronhelm. Vielleicht. Aber muß Hochachtung und Liebe gleich beysammen stehen?
Siegwart. Das nun eben nicht; aber ich denke, die Liebe kommt bald nach, wenn man von einem Frauenzimmer, für das man schon Hochachtung fühlt, auch noch geliebt wird?
Kronhelm. Nicht immer, Siegwart; und hier trifts gerade nicht ein. Sieh, ich glaub auch, daß mich das Fräulein liebt; und eben deswegen nahm ich den kalten Ton an, der mir sonst gar nicht natürlich ist, um ihre Leidenschaft mehr zu dämpfen, als anzufachen. Man kann im Umgang mit Mädchen nicht vorsichtig genug seyn; jedes Wort muß man abwägen; sie legen gar zu gerne aus, und wir müssen keine Veranlassung dazu geben! Ich ärgere mich doch genug, wenn ich jetzt viele Jünglinge in dem leichtsinnigen und schmeichlerischen Ton mit Mädchen sprechen höre, der jetzt immer allgemeiner wird. Dadurch werden die Leichtgläubigen und eiteln Seelen ganz verdorben; ihre Eitelkeit wird genährt, und sie träumen täglich von Eroberungen und von Siegen. Ich halte jeden für einen Feind des weiblichen Geschlechts, der den Mädchen nichts als Süssigkeiten vorsagt; alles an ihnen bewundert[290] und erhebt; und ihnen unaufhörlich die Hände leckt. Die armen Geschöpfe wissen ja nicht, worauf es angesehen ist? und ob mans aufrichtig mit ihnen meynt? Sie werden entweder Koquetten, oder mißtrauisch und spröde. Ich könnt es nicht über's Herz bringen, einem Mädchen Schmeicheleyen zu sagen, oder den Schein zu haben, als ob mir an ihrer Gunst und Liebe was gelegen wäre, wenn ich nicht ihre Liebe suchte, und sie für mein gröstes Glück hielte. Da das nun zwischen mir und Reginen der Fall nicht ist, so must ich mich zurück ziehen, und kalt thun; zumal da meine Frage, ob Silberling Absichten auf sie habe? ziemlich vorwitzig und unüberlegt war.
Siegwart. Deine Grundsätze sind herrlich, Kronhelm, und ich wünschte nichts, als daß sie jeder Jüngling sich zu eigen machte. Aber, sag mir, warum du gegen das Fräulein keine Zuneigung fühlst, da sie doch so viele Vorzüge vor andern hat?
Kronhelm. Aus verschiedenen Gründen, Siegwart, und zum Theil auch aus einer dunkeln, unentwickelten Empfindung. In meinem Herzen ist ein gewisses Leere, das durch Sie nicht ausgefüllt wird; Sie gefällt mir, aber weiter nicht. So lang ich bey ihr bin, find' ich zwar an ihrem Umgang Wohlgefallen;[291] aber nachher vergeß ich sie wieder, und fühle keine weitre Sehnsucht nach ihr. Kurz, eine dunkle Empfindung sagt mir, daß sie das Mädchen noch nicht sey, das für mich allein geschaffen ist, und dereinst mein ganzes Daseyn ausfüllen und beleben soll. – Und dann, muß ich dir gestehen, soviel mir an dem Fräulein gefällt, so viel mißfällt mir auch an ihr. Was sie heut vom Landleben sagte, scheint mir mehr Deklamation zu seyn, als inniges, empfundenes Gefühl. Man spricht von dem nur wenig, was man hat und fühlt! – Und besonders hat mir ihr Betragen gegen mich sehr mißfallen. Sie kann überhaupt noch keine wahre Liebe zu mir fühlen, da sie mich noch viel zu wenig kennt. Wahre Liebe gründet sich auf Hochachtung, und muß der höchste Grad von Freundschaft seyn. Beydes ist nicht möglich, wenn man nicht die Vorzüge des andern genau kennt; und diese lernt man erst durch einen längern und vertrautern Umgang kennen. Ich weiß wol, daß die Liebe sich mehrentheils beym Aeusserlichen, bey der Gesichtsbildung, und dergleichen anfängt; aber von dieser Liebe halt ich auch so viel nicht. Und nun bedenk, wie hat das Fräulein ihre Liebe gegen mich geäussert? Gab sie sich nicht völlig blos? Wars nicht eben soviel,[292] als ob sie sagte: Kommen Sie! wir wollen einander heyrathen! Wahre Liebe spricht nicht! Man kann sich Jahrelang lieben, ohn' es sich zu sagen! Man könnte zwar ihr Betragen schwäbische Offenherzigkeit, ländliche Einfalt und naives Wesen nennen; aber mich deucht, das ist ganz was anders. Das weibliche Geschlecht kann bey seiner Feinheit der Empfindung so nicht reden. Es muß immer, besonders bey der Liebe, einen gewissen Stolz, eine edle Würde beybehalten, und sich nie, wenn ich so sagen darf, selbst feil bieten! Niemand schätzt einen offenen Charakter, und ein ungezwungnes, ungeziertes Wesen mehr, als ich. Ein Mädchen, das mit einer gewissen Anmuth und Einfalt seine Meynung frey und offenherzig sagt, ist das angenehmste Geschöpf; und diese Gabe scheint deine Schwester, deiner Erzählung und den Briefen nach, die ich von ihr sah, in einem ganz vorzüglichen Maaße zu besitzen. Aber frag dich selbst, ob du das bey Reginen auch findest? Ob durch ihr gerades Wesen nicht die weibliche Delikatesse beleidigt werden muß?
Siegwart. Das ist schon gut, Kronhelm; aber bey dem Fräulein kanns ein Fehler der Erziehung seyn; und dann müssen wir doch das bedenken,[293] was sie selber zu mir sagte, daß das weibliche Geschlecht auf diese Art sehr schlimm daran ist, wenn man ihm alles das übel nehmen will, was uns hundertmal erlaubt ist.
Kronhelm. Recht, Siegwart, das sag ich auch! Ein Geschlecht sollte soviel Freyheit haben, als das andere! Man hätte diesen Ton nicht einführen sollen! Wir sind Tyrannen des weiblichen Geschlechts. Aber da es nun einmal ein angenommner Grundsatz ist, so müssen sich die Mädchen auch darnach bequemen, weil ihnen die Ueberschreitung desselben so nachtheilig ist. – Und ganz scheint die Regel doch nicht von unserm Eigensinn abzuhängen. Es ist allgemein, daß ein Mädchen sich verächtlich macht, wenn sie sich selbst anbeut. Jeder fühlts bey sich; sein Gefühl wird beleidigt, und es scheint so in der Natur zu liegen. – Ich hab übrigens mit dem Fräulein Mitleid. Dem Anfang der Liebe kann man schwer widerstehen. Glaub mir, daß mein Herz viel litt, als ich den trockenen und kalten Ton annehmen muste.
Siegwart. Ich sahs wol, als du den Gang allein hinaufgiengest, daß in deiner Seele mancher Kampf vorgehen müsse. – Ich bewundre deine Klugheit, und begreife nicht, wo du die[294] Kentnis des weiblichen Herzens und der Liebe her hast?
Kronhelm. Mir hab ich wenig, und das meiste meinem Onkel in München zu verdanken, der oft über diese Sache sprach; und dann fand ich seine Grundsätze durch die Erfahrungen bestätigt, die ich an den Frauenzimmern machte, die in sein Haus kamen. – Weist du aber, was wir nun zu thun haben? Wir müssen sobald als möglich wieder auf die Schule zurück. Ich muß dem Fräulein soviel, als sich thun läst, ausweichen, und dann bin ichs auch überdrüssig, länger hier zu bleiben. Ich kann von meinem Vater besser denken, wenn ich von ihm entfernt, als wenn ich um ihn bin, und seine Art zu denken und zu handeln mit ansehe. Wir wollen sagen, daß die Schule künftige Woche wieder anfange, und dann müssen wir übermorgen, oder höchstens in drey Tagen wieder in die Stadt.
Siegwart war es sehr zufrieden; denn seit der Mißhandlung der Baurenfrau gefiel es ihm auch bey dem Junker Veit gar nicht mehr. Sie beschlossen, es ihm morgen zu sagen, und legten sich, nachdem sie noch etwas auf der Violine gespielt hatten, zu Bette.[295]
Junker Veit befand sich den andern Morgen, wegen seines Zipperleins, sehr übel; er muste sich zu Bette halten, und ließ seinen Sohn und Siegwart zu sich kommen. Seht ihr, was ich für ein Hundsfotr bin? sagte er. Da lieg ich, wie eine alte Hirschkuh, und kann mich vor Schmerzen nicht rühren, und nicht wenden! Ja, wenn man in der Jugend alles so bedächte, da hätt ich freylich manches unterlassen können. Aber, Sakerkot! wer wird da immer an d' Gicht und ans Zipperlein denken? Fritz, ich sag dir, laß doch nicht zu viel mit den Mädels ein! 's nichts g'scheides bey heraus! Sieh! daher kommt mein meistes Elend. Ja, wenn ich deiner Mutter immer g'folgt wär! Aber die nahm halt vieles auch gar zu genau! Stopf mir einmal meine Pfeif! Vielleicht hilfts Rauchen für die Schmerzen; wenigstens vergißt mans drüber. – Siegwart, du siehst ja ganz trübselig aus! Hast Mitleid mit mir? Guter Jung! Aber glaub mir, ich verdiens auch; denn das Zipperlein brennt gar infam! – Ich wollt gern ein paar Messen lesen lassen, wenns nur hülfe! Aber schaden kanns doch auch nicht. Laß dem Pfarrer sagen, Fritz, er möcht für mich beten; aber eifrig! Hasts ghört? Zuweilen, Siegwart, kann man die Pfaffen schon[296] brauchen, wenn Noth an Mann geht. – Nun, Fritz, ists bestellt? – Ich sag euch, Jungens, keine Stunde reut mich, die ich auf der Jagd zubracht hab, denn da wird man frisch und munter, wie ein Rehbock; aber das andere Zeugs hätt ich freylich können bleiben lassen. Nun, nun, was geschehen ist, läst sich nicht mehr ändern! Wenns nur nicht gar zu lang anhält; denn dießmal hat michs recht niederg'worfen Heut müst ihr schon zu Haus Geduld haben! Morgen können wir vielleicht wieder 'naus, wenns besser wird! – Verzeihen Sie, Papa, sagte Kronhelm, auf den Montag gehn unsre Schulstunden wieder an, und da werden wir wol übermorgen reisen müssen. Was? schrie Junker Veit, schon wieder fort? Und seyd kaum herausgekommen? Sapperment! Erst zweymal sind wir auf der Jagd gewesen, und ich wollt euch noch in allen meinen Forsten rumführen! Nein, das geht nicht an! Seht, jetzt wollt ihr mich verlassen, da ich wie ein Krüppel da liege, und mir nicht zu helfen weiß. Nein, bey meiner Seel! ihr müst noch bleiben! Siegwart sagte, daß es schlechterdings nicht angehe; Sie würden bey ihren Professoren in Ungelegenheit darüber kommen, und[297] beständig Vorwürfe deswegen hören müssen. Ja so gehts bey den Blitzpfaffen; sagte Veit; da ist das ewige Kommandiren und Einsperren! Da werden die besten Leute durch verdorben, und zu Dummköpfen gemacht, die nicht wissen, ob die Welt grün oder gelb aussieht? Mit der einfältigen Gelehrsamkeit! Ich hab in meinem Leben nie gehört, daß ein Gelehrter 'n guten Soldaten, oder Jäger abgeben hab. Da müst ihr nun wieder in euer Klaus 'nein, und bey den dummen Büchern schwitzen! Ja, da wär ich ein Narr! Da ist mir Gott's freye Luft lieber! Könnt ich nur jetzt drinn seyn! – Er klagte noch so eine ziemliche Zeit fort, und erzälte dann wieder von seinem Soldatenstand, und von seinen Jägerthaten. Endlich nahmen seine Schmerzen etwas ab, und er ließ sich aus dem Bette heben. Bey Tisch wurd er wieder ganz munter, und mit den Schmerzen verliessen ihn auch seine ernsthaften Gedanken wieder. Ueber Tisch ließ sich der Pfarrer aus dem Dorfe melden. Hah, hah! sagte Veit, der riecht den Braten; Nun, last ihn nur kommen! Er wird wieder durstig seyn, und da weiß er, daß er am ersten etwas kriegt, wenn ich krank[298] bin. 'S ist sonst ein guter Narr, mit dem man wol 'n Spas haben kann. –
Der Pfarrer kam, und schlich sich demüthig in die Stube herein. – Willkomm, Herr Pfarr! schrie Veit; Nur frisch hereingegangen! 'S ist schon wieder besser.
Pfarrer. Ich bedaure, gnädiger Herr! Ich hab gehört, daß Sie wieder nicht recht –
Veit. Ja, ja! 'S ist schon gut, sag ich. Leg er nur den Hut ab, und setz er sich hieher! Wie stehts denn, Alter? Was macht seine Köchinn? Braucht er bald wieder eine neue?
Pfarrer. Ich bitt um Vergebung, Ihr Gnaden! Warum sollt ich eine neue brauchen?
Veit. Je nun, das hat so seine Ursachen. Man kennt euch Leute schon! Thu er nur nicht so sittsam, als ob er alle Heiligkeit allein gepachtet hätte! Vor den Leuten da darf er sich nicht scheuen, die kennen seine Umstände schon. Das ist mein Sohn, und der andre ist ein guter Freund von ihm. Was giebts denn Neues? Ists wahr, daß des Pfarrers von Aderlingen Köchinn schwanger ist?
Pfarrer. Ich weiß nicht, Ihr Gnaden; aber die arge Welt sagt so.[299]
Veit. Die arge Welt? Da muß es die arge Welt seyn, wenn von Euresgleichen was gesagt wird. Aber gelt, wenn ein armer Teufel, der kein Pfaff ist, was gethan hat, da könnt ihrs nicht genug ausposaunen; da fangt ihr 'n Lerm auf der Kanzel an, als ob d' Welt einfallen wollte! Nun, es leben d' Pfaffen und ihre Köchinnen! Gelt, da schmunzelt er, der alte Knasterhart? Ja, ihr seyd mir rechte Füchse! Hat er denn den Morgen brav gebetet, daß mein Zipperlein zum Teufel geh? Nun, 's hat brav geholfen, und jetzt wollen wir uns dafür tüchtig betrinken!
Der Pfarrer that auch von seiner Seite alles Mögliche, und brachte es in Kurzem so weit, daß er die ärgsten Zoten vorbrachte, und von sich die niedrigsten Schandthaten erzälte. Er blieb bis Abends um zehn Uhr da, und muste von zween Bedienten nach Haus gebracht werden. Kronhelm that es in der Seele weh, daß ein Mensch, der sich für einen Lehrer Gottes an die Menschen ausgibt, sich bis zum Thier herab erniedriget. Siegwart dachte tausendmal dabey an seinen Pater Anton, und den ehrlichen Pfarrer in Windenheim.[300]
Wenns viel solche Prediger gibt, sagte Siegwart Abends noch zu Kronhelm; dann wundre ich mich nicht mehr über die Geringschätzung der Religion. Wer sie nicht selbst aus der Quelle kennt, und sie dann von solchen Leuten lernen, und hochschätzen und lieben soll, der muß beynah ein Freygeist und Religionsspötter werden; aber eben deswegen sollte man unsern Laien die Bibel nicht entziehen, damit sie daraus Trost und Lehre schöpfen könnten, wenn sie von ihren Lehrern keinen zu erwarten haben. So ein Mann, wie dein Pfarrer ist, macht tausend Seelen unglücklich, und ich möcht' einst seine Verantwortung nicht übernehmen!
Den andern Tag befand sich Junker Veit etwas leidlicher, doch must er sich zu Hause aufhalten. Er schlug unsern beyden Jünglingen vor, ob sie nicht auf die Jagd gehen wollten? So könnten sie doch noch einen andern von seinen Forsten kennen lernen; Er woll ihnen einen Jäger mitgeben, der ein Ausbund von einem Waidmann sey. Kronhelm und Siegwart nahmen den Antrag gerne an, denn in seiner Gesellschaft ward ihnen die Zeit ziemlich lang. Sie schossen verschiedne Stücke Kleinwildpret, und einen Bock.[301] Um Essenszeit kamen sie wieder nach Haus; Der Junker hatte ein inniges Vergnügen über ihre Geschicklichkeit, und bedaurte nur, daß sie schon so bald fort musten. Den Nachmittag sprach er wieder bey der Bouteille brav ein, und versprach, sie den andern Morgen eine Meile weit zu begleiten, wenn es nur sein Zipperlein zulasse. Er konnte aber sein Versprechen nicht halten, weil seine Schmerzen wieder zunahmen. Früh um sieben Uhr, als die Pferde schon gesattelt waren, ließ er sie vor sein Bette kommen; und nahm von ihnen, da ihn die Schmerzen etwas mürbe gemacht hatten, mit ziemlicher Bewegung Abschied. Nun leb wol, Fritz, sagte er, und wischte sich die Augen; wenns denn seyn muß! Und führ dich als ein Junker auf! Es war mir lieb, daß ich dich als 'n ehrlichen Kerl hab kennen lernen, der sein Waidwerk versteht. Wenn du nur das nicht vergist; am andern ist blutwenig g'legen! Wenn du wieder einmal zu mir kommst, dann solls, denk ich besser gehen! Diesmal hat mir das verhenkerte Zipperlein einen Strich durch die Rechnung gemacht. Geld will ich dir auch schicken, wenn du's nötig hast; und da schenk ich dir noch zum Andenken eine Flinte. Sie ist probat, und versagt[302] dir gewiß nie. Mit den Mädels laß dich nicht ein! Denk an deinen Vater und ans Zipperlein! Nun kannst du gehen! Weiler weiß ich nichts. –– Und dir, Siegwart, dank ich, daß du bey mir eing'sprochen hast. Du hast mir viel Freud gemacht, weil du mehr verstehst, als mancher Junker. Wenn du von Adel wärest, Junge, solltest meine Tochter haben; aber so ists nichts! Adies! – Sie musten noch ein Glas Quetschenwasser trinken, und setzten sich zu Pferde. Kunigunde ließ sich nicht sehen; aber Sibylle war zugegen; küste und herzte ihren Bruder, und nahm mit Thränen Abschied. – Der Reitknecht Jakob ritt wieder mit ihnen. Als sie durch den Wald kamen, wo er den Hirsch geschossen hatte, fieng er wieder an: Sapperment, Junker, den Streich kann ich noch nicht vergessen, den sie mir auf diesem nehmlichen Platz g'spielt haben. Der Hirsch war gar zu schön! Ich mocht meinem gnädigen Herrn nur nichts sagen, um Ihnen keinen Verdruß an den Hals zu werfen; denn ich will drauf schwören, daß er g'wettert haben würd! Kronhelm hieß ihn schweigen, und gab ihm die Erlaubnis, seinem Vater die ganze Geschichte zu erzälen.[303]
Als sie wieder auf der Schule ankamen, und sich beym Prior gemeldet hatten, so war ihr erster Gang zum braven P. Philipp. Wie erschracken sie, als das Zimmer, wegen der herabgelassenen Vorhänge ganz dunkel war, und ihr lieber Pater im Bette lag! P. Johann saß neben ihm, und hatte einen lateinischen Psalter in der Hand. Willkommen, lieben Freunde, sagte P. Philipp mit heiserer und leiser Stimme. Es ist mir lieb, daß ich euch noch sehe! Gott hat eine Veränderung mit mir beschlossen. Ich werd euch bald verlassen müssen. Mir gehts wohl!.. Die beyden Jünglinge konnten sich nicht länger halten; die hellen Thränen stürzten ihnen aus den Augen, und sie schluchzten laut. – Gebt euch zufrieden, lieben Freunde! Mir gehts wohl; und Bruder Johann wird euch meine Stelle wieder ersetzen; er liebt euch auch .... Ich habe gnug auf der Welt gesehen.. Hab auch viel gelitten.. Mir wirds wohl werden. Mein Andenken ist alles, was ich euch hinterlassen kann, und etliche Bücher, die ich aufgeschrieben habe.. Ihr bekommt nun einen Freund im Himmel mehr.. Um Christi willen hoff ichs ... Kronhelm, gib mir deine Hand!.. Du auch, Siegwart![304] Seht, ich leg sie ineinander.. Bleibt Freunde!.. und wandelt auf dem Weg der Rechtschaffenheit dem Himmel zu! ... Vergest euren treuen Lehrer, Freund, und Bruder nicht! ... Nun möcht ich wol ein Bischen allein seyn!.. Ich bin so matt – –
Die beyden Freunde wankten aus dem Zimmer auf das ihrige; Jeder warf sich auf einen Stuhl, sah den andern an, und sprach kein Wort. – Gott! sagte Siegwart, was ist der Mensch? Ist denn nichts, als Elend auf der Welt? Wenn ich nur mit ihm stürbe! Und du auch, Kronhelm! – Dieser, der von Natur gelassener war, und sich mehr gleich blieb, ob sich gleich seine Seele tief verwundet fühlte, suchte seinen Freund zu trösten, und von seiner Ungeduld abzubringen. Endlich fiengen aber doch beyde wieder mit einander an zu weinen. Nach einer halben Stunde schlichen sie sich an das Krankenzimmer, und sahen, weil die Thüre halb offen war, hinein. P. Johann winkte ihnen; sie traten leise an das Bette; und der Fromme, mit dem blassen, eingefallenen Gesicht, lag in ruhigem Schlummer da, und lächelte zuweilen; ein paarmal streckte er die[305] Hände aus und faltete sie. Endlich wachte er mit heftiger Bewegung auf, blickte wild umher, und sagte hastig: Bald ists vorbey! Nur noch Einmal!.. Ich hab ihn schon gesehen!. Er ist schröcklich!.. und schön!.. und fürchterlich! ... Dann sah er wieder um sich, erblickte die beyden Jünglinge; lächelte; gab Siegwarten die Hand, und sagte: Seyd ihr auch noch da? Ich dachte, ihr wäret längst gestorben! – Dann schwieg er wieder, und bewegte nur die Lippen, vermuthlich, um zu beten, denn sein mattes Aug sah mühsam in die Höhe. – Kronhelm und Siegwart baten den P. Johann, daß sie die Nacht bey ihrem Lehrer wachen dürften. Er gab es gerne zu, weil er durch ein paar Nachtwachen schon sehr abgemattet war, und die meisten Lehrer die Ferien über verreist waren. Er setzte sich in einen Lehnstuhl, um zu schlafen, und bat, ihn nur dann zu wecken, wenns mit dem Pater merklich schlimmer würde. Dieser phantasirte fast die ganze Nacht durch; nur zuweilen hatte er lichte Augenblicke, und dann sprach er aufs zärtlichste mit seinen Freunden, ermunterte sie zur christlichen Rechtschaffenheit, und sagte: ohne sie würd er dem Tod nicht so getrost entgegen sehen können.[306] – Nachdem er sich die Nacht durch ganz müde phantasirt hatte, so fiel er gegen Morgen in einen tiefen Schlummer, der dem Tode fast ähnlich sah. Kronhelm und Siegwart warfen sich auf ihr Bette, und blieben bis gegen Mittag liegen.
