Das Äpfelchen

[22] Auf einer Wiese, der sich hier und dort

ein reich beschwerter Apfelbaum enthob,

ergötzten wir, ein Häuflein Freunde, uns,

mit grünem Obst uns scherzend zu bekriegen.

Ich lag im Gras, entsandte, deckte mich,

erspähte Blößen, wurde selbst getroffen –

da plötzlich stand, wer weiß, woher sie kam,

die Liebste meiner Knabenzeit vor mir

und winkte, wie zu zarter Fehde fordernd,

mir zu, – daß ich ein unreif Äpfelchen

gemeßnen Schwungs nach ihrer Wange schickte.

Oh wie viel Liebe da aus ihren Augen,

aus ihrem Lächeln brach, als, leicht errötend,

sie sich ein wenig nun herunterbeugte

und schelmisch drohte – wieviel tiefe Liebe!

Mein Auge floh vor so viel süßem Glück,

und sehnend streckt' ich meine Rechte aus

und faßte ihres Kleides reinen Saum,

ihn, wie aus Reue meiner Tat, zu küssen.

Da ging mein Glück wie ein Gewebe auf ...

Und andre Bilder spann mein träumend Hirn.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 2, Basel 1971–1973, S. 22-23.
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