Gebet

[121] Oh Friede, der nun alles füllet,

erfüll auch uns mit süßer Ruh,

und bis ein Tag sich neu enthüllet,

deck uns mit trauten Träumen zu.


Wie manches, was des Tages Wille

mit rechter Klarheit nicht ergreift,

dem hilf, daß es in deiner Stille

zu freundlicher Vollendung reift!


Wen Schicksalsschläge grausam trafen,

den laß vergessen, was geschehn;

wer neid– und haßerfüllt entschlafen,

den laß versöhnt den Morgen sehn!


So allem, dem gleich uns auf Erden

zu Teil des Lebens schwankes Los,

laß deines Segens Tiefe werden,

gib Kraft aus deinem heiligen Schoß!

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 3, Basel 1971–1973, S. 121-122.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ich und die Welt
Christian Morgenstern. Sämtliche Dichtungen / Ich und die Welt