Als sie wieder auf das Krankenzimmer kamen, so war der Pater aufgewacht, und sah weit heiterer und frischer aus. Der Schlaf hatte den Abgang seiner Kräfte wieder ersetzt und der Arzt, der eben dazu kam, faßte nicht geringe Hofnung zu seiner Besserung. Er konnte wieder etwas Nahrung zu sich nehmen, und das Irrereden blieb aus. Kronhelm und Siegwart wurden, durch diese Hofnung, wie neubelebt, und konnten nun erst um die Gesundheit ihres Freundes beten; vorher hatten sie's nicht gekonnt. Er ward merklich besser, und konnte nach ein paar Tagen schon wieder eine halbe Stunde auf sitzen. Die beyden Jünglinge waren unaufhörlich um ihn, und lernten aus seinem Munde tausend weise Lehren; denn nichts ist lehrreicher, als das Krankenbette eines weisen Christen; Nirgends dringen die Lehren tiefer ein. Nun lernten Kronhelm und Siegwart erst das Glück recht schätzen, einen solchen[307] Lehrer zum Freund zu haben. Nun sahen sie die Grösse des Verlustes erst recht ein, den sie mit seinem Tod erlitten haben würden. Nun sahen sie, daß es weise Liebe Gottes sey, wenn er uns zuweilen ein Gut zu entziehen droht, dessen Wichtigkeit und Grösse wir vorher nur halb eingesehen, und das wir deswegen nur halb benutzt haben. Noch eh die Schulstunden wieder angiengen, konnten sie an einem schönen Nachmittag eine Stunde mit ihm spatzieren gehen. Lieber Gott, sagte er, wie mir nun die Welt wieder so neu vorkommt, als ob ich sie noch nie gesehen hätte! Alles deucht mir jetzt schöner und herrlicher zu seyn. Der dunkle Tannenwald dort, und die Sonne drüber her! Der Mischling mit dem gelb und roth und blaßgrünen Laub! Die Natur sinkt nun ins Grab, und ich stehe wieder draus auf; war doch wenigstens schon halb drinn. Ach, die Natur ist ein herrlicher Anblick! Zumal, wenn man seiner eine Zeitlang beraubt war! Ich dank dir, lieber Gott! – Ich sehs euch an, daß ihr meine Freude mitfühlt. Es ist mir so wohl, daß ich in den Lüften schweben möchte! Lieben Freunde, es ist doch gut, daß ich noch eine Zeitlang bey euch bleiben kann; die Welt ist gar zu[308] schön! – Indem kam ein Krüppel zu ihnen, und bettelte. Sie gaben ihm. – So ein Anblick, sagte Philipp, kann einen freylich wieder traurig machen. Man leidet soviel, wenn man andre leiden sieht. Aber, lieber Gott, wer wollte dich drüber zur Rede stellen? Und dort, dort (indem er zum Himmel wies) gibts keine Krüppel und Lahme mehr! Dieß ist alles, was man sagen kann; und allenfalls, daß dergleichen Leute nach dem Glück nicht so sehr schmachten, was sie nicht kennen, und mit kleinerm Labsal vorlieb nehmen, als wir. Vielleicht sind auch ihre Empfindungen schwächer. Das beste ist, das Gute, das man hat, mit Dank annehmen und geniessen, und dem Unglücklichen sein Elend so viel erleichtern, als man kann! – Sie giengen vergnügt wieder nach Haus.
Zween Tage drauf fiengen die Schulstunden wieder an. Siegwart wurde, mit Einstimmung aller Lehrer, seiner besondern Zunahme in den Wissenschaften wegen, in eine höhere Ordnung befördert. Im Lateinischen las man hier vorzüglich den Cäsar vom gallischen Krieg. P. Philipp schenkte ihm eine schöne Ausgabe von diesem Schriftsteller, und zeigte ihm, mit welchem Geiste,[309] und mit welchem Nutzen man ihn lesen könne. Siegwart saß Tag und Nacht dabey, und übersprang durch seinen Fleiß gar bald die Lektionen in der Schule. Er bewunderte an Cäsar den grossen Feldherrn, der, mit der beständigsten Gegenwart des Geistes, sich aller Umstände und Abwechselungen des Krieges, stets zu seinem Vortheile zu bedienen wuste; aber er konnte in ihm den Geist nicht lieben, der, von rasender Eroberungssucht dahin gerissen, keinen höhern Zweck kennt, als den: ein freygebornes Volk, das ihn nie beleidigt hatte, das ihm nicht einmal im Wege stund, seiner Freyheit, des höchsten Gutes, das es kannte, zu berauben. Er verabscheute den Mann, der Ströme Bluts seiner Landsleute und der Gallier vergoß, um diesen ungeheuren Durst zu stillen. Er entdeckte mit Verwunderung in dem Gemählde der alten Gallier die Grundzüge, die noch jetzt den Charakter der neuern Franzosen ausmachen: den Wankelmut in ihren schnell, oft übereilt, gefaßten Anschlägen; die Begierde, immer etwas Neues auszuhecken und zu erfahren; (B. IV. K. 5.) Die Grausamkeit, die sich noch jetzt in ihren Todesstrafen äussert. (VI. 19.) Den sklavischen Gehorsam des Volks gegen seine Obrigkeit[310] (K. 13) u.s.w. Dagegen schlug sein Herz laut bey der Schilderung der männlichern und freyergesinnten Deutschen, und besonders der nervichten Sueven; ihrer patriarchalischen Lebensart, die sich blos von der Viehzucht und der Jagd nährte, (B. IV. 1. fgg.) u.s.w. Kein Umstand, der der Menschheit Ehre macht, entgieng ihm. Die edle That der beyden Römer, des Pulfio und Varenus (B. V. K. 44.) zog besonders seine ganze Bewunderung auf sich. Er besprach sich nachher mit Kronhelm und dem P. Philipp wieder drüber, und lernte, mit ihrer Hülfe, noch mehrere und wichtige Bemerkungen machen. Er gerieth oft sehr in Eifer, wenn er gegen die Erobrungssucht gegen die Tyranney, und für die Rechte eines freyen Volkes und der Menschheit überhaupt sprach. Sein Herz ward immer freyer, männlicher und fester, sein moralisches Gefühl immer richtiger, und feiner. Die Religion, die er durch vernünftigen und zweckmässigen Vortrag immer mehr in ihrer Einfalt und Würde kennen lernte, ward ihm täglich heiliger und verehrungswürdiger; denn P. Johann verschwieg fast alle Menschensatzungen, die sie verunstalten. Er sah an P. Johannes und P. Philipps[311] Beyspiel, welchen Einfluß sie auf die Güte eines Menschen haben kann, und spürte ihre heilsame Wirkung eben so lebendig an sich selbst.
Zuweilen gieng er noch mit Kronhelm, ohne den er überhaupt fast keinen Schritt aus dem Kloster that, zu einem Jüngling, Namens Grünbach, der auch auf die Schule gieng, aber bey seinen Eltern in der Stadt wohnte. Es war dieß ein Mensch von einem ernsthaften, aber heftigen Charakter. Er hatte viel Kopf und eben so viel Ehrbegierde. Wenn er sich vornahm, etwas zu lernen, so ließ er nicht nach, bis ers ganz inne hatte. Er eiferte unserm Kronhelm und Siegwart nach, weil sie die besten auf der Schule waren. In kurzer Zeit brachte er es auf der Violine so weit, daß er mit ihnen spielen konnte, und nun machten sie sehr schöne Trios zusammen. Unsre beyden Jünglinge wären noch öfter zu Grünbach gegangen, wenn er nicht so gerne, besonders über Religionssätze, gestritten hätte; und diesen Streit liebten sie durchaus nicht. Sein Vater war ein reicher Krämer, der sich auf seinen Sohn sehr viel zu gute that. Er schaffte ihm alles an, was er haben wollte, Bücher, Kleider, Musikalien und dergleichen. Sobald jemand zu seinem[312] Sohn kam, war er auch auf dem Zimmer, machte den gläsernen Bücherschrank auf, wies die schönen Bände, sagte, was sie gekostet hätten, und neigte sich lächelnd, wenn man etwas zu seinem, oder seines Sohnes Lob sagte. Er erzälte fleissig, wenn einer von den vornehmern Schülern, oder gar von den Professoren seinen Sohn besucht hatte, und rekommandirte ihn der Gewogenheit dessen, dem er es erzälte. Er fragte allemal, wie sich sein Sohn auf der Schule halte? weil er was schmeichelhaftes zu hören hoffte. Wenn die drey Jünglinge auf der Violin spielten, so war er gleich dabey, sah und hörte blos auf seinen Sohn, trat immer mit dem Fuß, als ob er den Takt gäbe, und nickte mit dem Kopf, ob er gleich nichts von der Musik verstand. Seine Frau und seine Tochter ließ er nie aufs Studierzimmer kommen, auch nicht, wenn Musik war, weil er sagte: Die Gelehrten würden durchs Frauenzimmer gleich gestört. Er las auch Historienbücher und Romane, welches er vorher nie gethan hatte; weil er glaubte, der Vater eines gelehrten Sohns müsse, ihm zu Ehren, auch ein Gelehrter werden. Kronhelm bat er besonders inständig um die Freundschaft für seinen Sohn, weil er von Adel war;[313] doch begegnete er auch Siegwarten, um seinetwillen, sehr höflich. –
Siegwart hatte seiner Schwester Therese von seiner Reise, vom Junker Veit, und von Reginen, geschrieben. Nach drey oder vier Wochen bekam er diesen Brief von ihr:
Liebster Bruder!
Vielen, herzlichen Dank für deinen lieben Brief, und die Nachrichten von deiner Reise! Wie ist es doch möglich, daß dein Kronhelm einen solchen Vater hat, der gerad das Gegentheil von ihm ist? Aber destomehr muß ich ihn bewundern und hochschätzen. Nun, lieber Bruder, dächte ich, du machtest, wenn wieder Ferien einfallen, eine Reise zu uns, und brächtest deinen lieben Kronhelm mit. Der Papa würd es sehr gern sehen, ich sagte ihm gestern davon. Sags dem Herrn von Kronhelm ja, und vergiß mein aufrichtigstes, freundlichstes Kompliment nicht! Nicht wahr, Brüderchen, du kommst? Du weist ja, ich hab dich gar zu lieb. Nun bist du schon ein halbes Jahr weg; denk einmal die lange Zeit! Also hast du Fräulein Regine kennen gelernt? Das ist mir ja recht lieb. Sie hat viel Gutes. Ihr[314] zu offenes Wesen, und ihre Ungeduld muß man übersehen; beydes ist nicht bös gemeynt. Hier schickt dir der Papa Geld, und ein Brieflein. Er ist, Gottlob! frisch und munter. In drey Wochen heyrathet Karl die Jungfer aus Dollingen; da sie jetzt unsre Schwägerinn wird, so schickt sichs nicht mehr, daß ich etwas gegen sie rede. Karl zieht ins Nebenhaus, und fängt eine eigne Haushaltung an. Gut! so kann ich auf den Winter des Abends eher lesen, denn ich bin jetzt recht erpicht drauf. Salome will nach der Hochzeit wieder nach München; sie ist jetzt bey unsrer neuen Schwägerinn, und eine warme Freundinn von ihr; wenns nur lange daurt! Der Hauptmann von Northern besucht uns fleissig. Er hat jetzt das Portrait von seiner Braut bekommen; sie sieht Himmlisch aus; ich habe das Bild schon sehr oft geküßt. Wenn ich bey ihr wäre, so würden wir gewiß gute Freundinnen; ich sehs ihren Augen an. Der Mann, der den Messias geschrieben hat, heist Klopstock. Er soll ein sehr frommer Mann, und doch der angenehmste Gesellschafter seyn. Hauptmann Northern hat mir ein paarmal aus dem Messias vorgelesen. Ich sag dir, Bruder, es ist alles vortreflich.[315] Man fühlt was dabey, was man sonst in seinem Leben nicht gefühlt hat; man ist ganz über der Welt, und sieht auf sie herunter. Nun fang ich das Buch bald selber an zu lesen. Es soll etwas Mühe kosten, eh mans erst ganz versteht, sagt Hauptmann Northern; aber wer wird sich, um etwas Herrlichen willen, eine kleine Müh verdriessen lassen? Leb wohl, liebster Bruder, und empfiehl mich dem P. Philipp! Gottlob, daß er wieder gesund ist! Dem Herrn von Kronhelm hätt ich fast selbst geschrieben; aber das wär auch gar zu dreist! Sags ihm ja nicht! Adjeu!
Deine getreue Schwester
Th. Siegwart.
Siegwart ließ auch diesen Brief seinen Kronhelm lesen. Dieser fand an Theresens Denkart immer mehr Wohlgefallen, und sagte zu Xaver, wenn er seiner Schwester wieder schreibe, so woll er auch ein Briefchen beylegen. Er freute sich, daß Therese mit ihm über Reginens Charakter gleichgesinnt sey, ob sie gleich gelinder von ihr urtheilte, als er, in einem andern Verhältnisse, gethan hatte.[316]
Siegwart hatte schon lang in das Kapuzinerkloster gehen wollen, das dicht am Städtchen lag, und war immer dran verhindert worden. Endlich gieng er an einem Heiligentage mit Kronhelm hinaus, in die Predigt. Er hörte eine höchstfabelhafte und abgeschmackte Lobrede auf den heiligen Bischof Martin, bey der das Lachen weit natürlicher war, als Andacht und Erbauung. Nach diesem gieng er im Klostergarten spatzieren, in der Absicht, mit einem, oder dem andern Pater bekannt zu werden. Endlich redete er einen an, der ihm aber sehr kurz antwortete. Ein andrer, den er drauf antraf, war weit freundlicher, und freute sich sehr über die Nachricht, daß er auch ein Kapuziner werden wolle. Er versprach, dieß seinen übrigen Brüdern zu sagen, und setzte hinzu: Wir werden ihn bald einmal zum Essen bitten lassen. Besuch er mich indessen mit seinem Freunde, wenn er will! Es soll mich immer freuen. Nach acht Tagen wurde Siegwart zum Essen eingeladen. Die Patres alle empfiengen ihn sehr freundschaftlich. Ueber Tische fieng der Prior an: Aber, Monsieur Siegwart, es ist löblich und uns allen sehr erfreulich, daß er in unsern heiligen Orden eintreten will;[317] nur befremdet es uns sehr, wie er an ein solches Kloster gerathen ist, wie das zu Füllendorf; (so hieß P. Antons Kloster) da wäre ja das unsrige weit besser! In jenem ist gar nichts zu machen. Der Prior ist ein harter Mann, und die Patres sind einfältige Leute. Tret er dafür zu uns! Es soll ihn gewiß nicht gereuen. Es sind hier in der Stadt viel vermögliche Leute, die uns oft zu essen schicken. Anstatt, daß wir herumsammeln müssen, wird es uns zugetragen. Wir haben täglich wenigstens acht Messen zu lesen, und an Festtagen wol zwanzig. Sieht er, das trägt ein, da kann man bequem leben. Z.E. Diesen Wein hier hat uns erst heut der Postverwalter zugeschickt. So gibts fast alle Tage etwas. Sey er klug, und versprech er uns, zu uns zu kommen! Siegwart gab voll Befremdung zur Antwort: Es sey ihm, bey seinem Entschluß, nicht um gut Essen und Trinken zu thun, und er habe den andern Paters schon sei Wort gegeben. Die Kapuziner lachten über seine Bedenklichkeiten, und sagten: Man müß' es nicht so genau nehmen! Als all ihr Zureden bey ihm nichts vermochte, so liessen ihn die Paters mit ziemlicher Verachtung und Gleichgültigkeit von sich. Er gieng mismuthig weg, und ärgerte[318] sich über die Geistlichen, die aus Neid ihre Mitbrüder verachteten, und den Hauptvorzug ihres Klosters in besser Essen und Trinken setzten. Er fieng jetzt an, seine Ideen von der Heiligkeit der Mönche überhaupt, etwas herabzustimmen; doch nahm er in Gedanken seine Kapuziner in Füllendorf gleich wieder davon aus, obwohl der Schluß sehr natürlich gewesen wäre: Jedes Kloster sieht auf seinen eignen Vortheil, und ist deswegen auf jedes andre eifersüchtig. Die Artigkeit der Paters in Füllendorf hätt er sich auch leicht daraus erklären können, daß sie sich um ihn Mühe gaben, und ihm deswegen so höflich begegneten. So erklärte es wenigstens Kronhelm, dem er seinen Unwillen mitgetheilt hatte, und der die Gelegenheit wahrnahm, ihm eine Abneigung gegen die Klöster überhaupt einzuflössen. Aber das Ideal steckte noch zu tief in Siegwarts Seele, als daß es sobald hätte können herausgerissen werden.
An einem Sonntage nachher gieng Siegwart in die L. Frauenkirche, die den Nonnen in der Stadt gehörte. Sie waren, ohne daß man sie sehen konnte, oben auf der Orgel, die zu oberst an der Decke gebaut war, und machten eine[319] himmlische Musik von allen Instrumenten, die sie zum Theil sehr gut spielten. Dazwischen hörte er ihre silberreine und melodische Stimmen. Dieß that auf ihn eine ganz erstaunliche Wirkung. Er hörte eine zaubrische Musik, wie vom Himmel herab, und sah nichts. Er glaubte die Chöre der Engel anzuhören und träumte sich über unsre Welt hinaus. Die Nonnen schienen ihm die heiligsten und beneidenswürdigsten Geschöpfe zu seyn. Er gieng nun fast alle acht Tage in ihre Kirche, und nährte sich mit Ideen von Heiligkeit und Vollkommenheit. Kronhelm sah diesen Schwung seiner Einbildungskraft nicht gerne, der ihn aufs neue in die Mystik hinein, und von der Welt abbrachte.
Nach einiger Zeit ward eine Nonne installirt, wobey Siegwart auch gegenwärtig war. Das Opfer war eine junge, engelschöne Baronessinn von 19 oder 20 Jahren. Sie stund in ihrem Brautschmuck vor dem Altar, und legte, durch den heiligen Pomp erhitzt, das Gelübde mit vieler Freundlichkeit ab. Unserm Kronhelm gieng es durch die Seele, als sie der Welt, allen Freuden, ihren Eltern und Verwandten, die mit gegenwärtig waren, auf ewig absagte; sich auf die Erde, als[320] in ein Grab legte, und dann, als eine Braut Christi, wieder aufstand; den Trauring anlegte; und ihren Bräutigam, ein wächsernes Christkind, mit Flittergold behangen, auf den Arm nahm; als sie drauf in einem Zimmer ausgezogen; ihres Myrthenkranzes, und ihres schönen blonden Haares beraubt, und in eine grobe braune Kutte gehüllt wurde. Todtenblaß kam nun das Mädchen, das eben noch wie eine Blume geblüht hatte, heraus, und ward auf ewig in das Kloster eingeschlossen. Kronhelm ergrimmte bey sich selbst; verwünschte das Gesetz und den Aberglauben, der solche Verwüstungen im menschlichen Geschlecht anrichtet, und konnte etliche Tage lang sich dieser Vorstellung, die ihm seine Seele verwundete, nicht entschlagen. Siegwart hingegen war vor himmlischem Entzücken ganz ausser sich; erblickte nichts als Engel und Heilige um sich herum; und pries die Baronessinn, und jedes Mädchen selig, das ihr folgte. Er hörte nachher noch oft von der Orgel herab ihre Stimme, die sich über den Gesang der andern Nonnen erhob, und glaubte; sie weit freudiger singen zu hören, als die übrigen.[321]
P. Philipp, mit dem Kronhelm über die Schwärmereyen seines Freundes gesprochen hatte, gab sich auch alle Mühe, ihn zu zerstreuen, und seine Aufmerksamkeit auf andre Gegenstände zu lenken; er gab ihm daher allerley Bücher, und besonders historische, zu lesen. Etwas half es, aber doch nicht viel. Die Einsamkeit, die der Winter mit sich bringt; und die wenige Zerstreuung, da man immer eingeschlossen ist, zwang unsern Xaver, sich am meisten mit sich selbst zu beschäftigen, und da war seine Einbildungskraft geschäftig genug, ihm lauter Ideale von Heiligen und Mönchen in den Kopf zu setzen. Er ward oft fast böse, wenn ihn Kronhelm durch einen kleinen Scherz aus seinen Schwärmereyen herauszureissen suchte.
Kronhelm hatte nun Theresen auch ein kleines natürliches Briefchen geschrieben, sie seiner aufrichtigen Hochachtung versichert, und um ihre Freundschaft gebeten. Sie antwortete ihm, acht Tage drauf, gleich wieder, und freute sich ungemein über seinen Brief und seine Freundschaft; Wenn Sie Geduld haben wollen, schrieb sie unter andern, mich zuweilen anzuhören, so schreib ich Ihnen wol öfters, und frage Sie um verschiedenes,[322] das Sie mir dann gelegentlich beantworten. Aber ich weis freylich nicht, ob Sie es der Mühe wehrt halten, ein neugieriges Landmädchen zu belehren? Am Ende machte sie ihm eine Empfehlung von ihrem Vater, und lud ihn in seinem und in ihrem Namen sehr höflich ein, sie auf die künftigen Ferien mit ihrem Bruder zu besuchen. Kronhelm war über diesen Brief ganz entzückt; Sein Herz schlug ihm, als er ihn las, und es stiegen Gefühle in ihm auf, die er sich selber nicht erklären konnte. Unserm Siegwart hatte sie folgendes geschrieben:
Bester Bruder!
