Fünfter Auftritt.

[40] Harpagon. Valere. Jacques.


HARPAGON. Dich brauche ich auch, Valere. Jetzt also, Meister Jacques, kommt näher; Euch habe ich bis zuletzt gelassen.

JACQUES. Wollt Ihr mit Eurem Kutscher sprechen, gnädiger[40] Herr, oder mit Eurem Koch? – Denn ich bin eins wie das andre.

HARPAGON. Mit beiden.

JACQUES. Aber mit welchem zuerst?

HARPAGON. Mit dem Koch.

JACQUES. Dann seid so gut und wartet ein wenig. Er zieht seinen Stallkittel aus und erscheint als Koch.

HARPAGON. Was zum Henker machst du für Umstände?

JACQUES. Nun könnt Ihr anfangen.

HARPAGON. Ich habe mich darauf eingelassen, Meister Jacques, heut abend Gäste einzuladen.

JACQUES beiseite. Ein wahres Weltwunder!

HARPAGON. Nun sag einmal, kannst du uns etwas Gutes zu essen geben?

JACQUES. Warum nicht? Wenn Ihr mir recht viel Geld gebt!

HARPAGON. Was Teufel! Immer Geld! Es scheint, als hättet Ihr nie etwas anderes zu sagen als Geld, Geld, Geld! – Sie haben immer alle das eine Wort auf der Zunge: Geld! – sprechen nie von etwas anderem als von Geld! – Damit stehen sie auf und gehen damit zu Bett: immer und ewig nur Geld!

VALERE. Ich habe nie eine so alberne Antwort gehört, Meister Jacques. Als ob das eine Kunst wäre, eine gute Mahlzeit mit vielem Gelde herzurichten: das ist das Leichteste von der Welt, und kein Koch ist so einfältig, daß er das nicht verstände. Wer sich aber als geschickten Künstler zeigen will, der liefert etwas Gutes für wenig Geld.

JACQUES. Etwas Gutes für wenig Geld!

VALERE. Jawohl!

JACQUES. Meiner Treu, Herr Haushofmeister, Ihr tätet mir einen Gefallen, wenn Ihr mich das Kunststück lehrtet und mein Amt als Koch übernähmt. Ihr wollt ja ohnehin das Faktotum hier im Hause vorstellen!

HARPAGON. Haltet das Maul! Was werden wir also nehmen?

JACQUES. Ihr habt ja da Euren Herrn Haushofmeister, der Euch eine gute Mahlzeit für wenig Geld besorgen will.

HARPAGON. He, ich will eine Antwort auf meine Frage.

JACQUES. Wieviel Personen habt Ihr eingeladen?

HARPAGON. Wir werden unser acht oder zehn sein; rechnen[41] wir aber nur acht. Wenn für acht zu essen ist, haben auch zehn genug.

VALERE. Das versteht sich.

JACQUES. Nun gut, da brauchen wir also vier große Schüsseln und fünf Assietten; Potagen – Entreen –

HARPAGON. Den Teufel auch! Damit könnte man ja eine ganze Stadt traktieren.

JACQUES. Als Braten ...

HARPAGON hält ihm die Hand auf den Mund. Halunke, du bringst mich ja um mein ganzes Vermögen!

JACQUES. Zwischengerichte ...

HARPAGON. Noch mehr?

VALERE zu Meister Jacques. Wollt Ihr's denn darauf anlegen, daß sich alle Gäste zu Tode essen sollen? Hat denn der gnädige Herr seine Freunde eingeladen, um sie durch eine solche Abfütterung umzubringen? Werft nur einmal einen Blick in die Regeln für die Erhaltung der Gesundheit, und fragt jeden Arzt, ob es etwas für den Menschen Schädlicheres gibt, als übermäßig viel zu essen!

HARPAGON. Er hat recht.

VALERE. Begreift doch, Meister Jacques, Ihr und Euresgleichen, daß eine so überfüllte Tafel zu einer wahren Mördergrube wird; daß, wenn man sich als aufrichtigen Freund seiner Gäste beweisen will, bei den Mahlzeiten die größte Mäßigkeit herrschen muß; und daß man nach dem Ausspruch eines alten Weltweisen ißt, um zu leben, und nicht lebt, um zu essen.

HARPAGON. Ei wie schön war das ausgedrückt! – Komm her, Valere, für den Spruch muß ich dich umarmen. Das ist die geistreichste Sentenz, die ich in meinem Leben gehört habe: man muß leben, um zu essen, und nicht essen, um zu le ... Nein, so war's nicht. Wie hast du doch gesagt?

VALERE. Man müsse essen, um zu leben, und nicht leben, um zu essen.

HARPAGON zu Jacques. Hörst du wohl? Zu Valere. Wer ist der große Mann, der das gesagt hat?

VALERE. Ich kann mich nicht gleich auf seinen Namen besinnen.

HARPAGON. Schreib mir den Satz auf. Vergiß es nicht.[42] Ich will ihn in goldenen Lettern über den Kamin meines Eßzimmers gravieren lassen.

VALERE. Das soll geschehen. Und was Eure Abendtafel betrifft, so überlaßt mir nur alles; ich werde es Euch besorgen, wie sich's gehört.

HARPAGON. Schön!

JACQUES. Desto besser! Dann habe ich weniger Arbeit davon.

HARPAGON. Wir müssen Gerichte nehmen, von denen man wenig ißt, und die gleich satt machen; so etwa eine gute Schüssel recht fette weiße Bohnen und dazu eine Topfpastete mit recht viel Kastanien darin.

