Als ich einen Lampenschirm mit künstlichen Rosen zum Geschenk erhielt

[24] O laß mich diese stummen Rosen küssen,

die auf durchhelltem Grund sich dunkel ranken –

sie werden oft in freundlichen Gedanken,

doch öfter noch mich traurig sehen müssen.


O laß mich diese stummen Rosen küssen,

und also jede Mitternacht dir danken,

daß du bewahrt mein Auge, zu erkranken,

und meine Stirn, in Fieber stehn zu müssen.


O laß mich diese stummen Rosen küssen –

sie bluten mir von Zeiten, die versanken,

von düstrer Qual, von sonnigen Genüssen ...


von jungen Blicken, die sich suchend tranken,

von eitler Sehnsucht stammelnden Ergüssen,

von kurzer Träume klagendem Verschwanken.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 3, Basel 1971–1973, S. 24-25.
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