Gottlob, daß ich den Messias zu lesen angefangen habe; und ärgern muß ich mich, daß es nicht schon weit eher geschehen ist! Das ist ein heiliges göttliches Buch, und Klopstock, der's gemacht hat, muß noch göttlicher und heiliger seyn. Nun will ich gern alle Bücher weggeben, die Bibel ausgenommen, wenn ich nur den Messias habe. Du kannsts nicht glauben, Bruder, was für einen Schatz der Andacht, der Empfindung, des Grossen und Göttlichen dieses Buch in sich enthält; und es ist noch lang nicht zur[323] Hälfte fertig1, und ich habe das, was da ist, noch nicht halb gelesen. Man kommt in ganz neue Welten von Engeln; und von Engeln, wie sie sich wol noch nie eine menschliche Seele vorgestellt hat, so groß und vollkommen sind sie. Meynst du nicht, daß ein Mensch, der sich das so lebendig vorstellen kann, eben so groß und vollkommen seyn müsse? Die Stellen, die ich bis jetzt am meisten bewundre und liebe, sind: die von Samma und Joel und Benoni. Die Haut schaudert einem, wenn mans liest und alles so mit ansieht. Dem Seraph Abbadona bin ich recht gut; wenn er doch nicht so unglücklich wäre! Philo ist ein abscheulicher Kerl! und der menschenfreundliche Nikodemus neben ihm! Wie sticht das ab! Am meisten hat mich die Geschichte von Semida und Cidli gerührt. So etwas schmelzendes und süsses und wehmüthiges hat wol noch kein Mensch gedacht; und doch ist alles so wahr und treffend! O, ich möchte mich mit Cidli zu Tode weinen! Letzthin träumte mir von ihr. Ich glaub, ich hab sie gesehen, wie sie aussah.[324] Bruder, du must dir das Buch kaufen! Gib lieber alle andre Bücher weg, und schreib an einen Buchhändler nach Augspurg oder Ulm, daß er dir den Messias schicke! Der Herr Hauptmann von Northern hat mir zwar den Messias selbst geschenkt; aber so lieb ich dich auch sonst habe, so kann ich ihn dir doch nicht schicken; ich muß ihn immer bey der Hand haben. Er ist so schwer nicht zu verstehen; Man muß nur seine Gedanken brav beysammen behalten. Kauf das Buch ja gleich, du wirst mirs danken! Ich bin
deine getreueste Schwester
Th. Siegwart.
Unser Siegwart schrieb sogleich an einen Buchhändler in Augspurg, um drey Exemplare vom Messias; denn Kronhelm und Grünbach wollten ihn auch haben. Der Bediente des Buchhändlers in Augspurg hatte zum Glück selber viel Geschmack und eine gute Bekanntschaft mit der neuern deutschen Litteratur. Es kam ihm sonderbar vor, daß ein Jüngling, und noch dazu ein Katholik in diesen Gegenden etwas von Klopstock wuste. Er schickte also zugleich mit[325] den Exemplaren einen Brief an unsern Siegwart, worinn er ihm sehr freundlich anbot, ihm auch künftig Bücher zuzuschicken, wenn er welche nöthig habe; und zugleich erbot er sich, ihm immer Nachrichten von neuen Büchern, besonders aus dem Fach der schönen Wissenschaften mitzutheilen. Siegwart, der ohnedieß sehr wißbegierig war, nahm diesen Vorschlag mit tausend Freuden an, und schrieb dem Buchhändler sogleich wieder: Er möchte ihm die besten Bücher, auch die ältern, in der Dichtkunst, und denen dahin einschlagenden Wissenschaften melden. Der Buchhändler that es mit viel Gefälligkeit, Geschmack und Einsicht, so daß Siegwart und seine beyden Freunde, auch von dieser Seite, gut gebildet wurden. Sie schafften sich die besten Bücher an, und konnten die, so ihnen nicht gefielen, wieder nach Augspurg zurück schicken. – Siegwart blieb gleich denselben Abend, da er den Messias bekommen hatte, mit seinem Kronhelm bis nach Mitternacht aufsitzen, und las ununterbrochen fort. Anfangs war ihm der Kopf, durch das Anstrengen, ganz wüste geworden, denn er konnte sich in die Sprache, und die neuen Wendungen nicht sogleich finden; aber kaum war er über diese[326] Schwierigkeiten weg, so fand er soviel ausserordentliches, himmlisches und überirdisches in dem Gedicht; seine ganze Seele ward davon so erfüllt, und erhitzt, daß er nicht mehr auf der Welt zu seyn glaubte, und in lauter Himmelswonne schwamm. Oft sprang er auf; wiederholte laut, was er gelesen hatte, und konnte nicht begreifen, wie ein Mensch im Stand gewesen sey, dergleichen hervorzubringen? Die ganze Nacht schlummerte er nur, und las beständig noch im Traume fort. Klopstocken, dessen Herz an so vielen hundert Stellen des Messias durchschimmert, liebte er von dem Augenblick an mit der kindlichsten Dankbarkeit, und den andern Tag machte er folgendes Gedicht an ihn, das erste, was er, nach dem auf seines Bruders Tod, gemacht hatte:
An Klopstock.
Heisser Dank ström aus in Thränen!
Ström dem Mann, von Gott gesandt, zu!
Hör, o Mann, des Jünglings Stammeln!
Seine Seele stammelts.
Fern, in fremdem Lande hast Du
Feuer in mein Herz gegossen![327]
Hohe, himmelvolle Andacht
Wallt zum Thron des Mittlers.
Daß ich nun Ihn heisser liebe,
Den, für uns, dahin Gegebnen;
Daß ich ganz sein Heil, nun kenne,
Dank' ich dir, Du Edler;
Nie wird dieses Aug' auf Erden
Sehnsuchtsvoll an Deinem hangen;
Nie wirst Du die Röthe sehen,
Die mein Antlitz färbet;
Aber, wenn des Mittlers Stimme
Mich auch aus dem Grabe rufet,
Dann, o Mann, von Gott gesendet,
Hörst Du meinen Dank auch!
Auch Kronhelm und Grünbach lasen Tag und Nacht im Messias, und waren von seiner Vortreflichkeit ganz dahin gerissen. Pater Philipp verschrieb sich auch ein Exemplar und P. Johann machte das Buch zu seinem Erbauungsbuche. Der rechtschaffene Buchhändler schickte ihnen von freyen Sücken den Gellert, Rabener, Haller, Lichtwer und Hagedorn zu, und bildete durch eine väterländische und freundschaftliche Bemühungen[328] ihren Geschmack. Sie hatten nun den Winter über die angenehmste Beschäftigung, indem ihre Zeit zwischen Lesen und Musik unvermerkt dahin floß. Dabey versäumten sie ihre eigentliche Wissenschaften nicht, indem P. Philipp sie durch seinen Rath in den Schranken hielt, und sie das Angenehme dem Nützlichen unterordnen lehrte.
Am Charfreytage wurde in dem Städtchen, wie in andern österreichischen Städten, die Kreuzigung Christi von den Bürgern mit grossem Pomp vorgestellt. Mehr als dreyhundert Bauren kamen vom Land herein, um ein Kreuz zu schleppen, oder sich zu geisseln. Siegwart, der mit seinen Freunden dieß mit ansah, konnte nicht begreifen, wie Menschen, an dem Tage, da Christus an ihrer Statt gelitten hatte, sich noch einfallen lassen könnten, durch eigne blutige Büssungen Gott genug zu thun? Er ärgerte sich, wie er den Misbrauch sah, der mit der ernsthaftesten und wichtigsten Begebenheit für die Menschheit, getrieben ward; da der verkappte Christus, ein Baurenkerl, zu den Baurenmädchen, oder seinen Kammeraden lachte; und da sogar einer von den Schächern vom Kreuz herab einem andern Bauren zurief: Heh, Hans![329] Hast du nichts zu trinken?2 u.s.w. Als Christus einen Fußfall that, fiel das ganze Volk nieder, und schlug sich auf die Brust, daß es wiederhallte. Ein Lutheraner, der, wie viele andre, aus dem nächsten Orte gekommen war, das Schauspiel mit anzusehen, stund neben Siegwart, und fiel nicht mit auf die Knie. Sogleich entstand ein Gemurmel unter dem Volk, und einige schrien, schlagt den Ketzer nieder! Ein starker Kerl gab ihm auch wirklich einen Schlag auf den Kopf; aber Siegwart sprang auf, nahm den Ketzer bey der Hand, riß ihn aus dem Gedräng heraus, und brachte ihn in ein Wirtshaus in Sicherheit. Diese Handlung, die so edel und menschlich war, zog ihm den Haß seiner meisten Mitschüler zu, worinn sie P. Hyacinth, der ihm ohnedies nicht gut war, noch bestärkte; aber Siegwart machte sich nicht viel daraus, denn P. Philipp lobte seine That, und rieth ihm nur an, künftig die gehörige Klugheit zu beobachten.[330]
Unsre Jünglinge brachten theils mit P. Philipp, theils unter einander den Frühling sehr vergnügt zu. Sie giengen täglich spatzieren, besonders in einen schönen Garten, der dem Kloster gehörte, sie badeten in der Donau, und lasen Kleists Gedichte und besonders seinen Früling. Therese hatte ihrem Bruder geschrieben, er solle sich vor allen andern Dichtern den Kleist kaufen, weil er das Landleben so ausserordentlich lachend und angenehm schildere. Ich liebe, schreibt sie, diesen Mann nach Klopstock am meisten. Er ist ein vertrauter Freund von meinem braven Hauptmann Northern. Er hat drey Jahre zugleich mit ihm im Feld gestanden, und soll der beste, menschenfreundlichste Held seyn, der keinem Menschen wissentlich Böses, wol aber Tausenden Gutes thut. Ein Soldat, der menschlich denkt und handelt, wie mein Hauptmann, ist gewiß was seltnes und verehrungswürdiges. Vor zwey Jahren ist der theure Kleist, nicht weit von Hauptmann Northern verwundet worden, nachdem er erst wie ein Löw gestritten hatte. Nach erschröcklichen Schmerzen starb er in Frankfurt an der Oder. Hauptmann Northern, der auch von den Russen gefangen worden, und bis an[331] sein Ende beständig um ihn war, kann mir nicht genug erzählen, wie standhaft er gelitten, und wie rührend und christlich er gestorben ist. Ich und der Hauptmann Northern weinten den ganzen Abend, als ers mir erzählte. Er hat auch sein Portrait in der Dose, der Mann sieht so edel und menschenfreundlich aus, wie seine Gedichte. Wie muste ich weinen, als ich seinen Wunsch las, der ihm leider nur zu früh erfüllt worden ist:
– – Wie gern sterb ich ihn auch
Den edeln Tod, wenn mein Verhängnis ruft!
Und:
Auch ich, ich werde noch – – Vergönn es mir, o Himmel! – –
Einher vor wenig Helden ziehn.
Ich seh dich, stolzer Feind! Den kleinen Haufen fliehn,
Und find Ehr oder Tod im rasenden Getümmel.
Lies ihn, Bruder, du wirst fast sonst in keinem Dichter so viel schöne Gemälde, so viel menschliche Empfindung, die aus dem besten Herzen strömt, antreffen! Ein andrer Officier hat mir[332] auch andre Bücher geliehen, die mir weniger gefallen. Besonders ein gewisser Versuch in Schäfergedichten; ich hab ihm aber das Buch gleich wieder zurückgegeben, weil es so sehr anstössig ist, und viel muthwillige Stellen und Zweydeutigkeiten enthält. Ich kann nicht begreifen, was ein Mensch für Absichten haben kann, der solche Dinge schreibt? Will er uns die Unschuld als etwas gleichgültiges abschildern, und uns Ausschweifungen als etwas schönes anpreisen? Pfuy, er wird doch nicht glauben, daß wirs seinen Schäferinnen, nachmachen sollen, oder daß uns solche Zweydeutigkeiten angenehm seyn werden? Wenn er nichts bessers schreiben kann, so such er nicht, noch unverdorbene und reine Gemüther anzustecken! So ein Mensch ist ein Feind von unserm Geschlecht, und von aller Rechtschaffenheit. Klopstock und Kleist haben mich gelehrt, daß man das Gemüth auf das angenehmste beschäftigen kann, ohne es zu verderben. Ein Dichter muß ein guter Mann seyn, sonst ist er ein schädlicher Mensch. u.s.w.
Siegwart hörte nun auch die ersten Regeln der Dichtkunst und der Redekunst, aber zu allem Unglück beym P. Hyacinth. Die Regeln dieser beyden Wissenschaften sind überhaupt für den,[333] der eigne Kraft hat, drinn zu arbeiten, das, was einem erwachsnen Mann ein Gängelband ist; Aber Hyacinth trug sie noch dabey so erbärmlich und abschröckend vor, daß, wenn Siegwart die Dichtkunst, und auch in etwas die Redekunst nicht schon vorher gekannt hätte, er sich nun gewiß nie drum bekümmert haben würde. Regeln werden einen nie, weder zum Redner noch zum Dichter machen. Alles also, was man in den Schulen thun kann, wäre, daß man junge Leute frühzeitig mit den besten Mustern der Redner und Dichter bekannt, ihnen sie verständlich, und sie auf versteckte, oder Hauptschönheiten aufmerksam machte. Aber dafür trägt man lieber Recepte zu elenden und unnatürlichen Chrien vor; und lehrt, wie ein Deutscher elende lateinische Verse machen soll? Abgeschmaktere und widersinnischere Erziehungsregeln kann wol kaum ein Phantasirender in der hitzigsten Krankheit träumen!
Im Junius wurden die Rollen zu dem Schuldrama ausgetheilt, das im August, am Ende des Schuljahrs sollte aufgeführt werden. Das Stück war biblisch, und enthielt die Geschichte der Athalia. Siegwart bekam die Rolle des[334] Joas; Kronhelm sollte den Hohenpriester Jojada und Grünbach die Athalia machen. Sie kamen nun täglich zusammen, und spielten ihre Rollen. Siegwart machte die seinige besonders sehr natürlich. Als das Schauspiel aufgeführt wurde, erhielt er auch den grösten Beyfall, zumal da er in dem Zwischenspiel, das ein Singspiel war, auch eine Hauptrolle hatte, und sehr vorzüglich sang. Den Abend nach der Komödie wurden P. Philipp, Kronhelm, und Siegwart vom alten Grünbach zum Essen gebeten, und sehr kostbar bewirthet. Der Krämer machte tausend Komplimente, und nöthigte sie unaufhörlich zum Essen und zum Trinken. Er hatte eine herzliche Freude über seinen Sohn, daß seine theatralische Probe heut so gut von statten gegangen sey. Er fieng alle Augenblicke davon an, um nur vom P. Philipp und den andern das Lob seines Sohns zu hören. Er glaubte, einen recht witzigen Einfall zu haben, und lachte lange drüber, als er die Gesundheit der Königinn Athalia ausbrachte. Dießmal durften seine Frau und seine Tochter auch mit gegenwärtig seyn. Die Frau war ein recht gutes wolmeynendes Bürgerweib, die zu allem ihre einfältige Meynung mit sagte,[335] und deswegen alle Augenblicke durch die Winke ihres Mannes einen Verweis bekam. Er schämte sich und ward roth, so oft sie den Mund öfnete, obgleich ihre Reden nicht selten weiser und verständiger waren, als die seinigen. Er belehrte sie sehr oft und gab sich dabey ein recht stattliches, vielbedeutendes Ansehen. Die Tochter, Sophie, war ein artiges Mädchen, dem der Vater eine vornehme und gute Erziehung hatte geben lassen. Sie hatte dunkelblaue, tiefliegende Augen, in denen sich viel Schwärmerisches ausdrückte. Ihr ganzes Gesicht verrieth überhaupt viel Anlage zum Nachdenken und zur Melancholie. Ihr Auge ruhte oft lang auf Siegwarts Gesicht, der ihr schon eine ziemliche Zeit, und besonders heut in der Komödie vorzüglich gefallen hatte. Sie sprach wenig, aber sehr bestimmt, und mit vieler Wahrheit und Empfindung. Ihre Aufmerksamkeit auf Siegwart wurde von niemand besonders bemerkt, obgleich der Vater unzufrieden war, daß sie so wenig spräche. Nach Tische muste sie sich auf dem Klavier hören lassen, welches sie mit vieler Fertigkeit und wahrem Ausdruck spielte. Alle waren sehr damit zufrieden, und besonders lobte sie unser Siegwart, welcher, vermöge seines[336] heftigern Charakters alles Vortrefliche und Schöne laut bewunderte. Sie sah auch nur ihn an, wenn sie ein Stück ausgespielt hatte, weil sie auf sein Lob am meisten achtete. Sie bat ihn um ein paar Arien, die er heut im Singspiel gesungen hatte. Er hatte sie noch bey sich, und legte sie ihr vor. Sie spielte sie vom Blatt weg, und er sang dazu. Der Vater freute sich darüber ungemein, und sah bald den P. Philipp, bald unsern Kronhelm lächelnd an. Endlich gieng die Gesellschaft, ziemlich spat, nach Haus.
Zween Tage drauf giengen unsre beyden Jünglinge zum alten Siegwart, der sie, nebst Theresen, mehrmals dringend eingeladen hatte. Es ward ihnen eine Kutsche geschikt, um sie abzuholen. Sie kehrten unterwegs in dem Wirtshause ein, wo Siegwart ehemals den Streit über die Wildschützen mit angehört hatte. Diesmal war niemand da, als eine alle Zigeunerinn, die unsers Jünglingen mit Gewalt wahrsagen wollte. Sie weigerten sich eine Zeitlang; aber, als sie nicht nachließ, hielt endlich Kronhelm seine Hand hin. Ey, Ey, Junker, lauter Glück, lauter grosses Glück! rief die Frau. Viel Geld[337] daß mans in Scheffeln messen muß! Langes Leben und Gesundheit! Hohe Ehr, und vor allem andern eine hübsche runde Frau! O, ein allerliebstes Mädel! und ein Dutzend Kinder hinter drein! – Ach, wie allerliebst! Siehst du, Junker, was du für ein Glückskind bist! Kannst mich auch dafür bezahlen! – Nun muste ihr auch Siegwart die Hand hinreichen. Ich wollt dir gern auch Gutes prophezeihen, Junker, aber die Lineamenten wollens nicht erlauben. Ey, Ey, Ey! Schmerz und Jammer! Angst und Leiden! Eine Braut und keine Hochzeit! Gesundheit und ein frühes Grab! Faß Muth, Junker, denn du brauchst viel! Armer Junker daurst mich, denn du bist ein gutes Kind. Aber sieh, daß ich unpartheyisch bin, und red, was wahr ist. Darfst mir nichts geben, denn ich hab dir Unglück prophezeiht. Faß Muth, du brauchst viel! Unsre Jünglinge achteten der Reden des alten Weibes wenig, und fuhren wieder weiter. Eine Stunde noch vom Dorfe kam ihnen Therese in einem schneeweissen Gewand mit himmelblauen Schleifen, und einem schwarzen Sommerhut entgegen. Siegwart sah sie kaum, so sprang er aus dem Wagen auf sie zu, und sank ihr, ohne ein Wort[338] zu sprechen, in den Arm. Das gute Mädchen weinte vor Freuden, und drückte ihrem Bruder einen heissen Kuß voll schwesterlicher Liebe auf den Mund. Ach, mein lieber Xaver, hab ich dich denn wieder? O du Herzensbruder, diese Freude hab ich mir so lange schon gewünscht! – Nun kam der Wagen näher, Kronhelm sprang heraus. Sie empfieng ihn mir einer Freudigkeit, und mit einem Lächeln, das seine ganze Seele durchdrang. Ihr Betragen war natürlich, ungezwungen, munter, und doch nichts weniger, als frey. Sie unterhielt durch ihre Lebhaftigkeit ihn und ihren Bruder, und wüste ihre Aufmerksamkeit auf beyde aufs geschickteste zu theilen. Beynahe hab ich mir Ihr Aussehen so vorgestellt, Herr von Kronhelm! sagte sie; aber doch nicht völlig. Nun wünsch ich nur, daß Sie bey uns Geduld haben, und sich die Zeit nicht lang werden lassen mögen! Am guten Willen solls nicht fehlen, Sie zu unterhalten, aber ob wir auch die Kräfte haben? Doch ich weis, Sie nehmen auch mit dem guten Willen vorlieb, haben Sies doch bey meinen Briefen gethan. Dann frug sie nach dem P. Philipp, und nach andern Dingen. Ihren Bruder betrachtete sie[339] unaufhörlich, oft zitterte ihr eine Thrän ins Auge, und dann lachte sie, wann er sie ansah. Kronhelm that erst etwas ängstlich, und schwieg; denn er war überhaupt bey Frauenzimmern etwas furchtsam. Aber ihr offenes und ungezwungenes Betragen machte ihn sehr bald gesprächiger.