VALERE. Verlaßt Euch auf mich.

HARPAGON. Jetzt muß also gleich die Kutsche rein gemacht werden, Meister Jacques.

JACQUES. Still, das geht den Kutscher an. Zieht seinen Stallkittel wieder an. Ihr sagtet ...

HARPAGON. Die Kutsche sollte ausgestäubt und die Pferde angespannt werden ...

JACQUES. Die Pferde, gnädiger Herr? – Lieber Gott, die sind gar nicht imstande, sich von der Stelle zu rühren. Ich werde Euch nicht sagen, daß sie aus Hunger ihre Streu fressen, denn die armen Tiere haben keine, und ich spräche nicht die Wahrheit; aber Ihr laßt sie so strenge Fasten halten, daß sie keine Pferde mehr sind; nein, nur noch Gedanken oder Gespenster, rechte Schatten von Pferden.

HARPAGON. Was ist denn da viel zu klagen! Sie tun ja nichts!

JACQUES. Und weil sie nichts tun, gnädiger Herr, sollen sie wohl auch nichts fressen? Es wäre viel besser für die armen guten Tiere, wenn sie viel arbeiten müßten, und hätten dafür auch viel zu fressen. Es geht mir allemal durchs Herz, wenn ich sie so klapperdürr sehe, denn ich habe meine Pferde so lieb, daß mir's immer zumute ist, als müßte ich selbst mit hungern, wenn sie so heruntergekommen dastehen. Ich knappe mir's täglich für sie am Munde ab und muß Euch sagen, gnädiger Herr, so gar kein Mitleid mit seinem Nächsten zu haben, das ist allzu grausam.[43]

HARPAGON. Von hier bis auf den Markt werden sie doch wohl fahren können?

JACQUES. Nein, ich traue mir's nicht zu und würde mir ein Gewissen daraus machen, sie zu peitschen, so elend, wie sie sind. Wie sollten sie wohl eine Kutsche schleppen? Sie können sich ja selbst kaum schleppen.

VALERE. Gnädiger Herr, ich werde den Nachbar Picard bitten, daß er fährt: er muß uns ohnehin in der Küche helfen.

JACQUES. Da habe ich nichts dagegen; ich will noch lieber, daß sie einem andern unter den Händen krepieren als mir.

VALERE. Meister Jacques tut ja ungemein weise.

JACQUES. Und der Herr Haushofmeister tut sehr wichtig.

HARPAGON. Still!

JACQUES. Gnädiger Herr, ich kann die Schmeichler nicht leiden; und ich sehe, daß der einer ist. Alles, was er tut, sein ewiges Aufpassen auf Brot und Wein, auf Salz und Lichter, ist nur, um Euch zu kitzeln und den Hof zu machen. Das ärgert mich, und ich möchte aus der Haut fahren, wenn ich alle Tage hören muß, wie die Leute über Euch reden: denn ich mag wollen oder nicht, so halte ich immer noch etwas auf Euch, und nach meinen Pferden seid Ihr mir die liebste Person, die ich habe.

HARPAGON. Nun, Meister Jacques, was sagen denn die Leute von mir?

JACQUES. Ja, wenn ich wüßte, daß Ihr nicht böse würdet ...

HARPAGON. Nein, durchaus nicht.

JACQUES. Verzeiht mir, ich weiß allzugut, daß Ihr's übelnehmt.

HARPAGON. Nicht im mindesten! Im Gegenteil, es geschähe mir ein Gefallen, und sollte mir ganz lieb sein, einmal zu hören, wie man von mir spricht.

JACQUES. Gnädiger Herr, wenn Ihr's denn nicht anders wollt, so will ich Euch frei heraussagen, daß man sich allenthalben über Euch aufhält. Von allen Seiten bekommen wir Sticheleien über Euren Geiz zu hören, und die Leute finden ihr Hauptvergnügen daran, Euch durchzuhecheln,[44] um sich immer neue Geschichten von Eurer Knauserei zu erzählen. Der eine spricht, Ihr ließet aparte Kalender drucken, in denen die Quatember und die Fasttage doppelt ständen, damit Eure Dienstboten weniger zu essen bekämen; ein anderer behauptet, Ihr hättet zur Zeit des Gesindewechsels oder um Neujahr stets einen Streit mit ihnen parat, um Euch die Geschenke zu sparen. Wieder einer versichert, Ihr hättet einmal Eures Nachbars Katze vor Gericht zitiert, weil sie Euch ein Stück Schöpskeule gefressen; noch einer, Ihr wäret in der Nacht dabei betroffen worden, wie Ihr selbst Euren Pferden den Hafer aus der Krippe stahlt, und wie Euer Kutscher, mein Vorgänger, Euch in der Dunkelheit ich weiß nicht wieviel Stockschläge gegeben hätte, über die Ihr stillschweigen mußtet. Kurz, wenn Ihr's denn wissen wollt, man kann sich nirgends blicken lassen, wo man Euch nicht heruntermachen hört. Ihr seid die Fabel und der Kinderspott der ganzen Stadt und heißt bei den Leuten nicht anders als der Geizteufel, der Knicker, der Filz und der Pfandwucherer.

HARPAGON schlägt ihn. Und du bist ein Esel, ein Schurke und ein unverschämter Schlingel!

JACQUES. Da haben wir's! Hatte ich nun nicht ganz recht? Ihr habt mir nicht glauben wollen. Ich wußte wohl, Ihr würdet zornig werden, wenn ich die Wahrheit sagte.

HARPAGON. Ich will dich reden lehren!


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 40-45.
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