Elbenreigen

[119] Auf der Wiese webt und schwebt

Elbenringelreigen;

feiner Füßchen Schnee sich hebt

zu geheimen Geigen.


Schleier schlingen sich im Ring,

Silberflechten flimmern,

Flügel wie von Schmetterlingen

scheu im Monde schimmern.


Jedes Köpfchen krönt ein Kranz

goldner Leuchtlaternchen,

wunderwirr verstrickt der Tanz

all die tausend Sternchen.


Busen wogen, Wangen glühn

bräutliches Begehren –:

Wird der Rechte heut sich mühn,

werden sie nicht wehren.


Lüstern läuft ein lauer Wind

übers Taugelände ...

Plötzlich hebt ein Elbenkind

warnend beide Hände:
[120]

»Horcht! Was kommt da übern Berg

durch den Wald gegangen?«

»Hei, die Zwerge, dummen Zwerge

wolln uns fangen, fangen!«


»Husch hinaus! und auf den Strom!« ...

Oh ihr Trotzeköpfchen!

Durch die Bäume lugt ein Gnom –

schüttelt trüb sein Schöpfchen.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 2, Basel 1971–1973, S. 119-121.
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