Sie kamen nun ans Haus des alten Siegwart. Er gieng ihnen mit Freuden entgegen; drückte seinem Sohn die Hand, und bewillkommte Kronhelm aufs freundschaftlichste. Weil der Tag sehr schön war, so aß man im Garten in der Sommerlaube, zwischen Blumen, die alle Theresens Hand gepflanzt hatte. Karl aß mit seiner neuen Frau dießmal auch mit, und betrug sich gegen Kronhelm und seinen Bruder ziemlich artig. Aber seine Frau war verdrießlich, und stolz, und sprach wenig. Wilhelm war noch der alte Träumer, der sich immer gleich blieb. Der alte Siegwart war recht herzlich froh; erzälte Geschichten aus seiner Jugend, und ließ sich von den jungen Leuten wieder welche erzälen. Wenn Therese vom Tisch weg, ins Haus gieng, so sagte er viel zu ihrem Vortheil, und lobte sie, daß sie sich seiner, und des Hauswesens so treulich annehme. Nach Tische waren unsre drey jungen[340] Leute allein im Garten, schüttelten Birn und frühe Aepfel. Siegwart stieg auf die Bäume; und Therese und Kronhelm sammelten das Obst auf. Das Mädchen war sehr munter; machte viel Spas; und Kronhelm, der sonst stiller und ernsthafter war, machte unvermerkt auch mit. Sie sprachen beyde viel in dem vertraulichen und angenehmen Ton der Ironie, der den Deutschen so gewöhnlich ist. Des Abends half er ihr die Blumen begiessen, holte das Wasser aus dem Schöpfbrunnen, und war der Gärtner, und sie seine Gärtnerinn. Dann nahm man wieder ein kleines, ländliches Maal ein, setzte sich in die Laube oder vor das Haus, und brachte so den Abend bis eilf Uhr, oder zwölf Uhr unter freundschaftlichen Gesprächen hin. Den zweyten Morgen hörte Kronhelm ihre Stimme früh im Haus, und wachte dran auf, ob ihn gleich sonst kein Geräusch so leicht weckte. Sie spielte in dem, an die Kammer stossenden Zimmer das Klavier, und sang dazu. Er rief ihr sogleich einen guten Morgen; sie erschrack, und er trat ins Zimmer. Er bat sie, noch ein paar Arien zu spielen und zu singen; sie that es sogleich, ohne das viele vorhergehende, dem weiblichen Geschlecht sonst so eigene[341] Gezier. Ihre Stimme war rein und natürlich, ob sie gleich eben nicht sehr nach der Kunst sang. Aber sie sang mit dem ganzen herzlichen Antheil, der den Gesang allein angenehm und unterhaltend macht. Drauf trank man, in Gesellschaft des alten Siegwarts den Kaffee. Sie schenkte ihn ein, stopfte die Pfeifen, und zündete sie selbst an. Man sprach von ernsthaften, oder lustigen Sachen. Nach einer Stunde gieng der alte Siegwart wieder an seine Geschäfte. Drauf kam das Gespräch auf Klopstock. Sie sprachen alle mit einer Art von Begeisterung von ihm, und brachen in sein Lob aus. Therese hatte grosse Stellen aus dem Messias und aus Kleist, die ihr vorzüglich gefielen, und die auch in der That die besten waren, abgeschrieben. Kronhelm las sie vor; ihre Empfindungen waren fast immer dieselben, und oft riefen sie zu gleicher Zeit vor Bewunderung aus, wenn eine Stelle sie vorzüglich rührte. Sie verrichtete dazwischen ihre häuslichen Geschäfte, und gieng in dem Zimmer aus und ein. Nach dem Essen giengen Kronhelm, Therese, und Siegwart miteinander spatzieren, um die schöne Gegend zu besehen. Kronhelm führte Theresen. Sie giengen durch ein[342] schönes Thal, wo ein kleiner Bach sich durchschlängelte. Kronhelm erzälte viel von seiner Mutter, von seinem Bruder, und von seinen Schwestern; besonders von der ältern in München. Therese nahm an allem vielen Antheil; vornemlich gefiel ihr die Schilderung von Kromhelms älterer Schwester, und sie fühlte eine ausserordentliche Zuneigung gegen sie. Therese liebte die Vergißmeinnichtchen sehr. Unten am Bach, dessen Ufer ziemlich hoch war, sah sie welche stehen. Ey die herrliche Vergißmeinnichtchen! sagte sie; wenn man die nur kriegen könnte! Kronhelm stieg, ohne weiteres, hinab; aber das lokre Ufer schurrte unter ihm weg; er wollte sich im Fallen noch an einer Brombeerhecke halten; sie riß aus, und er fiel mit der rechten Hand auf einen spitzen abgebrochnen Stab, daß die Hand fast durch und durch gestochen wurde. Therese erhub ein ängstliches Geschrey, und war ausserordentlich besorgt. Kronhelm pflückte die Vergißmeinnicht ab; stieg herauf; gab sie ihr mit den Worten: Vergiß mein nicht! und machte sich aus seiner Wunde gar nichts. Aber Therese war recht ängstlich drob besorgt, und sagte: sie sey Ursach an dem Unglück; sie müsse sich[343] Vorwürfe drüber machen, und er werde ihr nun böse werden. Kronhelm versicherte das Gegentheil, und sagte: Es sey ihm recht angenehm, daß er so ein schönes Andenken an sie, und an diesen Tag habe, denn hoffentlich werde die Wunde eine kleine Narbe zurücklassen. Sie gab ihm ihr Schnupftuch, er wickelte es um die Hand, und war über den zärtlichen Antheil recht sehr erfreut, den sie bey dieser Gelegenheit an seinem Schicksal zeigte. Der ganze Nachmittag gieng ihnen unter Scherz, und angenehmen Gesprächen hin. Als sie nach Haus kamen, ließ Therese gleich den Bader kommen, um Kronhelms Hand zu verbinden; nachher verband sie sie ihm immer selber. Sie assen den Abend in der Laube, und sassen bis spät in die Nacht hinein zusammen. Den dritten Morgen lasen sie immer im Klopstock, besonders die Geschichte von Semida und Cidli. Kronhelm las sie mit solcher Rührung, daß Theresen die Thränen dabey in den Augen standen. Die Gleichheit ihrer Gesinnungen entdeckte sich immer mehr, und erstreckte sich auf die kleinsten Umstände. Den Nachmittag sollte ein junger Bauerkerl begraben werden. Therese, ihr Bruder und Kronhelm wollten das Begräbnis[344] mit ansehen. Sie giengen ans Trauerhaus. Der Sarg ward herausgetragen. Der Vater und die Mutter des Verstorbenen, sahen oben mit starrem auf den Sarg gehefteten, troknen Blick aus dem Fenster. Das ist was fürchterliches, sagte Siegwart, wenn man so all seinen Trost, all seine Hofnung, sein Alles, in einem engen Sarge wegtragen sehen muß! Wenn die Freude des Hauses weggetragen wird, um ewig nicht mehr zurückzukehren! Als man mit dem Sarg um die Ecke hinumgieng, erhub die Mutter ein lautes Geschrey; schlug die Hände überm Kopf zusammen. Der Vater stand stumm, und unbeweglich da. Auf dem Kirchhofe, als der Sarg eben ins Grab hinabgelassen wurde, sprang ein Baurenmädchen, schwarz gekleidet, und mit bleichen Wangen herzu; drang sich durch die Leute bis ans Grab, und rief: Wilhelm! Um Gottes willen, Wilhelm! bist du ewig für mich hin? Soll ich dich verlassen, Herzensbräutigam? Hörst du deine Anne nicht mehr? Wilhelm? Hörst sie nicht mehr? Ach du guter Gott! Warst so ein frommer, rechtschaffener Kerl! Mein Einziges! Mein Alles! Wilhelm! Nur noch Einmal möcht ich dich sehen! Nur noch einmal sprechen[345] hören! Ach, da graben sie dich ein! Wenn sie mich nur auch begrüben! Warst ein frommer Junge! Still und gottesfürchtig! Warst der schönst im Dorf, und bist nun todt! Warst so arbeitsam! Und so freundlich, wenn du mich am Arm hattest! Gelt, nun hab ich keinen Bräutigam! Bin allein auf der Welt! Ein' arme verlassne Dirne! Wilhelm, Wilhelm! Wenn du mich doch auch mitgenommen hättest! – Jesus! Maria! und Joseph! – und nun sank sie ohnmächtig neben 's Grab hin. – Man brachte sie nach langer Mühe wieder zu sich selbst. Indeß hatte man ein schwarzes hölzernes Kreutz auf dem Grab aufgerichtet, und einen Kranz von Buchs dran gehängt, mit Flittern. Sie hieng ein rosenrothes Band dran; da, Wilhelm! 's ist von dir! Ruh wohl! – Und nun gieng sie, von einer ihrer Freundinnen, und ihrer alten Mutter geführt, langsam weg; sah sich oft um, und schlug die Hände in einander. – Es muß schröcklich seyn, sagte Therese, und sah unsern Kronhelm weinend an, einen Bräutigam zu verlieren! Ja, und eine Braut! sagte Kronhelm; nahm sie am Arm, und sie giengen schweigend vom Grab weg. Den ganzen Abend war ihr Herz wehmüthig, und dachte der Geschichte nach. Sie giengen noch[346] etwas spatzieren; scherzten aber weniger als sonst. Beym Essen sah Therese oft unsern Kronhelm lang und tiefsinnig an. Sein Auge begegnete oft dem Ihrigen, und zog sich erschrocken zurück. Nach Tisch spielte Therese ein paar schwermüthige Arien; besonders das feyerliche Lied von Graun und Klopstock: Auferstehn, ja auferstehn wirst du! etc. das ihr Herr von Northern gegeben hatte. Siegwart und Kronhelm, und der alte Amtmann sangens mit. Das sollst du mir einmal auf dem Grab singen lassen, Therese, sagte der alte Siegwart. Es ist ein herrliches Lied, das die ganze Seele faßt, und zum Himmel aufhebt. Laß mirs singen, Tochter, wenns schon ein Lutheraner gemacht hat! Er muß doch ein braver Mann seyn, den ich einmal im Himmel anzutreffen hoffe. Gott bewahre, sagte Therese, daß ich das je erleben sollte! Sie, und ihr Bruder, und Kronhelm weinten. Drauf spielten Kronhelm und Siegwart noch ein paar Adagio auf ihren Violinen, die sie mitgebracht hatten. Therese war tiefbewegt; ihr Busen bebte, und ihr Herz schmolz. Sie sah Kronhelm einigemal lang, und mit Bewegung an. Er merkte es, ward nachdenklich, und wünschte zum Erstemal;[347] aber nur ganz dunkel, und im Innersten des Herzens: Möchte mich der Engel lieben!
Auf den folgenden Tag ward ein Besuch beym Prediger in Windenheim festgesetzt. Den Morgen vorher waren sie viel im Garten, wo Therese, weil es wolkigt war, und den Anschein zu einem Regen hatte, Salat pflanzte, den ihr Kronhelm reichte. Er sah hundertmal nach dem Himmel, ob er sich nicht aufheitre? Jedes neuaufsteigende Wölkchen erschröckte ihn. Er fragte Siegwart und Theresen mehr, als zwanzigmal, ob das Wetter wol gut werden werde? Er that oft zweifelhaft, und sagte: nun würds gleich zu regnen anfangen. Aber er sagte es nur in der Absicht, daß man ihm wiedersprechen möchte. Therese, die das merkte, gab sich das Ansehen einer grossen Wetterkennerinn; nahm eine zweydeutige Mine an, und erschröckte ihn alle Augenblicke mit der Nachricht, daß der Regen vor der Thür sey. Kronhelm jammerte, daß sie nun nicht zum Prediger gehen könnten, und er habe sich doch schon so lange drauf gefreut. Endlich trieb ein schneller Ostwind die Wolken weg, und der Himmel wurde heiter. Mit ihm heiterte sich Kronhelms Gesicht merklich auf. Ja, wenn der[348] Himmel nicht begiessen will, sagte Therese, so müssen Sie mir eben helfen. Und nun schöpften Kronhelm und Siegwart aus dem Brunnen, und begossen den Salat. Kronhelm hatte sich an Theresen so gewöhnt, und fand an ihrem Umgang so viel Wohlgefallen, daß er immer um sie war. Es war ihm nirgends wohl, wo er sie nicht sah. Er lief überall herum, und suchte sie im ganzen Haus auf. Sie war eben so gern um ihn. Wenn sie bey Tisch aus der Stube gieng, so sah er ihr nach und wandte kein Auge von der Stubenthür ab. Wenn sie sich öfnete, und Therese hereintrat, so wars ihm, als ob das Paradies sich öfnete, und ein Engel Gottes hereinträte. Ihre Blicke waren immer zuerst auf ihn gerichtet, und da ward ihm so wohl und so wunderlich zu Muthe, daß ers Essen drüber vergaß, und die Gabel mit der Speise wieder auf den Teller sinken ließ. Dann glaubte er, daß ihms jemand angesehen habe, und ward roth drüber; Therese, die es merkte, wards mit ihm. Beyde glaubten nun, so ganz dunkel, daß sie einander nicht gleichgültig seyen; aber sie zweifelten doch noch oft daran, denn beyden war die Liebe noch ganz neu.[349]
Den Nachmittag giengen sie nach Windensheim. Auf dem Weg dahin kamen sie durch ein schönes Tannenwäldchen, das mit jungen Eichen von hellgrünem Laub durchmischt war. Zuweilen war es ganz dunkel und schauderlich. Ey, dies Wäldchen will ich mir zueignen, und ein Einsiedler drinn werden, sagte Kronhelm. Da will ich mich ganz von der Welt absondern, und recht still und ruhig leben. Unter den Menschen ist doch nichts anzufangen; Da ist soviel Kultur, Cärimonie und Bosheit; hier soll mich nichts in meiner Einsamkeit stören! – Als ich allenfalls, sagte Therese. Denn glauben Sie, ich soll Ihnen das Wäldchen, und den guten Einfall so allein lassen? Nein, ich lieb auch die Einsamkeit, und will mir auch eine Zelle bauen! Um die Einsiedeley her leg ich ein Gärtchen an; pflanze Kohl, Salat, und Fruchtbäume drum her; halt mir etlich Schäfchen, mach die Reh im Wäldchen zahm, und die Nachtigallen, und die andern Vögel. Ich will ihnen schon brav Futter streuen, daß sie zahm werden müssen. Auch Kaninchen halt ich mir, weisse und rothgesprengte; keinen Menschen aus der Stadt, oder aus dem Dorfe laß ich zu mir. O, das soll ein herrliches Leben seyn![350]
Kronhelm. Aber doch Ihre Freunde und Verwandte lassen Sie zuweilen zu sich; so alle halbe Jahr einmal? Ich laß auch zuweilen den P. Philipp und P. Johann zu mir kommen; und auch meine Schwester.
Therese. Das versteht sich, Ihre Schwester, und mein Bruder müssen ganz zu uns kommen. Nicht wahr, Xaver?
Xaver. Ja freylich; wenn ich darf, so bin ich immer bey euch, und wohne gar in deiner Zelle. Ihr müßt euch aber doch auch als treue Nachbarsleute fleissig besuchen.
Therese. Zuweilen, so des Abends; aber nicht gar oft. Denn ich weis, Herr von Kronhelm und ich kommen nicht gut miteinander aus. Er hat so seine eignen Grillen, und ich die meinen. Nicht wahr, Herr von Kronhelm?
Kronhelm. Richtig, Jungfer Therese; des Zankens würde da kein Ende werden. Aber nah zusammen, denk ich, wollen wir doch bauen. Wenn wir schon uneins miteinander werden und uns saure Minen zumachen, so können doch wieder Zeiten kommen, da wir gern einen Abend miteinander durchplauderten, zumal an den langen Winterabenden. Freylich wird da keins dem[351] andern nachgeben wollen; aber ich dächte, Xaver und meine Schwester könnten da so eine Art von Friedensstiftern abgeben. Sie erkundigten sich beyeinander, was wir machten? Ob einem von uns etwas fehle, weil wir so lang nicht zusammen gekommen seyen? Man liesse dann einander entfernt grüssen. Ich gieng einmal von ungefähr bey ihrer Einsiedeley vorbey; brächte Ihnen ein Kaninchen, das sich verlaufen hätte; thät aber übrigens ganz kalt; sähe Sie nur seitwärts an, bis endlich ein Wort das andre gäbe.
Therese. Gut! So würd ichs auch machen. Ich stellte mich, als ob ich Ihre Schwester besuchen wollte. Mit Ihnen spräch ich anfangs gar nichts, das versteht sich. Oder ich gieng bey Ihrer Hütte vorbey; säh sorgfältig auf die Erde, als ob ich etwas verloren hätte. Sie fragten mich vielleicht, oder hülfen mir aus Höflichkeit wol gar suchen. Das würde mich dann rühren, und so würden wir wieder gute Freunde, bis ein neuer Zank angienge.
Xaver. Herrlich! Herrlich! Und ich bau eine Laube auf die Höhe dort, wo wir Abends gemeinschaftlich sitzen, und pflanze Buchen und[352] Linden drum herum; und dann lesen wir im Klopstock und im Kleist. Die andern Bücher werfen wir, bis auf etliche, ins Feuer. Auch einen kleinen Altar von Rasen richt' ich auf und da halten wir Morgens und des Sonntags Gottesdienst dabey! Ich will Priester seyn! Pater Anton soll auch zu uns kommen, wenn er noch lebt! Auch etlich andre redliche Leute! Wir selber gehen nie in die Welt; da haben wir einen Boten, der uns das Nöthigste herausholt. O, es soll herrlich werden!
So träumten sie fort, und bildeten den Traum immer mehr aus, bis sie an des alten Pfarrers Wohnung kamen. Siegwarten brachte seine lebhafte Einbildungskraft so weit, das er alles für Ernst, und nicht mehr für einen Traum hielt. Die ganze Sache schien ihm zum Ausführen sehr leicht zu seyn, und er dachte immer hin und her, das Ideal noch vollkommener zu machen. Er ward beynahe böse, wenn er sah, daß Kronhelm und seine Schwester zuweilen noch Scherz mit einmischten.
