Das Häslein

[108] Unterm Schirme, tief im Tann,

hab ich heut gelegen,

durch die schweren Zweige rann

reicher Sommerregen.


Plötzlich rauscht das nasse Gras –

stille! nicht gemuckt! –:

Mir zur Seite duckt

sich ein junger Has ...


Dummes Häschen,

bist du blind?

Hat dein Näschen

keinen Wind?


Doch das Häschen, unbewegt,

nutzt, was ihm beschieden,

Ohren, weit zurückgelegt,

Miene, schlau zufrieden.


Ohne Atem lieg ich fast,

laß die Mücken sitzen;

still besieht mein kleiner Gast

meine Stiefelspitzen ...
[109]

Um uns beide – tropf – tropf – tropf –

traut eintönig Rauschen ...

Auf dem Schirmdach – klopf – klopf – klopf ...

Und wir lauschen ... lauschen ...


Wunderwürzig kommt ein Duft

durch den Wald geflogen;

Häschen schnubbert in die Luft,

fühlt sich fortgezogen;


schiebt gemächlich seitwärts, macht

Männchen aller Ecken ...

Herzlich hab ich aufgelacht –:

Ei! der wilde Schrecken!

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 2, Basel 1971–1973, S. 108-110.
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