Der Prediger, der sie schon im Hof unten hatte sprechen hören, kam ihnen an der Thür entgegen,[353] und bewillkommte sie. Er machte Theresen Vorwürfe, daß sie ihn so lange nicht besucht habe. Sie entschuldigte sich mit der Hochzeit ihres Bruders und mit andern Geschäften. Von Siegwart sagte er: Er sey so gewachsen, und habe sich so verändert, daß er ihn beynahe nicht mehr kenne. Kronhelms Mutter erinnerte er sich, recht wohl gekannt zu haben, weil er damals in der Nachbarschaft von ihrem Landgut Pfarrer war. Ich bin oft bey ihr gewesen, sagte er; Es war eine gar trefliche Frau. Damals, Junker, waren Sie noch klein; ich kann mirs wol noch vorstellen, wie Sie in einem grünen Husarenwamms auf dem Steckenpferd herumritten. Nicht wahr, Fritz heissen Sie? – Ja, ja, Sie kamen einmal ins Zimmer, und wollten ein Stück Brod von der Mama haben; es sey ein Bettelbub draussen, der sey hungrig. Das hat mir wohlgefallen an so einem jungen Herrn. Aber von der seligen Frau konnten Sies auch nicht anders lernen; sie war eine grosse Wohlthäterinn der Armuth. Wenn ich in meinem Dorf Kranke hatte, so gieng ich nur zu ihr; da gab sie mir guten Rath, und Hausmittelchen. Ich hab auch manch schönes Buch aus der Medicin von ihr[354] gelesen; und das bischen, was ich von der Arzneykunst weiß, hab ich ihr zu verdanken. Gott weiß, ich hab sie schon oft noch im Grab gesegnet. Es freut mich herzlich, daß ich da so einen frommen wolgerathnen Sohn von ihr sehe. Wie würd' jetzt die gute Frau sich drüber freuen! Sie hatte wenig Freud' auf der Welt; doch jetzt ist sie längst getröstet! – Der Pfarrer ließ Kaffee machen. Indeß kam ein kleines artiges Mädchen von sieben Jahren herein. Das ist meines Bruders Tochter von Burgau, sagte er. Die Knaben konnt' ich nicht zu mir nehmen, die sind mir zu wild, und machen mir zu viel Unordnung im Haus. Aber das ist ein stilles artiges Kind, und lernt auch brav. Es versteht schon viel vom Gartenwesen, und weiß mir recht an die Hand zu gehen. Philippinchen, du kannst nachher der Jungfer drunten im Garten zeigen, was du schon gepflanzt hast, den Kohl, und die Blumen! Sie versteht dir das Gartenwesen recht, und wenn du artig bist, so kann sie dich allerley lehren. Therese nahm Philippinchen auf den Schoos, und ließ sich viel von ihr erzählen. Ihre artige Herablassung gefiel unserm Kronhelm ungemein; und überhaupt ihr natürliches und ehrerbietiges[355] Betragen gegen den Prediger! Nach dem Kaffee giengen sie in den Garten, und bewunderten die schöne Ordnung, die der Prediger drinn erhielt. Da sind noch Nelken und Levkojen, sagte er; da hat sie ein Scherchen, Jungfer Therese, schneid sie welche davon ab! Sie schnitt eine Nelke, und ein paar Levkojenstengel ab, band sie zusammen, und gab sie Kronhelm, dem die Blumen ganz heilig waren, weil er sie von Theresen empfangen hatte; denn seine Seele war schon unsichtbar mit der ihrigen verbunden. Er steckte den Straus an seinen Busen, sah ihn alle Augenblicke an, und roch daran. Im Baumgarten besahen sie die schönen goldnen Früchte, sammelten welche davon auf, und assen sie. Sie blieben bis an den Abend da, und giengen sehr vergnügt nach Haus. Auf dem Wege schmückten sie ihren Traum von der Einsiedeley noch mehr aus, und beschlossen, auch den alten Prediger zuweilen zu sich kommen zu lassen. Sie kamen erst in der Dämmerung nach Hause. Kronhelm führte Theresen. Ein paarmal legte er seine Hand in die ihrige; und unwillkührlich, wie es schien, gaben sie sich einen sanften Händedruck; beyde fühlten dieß im Innersten, sahn sich eine Zeitlang[356] unbeweglich an, und wandten dann das Auge nachdenklich, und halb traurig weg. Therese schien etwas von ihrer natürlichen Munterkeit zu verlieren, und sah oft ernsthaft aus. Die kühle Dämmerung, das Schweigen im Gefild, der blaßgelbe Himmel, und die einschlummernde Natur erfüllte sie mit einer Wehmuth, die sie fast zu Thränen bewegte. Sie schwiegen oft lange still; dann stieg ein Seufzer bebend ihre Brust herauf, sie suchten ihn zu verbergen, husteten, und ihre Hände drückten einander. Sie fühlten, daß sie geliebt würden, oft mit einer überwiegenden Gewißheit; aber sie liessens sich nicht merken, und sprachen nie ein Wort davon. Als sie wieder beym alten Siegwart angekommen waren, ließ Therese ihre braunen Haare fliegen. Sie gefiel in diesem Aufzug unserm Kronhelm noch so gut; er sagte es ihr; und nun löste sie ihre Haare alle Abend auf. Sie spielte noch denselben Abend lang auf dem Klavier, und sang dazu mit ihrem Bruder. Sie blieben bis um Mitternacht auf, und Kronhelm träumte die ganze Nacht von ihr. Es kam ihm vor, als ob sie ihn traurig ansäh, dann lächelte, und ihm endlich in die Arme sänke. Er weinte vor Zärtlichkeit, und hatte, als er aufwachte, noch nasse Augen. Sie war[357] schon im Zimmer, spielte das Klavier, und sang, um ihn nicht zu wecken, leise eine Arie voll tiefer Rührung. Er lauschte lang, und gieng endlich in das Zimmer. Sie ward roth, und wünschte ihm ganz verwirrt einen guten Morgen. Ihr Auge sah aus, als ob sie geweint hätte, und ihre Miene schmachtete. Xaver gieng herein, und wieder weg, als er beyde so bewegt sah. Denn er hatte die Veränderung, die in ihnen vorgieng, schon gestern gemerkt. Sie setzten sich, und lasen im Messias. Er legte seine Hand in die ihrige. Lesen Sie doch wieder die Stelle von Semida und Cidli! sagte sie; sie ist gar zu rührend, und ich liebe das Wehmüthige so sehr. Er las sie. Therese lehnte ihren Kopf an den Stuhl zurück, und sah zum Himmel. Als er ausgelesen hatte, nahm er eben diese Stellung an, und betrachtete sie seitwärts. Sie weinte, und kehrte zuweilen ihr Gesicht langsam zu ihm hinüber. Das muß ein göttlicher Mann seyn, sagte sie, der die Liebe so wahr und so heilig schildert! Ja wohl, sagte Kronhelm. Indem trat Xaver ins Zimmer. Sie blieben noch eine Zeitlang so sitzen; er gieng ans Klavier, und klimperte. Endlich standen sie auf. Sie gieng hinaus, um den Kaffee zu machen. Du hast eine himmlische Schwester, Siegwart![358] sagte Kronhelm. Ja, es ist ein liebes Mädchen, antwortete Xaver, und sah seinen Kronhelm lächelnd an. Indem kam der alte Siegwart auch aufs Zimmer, und schlug unsern beyden Freunden vor, ob sie den Nachmittag mit seiner Tochter zu einem benachbarten Amtmann fahren wollten, der sein guter Freund sey? Er wollte gern auch mit fahren, aber seine Geschäfte liessens nicht zu. Sie nahmen den Vorschlag mit Freuden an, und erzählten ihn Theresen, als sie mit dem Kaffee wieder hereinkam. Sie war auch froh darüber, weil des Amtmanns beyde Töchter ihre gute Freundinnen waren, die sie schon seit dem Frühjahr nicht gesehen hatte. Sie machte Anstalt, daß das Essen beyzeiten fertig wurde weil sie etwas früh wegfahren wollten. Aber eine Stunde drauf kam der Hauptmann von Northern mit einem jungen Lieutenant zu Pferd um den Amtmann zu besuchen. Dies war Siegwart und Kronhelm auch lieb, weil sie ihn schon lang gern hätten kennen lernen. Er hatte, wegen seines ungezwungenen Betragens, das Vertrauen der beyden Jünglinge gar bald; Sie gewannen auch das seinige durch ihre Artigkeit und Bescheidenheit. Siegwart bat ihn sogleich, er[359] möchte ihnen das Bildnis von Kleist zeigen! Er und Kronhelm betrachteten es lang mit einer heiligen Ehrfurcht, und glaubten alles drinn zu finden, was sie in seinen Gedichten fanden. Therese setzte sich auch in ihre Gesellschaft, und man sah ihrs an, wie hoch sie den Hauptmann schätze. Der junge Lieutenant that ein bischen süß, und suchte sich sehr bey ihr einzuschmeicheln; sie wich ihm aber aus, und gab wenig auf ihn acht. Kronhelm war nichts weniger, als ruhig dabey, und sah Theresen oft ängstlich an. Hauptmann Northern erzählte, auf Siegwarts Bitte, viel von seinem König und vom Krieg. Siegwart meynte, das Leben eines Officiers im Felde sey das herrlichste. Nur selten, sagte Northern. Denn, stellen Sie sich vor, was ein Mann, der Empfindung hat, überhaupt leiden muß, wenn er das allgemeine Elend so mit ansieht? Wo er hinkommt, ist alles schon verwüstet; oder was noch blüht, wird hinter ihm zur Einöde. Das arme Landvolk hat oft nicht ein Grümchen Brod zu essen, und muß nicht selten, seiner Sicherheit und seines Lebens wegen, Haus und Hof verlassen, und in Wälder sich verkriechen. Wo man hin blickt, sieht man abgehärmte,[360] abgebleichte Gesichter, die der Hunger und der Gram entstellt hat. Ueberall wird man als Feind angesehen und verflucht. Und eigne Noth hat man auch oft genug. Stellen Sie sich einmal vor: Bey Liegnitz hatten wir bey acht Tagen keinen Bissen Brod zu essen; nichts als harten, zwanzigjährigen Zwieback, und Fleisch, das uns, so ganz ohne Zugemüß, bald zum Ekel wurde. Nun mußten wir schlagen. Nach der Schlacht hab ich wol zwanzig todten Kaiserlichen ihre Tornister durchgesucht, ob ich nicht ein Stückchen Brod drinn finde? Aber umsonst; sie hatten selbst keines gehabt. Endlich einen Tag drauf kriegten wir von Breslau Brod. Da hätten sie die Begier sehen sollen, mit der man drüber her fiel! Mancher aß sich fast den Tod drinn. Was ein menschliches Herz auf einem Schlachtfeld fühlen muß, das können Sie sich vorstellen. Hier ein Arm und dort ein Rumpf! Hier ein Sterbender und dort ein schwer Verwundeter! Und dann das Gewinsel und Geheul; und das Flehn um Hülfe, oder gar um Tod! Und wenn man ungefähr auf seinen Freund stöst, der im Blute liegt! O! das Herz möcht einem bersten! Da war bey meinem Regiment ein Hauptmann; mein Vertrautester,[361] dessen Freundschaft alles bey mir überwog. Vor der Schlacht bey Torgau sassen wir zusammen, und giengen die Geschichte unsrer Freundschaft miteinander durch; wo und wie lang wir schon einander haben kennen lernen? Welche Freuden wir gemeinschaftlich genossen, welche Leiden wir gemeinschaftlich getragen haben? Alle Augenblicke stiessen wir auf Handlungen, die von seinem edeln Herzen zeugten, und mir dankbare Thränen aus den Augen lockten. Endlich, als wir beyde recht bewegt waren, gaben wir uns die Hände, umarmten uns, schwuren uns aufs neue Freundschaft, und wünschten, daß wir nur noch lang jedes Schicksal unsers Lebens miteinander theilen möchten! Den Tag drauf war die Schlacht. Nach derselben ritt ich auf der Wahlstatt herum, und fand meines Freundes Kopf, der durch eine Kanonenkugel vom Rumpf weggerissen war. Ich glaubte, das Herz wäre mir durchbohrt, als ichs sah. Als ich drauf ins nächste Städtchen ritt, kam mir seine Frau mit vier Kindern entgegen, fragte nach ihrem Mann, und ich muste der Todesbote seyn. Sie wuste sich nicht mehr zu fassen; verfluchte den Krieg, und mich, und die ganze Welt! So hab ich schon manchen Freund[362] verlohren, und besonders meinen theuren, unvergeßlichen Kleist. Ein Soldat sollte beynahe keinen Freund haben; denn alle Augenblicke steht er in Gefahr, ihn zu verlieren; und ein Leben ohne Freundschaft ist doch traurig. Ich wollte, daß ich einmal in Ruh den Wissenschaften obliegen könnte! Und, wenn ich Ihnen als ein Freund rathen darf, so nehmen Sie keine Kriegsdienste! – Der junge Lieutenant sagte, es sey doch ein lustiges Leben; man könne brav Muth zeigen; ein Officier sey überall, und besonders beym Frauenzimmer wol gelitten, u.s.w. Man gab aber auf sein Reden wenig acht.
Nach dem Essen gieng man im Garten spatzieren. Der junge Officier führte Theresen. Kronhelm, der ziemlich viel Anlage zur Eifersucht hatte, gieng hinter drein; brach jede Blum' ab, an der er vorbey gieng, und zerriß sie. Therese sah sich ein parmal um, und blickte ihn mit einer viel bedeutenden Miene an. Er achtete es aber gar nicht, oder blickte weg. Drauf machte er allerley Spaß, und that lustig, ob es ihm gleich gar nicht Ernst war. Zuweilen ließ er etwas in seine Reden mit einfliessen von seiner Unfähigkeit, sich beym Frauenzimmer beliebt zu machen. Sie[363] merkte es, und machte ihm ein Kompliment, daß er unbillig gegen sich selbst sey. Er lachte aber, und verdrehte ihre Reden. Endlich gieng er mit Siegwart und den Hauptmann Northern gar weg, auf die, an dem Garten stossende Wiese. Er kam wieder; der Lieutenant saß in der Laube, und hatte Theresens Hand in der seinigen. Sie ward roth; dieß brachte ihn noch mehr auf, und er brachte allerley närrisches Zeug vor, ohne daß er auf sie zu achten schien. Sie machte sich endlich vom Officier los; gieng allein einen Gang im Garten hinauf, und sah sich nach Kronhelm um, als ob sie wünschte, daß er ihr folgen möchte. Er blieb aber immer sitzen, und sprach fort. Als sie wieder kam, sagte er: Er wolle auch Soldat werden, und sich todt schiessen lassen! Das thun Sie gewiß nicht, sagte Therese. Warum nicht? Fragte er. Glauben Sie, es fehle mir an Muth? Da kennen Sie mich noch wenig. Zuletzt sprach er gar nichts mehr.
Endlich nahm der Hauptmann Northern mit dem Lieutenant Abschied. Dieser warf Theresen, als er schon auf dem Pferde saß, noch einen Kuß zu. Kronhelm lachte höhnisch drüber, und biß sich in die Lippen. Therese warf ihm[364] einen schmachtenden Blick zu, und gieng weg, um das Abendessen zurecht zu machen. Kronhelm gieng auf sein Zimmer, nahm seine Geige, und phantasirte wild und rasend drauf. Ein paarmal stampfte er auf den Boden, und dann weinte er. Man rief zum Essen; er saß Theresen gegenüber, blickte unter sich, und sprach nichts; bis das Gespräch auf den Lieutenant kam. Es ist ein windiger Mensch, sagte Therese. Kronhelm nahm seine Parthie, und vertheidigte ihn, aber in einem bittern Tone. Der alte Siegwart, der auf ihn bisher nicht acht gegeben hatte, konnte sich in sein Betragen nicht recht finden; aber Xaver sah die Ursache davon bald ein. Therese schwieg endlich ganz still, und war sehr traurig. Nach dem Essen gieng sie zwischen den Blumenbeeten mit ihrem Bruder auf und ab. Kronhelm gieng mit dem alten Siegwart, und sprach vom Hauptmann Northern. Als der Amtmann, wegen der feuchten Abendluft auf sein Zimmer gieng, spatzierte Kronhelm allein. Er kam an Theresen und Xavern vorbey. Sie redete ihn an: Sie scheinen heute unaufgeräumt zu seyn, Herr von Kronhelm![365]
Kronhelm. Ein Bischen, Jungfer Therese. (Siegwart gieng indessen weg.)
Therese. Haben Sie Ursache dazu? Ich werd Ihnen doch keine Veranlassung gegeben haben?
Kronhelm. Nein!
Therese. Nein? Und doch sehen Sie mich so stürmisch, oder gar nicht an.
Kronhelm. Stürmisch? Sie thun mir Unrecht, Jungfer Siegwart. Sie bilden sichs nur ein.
Therese. Ich glaube nicht, Herr von Kronhelm. Mir dünkt, Sie sind über den Lieutenant unzufrieden.
Kronhelm. Vielleicht! Ich weiß selber nicht!
Therese. Sie Wissens selber nicht? Ach, mein lieber Kronhelm; es schmerzt mich sehr, daß Ich das entgelten soll! Sie werden doch nicht glauben, daß mir die Süssigkeiten des Lieutenants angenehm waren? Da würden Sie mich sehr verkennen! Ich versichere Sie, daß mir der Mensch sehr zuwider ist; daß ich ihn, wer weiß, wie weit? weg gewünscht habe![366]
Kronhelm. Ist das Ihr Ernst, Jungfer Therese?
Therese. Mein völliger Ernst! Wie könnt ich Ihnen etwas weiß machen, Herr von Kronhelm? Ach Sie wissen nicht – – Ich schätze Sie unter allen Jünglingen, die ich noch gesehen habe, am meisten hoch (Mit diesen Worten sah sie ihn zärtlich, und mit nassen Augen an. Kronhelm ergrif ihre Hand; küßte sie mit Innbrunst; und sagte: Lieber Engel! Es folgte ein langes Schweigen.) Endlich sagte
Kronhelm. Verzeihen Sie! Ich hab Ihnen Unrecht gethan! Ich verdiene Ihre gute Meynung nicht! Nein, bey Gott nicht! (Therese drückte ihm die Hand, und nun drückte er ihrem Mund den ersten, heiligen, keuschen Kuß der Liebe auf.) Nach langem Schweigen sagte
Therese. Sind Sie mir noch böse, Herr von Kronhelm?
Kronhelm. Um Gottes, und der heiligen Jungfrau willen, schweigen Sie! Wie könnt ich das seyn? Ich will nichts, als Verzeihung! Ach, liebe Freundinn, ist das nicht zu viel? Ich bin ein Thor, ein Unmensch gewesen! Ich verdien Ihren Abscheu, Ihre Verachtung![367]
Therese. Thun Sie sich nicht Unrecht, Herr von Kronhelm? Es ist gut, daß Sie heftig sind. Vergessen Sie nur den fatalen Lieutenant! Er soll mich so leicht nicht wieder führen! Aber, Gott weiß! ich war unschuldig; wenn Sie nur davon überzeugt sind!
Kronhelm. Ganz, ganz! Mein Engel! (Und hier küßte er sie wieder) Ich schäme mich wegen meiner Heftigkeit. Sie waren ja ganz unschuldig. Der Lieutenant bot Ihnen seine Hand an; Sie sahen sich nach mir um! Ich sah alles, und war doch verblendet. Verzeihen Sie mir nur! –
Therese weinte, und Er auch. Sie setzten sich auf eine Rasenbank. Der Mond schien ihnen ins Gesicht. Sie sahen sich oft lang an; schlugen die Augen nieder; seufzten; und lächelten dann einander halb wehmüthig zu. Dann blickten sie zum Mond auf, betrachteten jedes Wölkchen, jeden hellen Stern. Künftig will ich immer an Sie denken, wenn ich den Mond sehe, sagte Kronhelm. – Es ist so traurig, daß man sich verlassen muß, wenn man sich erst recht kennen lernt! Aber, wir sehen uns doch wieder. Hier sah ihn Therese traurig an. Eine Thräne rollte,[368] hell vom Mondschein, über ihre blaßrothe Wange; sie sah wieder nach dem Mond; und indem kam Xaver zwischen den Johannisbeerhecken langsam hergewandelt. Nun, wollt ihr hier über Nacht bleiben? sagte er. – Wo bist denn du umhergeschlichen? Fragte sie. – Ich saß da drunten, antwortete Xaver, auf der Bank am Gartenhäuschen, sah dem Mond zu, wie er mit den Wolken sein Spiel hat, und da dacht ich über unsre Einsiedeley nach; wie es einmal schön seyn wird, wenn wir des Abends da beysammen sitzen, uns über neue Einrichtungen besprechen, und uns glücklich schätzen, daß wir uns von der Welt losgewunden haben. Man mag sagen, was man will, das Klosterleben und die Einsamkeit hat doch immer den meisten Reiz für ein edles, empfindungsvolles Herz! Wenn wir nur erst in unserm Wäldchen wären!
Therese lächelte zu Kronhelm, und wollte jetzt die angenehmen Träume ihres Bruders nicht zernichten. Sie reichte Kronhelm die Hand, und stand auf. Indem fuhr eine Sternschnuppe vor ihnen am Horizont hinab, so hell, als sie noch nie keine gesehen hatten. Sie sahen sich erst erschrocken[369] an, und freuten sich denn drüber. Daran wollen wir unser Lebelang denken, sagte Therese. Das war herrlich! Man hörte sie ordentlich zischen, und sah noch die Funken hinter drein! – Sie gieng in ihrem weissen Gewand, und mit aufgelösten Haaren – Kronhelm hatte sie auf der Rasenbank unvermerkt aufgelöst – durch den langen Gang hinunter. Ihr weisses Kleid schimmerte, und tausend Schatten von dem Laub der Hecke hüpften drauf herum. Kronhelm war zufrieden, wie ein Gott; denn er fühlte nun das Glück zum erstenmal ganz: Geliebt zu seyn. Siegwart nahm seine Schwester auch bey der Hand, und fühlte in seinem Herzen eine nie empfundne Sehnsucht, die er sich nicht erklären konnte. Ein paarmal hub ein unwillkührlicher Seufzer seine Brust; es war ihm wohl, und weh. Sie giengen endlich, weil es schon um zwölf Uhr war, auf ihre Kammer. Therese saß noch allein, und ohne Licht auf dem Zimmer, und spielte ein paar zärtliche Arien auf dem Klavier. Kronhelm, der schon im Bette lag, glaubte die Musik der Engel zu hören, und schlief erst spät ein.
Den andern Morgen waren Kronhelm, Therese, und ihr Bruder von Karl und seiner[370] Frau zum Kaffee gebeten. Sie hatten da wenig Vergnügen, weil sie sehr gezwungen waren. Karls Frau schien Kronhelms Zuneigung zu Theresen zu merken, und sehr neidisch drüber zu seyn. Das arme Mädchen mußte viel Spöttereyen und beissende Anmerkungen hören. Sie wuste nicht, wie sie sich dabey betragen sollte? und ward oft roth. Ihre Schwägerinn erzälte recht mit Vorsatz die Geschichte einer unglücklichen Heyrath zwischen einem Edelmann, und einem bürgerlichen Mädchen; und schloß damit, indem sie Theresen ins Gesicht sah: So sollts all denen Mädchen gehen, die sich über ihren Stand und andre ihres gleichen erheben wollen! Da heists recht: Hochmuth kommt vor dem Fall. Man muß nicht fliegen wollen, wenn man keine Federn dazu hat, u.s.w. Kronhelm wurde böse drüber, und stand um zehn Uhr wieder auf. Sie werden wohl Geschäfte haben, Jungfer Siegwart, sagte er; wenn wir um zwölf Uhr zu dem Amtmann in Belldorf fahren wollen, so müssen wir uns jetzt empfehlen, denn ich hab auch noch was zu arbeiten. Darüber ward Karls Frau noch mehr aufgebracht, und schäumte fast vor Wuth. Als die jungen Leute Abschied genommen hatten, ließ[371] sie's ihren Mann entgelten, und fieng einen grossen Lerm im Haus an. Aus deiner Schwester wird was schönes werden! sagte sie. Das Mädel thut so stolz, als ob sie schon eine gnädige Frau wäre, und ihren kahlen Junker schon hätte. Ja! sie mag sichs nur einbilden! Der Junker wird sie prellen, wie's die Leute immer machen. Es ist eine Schande, daß ihn dein Vater so einsetzt! Aber heut will ich ihms sagen, und ihn gutmeynend warnen, daß er auf sein Mädel acht gibt, und ihr die Träumereyen aus dem Kopf bringt! Karl schien weniger böse gegen seine Schwester zu seyn; denn er dachte: wenn sie einen reichen Junker kriegt, so wird sie von ihrem väterlichen Vermögen nichts haben wollen. Er hielt also ihre Partie, und ließ sich von seiner Frau brav ausschelten. Nach Tisch fuhren die jungen Leute zum Amtmann in Belldorf. Karls Frau war der Gegenstand ihres Gesprächs; sie bedaurten ihren Mann, und sie selbst, indem sie ihres Lebens und Vermögens gar nicht froh ward; denn der Geiz machte ihr jeden Bissen, den sie, oder andere genossen, bitter. In Belldorf, sagte Therese zu Kronhelm, werden Sie auch eine sonderbare Frau von einer andern Gattung antreffen.[372] – Jesus! Maria! rief sie, indem der Wagen eine Anhöhe hinabrasselte, und umsank. Kronhelm, der zu oberst lag, arbeitete sich den Augenblick heraus; machte den Schlag auf, und zog Theresen heraus, die so blaß aussah, wie der Tod. Um Gottes willen! helfen sie doch meinem Bruder! rief sie. Er lag halb unter dem Wagen, denn er war, im Sinken, aus dem Schlag gefallen. Kronhelm hob, mit Hülfe des Kutschers, den Wagen auf, und Siegwart kroch hervor. Da keines durch den Fall Schaden gelitten hatte, so fiengen sie endlich an, über den Zufall, und über die lächerlichen Stellungen, und Grimassen, die sie gemacht hatten, zu lachen. Doch ward Therese ängstlich, so oft der Wagen auf die Seite hieng, und hielt sich fest an Kronhelm.
Während daß sie auf dem Weg sich lustig machten, und scherzten, gieng Karls Frau zum alten Siegwart, um das Glück der Liebenden zu untergraben. Der alte Mann, der seine Tochter herzlich liebte, und auch dem jungen Kronhelm sehr gut war, erschrack über die Entdeckung, und über die Gefahr, die ihm, sehr vergrössert, vorgemalt[373] wurde. Er hatte die veste Meynung von seiner Tochter, und sagte, sie werde gewiß keinen Schritt wagen, der ihrer Unschuld nachtheilig sey. – Aber ihrer Ruhe, sagte seine schlaue Schwiegertochter. Ich wollte selbst auf ihre Tugend alles bauen; aber das ist bey uns Frauenzimmern noch nicht genug. Wir müssen auch behutsam und vorsichtig mit den Mannspersonen umgehen; und unser Herz, auch in der besten Absicht, nicht so aufs Gerathewohl verschenken! Sie wissen wie's mit Edelleuten ist; und den Junker Veit kenn ich von aussen und von innen. Er hält auf seinen Adel, wie auf seine Jagdhunde; und, sobald er das geringste von erfährt, ist kein Mensch, weder sein Sohn, noch ihre Tochter, noch Sie selbst ihres Lebens sicher. Ich weiß, er hat seinem Sohn schon ein Fräulein ausersehen, und die muß er nehmen, es mag kosten, was es will. Denken Sie, was dann aus Ihrer Tochter werden wird? Soll sie seine Maitresse werden? Oder was sonst? Wenn ich Ihnen wohlmeynend rathen darf, so warnen Sie Ihre Tochter! brauchen Sie Ihr väterliches Ansehen, und untersagen Sie ihr ihren Umgang mit dem Junker! Es kann dem armen Mädchen[374] einst bey einer andern Heyrath hinderlich seyn. Denn was wird die Welt sagen, wenn man sie so vertraut miteinander umgehen sieht? – Dem alten ehrlichen Siegwart gieng das in der Seele nah. Es klärte sich ihm vieles in dem Betragen seiner Tochter gegen Kronhelm auf. Er hatte keine Ruhe. Er dachte hin und her, wie er seine Tochter retten möchte, ohne doch dem jungen Kronhelm, gegen den er in der That nichts hatte, zu viel zu thun. Er beschloß endlich, bey der ersten schicklichen Gelegenheit, mit seinem Sohn und seiner Tochter ernstlich drüber zu reden.
Kronhelm, Xaver, und Therese kamen indessen bey dem Amtmann in Belldorf an. Der Amtmann, seine Frau, und seine zwey Töchter kamen augenblicklich an die Kutsche, und hoben sie aus dem Schlag heraus. Sie wurden mit vielen Cärimonien bewillkommt, und die Treppen hinauf geführt. Die Amtmänninn machte tausend Entschuldigungen, daß sie so schlecht gekleidet sey, und daß im Zimmer alles so unordentlich aussehe. Sie war aber in der That mehr prächtig, als nachlässig gekleidet; und im Zimmer war[375] alles ordentlich. Ich sag dirs tausendmal, Mann! sagte sie, daß du alles so herumfahren lässest, und dich nie an keine Ordnung gewöhnst! Wenn man dann einmal so vornehme Gäste bekommt, wie wir heut die Ehre haben, (hier verneigte sie sich sehr tief) da muß man ja mit Schimpf und Schande bestehen! Nehmen Sies doch nicht übel! Was werden Sie zu Hause sagen, daß ich so ein unordentliches Weib sey? Man glaubt ja, man komm in eine Baurenstube! – Indeß räumte der Amtmann stillschweigend auf. Sie redete ihm immer ein, und sagte: Das gehört dahin, und das dorthin u.s.w. Sie beurlaubte sich auf einige Augenblicke. Therese besprach sich indeß mit ihren Töchtern. Der Amtmann sprach, wiewohl ängstlich, indem er immer dazwischen seine Schriften aufräumte, mit Kronhelm und mit Siegwart. Endlich, als er fertig zu seyn glaubte, setzte er sich zu ihnen, und fieng ein sehr vernünftiges Gespräch an. Allein seine Frau kam im grösten Staat, mit einem hohen Kopfputz und einem Reifrock herein, und machte eine tiefe Verbeugung. Um Gottes Willen, Mann, sagte sie, was ist das? Du setzst dich in deinem abgeschabten Rock zu den Herren hin? Sollte man nicht[376] glauben, du habest sonst kein anders Kleid? Den Augenblick! – Der Mann lief stillschweigend weg, um sich umzukleiden. Nach vielen Komplimenten setzte sie sich nieder, spielte mit dem Fächer, und gab ihren Töchtern einen Wink, sich zu entfernen, und sich umzukleiden. Als sie Kronhelms Namen hörte, und daß er von Adel sey, stand sie wieder auf; fieng von neuem ihre Komplimente an; und schätzte sich doppelt glücklich, einen Kavalier in ihrem Haus zu haben. Nur bedaurte sie aufs neu, daß er alles so in Unordnung angetroffen habe. Es ist ein trauriges Leben auf dem Lande! sagte sie. Man mag auch noch so sehr auf Nettigkeit und Ordnung sehen, man kanns doch nie ganz erhalten; es kommt einem hundertley dazwischen; wenns auch nur die Fliegen wären, die sich haufenweis auf alles hinsetzen, und es beschmutzen. Da ists in meinem lieben Augspurg ganz anders; da ist alles so reinlich, und so nett; da glänzt alles; kein Stäubchen darf man im Zimmer sehn; und Fliegen sieht man auch beynahe gar nicht. Ich kanns meinem Papa und meiner Mama noch nicht vergeben, daß sie mich aufs Land verheyrathet haben! Man ist von allem abgesondert und[377] abgeschnitten; Man vergißt den guten Ton ganz, und erfährt die neuen Moden immer vierzehn Tage später. Zwar ich erfahr sie immer gleich, weil ich alle Wochen mit meiner Mama korrespondire. Z.E. Sehn Sie, Mademoiselle, dieser Zitz ist jetzt die neueste Facon in Augspurg; Schüle hat diese Art zu drucken erst erfunden. Sehn Sie nur, wie er glänzt! Und wie die Farben hell sind! Theuer ist er, das ist wahr, und kostet mich ein schön Stück Geld! Aber ich will lieber was rechtes und was gründliches haben; dadurch kann man sich noch allein vom gemeinen Volk unterscheiden. Der Pöbel treibts jetzt ohnedieß so weit, daß man nichts mehr kostbar genug machen kann. Alles äfft er nach! – Der Amtmann kam wieder in einem grünen Kleid in schwarzwollenen Strümpfen, und einer gelblichten runden Perücke. – Ums Himmels willen, Mann, was treibst du nun wieder? Das nenn ich mir einen Streich! Das braune Kleid ziehst du aus, und das grüne, das um keinen Heller besser ist, ziehst du an? Hast du denn nicht dein blaues Ehrenkleid, mit den goldnen Trotteln, und der rothen Weste und Beinkleidern, das du an unsrer Hochzeit trugest? Und nicht einmal seidne Strümpfe? Ja, ihr seyd Leute! Da[378] hängt draussen deine Allongeperuque, frisch akkommodirt, und du setzst die Buchsbäumene auf! Mit dir kann man Ehr einlegen! – Nun ists schon zu spät; nun bleib nur da! Man hat jetzt deine Unbehülflichkeit schon gesehen. Verzeihen Sies ihm nur, Herr von Kronhelm! Er hat sein ganzes Leben fast auf dem Land zugebracht; und da gehts nicht anders. Ja, in Augspurg, da wollt ich dich anders ziehen! In einem solchen Aufzug dürftest du dich ja in keiner honetten Gesellschaft sehen lassen. Komm doch her! Was hast du da wieder allerley an dir hangen? Heu und Stroh! Man sieht doch gleich, womit einer umgeht. – Nun muste sich der Amtmann vor ihr hinstellen, wie ein Kind; sie suchte sein ganzes Kleid durch, klaubte alle Fäserchen ab; legte die Falten zurecht und sagte endlich: so, nun kannst du gehen. Er küßte ihr zum Dank die Hand; denn er war noch in sie verliebt, wie an seinem Hochzeitstage. – Die Töchter kamen endlich auch wieder, hübschgekleidet, und machten ihr Kompliment. So, nun seht ihr doch erträglich aus, sagte die Mutter; aber ich möcht doch wissen, was du gedacht hast, Henriette, daß du eine Dormeuse aufsetzst? Hast du nicht erst neulich eine so schöne Carcasse von[379] Augspurg bekommen, und setzst jetzt das altmodige Ding auf! Das übrige gieng auf dem Lande schon noch so mit. In Augspurg müsts freylich auch anders seyn. – Kommt denn der Kaffee noch nicht, Jeannette? Sieh doch nach! – Der Kaffee ward in einer silbernen Kanne aufgetragen. – Wieder ein dummer Streich! fieng sie an. Warum denn die kleine Kanne, da wir doch die grosse haben, die mit der getriebnen Arbeit, und dem vergoldeten Bild oben? Wenn ich nicht nach der Haushaltung sehe, so schiest ihr lauter Böcke! Das ist ja, wie eine Milchkanne! – Sie gieng selbst hinaus, um die größere Kanne zu holen. Indeß fragte der Amtmann unsern Kronhelm und Siegwart, ob sie nicht Taback rauchen? Und als sie ja sagten, stopfte er ihnen ein paar lange Pfeifen. Seine Frau kam wieder. Bist du gar toll, Mann? rief sie. Willst du ganz zum Bauren werden? Um des Himmels willen! Das hab ich doch mein Lebtag nicht gehört, in einer solchen Gesellschaft Taback rauchen! Es ist ja, als ob du deine fünf Sinnen verloren hättest! Schäm dich doch in deine Seel' hinein, solche Sottisen zu machen! Den Augenblick pack dich mit deinem Kram zum Henker![380] Der Amtmann ließ sie austoben, nahm seine Pfeifen zusammen, und sagte ganz kaltblütig: Die Herren haben ja rauchen wollen. – Was? Die Herren? Und hier ward sie ganz roth; Ja das ist was anders! Ja, wenns die Herren haben wollen! ... Ich bitte tausendmal um Vergebung! Mein Mann ist schuld daran, daß er mir das nicht eher gesagt hat! Ich muß mich recht schämen! Da steht er da, wie ein Peruckenstock, und spricht kein Wort! Henriette bring den Augenblick den silbernen Leuchter mit dem Wachslicht herein! – Aber, da wirst du wieder so elenden Taback haben; ich hab dirs schon hundertmal gesagt, daß du Knaster ins Haus schaffen sollst! – Nun ward Kaffee getrunken. Therese unterhielt sich ganz allein mit den beyden Mädchen, und schien auf Kronhelm nicht im geringsten zu achten. Sie lachten sehr viel, und flüsterten sich ins Ohr. Kronhelm ward traurig, und halb böse, und unterhielt sich mit dem Amtmann, mit seiner Frau, und Siegwart. Ein Knabe von sieben oder acht Jahren, der ziemlich zoticht aussah, kam ins Zimmer, rief Mama! und wollte auf die Amtmänninn zu laufen. Sie sprang hastig auf, und rief: Den Augenblick pack[381] dich, Andrees! Wer wird sich so vor den Herrschaften sehen lassen? Hurtig! Hurtig! Und nun gieng sie mit ihm aus dem Zimmer. Therese scherzte und kicherte noch immer mit den Mädchen fort, ohne sich um Kronhelm, oder die übrige Gesellschaft zu bekümmern. Dieß that ihm ziemlich weh. Der Amtmann zeigte in seinen Gesprächen viel Verstand, und Kronhelm bedaurte ihn mit Siegwart, daß er so unter dem Pantoffel einer thörichten Frau stand.
Nach einer halben Stunde kam die Dame wieder mit dem Knaben an der Hand, der nun frisirt war, einen Haarbeutel, und ein hübsches Kleid trug. Er muste erst Kronhelm, denn Theresen, und ihrem Bruder die Hand küssen, und sich auf Befehl der Amtmänninn fast zur Erde bücken. Nach dem Kaffee ward Wein aufgetragen. Sie machte wieder tausend Entschuldigungen, daß sie mit keinem bessern, als mit Nekkarwein aufwarten könne. Auf dem Land sey es gar zu schlimm; Sie habe kürzlich noch Burgunder gehabt, und jetzt sey er, zum Unglück, eben ausgegangen, u.s.w. Nun trank sie mit vielen Cärimonien Gesundheiten, und machte immer noch einmal ein Kompliment, wenn sie das Glas absetzte.[382] Sie besann sich recht drauf, viele Gesundheiten auszubringen, und die jungen Leute mit zu quälen. Da ward aufs hohe Wohl des gnädigen Herrn Papa; aufs hohe Wohl der gnädigen Fräulein Schwester; aufs hohe Wohl der ganzen hochadelichen Familie; dann aufs erwünschte Wohl des Herrn Amtmanns Siegwart, seiner beeden Herren Sohne, und seiner hochgeehrten Frau Schwiegertochter getrunken; dann wieder auf das beständige Wohlergehen der hochansehnlichen Gesellschaft; Kurz es wurde des Gesundheittrinkens und des Bückens kein Ende; Selbst der siebenjährige Knabe muste rings herum Gesundheit trinken, und ward dabey so angst, daß er fast das Glas fallen ließ. Das Nöthigen zum Trinken wollte auch kein Ende nehmen, so daß Kronhelm endlich einen Spatziergang im Garten vorschlug. Die Amtmänninn wollte Anfangs nicht recht dran, weil es jetzt im Garten gar zu unordentlich aussehe; sie suchte es so lange zu verzögern, als möglich, weil sie heimlich Befehl gegeben hatte, daß man die Taxusbäume erst beschneiden sollte. Endlich, als sie die jungen Leute nicht mehr aufhalten konnte, gieng man hinunter. Kronhelm muste sie aus Höflichkeit am[383] Arm führen. Sie zierte sich erst lange, weil sie glaubte, es sey wider die Lebensart, einen Edelmann zu bemühen. Siegwart führte ihre beyden Töchter, und der Amtmann Theresen. Bey der Gartenthüre sperrte sie sich lang, voranzugehen, und doch konnte sie wegen ihres Reifrocks, nicht zugleich mit Kronhelm hineingehn. Sie sah ängstlich nach den Taxusbäumen, die noch nicht gänzlich beschnitten waren. Hinter ein paar standen Kerls, und hielten sich versteckt; und sobald die Gesellschaft den Gang hinunter war, so fiengen sie wieder an, mit der Scheere zu beschneiden, bis sie fertig waren. Drauf kamen zween Baurenkerls in Livree; brachten Sessel; setzten sie, auf Befehl der Amtmänninn in der Terasse nieder, und brachten dann auch einen Tisch und Wein. Kronhelm konnte sich des Lachens kaum enthalten; er muste sie immer führen, und doch war es ihm kaum möglich, sie, mit ihrem weiten Reifrock, durch die engen Heckengänge durchzubringen. Sie erzälte ihm sehr viel von Augspurg, von ihrer Jugend, und von ihren Eroberungen. Zuweilen sah sie sich sehr ängstlich nach ihrem Mann um, der Theresen führte. Anfangs wuste Kronhelm nicht, was dieß zu bedeuten[384] hätte? Endlich merkte er, daß sie eifersüchtig sey, und sie gab es auch nicht undeutlich zu verstehen. Zulezt ward sie so besorgt, daß sie ihren Mann herbeyrief, unter dem Vorwand, er möchte doch die Herrschaft mit Wein bedienen! Therese gieng nun wieder mit den Mädchen, und machte sich mit ihnen sehr lustig, indem sie Birn' aufsammelten. Kronhelm ward über ihr leichtsinnig scheinendes Betragen gegen ihn sehr empfindlich, und immer stiller und nachdenklicher.
Nun wurde Obst und kalte Schaale vorgesetzt, und das Gesundheittrinken gieng von neuem an. Hinter den Hecken stunden vier Bauren mit zwo Posaunen und zwo Zinken, die eine Art von Tafelmusik machten; und wenn eine hohe Gesundheit ausgebracht wurde, so musten sie, auf den Wink der Amtmänninn Dusch machen. Sie bedaurte nur, daß die Musik nicht besser sey. Vor drey Wochen, sagte sie, haben sich vier Prager Studenten im Dorf aufgehalten, die ganze Leute gewesen seyen. Sie wollte viel geben, wenn sie jetzt noch da wären! Der Amtmann ward endlich vom Wein etwas lustig, und sprach mit Kronhelm und Siegwart ziemlich vertraut.[385] Sie winkte ihm wol hundertmal zu, und zupfte ihn beym Rock, daß er doch ja nicht die schuldige Hochachtung aus den Augen setzen möchte! Endlich nahmen unsre jungen Leute Abschied; sie empfahl sich ihrem gnädigen und gütigen Andenken tausendmal, und bat aufs inständigste, sie möchten ihr doch noch einmal die hohe Ehre ihres Besuches gönnen, und es ihr vorher zu wissen thun, damit sie solche vornehme Gäste nach Standesgebühr empfangen könnte! Auf ihren Wink giengen die vier Bauren mit ihren Blasinstrumenten hinter drein, und machten, indem die Gäste in den Wagen stiegen, und abfuhren, eine so schmetternde Musik, daß das halbe Dorf zusammenlief. Therese, die die Gewohnheit der Amtmänninn wuste, legte sich in den Schlag, und machte wenigstens noch sechsmal eine Verbeugung, denn die Amtmänninn gieng nicht eher von der Hausthüre weg, als bis sie die Kutsche, die durchs ganze lange Dorf hinfuhr, nicht mehr sehen konnte. Als sie schon vor dem Dorfe draussen fuhren, hörten sie noch das liebliche Getön der Zinken und Posaunen. Kronhelm sah ganz ernsthaft aus, und sprach nichts. Therese sagte: und Sie sind so still, und kommen eben erst aus einer so[386] lustigen Gesellschaft? Mein aufgeräumtes Wesen muß Ihnen heut recht sonderbar vorgekommen seyn? Aber ich nahms mit Fleiß an. Die Amtmänninn ist eine Erzplaudertasche, und gibt auf alles Acht. Hätt ich viel mit Ihnen gesprochen, so würde sie, weiß nicht was? daraus gefolgert, und die lächerlichsten Dinge ausgesprengt haben. Daher gab ich mich fast blos mit ihren Töchtern ab. Die Mädchen lachen in Einem fort, wenn man bey ihnen ist, und da muß man eben mit machen! Mein Sprüchlein ist: Frölich bey den Frölichen, und traurig bey den Traurigen! Ich kanns den armen Mädchen auch nicht übel nehmen, wenn sie einmal ausgelassen lustig sind; denn heut haben sie wieder für einen ganzen Monat gelacht; Wenn sie bey ihrer abgeschmackten Mutter allein sind, da geht alles so ernsthaft und gravitätisch zu, und keine Mine darf verzogen werden! – Kronhelm war mit dieser zuvorkommenden Entschuldigung sehr zufrieden, und ward auf einmal wieder munter. Sie machten sich nun über die lächerliche Amtmänninn lustig, und parodierten sie. – Und wer meynen Sie wol, sagte Therese, daß sie von Stand und Herkommen sey? Nichts mehr und nichts weniger, als eine arme Goldarbeiterstochter aus Augspurg, in die sich[387] der Amtmann, als er sie bey ihrer Verwandtinn auf dem Lande sah, verliebt hat. Der arme Mann ist sonst so gut und so vernünftig; aber daß er diese Frau geheyrathet hat, das kann ich ihm nicht vergeben. Sie hält ihn nur wie einen Bedienten im Haus, und doch betet er die Närrinn an. – Aber, wie wärs, sagte Kronhelm, wenn wir sie in unsre Einsiedeley mit aufnähmen, und zur Cärimonienmeisterinn machten? – Ja, die Thörinn brauchten wir! sagte Siegwart ganz hitzig, die würd uns alles Angenehme der Einsamkeit verbittern! – Nun, Nun, antwortete Kronhelm, du nimmst auch alles gleich im Ernst! Aber, weist du, was wir thun wollen, Xaver? Dem alten Grünbach wollen wir sie geben! Der ist auch so ehrenvest und stattlich; so wird doch der arme Amtmann von seinem Hausübel erlöst, und die Grünbachinn auch. Das magst du meinetwegen thun! sagte Xaver; nur unsre Einsiedeley soll sie nicht entheiligen! Nun muste Kronhelm Theresen vom alten Grünbach erzählen; er kam auch auf seine Tochter Sophie zu sprechen, und sagte halb im Scherz, sie sey in Xavern verliebt; dieser ward aber drüber böse, denn er wollte schlechterdings von keinem Mädchen nichts hören. Sie kamen endlich wieder[388] sehr vergnügt beym alten Siegwart an. Beym Essen erzählten sie mit vielem Lachen die Bedienung und den feyerlichen Empfang bey der Amtmänninn, und glaubten, dem alten Siegwart ein Vergnügen dadurch zu machen. Er sah aber immer sehr ernsthaft, oft sehr traurig aus; und blickte seine Therese oft sehr mitleidig an. Sie merkte es, und ward auch sehr tiefsinnig drüber. Sie dachte ängstlich hin und her, und konnte doch nichts ausfindig machen, womit sie ihrem Vater könnte Anlaß gegeben haben, unzufrieden über sie zu werden. Nach Tische gieng sie einigemal mit Kronhelm traurig im Garten auf und nieder; entdeckte ihm ihre Besorgnis wegen des Tiefsinns ihres Vaters, und sagte endlich, sie könne nicht ruhen, bis sie die Ursache davon erfahre.
Sie trennte sich auch diesmal bald von Kronhelm, und gieng unter dem Vorwand, ein Buch zu holen, auf das Zimmer ihres Vaters. Es war ihm lieb, daß sie selber kam. Wo ist Xaver? sagte er. Sie antwortete: Er werde wol beym Herrn von Kronhelm seyn. Willst du ihn nicht rufen, meine Tochter? Ich hätte was mit ihm und dir zu reden. Sie kam gleich wieder mit ihrem Bruder, und der Vater fieng,[389] nach einigen gleichgültigen Reden, mit schwerem Herzen und gerührter Stimme also an: Es ist mir heute was entdeckt worden, meine liebe Tochter, was mir deinetwegen viele Sorge macht. Ich hoffe, du werdest offenherzig mit mir, als mit deinem Vater, der zugleich dein Freund ist, reden. Nicht wahr, mein Kind?
Therese sagte zitternd, und schon halbweinend: Ja.
Siegwart. Sieh, man hat mir gesagt, du findest an dem jungen Herrn von Kronhelm ein besonderes Wohlgefallen. Ists so?
Therese. Ich kanns nicht leugnen, er gefällt mir recht wohl; und ich denke, daß es Ihnen nicht zuwider ist, Papa.
Siegwart. Das nicht, mein Kind! Aber ich fürchte nur, daß die Sache weiter kommen möchte. Du weist schon, beym Wohlgefallen bleibts bey jungen Leuten nicht stehen. Liebst du ihn, mein Kind?
Therese. Verzeihen Sie, Papa?.. Ich weiß nicht!.. Ob ich ihn liebe, meynen Sie? Ja, das läßt sich so nicht sagen – – Ich habe selbst noch nicht dran gedacht – – Es kann seyn; Ich weiß warlich selbst nicht.[390]
Siegwart. Gut, gut, mein Kind! Sey nur ruhig! Ich will kein Geständnis herauszwingen. Mich deucht, ich weiß schon genug, und die Vermuthung scheint mir ziemlich richtig.
Therese. Aber, um Gottes willen, Papa, Sie werden ja nichts unerlaubtes muthmassen? Bey der Mutter Gottes und bey allen Heiligen, auf meinen Knien kann ichs Ihnen schwören, daß mein Herz rein, ganz rein ist! daß kein unheiliger, kein unerlaubter Gedanke je in diese Brust kam! Die Engel könnens zeugen, die zugegen waren, wenn ich mit ihm allein war! Lieber wollt ich sterben. –
Xaver. Ja, ich kanns auch bezeugen, Papa!
Siegwart. Still, still, meine Kinder! Wozu die Betheurungen? Wie könnte mir so ein Gedank einfallen, meine Tochter? Ich kenne deine Unschuld. Aber die Frage ist von ganz was anders, und betrift deine Ruhe, die mir so unaussprechlich nah am Herzen liegt. (Hier nahm er Theresen bey der Hand) Bedenk, mein Kind, wenn du den Herrn von Kronhelm liebst, in welche unabsehliche Schwierigkeiten du dich verwirkelst? Ich habe nichts gegen ihn, Gott weiß es![391] Er ist mir ein lieber junger Mensch; und wenn er deines Standes wäre, so wollt ich heut noch eure Hände ineinander legen, und euch segnen! Aber, denk einmal! Er ist ein Edelmann, von einer guten, alten Familie. Du weist, wie die Edelleute sind. Wenn auch Er gleich anders denkt, das hilft wenig! Sein Vater, oder seine Anverwandten können wunderlich seyn. Sie würdens nie zugeben, wenn er dich auch noch so sehr liebte. Und wie leicht kann man ihn durch Zureden wieder auf andre Gedanken bringen! Der Mensch ist veränderlich –
Xaver. Nein, Papa! Das ist Kronhelm gewiß nicht! Da kann ich für ihn stehen! Was er einmal beschlossen hat –
Siegwart. Das ist schon gut! Aber du kennst die Menschen noch nicht genug. Und, wie gesagt, auf ihn kömmts ja nicht an; er ist nicht sein eigner Herr; und würde sich dadurch selbst ins tiefste Elend stürzen.
Therese. Nein, das will ich nicht! Bey Gott, nicht! Keinen Menschen! Ihn am wenigsten! Lieber selbst ins Elend! Lieber tausendmal ins Elend![392]
Siegwart. Du bist viel zu heftig, meine Tochter! Zu dem, was ich dir noch sagen will, gehört Ueberlegung. Jetzt kann alles noch geschehen, jetzt ists eben noch Zeit. Prüf dich, ob du ohne ihn leben, dich von ihm auf einmal losreissen kannst? – Du weinst, Therese? – Gutes Kind! Du daurst mich! Es muß weit mit euch gekommen seyn. Habt ihr einander schon von Liebe vorgesagt?
Therese. Noch kein Wort, Papa! Ich sagt' ihm nur, daß ich ihn hochschätze, und er sagt' es auch –
Siegwart. Ist eben so viel! – Kinder, Kinder! Ich fürcht, Eure Herzen hangen schon sehr fest aneinander, und werden bluten müssen! Glaub mir, Therese! ich liebe dich von Herzen! Wünschte dich im Herzen glücklich, wie mich selber! Und wenn du's mit Kronhelm werden könntest, das wär mir das liebste auf der Welt! Aber, Aber! Ich sehe viel Kampf voraus!
Xaver. Erlauben Sie, Papa! Wenn Kronhelm meine Schwester würklich lieb hat, so kanns nicht fehlen! Er macht sie gewiß glücklich! O, ich kenn ihn, und weiß, was er zu thun im Stand ist! So gibts wenig Menschen![393]
Siegwart. Du kommst immer wieder aufs Alte, Xaver! Wenns auf Ihn ankommt – Ich sag dir aber, da kommts nicht auf ihn an. Er ist noch ein junger Mensch! Sein Vater lebt noch!
Xaver. Aber er gibt nicht nach. Er ist standhaft, und hat Grundsätze!
Siegwart. Grundsätze hin, Grundsätze her! Der Adel hat auch seine Grundsätze! – Ich kann weiter nichts thun, Therese, als dich väterlich und herzlich warnen, um deiner Ruhe willen recht auf deiner Hut zu seyn; und dein Herz so unabhängig zu machen, als möglich! Ich will dir den Umgang mit Kronhelm nicht verbieten, das wär hart, und grausam, und würd eure Liebe nur mehr anflammen; aber, wenn Gründe, und mein Bitten, und die Liebe zu deiner eignen Glückseligkeit etwas über dich vermögen, so such dein Herz wieder zu heilen, und deine Liebe in Freundschaft zu verwandeln. Ich weiß, daß dichs viel kosten wird! Aber lieber jetzt, als dann erst, wenn alles schon zu spät ist. Ueberlegs selber, welchen Gefahren du entgegen giengest, und ob meine Warnung nicht väterlich und gut gemeynt ist?[394]
Therese. Ja Papa! Ich seh es ein, und dank Ihnen (sie küßte ihm die Hand) und will thun, was ich kann!
Siegwart. Nur behutsam! Du must ihn nicht beleidigen! Das hat er um uns nicht verdient! Xaver kann bey Gelegenheit mit ihm davon reden; aber jetzt noch nicht! – Sieh nur, daß du nicht viel mit ihm allein bist! Denk nicht ans Gegenwärtige! Das ist angenehm; Sondern an die Zukunft! Die ist traurig für dich und ihn, wenn ihr nicht gleich jetzt lieber leidet. – Es ist traurig genug, daß es solche Verhältnisse in der Welt gibt! Sonst könntet ihr sehr glücklich seyn! – Ich werde dir nie in dieser Sache etwas vorschreiben, oder dir einen Mann aufdringen; da bewahre mich Gott vor! Ein rechtschaffener Vater kann nichte, als die Neigung seiner Kinder lenken, aber ohne Zwang. Nur, wenn er sie einem Abgrund entgegen eilen sieht, dann wird ihms kein Mensch übel nehmen, daß er seine Kinder zurückhält! – Ich verlasse mich auf deine Klugheit, meine Tochter! Gott stärcke dich, und heile dein verwundetes Herz! – Mit diesen Worten fieng er selber an, zu weinen. Therese schluchzte laut, und küßte ihm die Hand. Xaver[395] zog auch sein Schnupftuch heraus, und wischte sich die Augen.
Therese gieng auf ihre Kammer, schüttete ihr Leid in Thränen aus, und konnte die halbe Nacht nicht schlafen. Nun fühlte sie erst, wie nah Kronhelm ihr am Herzen liege, und was sie mit ihm verlieren würde? Sie beschloß hundertmal, sein Bild aus ihrem Herzen zu verbannen; nicht mehr mit Zärtlichkeit an ihn zu denken; ihm kalt zu begegnen; und so viel, als möglich zu vermeiden, allein mit ihm umzugehen. Aber dann stellte sie sich den lieben Jüngling wieder vor, wie er mit der sanften Mine, und dem schmachtenden Auge vor ihr da stand; sie mit Unschuld und Wehmuth ansah, als ob er fragte: Therese, womit hab ich dieß verschuldet? Dann brach ihr Herz; ihre Thränen flossen häufiger, und sie sahs für Grausamkeit und Meineyd an, ihm so unbarmherzig zu begegnen. Dann beschloß sie wieder, ihm getreu zu bleiben, wenns auch ihre Ruhe und ihr Leben kosten sollte! – Aber ihr Vater; seine Bitten; seine Vermahnungen; und herzrührende Vorstellungen auf der andern Seite! – Sie stand auf einer Klippe, von zwey Abgründen umgeben! Auf beyden Seiten[396] Tod! Welchen sollte sie nun wählen? – Sie rang, bis gegen Morgen, mit sich selbst; hatte nicht beschlossen, was sie wählen wollte? Und schlummerte endlich, von Thränen, und von Seufzern abgemattet, ein.
Der junge Siegwart unterhielt sich unterdessen mit Kronhelm. Er war zu gewissenhaft, und ängstlich in der Freundschaft, und hätt' es sich als einen Verrath angerechnet, wenn er das, was vorgefallen war, seinem Freund nur eine Stunde hätte vorenthalten sollen. Er erzählte ihm also offenherzig die ganze Geschichte. Kronhelm, sagte er, mein Vater glaubt, du liebest meine Schwester, und sie liebe dich, und da ist er sehr besorgt und ängstlich drüber.
Kronhelm. Wer? Dein Vater? Hat er was dagegen? – Ja, ich liebe deine Schwester, Siegwart! Lieb sie herzlich! Hat er was dagegen? Sag!
Siegwart. An sich hat er nichts dagegen. Aber du bist ein Edelmann.. Du weist schon –
Kronhelm. Nun ja! Thut das was? Meyn ichs drum nicht ehrlich?
Siegwart. Sey nicht wunderlich! Warum sollt er das von dir glauben? Aber er meynt, es[397] geh nicht an, daß ein Edelmann ein Bürgermädchen so liebe, daß ers heyrathen kann.
Kronhelm. Warum nicht? Das wär mir schön! Meynt er das? So will ich ihms gleich anders sagen. Was hat der Adel mit der Liebe zu thun? Da wollt ich lieber meinen Federhut in die Donau schmeissen! – Nein, Siegwart, wenn mich deine Schwester liebt, so soll sie, bey Gott! mein seyn.
Siegwart. Das sagt' ich auch; aber er hat Besorgnis wegen deines Vaters.
Kronhelm. Der kann dagegen seyn, das leugn' ich nicht. Aber in der Liebe hat man weder Vater noch Mutter! Da bin ich mein eigner Herr!
Siegwart. Du bist ja so heftig, Kronhelm!
Kronhelm. In der Liebe muß mans seyn!
Siegwart. Du liebst also meine Schwester würklich?
Kronhelm. Brauchts noch eine Frage? – Kannst du sagen, daß sie mich wieder liebt?
Siegwart. Ja, das kann ich, Kronhelm! Ich wollt' einen Eid drauf schwören![398]
Kronhelm. Nun, Gott sey Dank! Dann soll uns auf der Welt nichts im Wege stehn! – Was macht deine Schwester? Was sagte Sie?
Siegwart. Sie weinte, schwieg, und sah gen Himmel, als ich sie verließ.
Kronhelm. Nun, Gott wird sie trösten, hoff ich! – Das arme Mädchen! Daß sie meinetwegen leidet! – O, das geht mir durch die Seele, Xaver! Hast du sie nicht trösten können? Hast ihr nicht gesagt, daß ichs ehrlich meyne? Daß sie mein seyn soll, auf ewig?
Siegwart. Wußt ich das?
Kronhelm. Freylich hättest's wissen sollen! – Komm, laß uns noch zu ihr!
Siegwart. Jetzt ists schon zu spät, Kronhelm! Sie wird schon im Bette seyn. Du kannst ihrs ja morgen sagen.
Kronhelm. Morgen! Man sieht wohl, daß du nie geliebt hast! Ein Augenblick, den sie um mich leidet, wird mir zum Jahrtausend! Warum hast mirs doch nicht eher gesagt!
Siegwart. Ich sagt' es dir ja gleich, als ich von ihr herkam.
Kronhelm. Nun, so ists schon gut! – Aber morgen mit dem frühesten muß ich mit ihr[399] reden, und sie trösten, und ihr schwören, daß ichs ehrlich mit ihr meyne! Mein soll sie seyn, wenns auch die ganze Welt nicht wollte!
Siegwart. Nur behutsam must du drein gehn, Kronhelm! Es ist besser, wenn dein Vater jetzt noch nichts davon weiß. Und vor meiner Schwägerinn must du dich auch in Acht nehmen! Du hast letzthin gehört, was sie für Anmerkungen machte.
Kronhelm. Ey, was geht mich die an? – Aber du hast Recht. Behutsam will ich drein gehn. Wenn nur Therese mein wird, dann ist mir alles gleichviel, wie sies wird?
Siegwart besänftigte doch nach und nach den aufgebrachten, liebevollen Jüngling ziemlich. Kronhelm, den der unerwartete Sturm stutzig gemacht, und dann mit ergriffen hatte, daß er nichts mehr um sich her sah, als seine Liebe und Theresen; ward nun, als er sich zu Bette gelegt, und das Licht ausgelöscht hatte, nachdenklich und am Ende traurig. Je mehr er die Sache kalt überschaute, desto mehr Hindernisse stellten sich ihm dar. Die Schwierigkeiten schienen ihm nicht mehr so leicht zu übersteigen zu seyn, als sie ihm anfangs geschienen hatten; Er fand zwar seine[400] Liebe stark; aber auch den Eigensinn und die Vorurtheile seines Vaters. Er sah den Lerm voraus, den dieser anfangen würde; und endlich, als er sich von allen Seiten her mit Hindernissen umringt sah, und sich selbst nicht mehr heraus zu helfen wuste, fieng er an, sein Schicksal und den Adel zu verwünschen. – Er dachte sich sein liebes Mädchen; ihr sanftes holdseliges Gesicht; ihr liebevolles Herz voll hoher, edler Tugenden; ihren ganzen Umkreis von Vollkommenheiten; bebte vor dem Gedanken zurück, dieß alles zu verlieren; weinte; rang die Hände; und erhub sein Herz von neuem durch den stärkenden Gedanken: Sie soll doch, trotz allem! dein seyn! – Endlich ward er wie fühllos; dachte nichts; und sah die ganze Zukunft wie ein ödes dunkles Todtenfeld gleichgültig vor sich da liegen; bis ihn ein Schlummer überfiel, aus dem er alle Augenblicke unruhig auffuhr.
Mit der Morgenröthe wachte er schon wieder auf, und fieng von neuem an zu phantasieren. Es kam ihm nun alles noch weit schwerer und verwickelter vor; und doch beherrschte seine Seele nur der einzige Gedanke: sie soll mein seyn![401] Er sah jetzt selbst die Behutsamkeit als das einzige Mittel an, seine Liebe zu erhalten und fortzusetzen. Er beschloß, dieses Theresen und ihrem Vater zu sagen. Um halb sieben Uhr gieng er schon ins Zimmer, um sein Mädchen zu erwarten. Sie war unter Thränen aufgewacht, und betete. Mit heisser Innbrunst kniete sie vor einem Crucifix, und bat Gott um Muth und Stärke, wenn sie Kronhelm sehe. Sie war selber bang, daß sie ihm nicht kalt und behutsam genug werde begegnen können. Und doch wollte sie dieß, ihrem Vater zu Gefallen, thun. Zehnmal ergriff sie die Thüre, um hinaus, und nach dem Zimmer zu gehen, und zehnmal bebte sie wieder zurück. Ein ängstlicher Gedank erhub sich nach dem andern in ihrer Seele. Sie gieng in der Kammer auf und ab, und erblickte sich von ungefähr im Spiegel. Gott, wie bin ich so blaß! dachte sie; wird er nicht sogleich alles entdecken? – Endlich gieng sie mit zögernden und leisen Schritten nach dem Zimmer.
Als sie die Thür aufmachte, sah sie ihren Kronhelm, und wollte wieder zurückgehn; sie zitterte und bebte. Er kam auf sie zu, und nahm[402] sie bey der Hand. Wollten Sie wieder umkehren? sagte er.
Therese. Nein.
Kronhelm. Sie sehn so blaß und traurig aus. Haben Sie nicht gut geschlafen?
Therese. O ja.
Kronhelm. Und doch sagt Ihre Mine anders. (Er sah sie scharf an; Sie wandte das Gesicht weg.) Sie scheinen mir so mißtrauisch und so kalt zu seyn.
Therese. Das bin ich nicht. – Soll ich etwas auf dem Klavier spielen?
Kronhelm. Wenn Sie wollen. Aber ich spräche dießmal lieber.
Therese. Auch gut! Wovon wollen wir denn sprechen?
Kronhelm. Wovon, meine Liebe? Das fragten Sie doch sonst nicht.
Therese. Ach, ich weiß nicht. Mir ist heut so wunderlich zu Muth! Ich habe Kopfweh.
Kronhelm. Ich bedaure Sie. Aber ... Doch, ich mag nicht reden! Sie sind mir doch nicht gut. Ich sehs wohl.[403]
Therese. (Nun weinte sie) Herr von Kronhelm!.. Thun Sie mir nicht Unrecht!.. wenn Sie wüsten –
Kronhelm. Ich weiß alles, Engel! Leider! Weiß ich alles! Nicht wahr, man will uns trennen? – Liebe Seele!.. Sind Sie mir denn noch etwas gut?
Therese. Ach, Herr von Kronhelm!..
Kronhelm. O, es ist traurig, Therese! Aber, bey Gott! Kein Mensch auf Erden soll uns trennen! Wenn es auch ein Engel wäre? Keine Seele soll sichs unterstehen!
Therese. Aber, Kronhelm ... Wenn es doch geschähe? Menschen sind gar mächtig!
Kronhelm. Ich bins auch! Und Lieb' ist mächtiger, als alles! – Fassen Sie nur Muth! Ich weiß, daß ein Ungewitter über unserm Haupt hängt. Aber noch ists Zeit, ihm auszuweichen. Wir müssen nur behutsam seyn, und unsre Liebe zu verbergen suchen. Ich will mit Ihrem Vater reden.
Therese. Wollen Sie das?
Kronhelm. Sobald er kommt.
Indem trat Xaver herein. Sie beredeten sich mit einander, was sie thun wollten? Kronhelm[404] beschloß, ihrem Vater alles zu entdecken, und ihn anzuflehen, sie nur nicht zu trennen, und ihnen zu erlauben, Briefe mit einander zu wechseln. Mein Vater, sagte er, darf jetzt freylich nichts davon erfahren. Aber er kanns auch nicht, wenn nur wir selber alles recht geheim halten! Das übrige wollen wir der Zeit und der Vorsehung überlassen! Sie kanns bey unsern redlichen und reinen Absichten nicht bös mit uns meynen. Therese ward nun wieder ruhiger und vertraulicher. Als der alte Siegwart kam, trug ihm Kronhelm alles mit der grösten Rührung vor. Der Amtmann, der ein weichherziger Mann war, konnte dem vereinigten Bitten der jungen Leute nicht lang widerstehen. Die Thränen seiner Kinder, die er so herzlich liebte, und die dringenden Bitten Kronhelms, dem er auch so ganz zugethan war, überwältigten seine Vorsichtigkeit, und verschlossen ihm die Aussicht in die Zukunft. Er gab nach, und erlaubte ihnen einen Briefwechsel; nur bat er sich aus, daß er alle Briefe lesen dürfte. Die Liebenden willigten mit Freuden ein. Ich habe das meinige gethan, sagte er; ich bin nicht ohne ängstliche Besorgnis wegen eures Schicksals. Aber das meiste muß[405] ich der Vorsehung überlassen. Sie hats immer väterlich mit mir gemeynt, und wirds auch jetzt wohl machen. Ich kann weiter nichts, als zur äussersten Behutsamkeit rathen, und daß ihr euch auf alles Widrige gefast macht, was dem Menschen, und besonders einem Liebenden begegnen kann.
Auch hielt ich es für rathsam, Herr von Kronhelm, wenn Sie bald mit meinem Sohn von hier abreisten; etwa übermorgen! So gern ich Sie auch länger hier hätte, so kann ich doch nichts anders rathen. Ich habe meine Ursachen dazu. Kronhelm ließ sich auch dieses gefallen.
Unsre Liebenden waren nun wieder ruhiger, obgleich sehr oft ein Seufzer sich in ihre Freuden mit einmischte. Therese gieng ans Klavier, und sang:
Was ist Lieb? Ein Tag des Mayen,
Der in goldnem Glanz erwacht;
Hell auf froher Schäfer Reihen
Vom entwölkten Himmel lacht.
Flöten locken zu den Tänzen
Der vergnügten Mädchen Schaar;[406]
Blumen sammeln sie zu Kränzen,
Schmücken ihrer Schäfer Haar.
Schnell verdüstert über ihnen
Sich der schwülen Sonne Blick;
Schlecken blickt aus ihren Minen,
Schüchtern eilen sie zurück.
Regengüsse strömen nieder;
Blum' und Wiese sind verheert;
Und der frommen Freude Lieder
Sind in Trauerton verkehrt. –
Schau! der Friedensboge stralet
Ins erschrockne Thal herab;
Schau! der Hofnung Freude malet
Sich auf allen Wangen ab. –
Gib, o Gott der frommen Liebe,
Uns ein ruhiges Gemüth,
Das durch Wolken, schwarz und trübe,
Ins Gefild der Hofnung sieht!
Wer hat das liebe Lied gemacht? sagte Kronhelm. Es schickt sich so auf unsern Zustand. – Ich habs vom Hauptmann Northern, antwortete Therese; – noch – nie hab ichs so gefühlt, wie diesmal! Drum sollte man, sagte[407] Siegwart, jedes Gedicht in der Lage lesen, worinn's der Dichter sang, und ihn nicht mit kaltem Blut beurtheilen! – Alles traurige entfernte sich nun wieder aus Theresens und Kronhelms Brust; nur der nahe Trennungstag schwebte, wie ein aussteigendes Gewitter, vor ihnen. Sie giengen in den Garten, wo Therese Geschäfte hatte. Sie brachen Birn an den Franzbäumen miteinander ab, und legten sie ins Körbchen, das Therese am Arm trug. Dann kamen sie an einen Aprikosenbaum. Therese fand zwo aneinander festgewachsne Aprikosen; gab die eine Hälste ihrem Kronhelm und die andre aß sie. Die beyden Kerne, sagte Kronhelm, wollen wir hier in die Erde stecken, daß sie beyeinander aufwachsen; wenn die Bäume groß werden, wollen wir uns unter ihren Schatten setzen, und an diesen Tag denken! Therese lächelte, und steckte ihren Kern neben Kronhelms seinem, in die Erde. – Ach, die armen Balsaminen müssen wir begiessen! sagte sie; sie stehn so traurig da, und senken ihre Blätter! Kronhelm sprang zum Brunnen, und holte Wasser, und begoß sie. Sehen Sie! sagte er, wie sie sich schon allmählich wieder ausrichten! Denken Sie nicht, daß es uns[408] auch wieder wohl gehen wird? Ich hoff es, antwortete das Mädchen, und suchte eine Thräne zu verbergen, die ihr ins Auge trat.
Den Nachmittag giengen sie miteinander spatzieren, und bestiegen einen ziemlich hohen Berg, von da sie die ganze Gegend übersehen konnten. Sie setzten sich in ein ausgehauenes Buchengebüsch, das eine Art von Laube bildete, wo ein Nasensitz angebracht war. Unten am Berge sahen sie das Dorf liegen; der Bach schlängelte sich an seiner Seite hin, wo Kronhelm seine Hand verwundet hatte. In der Ferne sahen sie die Donau durch ein weisses Weidengebüsch hinströmen. Weiter weg sah man einen Berg, der wegen seiner Ferne ganz in Blau gehüllt war. Nicht wahr? Dort ist ihr Kloster? sagte Therese. Hier will ich oft am Abend sitzen, nach Ihrer Gegend hinsehen und an Sie und diesen Abend denken. – Wir haben auch einen Berg, sagte Kronhelm, der bald wie dieser aussieht; da will ich auch oft hingehen, und mich der vergangnen Zeiten erinnern. Wir wollen uns zuschreiben, und einen Tag ausmachen, an dem wir zugleich auf den beyden Bergen sind, und lebhaft an einander denken. – Aber, morgen, sagte Xaver,[409] müssen wir zu meinem lieben Pater Anton, nach Füllendorf! Ich verschob es immer, aber jetzt müssen wir hin; da wir übermorgen abreisen! Ich könnt es nicht übers Herz bringen, den alten ehrwürdigen Mann, und überhaupt mein liebes Kloster nicht zu sehen; da ich ihm so nahe bin. Du kannst auch mit Therese! Ja, sagte sie; aber ich dachte, man liese keine Mädchen in die Mannsklöster? Das ist schon wahr, antwortete ihr Bruder; aber wir geben dich für jünger aus, und sagen, du seyest 15 oder 16 Jahr alt. Die Paters thun mirs schon zu Gefallen, und lassen dich mit hinein. Man nimmts so genau nicht. – Sie giengen aus der Laube nach einer andern Seite des Berges. Nun, leb wohl! sagte Kronhelm; sobald seh ich dich nicht wieder! Aber ich will oft an dich, und den schönen Abend denken. Therese! Thun Sies auch, und denken Sie an mich, wenn Sie hier sind! Tausendmal! antwortete sie, und drückte ihm die Hand. – Sie lagerten sich auf einem schönen Platz ins Gras, wie Schäfer; pflückten Gänseblümchen; warfen sie sich zu; und betrachteten jedes Gräschen und jedes Blümchen genauer. Kronhelm spielte mit ihrem weissen Gewand, und der rosenrothen[410] Schleife an Ihrem Arm. Geben Sie mir ein Andenken! sagte er. – Was wollen Sie für eins? fragte sie. – Diese Schleife hier, war seine Antwort. – Gut, die können Sie haben, wenn sie ihnen lieb ist! Und nun nahm sie sie ab, und gab sie ihm. Sie war ihm so heilig, wie eine Reliquie, und er sah sie nachher oft halbe Stunden lang an, und drückte sie an seinen Mund. Ich kann Ihnen nichts dafür geben, sagte er, und küßte sie. – Endlich giengen sie wieder langsam den Berg hinab, dem Dorfe zu, und sahen sich noch oft nach dem Berg und der Laube um. Als sie zu Haus wieder ankamen, fanden sie folgenden Brief von der Amtmäminn in Belldorf mit der Ueberschrift an Kronhelm, den sie durch einen eignen Boten hatte überbringen lassen.
Hochwolgeborener Herre!
Hochge Ehrtester Herre!
Hoffe und wünsche, Sie werden gestern mit Ihrer wolansehnlichen Gesellschaft glücklich und gesundt wieder zu Haus angelanget seyn, welches mich herzlich erfreuen thun wirt. Betaure nur, daß wir Sie so schlechte haben bewirten können,[411] welches mir noch immer schakriniert. Ich weiß woll, was für eine Betienung solchen hohen Gästen geziemmen thut, aber leyter kunnt ichs nicht änteren. Wollte nur wünschen, daß Sie uns noch einmall die Ehre geben, und bei uns einsprechen thätent! Villeicht wären wir dann besser im Stant, und könneten mehr Ere einlegen. Habe noch gestern Augspurgerwürst erhalten, das Stück kostet mir vierzehen Kreutzer, damit hätt Ich herzlich gern aufgewartet, wenns nur früher gekomen wärent. Doch werd ich nicht underlassen, einige davon aus Höchst Dero gnädigsten Besuch auszuheben, welchen in Undertänichkeit erwartende, und der ganzen hochgeehrten Siegwartischen Famillie mit meinem Mann und meinen Töchtern, und meinem Söhnlein mich ergebendst empfelende Ich mich zu nennen underfange Ew. Hochwolgeboren, Meines hochzuverehrenden Herren
underdänichste Dienerinn
Julliane Haselbergin.
Siegwart, Kronhelm und Therese lachten über diesen wohlgesetzten Brief nicht wenig. Kronhelm muste ihn beantworten, weil der Bothe nicht eher weggehen wollte. Seine Frau Amtmännin[412] habs gesagt, er müsse wieder ein Papier mitbringen! – Sie brachten den Abend unter keuschen unschuldigen Küssen sehr vergnügt zu. Theresens Munterkeit und Kronhelms Ruhe kehrte wieder zurück. Die Gefahr, die ihrer Liebe drohte, schwand vor ihren Blicken, und in ihrer Seele wards so still, wie in der Natur, wo nur leise Abendlüftchen wehten. Sie sprachen von der Trennung, aber der Gedanke ans fleissige Briefwechseln, und der noch süssere ans Wiedersehn der Liebenden tröstete sie wieder. Den folgenden Morgen brachten sie in der schönsten reinsten Lust gröstentheils im Garten über dem Lesen des Messias und ihres lieben Kleist zu. Therese versuchte wieder, ihrem Bruder seinen Hang zum Klosterleben auszureden; aber als sie sah, daß ihn der Widerstand nur hitziger darauf mache, so schwieg sie wieder. – Gleich nach dem Essen giengen sie mit einander nach Füllendorf, weil ihnen Siegwart keine Ruhe ließ. Er sprach unterwegs mit Begeisterung von alle dem Schönen und Ausserordentlichen, was sie im Kloster sehen würden, und von dem heiligen Gefühl, das sie da durchdringen werde![413]
Sie trafen den P. Anton auf seiner Zelle an. Er drückte mit froher Treuherzigkeit seinem Xaver die Hand, und bewillkommte Kronhelm und Theresen mit einem liebreichen Lächeln. Seine Freundlichkeit und sein ehrwürdiges Aussehen, nahmen die beyden Liebenden sogleich ganz für ihn ein, und gewannen ihre Seelen völlig. Er that hundert Fragen an Siegwart, wie es ihm bisher gegangen, ob er froh und zufrieden sey? Wie es ihm bey den Piaristen gefalle, und was er schon gelernet habe? Es kamen bald auch andre Paters auf die Zelle, um unsern Xaver zu bewillkommen. Pater Johanns Bruder kam auch, und sagte, daß er von seinem Bruder Nachricht habe, wie wohl er und alle Piaristen mit ihm zufrieden seyen. Der Prior ließ die Gäste in den Gartensaal kommen; empfieng sie mit grossen Freuden, und bewirthete sie aufs beste. Man kam auf P. Gregor zu sprechen, weil Siegwart, der ihn vermiste, nach ihm fragte. – Der ist bey Gott, sagte P. Anton; vor einem Vierteljahr ist er gestorben. Sein Ende war uns allen recht erbaulich; er behielt bis an den letzten Augenblick seinen Verstand. Er hat mir auch an dich, mein lieber Siegwart, noch seinen Gruß[414] und seinen Segen aufgetragen. Er schläft neben meinem P. Joseph. Siegwart weinte ihm eine zärtliche und dankbare Zähre nach. Ich muß dir noch sein Crucifix geben, Xaver! sagte Anton; er hat dir's vermacht. Du sollest sein zuweilen dabey gedenken, und es dich erinnern lassen, daß er dich im Himmel erwarte! Eh sie weggiengen, gabs ihm P. Anton; und es ward ihm heilig. Er hatte es nachher immer auf seinem Tische vor sich stehen, und sah es oft mit Wehmuth und bebendem Verlangen an, bald bey seinem ehemaligen Besitzer zu seyn. Die jungen Leute blieben lang, und giengen erst eine Stunde vor Sonnenuntergang nach ihrem Dorf zurück. Therese und Kronhelm konnten nun begreifen, warum Siegwart mit so festem Herzen an dem Vorsatz hange, ein Mönch zu werden; denn sie waren selbst von dem einsamen und stillen Klosterleben ganz bezaubert. – Der Gedanke der nahen Trennung lag nun immer trauriger und schwerer auf ihnen! Sie wagtens nicht, einander etwas davon zu sagen, und doch verriethen ihre Blicke ihre Bangigkeit und ängstliche Besorgnis nur zu oft.[415]
Als sie in der späten Dämmerung zu Hause wieder ankamen, setzten sie sich vor dem Abendessen noch im Zimmer neben einander. Kronhelm hatte seine Hand in Theresens Hand gelegt, und sprach nichts. Es ward immer dunkler um ihn her, sein Blick ward trüber, und sein Herz schwerer. Er dachte viel, und dachte nichts. Weinen konnt er nicht; sein Herz war gespannt, und wollte bersten. Zuweilen kam ein Seufzer aus dem Innersten, hub die Brust hoch auf, zitterte herauf, und brach mit Gewalt hervor. Dann drückte Therese ihm mit Heftigkeit die Hand. Ihr war die Wohlthat der Thränen nicht versagt, und sie rieselten häufig über ihre blassen Wangen. Zuletzt konnte sich Kronhelm nicht mehr halten; er stand auf, gieng im Zimmer heftig hin und her; warf sich in der Ecke des Zimmers auf einen Stuhl; stand wieder auf, und setzte sich wieder zu Theresen. Sie saß mit dem Kopf rückwärts an die Lehne des Stuhls gelehnt; ihre schönen Augen waren in die Höhe gerichtet, und die helle Thräne glänzte drinn. – Ach! daß wir uns verlassen müssen! sagte er. Sie schwieg. Sie legte ihre Hand wieder in die seinige; sah ihn an, und wieder auf die Seite. Ihr[416] Herz litt unendlich viel. Indem kam der alte Siegwart herein. Eben schickt man da zu mir, sagte er, um meine Kutsche. Eine Bauersfrau von hier ist auf einem andern Dorf schnell krank geworden, und da will ihr Mann sie Morgen abholen. Ich konnt ihm die Kutsche nicht abschlagen, es sind gar zu brave Leute. Morgen müssen Sie also noch hier bleiben, Herr von Kronhelm, oder reiten. Nein, Nein! Ich bleibe gern, rief Kronhelm und sprang auf. Bravo! Bravo! das ist herrlich, daß wir länger bleiben! Therese stand auch voller Freuden auf. Es war, als ob auf einmal eine grosse Last von ihrem Herzen wäre weggewälzt worden. Xaver kam aus dem Garten herauf, und freute sich, als ers hörte, mit ihnen. Nun waren die Liebenden wie verwandelt, und ausgelassen lustig. Therese muste das munterste Stückchen, das sie hatte, auf dem Klavier spielen. Sie assen im Garten, und scherzten mit einander über den glücklichen Zufall mit der Bäurin. Die arme Frau daurt mich, sagte Kronhelm; aber wenn sie krank werden muste, so wars doch der klügste Einfall, daß sie's jetzt, und auf einem andern Dorf wurde! Morgen[417] wünsch ich ihr von ganzem Herzen ihre Gesundheit wieder, und ein langes Leben. So gehts in der Welt! Einer macht sich immer auf des andern Kosten lustig! Es leb die Bäurinn, und ihr kluger Einfall! Und nun stiessen Er, Therese und ihr Bruder die Gläser an; auch der alte Siegwart trank mit, und nahm an der Freude seiner Kinder Antheil. Der ganze Abend war ein rechter Festtag für sie, und sie blieben lang zusammen aufsitzen. Sie hätten noch diesen Abend bey Karl und seiner Frau Abschied genommen; aber weil die Reise aufgeschoben wurde, so giengen Kronhelm und Siegwart erst den andern Morgen hin. Kronhelm muste von Karls Frau manche spöttische Anmerkungen über Theresen anhören, daß der Abschied so traurig seyn und daß sie vermutlich werde melancholisch werden, wenn sie wieder allein leben, und einer so angenehmen Gesellschaft entbehren müsse, u.s.w. Er hatte oft Mühe, eine bittre Antwort zurück zu halten; aber die Klugheit siegte doch bey ihm. Sobald er zurückkam, erzählte er es Theresen, und bat sie, in Absicht auf ihre Schwägerinn recht behutsam zu seyn. Den Nachmittag giengen sie noch einmal auf einem andern Wege[418] nach dem Berg, wo sie gestern gewesen waren. Als sie über einen Steg giengen, blieben sie drauf stehen. Therese warf ein Nelkenblatt in den Bach hinab; Kronhelm auch eins. Die Blätter schwammen einander nach; die Liebenden verfolgten sie mit ihren Blicken, und freuten sich, daß die Blätter miteinander schwammen. Sie trieben dieses Spiel wol eine halbe Stunde, und giengen endlich nach dem Berge. Als sie oben waren, sagte Kronhelm: Nun sind wir doch wieder da; gestern hätten wir geschworen, daß es nicht geschehen würde. So kann alles auf der Welt in einem Augenblick möglich werden! – Sie machten aus, daß sie auf die Nacht nicht zu Bette gehen wollten, weil sie ohnedieß früh wieder aufstehen müßten. Ich kann doch nicht schlafen, sagte Therese; wir müssen die kurze Zeit, die wir übrig haben, noch ganz geniessen. – Sehen Sie! dort hinten zieht sich ein Gewitter auf. – Kronhelm wollte es nicht glauben, und sagte, daß es nur Abendwolken seyen; Sie aber blieb auf ihrer Behauptung – Wenns morgen gut Wetter ist, fuhr sie fort, so fahr ich eine Stunde weit mit Ihnen. – O, das thun Sie ja! sagte Kronhelm. Zwar, Sie müssen dann allein, und zu Fuß, zurück – Ey was, Possen! fiel sie ihm ein. Glauben Sie denn, wir seyen so empfindlich, und so furchtsam, wie Ihre Stadtmädchen, daß wir keine Stunde weit allein gehen könnten? Auf dem Land fragt man viel darnach! da gibts nicht so viel schlimme Leute, wie in der Stadt, daß man sich zu fürchten hätte! – Ja, das weiß ich wol, sagte Kronhelm, und Ich werde gewiß nicht die Stadt gegen Sie vertheidigen! Nun, Sie fahren also mit![419] Das ist ja herrlich! O, Sie sind das liebste und gefälligste Mädchen von der Welt! – Aber, sagte Siegwart, wir müssen nur nicht viel Umstände mit dem Abschiednehmen machen! Das muß ein schaaler Kopf gewesen seyn, ders erfunden hat! Wenn ich mich von einem Freund trenne, da wünsch ich ihm gewiß von Herzen alles Gutes, und da brauchts der vielen Worte nicht' – Gut, gut! Wir wollens kurz machen! sagte Therese. Aber unter Abschiednehmen und Abschiednehmen ist doch auch ein grosser Unterschied! Nicht wahr, Herr von Kronhelm? Hier sah sie ihn mit einem unbeschreiblichen, mit Wehmuth und Liebe untermischten Lächeln an. – Da haben Sie auch ein Vergißmeinnicht! sagte sie zu Kronhelm, als sie an einer Quelle, die den Berg hinab rieselte, vorbeykamen, und gab es ihm. Er küste ihr die Hand, und steckte es auf seinen Hut. Da soll es immer bleiben, sagte er, und mich tausendmal des Tags an Sie erinnern! Aber nun leb wol, Berg! Nun werd ich dich wol so bald nicht wieder sehen! – Vielleicht in diesem Leben nicht mehr, sagte Therese. – Nein, das wolle Gott nicht! rief er heftig aus. Wo bringen Sie die trübseligen Gedanken her? In drey, vier, Jahren kann sich viel ändern! – Ja wohl, viel ändern! setzte sie hinzu. – Drauf giengen sie allmählich wieder dem Dorfe zu. Vor demselben trafen sie die Kutsche mit der kranken Bäurinn an. Gott! sagte Therese; wie der Mensch sich so schnell ändern kann! Vor etlich Tagen sah dieß Weib noch wie eine Nose aus; nun ist sie so bleich, und und eingefallen, wie der Tod, daß man sie kaum mehr kennt! Es wäre doch recht lächerlich, wenn man sich auf sein[420] gutes Aussehen viel zu gut thun wollte! – Freylich ist es besser, sagte Kronhelm, wenn man noch etwas mehr hat, worauf man stolz seyn kann! Wer so ein Herz hat wie Sie, meine Liebe, der kann sich über den Verlust seiner Schönheit leicht trösten. Aber wie wenig Mädchen können das? – Sie ward roth, und sagte: auf dieß Kompliment hab ich nicht gerechnet; sonst hätt ich sein geschwiegen! – Es ist kein Kompliment, antwortete Kronhelm; Sie wissen, daß ich Komplimente hasse. – Nun kamen sie beym alten Siegwart wieder an. Er wollte erst nicht zugeben, daß sie nicht ins Bette gehen sollten; aber, als sie ihn so dringend um Erlaubniß drum baten, gab er ihnen nach. Um vier Uhr, sagt' er, will ich wieder aufstehen, denn ich hab die Ruhe nöthiger, als ihr. Sie giengen nun zum letztenmal in Garten, und bald drauf aufs Zimmer, denn der Himmel ward immer wolkichter und trüber, und es blitzte schon von ferne. Das Herz war ihnen jetzt auch schwer, aber doch weniger, als gestern; denn der Gedanke an, die nahe Trennung war ihnen schon minder neu. Sie setzten das Licht aus dem Zimmer in die Kammer, weil ihnen die Dämmerung lieber war, und weil sie so die Blitze, die immer häufiger wurden, besser sehen konnten. Siegwart setzte sich in einen Lehnstuhl am Ofen, und schlummerte ein wenig; doch sprach er auch zuweilen mit. Kronhelm schlang um Theresen seinen Arm; vor ihnen lag der Messias, und zwar die Stelle von Semida und Cidli aufgeschlagen, die sie vorher noch einmal gelesen hatten. – Das Gewitter zog immer näher, und man hörte schon von fernher donnern. Sie traten[421] ans Fenster, und sahn dem Blitzen zu. Einmal wurden sie durch einen Blitz so geblendet, daß sie beyde zurückfuhren, einige Augenblicke nichts, als blaues Licht um sich her sahen, sich anblickten und schwiegen. – Gott! dachte Kronhelm, wenn der uns getödtet hätte! Und doch, dachte er zugleich, es wäre gut! Ich wär mit ihr gestorben! Er sah sie an; ein Blitz erleuchtete ihr Gesicht; es sah blaß aus, und das Aug war naß, und glänzte. Er streichelte ihre Wangen; Sie waren von den Thränen ganz benetzt und kalt – Sollten wir uns wiedersehen? sagte sie. – Ja gewiß! antwortete er mit Heftigkeit; drückte ihr die Händ, und gab ihr einen Kuß. Es fieng nun auch an zu regnen, und sie wurden sehr besorgt, daß sie nicht würde mitfahren können. Wenns nur aufhört, sagte sie so hats nichts zu bedeuten! An den schlimmen Weg denk ich gar nicht. – Sie setzten sich wieder an den Tisch; Therese stützte ihr Gesicht auf ihre Hand, und neigte sich über den Messias her. Ihre Seele ward nun auf Einmal heftiger bestürmt; der Gedanke an die immer näher rückende Trennung faste sie ganz; ihr Busen schlug heftiger; ein Seufzer folgte dem andern, und Kronhelm hörte die Thränentropfen auf das Buch fallen. Er ergrif ihre Hand; sie führte die seinige auf das Buch, und er fühlte, daß es naß war. Da that er in seinem Herzen einen Schwur, ihr ewig treu zu seyn! Und der Schwur war ihm so heilig als ob er ihn über dem Evangelio geschworen hätte. Der Donner ward immer stärker, und der Regen heftiger. – Das ist eine heilige und feyerliche Nacht; sagte er. – Um Eins kam der abnehmende Mond zuweilen zwischen[422] zerrißnen Gewitterwolken hervor, und goß sein blasses, melancholisches Licht auf die Liebenden herunter. Sie betrachteten ihn lang am Fenster; küßten sich zuweilen; sprachen abgebrochne Wolte, und fühlten, was die Sprache nicht beschreiben kann. – Um drey Uhr gieng Therese weg, um den Kaffee zu machen. Kronhelm sprach von gleichgültigern Dingen mit Siegwart. Nach einer halben Stunde kam sie wieder, und brachte den Kaffee. Der alte Siegwart kam auch. Er sagte, man könne mit dem Abfahren bis halb 5 Uhr warten, ob der Regen nicht aufhöre? Aber länger nicht! – Als der Kaffee getrunken war, stellte sich Kronhelm mit Theresen wieder aus Fenster. Der Regen hielt noch an, und die Hofnung verschwand immer mehr, daß Therese sie begleiten könne. Sie hörten alle Viertelstunden auf dem nahen Kirchthurm schlagen, und jeder Glockenschlag war ihnen ein Donnerton; Mit jedem sank ihr Muth mehr. – Der alte Siegwart suchte sie durch sein Gespräch etwas aufzuheitern; sie lächelten zuweilen, aber wie der Mond, der durch Regenwolken schien. Der Tag brach an, und röthete in etwas die Gewitterwolken; endlich ward der Himmel blutroth. Es schlug vier Uhr. Kronhelm bebte, als ers hörte. Er stand unbeweglich vor Theresen. Endlich gieng er in die Kammer, um sich vollends anzuziehen, und seine Sachen in Ordnung zu bringen. Er kam wieder auf das Zimmer. Es schlug ein Viertel. Herr Gott! wie die Zeit eilt! sagte Therese. Kronhelm holte seinen Stock. Er stand, wie ein Verurtheilter da, der nun alle Augenblicke zum Tod geführt werden soll. Endlich schlugs halb. – Nun, wir müssen[423] fort! sagte er. Er nahm vom alten Siegwart mit vieler Zärtlichkeit und Rührung Abschied. Therese konnte sich nicht länger halten, und gieng vor die Thüre hinaus. Xaver nahm nun auch von seinem Vater Abschied. Als Kronhelm vor die Thüre kam, stand Therese da, und schluchzte. Er drückte ihr die Hand, und gieng schweigend die Treppe hinunter. Xaver nahm von seiner Schwester Abschied; Kronhelm vom alten Siegwart. – Nun, Therese! – sagte dieser. Sie gieng zu Kronhelm; umarmte ihn, gab ihm drey Küsse, sprach kein Wort, und gieng weinend ins Haus zurück. Die beyden stiegen in den Wagen und fuhren fort.
Ende des ersten Theils.
Ausgewählte Ausgaben von
Siegwart. Eine Klostergeschichte
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